EINE OFFENBARUNG UND VIELE ANTWORTEN?

Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn Seminar für Fundamentaltheologie apl. Prof. Dr. René Buchholz (aktualisiert / updated: Septembe...
Author: Arthur Vogel
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Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn Seminar für Fundamentaltheologie apl. Prof. Dr. René Buchholz

(aktualisiert / updated: September 2015)

Wintersemestersemester 2014/15

EINE OFFENBARUNG UND VIELE ANTWORTEN? Einführung in die Theologie der Offenbarung und der Religionen

Inhalt 1. „äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber“. Vom Ende alter Gewissheiten „Eine Offenbarung, die wahrhaftig wäre…“ Holbachs Einheit von Religions- und Offenbarungskritik b) Mendelssohn, Lessing und die notwendigen Vernunftwahrheiten c) Die Persistenz des Heteronomieverdachts a)

2. Von der Instruktion zur Korrelation Revisionen des Offenbarungsbegriffs im 20. Jahrhundert a) Der Mensch ist kein subalterner Befehlsempfänger: Maurice Blondels und Karl Rahners Abschied von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis b) Der aufrechte Gang oder: Offenbarung als Korrelation und ‚Entmythologisierung‘ c) Schrift als kristallisierte Traditionsgeschichte – und ihre Verflüssigung d) Was ist Religion? Systematische Annäherung

3. Religion(en) in der späten Moderne: historische, soziologische und politische Aspekte a) „After Babel“: Das Ende kultureller Homogenität und das Problem der Übersetzung b) Kolonialistische Erblasten, Globalisierung und kulturalistische Codierungen c) ‚Soft religion‘: das narzisstische Ich im religiösen Warenhaus d) ‚Strong religion‘: der Fundamentalismus und die erfundene Tradition

4. Jenseits des Exklusivismus: theologische Modelle einer Neubewertung nichtchristlicher Religionen a) Die Öffnung des II. Vatikanischen Konzils: Nostra aetate und Lumen gentium b) Viele Religionen, aber nur ein Heilsweg: der Exklusivismus c) Anerkennung des Anderen oder ‚freundliche Übernahme‘? Das inklusivistische Modell d) Der eine Gott und die vielen Wege: das pluralistische Modell e) Ein vierter Weg? Die komparative Theologie oder: ‚Der liebe Gott steckt im Detail‘ f) Kein Privatissimum: Aspekte einer Politischen Theologie der Religionen

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Kapitel 1 „…äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber“. Oder: vom Ende alter Gewissheiten

Paul Henri Thiry d’Holbach (1723-1789): Le christianisme dévoilé (Autoren- und Ortsangabe sowie Jahreszahl falsch, wahrscheinlich Nancy 1766)

Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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a) Problemeröffnung: „Eine Offenbarung, die wahrhaftig wäre…“ Holbachs Einheit von Religions- und Offenbarungskritik Beginnen wir diese Vorlesung, deren Gegenstand so oft und vielfach diskutiert wurde, nicht mit einer längeren, mehr oder weniger eleganten Einleitung, sondern gleich mit einer fulminanten Problemeröffnung, wie sie vor etwa 250 Jahren im Rahmen der radikalen Aufklärung Paul Henri Thiry d’Holbach (1723-1789) formulierte, jedoch ohne in seiner Zeit von den Theologen eine überzeugende Antwort zu erhalten – was er auch kaum erwartet haben dürfte. „Eine Offenbarung“, schreibt Holbach in seiner Streitschrift Le Christianisme devoilé, „die wahrhaftig wäre, die von einem gerechten und gütigen Gott und für alle Menschen notwendig wäre, müßte klar genug sein, um auch vom ganzen Menschengeschlecht verstanden zu werden. Trifft dies aber für die Offenbarung zu, auf die sich der Judaismus und das Christentum gründen? Die Lehrsätze des Euklid sind für alle verständlich, die sie verstehen wollen; dieses Werk ruft keinerlei Streitigkeiten unter den Mathematikern hervor. Ist die Bibel auch so klar und verursachen die geoffenbarten Wahrheiten keine Streitigkeiten unter den Theologen, die sie verkünden? Durch welches Verhängnis haben die von Gott selbst geoffenbarten Schriften noch Kommentare nötig, und warum fordern sie die Erleuchtung von oben, um geglaubt und verstanden zu werden? Ist es nicht verwunderlich, daß das, was dazu dienen soll, alle Menschen zu leiten, von keinem verstanden wird? Ist es nicht grausam, daß das, was am wichtigsten für sie ist, ihnen am wenigsten bekannt ist? Alles ist Mysterium, Finsternis, Ungewißheit, Stoff zu Streitigkeiten in einer Religion, die vom Allerhöchsten verkündet wurde, um das Menschengeschlecht aufzuklären. Das Alte und das Neue Testament enthalten Wahrheiten, die für die Menschen wesentlich sind, doch niemand kann sie verstehen.“1 Holbachs An1

Holbach 1970: 85f. – Der vollständige Titel der unter dem falschem Verfassernamen Nicolas-Antoine Boulanger 1756 mit dem Verlagsort London erschienenen Schrift lautet: Le christianisme dévoilé ou Examen des Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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merkung steht nicht am Anfang der Kritik des Offenbarungsbegriffs. Sie blickt auf die historisch-kritische Analyse Baruch Spinozas zurück und weiß sich mit vielen Autoren der radikalen Aufklärung verbunden. ist in mehrfacher Hinsicht für uns von Interesse: (1) Holbach geht ganz selbstverständlich von einer der großen Offenbarungsreligionen aus, die von einem Gott sprechen, der den Menschen etwas mitteilt, das zu ihrem Heil notwendig ist. (2) Die Heilsnotwendigkeit dieser Offenbarung steht in starker Spannung zu ihrer Verständlichkeit. Wie kann etwas derart Wichtiges verschlüsselt und unverständlich formuliert werden? Kann Gott sich etwa nicht richtig ausdrücken oder beruht der gesamte Offenbarungsanspruch auf Illusion? (3) Verständlich, klar und universal gültig sind nur die Aussagen der Mathematik und Geometrie als Basis weiterer Erkenntnis; die mythische Verkleidung der Offenbarung aber erschwert ihre menschliche Nachvollziehbarkeit. Warum war diese Form der Mitteilung notwendig? (4) Diese Unverständlichkeit ist Anlass zu endlosen Streitigkeiten, so dass ausgerechnet dasjenige, das den Menschen zum Heil dienen soll, Quelle ständiger, oft blutiger Konflikte wird. Dürfen wir unsere Hoffnung auf derart unsichere Quellen setzen, wenn Wissenschaft und Philosophie bessere Lösungen unserer Probleme bieten?

Holbach schrieb seine religionskritischen Abhandlungen zu einer Zeit, in der Religion durch die zahlreiche in ihrem Namen geführten Kriege – darunter der Dreißigjährige mit seinen verheerenden Folgen –, einer wachsenden Spannung zu den Wissenschaften und als ideologische Basis des Ancien Régime in Misskredit geraten war. Die Pluralität der Religionen und Konfessionen ist, folgt man Holbachs Kritik, in erster Linie eine Gefahr, keine Bereicherung der menschlichen Zivilisation und hat ihren Grund im opaken, ja irrationalen Charakter der Offenbarung. Sie offenbart eigentlich nichts, sondern verbirgt mehr und stiftet Konfusion. Die Unklarheiten der Interpretation und Aktualisierung unterhalten principes et des effets de la religion chrétienne. Autor, Erscheinungsjahr- und -ort sind ebenfalls erfunden. Manfred Naumann hält mit guten Argumenten als Erscheinungsjahr 1766 und als Verlagsort Nancy für sehr wahrscheinlich (vgl. die Einleitung Manfred Naumanns in Holbach 1970: 5-36, besonders 6-13). Zur hier behandelten Thematik vgl. auch das Skript ‚Abenteuer der Immanenz‘ Themen, Ziele und Kontexte neuzeitlicher Religionskritik, WS 2014/15 (Homepage Universität Bonn, Katholisch-Theologische Fakultät, Fundamentaltheologisches Seminar). Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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eine ganze Branche – nämlich Theologen und Priester –, die sich schwerlich Eindeutigkeit wünschen können, denn sie leben nicht schlecht von den offenen Fragen und beanspruchen ein Monopol für deren Beantwortung. Die dogmatischen Festlegungen nehmen wenig Rücksicht auf ihre Kompatibilität mit dem geschichtlichen Stand der profanen Erkenntnis, gleichwohl verlangen die religiösen Autoritäten Gehorsam und Unterwerfung. In der Neuzeit ist die Kritik der Offenbarung mit der Kritik der Religion verbunden, und der Befund, dass es unterschiedliche Religionen gibt, die sich auf Offenbarung(en) berufen, jedoch miteinander nicht vereinbar sind, spricht eher gegen deren Geltungsansprüche. Die Vernunft ist auf Widerspruchsfreiheit angelegt, die Religionen jedoch sind einander Häresien. Die Anhänger der einen Religion behandeln diejenigen der anderen als Ungläubige, verachten sie und zögern oft nicht, gegen sie Gewalt anzuwenden. Die Durchsetzung religiöser Lehren erfolgt nicht kraft einleuchtender Argumente, sondern allein durch autoritative Setzung. Mit Diderot, Voltaire und Helvétius gehört auch Holbach zu den scharfen Kritikern der in den dogmatischen Formulierungen erhobenen Geltungsansprüche. Wie können problematische Urteile in apodiktischem Ton Gehorsam fordern? Während die unterschiedlichen Religionen und Konfessionen mit ihren Behauptungen nur Unfrieden stiften, ist es die allen Menschen gemeinsame Vernunft, die uns leiten sollte und deren Urteile in Fragen auch der moralischen Erkenntnis durch Einsicht verbindlich werden. In seinem Artikel Irréligieux schreibt Denis Diderot: „la morale est la même partout. C’est la loi universelle que le doigt de Dieu a gravée dans tous les cœurs.“2 Man denkt an Kants ‚moralisches Gesetz in mir‘, geschrieben, wie einst die Tafeln des Bundes, mit dem ‚Finger Gottes‘, aber nun – wie in Dtn 30,14 – in oder auf den Herzen. Es bedarf also keiner eigenen Offenbarung über das hinaus, was uns durch die Vernunft zugänglich ist, entsprechend benötigen wir auch keine definierten Glaubenslehren, die einander und oft genug auch den Einsichten der Vernunft widersprechen. Der Kampf gegen Of-

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d’Alembert/Diderot 1986b: 190 (Art. Irréligieux). Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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fenbarung und Dogma gehört zu den stets wiederkehrenden Motiven der radikalen Aufklärung. Bissig definiert auch Holbach in der Theologie portative das Dogma „Was jeder gute Christ glauben muß, wenn er nicht verbrannt werden will, sei es nun in dieser oder jener Welt. Die Dogmen der Religion sind unabänderliche Ratschlüsse Gottes, der seine Meinung nur ändern kann, wenn die Kirche das tut.“3 Mit anderen Worten: Die Lehrgehalte des christlichen Glaubens sind keine geoffenbarten Wahrheiten, sondern Erfindungen. Dies zeigt schon die Unvereinbarkeit der biblischen Darstellungen mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften – angefangen vom Siebentagewerk der Schöpfung und dem vorkopernikanischen Weltbild über die wunderbaren Begebenheiten und göttlichen Eingriffe in die irdischen Abläufe bis zu den phantastischen Szenarien der Johannesapokalypse. Aber auch schon in den Anfängen einer historisch-kritischen Analyse der biblischen Bücher erweisen sich die angeblich von Gott diktierten Texte in ihrer vorliegenden Form als menschliche Produkte. Wegweisend wurde die Anwendung genauer Beobachtung und historisch-kritischer Verfahren auf die biblischen Texte in Baruch Spinozas Theologisch-Politischem Traktat (1670). Spinoza war sich der Kühnheit seiner Gedanken durchaus bewusst und rechnet mit Widerspruch, ja leidenschaftlicher Ablehnung. So schreibt er in seiner Vorrede zum Tractatus: Da ich bei mir bedachte, daß das natürliche Licht (lumen naturale) nicht bloß geringgeschätzt, sondern von vielen geradezu als Quelle der Gottlosigkeit verdammt wird (sed a multis tanquam impietetis fontem damnari) daß menschliche Erdichtung für göttliche Lehre gehalten, Leichtgläubigkeit als Glaube geschätzt wird, daß die Streitigkeiten der Philosophen in Kirche und Staat mit aller Leidenschaft geführt werden und daß wütender Haß und Zwist, durch den die Menschen leicht zu Empörungen verleitet werden, und noch vieles andere, dessen Aufzählung hier zu weit führen würde, davon die Folge ist, habe ich mir fest vorgenommen, die Schrift von neuem mit unbefangenem Geist zu

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Holbach 1970: 222. Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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prüfen (Scripturam de novo integro et libero animo examinare) und nichts von dem anzunehmen oder als Lehre gelten zu lassen, was ich nicht mit voller Klarheit in ihr selbst entnehmen könnte. Mit solcher Vorsicht habe ich mir eine Methode gebildet, die heiligen Bücher auszulegen, und mit dieser Methode bin ich dann vor allem an die Fragen herangetreten: Was ist Prophetie? In welcher Weise hat sich Gott den Propheten geoffenbart? warum waren diese Gott wohlgefällig? etwa deshalb, weil sie von Gott und Natur erhabene Gedanken hatten? oder aber bloß wegen ihrer Frömmigkeit?“4 Spinoza wendet sich in diesem längeren Zitat mit Nachdruck gegen die Herabsetzung der Vernunft (lumen naturale) zur Quelle des Unglaubens, plädiert für eine selbstständige, vorurteilsfreie und von allen traditionellen Vorgaben emanzipierte, methodisch exakte Lektüre der Schrift – hier mag auch die wissenschaftliche Lektüre des Buches der Natur Vorbild gewesen sein – und nicht zuletzt für eine grundlegende – wir würden heute sagen: religionsphilosophische oder fundamentaltheologische – Überlegung zur Möglichkeit von Offenbarung. Hierbei räumt Spinoza dem menschlichen Vorstellungsvermögen eine konstitutive Bedeutung ein, so dass „die Propheten nur mit Hilfe des Vorstellungsvermögens die Offenbarungen Gottes empfangen haben, d.h. durch Vermittlung von Worten oder Bildern, sei es von wirklichen oder imaginären“5, wobei das jeweilige Fassungs- und Vorstellungsvermögen bewirkte, dass in Bildern und Rätsel gesprochen wurde und darum die Propheten „so uneigentlich und dunkel (improprie et obscure) von Gottes Geist oder Sinn reden“6. Die anthropomorphe Rede von Gott ist insgesamt unangemessen; Gott kennt keine Leidenschaften wie Menschen und ändert nicht seine Absichten; Zorn, Hass oder Zuneigung sind Attribute, die nichts mit Gott zu tun haben, sondern nur Projektionen der Unwissenden sind, auf welche die biblischen Propheten in ihrer Verkündigung Rücksicht nahmen 7. Auch ist Gottes Macht, von der die Propheten sprechen, nichts Übernatürliches, denn „alles ist ja 4 5 6 7

TTP, praefatio = Spinoza 1989a: 14-17; Spinoza 2012: 66-69. TTP, c. I = Spinoza 1989a: 60/61; Spinoza 2012: 108/109. TTP, c. I = Spinoza 1989a: 62/63; Spinoza 2012: 110/111. Vgl. Ethica, pars I, prop. 15, scholium = Spinoza 1989b: 106-113. Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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durch Gottes Macht geschehen. Ja, da die Macht der Natur nichts anderes ist als Gottes Macht selbst, so erkennen wir sicherlich die Macht Gottes soweit nicht, als uns die natürlichen Ursachen unbekannt bleiben. Darum ist es töricht, eben zu der Macht Gottes seine Zuflucht zu nehmen, wenn wir die natürliche Ursache (causam naturalem) von etwas, d.h. Gottes Macht selbst nicht kennen.“8 Diese Stelle ist insoweit von erheblicher Tragweite, als dass hier Gottes Macht und Handeln mit der Natur identifiziert werden, ein Gedanke, den Spinoza ausführlich in der Ethik entfaltet und implizit bereits dem Tractatus zugrunde liegt. Eine strenge Scheidung zwischen Gott und Natur ist nach Spinoza nicht möglich, so dass Offenbarung niemals übernatürlichen Ursprungs ist: „Quicquid est, in Deo est, et nihil sine Deo esse, neque concipi potest. / Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott seyn oder begriffen werden.“9 Damit ist gerade nicht gemeint, dass Gott immer schon als transzendenter Schöpfer mitgedacht werden muss, sondern dass eine ontologische Differenz zwischen Welt und Gott unzulässig ist, da Gott als eine und einzige Substanz existiert, in welche Denken und Ausdehnung als Attribute eingeschlossen sind. Entsprechend ist Gott auch nicht der Lückenbüßer unserer mangelnden Naturerklärung, so dass wir alles zum Wunder erklären dürften, was wir nach dem derzeitigen Stand der Naturwissenschaft nicht ergründen können. Wenn Gott und Natur letztlich identisch sind – auch wenn wir die Natur als schöpferische Macht und als Vielzahl ihre Gebilde, Erscheinungen und Zusammenhänge unterscheiden müssen10 –, so kann es nichts Übernatürliches geben. Der Theologisch-Politische Traktat und die Ethik bilden eine innere Einheit; sie verweisen aufeinander. Die Kritik aller supranaturalen Deutungen von Natur und Geschichte schließt eine Offenbarung nach dem Modell einer Verbalinspiration, der gemäß Gott dem Menschen einzelne Sätze diktiert habe, aus. Was in

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TTP, c. I = Spinoza 1989a: 60/61; Spinoza 2012: 108/109. Ebd.: pars I, prop. XV =Spinoza 1989b: 106/107. Natura naturans: „id, quod in se est, et per se concipitur, ... Deus, quatenus, ut causa libera, consideratur“; natura naturata: „id omne, quod ex necessitate Dei naturae, sive uniuscuiusque Dei attributorum sequitur“ (Ethica, cap. I, prop. XXIX, Scholium = Spinoza 1989b:132/133.

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der Ethik metaphysisch erschlossen wird, das wird im Theologisch-Politischen Traktat historisch-kritisch demonstriert: dass die biblischen Schriften nicht die Niederschriften göttlicher Diktate sind, sondern menschlichen Einsichten in die Natur und das Walten Gottes entspringen und mit Gott durch das Vernunftvermögen verbunden sind. So ist der Pentateuch, wie Spinoza zu zeigen vermochte, nicht am Sinai diktiert worden, sondern hat eine über Jahrhunderte dauernde Genese. Wie etwa kann Mose gegen Ende des Buches Deuteronomium seinen eigenen Tod darstellen? Warum spricht die Thora von Mose in der dritten Person Singular, wenn er sie doch verfasst haben soll? Wie ist es möglich, dass Ortsnamen auftauchen, die zur Zeit des Mose noch ungebräuchlich waren? Und schließlich: Sind Wunder möglich, welche die wissenschaftlich beschreibbare strenge Ordnung der Natur aufheben? Spinoza kommt nach ausführlicher Analyse der biblischen Texte zu dem Ergebnis, dass Thora und Propheten nach dem Exil eine Endredaktion erfahren, und dieser Redaktor vermutlich Esra war, von dem es heißt „daß er seinen Eifer der Erforschung und Auslegung des göttlichen Gesetzes zugewandt habe und daß er ein Schriftgelehrter war“11. Die neuere Exegese hat zwar die Bedeutung Esras nicht derart hoch veranschlagt, doch kommt Spinoza, was die Zeit der Endredaktion des Pentateuchs und vieler prophetischer Texte betrifft, den Ergebnissen der modernen Bibelforschung, die große Teile des Pentateuch in die spät- und nachexilische Zeit verlegt, recht nahe. Auch die weiteren Beobachtungen Spinozas sind beachtlich, wie etwa die Spätdatierung der Chronikbücher12 und vor allem die Kritik der Evangelien, die, wie sich rasch zeigte, keine Protokolle der Geschichte Jesu sind: „Wer wird aber glauben, daß Gott viermal die Geschichte Christi habe erzählen und schriftlich mitteilen wollen? Allerdings ist in dem einen manches enthalten, was sich in dem anderen nicht findet, und häufig hilft der eine den anderen verstehen. Daraus darf man aber noch nicht schließen, daß man alles kennen müsse, was von diesen vier Evangelien berichtet wird, und daß Gott sie auserwählt habe, die Ge11 12

TTP, c. VIII = Spinoza 1989a: 300/301f; Spinoza 2012: 346/347. Vgl. TTP, c. X = Spinoza 1989a: 344-347; Spinoza 2012: 284-387.

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schichte Christi zu schreiben, damit diese besser verstanden werde. Jeder von ihnen hat sein Evangelium an einem anderen Ort gepredigt, und jeder hat es so, wie er es predigte, aufgeschrieben, ganz einfach mit der Absicht, die Geschichte Christi deutlich zu erzählen (historiam Christi dilucide narreret), aber nicht um die anderen zu erklären.“13 Die Evangelien sind überlieferte Predigten und Theologien einzelner Personen (heute spricht man eher von Gemeinden), aber nicht das Diktat Gottes. Warum wohl hätte er vier verschiedenen Sekretären vier verschiedene Texte diktieren sollen? „Die Bücher beider Testamente sind nicht auf ausdrücklichen Befehl zur gleichen Zeit für alle Jahrhunderte geschrieben worden, sondern bei Gelegenheit für bestimmte Menschen“, so das Resümee14. Sie haben ihren zeitbedingten Anlass, ihren ‚Sitz im Leben‘ und entspringen bestimmten (nicht nur) theologischen Interessen ihrer Verfasser. Kurz: Die fundierenden Schriften von Judentum und Christentum erwiesen sich am Ende der Prüfung als ein menschliches Werk, in das auch menschliche Interessen und Leidenschaften einflossen. Der Anspruch einer wörtlichen Inspiration der Schrift war dahin; wie aber konnten dann die religiösen Gemeinschaften angesichts der vielen Unsicherheiten, mit denen ihr Glaube behaftet war, noch unbedingten Gehorsam erwarten und im Konfliktfalle Sanktionen verhängen? Damit ist keineswegs die Autorität der Schrift gänzlich negiert, es kommt aber darauf an, ihren moralischen Gehalt nicht dadurch zu verdunkeln, dass man an überkommenen Offenbarungsvorstellungen mit aller Kraft festhält. Es wäre vermessen, den Wortlaut des Bibeltextes mit der ‚ursprünglichen Offenbarung‘ zu identifizieren. Die Schrift ist nicht unmittelbar Quelle der Wahrheit, finden sich in ihr doch genügend Stellen, die mit dem Stand der Naturwissenschaft unvereinbar sind. Offenbart Gott uns etwa wissenschaftlichen Unsinn? Der Anspruch einer Verbalinspiration ist unhaltbar; Gott ist vielmehr Urheber der Bibel „wegen der wahren Religion, die in ihr gelehrt wird, aber nicht etwa deshalb, weil er den Menschen eine bestimmte Anzahl von Büchern hätte übermitteln 13 14

TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 406/407; Spinoza 2012: 442/443. TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 404/405; Spinoza 2012: 440/441.

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wollen.“15. Nicht ihr Wortlaut, der geschichtlichen Veränderungen und Entstellungen unterliegt, sondern ihr Sinn ist göttlich und nicht von menschlichen Unzulänglichkeiten depraviert16. Die Regel, Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie sich selbst ist das Fundament jeder wahren Religion, auch durch Vernunft einsehbar und reduziert, wenn sie befolgt wird, die unzähligen Streitigkeiten. Eine Offenbarung im Sinne einer supranaturalen Mitteilung kann Spinoza schon von seinem bereits angedeuteten Gottesbegriff her nicht anerkennen, denn der Gott Spinozas als Ursache seiner selbst (causa sui17) und immanente Ursache von allem ist frei von personalen Attributen und offenbart sich, wenn der Begriff überhaupt noch sinnvoll angewendet werden kann, allein der Vernunft. „Inhaltlich sind Vernunft- und Offenbarungsreligion identisch“18, wie auch die Ergebnisse der Bibelkritik und der Gottesbegriff Spinozas aufeinander verweisen und so eine Einheit bilden. Im Grunde vermag die Philosophie die Wahrheit dessen, was in den biblischen Texten für die breite Masse bildhaft zu deren Unterweisung erzählt wird, angemessener und präziser zu fassen. Die einstige ancilla theologiae hat sich emanzipiert und ist zur Herrin geworden19. Spinozas Gedanken waren auch von der radikalen Aufklärung rezipiert und im Sinne einer kompromisslosen Kritik der Religion weitergeführt worden. Ende 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts zog ein anonymer Autor einen radikaleren Schluss aus den Befunden der Bibelkritik: Die Stifter der drei großen Religionen – Moses, Jesus und Mohammed – seien Betrüger, die einzig aus egoistischen Motiven heraus handeln und den Menschen lächerliche Vorstellungen von Gott, der Seele und vom Geist einflößten20. Der im 18. Jahrhundert oft rezipierte Traité des trois imposteurs nimmt den Kampf gegen jene drei monotheistischen Religionen auf, die in der Geschichte Europas eine zentrale Rolle spielten. Die Berufung auf Offenbarungen und Visionen haben keinen realen Grund und die15 16 17 18 19 20

TTP, c. XII = Spinoza 1989a: 402/403; Spinoza 2012: 438/439; vgl. auch Nadler 2011: 141f. Vgl. TTP c. XII = Spinoza 1989a: 408/409. Vgl. Ethica, pars I, def. 1 = Spinoza 1989b: 86/87. Seckler/Kessler in HFth 2: 21. Vgl. Fraenkel 2008: 13-41, 45-47. Vgl. Traité, Chap. I, §§ 1-2 = Anonymus 1992: 4-7.

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nen lediglich der Propaganda. Die Menschen neigten aus Furcht vor der unerforschten Natur und aus Unwissenheit dazu, den Erfindungen dieser Leute Glauben zu schenken und unterwarfen sich ihren Herrschaftsansprüchen. Die historischen Konstruktionen, die der Verfasser aufbietet, um seine These zu stützen21, halten einer näheren Kritik kaum stand. Sie zeigen aber, dass schon früh die Pluralität der Konfessionen, Religionen und Offenbarungsansprüche Gegenstand einer scharfen Kritik war. Entsprechend muss eine angemessene Erwiderung die Begründung und Entfaltung des Offenbarungsbegriffs mit einer solchen Theologie der Religionen verbinden, die diese Vielfalt nicht als ein defizitäres Phänomen und unnötige Komplikation versteht, sondern deren genauere Bedeutung für die Verwirklichung der Offenbarung im Raum der der Geschichte zu bestimmen in der Lage ist. Wie ein Echo auf den Traité des trois imposteurs klingt Holbachs Urteil über die Religionen als Beruhigungsmittel, das die Herrschenden ihren Untertanen verabreichen: „In der Tat, ich wiederhole es, scheint die Religion überall nur deshalb eingeführt worden zu sein, um den Fürsten die Mühe zu ersparen, gerecht zu sein, gute Gesetze zu erlassen und vernünftig zu regieren. Die Religion ist die Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie daran zu hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre Herrscher sie hienieden plagen. Mit Hilfe unsichtbarer Mächte, mit denen man ihnen droht, zwingt man sie, schweigend alles Elend zu erleiden, das ihnen von sichtbaren Mächten zugefügt wird. Man läßt sie hoffen, daß sie in einem anderen Leben glücklicher sein werden, wenn sie sich mit einem unglücklichen Dasein in dieser Welt abfinden.“22 Marx wird rund hundert Jahre später von der Religion als Opium des Volkes sprechen, wobei das Volk – darauf verweist der Genitiv – schon selbst nach diesem Opium greift und es ihm nicht eigens verabreicht werden muss. Es ist der Doppelcharakter der Religion als Betäubungsmittel, als „Seufzer der be-

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Vgl. ebd.: Chap. III, §§ 10-23. Holbach 1970: 167.

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drängten Kreatur“ und als folgen- und harmloser Protest, der ihr die ‚Volksnähe‘ sichert23. b) Mendelssohn, Lessing und die notwendigen Vernunftwahrheiten

Aber

auch außerhalb einer radikalen Aufklärung, bei Autoren wie Moses Mendelssohn (1729-1786) und Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), steht der Offenbarungsbegriff unter Heteronomieverdacht. Die sich seit dem Hochmittelalter abzeichnende und in der Aufklärung sich erheblich verschärfende Krise einer Autorität, die sich nicht auf Einsicht und Argumente, sondern allein auf göttliche Einsetzung und heilige Überlieferung stützt, findet in der moderaten Aufklärung nicht minder wie in der radikalen ihren Ausdruck. Beide Tendenzen, soweit ihre strikte Trennung überhaupt möglich ist, kämpfen gegen unerhellte und als solche irrationale Autorität. Wer einen legitimen Anspruch auf Geltung erheben möchte, muss nachvollziehbare, rationale Gründe beibringen und kann sich nicht auf sein Amt oder alte Überlieferung berufen. Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und feststellen, dass selbst eine Epiphanie die Geltung von Offenbarung nicht beglaubigen kann, denn entweder gibt es Gründe, auf welche sich der Geltungsanspruch berufen kann, dann bedarf es aber keiner Erscheinung Gottes, oder das Geoffenbarte wird angenommen, weil es durch die Ästhetik göttlicher Macht beeindruckt, was Vernunft und Freiheit des Menschen zuwider ist. Ein epiphanisches Offenbarungsverständnis ist damit ebenso zurückgewiesen wie ein instruktionstheoretisches24, das den Akzent auf äußerliche göttliche Belehrung legt. Entsprechend ist auch alle weitere Autorität fragwürdig, die aus einem der beiden von der Vernunft als unhaltbar erwiesenen Offenbarungsmodellen ableitet. Soweit religiöse Autorität, um ihrem Anspruch Nachdruck zu verleihen, Zwang anwendet oder staatliche Hilfe beansprucht, d.h. die Macht des besseren Arguments durch das Argument der Macht ersetzt, ähnelt sie der blinden Natur, die zwar Ursachen folgt, aber keine Gründe vorträgt oder

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Marx/Engels 1982: 171 Zum epiphanischen bzw. instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell vgl. Seckler in HFth 2: 43-47.

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zur Diskussion stellt. „Ich weis von keinem Rechte auf Personen und Dinge“, schreibt 1783 Moses Mendelssohn“, das mit Lehrmeinungen zusammenhänge, und auf denselben beruhe; das die Menschen erlangen, wenn sie in Absicht auf ewige Wahrheiten gewissen Sätzen beystimmen, und verlieren, wenn sie nicht einstimmen können, oder wollen. Am wenigsten weis ich von Rechte und Gewalt über Meinungen, die die Religion ertheilen und der Kirche zukommen sollen. Die wahre, göttliche Religion maßt sich keine Gewalt über Meinungen und Urtheile an, giebt und nimmt keinen Anspruch auf irrdische Güter, kein Recht auf Genuß, Besitz und Eigenthum, kennet keine andere Macht, als die Macht durch Gründe zu gewinnen, zu überzeugen und durch Ueberzeugung glückselig zu machen. Die wahre, göttliche Religion bedarf weder Arme noch Finger zu ihrem Gebrauche; sie ist lauter Geist und Herz.“25 Weder staatliche noch religiöse Institutionen haben ein Recht über die Meinungen ihrer Mitmenschen, auch und gerade nicht über solche, die religiöse Fragen betreffen; „welcher Mensch, welche Gesellschaft von Menschen darf sich dieses anmaßen?“26 Auch hier gilt allein die Macht des besseren Arguments. Wenn in Fragen der ‚ewigen Wahrheiten‘ nicht dogmatische Setzungen, der Anspruch, etwas auf Befehl hin anzunehmen, sondern Gründe den Ausschlag geben, so setzt dies voraus, dass diese Wahrheiten vernünftiger Einsicht zugänglich sind. Und in der Tat ist Mendelssohn in der Tradition eines Leibniz und Wolff sicher, dass die wichtigsten Wahrheiten – die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die Grundlagen der Moral – sich streng beweisen lassen. In dieser Frage ist das Judentum verbunden mit allen Menschen, die willens und fähig sind, von ihrer Vernunft freien Gebrauch zu machen. Das Judentum, so Mendelssohn, hat „keine Glaubensartikel“ und „niemand ward auf Glaubensartikel beeidigt“ 27; eben weil es „keine geoffenbarte Religion, sondern geoffenbartes Gesetz“ ist28. Das Judentum

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Mendelssohn 2009: 89f. Ebd.: 91. Ebd.: 179. Mendelssohn 2009: 351 (An die Freunde Lessings); vgl. Sorkin 2008: 199-206.

