Eine schiefe Optik sondergleichen Wie zufällig ist der Zufall? Ist es Zufall, dass innerhalb des letzten Jahres Entscheidungen im Gesundheitssystem bezüglich der ärztlichen Ausbildung getroffen wurden, die die Allgemeinheit noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen werden? Die Ärztekammer stellt dazu zehn Fragen an die politisch Verantwortlichen – ein offener Brief. Von Stephan Ubl ► Sehr geehrte politische Verant­

wortliche, sehr geehrte Damen und Herren, der politische Druck scheint hoch. Zu­ letzt wurden der Common Trunk und die neue Ausbildungsordnung durch die Gremien der Österreichischen Ärz­ tekammer vom 25. bis 27. Februar 2013, also in nur drei Tagen, „durchgedrückt“ – und dies, obwohl die Sektion Turnus­ ärzte der Ärztekammer für Wien ab September 2012 mehrmals Diskussi­ onsrunden urgierte, die Österreichische Hochschülerschaft Innsbruck mittels offenen Briefs gegen die Einführung des Common Trunk plädierte und ein ein­ stimmiger Beschluss aller (!) Fraktionen der Kärntner Ärztekammer gegen die Einführung des Common Trunk vorlag. Erst nachdem dieses „fix und fertige“ Konzept der zukünftigen ärztlichen Aus­ 18  doktor in wien 05_2013

Ubl: „Insofern erlauben wir uns nun auf diesem Weg, einige Fragen zu stellen und bitten, diese konkret zu beantworten …“

bildung dem zuständigen Ministerium übermittelt worden war, wurde es in der Bundessektion Turnusärzte präsentiert. Insofern erlauben wir uns nun auf die­ sem Weg, einige Fragen zu stellen und bitten, diese konkret zu beantworten: 1. Wir begrüßen wirklich jede Verbes­ serung des Status quo, aber glauben Sie alle wirklich, dass eine Ausbil­ dung per se besser wird, wenn diese länger dauert? 2. Welche konkreten Verände­ rungen in diesem Entwurf sollen die ärztliche Ausbildung tatsäch­ lich verbessern? Wird endlich das Turnusärztetätigkeitsprofil der Ös­ terreichischen Ärztekammer eins zu eins in die Praxis umgesetzt, und wenn nicht, warum nicht? 3. Wie werden die Ausbildung im klinisch-praktischen Jahr und der

Common Trunk konkret strukturiert und evaluiert? 4. Würde nicht die von Ihnen allen proklamierte, maßgebliche Verbes­ serung der ärztlichen Ausbildung eine deutliche Verkürzung der ärzt­ lichen Ausbildung ermöglichen? Warum ist nun genau das Gegenteil der Fall? Sind sechs Jahre StudiumMindestdauer und drei Jahre kli­ nische Ausbildung nicht genug? 5. Wir wagen bereits jetzt vorherzusa­ gen, dass es niemals bei neun Mo­ naten Common Trunk und 33 wei­ teren Monaten „Spitalsturnus“, das heißt insgesamt viereinhalb Jah­ ren, bleiben wird. Ein Engpass, vor allem bei den Wahlfächern (Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankhei­ ten, Orthopädie und orthopädische

coverstory  Am Puls 

6.

7.

8.

9.

Chirurgie), ist vorprogrammiert und scheinbar seitens der Verant­ wortlichen gewünscht. Oder kön­ nen Sie als Verantwortliche „über­ lange und vorprogrammierte, das heißt systematische Stehzeiten“, ausschließen? Oder geht es Ihnen in Wirklichkeit ohnehin nur darum, den Spitalsbe­ treibern „billige Arbeitskräfte“ zu verschaffen (siehe ORF-„Report“ vom 26. Februar 2013)? Das Frus­ trationspotenzial scheint erschöpft. Viele Universitätsabsolven­ten und Jungärzte überlegen bereits einen Jobwechsel, bevor sie überhaupt mit ihrer postgraduellen klinischen „Ausbildung“ begonnen bezie­ hungsweise diese beendet haben. Können Sie ein Land nennen, in dem die „ärztliche Ausbildung“ dermaßen lange dauert und so unstrukturiert ist wie in Öster­ reich? Verdient nicht das „beste Gesundheitssystem der Welt“ zu­ mindest einen Vergleich mit den viel zitierten, besten angloameri­ kanischen Elite­universitäten? Ver­ wechseln Sie „besser“ nicht einfach nur mit „teuer“ und „effizient“ mit „effektiv“? Dass Ausbildung heutzutage über­ haupt noch funktioniert, liegt am Eigenengagement von Auszubil­ denden und Ausbildnern – durch persönlichen Einsatz, ohne Ab­ geltung und scheinbar auch ohne jegliche Wertschätzung seitens der Verantwortlichen. Wie stellen Sie sich die ärztliche Ausbildung auf der Handlungsebene, das heißt zwischen den beiden Protagonisten Auszubildende und Ausbildende, ganz konkret vor? Wann werden das Ärztegesetz und das Gesunden- und Krankenpfle­ gegesetz endlich lückenlos und vollständig umgesetzt? Anordnung und Durchführungsverantwortung der Tätigkeiten aus dem mitverant­ wortlichen Tätigkeitsbereich wären schon längst klar geregelt. Würden Sie alle hierfür erforderlichen ge­ setzlichen Bestimmungen prüfen und gegebenenfalls ändern lassen, wenn es aus irgendeinem (dienst­ rechtlichen) Grund hieße, dass eine komplette Umsetzung nicht möglich sei? Wenn nein, warum nicht?

Die zukünftige ärztliche Ausbildung 1) 9 Monate Common Trunk in den Fächern - Innere Medizin (6 Monate) und - Chirurgie (3 Monate) inklusive notfallmedizinischer Basisausbildung – danach keine Approbation 2) 33 Monate Spitalsturnus: Abteilung Chirurgie

bisher (Monate): 4

Orthopädie und orthopädische Chirurgie oder Unfallchirurgie Frauenheilkunde und 4 (davon mindstens Geburtshilfe 2 Monate Geburtshilfe) Innere Medizin 12 Kinder- und Jugendheil4 kunde Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin 2 Neurologie Wahlpflichtfächer

aktueller Vorschlag (Monate): 3 (diese 3 Monate sind bereits im Common Trunk enthalten) 3 3 15 (bereits 6 im Common Trunk, von den verbleibenden 9 Monaten 3 Monate Lungenkrankheiten möglich) 3 3 3 9 (wobei aus drei der folgenden Fachgebiete jeweils 3 Monate auszuwählen sind: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Augenheilkunde und Optometrie, Urologie, Unfallchirurgie, Orthopädie und orthopädische Chirurgie oder Anästhesiologie und Intensivmedizin; Unfallchirurgie beziehungsweise Ortho­ pädie und orthopädische Chirurgie können im Rahmen der Wahlpflichtfächer jedoch nur gewählt werden, sofern sie nicht bereits im Rahmen des Common Trunk absolviert wurden)

Anästhesiologie und Intensivmedizin Hals-, Nasen- und 2 Ohrenkrankheiten Haut- und Geschlechts2 krankheiten Summe 30, plus 6 Monate 33 Monate in Krankenanstalten (beziehungsAllgemeinmedizin = 36 weise 42 Monate inklusive Common Trunk) 3) bisher (Monate): Lehrpraxis Allgemeinmedizin

6

Aktueller Vorschlag (Monate): 12 (davon 3 Monate auch in einer Spitalsambulanz absolvierbar)

4) Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin 10. Wollen Sie nicht die politisch Ver­ antwortlichen, die ersten Spitals­ betreiber, die Entscheidungsträger sein, die als erste das österreichische Gesundheitssystem maßgeblich für die nächsten Jahrzehnte erhalten und verbessern helfen?