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beruht eher auf Vernunft und vernunftgeleiteter Praxis als auf Glauben, der ohnehin nicht geboten werden kann. Mit dem Verzicht auf eine in Offenbarung fundierte ‚jüdische Dogmatik‘ umgeht Mendelssohn prima facie auch jenes gravierende Problem, das 1777 sein Freund Gotthold Ephraim Lessing in seiner Schrift Über den Beweis des Geistes und der Kraft angesprochen hatte. Die universale Gültigkeit der christlichen Offenbarung kann nämlich, so Lessing, durch historische Wahrheit nicht bewiesen und beglaubigt werden. Selbst wenn man nämlich von allen Fragen der historischen Kritik von Spinoza bis Reimarus einmal absieht, bleibt immer noch das Problem der allgemeinen Verbindlichkeit partikularer historischer Ereignisse, wie die Bibel überliefert, oder anders ausgedrückt: Der allgemeine Geltungsanspruch, den das Christentum erhebt, steht in stärkster Spannung zur historischen Kontingenz der biblischen Geschichte(n). „Zufällige Geschichtswahrheiten“, so Lessing, „können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden.“29 Das Vergangene bleibt partikular und kontingent, es lässt sich nicht mehr aktuell erleben. Selbst seine wissenschaftliche Rekonstruktion bietet nur Plausibilitäten und entbehrt des Status eines strengen Beweises. Zwischen einer plausiblen historischen Konstruktion einerseits und a priori einsehbaren metaphysischen oder moralischen Begriffen besteht eine Differenz, und dieser „garstige breite Graben“ ist nicht unüberbrückbar – es sei denn durch einen Sprung, eine , womit aber nur der logische Fehler eines auf Tradition und ‚historischen Tatsachen‘ beruhenden Offenbarungsglaubens erwiesen wäre30. Bekanntlich blieb dies nicht Lessings letztes Wort in einer Frage, welche den universalen Geltungsanspruch des christlichen Offenbarungsglaubens zentral betraf. Indem der Wahrheitsbegriff geschichtlich ‚verflüssigt‘ wurde – ein Gedanke, der bei Lessing nicht zu ersten Mal auftaucht –, war es möglich, „die Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechts“ zu begreifen31. Nicht

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Lessing, Werke II: 309; vgl. auch Seckler/Kessler in HFth 2: 25f. Lessing Werke II: 311. Ebd.: 545 (Die Erziehung des Menschengeschlechts, 1777-80, §3).

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die Fixierung auf einzelne geoffenbarte Ereignisse und Sätze, sondern die Totalität der Geschichte muss als fortschreitende Offenbarung Gottes verstanden werden, bei der allerdings Judentum und Christentum nur einzelne Stufen darstellten und auf „die Zeit eines ewigen Evangeliums“ vorbereiten32. Die moderne evangelische und katholische Theologie hat Lessings Spekulation nicht einfach übernommen; aber die Idee einer geschichtlichen Struktur der Offenbarung erwies sich, weiterentwickelt von der idealistischen Geschichtsphilosophie Kants und Hegels, als fruchtbar. Die Verklammerung – nicht Identifikation – mit der stets ambivalenten menschlichen Freiheitsgeschichte degradierte den Menschen gerade nicht zu einem passiven Rezipienten von Sätzen und Regulativen, die angeblich Gott selbst gesprochen habe. Menschliche Spontaneität und Produktivität haben konstitutiven Anteil an den Offenbarungsdokumenten, wenn Gottes Selbstmitteilung ihren Adressaten erreichen soll – aber diese Überlegungen weisen schon weit auf die Theologie des späten 19. und des 20. Jahrhunderts voraus. Nicht nur die theologischen Zeitgenossen Lessings, auch Mendelssohn vermochte der Erziehung des Menschengeschlechts nur wenig abzugewinnen. „Nicht die Vervollkommnung des Menschengeschlechts“, schrieb er 1782 in einem Brief an August Hennings, „ist die Absicht der Natur. Nein! Die Vervollkommnung des Menschen, des Individui. Jeder einzelne Mensch soll seine Anlagen und Fähigkeiten entwickeln und dadurch immer vollkommener werden …“33. Eine vollkommene Menschheit als Telos der Geschichte oder ein unendlicher Progress böte dem Individuum keine Entwicklungsmöglichkeit mehr, es „würden die neuen Ankömmlinge keine Gelegenheit finden, ihre Kräfte zu üben, ihre Anlagen zu entwickeln, und dieses ist gleichwohl wahrer Zwek der Natur.“34 Die erfüllte Menschheit, die alle ihre Anlagen realisiert hätte, böte künftige Generationen keine Möglichkeit mehr, sich zu entwickeln und verharrte

32 33 34

Ebd.: 561. Mendelssohn 1979: 65, Brief 571. Ebd.

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in ewiger Statik – für den Aufklärer Mendelssohn nicht gerade eine verlockende Perspektive. Aber auch die vorläufige Rolle, die Lessing dem Judentum zuwies – eine von der christlichen Theologie nur allzu bekannte Argumentation – mochte die Reserven Mendelssohn bestärken. Zudem bedurfte es, um die Vernünftigkeit des Judentums zu erweisen, keiner geschichtsphilosophischen Spekulation. Das Judentum gesteht allen Menschen qua Erkenntnis das zu ihrem Heile Notwendige zu. Wo es um ewige Vernunftwahrheiten geht, spricht, wie Mendelssohn betont, auch die Bibel nicht vom Glauben, sondern vom Erkennen und Wissen (so in Dtn 4,39 und 6,4). Mit einer gewissen Spitze gegen die christliche Dogmatik und kirchliche Lehrautorität schreibt Mendelssohn: „Nirgend wird gesagt: Glaube Israel, so wirst du gesegnet seyn; Zweifle nicht Israel! oder diese und jene Strafe wird dich verfolgen. Gebot und Verbot, Belohnung und Strafen sind nur für Handlungen, für Thun und Lassen, die in des Menschen Willkühr stehen, und durch Begriffe vom Guten und Bösen, also auch von Hoffnung und Furcht gelenkt werden.“35 Glauben und Zweifel hingegen gehören allein zum Feld der Erkenntnis. Dasjenige aber, dessen alle Menschen zur ewigen Seligkeit bedürfen, ist ihnen von Gott durch die Vernunft geoffenbart worden, dies sind zugleich jene ewigen Wahrheiten, „die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt werden können“36. So bedarf es keiner Mission, keiner Annahme von Glaubenswahrheiten, die der Vernunft unzugänglich bleiben, sondern es genügt, den rechten Vernunftgebrauch zu lernen. In die Prüfung der auf Vernunft gegründeten Urteile und Meinungen haben sich weder kirchliche noch staatliche Einrichtungen einzumischen37. Das gilt selbstverständlich auch für jüdische Institutionen, und so lehnt Mendelssohn entschieden den Bann (Mrc), den Ausschluss aus der Gemeinde als Maßnahme der Disziplinierung, entschieden ab. Damit ist die religiöse Macht jüdischer wie christlicher Inhaber religiöser Ämter auf jenes

35 36 37

Mendelssohn 2009: 179. Ebd.: 171. Vgl. Mendelssohn 2009: 159.

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Maß eingeschränkt, das zum Wohlergehen und zur religiösen Entfaltung aller notwendig ist. Mendelssohn ist sich durchaus bewusst, dass weder im Staat noch in den bestehenden Religionsgemeinschaften diese Forderungen Realität angenommen haben. „Der Despotismus“, schreibt er zu Beginn von Jerusalem, „hat den Vorzug, daß er bündig ist.“38 Beispielhaft sind ihm Dogmatik und Verfassung der katholischen Kirche: „Euer Gebäude ist aufgeführt, und in allen Theilen desselben herrscht vollkommene Ruhe. Freilich nur jene fürchterliche Ruhe, wie Montesquieu sagt, die Abends in einer Festung ist, welche des Nachts mit Sturm übergehen soll.“39 Nun, die Festung wurde auch mehr als zweihundert Jahre nach Mendelssohn noch gehalten, aber der Wunsch nach Ruhe ist in manchen Teilen der katholischen Kirche immer noch unverkennbar, während der Sinn einer Festung gegen die Moderne nicht wenigen heutigen Zeitgenossen mit Grund zweifelhaft wurde. Auch für Mendelssohn ist es das Dogma, verbunden mit der Androhung von Sanktionen, das einer Gemeinschaft vernünftiger Wesen unwürdig ist. Die Verweigerung des Gehorsams gegenüber einem Anspruch, der nur die überlieferte Autorität als Grund anzugeben weiß, gehört zu den Charakteristika sowohl der radikalen als auch der religiösen Aufklärung. Mendelssohn ist der Überzeugung, dass das Judentum, eben weil es ‚keine geoffenbarte Religion‘ ist, auf die unerhellte kirchliche oder gar staatliche Autorität in Fragen des Glaubens verzichten kann, insofern also ‚aufgeklärter‘ ist als das Christentum. Für Mendelssohn ist das Judentum eine Religion der Vernunft, welcher die biblischen Texte nicht widersprechen, da die Partikularität biblischer Überlieferung auch in der Tat nur für Israel respektive das Judentum Geltung beansprucht, aber die Menschen müssen zu ihrem Heil in dieser und der kommenden Welt keineswegs Juden werden. Das Christentum hat es hier schwerer, da seine Annahme nach traditioneller Lehre zwar heilsnotwendig ist, aber die biblische Basis, auf die sich sein Anspruch gründet, nicht minder partikular ist wie die jüdische. 38 39

Mendelssohn 2009: 133. Ebd.

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Das Lessingsche Problem ließe sich noch auf einem anderen Weg umgehen, wenn nämlich, nicht weit entfernt von Überlegungen Spinozas, gezeigt werden könnte, dass die zentralen Lehren beider Teile der Bibel solche der Vernunftreligion sind und es gar nicht notwendig ist, allein in äußeren Zeugnissen und Autoritäten seine Zustimmung zu fundieren, wie Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) in seiner Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes zeigte, von der 1774 Lessing Auszüge (ursprünglich war ein vollständiger Abdruck der Handschrift vorgesehen40) unter dem Titel Fragmente eines Ungenannten publizierte und damit eine heftige Kontroverse auslöste. Für Reimarus ist jegliche Form von Supranaturalismus, d.h. eine durch Wunder und äußere Zeichen beglaubigte Offenbarung mit der Vernunft unvereinbar. Dass wir gar „unsere Vernunft gefangen nehmen müssen unter dem Gehorsam des Glaubens“ – also die Forderung eines sacrificium intellectus – ist biblisch nicht begründbar und in keiner Weise als göttliche Forderung an uns Menschen auszugeben“41. Die Unterwerfung unter den nicht näher zu prüfenden Offenbarungsanspruch wird den Kindern bereits früh in der Form einer „Anleitung zum blinden Glauben“ anerzogen und findet eine Fortsetzung in den Erwachsenenkatechesen, welche die Vernunft als verdorben und gefährlich denunzieren. „Die Vernunft wird ihnen als eine schwache, blinde, verdorbene und verführerische Leiterin abgemahlt; damit die Zuhörer, welche noch nicht einmal recht wissen, was Vernunft oder vernünftig heisse, jetzt bange werden, ihre Vernunft zur Erkenntnis göttlicher Dinge anzuwenden, weil sie dadurch leicht zu gefährlichen Irrthümern gebracht werden mögten.“42 Die Prediger haben allen Grund zur Beunruhigung, denn die biblischen Texte, die Reimarus eingehend untersucht, bieten Irrtümer, Laster. Lüge und Gräuel ebenso wie „gute Einsichten und heilsame Lehren, insonderheit was sittliche Pflichten und Tugenden betrifft“43 – und beides mit dem Anspruch, göttliche Offenbarung zu sein. Wer kann hier entschei40 41 42 43

Vgl. die Einleitung zu Reimarus 1972a: 16f. Reimarus 1972a: 102. Reimarus 1972a: 67-117, hier: 90 und 97. Reimarus 1972b: 583.

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den, wenn nicht unsere Vernunft? Und könnten wir das, was wahr und richtig ist in den heiligen Schriften (nicht nur des Christentums) auch durch Nachdenken und eigenen Vernunftgebrauch ebenso erlangen? Auch wenn Reimarus trotz seiner Akribie die einzelnen Unterschiede der biblischen Offenbarungsvorstellungen44 kaum hinreichend wahrnahm, so hätte eine solche Differenzierung wenig an seiner Skepsis gegenüber einer dem Menschen ‚von außen‘ ergehende Botschaft geändert, die ihn in Beschlag nimmt und seine Autonomie infrage stellt, während doch gerade die widersprüchlichen und anstößigen Stellen der Schrift eine vernünftige Stellungnahme erfordern. Dass die Botschaft Jesu in ihren von der späteren Tradition nicht schon übermalten Teilen, vor allem seine Morallehre, der Vernunftreligion näher steht als der späteren Dogmatik und auch seine Botschaft vom Gottesreich auf keine rein geistige und jenseitige Größe bezogen war, sondern, schon von seinen zeitgenössischen jüdischen Voraussetzungen her, auf eine irdische, d.h. auf das Reich des Messias, als welcher Jesus von seinen Jüngern verehrt wurde45. Und so meint auch ‚Messias‘ oder ‚Sohn Gottes‘ in seinem frühjüdischen Kontext nicht eine göttliche Person, sondern ein von Gott zu einem bestimmten Zweck und mit einer bestimmten Mission beauftragter Mensch, nicht aber die zweite Person der Trinität. Die ganze spätere Christologie einschließlich der Sünden- und Opfertheologie sei dem Neuen Testament noch weitgehend fremd. Gewiss kann gründliche Prüfung aus den biblischen Schriften die Grundzüge einer Vernunftreligion gewinnen, indem sie die im „tieffen Schlamm und gefährlichen Klüften“ verborgenen Edelsteine heraufholt, aber hierzu bedarf sie keiner besonderen göttlichen Eingebung, sondern muss nur ihren eigenen Regeln folgen. Anders als Mendelssohn thematisiert Reimarus die in den biblischen Texten enthaltenen Gewaltszenen ebenso wie das moralisch anstößige Verhalten einiger Protagonisten – von den Erzvätern bis zu David. Dies führt zwar nicht, wie bei heutigen Kritikern des Monotheismus, zu einer Verurteilung dieser religionsge44 45

Vgl. hierzu Pannenberg 1988: 217-234. Vgl. Reimarus 1972b: 43-46.

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schichtlichen Entwicklung als intolerant und gewaltbereit, doch nötigt der Befund nach Reimarus zu einer gründlichen Prüfung der biblischen Quellen. Auch hier ist es die Vernunft und nicht etwa ein von Gott gegebener Glaube, der die notwendigen Unterscheidungen vornimmt. Der Offenbarungsanspruch bleibt gerade angesichts der Deutungsbedürftigkeit der Texte suspekt. Die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die moralischen Normen lassen sich ohne übernatürliche Offenbarung aus Vernunftgründen erweisen, darin ist Reimarus mit Mendelssohn einig. Die Beweise basieren auf den Argumenten, welche die rationalistische Philosophie seit Descartes über Leibniz und Wolff entwickelt hatte, wobei man zu geschichtsphilosophischen Überlegungen, wie sie Lessing anstellte, auf Distanz blieb. Reimarus starb zu früh, um sich mit der Kantischen Kritik der theologia rationalis auseinandersetzen zu können und Mendelssohn hatte, wie er selbst in den Morgenstunden (1785) einräumte, die „Werke … des alles zermalmenden Kants“46 nur oberflächlich gelesen oder über Dritte zur Kenntnis genommen. Kants Kritik der Gottesbeweise und der Argumente für die Unsterblichkeit der Seele als anmaßende Überschreitung der Grenzen, welche der theoretischen Vernunft im Unterschied zur praktischen gezogen sind, hätte sowohl die Mendelssohnsche Kompromissformel – geoffenbartes Gesetz, nicht geoffenbarte Religion – als auch den Optimismus eines Reimarus, was die Leistung der theoretischen Vernunft gegenüber dem Offenbarungsanspruch betrifft, erschüttert. d) Die Persistenz des Heteronomieverdachts

Kants Einwände gegen die

Beweise vom Dasein Gottes, der menschlichen Freiheit und der Unsterblichkeit gestattet keineswegs den Sprung in das Reich eines von aller Vernunft und ihren Einwürfen abgetrennten reinen Glaubens. Dieser wäre dem Verdacht bloßer Willkür ausgesetzt, als entscheide der Wunsch und Wille zu glauben schon über den Wahrheitsgehalt dessen, was geglaubt wird. Kants Postulatenlehre in der Kritik der praktischen Vernunft zeigt, dass er keineswegs gewillt war, die Inhal46

Mendelssohn 2009: 219.

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te der alten theologia rationalis dem Irrationalismus und Fideismus zu überlassen. Was einer denkt und glaubt, ist keine Frage des Geschmacks und der bloßen Willkür, sondern der gründlichen Prüfung. Einen Schritt weiter oder, besser gesagt, in einem transzendentalen Sinne tiefer, ging Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) in seiner 1792 erschienen Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung. Kritik im Sinne Fichtes und in einem modifizierten Anschluss an die transzendentale Methode Kants meint hier nicht die pauschale Ablehnung jedes Offenbarungsanspruchs etwa zugunsten einer Vernunftreligion, sondern die Prüfung der Möglichkeitsbedingung von Offenbarung überhaupt. Es ist also ihre Aufgabe, unter Absehung von der Frage, ob dieser oder jener Offenbarungsanspruch zu Recht bestehe, „allgemein für jede Offenbarung gültige Prinzipien aufzustellen“47. Anders ausgedrückt: Fichte möchte untersuchen, ob so etwas die Vorstellung „von einer durch übernatürliche Kausalität von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung, durch welchen er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt“ überhaupt „a priori möglich“ ist 48. Wie man sieht kommt hier durchaus im Sinne Kants der praktischen Vernunft das Primat zu; Gott als Urheber von Wundern und strafende Instanz kann schwerlich Gegenstand einer transzendentalphilosophischen Reflexion sein. Endete diese Untersuchung mit einem negativen Befund, so wäre jeder Anspruch auf Offenbarung als irrational und vernunftfeindlich erwiesen. Möchte andererseits Fichte Gott Vorschriften machen, wie er sich zu offenbaren habe? Das Ziel der Überlegungen ist keine Anmaßung der Philosophie, sondern die Entscheidung darüber, ob das Vernunftvermögen eines möglichen Adressaten in diesen Vorgang involviert ist, ob es Voraussetzungen und Bedingungen gibt, welche die Denkmöglichkeit eröffnen, Offenbarung als einen Vorgang zu begreifen, der gerade nicht bloß äußerliche, heteronome Setzung ist. Auf die Argumentation Fichtes kann hier nicht im Detail eingegangen werden, sie verdiente eine eigene Erörterung im Rahmen eines Seminars. Fragt man nach Kriterien der Göttlich47 48

Fichte 1998: 7. Ebd.: 33.

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keit einer Offenbarung, so ist formal festzuhalten, dass eine Offenbarung, die durch moralisch zweifelhafte Mittel angekündigt und behauptet wird, niemals von Gott stammt, sondern menschlicher Phantasie entspringt49. Denn Gott ist Garant und Urheber einer Moral, deren Imperative freilich der reinen praktischen Vernunft zugänglich sind, ja zum Faktum der Vernunft selbst gehören. „Jede Offenbarung also muß uns Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen, und nur von derjenigen, deren Zweck das ist, können wir aus moralischen Gründen glauben, daß sie von Gott sei.“50 Die Androhung von Strafen und Belohnungen kann niemals Inhalt einer wahren göttlichen Offenbarung sein, da sie nicht in der Achtung vor dem moralischen Gesetz gründet, sondern im Motiv des persönlichen Wohlergehens und an heteronome Kriterien gebunden ist. Kann es aber unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine strikt supranaturale Offenbarung geben, die von der Vernunft des Einzelnen Zustimmung oder gar unbedingten Gehorsam fordert? Die Antwort Fichtes ist hier eindeutig: „Es ist also weder moralisch noch theoretisch möglich, daß eine Offenbarung uns Belehrungen gebe, auf die unsre Vernunft nicht ohne sie hätte kommen können und sollen; und keine Offenbarung kann für dergleichen Belehrungen Glauben fordern…“ Aber was muss die Offenbarung dann enthalten, wenn sie als göttliche soll gelten können? Keineswegs können Wunder, welche Lücken unserer Naturerklärung füllen, oder Drohungen göttlichen Ursprungs sein, sondern allein „das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und die Postulate desselben“51. Das mag für diejenigen, die an Wundererzählungen, göttlichen Eingriffen in die Abläufe von Natur und Geschichte interessiert sind, sehr ernüchternd klingen, aber jede andere Offenbarungsvorstellung steht unter Heteronomieverdacht und verweist auf den Menschen als Urheber der Offenbarungsinhalte. „Das allgemeine Kriterium der Göttlichkeit einer Religion in Absicht ihres moralischen Inhalts“, fasst Fichte seine Ausführungen zusammen,

49 50 51

Ebd.: 73. Ebd.: 74. Beide Zitate ebd.: 81.

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„ist also folgendes: Nur diejenige Offenbarung, welche ein Prinzip der Moral, welches mit dem Prinzip der praktischen Vernunft übereinkommt, und lauter solche moralischen Maximen aufstellt, welche sich davon ableiten lassen, kann von Gott sein.“52 Wie Fichte seine praktische Philosophie weiterentwickelt und auf der Grundlage geschichtlicher Intersubjektivität einen neuen Zugang zum Offenbarungsthema eröffnet, kann im Rahmen dieses Kapitels nicht erörtert werden. Entscheidend ist, dass der Autonomieanspruch auch für den Offenbarungsbegriff normativ wird und damit zum Abschied von eine instruktionstheoretischen Modell nötigt. In die Geschichts- und Religionsphilosophie Georg Wilhelm Hegels (17701831) geht die bisherige Kritik am Offenbarungsbegriff von der Aufklärung bis zu Fichte ein und wird seine Neufassung fruchtbar gemacht. Die Vergeschichtlichung der Offenbarung Gottes seit Lessing erfährt hier eine spekulative Entfaltung, in welcher nicht etwa besondere historische Ereignisse oder Dokumente als Mitteilungen Gottes gedeutet werden, sondern die gesamte Religions- und Zivilisationsgeschichte der Menschheit wird verstanden als Selbstexplikation des Absoluten. Natur, Religion und Geschichte sind nicht äußerer Schauplatz der Offenbarung, sondern ein inneres Moment der Entfaltung Gottes, so dass man mit einigem Recht von einem Geschichtspantheismus sprechen kann. Den religionsgeschichtlichen und historischen Kulminationspunkt dieser Entwicklung stellt das Christentum dar; „indem durch die christliche Religion das Wesen Gottes offenbart ist, so ist uns auch der Schlüssel zur Weltgeschichte gegeben, denn sie ist die Entfaltung seiner Natur zu einem besonderen Element.“53 In eben diesem Sinne kann die gesamte Geschichte auch als Selbstoffenbarung Gottes gedeutet werden, denn es stehen nicht einzelne Sätze und Normen im Zentrum – diese müssten den Menschen bloß äußerlich bleiben –, sondern Gott als absolute Freiheit, die sich durch die Widersprüche und Leidenschaften hindurch, ja sich ihrer bedienend, verwirklicht. „Gott ist“, wie Hegel, einen Gedan52 53

Ebd.: 83; vgl. auch Seckler/Kessler in HFth 2: 26-28. Hegel 1996: 23; Kursivierung: R.B.

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ken Spinozas aufgreifend formuliert, „die absolute Substanz.“ Dies schließt, wie er sogleich versichert, „Subjektivität nicht aus“; er ist einerseits bei sich selbst, „reine Beziehung auf sich selbst“54, entäußert sich, denn er ist Tätigkeit und Wirksamkeit, ist Entwicklung und tritt doch „nicht aus seiner Einheit mit sich selbst heraus“55. Er ist das sich konkretisierende Allgemeine, die unendliche Macht, welche in der Natur noch sich äußerlich bleibt, aber in der Geschichte als sich selbst wissend und realisierend – als causa sui – wirkt. Der Idealismus Hegels wäre also gründlich missverstanden, wenn die Objektivierung der Selbstoffenbarung Gottes überflüssig und alles nur ein Geschehen in der frommen Seele wäre. So sehr das Vernünftige und Wahre bewusst ergriffen werden muss, so muss es doch ebenso in die Gestalten der Geschichte eingehen, alle Formen der Wirklichkeit ergreifen und im historischen Prozess zu sich hin umgestalten. Die fortschreitende Realisierung dieser Freiheit im Bewusstsein und in den Einrichtungen der Menschen ist Gegenstand der Geschichtsphilosophie, die zeigt, dass alles Geschehen nicht blinden Zufällen unterliegt, sondern auf den „Endzweck der Welt“56 hin transparent gemacht werden kann. Hegels Geschichtsphilosophie als Selbstoffenbarung Gottes ist teleologisch angelegt und einer vernünftigen Rekonstruktion als „Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit“57 zugänglich, jedenfalls soweit Philosophie und Theologie aus Rücksicht vor der Tradition sich nicht selbst Denkverbote auferlegen. Von seinen geschichtsphilosophischen und logischen Grundlagen aus kann Hegel ein umfassendes Tableau der Geschichte, der Kulturen und Religionen entfalten, wobei freilich der gute Ausgang des historischen Prozesses und die Überlegenheit des Christentums gegenüber den von Hegel nicht sehr geschätzten orientalischen Kulturen ausgemacht ist. Im geschichtlichen Prozess zeigt sich, was das ‚Selbst‘ Gottes, das sich in ihm mitteilt, ist, hier gewinnt es Konkretion, auch wenn der Sieg der Wahrheit in der vollständig versöhnten Einheit von Freiheit, Vernunft und Wirklichkeit erreicht 54 55 56 57

Hegel 1983: 269 (Vorlesung über die Philosophie der Religion, 1827). Ebd.: 270. Hegel 1996: 56-59, hier:56. Ebd.: 61.

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ist. Das Wahre muss bewusste Wirklichkeit werden, sonst ist es das Wahre (noch) nicht. Sein, Bewusstsein und Wahrheit müssen eine versöhnte Einheit bilden, eine Weg, der durch Entzweiung, Leidenschaften und Untergänge führt. Hegel dachte Offenbarung konsequent als Geschichte der Selbstmitteilung Gottes derart, dass im Gang der Geschichte Gott sich selbst erschließt (und Geschichte somit nicht bloß ein äußeres Gewand ist) und rechtfertigt. Selbst die Offenbarungs- und Religionskritik der Aufklärung kann als notwendiges Moment dieses Prozesses begriffen werden, insofern die unangemessenen Vorstellungen von Gott und seiner Offenbarung abgewiesen und ein geläutertes Bewusstsein an deren Stelle tritt. Die Versöhnung, von der Hegel sprach und die seiner eigenen Philosophie gemäß nicht nur in Gedanken, sondern in der geschichtlichen Realität stattfinden musste, blieb freilich aus und die Rechtfertigung des geschichtlichen Grauens, der Negativität als notwendiger Durchgang und Teil der Selbsterschließung Gottes musste mehr und mehr als zynisch erscheinen. Die Versicherung, dass das Wirkliche vernünftig sei und umgekehrt58, verliert ihre Plausibilität nicht etwa durch kleinliche Kritik, sondern durch die Nöte und Widersprüche ausgerechnet der avanciertesten geschichtlichen Erscheinung, der bürgerlichen Gesellschaft. Sie war die bereits zu Hegels Lebzeiten von tiefen, in ihrer Mitte generierten sozialen Gegensätzen geprägt, ein sozialer Sprengsatz, dessen Gewalt in den späteren Jahrzehnten nach Hegels Tod noch deutlicher wurde. Die gesamte Geschichte zu deuten als Selbstoffenbarung des Absoluten verklärt die Leiden anstatt sie zu ändern, wie bald schon Marx es der Hegelschen Theorie vorwarf. Zudem degradierte sie den Einzelnen zum bloßen Moment des Gesamtprozesses und allenfalls die so genannten ‚weltgeschichtlichen Individuen‘ kamen auf ihre Kosten, währen die große Masse der Menschen lediglich das zum Verbrauch bestimmte Material darstellte. Der Affekt gegen den ethischen Einspruch entspringt dem Einverständnis mit der Welt wie sie ist und degradiert den Geist, dessen Macht Hegel in der Geschichtsphilo58

Vgl. Hegel 2009: 14. An anderer Stelle heißt es: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft.“ (ebd.: 15)

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sophie preist, zum subalternen Beamten der Weltgeschichte, der sich damit begnügt, der Macht des Bestehenden zu dienen und das Wirkliche als vernunftkonform zu rechtfertigen. Auch der Gottesbegriff bleibt gezeichnet vom Willen zum System. Ist einmal die unendliche Differenz von Gott und Welt eingeebnet, so wird, bei aller innerer Vielfalt der geschichtlichen Formen und Wirklichkeiten, Gott selbst Teil des Weltprozesses und zugleich seine Rechtfertigung: die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Wenn andererseits das religiöse Bewusstsein sich nicht in das bloße Gefühl, in die Irrationalität flüchten wollte – ein Eskapismus, der mit Recht zur Zielscheibe der Polemik Hegels wurde –, bedurfte es einer anderen Begründung des Offenbarungsanspruchs, der die kritischen Einwürfe der Aufklärung ebenso wie Hegels geschichtsphilosophische Verflüssigung der göttlichen Mitteilung aufgriff, ohne jedoch deren totalisierenden Ansatz zu übernehmen. Als Alternative zum Irrationalismus einerseits und zum Idealismus der nachkantischen Philosophie andererseits bot sich auch die Analyse der menschlichen Existenz an, die gerade inmitten ihrer Fragwürdigkeit und Not eine Verwiesenheit auf das sich mitteilende Absolute erkannte, ohne doch der Philosophie das letzte Wort in dieser Frage zu überlassen: Die Affirmation der Offenbarung ist nicht das Ergebnis einer zwingenden Schlussfolgerung, sondern, wie es bei Søren Kierkegaard (1833-1855) heißt, eines Sprungs, der alle bisherigen Sicherheiten hinter sich lässt und zu dem der Einzelne sich entschließen muss59. „Des Glaubens Schluß“, heißt es in den Philosophischen Brocken, „ist nicht Schluß, sondern Entschluß, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen60. Sowohl der radikale Gestus dieser Theorie als auch Kierkegaards helle, beißende Kritik der bürgerlichen Religion und ihrer unglaubwürdigen saturierten Beamten, wie sie in seiner Zeitschrift Der Augenblick formuliert wurde, sprach eine junge Gegenration an, der die Ideale des bürgerlich geprägten langen 19. Jahrhunderts zweifelhaft waren. Die Welt der Väter, gegen die man zu rebellieren begann, ging 59 60

Vgl Kierkegaard 2003. Ebd.: 80.