Wir danken für Ihr Verständnis, Zeit und Mühen und bitten nun um ganz konkrete Antworten.   Stephan Ubl ist Obmann der Sektion Turnusärzte der Ärztekammer für Wien und gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben. 05_2013  doktor in wien  19

am puls coverstory

Interview

„Abteilungsleiter müssen sich wieder mehr um Ausbildung bemühen“ Gerald Gingold, Vorsitzender des Ausschusses ärztliche Ausbildung der Ärztekammer für Wien, und Michaela Röhle, Mitarbeiterin der Stabsstelle Recht der Ärztekammer für Wien, über Instrumente, Befugnisse und Möglichkeiten des Ausschusses sowie das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Von Kathrin McEwen doktorinwien: Können Sie kurz erklären, was der Ausschuss für ärztliche Ausbildung tut? Gingold: Der Ausschuss besteht aus 22 Mitgliedern. Die Mitglieder sind Ärztinnen und Ärzte von unterschied­ lichen Fachrichtungen mit verschie­ denem Ausbildungsstand und kommen sowohl aus dem niedergelassenen als auch aus dem angestellten Bereich. Dem Ausschuss werden alle Ansu­ chen für neue Ausbildungsstellen zur Prüfung vorgelegt. Wir prüfen, ob an einer neuen Ausbildungsstelle ausrei­ chend ausgebildet werden kann. Die Entscheidungen, die beim Ausschuss in der Wiener Ärztekammer getroffen werden, werden dann an die Ausbil­ dungskommission der Österreichi­ schen Ärztekammer weitergeleitet, die die Bescheid erlassende Behörde ist. doktorinwien: Welche Instrumente hat der Ausschuss zur Verfügung, wenn die Qualität der Ausbildung an bestimmten Ausbildungsstätten nicht passt? Gingold: Primär können wir Vor-OrtBegehungen durchführen und uns anschauen, was genau an den Abtei­ lungen in den Spitälern oder in Lehr­ praxen bei der Ausbildung passiert. Der Ausschuss hat aber auch die Möglich­ keit, einer Abteilung oder einer Lehr­ praxis die Berechtigung zur Ausbildung zu entziehen. doktorinwien: Wie kann man sich das genau vorstellen? Gingold: Konkret stehen wir für das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wir ge­ hen an eine Abteilung und schauen uns dort an, was man besser machen oder wo man ansetzen könnte, die Qualität zu verbessern. Die Aberkennung ist si­ 20  doktor in wien 05_2013

Gingold: „Wir wollen die Landschaft in Wien so gestalten, dass sich die Ausbildung spürbar verbessert“

„Der Aus­ schuss beziehungs­ weise die Ausbil­ dungskom­ mission sollten die Möglichkeit haben, am besten un­ angemeldet vor Ort zu erscheinen.“

cher nicht der erste Schritt. Man sollte zunächst einmal versuchen, zu helfen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Ausschuss auch Behörde ist. Das heißt, wir sind die Standesvertretung und wollen helfen, aber nichtsdestotrotz muss darauf geachtet werden, dass eine gewisse Qualität eingehalten wird, und dies ist dann Behördenfunktion. doktorinwien: Welche Befugnisse müsste Ihrer Meinung nach der Ausschuss haben, um wirklich durchschlagskräftig zu sein? Gingold: Ich denke, der Ausschuss beziehungsweise die Ausbildungskom­ mission sollten, wie jede Behörde, die Möglichkeit haben, am besten unan­ gemeldet vor Ort zu erscheinen. Durch langes Ansuchen im Vorfeld kann ein gewisser Standard vorgetäuscht wer­ den, und das minimiert auf jeden Fall die Durchschlagskraft. Röhle: Im Wiener Krankenanstalten­ gesetz ist verankert, dass der Ausbil­ dungskommission Zutritt zu Kran­ kenanstalten zu gewähren ist und dass sie Einsicht in die für die Ausbildung relevanten Unterlagen erhält. Das wird teilweise nicht so gelebt. Wenn die Möglichkeiten, die wir tatsächlich schon haben, auch umgesetzt werden, dann wäre uns eigentlich schon sehr viel geholfen. doktorinwien: Warum glauben Sie, dass der mitverantwortliche Tätigkeitsbereich, der sowohl im Ärztegesetz als auch im Gesundheits- und Krankenpflege­ gesetz eindeutig geregelt ist, nicht vollständig in Wien gelebt wird? Röhle: Vorab zur Erklärung: Der mit­ verantwortliche Tätigkeitsbereich nach dem Gesunden- und Krankenpflege­