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schließlich im I. Weltkrieg unwiederbringlich zugrunde – ebenso wie die bisherigen Gewissheiten. Angesichts dessen schien Kierkegaards Sprung in den Offenbarungsglauben keinen hohen Preis zu fordern. Es ist dieser Gedanke, der in der dialektischen Theologie eines Karl Barth oder Rudolf Bultmann ins Zentrum des Offenbarungsbegriffs und der Glaubensanalyse rückt und der in der religiösen Renaissance seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielen sollte. Und es ist der spezifische Charakter dieses Sprungs, sei es aus der existenziellen Verzweiflung, sei es aus dem Bedürfnis nach Sinn und Orientierung heraus, der im Gegenzug auf eine scharfe und keineswegs unberechtigte Kritik stieß, die noch im kompromisslosen, antibürgerlichen Gestus Kierkegaards und seiner Nachfolger ein affirmatives, ja autoritäres Moment entdeckte. 1957, als die Dialektische Theologie ebenso wie die katholische Kierkegaardund Heidegger-Rezeption ihren Zenit erreicht hatten, formulierte der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) seine prinzipiellen Bedenken gegenüber dem Offenbarungsglauben, der aus seiner Sicht mehr dem Wunsch und dem bloßen Willen entspringt als einer noch von Thomas geforderten intellektuell redlichen Zustimmung. Erinnert wird an die Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Aufklärung also, die im 20. Jahrhundert vorschnell als ‚überwunden‘ galt, während doch eher ihre Argumente vergessen oder verdrängt als widerlegt waren. „Der Streit über die Offenbarung“, konstatiert Adorno knapp, „wurde im achtzehnten Jahrhundert durchgekämpft. Im neunzehnten ist er, als bereits negativ entschiedener, eigentlich schon in Vergessenheit geraten.“61 Davon profitiere die Renaissance des Offenbarungsglaubens. Mit klarem Blick wird die Berufung auf das Bedürfnis nach Bindung, Orientierung und Sinn als Wunschdenken erkannt; „nicht die Wahrheit und Authentizität von Offenbarung entscheidet, sondern das Bedürfnis nach Orientierung, der Rückhalt am festen Vorgegebenen; auch die Hoffnung, man könne durch den Entschluß der entzauberten Welt jenen Sinn einhauchen, unter dessen Abwesenheit

61

Adorno, GS 10: 608.

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man so lange leidet, wie man als bloßer Zuschauer aufs Sinnlose hinstarrt.“62 Adorno, der sich 1931 beim evangelischen Theologen und Philosophen Paul Tillich mit einer Arbeit über Kierkegaard habilitiert hatte, waren die Motive, die zu einer Erneuerung des Offenbarungsglaubens führten, nicht unbekannt. Von Kierkegaard her kannte er auch das Motiv der Paradoxie, als wäre die Spannung zur Vernunft schon Ausweis der Wahrheit. Es ist der Einzelne, der sich dem Offenbarungsanspruch aus freier Entscheidung unterwirft und so seine Autonomie preisgibt, um sich andererseits wieder zu gewinnen. „Der Irrationalismus von Offenbarungsreligion heute“, kommentiert Adorno, „kommt zum Ausdruck in der zentralen Stellung des Begriffs der religiösen Paradoxie.“63 Je weniger Offenbarung auf rationale Argumente sich stützen kann, desto stärker wird der paradoxale Charakter des Glaubens und des Glaubensaktes betont. Es ist die Sehnsucht nach Autorität, nachdem die soziale Verbindlichkeit des Glaubens im Zuge des Säkularisierungsprozesses zumindest im urbanen Raum zerfiel und mit ihr die Milieus als soziale Träger. „Ist einmal Religion nicht länger Volksreligion, nicht länger im Hegelschen Sinne substantiell, wofern sie das überhaupt je gewesen ist, so wird sie zu einem unverbindlich Ergriffenen, einer autoritären Weltanschauung, in der Zwang und Willkür sich verschränken.“64

Das einzelne Subjekt übernimmt nun, was einmal als sozialer Konsens verbürgt, in Tradition, Kult und Brauch gelebt wurde, ist mit dieser Aufgabe aber überfordert. Substantiell im Sinne Hegels – worauf Adorno im Zitat hinweist – ist nur das, was nicht etwa im einsamen Herzen, in Gefühl und Wunsch des Individuums gründet, sondern im sozialen Verband, in der Gesellschaft selbst akzeptiert und gelebt wird. Erst in der Einheit von Individuum und Gesellschaft ist Religion fest, wenn auch keineswegs für alle Zeiten verankert. Eben diese Einheit zerbrach in einem längeren Prozess vom Hochmittelalter über die Frühe Neuzeit bis zur Moderne. Die biblischen Texte repräsentierten, wie auch Rudolf Bultmann

62 63 64

Ebd.: 610. Ebd.: 613. Ebd.: 614.

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konstatierte65, ein anderes Weltbild als dasjenige, das die Naturwissenschaften erschlossen haben; das Verhältnis von Individuum und verbindlicher Religion war ein anderes, viel stärker auf dem Autoritätsanspruch himmlischer und irdischer Herrschaft basierend. Das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität, die Tendenz, nichts als verbindlich und gültig anzuerkennen, das nicht vor dem autonomen Gedanken ausweisen kann, ist mit dem überlieferten instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis unvereinbar. Das objektive Moment des Glaubens, wie es sich im sozialen Verband und im Anspruch der Lehre, im Dogma, darstellt, stößt damit an seine Grenzen. Wo es durch äußeren Druck aufrechterhalten wird, nimmt es offen vernunftfeindliche Züge an; wo es hingegen durch bloße Willkür affirmiert wird, zergeht sein Anspruch auf Wahrheit und Verbindlichkeit. Indem sich das Individuum sei es dem Offenbarungsanspruch unmittelbar, sei es einer kirchlichen Autorität als vermittelnde Instanz unterwirft, zerstört es im willkürlichen Akt die beanspruchte Objektivität. Der Relativismus, den auch jüngere lehramtliche Stellungnahmen als bedrohliche Tendenz der Moderne darstellen, eignet implizit schon jedem ‚Sprung‘, jeder den Zweifel negierenden ‚Entscheidung‘, denn hier ist das Subjekt als Individuum Grund und Grenze der beanspruchten Wahrheit. Selbst im jüdischen Kontext, wo der Glaube eine geringere Rolle spielt als im Christentum, hat es die Thora als Lebensordnung und Lehre schwer, ihre Verbindlichkeit weiterhin zu erhalten, wenn die sie begründenden Erzählungen (Narrative) im Licht der historischen Kritik und Archäologie sich in hohem Maße als frei ausgestaltete Legenden, ja als literarische Fiktion erweisen. Auch darauf spielt Adorno an, wenn er schreibt: „Denn die Frage, woher die Autorität der Lehre stammt, ist nicht gelöst, sondern abgeschnitten, sobald einmal das haggadische vom halachischen Element ganz sich lossagte.“66 Angesichts der desolaten Situation des Offenbarungsglaubens, dem einzig der Wunsch nach Sinn inmitten der sinnlosen verwalteten, nur noch von technischen und ökono65 66

Vgl. Bultmann 1988: 12-20. Adorno, GS 10: 614.

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mischen Imperativen geprägten Welt noch ein schwaches Leben einhauchen kann, wird man ihm eher durch eine ἐποχή der so oft beschworenen Entscheidung gerecht. Was schließlich das Bedürfnis nach Orientierung betrifft, so herrscht gerade in den modernen kapitalistischen Gesellschaften, in denen der einzelnen sein Leben ganz nach äußeren, von der Ökonomie vorgegeben und zugleich internalisierten Kriterien ausrichten muss, zu viel an Orientierung. Die Leere, die dadurch entsteht, kann nicht durch willkürliche Setzung eines Sinnes kompensiert werden. „Darum“, resümiert Adorno, „sehe ich keine andere Möglichkeit als äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber, äußerste Treue zum Bilderverbot, weit über das hinaus, was es einmal an Ort und Stelle meinte.“67

67

Ebd.: 616.

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Th. W. Adorno: Vernunft und Offenbarung

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Kapitel 2 Von der Instruktion zur Korrelation Revisionen des Offenbarungsbegriffs im 20. Jahrhundert

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a) Der Mensch ist kein subalterner Befehlsempfänger: Maurice Blondels und Karl Rahners Abschied von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis

Angesichts des neuzeitlichen Heteronomieverdachts gegen-

über der Offenbarungstheologie reicht es nicht, entweder lediglich die Widerspruchslosigkeit von Vernunft und Offenbarung herauszustellen oder gar im antiphilosophischen Ressentiment dialektischer Theologie den ungeschützten Sprung in den Glauben zu fordern, als würde nicht durch diese Willkür das Subjekt selbst zum unerhellten Grund des eigenen Glaubens. Adornos scharfe Kritik hat diesen Weg mit Recht als unredlich denunziert und versperrt. Die wachsende Bedeutung, welche die Religionsphilosophie gegenüber dem gelebten und sozial verankerten Glauben heute spielt, entspringt, wie auch Adorno wusste, keinem Zufall. Wenn die frühere soziale Plausibilität des Glaubens, in welcher sich Weltbild, soziale Ordnung, Katechese und – im katholischen Raum meist rudimentäre – Bibellektüre zu einem einigermaßen zusammenhängenden Bild fügten, weder durch bloße Entscheidung – also Willkür –, noch durch äußere Autorität, gar Zwang ersetzt werden kann, so bleibt nur der Weg der Überzeugung, einer Hinführung durch Argumente, die nirgendwo anders als in der endlichen Vernunft und ihrer Konstitution ihren Anhalt haben können. „Aus diesem Grunde“, konstatiert der französische Philosoph Maurice Blondel (1861-1949), „darf man angesichts der großen Umwälzungen die im Lauf der Jahrhunderte neue Perspektiven heraufführten, nicht voreilig von Verirrungen, ‚Fehlsichten‘ oder ‚Krankheiten der Vernunft‘ sprechen. Aus den individuellen Irrtümern, den verkürzten Sichten und den menschlichen Schwächen einzelner Denker hebt sich nach und nach Gottes Plan in der Führung der Menschheit heraus. Was die Menschen von sich aus zu diesem Werk gemeinsamen Wachsens beisteuern, ist nie bedeutungslos oder völlig abseits der Wege, auf denen die Wahrheit uns auf-

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geht. In unserem Handeln und Denken ist immer ein Teil, der unsere Ansichten und Reflexionen übersteigt.“68 Blondels Vertrauen in die über ihre eigenen Grenzen hinausweisende Dynamik der Vernunft und eine die Um- und Abwege unseres Denkens und Handelns einbeziehende göttliche Fügung emanzipierte ihn von der antimodernen Furcht, die lehramtliche Äußerungen ebenso wie manche Stellungnahmen von Theologen leitete, den katholischen Diskurs vom damaligen philosophischen weitegehend abkoppelte und für viele Zeitgenossen zum Inbegriff der Rückständigkeit werden ließ. Demgegenüber galt es, in einem durchaus kritischen Sinne à jour zu sein, denn nicht die explizite Affinität der Philosophie zum Glauben, sondern ihr Wahrheitsgehalt und ihr argumentatives Gewicht entscheiden über ihre Relevanz; Philosophie wählt man nicht aus in wie einem Warenhaus. Den Heteronomieverdacht bestätigt die Theologie eher dadurch, dass sie die Augen verschließt, die moderne Philosophie verurteilt und, wie es bei Blondel heißt, aus „dem schöpferischen Leben“ heraustritt69. Dabei war es weniger die Kritik der radikalen Aufklärung, die Blondel vor Augen stand, als die idealistische Philosophie, die seit Fichte den Offenbarungsbegriff zur Selbstbewegung des Denkens und zu einem Primat des Bewusstseins vermittelte. Dabei ist ihm die Problematik, ja der illusionäre Charakter eines Denkens, welches beansprucht, die ‚Wirklichkeit‘ von einem Punkt aus nicht bloß zu rekonstruieren, sondern zu erzeugen oder dem Denken einzuverleiben, durchaus bewusst70. „Und alles verstehen, alles erklären“ heißt es in Blondels Spinozismus-Aufsatz, „bedeutet das Kontingente und sogar das Irrationale in den Notwendigkeitsraster der Vernunft einzutragen, bedeutet in einem gewissen Sinn, alles zu rechtfertigen.“71 Andererseits ist jeder Anspruch, der vom Denken die ungeprüfte Unterwerfung fordert, nicht erst seit Kant, sondern spätestens seit der Frühaufklärung – Descartes und Spinoza – als vernunftfeindlich und destruktiv mit Grund abgewiesen worden. Ein Glaube, der sich allein dem Opfer der Ver68 69 70 71

Blondel 1974: 130; zu Blondel vgl. auch Verweyen 2000: 233-239. Blondel 1974: 131. Blondel 1992: 41-67. Ebd.: 30.

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nunft verdankt, ist nichts als ein schwach verhüllter Nihilismus. Es kommt also darauf an, über eine immanente Kritik und nicht durch eine pauschale Abweisung des neuzeitlichen Autonomieanspruchs, über die Illusionen des Idealismus hinauszugelangen. Entsprechend dieser Einsicht kann auch die Offenbarung Gottes nur dann mehr und anderes sein als bloß ein weiteres Oktroi inmitten einer Existenz, die von zahlreichen Fremdbestimmungen entstellt ist, wenn es innerhalb unserer endlichen Vernunft eine Disposition für sie gibt, wenn unser theoretisches und praktisches Vermögen als ein auf Selbstbestimmung angelegtes offen ist für die Selbstmitteilung Gottes: „Die Frage nach der subjektiven Disposition ist … vorranging, wesentlich und überzeitlich, wenn anders es stimmt, daß das menschliche Handeln in seiner Reichweite mit der Gottes synchron ist.“72 Den Aufweis und die Analyse dieser Disposition auf der Basis des Autonomieanspruchs des Denkens nennt Blondel die immanente Methode; d.h. ihr Gegenstand ist die spezifische Konstitution endlicher Vernunft, nicht ein von außen an sie herangetragener Wahrheitsanspruch73. Ihr Gegenstück ist die Verhältnisbestimmung von Offenbarung, Glaube und Vernunft in der (Neu-) Scholastik, der gemäß die Vernunft der ‚Übernatur’ lediglich nur Zulieferdienste leistet. Zwar hat sie ihr eigenes Reich, für das sie zuständig ist, doch ist damit auch ihre Grenze klar markiert: Es fehlt eine ihr immanente Hinordnung auf die Selbstzusage Gottes; Offenbarung und Glaube bilden eine Sphäre sui generis: „Zu Beginn, das heißt für die Scholastik“, schreibt Blondel, „überlagern sich die natürliche und die übernatürliche Ordnung – die eine der anderen in aufsteigender Hierarchie untergeordnet –, indem sie sich berühren. Es gibt gewissermaßen drei Stockwerke. Unten ist die Vernunft ganz bei sich selbst, mundus traditur disputationem homninum [Die Welt ist dem menschlichen Disput anheimgegeben, Qoh 3,11, Vulgata]. Oben offenbart der Glaube allein uns das Geheimnis des göttlichen und des zum göttlichen Festmahl geladenen menschlichen Lebens. In der Mitte befindet sich eine Ebene der Verständigung oder gegenseiti72 73

Blondel 1974: 130. Vgl. ebd.: 143-148.

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gen Begegnung: Hier entdeckt die Vernunft auf unvollständige Weise die wichtigsten natürlichen Wahrheiten, die der Glaube weiterhin erhellt und befestigt. Hier ist es auch, wo dank dieser Gemeinsamkeit erkannter Objekte zwei Strömungen verschiedenen Ursprungs zusammenfließen und ihre Wasser mischen, ohne daß ihr Unterschied sich verwischt.“74

Die Statik des ‚Drei-Stockwerke-Modells‘ wird der spezifischen Verfassung endlichen, d.h. leiblich und geschichtlich verfassten Geistes und dessen immanenten Bewegungsgesetzen kaum gerecht; die Autonomie des Denkens und eines von Vernunft geleiteten Handelns wird kaum berücksichtigt, vor allem aber ignoriert es die bereits geschilderten Probleme, die sich aus der historischkritischen Erforschung der Schrift und kirchlichen Lehrentwicklung ergaben. Die Lösung des Problems liegt jedoch nicht darin, die Differenz von ‚natürlich‘ und ‚übernatürlich‘ in einer Vernunftreligion aufzuheben, sondern in dem Aufweis, dass die faktische Verfassung menschlicher Praxis offen ist für eine Selbstmitteilung Gottes, wie er es ausführlich in seiner Studie L’Action (1893) 74

Ebd.: 131f.

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darlegte. Blondels Analyse setzt also nicht voraus, dass die Offenbarung „als eine völlig empirische Gegebenheit ganz von außen“ komme, die zudem Wort für Wort der Schrift zu entnehmen sei – als solche müsste sie „völlig uneinsichtig“ bleiben75 –, sondern beim möglichen Empfänger einer göttlichen Selbstmitteilung und in diesem Sinne ‚immanent‘. Insofern die Frage nach der Disposition und subjektiven Möglichkeitsbedingung des Offenbarungsrezipienten gestellt wird, ist von einer transzendentalen Reflexion zu sprechen. Menschliche Praxis lässt sich weder begreifen als absolut freie, voraussetzungslose, alle Wirklichkeit generierende Handlung, noch lässt sie sich einfach „auf die bloßen Phänomene zurückführen, die die positive Wissenschaft bestimmt“76. Unsere leibhafte Konstitution zeigt an, dass wir nicht absolute Aktion sind, sondern „eine Passivität, die zwar für seine Aktion nicht undurchdringlich ist, die ihr aber nicht unmittelbar verbunden ist. … In mir ist etwas, das mein ist das mir aber immer enger verbunden werden muß, das dennoch nicht ich bin.“77 Im Leib meldet sich etwas Nahes und zugleich Fremdes, Eigenes und doch Widerständiges, es meldet sich „die Empfindung des materiellen Widerstandes“, und zwar nicht erst in unserer näheren Umgebung, sondern in uns selbst, die zugleich „eine neue Quelle spontaner Aktivität“ wird78. Die Bedürfnisstruktur unseres Leibes nötigt zum Handeln; das passive Moment geht über in ein aktives, und zwar so, dass eben diese Aktivität ohne das passive nicht möglich ist. Mit diesem Argument wurde bereits bei Feuerbach die Absolutsetzung der Handlung, wie sie etwa im Idealismus Fichtes erscheint, relativiert: „Der Philosoph“, schreibt Feuerbach, „muß das im Denken, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, nicht dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen.“79 Es ist das sinnliche

75 76 77 78 79

Zitate: Blondel 1965: 420. Ebd.: 110; vgl. Verweyen 2000: 234. Blondel 1965: 180. Ebd.: 181. Feuerbach, Werke 9: 254.

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Element, das von unserem Leib untrennbar ist, das Feuerbach rehabilitieren wollte. Es vermittelt uns zur Welt und zu den Mitmenschen. „Das Ich ist beleibt – heißt aber nichts anderes als: das Ich ist nicht nur ein activum, sondern auch passivum. Und es ist falsch, diese Passivität des Ich unmittelbar aus seiner Aktivität ableiten zu wollen. Im Gegenteil: Das passivum des Ich ist das activum des Objekts. Weil auch das Objekt tätig ist, leidet das Ich – ein Leiden, dessen sich übrigens das Ich nicht zu schämen hat, denn das Objekt gehört selbst zum innersten Wesen des Ich. … Durch den Leib ist Ich nicht Ich, sondern Objekt. Im Leib sein heißt in der Welt sein. Soviel Sinne – soviel Poren, soviel Blößen. Der Leib ist nichts als das poröse Ich.“80

Blondel legt den Akzent nicht ebenso emphatisch auf die sinnlich-soziale Konstitution des Menschen wie Feuerbach, doch ist auch für ihn die die Beziehung zur Wirklichkeit aber wesentlich eine praktische, durch den Leib vermittelte und geradezu von ihm ernötigte. Darin liegt auch beschlossen, dass für uns Sein nichts Abstraktes und Statisches ist, sondern durch die Aktion, durch Praxis ein sich Veränderndes, es ist plastisch. Blondel geht nicht so weit wie Marx, der von einem ‚Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur‘ spricht81, aber die Dynamik der Aktion lässt das Sein nicht unberührt, das sowohl als ein in sich Differenziertes als auch Modellierbares und mit vielen Potentialen Ausgestattetes in den Raum menschlicher Aktion tritt, so wenig es andererseits von dieser vollständig konstituiert oder ‚gesetzt‘ wird. Wichtig für Blondels Argumentation ist nun, dass menschliche Praxis über das jeweils Gegebene und durch sie Realisierte hinausweist: „In unserem Denken und Tun besteht ein ständiges Mißverhältnis zwischen Objekt und Denken, zwischen Werk und Wollen. Immerfort wird das gedachte Ideal durch die tatsächliche Ausführung überholt, und immer bleibt die erlangte Wirklichkeit hinter einem immer wieder neu erstehenden Ideal zurück. Abwechselnd kommt das Denken dem Tun zuvor und das Tun dem Denken; also müssen Wirklichkeit und Ideal zusammenfallen, da uns diese Identität faktisch gegeben ist, sie ist uns

80 81

Ebd.: 150f. Vgl. Marx 1987: 76 und 192.

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indes nur gegeben, um uns alsbald wieder zu entgehen.“82 Mit Blondel lässt sich also von einer Transzendenz der Aktion sprechen, insofern die Aktion ja kein vom antizipierenden, prüfenden und kontrollierenden Denken abgespaltenes Dasein führt, sondern menschliche Praxis steht die Einheit von Denken und Handlung bildet. Denken ist als Denken bereits Praxis, wie umgekehrt Praxis nicht blinder Reflex auf einen äußeren Impuls ist, sondern der Übergang des Gedankens in eine Wirklichkeit oder besser: das Denken gibt sich in der leibhaften Ausführung erst die ganze Wirklichkeit, so dass es erst im anderen, dem Stofflichen, Geschichtlichen, zu sich selbst und zu seiner Wahrheit gelangt. Ein Denken, das ganz bei sich bliebe, sich nicht in ein Tun hinein entäußerte, bliebe unbefriedigt, ja letztlich sinnlos, so wenig die existierenden Handlungsbedingungen schon die Grenzen des Denkens schlechthin vorgeben. Aber keine Aktion schöpft das Potential des Wirklichen vollständig aus wie sie umgekehrt auch nicht das Ideal unverkürzt in die Wirklichkeit umsetzt. Und doch zehrt die Praxis von einer letzten Identität, einem Punkt, in dem Wirklichkeit und Ideal zur Identität und Ruhe gelangen und der nicht in uns selbst zu liegen scheint. „So ziehen wir“, konstatiert Blondel, „weder das Licht für unser Denken noch die Kraft für unser Tun aus uns selbst. Die im Grunde unseres Bewußtseins eingeschlossene Kraft, die Wahrheit, die uns inniger zu eigen ist als unser eigenes Erkennen, die Macht, die jedem Augenblick unserer Entwicklung das an Kraft, an Raum und an Klarheit schenkt, was notwendig ist, all das ist in uns, ohne von uns zu sein. Dieses Geheimnis drängt sich uns in seiner Wirklichkeit nur auf, indem wir zugleich in ihm eine Macht und eine Weisheit entdecken, die uns unendlich überragen.“83 Entscheidend ist, dass diese Verwiesenheit auf ein Unbedingtes als Grund und Ziel vernunftgeleiteter Praxis nichts ist, das an uns von außen herangetragen wird als etwas Fremdes, sondern in uns sich findet als unsere „innerste Erfahrung“84, nahe und fern zugleich. Von ‚Geheimnis‘ kann

82 83 84

Blondel 1965: 370. Ebd.: 371. Ebd:: 372.

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Blondel hier sprechen, da dieser Grund eigentlich Abgrund ist, von unserem Denken und Tun niemals adäquat einholbar, ohne doch bloß irrationaler Rest des Denkens zu sein oder ihm geradezu feindlich – etwa als dessen Negation – gegenüberzustehen. Auch fordert dieses Geheimnis nicht die Unterwerfung, denn es braucht als Gegenwärtiges sich nichts zu unterwerfen. Es ist als Bedingung der Möglichkeit und Erfüllung denkender Praxis und Denkpraxis, dieser nicht schlechthin transzendent, ohne doch in der Immanenz des Bewusstseins aufzugehen. Mit anderen Worten: „Die Aktion vollendet sich nicht in der natürlichen Ordnung.“ Sie vermag ihre Potentiale weder vollständig auszuschöpfen, noch das Ideal widerspruchslos mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen; sie erfüllt ihre Selbsttranszendenz nicht von sich aus. Wenn Blondel hier den Begriff des Übernatürlichen einführt, so ist er auf Widerspruch gefasst, denn ist „nicht schon der bloße Name des Übernatürlichen ein Ärgernis für die Vernunft?“85 Dies wäre es dann, wenn dieses Übernatürliche ein ihr gänzlich Äußerliches und Fremdes wäre. Dass es von ihr nicht erzeugt, nicht konstituiert werden kann und damit nicht mit ihr und ihrer Bewegung identisch ist, bedeutet noch keineswegs, dass seine Annahme nicht auch eine Basis in ihrer eigenen Dynamik habe. Wir hatten ja gesehen, dass die Bewegung der Aktion in ihren eigenen Erzeugungen und erreichten Zielen nicht zum Stillstand und zu keiner Erfüllung kommt, gleichwohl aber ein Unbedingtes in ihrer Dynamik vorausgesetzt ist, das wesentlich Antwort und darin gerade nicht ihr eigenes, prinzipiell überbietbares Erzeugnis ist. „Wenn es sie gibt, muß die göttliche Offenbarung sich als unabhängig von der menschlichen Initiative erweisen.“ Es folgt ein dunkler Satz, der auf den ersten Blick alle bisherigen Anstrengungen, den Heteronomieverdacht begründet abzuweisen, zunichtemacht: „Sie muß einen Akt der Unterwerfung fordern, etwas anderes an die Stelle unseres Denkens und Wollens, ein Eingeständnis des Unvermögens unserer Vernunft, so sehr, daß die Vernunft eine Offenbarung als falsch erachten mußte, die von uns dieses unver-

85

Beide Zitate ebd.: 415.

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meidliche Opfer nicht forderte.“86 Das letzte Ziel der Aktion, d.h. die Erfüllung endlicher, aber vernünftiger Praxis liegt nicht innerhalb ihres eigenes Aktionsradius oder ihres eigenen Horizonts, sondern muss sich aus eigener Initiative ihr öffnen. Das Ziel darf nicht ein bloß Gesetztes, sich der Macht der Praxis Verdanktes sein, das prinzipiell überbietbar ist und von einer künftig realisierten Wirklichkeit überholt wird. „Um die Natur zu vollenden und das Streben des Menschen um Abschluß zu bringen, reichen der Mensch und die Natur nicht aus.“87 Mensch und Natur bleiben in ihrer Wechselseitigkeit Teil eines Reiches der Notwendigkeit auch noch da, wo menschliche Praxis sich sukzessive Freiräume schafft, über das bloß Hier und Jetzt ebenso wie über das jeweils Erreichte hinausgeht. Die Dynamik der Immanenz – menschliche Vernunft und Aktion – nötigt dazu, über sich hinauszugehen, ohne doch den erfüllenden Abschluss realisieren zu können. Blondels problematische Rede von der Unterwerfung zielt möglicherweise zu früh und unvermittelt auf den normativen Charakter der Lehre (des Dogmas) und bestimmt den Glauben in einer Terminologie, die an vormoderne Formen der Autorität und an ein von ihm selbst zumindest in nuce überwundenes theologisches Paradigma erinnert. „Bei aller Kritik am neuscholastischen ‚Extrinsezismus‘“, schreibt Hansjürgen Verweyen mit Recht, „war M. Blondel theologisch doch noch weitgehend vom Begriff einer ‚übernatürlichen Offenbarung‘ im Sinne eines hermeneutisch nicht vermittelbaren ‚depositum‘ von Glaubenslehren und -vorschriften bestimmt.“88 Intendiert ist im Gedankengang Blondels aber die bleibende Differenz von praktischer Vernunft und Aktion einerseits und sich schenkender Erfüllung andererseits, die, das ist kritisch anzumerken, nicht in der Vermittlung von Sätzen und Vorschriften bestehen kann. Diese Differenz kann aber auch nicht in einer Totalität aufgehoben werden, die das Resultat einer endlichen Denkbewegung oder einer bestimmten Praxis ist. Die äußerste Nähe des Unbedingten wird nicht noch einmal von ei-

86 87 88

Beide Zitate ebd.: 424. Ebd.: 426. Verweyen 2000: 25.

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nem Dritten überwölbt oder in die alles Differierende aufhebende Dynamik des Subjekts als Eigenes gleichsam eingesogen. Vernünftige Erkenntnis und Praxis können nicht als Verdauungsvorgang gedacht werden, der das Andere sich assimiliert. Dass aber diese Nähe des Unbedingten, wenn sie denn gewährt wird, nicht nur in einer dem Geist äußeren geschichtlichen und leiblichen Vermittlung existiert, sondern in der Geschichte selbst sich zeigen und bewahrheiten muss, darauf deutet schon Blondels Analyse der Aktion, die gerade von der leiblichen Konstitution des Menschen ihren Ausgang nimmt. Und dies gilt selbstverständlich auch für den Glauben, der gerade darum nicht bloß Unterwerfung sein kann, weil er in der Geschichte sich als sichtbaren Zeichen einer Befreiung und Selbstständigkeit des Menschen gegenüber allen selbst gesetzten Formen der Heteronomie bewähren muss. Unterwerfung ist immer und ohne jede Ausnahme die Entsprechung zu blinder Herrschaft; jene verhält sich komplementär zu dieser. Als nicht bloß Gesetztes muss Offenbarung etwas sein, das unerhellte Herrschaft – die des Menschen ebenso wie diejenige, die Menschen in Gott projizierten – durchbricht, richtet und aufhebt. Damit bildet die Aktion als Einheit von Rezeptivität und Spontaneität auch ein konstitutives Element jeder geschichtlichen Konkretion der Offenbarung (Kulte, Normen, Heilige Schriften, spätere Traditionen und Alltag), die so erst im Raum des Endlichen vernehmbar wird. In mancher Hinsicht konsequenter als Blondel greift die Denkbewegung der transzendentalen Theologie Karl Rahners die neuzeitliche Freiheitsemphase und Anthropozentrik auf, und macht sie fruchtbar für einen „Aufweis der Hingeordnetheit des Menschen auf Offenbarung“89. Rufen wir uns noch einmal den schon im Fichte-Kapitel auftauchenden Begriff transzendental im Unterschied zu transzendent in Erinnerung: Immanuel Kant hatte ihn zur Charakterisierung seiner Methode oder besser: Erkenntniskritik definiert: „Ich nenne alle Erkenntniß transcendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnißart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, über89

Verweyen 2000: 113.

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haupt beschäftigt.“90 Kant versucht, die Bedingung der Möglichkeit unserer Gegenstandserkenntnis zu analysieren; Rahner geht mit Blondel und Joseph Maréchal (1878-1944) noch hinter diese erkenntniskritische Frage Kants zurück, insofern der tragende Grund und das implizit – eben a priori – vorausgesetzt Ziel der alle Erkenntnis und Praxis bestimmenden Dynamik aufgezeigt werden soll. Denn dass Praxis und Erkenntnis nichts Statisches sondern ein Dynamisches, das scheinbar Gegebene Transzendierendes darstellen, haben wir schon bei Blondel gesehen. Auch Rahner möchte also nicht durch eine willkürliche Begrenzung der Kritik, sondern gerade durch ihre Potenzierung die Offenheit des Menschen für eine mögliche Selbstzusage Gottes aufweisen. Der Rückzug ins selbst gewählte Ghetto oder in die Provinz als angeblich heile Welt bietet für Rahner so wenig wie für Blondel die Lösung jener Probleme, die seit Aufklärung und Moderne für den Offenbarungsbegriff entstanden sind. „Die Theologie“, so ließe sich mit Adorno ergänzen, „wird nicht von jenen gerettet, bei denen Nietzsche und Baudelaire noch nicht sich herumgesprochen haben.“ 91 Wenn innerhalb unserer eigenen rationalen, leiblichen und geschichtlichen Konstitution eine Affinität zur Selbstzusage Gottes nicht demonstriert werden kann, bleibt alle Rede von Offenbarung letzten Endes nichtig. Auch für Rahner erschließt sich die Frage nach der subjektiven Disposition (Blondel) erst einer transzendentalen Analyse endlichen, also materiell und geschichtlich vermittelten Geistes. Offenbarungstheologie hat also, in Rahners eigenen Worten, „als inneres Moment und Bedingung ihrer Möglichkeit den transzendental-unbegrenzten Horizont des menschlichen Geistes, von dem her so etwas wie Gott überhaupt verstanden werden kann“92, während die anthropologische Frage erst im absoluten Ziel endlichen Geistes ihre Antwort findet, eine Antwort freilich, die geschenkt wird, d.h. sich aus Freiheit darbietet und nur so der freie Geist eine aus Freiheit ergehende Antwort und Erfüllung erfährt. Wenn also in einem letzten Sinne, wie

90 91 92

Kant KrV: B 25 = Kant 1911b: 43. Adorno GS 14: 135. Rahner MySal II: 409.

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Rahner kühn formuliert, „der Anthropozentrismus und der Theozentrismus das Gleiche sind“93, so ist die Selbstoffenbarung Gottes doch nicht aus der geistigen Dynamik ableitbar, sondern bildet deren Erfüllung gerade als freie Gewährung absoluter Nähe des absolut Verschiedenen. Gegenstand der Analyse kann darum nur die Möglichkeitsbedingung der Rezeption einer solchen ungeschuldeten Selbstmitteilung sein, nicht aber die Deduktion ihrer geschichtlichen Faktizität. Dass an einem bestimmte Punkt der Geschichte das Volk Israel gleichsam im Angesicht seines Gottes als ein freies konstituiert wird und dass in der Regierungszeit des Kaisers Augustus Jesus von Nazareth geboren und unter Pontius Pilatus gekreuzigt und auferweckt wird, ist aus der transzendentalen Analyse weder ableitbar noch wird derartiges von ihr beansprucht94. In diesem Zusammenhang kommt dem Begriff der transzendentalen Erfahrung eine hohe Bedeutung zu. Er bezeichnet die Erfahrung der Entschränktheit des gleichwohl endlichen Geistes in jedem einzelnen Erkenntnisakt, aber auch in jedem impliziten oder expliziten Rückgriff auf ein Unbedingtes, wie etwa in einem kategorischen ethischen Anspruch, in der emphatischen Liebe oder im Einspruch dagegen, dass der Tod das letzte Wort behält. Hier nun die komplexe Formulierung aus dem Grundkurs des Glaubens95: A

„Sie ist eine Erfahrung, weil dieses Wissen unthematischer, aber unausweichlicher Art Moment und Bedingung der Möglichkeit jedweder konkreten Erfahrung irgendeines beliebigen Gegenstandes ist.“

B

„Diese Erfahrung wird transzendentale Erfahrung genannt, weil sie zu den notwendigen und unaufhebbaren Strukturen des erkennenden Subjekts gehört und weil sie gerade in dem Überstieg über eine bestimmte Gruppe von möglichen Gegenständen, von Kategorien besteht.“

C

„Die transzendentale Erfahrung ist eine Erfahrung der Transzendenz, in welcher Erfahrung die Struktur des Subjekts und damit auch die letzte Struktur aller denk-

93 94 95

Rahner IG 1, 40. Vgl. Vorgrimler 2004: 158f. Rahner GK: 31f; vgl. auch Waldenfels 2005: 155-159.

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46 baren Gegenstände der Erkenntnis in einem und in Identität gegeben ist. Natürlich ist diese transzendentale Erfahrung nicht bloß eine solche der reinen Erkenntnis, sondern auch des Willens und der Freiheit, denen derselbe Charakter der Transzendentalität zukommt, so daß grundsätzlich immer nach dem Woraufhin und Wovonher des Subjekts als eines Wissenden und als eines Freien in einem gefragt werden kann.“

Diese Stelle, die sich terminologisch auf die frühen Studien Geist in Welt und Hörer des Wortes bezieht, verdient genauere Beachtung. Rahner klärt hier nicht nur das Verhältnis von Transzendenz und Transzendentalität, sondern er weist bereits auf den Gottesbegriff voraus. Jene transzendentale Erfahrung, fügt Rahner wenig später hinzu, ist nämlich „ein gleichsam anonymes und unthematisches Wissen von Gott“96, und zwar gerade nicht als Wissen von einem Einzelgegenstand, sondern, durch alle partikulare Erkenntnis vermittelt, als der absolute Horizont, woraufhin die Bewegung des Geistes zielt. Der Mensch ist, so die Pointe dieser Argumentation, nicht trotz, sondern gerade in seiner sinnlich vermittelten Erkenntnis „reine Geöffnetheit für schlechthin alles, für das Sein überhaupt“97. Endliche Erkenntnis ist, wie Rahner in seiner Studie zur Erkenntnismetaphysik des Thomas zeigt, nicht als simple intentio recta zu verstehen, sondern als „Insichkehren des Erkennenden“: „reditio in seipsum“ 98. Die in diesem Begriff enthaltene dynamische Einheit von Spontaneität und Rezeptivität, Beisichsein und Sein-bei-anderem umfasst mehr als nur die synthetische Einheit der Apperzeption99. Der Mensch ist bei sich einzig durch die Vermittlung sinnlicher Erkenntnis hindurch. Sinnlichkeit – die nicht schlechthin mit Rezeptivität identisch ist –, Identität und Transzendenz gehören als Möglichkeitsbedingung des Prozesses endlicher Erkenntnis zusammen. Alle Einzelerkenntnis hat ihren ‘Ort’ im Subjekt und greift zugleich über die Partikularität der Gegenstände notwendig hinaus, sie ist „als vorgreifend auf das schlechthin Unendliche ausge96 97 98 99

Ebd.: 32 Ebd.: 31. GW 98-110/1H 56f. „Das: Ich denke“, so Kant, „muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ (Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Raymund Schmidt synoptische Ausgabe von A und B, Hamburg 1976, B 131).

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richtet“100. So spricht Rahner auch von der „Hinbewegung des Geistes auf die absolute Weite aller möglichen Gegenstände, eine Bewegung, in der die Einzelgegenstände gleichsam als Einzelmomente dieser Zielbewegung ergriffen und so im Vorblick auf diese absolute Weite des Erkennbaren wissend erfaßt werden.“101. Jene „absolute Weite“, und Selbstüberschreitung des Denkens erschöpft sich weder im regulativen Gebrauch – als „Begriff der empirischen Einheit alles Denkens“102 und als „Weltbegriff überhaupt“103 – noch, wie im Neukanatianismus, in der leeren Unendlichkeit des Gegenstandsbereichs als eines ewig „Aufgegebenen“104. Als Bedingung der Möglichkeit, Endlichkeit überhaupt zu erfassen, geht der Vorgriff vielmehr über die Gesamtheit der endlichen Gegenstandswelt hinaus105. Wenn nun die geistige Dynamik nicht im Nichts terminieren soll, so entspricht ihr einzig ein absolutes Ziel106, das Rahner – in einem riskanten Schluss auf die ontologische Ebene – näherhin als das in jedem Erkenntnisakt affirmierte „Sein Gottes“ bestimmt 107, wobei Gott weder für ein anonymes Weltgesetz steht, noch im Hegelschen Sinne das sich durch die Partikularität hindurch realisierende Absolute bezeichnet, sondern das in unendlicher Differenz sich vom Menschen unterscheidende personale Gegenüber, seine Abkunft und Zukunft108. Die Transzendenz der Schöpfung in ihrer Einheit von Geist und Materie109 ebenso wie diejenige des Menschen kann nicht als äußere Gegenstandsbestimmung gedacht werden; Transzendenz ist keineswegs etwas, das den Menschen ‚auch noch‘ neben anderen Merkmalen kennzeichnet, „sondern Grund und Bedingung der Möglichkeit eines innerweltlichen personalen

100 101 102 103 104 105

106 107

108 109

Rahner GW: 146. Rahner HW 279. Kant KrV: A 682 / B 710. Ebd.: A 684 / B 712. Vgl. Natorp 1910: 18. Rahner HW: 181 / 282. - Zu dieser an Blondel und vor allem Maréchal orientierten Argumentation der Frühschriften vgl. Raffelt/ Verweyen 1997: 28-50. Vgl. Rahner GW: 146. Rahner HW 181. – Nach der zutreffenderen Einsicht Blondels hingegen entscheidet „die immanente Setzung des Transzendentalen, selbst des Übernatürlichen, nicht vorweg über die transzendente Realität der immanenten Setzung“ (Blondel 1974: 145) Vgl. Rahner GK: 83. Vgl. Vorgrimler 2004: 160f.

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Daseins“110; folglich wird auch die unbegrenzte Frage, die der Mensch ist, „von Gott selbst als absolute Antwort erfüllt und beantwortet.“111 Damit ist allerdings die Transzendenz des Menschen noch unzureichend bestimmt, denn der Mensch ist ja nicht reiner Geist, sondern wesentlich somatisch und geschichtlich verfasst. Das bedeutet, er ist nicht nur Spontaneität und Aktivität, sondern als sinnlich-materielles Wesen auch Rezeptivität und noch nicht realisierte Potenzialität, wobei es auffällt, dass Rahner – zumindest im Frühwerk – Materie als materia prima thomistisch auf reine Passivität und leere Seinsmöglichkeit reduziert und vom spezifisch stofflichen Moment ausdrücklich absieht112. Erst in der Auseinandersetzung mit dem modernen evolutiven Naturverständnis gelangt Rahner zu einem reicheren, zuweilen an Teilhard de Chardin oder Ernst Bloch erinnernden Begriff der Materie113. Geschichte – nicht die „abstrakte ‘Innerlichkeit’“114 – ist der ‘Ort’, an welchem der Mensch als ein offenes, unabgeschlossenes Wesen sich selbst realisiert und so das bloß Faktische sowohl erkennend als auch handelnd überschreitet. Rahners Begriff menschlicher Transzendenz integriert die Dynamik endlicher Erkenntnis in diejenige einer bewussten Praxis. Die mundane Wirklichkeit ist nicht bloß Gegenstand der Kontemplation. Für den Menschen ist Welt vielmehr etwas, das er durch Veränderung erst zu seiner Welt macht. Rahner kennt durchaus einen ‘Primat der Praxis’, unter dem die Selbsttranszendenz des Menschen steht. Diese ist, wie wir sahen, nicht identisch mit dem Infinitesimalprinzip: Erfüllt und vollendet wird diese aktive Selbsttranszendenz nicht in der leeren Unendlichkeit, sie zielt vielmehr „auf die absolute Wirklichkeit Gottes als des unendlichen Geheimnisses“115; ein Ziel, das in jedem Akt der Überschreitung des ‘Gegebenen’ als Möglichkeitsbedingung thematisch oder unthematisch vorausgesetzt ist, ihn trägt, sich aber zugleich dem beherrschenden Zugriff des Subjekts entzieht. Als leib110 111 112 113 114 115

Rahner ST VI: 69f. Rahner GK: 175. Rahner HW: 1153f / 2152f. Vgl. Rahner ST VI: 185-214; GK: 180-202. Rahner ST VIII: 576. Rahner ST V: 195.

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lich-geschichtliches Wesen ist der Mensch ein möglicher ‘Hörer des Wortes’. Wenn Rahner in diesem Zusammenhang von einem ‚übernatürlichen Existential‘ spricht, so meint er damit, dass faktisch (aber eben nicht notwendig) die geistige Dynamik des Menschen finalisiert ist auf die Antwort und Erfüllung durch Gott hin. ‚Übernatürlich‘ meint hier nichts Wunderbares oder Geschichtsjenseitiges, sondern die freie und ungeschuldete Ausrichtung des Menschen auf die Selbstmitteilung Gottes hin – und eben dies meint Gnade116. Dies hat Konsequenzen für die spezifische Gestalt der Offenbarung: Wenn nämlich diese freie, durch die Verfassung des endlichen Geistes nicht schon einklagbare Selbstmitteilung Gottes an den Menschen ergeht, so erreicht sie ihren Adressaten nur in der Geschichte, und zwar leiblich konkretisiert117. Die inkarnatorische Zuspitzung und christologische Fokussierung vorwegnehmend kann Rahner den Menschen „definieren als das, was entsteht, wenn die Selbstaussage Gottes, sein Wort, in das Leere des gottlosen Nichts liebend hinausgesagt wird“118.

Die Transzendentalität des Menschen, d.h. seine auf Gott hin eröffnete und finalisierte leiblich-geistige Dynamik, vollzieht sich innerhalb der Geschichte, und 116 117 118

Vgl. Rahner ST I: 340; Vorgrimler 2004: 171-182. Vgl. hierzu Rahner GK: 143-177.; siehe auch Vorgrimler 2004: 202-207. Rahner GK: 223.

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insofern ist die ‚transzendentale Offenbarung‘ keine von der geschichtlich ergehenden verschiedene, sondern bildet in analytischer Hinsicht einen Aspekt der Offenbarung als ganzer. Transzendentalität und Geschichtlichkeit des Menschen bedingen sich, wie Rahner betont, gegenseitig119. Anders als Rahners Zeitgenosse und ‚Rivale‘ Hans Urs von Balthasar geht Rahner nicht von der Evidenz der Offenbarungsgestalt aus, die sich jenseits aller philosophischer und anthropologischer Begründungszusammenhänge erschließt120, sondern versucht im Gegenteil die anthropologischen Voraussetzungen des Offenbarungsrezipienten aufzuzeigen, die aber erstens nicht identisch sind mit seinem faktischen Selbstverständnis (das sogar in Widerspruch stehen kann zu seiner Transzendentalität) und zweitens immer schon umfangen sind von der Gnade Gottes – so zumindest in den späteren Schriften Rahners. Der Mensch steht ‚immer schon‘ unter der Gnade, nicht verstanden als punktuelle Zuwendung etwa in Wundern und Visionen, sondern „als Selbstmitteilung Gottes an die endliche Kreatur, Unmittelbarkeit zu Gott, Dynamik auf die Teilnahme am Leben Gottes als des über alle endliche und sterbliche Kreatur Erhabenen“121. Die Konkretion und darin die faktische Annahme (oder Ablehnung) dieser Selbstmitteilung Gottes geschieht in der Geschichte, und eben dies nennt Rahner die ‚kategoriale‘ Offenbarung122. Dass Offenbarung nicht bloß im ‚Modus des Angebotes‘ verbleibt oder sich ganz auf die Transzendentalität des Menschen beschränkt, sondern geschichtlich manifest wird, gehört wesentlich zu ihr und zu ihrer Bewahrheitung. Die Wahrheit Gottes existiert nicht ausschließlich, ja noch nicht einmal in erster Linie in der logischen Form des Urteils, sondern manifestiert sich im Raum der Geschichte, in den sozialen Beziehungen der Menschen. Dass sie auch als Norm und Gesetz objektiviert wird, hängt damit eng zusammen, ein Aspekt, der uns später noch beschäftigen wird. Die geschichtliche Verfassung der Selbstmitteilung Gottes und diejenige ihres Adressaten sind also eng aufeinander bezogen, wobei die 119 120 121 122

Vgl. Rahner ST VI: 70; Eicher 1977: 386-401; Hoff 2007: 22. Vgl. Balthasar 1988: 413-444; Eicher 1977: 319-343. Rahner ST VI: 68. Vgl. Rahner GK: 157-165; vgl. auch Vorgrimler 2004: 204f.

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Offenbarungsgeschichte und die Weltgeschichte zwar nicht identisch sind, wohl aber koexistieren. Offenbarungsgeschichte ist nicht Überhöhung und Bestätigung der Weltgeschichte mit ihren Grausamkeiten, ihrer Schuld und unerfüllten oder versäumten Möglichkeiten; sie ist aber auch nicht jenseits der Weltgeschichte als ‚Übergeschichte‘ anzusiedeln, sondern in ihr als Gericht, Verheißung und Erfüllung123. Diese geschichtliche Konkretion ist nun nicht schon identisch mit der biblischen Offenbarungsgeschichte, die vielmehr einen engeren Aspekt der kategorialen Offenbarung bildet. Der universale Heilswille Gottes beschränkt sich nicht auf den zeitlich und geographisch engen Raum biblischer Geschichte, sondern ist von Anfang an ausgerichtet auf die gesamte Menschheit. Damit öffnet sich der Blick auch auf die übrigen Religionen vor oder neben dem Christentum, die nicht erst nachträglich ‚von außen‘ mehr schlecht als recht zum Offenbarungsbegriff vermittelt werden müssen. Nimmt man den Begriff einer über die Grenzen der biblisch bezeugte Offenbarung hinausgehenden kategorialen Offenbarung, in welcher die Transzendentalität des Menschen konkretisiert wird, ernst, so müssen auch die anderen Religionen auf eine noch näher zu bestimmende Weise Heilswege sein. Dass diese Heilswege für Rahner nicht im Sinne einer pluralistischen Theologie der Religionen völlig gleichwertig nebeneinander stehen, folgt schon aus der Endgültigkeit einer Offenbarung, in der die Selbstzusage Gottes sowohl gegeben als auch auf menschlicher Seite frei und in Solidarität mit gesamten Menschheit angenommen wurde, und eben dies ist auf unüberbietbare Weise geschehen in Christus „dem Gottmenschen, in dem die Selbstzusage Gottes an die Welt, deren geschichtliche Vermittlung und deren Annahme durch den Menschen unvermischt und ungetrennt absolut eins geworden sind“124. Aus dieser an das Konzil von Chalkedon (451) erinnernden Formulierung folgt für Rahner keineswegs, dass die nichtchristlichen Religionen nur eine Ansammlung von Irrtümern sind, über die eine eifrige und eifernde Mission aufklären und die Irrenden hinausführen müsse. 123 124

Vgl. hierzu Rahner ST V: 115-135. Rahner ST VI: 71.

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Die Annahme der ein und für allemal geschenkten Zuwendung Gottes kann auch in anderen Religionen erfolgen, ja selbst außerhalb einer explizit affirmierten positiven Religion; ein Gedanke, der Rahners berühmt-berüchtigten Theorie des anonymen Christentums zugrunde liegt125. Sie nimmt das soeben Gesagte nicht zurück, sondern rechnet vielmehr damit, dass das, was in Christus (und nur hier) geschehen ist, sich in seiner nicht auf das explizite Christentum beschränkt, sondern implizit auch an anderen Orten und Zeiten der Geschichte wirkte und vollzogen wurde. Implizit meint, dass der Bezug auf das christliche Heil in der Person Jesu nicht ausdrücklich, sehr wohl aber faktisch, der Sache nach, gegeben ist. Ebenso ist es möglich, dass wichtige Aspekte der Offenbarung in Christus sich auch in anderen Religionen und Kulturen finden, wenn auch nicht unter einem explizit christlichen Vorzeichen, sondern, wie Rahner es nennt ‚unthematisch‘. Rahner reflektiert, wie Peter Eicher es zutreffend formuliert, die göttliche Gnade und Offenbarung „nicht mehr als das geschichtlich greifbare sakramentale Wort im Raum der Kirche“, wie noch in seinen Frühschriften, „sondern als die je schon ergangene gnadenhaft-übernatürliche Auflichtung der menschlichen Existenzialität, als transzendentale Offenbarungsgeschichte, dergegenüber ihre äußerlich kategoriale Erscheinung zum objektivierenden Moment dieser inneren Gnadengeschichte mit den Menschen wird“126. Man wird allerdings zurückhaltenden als Eicher von einer ‚äußeren kategorialen Erscheinung‘ dieser transzendentalen Offenbarung sprechen müssen, denn dieses ‚Äußere‘ ist selbst notwendiger Bestandteil einer Offenbarung, die geschichtlich wirklich und wirksam sein will. Die ‚Objektivierung‘ der transzendentalen Offenbarung in ihren differenten Formen ist die Antwort auf die definitive Selbstzusage Gottes, die nur so auch ein inneres Moment der ambivalenten Geschichte sein kann. Insofern die transzendentale Offenbarung gegenüber der kategorialen und ‚amtlichen‘ kein schlechterdings Selbstständiges ist, sondern nur in ihr als ein wesentliches Moment der Offenbarung insgesamt gesehen werden kann, bleibt sie auch innerlich 125 126

Vgl. Rahner ST VI: 545-554; VIII: 187-212; XII: 76-84; Vorgimler 2004: 182-188, Hoff 2007: 261-265. Eicher 1977: 385.

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verwiesen auf die unterschiedlichen geglückten oder weniger geglückten Konkretionen. Es ist nicht falsch, angesichts dieses Befundes selbst für die Heilige Schrift eine Ambivalenz anzunehmen, insofern sie teilhat an der Ambivalenz des historischen Prozesses, in dem sie entstanden ist. Ihre Irrtumslosigkeit, denkt man hier Rahner weiter, kann sich also nicht auf jeden einzelnen Satz erstrecken, wie es noch innerhalb eines vormodernen instruktionstheoretischen Offenbarungsmodells beansprucht wurde. Gleichwohl bleibt die Schrift gegen alle Depravation und Verhärtung doch die geglückte und sich als von Gott geführt wissende, d.h. explizite „Selbstauslegung der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger127. b) Der aufrechte Gang oder: Offenbarung als Korrelation und Entmytholo-

gisierung

Zu den Schwierigkeiten des hier skizzierten transzendentalen Of-

fenbarungsbegriffs Rahners gehört die Frage, wie die geschichtlichen Konkretionen im engeren Sinne – also die biblischen Traditionen und ihre nachfolgenden Deutungen – zu eben dieser Eröffnetheit und Dynamisierung der leiblichgeschichtlichen Existenz des Menschen vermittelt sind. Rahners Aussagen bleiben eher formal, und so überrascht Peter Eichers Kritik nicht: „Die Tradition wird zur Funktion religiöser Subjektivität, nicht aber steht die religiöse Subjektivität in Funktion zur Inhaltlichkeit von Tradition.“128 Ähnlich hatte schon vorher Hans Urs von Balthasar gefragt, „ob die objektive Fundierung der spezifisch christlichen Tatsache hier ebensogut gelingt wie die subjektive, und ob nicht die ganze Richtung immer wieder von einem heimlichen und gelegentlich auch offenen Philosophismus bedroht wird, wo das innere Mass des strebenden Geistes, mag es auch nur als ‚Leere‘ und ‚Hohlraum’, als ‚cor inquietum‘, als potentia oboedentialis‘ usf. gefasst werden, irgendwie doch zum Mass der Offenbarung gemacht wird“129. Ist es aber, um von Balthasars unglückliche Etikette aufzugreifen, ein ‚Philosophismus‘, wenn nach der Fähigkeit und Möglichkeit (oder 127 128 129

Rahner GK: 159. Eicher 1977: 403. Balthasar 1988: 142.

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Befähigung und Ermöglichung) eines Offenbarungsrezipienten gefragt wird? Die Fähigkeit, auf die Selbstoffenbarung Gottes zu hören, sie aufnehmen zu können (eben als potentiua oboedentialis) ist, wie schon erwähnt, nicht identisch mit einem bestimmtem Vorverständnis. Der völlige Verzicht auf die Demonstration anthropologischer Voraussetzungen der Offenbarungsrezeption führt auf eine subtile Weise zurück in jene Heteronomie, von der die Menschen seit der Aufklärung befreit werden sollten. Wendet man dagegen mit einigem Recht ein, dass auch die Versuche, das neuzeitliche Freiheitspathos in geschichtliche und politische Realität zu überführen, neue Abhängigkeiten schufen oder, in den Worten der Dialektik der Aufklärung, „die Glückgüter selbst zu Elementen des Unglücks“ wurden130, so rechtfertigt dies nicht die Beschwörung unerhellter Autorität und den Rückfall hinter Kant und Hegel. Die Kritik eben jener Subjektivität, die auch für die Selbstmitteilung Gottes prinzipiell offen sein soll, ist nur als Selbstkritik der Vernunft möglich, die so sich auch zu überschreiten vermag, nicht jedoch als Unterwerfung unter äußere und äußerlich bleibende Autoritäten – und sei es die der Schrift und der kirchlichen Lehrtradition. Wenn andererseits die Schrift in beiden Teilen „der geglückteste Fall der notwendigen Selbstauslegung der transzendentalen Offenbarung“ ist, wie Rahner versichert131, so müsste man wohl über Kriterien verfügen, um die Depravationen von der angemessen Objektivation unterscheiden zu können, so dass transzendentale und kategoriale Offenbarung eine ungeschmälerte Einheit bilden. Was einer bestimmten Zeit als unproblematisch erschien, kann eine spätere als anstößig und unannehmbar beurteilen. In einer kühnen Engführung reduziert Rahner dieses Kriterium für die gesamte Schrift auf Christus als „Möglichkeit einer radikalen Scheidung zwischen der im Vollsinn und in Reinheit gegebenen kategorialen Offenbarungsgeschichte und deren menschlichen Ersatzbildungen und Mißdeutungen“, weshalb „die Geschichte des Alten Bundes seit Abraham unmittelbare Vorgeschichte Jesu ist“, aber keine selbstständige Bedeutung ha130 131

Adorno GS 3: 15. Rahner GK: 159.

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ben kann132. Es ist für Rahner in der Tat die Offenbarung in Christus, auf die hin alle Selbstüberschreitung endlichen Geistes immer schon eröffnet ist, und die jede andere inner- wie außerbiblische Konkretion der Offenbarung überbietet. Übersehen wird hier auch, dass die Vermittlung eines Wissens von Christus über die Schrift läuft, wenn nicht eine bloße Christusidee das Kriterium der Unterscheidung abgeben soll. Zu dieser Schrift gehört das Alte Testament, vor dem das Neue sich ausweisen musste, das bleibende und nicht bloß vorläufige Resultate zeitigte und damit nicht nur Vorgeschichte Christi ist. Selbst eine transzendentale Christologie bleibt verwiesen auf die geschichtliche Gestalt, von deren Deutungen in der Schrift aus zurückgefragt wird nach den Möglichkeitsbedingungen eines absoluten Heilsvermittlers. Das Kriterium selbst liegt nicht von Anfang von an vor und unterliegt auch im Neuen Testament einem Werdeprozess, wobei innerkanonisch, wie die späteren christologischen Streitigkeiten im 4. und 5. Jahrhundert deutlich zeigen, keineswegs schon ein klares, über jeden Zweifel erhabenes Unterscheidungsmerkmal vorliegt. Der Grund für diese bleibende Mehrdeutigkeit und den sich verändernden, aber niemals verschwindenden Diskussionsbedarf ist die Struktur der kategorialen Offenbarung selbst, die weder die individualisierte stille Selbstauslegung und Konkretisierung der menschlichen Transzendentalität ist, noch mit einem Augenblick in ihrer von aller Ambivalenz und Depravation freien Gestalt vorliegt, sondern als gott-menschliche Korrelation im Rahmen zwischenmenschlicher Interaktion und der Geschichte mit allen ihren Ambivalenzen angesehen werden muss. Wenn Gott, wie Rahner immer wieder hervorhebt, das Woraufhin der Dynamik endlichen Geistes ist, das als das ganz Andere von eben diesem Geist nicht gesetzt und seinem Bereich einverleibt werden kann, so lässt sich sinnvoll von Gott nur in Relationen sprechen. Vielleicht weniger der Rahnersche Ausgriff auf Sein überhaupt (das aus der Perspektive Wittgensteins eher im Verdacht eines substantivierten und hypostasierten Hilfsverbs steht), sondern das

132

Zitate: Rahner GK: 161 und ST XII: 234; kritisch dazu Buchholz 2011: 193.

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Unbedingte, das in zwischenmenschlichen Relationen vorausgesetzt wird, deutet auf die Transzendentalität des Menschen im Sinne einer über sich hinausweisenden und jedem einzelnen emphatischen Akt zugrunde liegenden Dynamik. In der zwischenmenschlichen Korrelation wäre gott-menschliche Korrelation unthematisch supponiert. Auch die Rede von der Selbstoffenbarung Gottes, die gerade gegenüber dem älteren instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell auf die alle Einzelsätze übersteigende sich entäußernde Liebe Gottes zielt, bleibt abstrakt und wird zur bloßen Floskel, wenn jenes ‚Selbst‘ Gottes nicht innergeschichtlich, d.h. innerhalb eines Interaktionszusammenhangs konkretisiert wird. „Was das Wort ‚Gott’ bedeutet“, schreibt auch der Kölner Fundamentaltheologe Hans-Joachim Höhn treffend, „erweist sich in besonderen ‚Umstandsbestimmungen’ des Daseins“133 – und diese Umstandsbestimmungen sind nichts anderes als geschichtlich determinierte Relationen. Kristallisation oder narrativer Ausdruck dieser stets deutungsbedürftigen und gedeuteten Korrelation bilden die biblischen Texte als – mit Rahner gesprochen – deren geglückter Fall. Dass die Selbstoffenbarung Gottes ein „interpersonales Geschehen“ ist134, betonte auch das II. Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution Dei verbum, wobei es das Ziel ist, dass der Mensch „der göttlichen Natur teilhaftig gemacht“ werde, d.h. am Leben Gottes partizipieren solle135. Unübersehbar ist auch die christologische Pointierung des Textes, denn die gesamte Heilsgeschichte läuft zu auf Christus „als Fülle der ganzen Offenbarung / plentitudo totius revelationis“136. Die wechselseitige Erhellung der Taten und Worte, welche die geschichtlich konkretisierte Offenbarung kennzeichnet137, ist allerdings kaum sinnvoll denkbar ohne den aktiven menschlichen Teil in der Form einer deutenden Erzählung (nicht des theologischen Diskurses), als welche die biblischen Schriften angesehen werden können. Wohl hält der Text der Konstitution

133 134 135 136 137

Höhn 2008: 90. Zu den philosophischen Grundlagen Höhns vgl. ders. 2011: 109-149 (§7). Waldenfels 2005: 103-202, hier: 194. Vgl. DV Nr. 2. Ebd; nochmals in DV Nr. 4. Vgl. DV Nr. 2.