gesetz umfasst ärztliche Tätigkeiten, die nach ärztlicher Anordnung durch das diplomierte Pflegepersonal übernom­ men werden können. In diesem Zusam­ menhang gilt es, zwei unterschiedliche rechtliche Ebenen zu beachten. Einer­ seits gibt es das Berufsrecht. Das ist das angesprochene Ärzte- beziehungsweise Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, welches grundsätzlich normiert, was ei­ ne Berufsgruppe alles darf. Andererseits gibt es das Arbeitsrecht, wo der Dienst­ geber konkret festlegen kann, welche Tätigkeiten innerhalb ihres Berufsrechts eine Berufsgruppe tatsächlich in der Krankenanstalt aus­ üben soll. Dabei könnte der Dienstgeber zum Beispiel sagen, die Pflege darf zwar entspre­ chend ihres Berufsrechts nach ärztlicher Anordnung Blut abnehmen oder Me­ dikamente verabreichen, aber ich will nicht, dass sie das in meiner Kranken­ anstalt auch macht. Das heißt, es be­ darf einer Vereinbarung zwischen den einzelnen Kräften im Spital. Beim Wie­ ner Krankenanstaltenverbund hat man versucht, dies durch ein Arbeitspaket zu regeln. Im sogenannten Arbeitspa­ ket 7 ist grundsätzlich verankert, welche ärztlichen Tätigkeiten durch das Pfle­ gepersonal nach ärztlicher Anordnung durchgeführt werden sollen. In der Pra­ xis gibt es aber immer noch Probleme. Gingold: Das Arbeitspaket 7 regelt den mitverantwortlichen Bereich. Das ist von der Idee her gut, aber die Umset­ zung ist ein wenig schwierig. Ich glaube, das wird auch zu wenig von der General­ direktion verfolgt. Es liegt zu sehr an den Turnusärztevertretern, was sie in ihren Häusern erreichen oder verhandeln und was dort dann umgesetzt wird. Das Ziel muss sein, dass es flächendeckend funk­ tioniert. Das wäre wünschenswert, oder

coverstory  Am Puls 

eigentlich zu erwarten. Weiters sollte nicht nur das Arbeitspaket 7 umgesetzt werden, sondern auch die Arbeitspakete 1 bis 6 sind umzusetzen, die bereits zu­ vor entstanden sind und einer besseren Ausbildungsqualität dienen sollten. doktorinwien: Was kann der Ausschuss tun, um die Rahmenbedingungen für eine Qualitätssteigerung zu schaffen? Gingold: Alle Abteilungen oder Lehr­ praxen, die um neue Ausbildungsplät­ ze ansuchen, müssen seit Neuestem ein Ausbildungskonzept vorlegen. Zu­ dem bekommt jeder ein Rasterzeugnis, wo angekreuzt werden muss, welche Ausbildungsinhalte vermittelt werden können. Anhand dessen kann der Aus­ schuss beurteilen, wie viel ausgebildet wird und ob die Inhalte auch tatsäch­ lich vermittelt werden können. Zudem haben wir ein Formular entwickelt, auf dem jeder Ordinationsinhaber, der aus seiner Ordination eine Lehr­ praxis machen möchte, beispielsweise angeben muss, dass die Dienstzeiten eingehalten werden oder dass er auch

während der Ordinationszeiten immer anwesend ist. Das sind bereits Instru­ mente für eine Qualitätssteigerung bei der Ausbildung. Bei der Vor-OrtBegehung gibt es einen Fragebogen, der für die jeweiligen Abteilungen adap­ tiert wird. Dabei werden Turnusärzte befragt, die gerade an der Abteilung sind oder vor einiger Zeit wegrotierten. Dadurch erhalten wir einen sehr­ guten Überblick, ob sich in den letzten Monaten etwas verändert, verbessert oder verschlechtert hat. Anhand dieser Aussagen konnten wir bis jetzt immer feststellen, wo die Probleme liegen, und dies mit dem Abteilungsvorstand besprechen. doktorinwien: Wie können Auszubildende herausfinden, welche Fertigkeiten, Erfahrungen oder Kenntnisse in der Ausbildung tatsächlich vermittelt werden müssen? Gingold: Auf der Homepage der Ös­ terreichischen Ärztekammer gibt es Rasterzeugnisse für jedes Fach zum Download. Anhand dieser kann der

„Ausbil­ dung muss wichtiger werden, sonst haben wir bald Ärztinnen und Ärzte, die berech­ tigt sind, den Beruf selbständig auszuüben, es aber nicht können.“

Arzt in Ausbildung die Lehrinhalte, die ihm an der Abteilung vermittelt wer­ den, überprüfen. Auf diese Art kann man schon ganz gut abschätzen, ob das die notwendigen Fertigkeiten oder Kenntnisse sind. Röhle: Die wenigstens wissen auch, dass in der Facharztausbildung ein Rasterzeugnis jährlich ausgestellt wer­ den muss. Es wäre aber wichtig, das ein­ zufordern. So sieht man nämlich, was man schon gelernt hat, und bekommt nicht erst am Ende der Ausbildung ein komplett ausgefülltes Rasterzeugnis. Damit einhergehend sollten auch regel­ mäßig Evaluierungsgespräche stattfin­ den, die auch in der Ärzte-Ausbildungs­ verordnung verankert sind. doktorinwien: Kann man sich als Turnusarzt an die Ärztekammer oder den Ausschuss wenden, wenn man mit der Qualität der Ausbildung unzufrieden ist? Gingold: Selbstverständlich. Das ist sogar sehr wichtig. Nachdem in Wien mehr als 2200 Ärztinnen und Ärzte aus­ gebildet werden, kann man nicht bei je­ >