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fest, dass „Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat“, was zum Verständnis der Schrift auch eine gründliche Erforschung der Zeitumstände des Hagiographen und der literarischen Gattung erfordert138. Indessen bleibt ungeklärt, ob die menschliche Sprache sowie das Denkund Vorstellungsvermögen der jeweiligen Zeit mehr sind als nur eine zufällige Einkleidung des göttlichen Wortes. Theologisch bilden Spontaneität und Rezeptivität doch gerade eine innere Einheit sowohl im Empfang der Offenbarung als auch in ihrer Weitergabe, so dass der ‚menschliche Anteil‘ konstitutiv für das Offenbarungsgeschehen selbst ist. Nicht in wünschenswerter Klarheit erscheint auch die Überwindung des ‚Drei-Stockwerke-Modells‘. Zwar distanziert sich das Konzil mit dem Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis, doch wird die Alternative dazu nicht ausführlich genug dargelegt. Der Konzilstext setzt eine ‚natürliche Offenbarung‘, oder besser: eine rationale Erkenntnis Gottes „aus den geschaffenen Dingen“ voraus – ein Gedanke, der durchaus auf der Linie des I. Vatikanums liegt und sich auch ausdrücklich auf Dei filius bezieht139. Das genaue Verständnis einer gnadenhaft (also ‚übernatürlich‘) eröffneten Dynamik endlichen Geistes mit Blick auf den Empfang der Offenbarung bleibt aber weitgehend dunkel. So scheint es, dass die gott-menschliche Korrelation zwar die Grundidee von Dei verbum bildet, aber theologisch weder hinreichend erhellt noch in allen Teilen des Textes gleichermaßen im Blick behalten wurde. Dei Verbum war ein beachtlicher Anfang in der offenbarungstheologischen Rezeption neuzeitlichen Denkens durch das Lehramt – aber eben doch erst ein Anfang. Offenbarung als Korrelation und Deutung ist ein Modell, das der evangelische Theologie und Philosoph Paul Tillich (1886-1965) und vor ihm der Philosoph Herman Cohen (1842-1918) entwickelt haben. Bei Cohen geschah dies mit Blick auf die Bedeutung des Judentums und seines ethischen Monotheismusʼ, was seinem religionsphilosophischen Hauptwerk den Namen gab: Religion der 138 139

Vgl. DV Cap. Nr. 12 und 13. Vgl. DV Cap. I, Nr. 6 und Dei filius, Nr. 2 = DH 3005.

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Vernunft aus den Quellen des Judentums (1919/21929). In strenger Abgrenzung zum Pantheismus Spinozas und den mythischen Traditionen, die Cohen nicht minder dem Pantheismus zurechnet, entwickelt Cohen seinen Offenbarungsbegriff. Gefährdet doch die Identifikation von Gott und Natur, sei sie noch so subtil in sich differenziert, die Freiheit und Selbstständigkeit des Menschen, welche die Grundlage der Ethik bilden soll. Entsprechend ist festzuhalten: „Ebenso wie Gott soll auch der Mensch erhalten bleiben.“140 Wohl begründet die Schöpfung eine Asymmetrie, insofern der Mensch nicht aus sich selbst heraus existiert, sondern immer, auch in den Aktionen seiner Freiheit, Geschöpf bleibt; aber weil jede ontologische Identifikation des Menschen mit der absoluten Substanz vermieden wird, bleibt gleichsam ‚Raum‘ für eine Relation oder besser Korrelation zwischen Gott und Mensch, als deren Niederschlag die Offenbarungstexte zu deuten sind. In dieser Beziehung wächst der Mensch als vernünftiges Wesen heran, das um seine spezifische Verfassung auch weiß und sie in der Wahrnehmung der Verantwortung auch vollzieht. Die Konstitution des „Vernunftwesens des Menschen“ im Gang der Offenbarung schließt nicht nur jede „wunderhafte Anomalie“, sondern auch jede mystische oder pantheistische Verschmelzung des endlichen Bewusstseins mit dem Absoluten aus. Es ist vielmehr „der allgemeinste Sinn der Offenbarung: daß Gott in Verhältnis tritt zum Menschen“141. „Die Korrelation mit dem Menschen“, heißt es an anderer Stelle, „ist nicht die Korrelation mit der Natur. So unterscheidet sich der Monotheismus vom Pantheismus.“142 Der Anspruch, eine Religion der Vernunft aus den jüdischen Quellen heraus darzustellen, schließt eine Kulmination in Christus natürlich aus; die biblische Geschichte ist nicht Vorgeschichte des Christusereignisses wie bei Rahner. Vielmehr rücken die hebräische Bibel (vor allem Propheten und Thora) sowie die rabbinische Literatur in das Zentrum der Aufmerksamkeit einer gottmenschlichen Beziehung, welche den Menschen nicht als blinden Befehlsemp-

140 141 142

Cohen 1915a: 134. Cohen 1929: 82f. Cohen 1915a: 136f.

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fänger, sondern als Vernunftwesen zur Grundlage hat. Geschichte – gerade auch als Befreiungsgeschichte –, Ethik und Recht bilden Sphären, in denen die lebendige Beziehung zwischen Gott und Israel, Gott und Menschheit eine fassbare Gestalt annimmt. Dieses Korrelationsverhältnis bestimmt auch die Regulative der Thora, wie es umgekehrt erst durch diese Regulative als eine befreiende, das Leben ordnende und strukturierende Macht erfahrbar wird: So verwandelt nach Cohen die von Gott in Lev 19,1 geforderte Heiligkeit Israels „alle mythische Heiligkeit mit einem Schlage in die neue Bedeutung der Sittlichkeit. … Und die Erteilung, wie die Lösung dieser Aufgabe, wird nur bedingt durch die Korrelation zwischen Mensch und Gott.“143 In deren geschichtlicher Konkretion gewinnen die Offenbarungsdokumente Gestalt, in denen sich die Entwicklung zum ethischen Monotheismus mit seiner Entfatalisierung und Entmythologisierung von Natur, Politik und Geschichte niederschlägt, und die wesentlich von den Propheten vorangetrieben wird, die bei allem Patriotismus doch wahre „messianische Weltbürger“ sind144. Ihr Gott beschränkt sich in seiner Zuständigkeit nicht auf Israel, sondern ist zugleich derjenige der Menschheit, auf welche die gott-menschliche Korrelation sich ausweitet; der Einheit Gottes entspricht die Einheit der Menschheit: „Nicht um Gott dreht sich der Propheten Sinn, ihr Trachten und ihr Handeln, noch auch um den Menschen in seinem empirischen Dasein, als Volk und Staat, sondern ein neuer Mensch, die Menschheit wird ihr Begriff vom Menschen. Und mit diesem neuen Menschenbegriffe vernichten sie die Götterwelt und entdecken und offenbaren den Einzigen Gott der Einen Menschheit.“145 Diese Beziehung realisiert sich nach Cohen aber nicht nur in der sittlichen Forderung, im Gebot, sondern ebenso im performativen Akt des Gebets; das larSy imD (Dtn 6,4f) repräsentiert beides in höchster Verdichtung. Das Gebet ist weder Ausdruck des ‚Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit‘ im Sinne Schleiermachers, noch zielt es im Sinne einer bestimmten Mystik auf die

143 144 145

Cohen 1915b: 8f. Cohen 1929: 26. Cohen 1915: 33.

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Verschmelzung von Endlichem und Unendlichem. Als die „eigentliche Sprache der Religion“, ja als „die Sprachhandlung …, in welcher der Wille lebendig wird in allen Mitteln des Denkens“ ist es „die Grundkraft der religiösen Idealisierung, welche die Welt der Gemeinschaft von Gott und Mensch, welche die Korrelation fordert, stets von neuem hervorbringt und befestigt“146. Der Gedanke einer gott-menschlichen Korrelation findet sich – ohne jeden Bezug auf Hermann Cohen– auch bei Paul Tillich, wobei Gegenstand und theologische Methode eng aufeinander bezogen sind, insofern die Beziehung „zwischen Gott und Mensch“, wie Tillich betont, eine Korrelation „auch nach der Seite des Erkennens“ ist. „Gott antwortet auf die Fragen des Menschen, und unter dem Eindruck von Gottes Antworten stellt der Mensch sein Fragen. Die Theologie formuliert die in der menschlichen Existenz beschlossenen Fragen, und die Theologie formuliert die in der göttlichen Selbstbekundung liegenden Antworten in Richtung der Fragen, die in der menschlichen Existenz liegen. … Die im Offenbarungsereignis liegenden Antworten sind nur sinnvoll, sofern sie in Korrelation stehen mit Fragen, die das Ganze unserer Existenz betreffen, also mit existentiellen Fragen. Nur wer die Erschütterung der Vergänglichkeit, die Angst, in der er seiner Endlichkeit gewahr wurde, die Drohung des Nichtseins, kann verstehen, was der Gottesgedanke meint. Nur wer die tragische Zweideutigkeit unserer geschichtlichen Existenz erfahren und den Sinn des Daseins völlig in Frage gestellt hat, kann begreifen, was das Symbol des Reiches Gottes aussagen will. Die Offenbarung beantwortet Fragen, die je und je gestellt worden sind, und immer wieder gestellt werden, da wir selbst diese Fragen sind.“147 Insofern ist es durchaus richtig, wenn Tillich von einer engen Beziehung zwischen theologischer Methode und Bewegung und Struktur der Sache, d.h. des Offenbarungsgeschehens spricht, ja die theologische Reflexion gehört selbst zur ‚Sache‘, insofern zwar die kanonischen Texte abgeschlossen sind, nicht jedoch die in der Offenbarung liegende Dynamik. Tillich setzt das Modell der Korrela146 147

Cohen 1929: 463. Tillich ST I: 73-80, hier: 75f; vgl. auch Ringleben 2003: 15-24.

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tion kritisch ab von einem supranaturalistischen (in der Sprache Rahners und Blondels: extrinsezistischen), demgemäß, wie erinnerlich, die Offenbarung durch äußere wunderbare Zeichen und Mitteilungen beglaubigt und autorisiert wird; aber auch von einem naturalistischen Modell, das die Offenbarung bruchlos aus „dem natürlichen Zustand des Menschen“ deduziert, darüber aber vergisst, dass dieser ‚natürlich Zustand‘ nicht klar und durchsichtig, sondern eher fraglich und von Brüchen gekennzeichnet ist. Ebenso unbefriedigt bleibt nach Tillich das von der katholischen Neuscholastik vertretene ‚dualistische Modell‘, das am ehesten dem Zwei- oder Dreistockwerke-Modell Blondels entspricht148. Trotz dieser Abgrenzungen von älteren Modellen und der positiven Bestimmung des eigenen bleibt bei Tillich der Begriff der Korrelation unterbestimmt. Er bezieht sich ja keineswegs nur auf ein Frage-Antwort-Modell, sondern beinhaltet auch, dass im Zuge der Offenbarung Fragen korrigiert, modifiziert oder als falsch gestellt sogar verschwinden. Nicht nur der Mensch, auch Gott hat nach biblischem Verständnis Fragen, zuweilen sogar sehr unangenehme und peinliche wie bereits die an Kain gerichtete, wo sein Bruder Abel sei (vgl. Gen 4,9). Dass die menschliche Faktizität und Normalität Gegenstand des Gerichts ist, verurteilt und zugleich neu ausgerichtet wird, sollte man nicht übersehen, zumal sie dem Gedanken der Korrelation keineswegs widerspricht, sondern ihn eher vertieft. Hermann Cohen hat gerade diesen Aspekt deutlicher herausgearbeitet als Tillich. Der Mensch ist sich nicht bloß Frage als ein vom Tode oder vom ‚Nichts‘ Bedrohter, sondern auch hinsichtlich seiner sozialen Verfassung, seiner Haltung zu den Mitmenschen usw. Diese Fragen beantwortet Gott zwar nicht direkt – alle Gottesreden der Bibel sind zunächst menschliche Reden – wohl aber entstehen die Antworten im Kontext dieses Korrelationsverhältnisses, das so auch seine näheren Bestimmungen erhält. Es ist der Ausbruch aus einer mythischen, d.h. vom Schicksal bestimmten Welt, einer Welt, in der – leider bis heute – die sozialen Verhältnisse schicksalhafte Züge annehmen, obwohl sie von

148

Vgl. Tillich ST I: 79f.

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Menschen gemacht sind. Die Depotenzierung der falschen Götter und mythischen Mächte – von Pharao bis zum Tod als der letzten Macht, der niemand zu entrinnen scheint – gehört zu einem wesentlichen Merkmal dieser Korrelation, in der das erste Gebot zu Bewusstsein kommt und soziale Gestalt annimmt. In diesem Sinne ließe sich auch von einer Ermöglichung menschlicher Transzendenz sprechen, die kein leerer Begriff, keine Phrase sein soll, sondern mit endlich-geschichtlicher Bedeutung verbunden sein muss. Unter dieser Voraussetzung lässt sich gerade der kontrafaktische, kritische und fremdartige Zug der Offenbarung, den Karl Barth mit Recht hervorhob, mit einem differenzierten Modell der Korrelation durchaus verbinden. Es kennt nämlich als Durchkreuzung allzu vertrauter Wege, Herrschaftsformen und gesellschaftlicher Zustände sehr wohl das „Zwischenhineinkommen“, wie Barth das nicht Planmäßige und Erwartbare des Wortes Gottes nennt149. Es ist eben nicht die göttliche Bestätigung der menschlichen Ordnung und sei es der angeblich gottgewollten, sondern deren Infragestellung150. Damit wird allerdings das Moment der Vermittlung – einschließlich all seiner möglichen und realen Zweideutigkeiten – nicht schon annulliert. Die reine Offenbarung oder revelatio immediata als „das Reden Gottes an sich“151 bleibt ein Grenzbegriff der Theologie, der darauf verweist, dass Gott und seine Zuwendung zum Menschen weder innerhalb der Vermittlung noch innerhalb der menschlichen Sphäre aufgehen und so zu einem bloßen Moment menschlicher Geschichte und Gesellschaft werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist die revelatio immediata mehr als ein bloßer Begriffsfetisch, den die Theologie kreiert, um im nächsten Moment den menschlichen Fingerabdruck von ihm abzuwischen und so zu tun als sei die Offenbarung Gottes tatsächlich ‚vom Himmel gefallen‘. Die Sehnsucht nach Unmittelbarkeit verleitet das Denken nicht selten dazu, seine eigenen Produkte anzubeten, die sich doch der Abstraktion von allen innerweltlichen, menschlichen Be-

149 150 151

Vgl. Barth 1982: 98; zu Barth siehe v. Stosch 2010: 65-69. Vgl. Barth 1982: 97 und 99f. Ebd.: 67.

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stimmungen verdanken. In der Kritik theologischer Begriffsfetische müssen wir so weit gehen, auch noch die Rede vom Wort Gottes unter Anthropomorphismus-Verdacht zu stellen Vernehmbare, verstehbare und deutbare Worte können immer nur menschliche sein; die Selbstmitteilung Gottes in ihrer ungebrochenen, unendlichen Fülle und Alterität wäre entweder für den Menschen gänzlich unverständlich oder sogar im Zusammenprall von Endlichem und Unendlichem destruktiv. Darum bleibt es bei der Korrelation, in welcher das Unbedingte zugleich ergriffen, vorausgesetzt und ausdifferenziert wird, so dass Handlung, Sprache, Schrift und soziale Gruppen entstehen und die Gott in seiner Offenbarung gleichsam Wohnung nimmt unter Menschen. In der gott-menschlichen Korrelation, nicht jenseits von ihr, nicht außerhalb der problematischen und zweideutigen Geschichte, lässt sich das erahnen, was über die normative Kraft des Faktischen hinausweist und das Bestehende prüft, ja richtet. Rahners Frage nach dem Kriterium gelungener Auslegung der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte käme mithilfe eines korrelativen Modells ihrer Antwort deutlich näher. Wenn mit der Selbstmitteilung Gottes in ihrer leiblich-geschichtlichen Konkretion und zugleich der menschlichen Annahme eben dieser Selbstoffenbarung etwas Fassbares gemeint sein soll, so genügt nicht der Hinweis auf die Gestalt Christi. Sie steht vielmehr in einer Kontinuität zu einer Offenbarungsgeschichte, in der das ‚Selbst‘ Gottes negativ wie positiv stärker konturiert, nicht aber ausgeschöpft wird: Es zeigt sich nicht zuletzt in der Entmachtung mythischer Schicksalsmächte, die den Alltag der Menschen ebenso wie ihre politischen und ökonomischen Einrichtungen beherrschen, die dafür sorgen dass die von Menschen ‚gemachte‘ Geschichte eine unmenschliche Veranstaltung – Hegels berühmte Schlachtbank – wird und die im alles vernichtenden Tod ihr Telos haben. Es sind aber Mächte, die ihren Sitz nicht im Himmel beziehen und keine Schickungen Gottes sind, sondern Produkte von Menschen, denen ihre eigenen Hervorbringungen als machtvolle äußere Instanzen fremd und äußerlich gegenüberstehen. Offenbarung, einmal geschichtlich ausbuchsta-

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biert, bedeutet also die Entfatalisierung des menschlichen Daseins, die Entzauberung einer Wirklichkeit, die sich in einem Traumschlaf befindet, der Monster hervorbringt. Die Welt taucht in der Offenbarung gerade nicht in eine phantasmagorische Illusion ein, sondern erwacht aus ihr. „Gott“, schreibt Hermann Cohen nicht ohne Pathos, „ist kein Schicksalsbegriff“152, seine geschichtliche Offenbarung ist die Befreiung der Menschen von den alten Abhängigkeiten und selbst geschmiedeten Ketten; alle Korrelation zwischen Gott und Mensch ist darum nicht einfach ein Frage-Antwort-Spiel, sondern gewinnt Konturen als Kritik, die nicht das Opfer unserer ohnehin schwachen Vernunft fordert, sondern deren Kraft zur Unterscheidung eher steigert. In den biblischen Schriften fand dies, wie wir nun sehen werden, einen frühen Niederschlag. c) gung

Schrift als kristallisierte Traditionsgeschichte – und ihre VerflüssiDamit sind unsere Überlegungen wieder zur Schrift als zwar inspirier-

tes, aber von Menschen verfasstes Dokument der gott-menschlichen Korrelation zurückgekehrt. Der Text, in dem die Selbstmitteilung Gottes erst Bedeutung gewinnt, ist in seiner vorliegenden kanonischen Gestalt zwar begrenzt, aber hinsichtlich seines Ursprungs und seiner weiteren Entfaltungsmöglichkeiten unendlich – wenn auch nicht beliebig: Geschichtliche Erfahrung begrenzt oder besser: bestimmt die konkreten Entfaltungen des unendlichen Deutungspotenzials des göttlichen Wortes (wenn überhaupt dieser anthropomorphe Begriff des ‚Wortes‘ hier verwendet werden darf). Keine Beliebigkeit also, kein harmlosen Spiel der Deutungen und Bedeutungen, sondern Erhellung dessen, was es geschichtlich geschlagen hat. Darauf zielen nicht nur die Mahnungen der Propheten, sondern ebenso die narrativen Teile der Bibel, welche die – wie es bei Jan Assmann heißt – fundierenden Geschichten Israels (und, denken wir an die Osternachtliturgie, auch des Christentums) bilden. Im Unterschied zu den übrigen altorientalischen Kulturen „setzt Israel einen geschichtlichen Mythos ein und verinnerlicht dadurch sein geschichtliches Werden ...“ Die mit Nachdruck geforderte Er152

Cohen 1929: 26.

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innerung gilt einem Ereignis, das inner- nicht vorgeschichtlich angesiedelt wird. Vom Raum verlagert sich der Schwerpunkt auf die Zeit; „an die Stelle einer Semiotisierung des Kosmos tritt die Semiotisierung der Geschichte“153 Diese ‚Semiotisierung der Geschichte‘ geschah und geschieht spätestens seit der frühnachexilischen Zeit im Zeichen der Einzigkeit Gottes. Sie ist nicht nur ein erst in der nachexilischen Zeit ausformuliertes und sich durchsetzendes Bekenntnis, sondern bezeichnet auch eine bestimmte Form der Relationen zwischen Gott und Menschen ebenso wie zwischen den Menschen untereinander. „Die Einheit Gottes“, schreibt Frank Crüsemann, „mußte in einer Durcharbeitung der gesamten Realität in einer Neudefinition jeder Wirklichkeit Gestalt gewinnen.“154 Die Welt, auf welche sich auch der Polytheismus bezog, wird also nicht abstrakt negiert oder spiritualisiert, sondern – theoretisch wie praktisch – neu geordnet. In der kanonischen Endgestalt, die auch die Aufmerksamkeit der Leser lenkt und die Lesart älterer Traditionen zu bestimmen versucht, liegt ein Gegenmodell zur Normalität vor, das auch von der christlichen Theologie zu entdecken ist. Die Regulative, das ‚Gesetz’, werden profiliert als „contre-loi“, wie Esther Benbassa und Jean Christophe Attias dies treffend bezeichnen155. Dieses Gegen-Gesetz ist eine Absage an jene Regeln, welche die bisherige historische und gesellschaftliche Normalität prägen. Inmitten der Geschichte artikuliert sich das Andere zur Geschichte und ihren vermeintlichen Gesetzen; „vor allem die hartnäckige Ablehnung einer politischen und sozialen Ordnung“, die, wie Emmanuel Levinas schreibt, „nach wie vor keine Rücksicht auf die Schwachen nimmt und kein Mitleid mit den Besiegten hat, die sich als unerbittliche Weltgeschichte einer offensichtlich unerlösten Welt abspielt. Ererbtes Dissidententum, Halsstarrigkeit, Hintersinn, Widerstand gegen den reinen Sachzwang, Störfaktor.“156 Ähnlich und den Gedanken Levinasʼ hier eng verwandt konstatierte auf christlicher Seite 153

Beide Zitate: Assmann 1999: 78. Yosef Hayim Yerushalmi möchte in Ermangelung eines besseres Begriffs „von einem „Geschichtsmidrasch sprechen. Es ist, als wäre Geschichte zu einem Text geworden, der sich durch eine Hermeneutik auslegen ließ, die sich aus den Grundprämissen des israelitischen Glaubens ganz natürlich und wie von selbst ergab.“ (Yerushalmi 1993: 93) 154 Frank Crüsemann 1997: 424; vgl. ders. 2003: 38-48. 155 Benbassa / Attias 2002: 90. 156 Levinas 2005: 9. Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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Henri de Lubac: Im Monotheismus, wie er sich in den biblischen Traditionen herausbildete, „behauptet sich der einzige Gott mit einer grimmigen Ausschließlichkeit: ‘Gott allein ist Gott’. Er ist nicht das Ergebnis irgendeiner Verdichtung noch irgendeines Synkretismus, weder eines intellektuellen noch politischen. Er stellt eine Weltordnung auf und heiligt sie. Zu diesem Gott gelangt man nicht über andere Götter, sondern muß sich zu ihm bekehren, indem man die Götzenbilder zerschlägt – die von Hand geschnitzten, wie die im Herzen geschmiedeten“157. Dieses in der Thora Gestalt gewinnende Gegenmodell zur Normalität, welches das Verbot einschließt, sich von Gott ein Bild zu machen und sich seiner im (magisch besetzten) Bild zu bemächtigen, umfasst negativ das „Verbot, das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit“158 und positiv einen alternativen way of life, wie er in der Thora konturiert und neutestamentlich keineswegs revoziert wird159. „Die Tora“, so kann man mit Frank Crüsemann zusammenfassen, „gehört damit gerade in ihrer großen thematischen Breite und Vielfalt zur Kontur des biblischen Gottes.“160 Reflektierte geschichtliche Erfahrung, theologischer wie ethischer Anspruch und Hoffnungen werden Text einzig in einem bestimmten sozialen Raum. Es entstanden also nicht zuerst die Schrift in ihrer vorliegenden Gestalt und nach ihr die Kirche bzw. das rabbinische Judentum. Die Genese der Schrift(en) und die Genese der beiden Gemeinschaften sind vielmehr eng miteinander verbunden. Schriften verbindlichen Gehalts verdanken sich dem Interesse eines bestimmten sozialen Verbandes, in unserem Falle den unterschiedlichen religiösen Gruppen im Alten Israel und im Frühjudentum, der Kirche und der Synagoge. Der Kanon heiliger Schriften umfasst in beiden Gemeinschaften unterschiedliche Texte: Im Judentum nimmt gegen 100 n. Chr. der ‫תורה( תנ’’ך‬, ‫ נביאים‬und ‫ כתובים‬/ Thora, Propheten und Schriften), die hebräische Bibel, erste Gestalt an. Der masoreti-

157 158

159 160

Lubac 1992: 24f. Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944/47), in: Adorno GS 3, hier: 40. Vgl. hierzu Buchholz 2011: 201-204. Frank Crüsemann in Kampling/Weinrich 2003: 119.

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sche Text mit Leseanleitungen, Masora parva, Masora magna und Vokalzeichen liegt aber erst einige Jahrhunderte später vor und ist wohl nicht zu trennen von der Entwicklung der beiden Religionsgemeinschaften. Er orientiert sich nicht in Umfang und Aufbau an der Septuaginta, die in den Griechisch sprechenden Gemeinden der Diaspora eine größere Rolle spielte und im frühen Christentum ein hohes Ansehen genoss. Die Septuaginta, die ihren Namen gemäß des Aristeasbriefes von den 70, genauer: 72 Übersetzern empfing, entstand seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert bis in neutestamentliche Zeit hinein. Es handelt sich um die umfassendste, aber nicht einzige Übersetzung biblischer Texte ins Griechische. Sie bestimmt den ersten Teil des katholischen Kanons, wie er auf dem Trienter Konzil (1545-1563) definiert wurde161, während die evangelischen Kirchen sich auf den Textumfang der hebräischen Bibel beschränkten. Neben den griechischen Übersetzungen gibt es auch Übertragungen biblischer Schriften ins Aramäische (Targum, Targumim), jener Sprache, die zur Zeit Jesu in Palästina gesprochen wurde und in der auch in späteren Jahrhunderten weite Teile des Talmud verfasst wurden. Zu nennen sind vor allem der Targum Onkelos, eine aramäische Übersetzung des Pentateuchs, und der Targum Jonathan, eine Übersetzung der Propheten. Die Entstehung der Schrift ist ein wesentlicher Aspekt der bleibenden geschichtlichen Präsenz der Offenbarung: als notwendige Bedingung der Überlieferung und als Ausbildung ihrer normativen Seite ist die Schriftwerdung anzusehen, wobei sich mit ihr auch Elemente einer Zensur verbinden, die eine Reihe von Traditionen in den außerkanonischen, kryptischen Bereich verbannt. Die Interessen, unter denen das geschieht, sind keineswegs unproblematisch und durchaus diskutabel. Kanonische Entscheidungen sind nicht selten das Ergebnis bestehender Konflikte und begründen das Monopol einer bestimmten Lesart. Soweit dem jüdischen und christlichen Offenbarungsverständnis auch normative Aspekte eignen, ist die praktisch-leibliche Seite mit der Schriftwerdung eng ver-

161

Vgl. DH 1501.

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bunden, kann aber durch sie nicht einfach ersetzt werden: das Wort muss sich verleiblichen, und zwar nicht nur aus christlicher Sicht. In den sozialen Formen – christliche wie jüdische Ortsgemeinden und ihre Verbindung untereinander – soll Offenbarung eine das Leben prägende Kraft erhalten und die Wirklichkeit verändern. Erst in dieser von praktischen Erfordernissen angestoßenen Ausdifferenzierung kann die Schrift mehr sein als ein im Grunde beliebiger Text. Traditionen, d.h. Interpretationen generieren aufgrund praktischer Bedürfnisse neue Traditionen usf., wobei nicht jeder Tradition gleiches Gewicht zukommt. Im Raum der frühen Kirche einerseits und des entstehenden rabbinischen Judentums andererseits vollendet sich der Kanon der hebräischen Bibel bzw. ihrer Übersetzungen (christlich). Die Thora liegt in ihrer heutigen Gestalt bereits vor, das Corpus prophetischer Schriften ist im ersten nachchristlichen Jahrhundert in großen Teilen vollendet, strittig sind noch einige Zeit Bücher der Weisheitsliteratur. Ein besiegelter Kanon, wie er für die drei monotheistischen Religionen kennzeichnend ist, verdankt seine Entstehung letztlich ebenfalls einem Konsens darüber, welche Texte als inspiriert und verbindlich gelten, doch steht der einmal festgelegte Umfang nicht mehr zur Disposition, sondern erfährt seine Aktualisierung durch schöpferische Interpretation, die, wie in der rabbinischen Literatur oder der Auslegung der Kirchenväter, dem Wortlaut des Textes sogar zuwiderlaufen kann. Das Neue Testament entsteht später erst – man hatte ja schon Heilige Schrift – und es dauerte geraume Zeit, bis der neutestamentliche Kanon konsensfähig ist. Die Notwendigkeit zu einer kanonischen Entscheidung ergab sich vor allem durch die markionitische und gnostische Abwertung des Alten Testaments und die Zensur, die Markion im zweiten Jahrhundert an neutestamentlichen Texten übte: Für ihn war das Alte Testament nur das Zeugnis eines kleinlichen, untergeordnetes Gottes und konnte nicht den Status einer normativen Offenbarung beanspruchen. Von den neutestamentlichen Schriften übernahm Markion lediglich ein überarbeitetes Lukasevangelium und Teile der Paulusbriefe. Die kirchli-

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che Distanzierung von Markion und ihr Bekenntnis zum Alten Testament beinhaltete jedoch nicht automatisch eine Anerkennung des Judentums, vielmehr betrachtete sich die christliche Kirche bis in die Moderne hinein als Nachfolgerin Israels (verus Israel) und einzig legitime Interpretin des Alten Testaments, das sie mit einer kühnen Hermeneutik als praeparatio evangelii las. Entsprechend diente der Kanon auch als Abgrenzung vom Judentum und von bestimmten judenchristlichen Gruppen. Am Ende des langen Prozesses der Kanongenese steht ein Corpus von Schriften, das die kirchliche Überlieferung als vom göttlichen Geist inspiriert ansieht. Für die katholische Kirche bildet sie zusammen mit der lebendigen Entwicklung der Tradition eine normative Quelle theologischer Erkenntnis, für die evangelische Kirche ist die Schrift die einzige (sola scriptura) Autorität, an der Kirche, Theologie und Verkündigung sich zu orientieren haben. Was aber genau meint nun Inspiration der Schrift? Der Streit zwischen Juden und Christen, Markioniten, Gnostikern und kirchlicher Orthodoxie ging ja um heilige Texte, die Gott zum Urheber haben sollen. Karl Rahner hatte schon in den fünfziger Jahren einen Vorschlag gemacht, wie angesichts der langen historischen Entstehungszeit, der unterschiedlichen Interessen und Urheberschaften der Schriften noch von Inspiration gesprochen werden kann. Die Ansicht, dass Gott den menschlichen Verfassern der biblischen Bücher den Text Wort für Wort eingibt, ist seit der Frühaufklärung historisch und philosophisch unhaltbar geworden; sie wird heute nur noch in fundamentalistischen Kreisen vertreten. Für Rahner sind die Schriftgenese und die Genese der Kirche nicht voneinander zu trennen. Die Entstehung der Urkirche gehört selbst zur eschatologischen Tat Gottes; sie ist von Gott gestiftet, insofern sie, wie wir schon sahen, „die greifbare Repräsentanz seines freien, siegreichen, unbedingten Heilswillens”162 mitsamt seiner freien menschlichen Annahme darstellt. Und im Raum dieser geisterfüllten Urkirche als normativem Anfang entsteht das Neue Testament. Dieses ist zwar entfaltetes Wort

162

Rahner 1958, 47

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Gottes, aber „ebenso ursprünglich Selbstdarstellung des Glaubens der Kirche, schriftliche Konkretisierung dessen ..., was die Urkirche glaubte und was glaubend sie sich selbst konstituierte.“ Die Genese von Schrift und Kirche muss strikt als Einheit angesehen werden, d.h. die „Schriften des Neuen Bundes entstehen als Lebensvollzüge der Kirche“163 und werden später im Kanon von anderen schriftlichen Traditionen der Urkirche und des frühen Christentums bewusst abgegrenzt. „Die Schriftinspiration“, fasst Rahner zusammen, „ist nur ... einfach die Kirchenurheberschaft Gottes, insofern diese sich gerade auf jenes konstitutive Element der Urkirche als solcher bezieht, das eben die Schrift ist.“ (ebd. 58) Dem in der Urkirche repräsentierten Anfang und den dort ausgebildeten Überlieferungen kommt bleibende Bedeutung zu: In ihr entsteht die Briefund Evangelienliteratur, die später kanonische Geltung erlangt, und auf die Urkirche führen sich, zuweilen in historisch kühner Konstruktion, spätere Traditionen zurück, die damit als apostolisch legitimiert sind. Freilich: Auch die Urkirche empfängt bekanntlich heilige Schriften, und es fällt auf, dass Rahner zögert, jene normative, schriftgenerierende Bedeutung, die er der Urkirche attestiert, auch Israel als erwähltem Gottesvolk zuzubilligen – eine Schwierigkeit, die schon an anderer Stelle in Rahners Charakterisierung des Alten Testaments als bloße Vorgeschichte des Neuen, respektive des Christusereignisses auffiel. Die Urkirche setzte ganz selbstverständlich die heiligen Schriften Israels voraus, wenn auch wohl in Fassungen der Septuaginta. Als ‘schriftgemäß’ musste sich ja ihr eigener Anspruch ausweisen lassen. Das Modell einer normativen, inspirierten und das göttliche Wort entfaltenden Schrift lag, wie auch Meinrad Limbeck gegen Rahner einwendet, der Urkirche bereits vor und prägte entscheidend ihren Lebensvollzug164. Sie war keineswegs frei, der Bibel Israels, die (in welcher konkreten Gestalt und Übersetzung auch immer) der Botschaft Jesu zugrunde lag, ihre Anerkennung zu verweigern, ohne ihre eigene Basis zu zerstören. Es reicht darum nicht, im Alten Testament lediglich die 163 164

Rahner 1958 56. Vgl. Limbeck in HFTh 4: 51f, Anm. 70.