05_2013  doktor in wien  21

am puls coverstory

> dem wissen, wo es gerade nicht gut geht. Die Ärztekammer oder der Ausschuss sollten für alle Fragen oder Probleme in der Ausbildung als erste Anlaufstel­ le dienen. Die Telefonnummern stehen auf der Homepage der Wiener Ärzte­ kammer. Wenn jemand Probleme hat, kann er jederzeit zu uns kommen. doktorinwien: Es gibt auch die Turnusevaluierung, im Rahmen derer man Feedback geben kann … Gingold: … ja, und es ist sehr wichtig, dass Auszubildende mitmachen und evaluieren, wie zufrieden sie mit der Ausbildung sind. Je höher die Rück­ laufquote ist, desto aussagekräftiger sind die Bewertungen, ganz egal, wie die Abteilung beurteilt wird. Denn auch die „guten“ Abteilungen, die die­ ses Jahr erstmals prämiert worden sind, können wir nur durch dieses Feedback herausfinden. doktorinwien: Die Medizin wird zunehmend weiblich. Wie wirkt sich das auf die Ausbildung aus? Röhle: Hier geht es vor allem um den Aspekt der Teilzeittätigkeit. Gesetzlich ist das eigentlich gut geregelt. Es gibt das Mutterschutz- und Väterkarenz­ gesetz, die für beide Geschlechter die Teilzeitbeschäftigung vorsehen. Es ist sogar verpflichtend, dies anzubieten, und zwar ab einer Tätigkeit von drei Jahren bei einem Dienstgeber bezie­ hungsweise ab einer gewissen Arbeit­ nehmeranzahl. Das Problem ist aber, dass es in den Spitälern de facto kaum, oder nur sehr schleppend, funktioniert. Gingold: Im SMZ Süd/Kaiser-FranzJosef-Spital haben wir als einer der er­ sten ein sogenanntes Zwillingsprojekt angeboten. Bei diesem Projekt haben sich zwei Kolleginnen eine Stelle ge­ teilt und sind gemeinsam rotiert. Das hat gut funktioniert. Mittlerweile gibt es schon mehrere Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung, die in Teilzeit die Aus­ bildung absolvieren. Das hat Zukunft, nicht nur, weil die Medizin weiblich wird, sondern weil Mütter und Väter Zeit mit ihren Kindern verbringen wol­ len. Ein juristisches Problem sind die mindestens drei Jahre Beschäftigung. Diese Problematik habe ich auch schon mit dem Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbunds bespro­ chen und ersucht, dies zu ändern. Als Turnusarzt bekommt man meist nur 22  doktor in wien 05_2013

„Wenn die Möglichkeiten, die wir tatsächlich schon haben, auch umgesetzt werden, dann wäre uns eigentlich schon sehr viel geholfen“: Michaela Röhle (l.) und Gerald Gingold im Gespräch mit doktorinwienRedakteurin Kathrin McEwen

„Es ist sehr wichtig, dass Auszubil­ dende bei der Turnus­ evaluierung mitmachen. Je höher die Rück­ laufquote ist, desto aussagekräf­ tiger sind die Bewer­ tungen, ganz egal, wie die Abteilung beurteilt wird.“

einen Vertrag für drei Jahre, oder man ist nach drei Jahren bereits mit dem Turnus fertig. Röhle: Die Ärztekammer hat mit der Gemeinde Wien Teilzeitmodelle, aus­ gelegt auf 20 und 25 Stunden, verhan­ delt. Wünschenswert wäre auch, wenn von der Generaldirektion an die Perso­ nalabteilungen aller KAV-Spitäler ver­ mehrt Hinweise kämen, Teilzeit auch tatsächlich zu ermöglichen. doktorinwien: Glauben Sie, dass sich in den nächsten Jahren, vor allem durch den bevorstehenden Mangel an Ärztinnen und Ärzten, irgendetwas ändern wird? Gingold: Es werden Leute fehlen, die ausgebildet werden wollen. Zumindest besagt das jeder Trend, einfach weil es weniger Studenten und Abgänge ge­ ben wird. In Österreich gibt es viele ausländische Studenten, die nach dem Abschluss wieder nach Hause gehen, und andererseits werden viele österrei­ chische Studenten ins Ausland gehen, weil dort die Angebote einfach attrak­ tiver sind, was die Ausbildung und die Bezahlung betrifft. Hier muss sich etwas ändern, wenn wir in der Groß­ stadt Wien für die nächsten Jahrzehnte weiterhin eine gute medizinische Ver­ sorgung haben wollen. Die Ausbildung muss und wird sich verbessern, wie in manchen Teilen in Österreich schon zu sehen ist, wo bereits ein Mangel an Turnusärzten besteht. Dort werden schon wesentlich mehr Tätigkeiten von der Pflege übernommen, und die Ärz­ tinnen und Ärzte haben mehr Zeit für Medizin und Weiterbildung. Es wird sich etwas ändern müssen, denn sonst