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„Vorgeschichte der Kirche“165 zu sehen, die doch selbst erst Anfang und nicht schon realisierte Erfüllung ist. Das Alte oder, in Erich Zengers Worten, das Erste Testament bildet die gültige Norm der neutestamentlichen Autoren. Die Kirche trug dem Rechnung, indem sie das Alte Testament weder nur auszugsweise übernahm, noch seinen Text christlich überarbeitete, sondern es als ganzes dem Neuen voranstellte, so dass das Christentum über eine zweigeteilte Bibel verfügt, deren erster, umfangreicherer Teil nicht im Raum der Urkirche entstand, sondern in Israel, auf das die Kirche, die keineswegs dessen ‘Erbschaft’ antritt, bleibend verwiesen ist. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass das Neue Testament im Lichte des Alten Testaments zu lesen ist – und nicht umgekehrt. Es bleibt abzuwarten, ob sich in der christlichen Hermeneutik diese Einsicht, die dem kanongeschichtlichen Befund entspringt, durchsetzen wird. Nicht nur die Schrift, auch die sie aktualisierende Tradition hat in der Kirche ihren Ort. Wie die Schrift selbst nichts ist als kristallisierte Traditionsgeschichte, die in jeder Generation verflüssigt und gemäß den veränderten historischen Bedingungen aktualisiert werden muss, so unterliegt auch die nachbiblische Tradition entsprechenden Veränderungen. „Weil der Buchstabe fest ist und kein Jota geändert werden darf“, schreibt Jan Assmann, „weil aber andererseits die Welt des Menschen fortwährender Änderung unterworfen ist, besteht eine Distanz zwischen festgestelltem Text und wandelbarer Wirklichkeit, die nur durch Deutung zu überbrücken ist.“166 Dies produziert eine Fülle von Deutungen und Überlieferungen; ohne den fixierten Textbestand anzutasten, generiert die situationsbezogene Deutung eine heterogene Traditionsgeschichte. Schrift als gleichsam kristallisierte Traditionsgeschichte bedarf der weiteren Deutung, der Kommentare, die jenes ‚Kristall‘ wieder verflüssigen und so aktualisieren. Dieser Umstand ist auch von der systematischen Theologie zu reflektieren, wenn der Begriff einer Selbstmitteilung Gottes keine Leerformel sein, sondern – ohne in ein instruktionstheoretisches Offenbarungsverständnis zurückzufallen – qualita165 166

Rahner 1958, 61. Assmann 2000, 59.

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tiv bestimmt und die geschichtlich determinierte gott-menschliche Relation mit verstehbarem Inhalt gefüllt werden soll. d) Was ist Religion? Systematische Annäherung

Aber über die ‚amtliche

Offenbarung‘ oder das ‚amtliche Offenbarungsdokument‘ hinaus objektiviert sich die Selbstmitteilung Gottes, die sich auf alle Menschen bezieht, auch in anderen kulturellen Kontexten, worauf Rahner hinwies und was im II. Vatikanischen Konzil auch lehramtlich bekräftigt wurde167. Insofern wird man kaum mit Karl Barth ‚die‘ Religion – bei aller Ambivalenz, die ihr eignet – als „Unglaube“, d.h. als eine bestimmte Form der menschlichen Selbstbehauptung gegenüber Gott ansehen können168. Abgesehen davon, dass es keine innergeschichtliche Größe gibt, die aller Zweideutigkeit enthobenen wäre und jeder Sprung in die Unmittelbarkeit einer ungetrübten Nähe zu Gott auf bloßem Wunsch beruht, wird es schwierig anzugeben, was denn die Alternative zur Religion darstelle: die Offenbarung als deren Aufhebung169; der Glaube des Einzelnen oder der Kirche? Aber die Offenbarung ohne einen Anhalt in der sozialen Wirklichkeit, in der sie doch verwandelnd sich manifestieren soll, bleibt nichtig und für den Glauben gilt ähnliches: er bleibt Fiktion, wen er nicht eine ‚objektive‘, empirische Größe wird. Folgt man hingegen einem korrelativen Modell, dann könnte man Religionen bestimmten als Objektivationen, in den sich die gottmenschliche Beziehung verwirklicht, soziale Gestalt gewinnt und so konkretisiert. Damit haben wir aber einer möglichen Antwort auf die Frage, was Religion sei, schon weit vorausgegriffen. Wenn wir nicht den alten Verdacht der Aufklärung, Religion sei eine Erfindung schlauer Betrüger, die von den Ängsten und der Unwissenheit der Massen profitieren wollen, wiederholen möchten, so werden wir rasch feststellen, dass eine Definition von Religion überaus schwierig ist. Eine Rückführung des lateinischen Wortes religio auf die Bedeutung von ‚Bindung‘ oder ‚Verbindung mit Gott‘ führt nicht sehr weit. Der moderne Reli167 168 169

Vgl. etwa Nostra aetate Nr. 1; Lumen gentium Nr.15 und 16. Vgl. Barth KD I/2: 324-356. Vgl. ebd.

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gionsbegriff lässt sich zudem nicht einfach in die Vergangenheit projizieren. Der Antike war jene weitgehende Differenzierung der Gesellschaft in Kultur, Politik, Wirtschaft und eben Religion mit ihrer jeweiligen Eigenlogik noch fremd; Religion umfasste vielmehr alle Bereiche des individuellen wie gesellschaftlichen Lebens und war nicht, wie in den modernen Gesellschaften, einer eigenen Sphäre vorbehalten, wo sie zwar ihren verfassungsgemäß garantierten Freiraum hat, aber auch in der Gefahr steht, im Bereich privater Beliebigkeit und Unverbindlichkeit neutralisiert zu werden. Aber auch die spezifische Gestalt, die Religion im okzidentalen oder mediterranen Kontext gewonnen hat, lässt sich nicht einfach auf andere Phänomene übertragen; so kann ein personaler Gottesbegriff im Sinne der monotheistischen Religionen kaum als Basis etwa für den Buddhismus vorausgesetzt werden; selbst wenn man die Bezeichnung des Buddhismus als ‚atheistisch‘ ablehnt170. Für ihn spielt eine sei es plural sich darstellende, sei es Einzigkeit beanspruchende Gottheit keine grundlegende Rolle – ein Umstand, der uns noch bei der Diskussion pluralistischer Religionstheologien beschäftigen wird. Mit der neuzeitlichen Wendung zum Subjekt einerseits und den Fortschritten der historischen Forschung andererseits werden in rascher Folge unterschiedliche Definitionen von Religion entwickelt, von denen jedoch keine dauerhaft konsensfähig und konkurrenzlos wurde; ja es ist fraglich, ob man überhaupt von Religion im Singular sprechen dürfe oder nicht doch besser von ‚religiösen Traditionen‘, was nicht nur der Vielfalt von Religionen Rechnung trägt, sondern auch der Pluralität innerhalb bestimmter religiöser Makrogebilden. Der Singular beansprucht bereits, dass es ein religiöses ‚Basisphänomen‘ gibt, das man entweder auf ein ursprüngliches Erlebnis oder auf das Selbstbewusstsein, auf eine reflexiven Vorgang also, zurückführt. Mit dem Primat des Geistes innerhalb des

170

So Waldenfels im Artikel Gott VIII, LexRel: 231. Alfred Weil erinnert an die Schwierigkeit, den Buddhismus „nach gewohnten westlichen Denkmustern“ einzuordnen: „Weil er auf einen andere, höhere und freiere realität Bezug nimmt, kann er als Religion gelten. Insoweit er die Daseinswirklichkeit systematisch reflektiert, ist er auch Philosophie, und als System der Selbstbeobachtung genauso Psychologie.“ (Waldenfels/Weil 2005: 196)

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idealistischen Diskurses erhält Religion als eine bestimmte Stufe der Entwicklung auch ihren Ort. Sie ist, wie Hegel in seinen Vorlesung zur Philosophie der Religion darlegte, „das Bewußtsein des an und für sich Wahren“ oder, wie es wenig später präzisierend heißt, „das Bewußtsein des Göttlichen“171. Insofern bildet die Religion eine Stufe des absoluten Geistes und gründet nicht im Irrationalen, sondern in der Selbstbewegung und geschichtlichen Selbstexplikation des Geistes. Zu diesen Selbstexplikationen gehört der ‚objektive Geist‘, wie er sich geschichtlich und institutionell in der bürgerlichen Gesellschaft, im Staat und im Verhältnis der Staaten zueinander darstellt, aber auch die Kunst, die, wie die Religion auf das Moment der Sinnlichkeit verweisen bleibt. „Der Begriff der Religion in ihrem spekulativen, absoluten Sinn genommen“, kann Hegel an anderer Stelle formulieren, „ist der Begriff des Geistes, der seines Wesens, seiner selbst bewußt ist172.“ Religionsphänomenologisch lassen sich die bestimmte Religion und die offenbare Religion unterscheiden. In ihren historischen und sozialen Formen, d.h. in Institution und Kult gibt sich die Religion ihre Bestimmung als ein sichtbares, substantielles, im Leben der Menschen Phänomen; als offenbare aber ist das, was in der bestimmten Religion zwar an sich, aber noch nicht dem Bewusstsein nach gegeben ist, erkannt worden – und darum offenbar173. Allerdings hat das religiöse Bewusstsein seinen Inhalt nicht schon angemessen im Begriff erfasst, sondern lediglich in den unterschiedlichen sinnlichen Objektivationen. „Für das nicht philosophische Bewußtsein“, konstatiert Hegel, „ist der Geist eben Gegenstand in sinnlicher Weise, in der Vorstellung.“174 So stellt für Hegel die Religion schwerlich die höchste Stufe des sich mit dem Absoluten zusammenschließenden Bewusstseins des Einzelwesens oder eines sozialen Verbandes dar. Erst die Philosophie bringt auf den Begriff, was in der Religion lediglich angeschaut und vorgestellt wird. Andererseits ist sie doch nicht bloße

171 172 173 174

Hegel 1983: 113 und 118. Ebd.: 55. Vgl. ebd.: 56-60 und 115. Ebd.: 60.

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Anschauung, sondern durchaus Erkenntnis, wenn auch durch die Anschauung vermittelt oder besser: in ihr symbolisiert. Den Akzent auf dem irrationalen Aspekt zumindest als Anfang des religiösen Bewusstseins finden wir bei Friedrich Schleiermacher, der ihn gegen den epistemologischen Charakter der Religion bei Hegel pointiert. Religion ist in einem ersten Schritt die Beziehung zum Absoluten in Gefühl und Sinnlichkeit, die Verbindung mit der Totalität, sie ist, wie es in der zweiten Rede Über die Religion (1799) heißt „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ oder auch das „Gefühl des Unendlichen“175. Sie steht nicht im Dienst der Moral, ist weder deren Anhängsel, noch der symbolische Ausdruck moralischen Bewusstseins, sondern bildet ein Reich sui generis. Mit Blick auf die Schöpfungstheologie und die bleibende Abhängigkeit alles Seienden vom Absoluten kann Schleiermacher in seiner Glaubenslehre (21830/31) die Religion auch bestimmen als das ‚Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit‘176. Zu nennen sind aber sowohl verwandte Gefühle wie Ehrfurcht, Demut und Dankbarkeit gegenüber dem Göttlichen oder dem Universum (als Verschränkung von Gott und Welt), wie Schleiermacher die unbestimmte Attraktion durch die höhere Macht auch nennt177, als auch Gefühle der Erhebung und der Selbstüberschreitung. Ob es sich um eine personal gedachte Gottheit, einen Weltengrund oder eine personalisierte Natur handelt, ist an diesem Punkt der Reflexion noch nicht entschieden. Aber dabei bleibt die Religion nicht stehen. Weil der Einzelne den unendlichen Gehalt der Religion niemals ganz erfassen kann und der Mensch sozial verfasst ist, wird die Religion „notwendig auch gesellig“, sie ist keine bloß individuelle Erhebung des Gemüts zum Absoluten178. Ferner ist sie nicht in ihrer vollständigen Entfaltung mit einem Mal vorhanden, sondern kennt verschiedene Stufen; man kann also von einer Evolution der Religion sprechen179. Es wäre also verfehlt, Schleiermacher

175 176 177 178 179

Schleiermacher 2008: 44 und 51. Vgl. Schleiermacher 1999a: 171, §32. Vgl. Schleiermacher 2008: 76-80. Ebd.: 115. Vgl. ebd.: 86-90.

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eine individualistische Engführung und Enthistorisierung der Religion zu unterstellen. Deren Fundierung in der „R e g i o n d e s G e f ü h l s “180 stieß allerdings auf die vehemente Kritik Hegels, der an Polemik nicht sparte: „Gründet sich Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das G e f ü h l s e i n e r A b h ä n g i g k e i t zu sein, und so wäre der Hund der beste Christ denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird.“181 Man mag zweifeln ob damit die Religionsphilosophie Schleiermachers adäquat getroffen wird, zumal das Gefühl im Fortgang der religiösen Evolution nicht das letzte Wort behält. Dennoch ist Hegels Kritik nicht von der Hand zu weisen: Gefühle bleiben ambivalent, und die Reduzierung der Religion auf das Gefühl der Abhängigkeit verkennt das zentrale Element der Kritik und der Befreiung zumindest in den biblischen Traditionen. Ob diese Befreiung sich primär auf den Geist bezieht, wie Hegel versichert, ist eher unwahrscheinlich, gewiss ist aber die leider auch heute wieder verbreitete „Misologie“, d.h. „die Verachtung und der Haß des Denkens“ ein schlechtes und wenig solides Fundament der Religion182. Dass sie eng verbunden ist mit Erkenntnis, durchaus Pflichten gegen den Anderen lehrt und diese ihr keineswegs äußerlich sind, wie Schleiermacher meint, wurde mit Grund u.a. von Hermann Cohen und Emmanuel Levinas vorgetragen. Das Bedürfnis, der Religion ein eigenes Reich, eine eigene Kompetenz zu sichern, darin sie ganz bei sich selbst und gleichsam zu Hause ist, kommt erst im bürgerlichen Zeitalter auf, wo neben Natur- und Geschichtswissenschaft, Philosophie und Kunst auch der Religion ein Platz gesichert werden soll. Der Preis dafür ist freilich hoch, denn sie wird aller epistemologischen, moralischen, kritischen und politischen Vermittlungen beraubt.

180 181 182

Hegel 1997: 75. Ebd.: 77f. Ebd.: 78.

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Radikaler noch als Schleiermacher reklamierte Rudolf Otto das Irrationale als wesentlicher Bestandteil der Religion. In strikter Abgrenzung vom rationalistischen Religionsbegriff rückt Otto das Heilige im Sinne des Erhabenen in das Zentrum des Interesses. Das bewunderte, faszinierende und in seiner Gewalt und bleibenden Rätselhaftigkeit auch zu fürchtende Heilige, eben das mysterium tremendum et fascinosum183, stifte einen Ordnung sui generis, und zwar, ähnlich der Argumentation Schleiermachers, jenseits der Moral, deren Regeln es sogar aufheben kann und fordert, was Menschen zu fordern niemals gestattet ist. Im archaischen Verständnis des Heiligen ist die „Ohnmacht gegenüber der Übermacht“ die „eigene Nichtigkeit“ gegenüber der göttlichen „majestas“184 repräsentiert. Otto beschränkte den Befund des Irrationalen nicht auf das Alte Testament und die Schriften des Alten Orients, sondern auch auf das Neue Testament, das bei aller Rationalisierung das Numinose keineswegs ausscheidet185. Auch die paulinische Prädestinationslehre befindet sich, so Otto, „auf schlechterdings irrationalem Gebiete“186. Die Prädestinationslehre entspringt dem Gefühl, vor der göttlichen Majestät, die keiner Rechtfertigung ihrer Ratschlüsse bedarf, in den Staub zu sinken187. Der Souverän befindet auch hier über den Ausnahmezustand. Man mag fragen, ob diese Intensivierung des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit den richtigen Schlüssel zur Deutung alt- und neutestamentlichen bildet; religionswissenschaftlich und theologisch jedenfalls fand Otto vielfach eine positive Aufnahme. Dass in älteren Vorstellungen Gott und seine Offenbarungen Merkmale des Heiligen aufweisen, wie Otto sie entfaltete, ist unverkennbar. Sie reichen auch noch bis in die biblischen Schriften, denkt man etwa an die Bindung Isaaks in Gen 22 – ein Text, der aber schon das ‚Heilige‘ sorgfältig reflektiert und darum einer gründlichen Exegese bedarf –, an Furcht und Zittern, mit denen Israel sich der Gottesoffenbarung am Sinai nähert oder die

183 184 185 186 187

Vgl. Otto 1936: 13-37, 42-52. Ebd.: 23f. Ebd.: 102-115, hier: 102. Ebd.: 107. Vgl. ebd.: 109.

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ambivalenten Gefühle, mit der Menschen im AT und NT auf die Engel reagieren. Aber bei diesem Befund bleibt es nicht. Die erste Schöpfungserzählung stellt den Menschen als selbstständiges Wesen vor; Abraham verhandelt in Gen 18 souverän mit Gott um die Schonung Sodoms, wenn wenigstens 10 Gerechte sich dort finden lassen, denn unmöglich kann Gott Gerechte und Ungerechte gleichermaßen dem Untergang weihen. Kühn erinnert er und Gott an dessen eigene Gerechtigkeit: „Sollte sich der Richter über die ganze Erde nicht an das Recht halten?“ (Gen 18,25) Im Buch Exodus schließt Gott mit Israel einen Bund. Auch wenn die Initiative von Gott ausgeht, so haben wir es doch mit einer Rechtsfigur zu tun, die nicht allein Israel, sondern auch Gott bindet und verpflichtet. Der Mensch wird Gott gegenüber ‚vertragsmündig‘. Die Umkehrpredigt der Propheten wäre sinnlos, wenn die Ratschlüsse Gottes das Schicksal des Menschen besiegelten. Die Fähigkeit, Unrecht einzusehen und das Leben des Einzelnen wie der ganzen Gesellschaft nach anderen Kriterien auszurichten, reicht über ein bloßes Untertanenbewusstsein hinaus. Das alles lässt sich aber in Ottos Schema von Faszination und Furcht schwerlich einfügen, und weitere Beispiele lassen sich mit Leichtigkeit finden. Auch fragt es sich, ob Ottos Begriff des Heiligen die unterschiedlichen Phänomene der außerbiblischen Religionsgeschichte angemessen integrieren kann. Gab und gibt es nicht Beispiele, wo innerhalb der religiösen Vorstellungswelt ‚Furcht und Zittern‘ überwunden werden? Passt etwa der Buddhismus in diese Konzeption? Schwerlich lässt sich die Kategorie des Heiligen aus den religionswissenschaftlichen und theologischen Diskursen verbannen188, aber sie muss doch umfassender bestimmt werden und personale wie moralische Elemente in sich fassen, die in weiterer Entwicklung die dämonischen Züge relativieren: Aus der launischen Naturgottheit wird der oder das Andere, das, wie bei Emmanuel Levinas, dem menschlichen Zugriff, dem Herrschaftsanspruch, sich entzieht und nur als ‚Spur‘ wahrgenommen wird. „Der geoffenbarte Gott unserer jüdisch-christlichen Spiritualität“, schreibt Le-

188

Vgl. Wolfgang Gantke, Artikel Heilig, in NHthG 2: 94-103.

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vinas, „bewahrt die ganze Unendlichkeit seiner Abwesenheit, die in der personalen Ordnung selbst ist. Er zeigt sich nur in seiner Spur, wie in Kapitel 33 des Exodus. Zu ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, folgen, sondern auf die Anderen zugehen, die sich in der Spur halten.“189 Damit ist kein umfassender und für alle gültiger Religionsbegriff entwickelt, sondern ein Charakteristikum der biblischen Religion und ihres Gottes. Dieser ist aber nach Levinas als mysterium tremendum et fascinosum nur unzureichend bestimmt. So bleibt für ‚Religion‘ zunächst nur eine sehr vage Bestimmung als umfassende Deutung des Lebens, die dessen Grund und Ursprung zu klären versucht und auf ein absolutes Ziel verweist, dem das Leben sowohl des Individuums als auch der Gruppe zugeordnet ist, wobei Grund und Ziel auch normative Auswirkungen für die spezifische Lebensführung haben. Welcher Art dieses Ziel ist – es kann gewiss nicht für alle Religionen im Sinne einer jüdischen oder christlichen Eschatologie bestimmt werden – muss hier offen bleiben. Auch ist hier nicht schon entschieden, ob diese absolute, Grund und Ziel umfangende Dimension personal zu denken ist, ja noch nicht einmal, ob ihm jenseits des menschlichen Denkens und der religiösen Gruppen überhaupt eine – wie auch immer zu denkende – Wirklichkeit entspricht. Im Sinne einer rein funktional orientierten soziologischen Theorie der Religion, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts u.a. von Niklas Luhmann vertreten wurde, genügt es auch, ihre Bedeutung für ein bestimmtes Sozialgefüge oder für das Individuum – etwa als Kompensation unaufhebbarer Kontingenz – aufzuzeigen. Der Gottesbegriff ist in dieser Sichtweise eine Kontingenzformel unter möglichen anderen, die darauf abzielt, eine nicht zu bewältigende Komplexität – wie Leiderfahrung, unverständliche Zufälle, die Frage nach einem umfassenden Sinn – in einen verstehbaren und auch praxisrelevanten Code zu überführen190. Aber auch hier ist das Ergebnis, wie Luhmann konstatiert, keineswegs klar und eindeutig: „Die Weltreligionen haben, könnte man sagen, mit Kontingenzformeln für die Religion experimentiert 189 190

Levinas 1992: 235. Vgl. Luhmann 2000, 147-154.

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und sind nicht zu einem einhelligen Ergebnis gelangt.“191 Der Buddhismus und die monotheistischen Religionen haben, so Luhmann, mit einer Erlösungsperspektive auf unterschiedliche Weise anspruchsvolle Modelle der Kontingenzbewältigung entwickelt. Die theistischen, insbesondere monotheistischen Religionen verfügen mit der ‚Gottesformel‘ auch über Unterscheidungsmerkmale, welche der Wirklichkeit einen verstehbaren Sinn verleihen: Jenseits/Diesseits, Gott/Welt, Sein/Schein, gut/schlecht, endlich/unendlich, kontingent/notwendig usw.192 Weitere Überlegungen jedoch, die sich auf den möglichen Wahrheitsgehalt der Religion richten, gehören nicht mehr zum Bereich einer funktionaldeskriptiv orientierten soziologischen Theorie der Religion. Wahrheit und Funktionalität mögen differieren, doch ist die Überprüfung der religiösen Geltungsansprüche für Luhmann nicht Aufgabe der Soziologie. Die Theologie freilich kann sich mit dieser Beschränkung der Perspektive nicht begnügen, auch wenn eine selbstkritische, über die Systemtheorie hinausweisende Aufdeckung der spezifischen Funktion von Religion ganz wesentlich zu ihrem Geschäft gehört. Sie muss nach der Geltung von Religionen, Normen und Offenbarung(en) fragen; sie muss dafür sogar die Möglichkeit in Kauf nehmen, dass bestimmte Antworten mit dem Kriterium optimaler Kontingenzbewältigung und gesellschaftlicher Funktionalität kollidieren. Es kennzeichnet gerade die Geschichte des Monotheismus, dass er sich mit kontrafaktischen Erinnerungen und Normen verbindet, unbequem ist und von daher bereits ein Unbehagen provoziert. Vertraute Orientierungen werden zweifelhaft und alte Normen problematisch. Kommen wir zum Schluss dieses Kapitels: Wenn mit Rahner, wie wir gesehen haben, Religion die Objektivierung oder auch Übersetzung der transzendentalen Offenbarung ins innerweltlich Fassbare und Vollziehbare darstellt, ohne dass diese Offenbarung den innerweltlichen Verhältnissen untergeordnet oder einfach akkommodiert wird, so können wir Religion theologisch auch als jenen Prozess verstehen, in dem die Dynamik endlichen Geistes mehr oder weniger gelungen 191 192

Ebd.: 150. Vgl. ebd.: 159-168.

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zu selbst kommt. Dies gilt nicht exklusiv für die biblische Offenbarungsgeschichte, sondern auch für die vor- und außerbiblische Religionsgeschichte. Wir können dies auch im Sinne eines korrelativen Modells der Offenbarung behaupten, insofern hier die Relation zwischen Gott und Mensch sich nicht ausschließlich im ethischen (vernunftgeleitete Moral) und spirituellen (Gebet) Sinne abspielt, sondern auch in vielen anderen Formen der Kultur und des alltäglichen Lebens, innerhalb derer diese Korrelation sich konkretisiert. Dies alles erinnert und vorausgesetzt, bleibt aber doch die Frage, weshalb die Selbstmitteilung Gottes nur im zeitlich und geographisch engen Raum der Bibel auf eine geglückte Weise objektiviert wird, während alle anderen Formen defizient bleiben, wenn auch nicht außerhalb des göttlichen Heilswillens existieren. Verweist man auf den Beistand des Heiligen Geistes in Israel und der frühen Kirche, so verschiebt sich das Problem nur: Warum wird der Geist so ‚sparsam‘ und für eine kleine erwählte ‚Elite‘ ausgegossen? Wir können es auch eingedenk der Kritik d’Holbachs formulieren: Weshalb unterstützt Gott mit seinem Geist nicht alle menschlichen Konkretionen seiner Offenbarung, so dass in allen Kulturen und Regionen der Welt das, was zum Heil notwendig ist, auch explizit gewusst und nicht nur implizit vollzogen wird? Warum muss es neben dem Christentum noch andere Religionen geben? Doch schwerlich deswegen, weil in anderen Teilen der Welt eine angemessene und ‚geglückte‘ Objektivierung der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes unmöglich ist oder sich die kirchliche Verkündigung um so leuchtender von allen Depravationen abhebt. Versuchen wir eine möglich Antwort als Frage: Haben vielleicht in anderen Kulturen Menschen erfolgreicher oder besser Teile oder Aspekte der Offenbarung realisiert als es den mediterranen, mittel- und nordeuropäischen? Ist in den biblischen Traditionen die Offenbarung zwar definitiv in ihrem zentralen Gehalt konkretisiert, nicht aber in ihrer möglichen Fülle, in der sie doch zu allen Menschen kommen soll? Dann wäre es möglicherweise verfehlt, in den anderen Religion und ihren Kulturen nur eine depravierte oder nur bedingt gelungene Objektivierung der Offenbarung zu se-

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hen. Wenn, wie das Zweite Vatikanum in Nostra aetate Nr. 2 festhält, die Kirche nichts von dem verwirft, „was in diesen Religionen heilig ist“ sowie deren „Gebote und Lehren …einen Strahl jener Wahrheit wiedergeben, die alle Menschen erleuchtet“193, so ist es nicht unangemessen, mit Jacques Dupuis von „comembers and co-builders of the Reign of God“ zu sprechen194. Die Diskussion dieser These einschließlich der Frage, wie Dupuis zugleich die christozentrische Perspektive bewahren möchte, bleibt dem vierten Kapitel vorbehalten. Zunächst ist die Situation der Religion(en) in der späten Moderne in mehreren Schritten genauer zu untersuchen, denn sie bildet den historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang einer Theologie der Religionen, wie sie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Von der Erfahrung einer den Sprachen analogen Pluralität, die im Zeitalter der Globalisierung auch deutlicher ins Bewusstseins tritt, über das belastende Erbe des europäischen Kolonialismus bis hin zu den unterschiedlichen Formen einer verfehlten Antwort auf die Moderne, wie sie Flucht in die Wellness-Religionen (soft religion) einerseits und die fundamentalistischen Entwicklungen (strong religion) andererseits darstellen.

193 194

NA 2,2; siehe auch Dupuis 2011: 162-165 mit weiteren lehramtlichen Belegen. Dupuis 2011: 344-346, hier: 344.

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Kapitel 3 3. Religion(en) in der späten Moderne: historische, soziologische und politische Aspekte

P. Brueghel: Der Turm von Babel

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a) „After Babel“: Das Ende kultureller Homogenität und das Problem der ‘Übersetzung’ Die folgenden Überlegungen stehen unter einer Überschrift, die der deutsch-amerikanische Kulturtheoretiker und Literaturwissenschaftler George Steiner für eines seiner berühmtesten Bücher gewählt hat: After Babel / Nach Babel. Was nun für Steiner primär auf Sprache bezogen ist, soll hier auf die Religionen ausgedehnt werden, insofern sie Versprachlichung und soziale Objektivierung der Offenbarung sind. Die Formen, in denen Welt sich uns darstellt, sind wesentlich sprachlicher Art, was zugleich bedeutet, dass es ‘nach Babel’ sehr unterschiedliche sprachliche Welten gibt. Bevor wir diesen Gedanken weiter verfolgen, muss noch auf eine wichtige Bedeutung der Sprache(n) hingewiesen werden, die Steiner mit gleichem Nachdruck herausarbeitet: „Durch das wundersame … Vermögen der Grammatiken ist es möglich, den Tatsachen zu widersprechen und ‚Wenn‘-Sätze sowie vor allem Formen des Futurums zu bilden, die die menschliche Spezies dazu befähigen, zu hoffen und weit über das Ende des Individuums hinauszureichen. Wir dauern fort, wir dauern schöpferisch fort dank unserer gebieterischen Fähigkeit ‚nein‘ zur Wirklichkeit zu sagen, Fiktionen des anderen, der Erträumten, des Erwünschten und des Erwarteten zu konstruieren, um unser Bewußtsein darin heimisch zu machen. In genau diesem Sinne sind das Utopische und das Messianische syntaktische Figuren.“195

Wir haben es also mit einer Form der menschlichen Selbsttranszendenz zu tun, die bei Blondel oder Rahner eher vernachlässigt wurde, während es doch die Sprache ist, die 

erstens eine Form des sozialen Raums bildet,



zweitens die Möglichkeit einer Negation der vorgegebenen Möglichkeit auch logisch und grammatisch eröffnet und

195

Steiner 1994: VIIf.

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drittens eine utopische, ja Steiner scheut sich nicht zu sagen: messianische Dimension besitzt, insofern das Futurum zur grammatische Struktur der Sprache(n) – wie auch immer konstruiert – gehört. „Ich bin sicher“, schreibt Steiner, „dass nur der Mensch eine Grammatik der Zukünftigkeit zustande bringen konnte, wie immer die proto- oder metasprachlichen Signalsysteme anderer Arten beschaffen sein mögen.“196

Die Sprache schließt uns mit der Vergangenheit als Gedächtnisraum einerseits und mit dem noch Unerfüllten, ja Unerfüllbaren und nicht schon vollständig Determinierten der Zukunft zusammen. „Jede menschliche Sprache“, konstatiert Steiner“, erschließt sich die Welt auf eine andere Weise. ... Jede Sprache – und es gibt keine ‚kleinen‘ oder geringeren Sprachen – bildet sich einen Satz möglicher Welten und Geographien des Gedächtnisses.“197 Damit stellt jede Sprache einen Kosmos dar, sie bildet einen „je eigenen ‚Geist‘“ aus198, und verfügt über einen bestimmten Zugang zur Wirklichkeit, der nicht durch einen anderen ersetzt werden kann: „Keine zwei Sprachen, keine zwei Dialekte oder lokalen Idiome innerhalb einer Sprache“, schreibt George Steiner, der eine ungewöhnliche Lesart von Gen 2,19f und 11 vorschlägt, „identifizieren, bezeichnen, beschreiben ihre Welten auf dieselbe Weise.“199 Der Gedanke einer allen Menschen einst gemeinsamen ‘Ursprache’ (dieser Status wurde dem Hebräischen nicht nur von Kabbalisten zugesprochen), die in viele unterschiedliche Sprachen gleichsam auseinanderbrach, ist sprachhistorisch schwerlich zu verifizieren200, zeigt aber deutlich, dass schon früh die Sprachenvielfalt als Problem empfunden wurde. „Die Ursprache“ meint der Semiotiker Umberto Eco, „war nicht eine einzige, sondern die Gesamtheit aller Sprachen.“201 Dem könnte so sein, jedenfalls ergeben sich mannigfaltige Symbolisierungen der Wirklichkeit, die zwar nicht schlechthin inkommensurabel sind, deren jede aber doch eine zunächst eigene 196 197 198 199 200 201

Steiner 1994: 175. Ebd.: VIII. Eco 1995: 120. Steiner 2002: 116; vgl. auch ders. 1994, 50ff. Vgl. hierzu auch Eco 1995: 38-46, 84-126, Ebd. 357.

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Welt darstellt. Dies bedeutet negativ: „Der Tod einer Sprache ... ist der Tod einer Welt.“202 ‘Babel’, die Vielfalt der Sprachen, steht nach Steiner nicht für einen Verlust, sondern für einen Gewinn an Wirklichkeit. „Weit davon entfernt, ein Fluch zu sein, stellte das über die menschliche Spezies ausgeschüttete Füllhorn verschiedener Sprachen einen Segen ohne Ende dar.“203 Ist aber bei dieser Fülle des Segens noch eine Verständigung zwischen den Sprachwelten möglich? Nun steht Babel nicht nur für deren Trennung, sondern auch für die Vermittlung, Erhaltung und Verbreitung dieser Welten in der Übersetzung; sie „ist der Sauerstoff begrenzter Sprachgemeinschaften und vernachlässigter Traditionen“. Sie lebt von der Supposition eines sprachlichen Sinns, der im fremdsprachigen Text analysierend erschlossen und in die „angestammte Sprache“ zurücktransportiert wird. Der letzte Akt aber muss die Wiedergutmachung sein für das gewaltsame Eindringen in den fremdsprachigen Text, als welches sich die Analyse darstellt. Der Text bleibt „in einem greifbaren Sinne reicher, erfüllter zurück als zuvor“. Die Übersetzung entbindet bislang unbekannte oder unbeachtete Potenziale des Textes, kurz: „Was ein wahrhaft inspirierter (sehr seltener) Akt der Übersetzung ist, bietet“, wie Steiner es paradox formuliert, „etwas Neues, das schon da war.“204 In einem ähnlichen Sinne ließe sich sagen, dass wir religionsphänomenologisch in einer Situation ‚after Babel’ leben, d.h. in einer Situation, in der uns die Mannigfaltigkeit der Religionen und kulturellen Überlieferungen überhaupt in ihrer ganzen Tragweite bewusst wird205. Sie liegen nicht mehr jenseits einer weitgehend in sich geschlossenen Kultur, sondern rücken über ältere Medien wie Presse und Fernsehen, aber auch über Internet und soziale Netzwerke näher, freilich ohne sich ‚physisch‘ zu berühren. Das ändert sich erst im Zuge großer Migrationsbewegungen vor allem aus politisch und ökonomisch unsicheren Regionen in die urbanen Räume der wohlhabenden Länder und Wirtschaftsblöcke. Umge202 203 204 205

Steiner 2002: 135; vgl. Steiner 1994: VIII. Ebd.: 112. Beide Zitate: Ebd.: 133. zur Deutung und Bedeutung des Übersetzens vgl. auch Eco 1995: 349-355. Vgl. Franziskus I., EG: Nr. 41, 71-75, 117; Waldenfels 2014: 125-129.

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kehrt gibt es ‚Migration‘ vor allem temporär: als Tourismus mit zensiertem Blick, als Entwicklungshelfer staatlicher Einrichtungen und NGOʼs sowie als Mitarbeiter international agierender Unternehmen. Diese ‚temporäre Migration‘ geschieht in den überwiegenden Fällen freiwillig und ohne ein größeres ökonomisches Risiko. Mit im Gepäck auch der unfreiwilligen Migranten sind die kulturellen Symbole, Traditionen und Deutungen, die jeweilige Religion eingeschlossen. Damit entstehen neue Möglichkeiten, oft aber auch Probleme, die nicht nur solche der Übersetzung sind, sondern ihren Ursprung auch in der mangelnden Bereitschaft haben, sich neuem zu öffnen oder – in der aufnehmenden Gesellschaft – auf das Ideal kulturell-religiöser Homogenität zu verzichten. In diesem neuen Verhältnis der Kulturen und Religionen zueinander, ein Verhältnis, das von den ökonomischen Voraussetzungen niemals getrennt werden kann, nehmen auch die Religionen intensiver voneinander Kenntnis, begreifen sich wechselseitig als mögliche Alternativen und sind zugleich genötigt, das Phänomen eines religiösen Pluralismus, der in einigen Religionen auf engem Raum existiert, theologisch zu verarbeiten. Dies geschieht meistes im eigenen religiöstheologischen Referenzsystem, das aber allmählich einen Transformationsprozess durchläuft, der in seinen Auswirkungen und Infragestellungen vertrauter lebensweltlicher Bezüge durchaus als Krise erfahren werden kann. Im besten Falle kommt es zu einer veränderten Kodierung des jeweiligen individuellen und kollektiven religiösen Bewusstseins, im ungünstigen Falle zu massiven Blockaden und aus dem Wunsch geborenen Bildern der normativen Anfänge. Für eine Theologie der Religionen, die für die eigene Religion keine exklusive Heilsrelevanz reklamiert, bleibt aber die Bestimmung der Religionen als nachbabylonische Sprache(n) der Offenbarung bestehen. Sie können in diesem Zusammenhang verstanden werden als  Übersetzung der (ursprünglichen) Selbstoffenbarung Gottes in den endlichen Raum der Geschichte;  als endliche und kulturabhängige Symbolisierung des Unendlichen in Kult, heiligen Texten und Institutionen;  als ihrerseits wechselseitig übersetzungsbedürftige Symbolwelten. Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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Natürlich bedeutet dies – analog zur Sprache206 – nicht, dass einst eine Einheitsreligion, etwa ein Urmonotheismus, geherrscht habe, die später sich auflöste, sondern dass wir mit den modernen Nachrichten- und Verkehrstechniken allmählich ein Bewusstsein davon gewonnen haben, dass die okzidentale Kultur und Religion nur eine unter vielen ist. In jüngster Zeit zerbricht auch das Monopol, welches das Christentum im europäischen und anglo-amerikanischen Kontext für sich lange Zeit beanspruchte: Es wird als ein religiöser Geltungsanspruch neben anderen wahrgenommen, und dabei tritt es mehr und mehr in Konkurrenz etwa zu Hinduismus und Buddhismus. Letzterer erfreut sich im urbanen Umfeld wachsenden Interesses und gilt bei vielen Zeitgenossen als ‚undogmatisch’, tolerant und historisch weniger belastet. Auch hier ergibt sich sowohl für die Inkulturation des Christentums außerhalb Europas und Nordamerikas als auch für die multireligiöse Situation in den einst christlich geprägten Gesellschaften die Frage der Übersetzung. Die optimistische Perspektive wäre im Sinne Steiners das ‚Neue, das schon da war’207, die pessimistische hingegen eine Beschädigung der religiösen ‚Texte‘, die auf unterschiedliche Weise erfolgen kann: als vorschnelle Neutralisierung des Widerständigen, als vorschnelle Identifikation des Fremden mit schon Bekanntem und Eigenem, d.h. als falsche Aneignung oder auch als politische Instrumentalisierung, wenn nämlich soziale Konflikte und politische Enttäuschungen religiös symbolisiert werden. Die Rückkehr zu teilweise problematisch gewordenen religiösen Traditionen wird als Lösung für nahezu alle Probleme ausgegeben, wobei nicht nur die Traditionen eng interpretiert werden, sondern die gesamte Religion gleichsam neu konstruiert wird. An bestimmten fundamentalistischen Tendenzen des Islam, aber nicht nur an ihm, lässt sich dies derzeit beobachten. Aziz AlAzmeh spricht von einer „phantasmagorischen, unbefleckten Wirklichkeit, die vor der verkommenen Gegenwart bestanden habe“, und „zur Grundlage eines 206

207

Es ist wohl kaum Zufall, dass die vergleichende Religionswissenschaft sich fast parallel zur vergleichenden Sprachwissenschaft entwickelte und – wie einer der Pioniere beider Disziplinen, Max Müller – auf die Ergebnisse der Sprachwissenschaft rekurriert; vgl. Müller 1882: 8-13. Steiner 2002: 133.

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politischen und sozialen Programms“ werde208; ein Problem das uns später noch beschäftigen wird. Auf das Ende der kulturellen Homogenität kann aber auch mit einer ‚Warenhaus-Mentalität‘ reagiert werden, die sich aus allen Religionen, Traditionen und Kulturen eine individuelle Mélange herstellt. Die Bedürfnisse des Einzelnen, als wären sie nicht ihrerseits sozial und historisch vermittelt, werden zum unhinterfragbaren Kriterium erhoben. Es geht nicht mehr um Übersetzung der diversen religiösen Symbolisierungen, Sprachen und Kontexte, sondern um Instrumentalisierung: als Fitmacher und Freizeitspaß. Originäre und kontextabhängige Bedeutungen spielen hierbei keine Rolle. Diese soft religion wird uns an anderer Stelle noch näher interessieren. In einer kurzen Zwischenüberlegung soll an die kolonialistischen Erblasten ebenso wie diejenigen des Kalten Kriegs erinnert werden, denn eben diese beeinflussen bis heute hohem Maße das Verhältnis der Religionen, Kulturen und Gesellschaften zueinander. b) Kolonialistische Erblasten und Globalisierung

Es wäre eine Illusion

zu glauben, die Verbindung und der Kontakt der unterschiedlichen Kulturen und Religionen habe sich durchgehend über friedlichen Austausch von Waren vollzogen. Machtstreben, Eroberung, Plünderung und Zerstörung gehören faktisch zu den interkulturellen ‚Kontakten‘ und sind fester Bestandteil der kollektiven Gedächtnisse – wenn auch bei Tätern und Opfern auf unterschiedliche Weise. Während für das christlich geprägte Europa das Jahr 1492 vor allem mit der ‚Entdeckung‘ Amerikas durch Kolumbus verbunden ist, blieb für seine jüdischen Bewohner die Vertreibung aus Spanien im Gedächtnis und für die Einwohner des frisch entdeckten Kontinents der Beginn kriegerischer Auseinandersetzungen und eine langen Geschichte der Ausbeutung und Zwangschristianisierung. So wurde oft nicht übersetzt, sondern das Fremde und Andere ausgelöscht oder neutralisiert, einverleibt und zum Objekt der Exploitation degradiert. In den wirtschaftlichen Verbindungen Europas zum arabischen Kulturkreis spielte im 208

Al-Azmeh 1996: 24 / Al Azmeh 2009: 8.

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Zuge der Kolonisierung, Unterwerfung und Aufteilung Afrikas der Sklavenhandel eine nicht unbedeutende Rolle. Die Herabwürdigung anderer Kulturen und Religionen zu bloßem ‚Heidentum‘ gab die Bewohner frei nicht nur zur Mission (die meist auf eine Europäisierung hinauslief), sondern für die Interessen der neuen Herren, die sich souverän die Bodenschätze, der Anbauflächen und der menschlichen Arbeitskraft bedienten. Die Herrschaftsansprüche der europäischen Mächte stießen durchaus auf Widerstand, der brutal gebrochen wurde und eine Verschärfung der Sanktionen und eine Intensivierung der Unterwerfungspraxis zur Folge hatte209. Aber trotz der militärischen Erfolge sowie des fortgeschrittenen ökonomischen, technischen und administrativen Stands blieben durchaus Zweifel zumindest an der moralischen Überlegenheit der europäischen Kultur, die der Dominikaner und Bischof von Chiapas, Bartolomé de Las Casas (1474-1566), schon 1552 in seinem Bericht über die Verwüstung der Westindischen Länder formulierte. Las Casas schilderte ausführlich die Raubzüge der Spanier, die ganze Landstriche entvölkerten. „Seit vierzig Jahren haben sie unter ihnen [den Einwohnern der Insel Hispaniola, R.B.] nichts anderes getan, und noch bis auf den heutigen Tag tun sie nichts anders, als daß sie dieselben zerfleischen, erwürgen, peinigen, martern und foltern, und sie durch tausenderlei seltsamer Qualen … auf die grausamste Art vertilgen.“210 Es ist weniger der Glaubenseifer als die Gewinnsucht, wie Las Casas konstatiert, der dieses unmenschliche Verhalten entspringt; Kultur und Barbarei, dies lässt sich seinen Darstellungen entnehmen, liegen oft eng beieinander und bringen sich wechselseitig hervor. „Die einzige und wahre Grundursache, warum die Christen eine so ungeheure Menge schuldloser Menschen ermordeten und zugrunde richteten, war bloß diese, daß sie ihr Gold in ihre Gewalt zu bekommen suchten.“211 Die Inferiorisierung der Bewohner erleichterte ihre Ausbeutung und Vernichtung. „Unter der kolonialen Herrschaft“, schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem 209

210 211

Vgl. hierzu etwa Las Casas 1966: 11-13. In welchem Maße auch die Erforschung anderer Ethnien und Kulturen in enger Verbindung mit deren Eroberung und Plünderung stand, zeigte Burke 2014: 33-40. Las Casas 1966: 7. Ebd.: 9.

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Nachwort treffend, „wird der Satz, nicht der Mörder, sondern der Ermordete sei schuldig, zur herrschenden Maxime. Der ‚Eingeborene‘ ist von vornherein ein potentieller Verbrecher, der in Schach gehalten werden muß, ein Hochverräter, der die staatliche Ordnung bedroht“, und zwar noch bevor er irgendwelchen Widerstand leistet212. Man weiß zu gut, dass die Praxis der Unterjochung und Exploitation Widerstand provozieren wird. Gewiss lebten die Bewohner der kolonialisierten Kontinente und Regionen nicht in traumhaften Gesellschaften; sie waren nicht die besseren Menschen voller Unschuld und Friedfertigkeit. Die Ausführungen von Las Casas vermitteln zuweilen einen solchen Eindruck, wenn er sie beschreibt als „folgsam, äußerst treu, … demütig, geduldig, friedliebend und ruhig“213. Indessen wird daraus schwerlich ein prinzipieller Einwand gegen den Kurzgefaßten Bericht, denn keineswegs müssen Menschen alle diese idealen Eigenschaften besitzen, um anerkannt und nicht ausgebeutet und ermordet zu werden. Die enge Verbindung von Mission, Eroberung und Exploitation hat das Ansehen des Christentums in vielen Teilen der Welt geschmälert und provozierte in Gesellschaften wie China oder Japan auf staatlicher Seite heftige Abwehr. Seit dem 19. Jahrhundert besetzten die europäischen Großmächte auch die früheren Machtpositionen multiethnischer Großgebilde wie sich am Schicksal des zerfallenden Osmanischen Reiches zeigt, dessen Provinzen, die heute den Irak, Syrien, Israel, Palästina, Jordanien, Ägypten und Teile des Maghreb umfassten, sich England und Frankreich aufteilten. Im Zuge des Kalten Krieges wurden auch nach dem Ende der großen Kolonialimperien die neu entstandenen Staaten in Mittel- und Lateinamerika, Südostasien, Afrika und im Nahen Osten, deren Grenzen oft ohne Rücksicht auf ethnische Zusammensetzung mit dem Lineal auf der Landkarte gezogen wurden, Objekt geostrategischer Interessen der beiden rivalisierenden Supermächte Sowjetunion und USA mit ihren jeweiligen Verbündeten. Dabei standen nicht Demokratisierung und Entwicklung im Zentrum, sondern die Ausdehnung der jeweiligen Einflusssphären in der Dritten 212 213

Enzensberger in Las Casas 1966: 146. Las Casas 1966: 5.

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Welt. Diktaturen wurden eingerichtet, unterstützt, legitimiert oder – je nach politischem Kalkül – bekämpft. An die Stelle der christlichen Mission traten die Verbreitung und Verteidigung der Demokratie resp. des Sozialismus ohne Rücksicht auf die Geschichte, die Kultur und die Traditionen des jeweiligen Landes. Demokratie und Menschrechte entsprangen meist nicht – wie in Europa und den USA – einem endogenen Prozess, sondern waren ‚Importwaren‘, die nur wohldosiert und zuweilen auch gar nicht zu jenen kamen, die von ihnen hätten profitieren sollen. Befreiungsbewegungen in vielen Teilen der Dritten Welt und die lateinamerikanische Theologie der Befreiung versuchten, jenseits des strategischen Kalküls der Supermächte eigene Entwicklungsprogramme, die Freiheit und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen berücksichtigen, zu realisieren, sich sowohl vom Joch politisch-wirtschaftlicher Abhängigkeit als auch von den halbfeudalen Verhältnissen im eigenen Land zu befreien; Themen, die unter dem Stichwort der Evangelisierung auch theologisch rezipiert und von Papst Franziskus aufgegriffen wurden214. Die verschiedenen Befreiungsbewegungen operierten freilich nicht außerhalb der komplexen politischen und wirtschaftlichen Konstellationen, wie sie dem Kalten Krieg und einer halbherzigen Entkolonialisierung entsprangen, zumal sie auf finanzielle und logistische Unterstützung angewiesen waren. Mochte sich die Sowjetunion als großzügiger Förderer dieser Bewegungen präsentieren, so waren es auch hier primär geostrategische Erwägungen, welche die Politik bestimmten, so dass manche Konflikte künstlich verlängert und verschärft wurden, während jene Regierungen, welche die alten ablösten oft weder Wohlstand noch Demokratie realisierten. Die Folgen des Kalten Krieges, der wohl etwas vorschnell für beendet erklärt wurde, sind auch nach dem Zerfall der Sowjetunion bis heute deutlich zu spüren und wirken sich auf die aktuellen sozialen, politischen, ökonomischen und religiösen Auseinandersetzungen aus, die sich auf den Territorien der ehemaligen Kolonien und Einflusssphären Europas abspielen. 214

Vgl. etwa Gutièrrez 1992: 141-151; ferner Papst Franziskus, EG: Nr. 52-75, dazu erläuternd Waldenfels 2014: 131-138.

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Dem eurozentrischen Verständnis steht heute nicht selten die Berufung auf die eigenen Wurzeln entgegen, wobei leicht übersehen wird, dass auch die außereuropäischen Kulturen keineswegs unschuldig dastehen. Das osmanische Reich war wie seine Vorgänger, das Byzantinische und das Römische Imperium, das Ergebnis von Eroberungen und forcierter Expansion. Die Kulturen der Maya und Azteken kannten gesellschaftliche Hierarchien und Kriege, und auch die ostasiatischen Kulturen waren, bevor sie Objekte europäischer Expansionsstrategien wurden, keineswegs Horte des Friedens und der Gerechtigkeit. Dieser Befund rechtfertigt selbstverständlich nicht den europäischen Imperialismus, aber es wäre historisch naiv, hier idealisierte Gegenbilder zu Europa und den Vereinigten Staaten konstruieren zu wollen. Heute sind alle Kontinente längst Teil eines Prozesses nicht nur ökonomischer, sondern, in ihrem Zuge, auch kultureller Globalisierung geworden, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, wohl aber vernünftigen Zielen unterworfen werden muss, wenn nicht abermals menschlich Gesetztes zum Schicksal verklärt werden soll215. Globalisierung ist ja nicht nur negativ zu sehen: sie bedeutet das Ende eines Provinzialismus, eine Erweiterung des Horizonts und stellt die technischen Mittel bereit, den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen. Je stärker aber die ökonomischen Kräfte des Globalisierungsprozesses den Menschen äußerlich und dunkel bleiben, je mehr sie demokratischer Steuerung sich entziehen, desto größer die Gefahr einer weltweit wachsenden Ungleichheit zwischen den Kontinenten und innerhalb der Gesellschaften einerseits und einer rückwärtsgewandten, ohnmächtigen Rebellion gegen diesen Prozess andererseits. Verschärfend kommt noch hinzu, dass im Prozess der vor allem ökonomisch vorangetrieben Globalisierung die Kulturen und Religionen zwar enger verbunden werden, sie aber einer fortschreitenden Kolonialisierung instrumenteller Vernunft ausgesetzt sind, die wenig Rücksicht auf Selbstverständnisse, Differenzierungen und nicht zuletzt den Eigensinn der kulturell-religiösen Texte nimmt. An die Stelle der Inter-

215

Zum Globalisierungsprozess vgl. ausführlich Ozankom 2012, 125-198.

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textualität und der komplizierten Übersetzungsarbeit tritt die Dekontextualisierung. Sie entfernt Religionen oder einzelne Versatzstücke aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und wirft sie als Konsumartikel auf den Markt vor allem westlicher Konsumenten von ‚Lebenssinn‘. Dieser Prozess bleibt natürlich nicht unbemerkt, und umso energischer werden die religiösen und kulturellen Überlieferungen gerade gegen diese neue Form des ‚Imperialismus‘ verteidigt, selbst um den Preis einer kulturalistischen Engführung und einer gefährlichen Essentialisierung kultureller Differenzen: aus dem Eigensinn wird Starrsinn, historisch Gewordenes verhärtet sich zum unwandelbaren Wesen216. Insbesondere fundamentalistische Bewegungen nehmen solche kulturalistischen Essentialisierungen vor und deklarieren sie zum antiimperialistischen Widerstand Eine Theologie der Religionen entfaltet sich nicht jenseits solcher Konfliktfelder in einem apolitischen, geschichtlich neutralen Raum, sie muss sich vielmehr Rechenschaft ablegen über die historischen Lasten und Interessen, die aktuellen Verwerfungen. c) Soft Religion: das narzisstische Ich im religiösen Warenhaus

Mit ih-

rer oben angedeuteten Dekontextualisierung teilen die Religionen in der Moderne das Schicksal ihrer Anhänger, die sich nicht minder in unterschiedlichen Rollen und Funktionen wiederfinden, die schwerlich noch eine Kontinuität der Person zulassen. Olivier Roy sieht in der „Deterritorialisierung und Dekulturation“217 religiöser Überlieferungen und ihre Auslieferung an den Markt218 eine Ursache primär des modernen Fundamentalismus (strong religion); sie sind aber ebenso die Basis für den Fundamentalismus in seiner lächelnden Variante, der soft religion. Fragen der Geltung, des Sinns, der inneren Kohärenz und Wahrheit jenseits eines funktionalen Zusammenhangs kommen gar nicht erst auf oder werden als autoritäre Einmischung in die eigenen religiösen Angelegenheiten abgewiesen. Die Ablehnung institutionalisierter Autorität und aller von traditio216 217

218

Vgl. Al-Azmeh 2009: 17-39. Roy 2010: 25-30; vgl. zu diesem und dem folgenden Unterkapitel das Skript Religiöser Nihilismus. Fundamentalismus in den monotheistischen Religionen, WS 2012/13, überarbeitet WS 2014/15 (Homepage Universität Bonn, Katholisch-Theologische Fakultät, Fundamentaltheologisches Seminar). Vgl. Roy 2010: 221-256.

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nellen Autoritäten vorgetragenen Geltungsansprüchen verbindet die Soft Religion mit der Aufklärung – und scheidet sie zugleich von ihr. Während Aufklärung den Widerspruch zwischen prätendierter Autorität und kategorischer Behauptung einerseits und argumentativer Einlösung dieses Anspruchs andererseits zum Gegenstand der Kritik machte, liegen argumentative Vermittlungen des Glaubens gänzlich außerhalb der soft religion. Im Zentrum stehen Befindlichkeiten, nicht aber der Glaube, moralische Urteile oder gar ein Gott, der möglicherweise das Handeln der Menschen nicht uneingeschränkt billigt. Dem way of life kommt zwar zentrale Bedeutung zu, aber er ist ganz zurückgeworfen auf das Subjekt, das in seinem Mittelpunkt steht und doch schon seine Selbstvermarktung verinnerlicht hat: Die scheinbar selbstgewählte Lebensform ist der verinnerlichte Warencharakter des Ich, die Originalität, welche der Umwelt suggeriert wird, nur Schein. Hier rächt sich der neuzeitliche Rückzug der Religion auf den reinen Glauben und die Innerlichkeit des Individuums, das ungestört bleiben möchte mit sich und seinem Gott (sofern es seiner noch bedarf). Die Verbindlichkeit, welche einmal die sozialen Bezüge der Religion und ihre Verankerung in der Gesellschaft garantierten, soll nun durch einen freien Akt des Subjekts kompensiert werden. Die Verabsolutierung des Entscheidungsbegriffs seit Kierkegaard, seine Verankerung jenseits des Arguments, führt bei aller Dramatik und Emphase des Aktes zu einer Beliebigkeit des Gegenstandes und der qualitativen Bestimmung des Resultats. Die soft religion kann daran anknüpfen, wenngleich sie Dramatik und Ernst der Entscheidung stark abschwächte, die dem Wellness-Interesse eher entgegensteht. Was von Kierkegaard bis zur Dialektischen Theologie mit höchster theologischer Dignität versehen wurde, der etwas plakativ inszenierte Ringkampf des Individuums mit seinen Zweifeln und schließlich seine Unterwerfung unter das Gericht Gottes, erhält nun den Charme eines netten Bummels durch die Angebote der Weltreligionen. Als solche lassen sie sich, ansprechend verpackt, kaufen und konsumieren; auch Religion wurde Teil der universalen Kul-

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turindustrie, die, wie Theodor W. Adorno konstatierte, „das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde“ überträgt219. In der von Max Horkheimer und Theodor Adorno gemeinsam verfassten Dialektik der Aufklärung fällt der Begriff ‚Kulturindustrie‘ zum ersten Mal220. Dass Kunst, Literatur, Musik den Charakter einer Ware annehmen, ist nichts Neues; Künstler suchten stets Auftraggeber, um physisch zu überleben. In der Kulturindustrie ist der Blick auf den angezielten Absatz jedoch konstitutiv für die Entstehung der Werke selbst, die sich auf Güter des mittleren und gehobenen Konsums reduzieren. Mochten einst religiöse Vorgaben, moralische Tabus und nicht zuletzt die Launen der Mäzene die künstlerische Freiheit bedrohen oder real einschränken, so wird in der Kulturindustrie die ästhetische Freiheit zugunsten der Absetzbarkeit gar nicht erst angestrebt. Ein ähnliches Schicksal ereilt auch die Religion, die übergeht in Sinnindustrie. Ihre Gehalte werden unabhängig von ihrem einst oder jetzt erhobenen Anspruch auf Geltung so aufbereitet, dass ihrem Konsum kaum Hindernisse entgegenstehen. Dies gilt nicht bloß für die Anbieter synthetischen Lebenssinns, sondern auch für Konsumenten, die eine Gegenleistung erwarten für ihr Geld oder auch nur den emotionalen Aufwand, den sie erbringen. Yoga & Meditation, Jesus & Buddha, Astrologie & Mandala, Sufismus & Kabbala, Metempsychose & leibhafte Spiritualität, Liebe & Alleinheit fungieren für sich oder in beliebiger Kombination als marktgängige Gebrauchsartikel der Wellnesskultur. Religion ist die Etappe inmitten des bellum omnium contra omnes, damit aber auch Teil des Krieges und nicht diesem jenseitig. Kosmische Harmonien sollen schließlich über die irdischen Antagonismen, deren gesellschaftlicher Ursprung kaum noch reflektiert wird, hinweghelfen. Die Frage, ob diese religiösen und mystischen Versatzstücke in sich plausibel oder noch miteinander kompatibel sind, tritt bei Anbietern und Konsumenten zugunsten der Verwertbarkeit zurück. Das tangiert auch den Gehalt religiöser Traditionen: Während etwa die Wiedergeburt in den asiatischen Religionen und in der Kabbala keineswegs positiv besetzt ist, er219 220

Adorno GS 10:: 338; Buchholz 1996; ders. 2009:125-135. Vgl. Horkheimer / Adorno , Dialektik der Aufklärung = Adorno GS 3: 141-191.