haben wir irgendwann keine Ärztinnen und Ärzte mehr. doktorinwien: Was, glauben Sie, wird sich bis zum Ende Ihrer Amtsperiode in der Ärztekammer verbessert beziehungsweise verändert haben? Gingold: Wir, also meine zwei Stell­ vertreter (Philipp Ubl und Michael Lazansky, Anm.) und ich, wollen die Landschaft in Wien so gestalten, dass sich die Ausbildung spürbar verbessert. Wir haben zunächst begonnen, auf den Abteilungsradar zu reagieren, indem wir die besten Abteilungen prämieren. Das ist sehr gut angekommen. Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere dadurch einen Ehrgeiz entwickelt, das nächste Mal auch bei den besten sein zu wollen. Das verändert schon einmal die Landschaft. Natürlich werden wir auch die schlecht beurteilten Abteilungen zu einem Gespräch einladen oder sie be­ suchen. Im schlimmsten Fall muss man auf das Instrument der Aberkennung zurückgreifen. Vor allem aber müssen wir dafür sorgen, dass sich Abteilungs­ leiter mehr um Ausbildung bemühen. Ausbildung muss wichtiger werden, sonst haben wir bald Ärztinnen und Ärzte, die berechtigt sind, den Beruf selbständig auszuüben, es aber nicht können.   Der Ausschuss ärztliche Ausbildung der Ärztekammer für Wien ist unter Tel.: 515 01/1219 DW oder E-Mail: [email protected] erreichbar. Gerald Gingold und Michaela Röhle geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.

coverstory  Am Puls 

Kommentar

„Keine Kompromisslösungen“ „Meine Krankenschwestern machen das nicht!“ Diesen Satz kennen wir. Aber wer wird der erste Gesundheitsminister, Spitalsbetreiber, Abteilungsvorstand, Oberarzt sein, der sich traut, zu sagen: „Und meine Ärztinnen und Ärzte machen das auch nicht!“? Von Fahmy Aboul-Enein

► Dass Krankenschwestern „etwas

nicht machen“ bleibt scheinbar unwidersprochen in Österreichs Spitä­ lern, oder noch viel schlimmer: Es ist die Kurzformel für den schlimmsten aller Missstände in Österreichs Ge­ sundheitssystem – die sogenannte ärzt­ liche Ausbildung, oder auch „NichtAusbildung“. Seit dem Lainzer Pflegeskandal 1989 mit Dutzenden Morden durch vier Hilfsschwestern/Stationsgehilfinnen drückte der „Kaspar-Staudinger-Erlass“ (auch kurz „Spritzenerlass“) des Wie­ ner Krankenanstaltenverbunds dem gesamten österreichischen Gesund­ heitssystem seinen Stempel auf. Pro­ vokant formuliert: Imagepflege und „politische Bereinigung“ per Erlass mit folgenschweren Konsequenzen über Jahrzehnte. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegepersonal wurden gegeneinander ausgespielt, und es wurde ein Klassen­ kampf propagiert, der nie einer war. Auszubildende Ärztinnen und Ärzte haben scheinbar keinen schlagkräf­ tigen Interessenverband – zumindest empfinden es viele so. Auszubildende Ärztinnen und Ärzte scheinen zu we­

nige an der Zahl und zu unbedeutend zu sein. Dabei vergessen viele Ver­ antwortliche, dass nur hoch speziali­ siertes und gut ausgebildetes Personal untersucht, Diagnosen stellt, aufklärt, Behandlungen abwägt und einleitet, Patienten begleitet und es ermöglicht, dass hierfür bereitgestellte Ressourcen vernünftig eingesetzt werden.

Klar formulierte Zuständigkeiten Das menschliche Leben und die Ge­ sundheit mit der modernen Medizin zu erhalten und wieder herzustellen, bedarf einer strikten Arbeitsteilung mehrerer Berufsgruppen mit klar for­ mulierten Zuständigkeiten und Ver­ antwortlichkeiten für die Anordnung und die Durchführung. Genau dies ist durch das Ärztegesetz und das Gesun­ den- und Krankenpflegegesetz bereits seit Langem geregelt. Das heißt: Es bedarf nur mehr einer praktikablen, akzeptablen und damit nachhaltigen Umsetzung bestehender österreichi­ scher Gesetze. Niemand braucht „typische österrei­ chische Kompromisslösungen“ mehr. Diese lavieren ohnehin nur um die

Fahmy AboulEnein: „Der österreichische Akademikerfrondienst hätte schon lange beendet werden müssen, nun soll dieser sogar noch verlängert werden“

Der Versuch, direkte Demokratie zu leben In dieser Ausgabe sind manche Beiträge Teil eines offenen Briefs: 1. „In eigener Sache“ von Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres (Seite 3) 2. „Scheinbar ignoriert“ von Fahmy Aboul-Enein, Chefredakteur von doktorinwien (Seite 5) 3. „Eine schiefe Optik sondergleichen“ – Zehn Fragen an Verantwortliche von Stephan Ubl, Obmann der Sektion Turnusärzte der Ärztekammer für Wien (Seiten 18 und 19) 4. „Abteilungsleiter müssen sich wieder mehr um die Ausbildung bemühen“ – Ein Interview mit Gerald Gingold, Vorsitzender des Ausschusses ärztliche Ausbildung der Ärztekammer für Wien, und Michaela Röhle, Mitarbeiterin der Stabsstelle Recht der Ärztekammer für Wien (Seiten 20 bis 22) 5. „Keine Kompromisslösungen“ von Fahmy Aboul-Enein (Seite 23) Der offene Brief ist online unter www.aekwien.at frei verfügbar. Ferner wurde er an die Landesärztekammern und die Österreichische Ärztekammer mit der Bitte um Weiterleitung gesendet. Zusätzlich erging der offene Brief auch an alle Nationalratsabgeordnete, die Bundesregierung sowie an Medien.

Probleme herum, ohne diese zu lösen. Sie lassen nur sinnlos Zeit verstrei­ chen. Und für alle, die es nicht mehr wissen: die „Rahmenleitlinie Patient­ Innensicherheit im Bereich Medizin/ Pflege“ war das Endergebnis des so­ genannten Arbeitspakts 7 (AP7), Teil der „großen Ausbildungsoffensive des KAV“, die vor knapp einem Jahr­ zehnt (!) begonnen wurde und vor mittlerweile fünf Jahren (!) scheinbar unverrichteter Dinge ihr jähes Ende gefunden hat. Die „Rahmenleitlinie“ (AP7) selbst trat anstelle des „Spritzen­ erlasses“ im März 2008 in Kraft, wur­ de jedoch wenige Tage danach beein­ sprucht und schubladisiert.

Dieselben Bedingungen für alle Niemand käme in irgendeinem ande­ ren Land auf die Idee, Ärztinnen und Ärzte zwar systematisch für parame­ dizinische Tätigkeiten einzusetzen, aber systematisch nicht auszubilden. Der österreichische Akademikerfron­ dienst hätte schon lange beendet wer­ den müssen, nun soll dieser sogar noch verlängert werden, und dies nur, weil den Spitalsbetreibern die „Turnusärzte ausgehen“, die zwar „gleich wertvoll wie Pflegepersonal sind, aber etwa gleich viel oder ein bisschen weniger kosten …“ (ORF-„Report“ vom 26. Februar 2013). Aber vielleicht setzt erst ein Umdenken ein, wenn zumindest eine bestimmte Zeit hindurch wirklich für alle, auch für Verantwortliche, deren Angehörige und Bekannte sowie Privatversicherte dieselben Bedingungen im österreichi­ schen Gesundheitssystem gelten wür­ den und weder Geld noch ein Telefonat irgendeinen Einfluss auf die medizi­ nische Behandlung haben.   Fahmy Aboul-Enein ist Chefredakteur von doktorinwien und gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben. 05_2013  doktor in wien  23