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scheint im Westen der Zirkel von Geburt, Tod und Wiedergeburt als weitere Chance zur Optimierung. Was einmal gegen die „verwilderte Selbsterhaltung“221 gerichtet war, wird nun von ihr vereinnahmt und in sein Gegenteil verkehrt. Freilich gilt, was Max Horkheimer zur Selbsterhaltung des Individuums schon 1947 schrieb: „Das Thema dieser Zeit ist Selbstbehauptung, während es gar kein Selbst zu erhalten gibt.“222 Zugleich verschwinden die kritischen Potenziale nicht nur der biblischen Religionen, während die verbleibenden Restbestände der palliativen Therapie des spätmodernen Subjekts dienen. Die Rede von Transzendenz verdeckt, dass in Wahrheit nichts überschritten wird. Das Nomen ‚Transzendenz‘ verweist auf einen Akt des Überschreitens. Schon die unbefangenen theologische Rede von ‚der‘ Transzendenz hat das vergessen und verdinglicht, was einmal als Akt gedacht war. Als Warenzeichen der Sinnindustrie ist sie Teil des schicksalhaften Zusammenhangs der Welt und fungiert als Öl im Getriebe. Die Verschleifung religiöser Unterschiede und Geltungsansprüche, die Unfähigkeit, sich rational mit ihnen auseinanderzusetzen, kennzeichnet eine von kulturindustriellen Standards geprägte Religiosität entscheidend. Sie lebt weniger von bestimmten religiösen Merkmalen als vielmehr von der religiösen Aura, die einmal jene Sphäre bezeichnete, in der Gott und Mensch in eine Beziehung zueinander traten. Auratisch aufgeladen waren nicht nur Haine, Altäre und Tempel, sondern auch die Abbilder der Götter. Da das Abbild leicht an die Stelle des Abgebildeten treten kann, entstand in den monotheistischen Religionen nicht nur das mehrfach eingeschärfte Verbot, Kultbilder anzufertigen, sondern auch ein ambivalentes Verhältnis zur Aura. Sie geht spätestens nach der Zerstörung des Tempels auf den Text der Thora über, der aber, weil er „nicht im Himmel“ ist, sondern den Menschen nah (Dtn 30,12), ihrer Deutung überantwortet wird. In der Moderne emanzipiert sich die Kunst von ihren Anfängen in Fetisch und Kultbild, indem

221 222

Adorno GS 6: 285. Horkheimer GS 6:136.

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sie das auratische Moment und mit ihm den ästhetischen Schein sowohl festhält als auch – durch das Einbekenntnis des ‚Gemachten’ – zerstört223. Vor dergleichen Überlegungen werden die Religionskonsumenten sorgfältig abgeschirmt; sie sollen nicht überfordert, sondern mit der verlangten Ware beliefert werden. In der kulturindustriellen Zurichtung der Religion ist Aura Kult ohne Gott, Offenbarung ohne Offenbarer und Geoffenbartes, die Rückkehr zu einem Verständnis des Heiligen, von dem man im Grunde weiß, dass seine Stunde längst geschlagen hat; „Fetischismus ist Glaube wider besseres Wissen“224. Nicht mehr besitzt der Fetisch eine Aura wie in früheren Jahrtausenden, sondern die Aura wird zum Fetisch, den man anbetet. Die Aura ist gleichsam das Geld kulturindustrieller Religion, insofern sie von aller Konkretion abstrahiert, so dass die Religionen oder einzelne Elemente einander konvertibel sind. Dies wiederum ist die Bedingung dafür, dass auf dem Markt der Religionen ein Angebot im Wortsinne sich rechnet. Die Spur entschwindender Transzendenz wird verdinglicht und in kleinen Portionen an die Fans verkauft, während sie ganz entspannt im Hier und Jetzt mit dem gesellschaftlichen Kosmos verschmelzen, als dessen ephemerer Teil sie sich ohnehin erfahren. Von der zerfallenden Aura zehren auch die charismatischen Führer, die ihre sinnstiftenden Konzerne ebenso souverän regieren wie ihre Jünger. Diese praktizieren die Unterwerfung als Erfolgs- und Überlebensstrategie im beruflichen Alltag, hier aber erhält sie ihre religiöse Weihe und höhere Bestimmung. Entgegen dem eigenen Anspruch entfernt sich kulturindustrielle Religiosität nicht einen Augenblick von der gesellschaftlichen Rationalität, sondern reproduziert sie in allen ihren Erscheinungen. Sie ratifiziert den Weltlauf mit seinen Zwängen und Ungerechtigkeiten oder verabschiedet sich spirituell von ihm. So ist sichergestellt, dass die bedrängte Kreatur nicht zu laut seufzt und die verordnete gute Laune gefährdet. Im großen Warenhaus der Sinnindustrie ist für viele und vieles Platz, nur nicht für den Zweifel. Dessen Ausschluss verbindet sie mit ihrem scheinbaren Gegen223 224

Vgl. Adorno GS 7: 408f, 460f; Buchholz 1996; 2009: 131-135. Türcke 2003: 159.

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teil, der ‚strong religion‘. In der Tendenz, „sich gegen den erreichten Stand menschlichen Bewusstseins, also gegen besseres Wissen und gegen die eigenen Zweifel zu immunisieren“225, berühren sich die Extreme. Der ausgeprägte antiintellektuelle Habitus beider Phänomene gründet in der Furcht, die bunte Vielfalt des einen und die mühsam errungene Gewissheit des anderen könnten sich im Laufe der Reflexion als Schein erweisen. Abwehr kennzeichnet darum das Verhältnis zur Rationalität als kritische Instanz. Was sich als höheres oder erweitertes Bewusstsein ausgibt – der Rückzug entweder auf Gefühl und Anschauung oder auf unerhellte Autorität – ist, in Wahrheit Zeichen einer Regression. Fundamentalistisch sind auf ihre Weise beide Richtungen, denn Fundamentalismus ist das Bestreben, als grundlegend angesehene, aber nicht evidente Geltungsansprüche oder bestimmte identitätsstiftende Praktiken dem Zweifel und der rationalen Argumentation prinzipiell zu entziehen (s.u.). Auch die Anhänger der soft religion weisen Fragen nach vernünftigen Gründen als dem Gegenstand unangemessen energisch von sich, und was als ‚soft‘ daherkommt, erweist sich dem, der den Zweifel offen ausspricht, rasch als strong. Das Subjekt ist nicht Ort der Erkenntnis, sondern der bornierten Selbstbezüglichkeit; mystische Erlebnisse und religiöse Anschauungen, so abstrus sie sein mögen, sind Besitzstände, an die sich das regredierende Individuum verzweifelt klammert und die zu hinterfragen an Frevel grenzt. Buntheit und Toleranz haben ihre Grenzen, wo die veranstaltete religiöse Ergriffenheit und die erlösende Funktion kulturindustrieller Religion bezweifelt werden. So wenden sich nicht wenige Zeitgenossen lieber dem scheinbar Eindeutigen und Klaren zu, wo sie – wenn auch um den Preis des eigenen Vernunftgebrauchs – nicht nur eine ganze ‚Weltanschauung‘ frei Haus erhalten, sondern dazu noch ein Kollektiv als Familienersatz. d) Strong religion: der Fundamentalismus und die erfundene Tradition Vielleicht leben wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer fundamentalistischen Ära, von der ungewiss ist, wie lange sie dauern wird, welche Folgen sie 225

Türcke 2003: 53.

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für viele Regionen und Bevölkerungen zeitigt und nicht zuletzt welche Konsequenzen sich für das künftige Image der Religion(en) ergeben. Der Fundamentalismus226 ist heute mit einigem Grund bei vielen Zeitgenossen übel beleumdet, während zu Beginn seiner ‚Karriere‘ das Wort Fundamentalist keineswegs negative Konnotationen hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnete sich so stolz eine Gruppe von Protestanten in den USA, die mit Sorge ein säkulares Bewusstsein in der Gesellschaft auf dem Vormarsch und das Christentum in der Defensive sahen227. Von 1910 bis 1915 erschienen 4 Bände eines von Reuben Archer Torrey und Clarence Dixon edierten und von einem kalifornischen Ölmilliardär gesponserten Werkes mit dem Titel The Fundamentals. A Testimony tot he Truth. Die Absicht dieses zwölfbändigen Werkes war nichts geringeres als die Verteidigung der Grundlagen des christlichen Glaubens und der göttlichen Mission Amerikas gegen vielfache moderne Gefährdungen, die bis heute zum Bedrohungsszenario des Fundamentalismus gehören228: 1. Eine dezidiert säkulare Gesellschaft, wie sie sich zunehmend in West- und Mitteleuropa sowie in den Vereinigten Staaten herausbildete, ist nicht nur gekennzeichnet durch eine institutionelle, sondern ebenso durch eine weltanschauliche Trennung von Staat und (christlichen) Religionsgemeinschaften. Das Christentum verliert damit das gesellschaftliche Deutungsmonopol und sieht sich ‚Konkurrenzprojekten‘ ausgesetzt, die aus staatlicher Sicht prinzipiell gleichberechtigt sind. Fundamentalistische Bewegungen reagieren darauf mit einer exklusivistischen Sicht auf die übrigen Religionen und sind bestrebt, zumindest die einstige kulturelle Vorrangstellung der eigenen Religion zu restaurieren. 2 Die historisch-kritische Erforschung der Heiligen Schrift seit Baruch Spinoza erwies die Vorstellung einer wörtlichen Schriftinspiration als unannehmbar. Spinozas theologisch-politischer Traktat schränkte zudem Umfang und Gewissheit religiöser Geltungsansprüche strikt ein und relativierte damit den bislang dominanten Status des Christentums zugunsten einer religiös toleranten Gesellschaft. Gewissheit vermitteln weder Schrift noch Tradition, sondern rationale Verfahren, die sich auf evidente Prinzipien gründen und auf äußeren Zwang verzichten können. Entsprechend ist jeder Autoritätsanspruchs zurückzuweisen, der rational nicht hinreichend ausgewiesen werden kann. Die fundamentalistische Reaktion besteht in einer – zuweilen scharfsinnigen – Zurückweisung des universalen Leitungsansprungs der Vernunft, die als schwache, 226 227 228

Vgl. auch Ozankom 2012: 157-171. Vgl. Hoff 2001: 339-351; 2007: 94f. Vgl. Türcke 2003: 15-25.

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101 durch die Sünde verderbte Instanz mit dieser Aufgabe überfordert ist und sich selbstherrlich aufspreizt, ja sich zur obersten Instanz gegenüber Bibel, Koran oder Lehramt aufwirft. Im Konfliktfall entscheidet der durch die von Gott unmittelbar inspirierte Autorität recht geleitete Glaube229. 3 Die fortschreitende Kritik unerhellter Autorität in Staat, Gemeinde und Familie ebenso wie die funktionale Legitimierung von Herrschaft in der Moderne drängen traditionale Herrschaftstypen zurück. Weder politische noch religiöse Autorität kann damit länger ungeprüft Geltung beanspruchen. Fundamentalistische Gruppen reagieren darauf durch die starke Betonung der – oft charismatisch begründeten – Leitungsvollmacht230 und angeblich von Gott gewollten paternalistischen Strukturen in Familie und Gesellschaft mit klar definierten Rollen und Kompetenzen231. 4 Darwins Theorie der biologischen Evolution, die mit einem wörtlichen Verständnis der biblischen Schöpfungserzählungen unvereinbar ist, fordert auch eine teleologische Sicht heraus, die im Menschen den Kulminationspunkt und Endzweck der Schöpfung erblickt. Die Erinnerung an die tierische Basis der menschlichen Spezies wird zu einer schweren ‚Kränkung‘, auf welche vor allem der protestantische Fundamentalismus mit energischer Abwehr reagiert. 5 Der psychoanalytische Ansatz Freuds zeigte, dass das ‚Ich‘ nicht Herr im eigenen Hause ist, sondern auf ein somatisches Substrat verwiesen bleibt, das tief in die psychische Struktur hineinreicht. Die zentrale Rolle, die er dem Sexualtrieb und der mit ihm zusammenhängen psychischen Dynamik zuwies, musste ein Denken provozieren, welches in der Sexualität das Einfallstor der Sünde erblickte, die folglich, wenn schon nicht abzutöten, doch wenigstens zu unterdrücken ist. Zudem steht die Psychoanalyse im Verdacht, einer permissiven Gesellschaft zuzuarbeiten und die moralischen Grundlagen des Sozialen zu untergraben.

Gegen diese moderne Infragestellung der christlichen Leitkultur galt es sich zu wappnen, zumal der raffinierte Gegner eine geradezu verführerische Macht vor allem auf die junge Generation auszuüben schien. Schwerlich ließ sich übersehen, dass die Erosion der religiösen Überlieferung auch ihre befreienden Aspekte hatte. Der protestantische Fundamentalismus, wie er in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts Konturen annahm, glaubte die religiöse Krise der Moderne nur bewältigen zu können, wenn eine Reihe christlicher Lehren von jedem Zweifel ausgeschlossen wurden. Dazu gehört an erster Stelle die Irrtumslosigkeit und wörtliche Inspiration der Schrift. Während vormoderne Deutungen diese Sicht grundsätzlich teilen, kennen sie eine weitaus größere Vielfalt an Inter229 230 231

Vgl. Werbick 1996: 142-150. Vgl. Almond et al. 2003: 142-144. Vgl. Ruthven 2007: 59-80.

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pretationsmöglichkeiten. Es ist keineswegs vermessen zu behaupten, dass die Vielzahl der möglichen Deutungen das Modell der Verbalinspiration tendenziell unterläuft. Anders ist hier die fundamentalistische Position: Die Bibel ist sowohl die gegen alle Anfechtungen zu verteidigende wörtliche Offenbarung Gottes als auch oberste Instanz im Feldzug gegen die Moderne (und den eigenen Zweifel), der Eindeutigkeit und klare Orientierung verlangt. Aufwendige Differenzierungen sind fehl am Platze, wenn es darauf ankommt die Feinde abzuwehren, die zu endzeitlichen Bedrohungen anwachsen, die der bald wiederkehrende Christus definitiv besiegen wird. Angesichts alternativer Deutungen zum Christentum gilt also die klare Unterscheidung der Geister. Man scheut auch ein Kulturkampfszenario nicht, denn das Ende liegt in nicht allzu weiter Ferne. Evangelisierung, d.h. Mission in großem Maßstab ist das Gebot der Stunde, damit wenigstens einige gerettet werden können, nicht nur unter der wachsenden Zahl von Agnostikern, sondern auch unter den Anhängern anderer Religionen und Konfessionen. Fast zeitgleich mit der Ausbildung des protestantischen Fundamentalismus sind in der katholischen Kirche integralistische Tendenzen festzustellen, die trotz mancher Reserven auch lehramtliche Entscheidungen und Maßnahmen beeinflussten232. So standen der Syllabus Pius IX. und das I. Vatikanische Konzil standen im Zeichen einer Abwehr der Moderne. Nachdrücklich distanzierte sich das Lehramt vom Modell einer partizipatorischen, egalitären Gesellschaftsordnung (sei sie liberal oder sozialistisch konzipiert) und von der in vielen europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts umgesetzten Forderung nach Religionsfreiheit. Abgewehrt wurde die verfassungsrechtlich verankerte Trennung von Religion und Staat und auf wissenschaftlichem Gebiet die Anwendung moderner Methoden der Geschichtswissenschaft auf Bibel und Dogmengeschichte. Deren Ablehnung hielt bis 1943 katholische Exegeten von einer ernsthaften wissenschaftlichen Erforschung der Schrift ab. Offensichtlich wurde in der Methodik der Geschichtswissenschaft eine größere Bedrohung des überlieferten Glaubens

232

Vgl. Coleman in Kaplan 1992: 84.

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gesehen als in der Evolutionsbiologie Darwins, schien sie doch die Autorität von Schrift, Tradition und Lehramt zu relativieren. So war die Antwort der päpstlichen Bibelkommission auf die Frage, ob die Zweiquellenhypothese bei der exegetischen Arbeit am Neuen Testament zulässig sei, ein klares „Nein“233. Der Blick auf die Entstehung der Kirche, ihrer Strukturen und Lehren mit den Mitteln moderner historischer Forschung wurde geradezu als Angriff auf die Substanz des Katholizismus gewertet, zumal sie die Bestrebungen einer kirchlichen Uniformierung unter Leitung des Bischofs von Rom234 zu unterminieren drohte. Entsprechend unnachgiebig war die Haltung gegenüber jenen Theologen, die eine Annäherung an die moderne Bibelwissenschaft und Dogmengeschichte versuchten. Was man im Rückblick als eine bestimmte Richtung des Reformkatholizismus bezeichnen könnte, erhielt damals das abwertende Etikett Modernismus. Das Dekret Lamentabili vom 3. Juli 1907235 und die Verurteilung verschiedener von Pius X in seiner Enzyklika Pascendi (8. September 1907) als ‚modernistisch‘ bezeichneter Ansichten236 bildeten einen ersten Höhepunkt im Streit um den so genannten Modernismus. Dem Rundumschlag der Enzyklika – die Verurteilung reichte von den methodischen Voraussetzungen historisch-kritischer Exegese237 über den Inspirationsbegriff238 bis zu prima facie irrationalistischen Fundierungen von Religion und Offenbarung239 – konnte nur eine strikt am neuscholastischen Paradigma orientierte Theologie entkommen; auch vorsichtige Experimente waren gefährlich. Die strikte Ablehnung der historischkritischen Erforschung der Schrift ging, wo Pascendi noch Zweifel oder Lücken gelassen haben mochte, aus den zwischen 1908-1914 erteilten Antworten der Bibelkommission klar hervor240, deren Autorität zu beachten 1907 mit dem

233 234 235 236 237 238 239 240

Vgl. DH 3578. Vgl. Roy 2010: 287. Vgl. DH 3401-3466. Vgl. DH 3475-3500; Neuner 2009: 91-112. DH 3494ff. DH 3490f. DH 3477f. Vgl. DH 3505ff.

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Motu Proprio Praestantia Scripturae nachdrücklich angemahnt wurde241. Nicht alles, was lehramtlich abgelehnt wurde, stellte gegenüber der Neuscholastik einen theologischen Fortschritt dar (gerade der antirationalistische Affekt vieler ‚Modernisten‘ war durchaus problematisch), aber eine offene Diskussion der Argumente, die von der verurteilten Theologie vorgetragen wurden, war damit nahezu unmöglich. Gleichwohl regredierte die katholische Kirche nicht insgesamt auf den Stand einer fundamentalistischen Gemeinschaft; spätestens nach 1918 setzten sich Reformkräfte zäh und geduldig gegen manchen Widerstand durch und schufen eine Theologie, die das Konzil vorbereitete. Völlig überraschend war diese Entwicklung nicht, denn trotz des tiefen Misstrauens gegen Moderne und Reform hielt das I. Vatikanische Konzil an der Notwendigkeit einer rationalen Vermittlung des Glaubens fest – auch wenn man damals überzeugt war, in der Scholastik, vor allem in der Synthese des Thomas von Aquin, sei alles Notwendige im Grunde gesagt und die Philosophie der Neuzeit eher ein fortschreitender Abfall von diesem Höhepunkt. Auch hier wies die weitere Forschungsarbeit den Weg zu einem differenzierteren Bild von Mittelalter und Neuzeit. Die katholische Exegese holte, nachdem sie am aktuellen Diskurs der Bibelwissenschaft partizipieren konnte, den Forschungsstand rasch auf arbeitet heute zusammen mit evangelischen und jüdischen Wissenschaftlern an ambitionierten Projekten. Es war aber wohl von Anfang an illusionär, dass alle Gruppen der Kirche den konziliaren Reformprozess nach 1965 unterstützten. Was noch wenige Jahrzehnte mit Vehemenz verfochten wurde, konnte aus der Sicht traditionalistischer Kreise nicht plötzlich falsch werden. Kollegialität statt strikter Hierarchie, Gewissensund Religionsfreiheit, Hinwendung der Kirche zur Welt: Waren diese Neuerungen nicht mit Recht als häretisch verurteilt worden? Nun aber fanden sich derartige Ansichten auch noch in den Dokumenten eines Konzils, das nicht etwa die Versammlung einiger Schismatiker war, sondern vom Papst selbst einberufen

241

DH 3503.

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wurde. Erzbischof Marcel Lefebvre und seinen Anhängern erschien dies als Abfall vom wahren kirchlichen Auftrag, und Lefebvre formulierte Mitte der siebziger Jahre seine Anklage gegen das Konzil und die von ihm angestoßenen Reformen242. „Da diese Reform, warnt Lefebvre, „vom Liberalismus und vom Modernismus ausgeht, ist sie völlig vergiftet. Sie stammt aus der Häresie und führt zur Häresie.“243 Man wird sich fragen, wie angesichts dessen eine Integration der Piusbruderschaft in die nachkonziliare Kirche möglich sein soll. Die zumindest eingeschränkte Anerkennung anderer Religionen, die positive Würdigung einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die Akzeptanz autonomer ‚Kultursachbereiche‘ und der Abschied vom christlichen Europa – dies alles ist mit dem Gesellschaftsmodell des vor- und nachkonziliaren Integralismus unvereinbar: „Der Fundamentalist steht für eine totale Religion, für eine Gesellschaft als totale religiöse Institution. Er ist damit nicht einfach ein Konservativer, sondern ein erklärter Gegner der Moderne.“244 Indessen beschränken sich die tiefen Reserven gegenüber dem jüngsten Konzil und den Entwicklungen in Europa nicht nur auf die Mitglieder der zum Bruch bereiten Priesterbruderschaft Sankt Pius X, die sich mit Bedacht nach dem ‚Antimodernismus-Papst‘ benennt. Die Furcht vor einer relativistischen Verflüchtigung des Christentums in den pluralistischen Gesellschaften und eines völligen Verlustes der lehramtlichen Autorität treibt auch manche Amtsträger um und motivierte vielleicht die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft Pius X. am 21. Januar 2009. Sie löste innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche Irritationen und heftige Kontroversen aus, zumal ihr in keiner Weise eine Anerkennung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Reformprozesses durch die Piusbruderschaft vorausgegangen oder erkennbar war. (vgl. http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cbishops/documents/rc_con_ cbishops_doc_20090121_remissione-scomunica_ge.html)245. 242 243 244 245

Vgl. Lefebvre 2009; Almond et al. 2003: 25f. Lefebvre 1992: 166. Ebertz 2009: 138.

Letzter Zugriff: 03/11/2015; Neuner 2009: 175-184.

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Ebenso heftig wie im evangelischen und katholischen Christentum verläuft für Judentum und Islam der Prozess einer bewussten Neusituierung der eigenen Gemeinschaft in der Moderne. Der Streit zwischen Orthodoxie und Reformjudentum im 19. Jahrhundert hatte thematisch manche Parallele zu entsprechenden innerchristlichen Debatten. Die Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die fundierenden Texte und Traditionen, der Abschied von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell und die Reform der Liturgie provozierte emotionale Reaktionen, zumal die Halakha mehr noch als bestimmte Lehrinhalte eine zentrale Funktion für die jüdische Identität hatte und bis heute hat. Das Spektrum der Gegenbewegung reicht von einer für die uneingeschränkte Partizipation an der bürgerlichen Gesellschaft durchaus offenen und (in Grenzen) entwicklungsfähigen Neoorthodoxie eines Samson Raphael Hirsch bis zu Gemeinschaften, die sich selbst von ihrer jüdischen Umwelt isolieren, um ein Judentum zu leben, von sie glauben, dass es bereits in biblischer Zeit exakt so praktiziert wurde. Die ultra-orthodoxen Haredim wiederum sind überzeugt, dass das vormoderne osteuropäische Judentum der authentische Ausdruck des Judentums schlechthin sei246. In einigen Vierteln New Yorks, vor allem aber in Israel birgt diese Fixierung auf angebliche jüdische ‚Fundamentals‘, die absolute Autorität genießen, erhebliches Konfliktpotenzial, zumal anders denkenden Juden ihr Judentum abgesprochen wird und Deutungshoheiten beansprucht werden, die selbst von Orthodoxen nicht akzeptiert werden. Weil die eigene Auffassung der Halakha nicht vom jüdischen Umfeld geteilt wird, lebt man sowohl in New York als auch in Israel in Galus bei Yidn247. Der Staat Israel ist in den Augen vieler ultraorthodoxer Gruppen eine menschliche Anmaßung, bleibt es doch dem Messias vorbehalten, die Diaspora zu beenden und einen jüdischen Staat zu gründen. Dem entspricht eine strikt antizionistische Haltung, zumal der Zionismus sich als durchaus säkular verstand. Der strikten Abgrenzung gegen die säkulare Welt entspricht eine strenge Kontrolle des alltäglichen Lebens nach in246 247

Vgl. Menachem Friedman in Kaplan 1992: 164; Almond et al. 2003: 60. Vgl. Almond et al. 2003: 23f.

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nen. Gemeinsam ist auch diesen fundamentalistischen Gruppen die Konstruktion einer idealisierten normativen Vergangenheit, von der sich die Mehrheit des heutigen Judentums zum Schaden der Gemeinschaft entfernt habe. Von diesen ultraorthodoxen Richtungen unterscheiden sich die nationalreligiösen Gruppen deutlich, die zu den längerfristigen Folgen des Sechstagekrieges (1967) gehören. Der Sieg Israels über die arabischen Gegner gestattete eine Besetzung des im UNO-Teilungsbeschluss der arabischen Seite zugesprochenen Territoriums des einstigen britischen Mandatsgebietes. Was aus Sicht der säkularen israelischen Regierung zeitlich befristet war und den Sicherheitsinteressen diente, wurde bei einigen Gruppen in einer prekären Verbindung von Nationalismus und religiösem Fundamentalismus – wie im „Gush Emunim“ („Block der Gläubigen“ oder „Getreuen“) – geradezu messianisch aufgeladen248. Der auf wunderbare Weise gewonnene Sechstagekrieg führte die Gruppe, „headed by Rabbi Kook the Younger“ über ihre bescheidenen Anfänge weit hinaus 249. Die Gründung des Staates (1948) bezeichnet nach deren Deutung nur den ersten Kulminationspunkt eines Erlösungsgeschehens, das mit der Besiedlung Palästinas ab den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, und sich bis heute fortsetzt in der jüdischen Besiedlung des gesamten Territoriums, das in der Bibel den zwölf Stämmen zugesprochen wurde. Die fundamentalistische Lesart des im biblischen Text keineswegs eindeutigen Grenzverlaufs birgt ein hohes außenwie innenpolitisches Konfliktpotenzial. An die Stelle der militärischen Besatzung tritt die Besiedlung und Annexion des Westjordanlandes, und jeder territoriale Kompromiss mit der arabischen Seite stellt aus Sicht des nationalreligiösen Fundamentalismus einen Verrat dar. Zur Militanz tendierte auch die von Meїr Kahane (1932-1990) bis zu seinem gewaltsamen Ende ideologisch geleitete Bewegung Kach (so!). Ihre Anfänge liegen in den USA wo Kahane die Jewish Defense Leage gründete, eine gegen antijüdische Aktionen gerichtete paramilitärische Organisation. Nach Kahanes Alija entwickelte sich mit Kach eine radikale 248 249

Vgl. Almond et. al. 2003: 160f. Ebd.: 161.

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Bewegung, die ihre ethnozentrische, ja rassistisch gefärbte Ideologie durch eine fundamentalistische Auslegung von Bibel und Halakha zu stützen versucht. Zum Programm gehört auch die Exklusion der arabischen Bevölkerung – „first exclusion from Jewish neighborhoods and business, and later, from the Land of Israel alltogether“250. Für einen jüdischen säkularen und demokratischen Staat bilden diese militanten Gruppen eine ernste Gefahr, wie nicht nur die zahlreichen Anschläge auf Palästinenser, sondern auch die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzchak Rabin am 4. November 1995 zeigen. Der Fundamentalismus im Islam teilt mit den christlichen und jüdischen Formen die Tendenz zu einer eindeutigen Interpretation der (wörtlich geoffenbarten) fundierenden Texte, die eine ganze Tradition unterschiedlicher oder gegenläufiger Deutungen (und Lebensformen) ausschließt. Dabei gilt schon für den Koran, dass er „nicht monophon angelegt ist, sondern polyphon: Aus ihm sprechen viele Stimmen.“251 Die Offenbarung als Wort Gottes beschränkt sich auch nicht auf den Koran, es „erschöpft sich nicht in einem Buch“252. Die konkrete Gestalt des Koran verdankt sich menschlicher Bearbeitung, und so spricht der Text nicht mit einer Stimme253. Der seit den frühesten Anfängen des Islam sich entwickelnde Pluralismus der Tradition wird im Fundamentalismus jedoch enggeführt auf eine bestimmte Deutung, die hinreichend Sicherheit gibt und für den Kampf gegen die Moderne oder bestimmte Aspekte der Moderne besonders geeignet zu sein scheint. Diese Eindeutigkeit und Homogenität wird projiziert in eine normative goldene Vergangenheit, die nach Möglichkeit wieder hergestellt werden soll254. Deren Verlust soll bedingt sein durch falsche innerislamische Entwicklungen, vor allem aber durch das Ende seiner kulturellen und politischen Vorrangstellung. Traumatisch wirkte sich der zunehmende Machtverlust des osmanischen Reiches seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus. Sie wurde, worauf

250 251 252 253 254

Almond et.al. 2003: 162. Abu Zaid/Sezgin 2008: 65. Ebd.: 69, unter Hinweis auf Sure 31,27 und 18,109. Vgl. ebd.: 77, 206. Vgl. ebd.: 211f.

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Bernard Lewis mit Recht hinweist, „im Jahre 1798 handgreiflich demonstriert, als ein französisches Expeditionskorps unter dem Oberbefehl eines jungen Generals namens Napoleon Bonaparte Ägypten eroberte, besetzte und regierte. Die Lektion war bitter und unmissverständlich: schon eine kleine europäische Streitmacht genügte, um ungestraft in Kerngebiete der islamischen Sphäre einzufallen.“255 Dieser Befund wird m.E. in Edward Saids Studie zum Orientalismus nicht angemessen berücksichtigt. Die unbestrittene Möglichkeit, „dass sich orientalistische Theorien politisch nutzen lassen“ – also die europäische Konstruktion des Orients256 kolonialistischen Interessen zuarbeitet, ändert nichts daran, dass der gesamte Orient technisch, ökonomisch und militärisch gegenüber dem Westen zurückblieb und zur leichten Beute werden konnte, so dass Kulturen, die sich ihrerseits dem Westen als überlegen einstuften, eine schwere narzisstische Kränkung erlitten. Von dieser Zeit an bis weit in das 20. Jahrhundert hinein blieben das Osmanische Reich und der Iran Spielbälle der europäischen Großmächte Frankreich, Großbritannien und Russland. Eine wirksame Gegenmacht auf islamischer Seite gegen diese Entwicklung gab es nicht, vielmehr zeigte sich, „wie hilflos die muslimischen Staaten den europäischen Mächten gegenüberstanden“257. Der arabische wie der türkische Nationalismus führten schließlich dazu, dass aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches neue selbstständige Staaten – oft mit einem dezidiert säkularen Régime – entstanden, die schließlich der französischen und britischen Kolonialherrschaft in der Region ein Ende setzten. Mit der grundlegend veränderten politischen Konstellation nach 1945 gerieten die neu gegründeten Nationalstaaten jedoch in den Einflussbereich der beiden Konkurrenten des Kalten Krieges, USA und UdSSR. Nicht nur Lateinamerika und Südostasien, sondern auch der Maghreb sowie der Nahe und Mittlere Osten gerieten in das Visier strategischer Interessen der neuen Großmächte. Die Gründung und

255 256 257

Lewis 2001: 29; vgl. Ruthven 2007: 24. Said 2012: 117, der eine andere Auffassung vertritt als Bernard Lewis. Lewis 2001: 30f.

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Existenz des Staates Israel 1948 wurde von den arabischen Nachbarn im Kontext der imperialistischen Interessen der alten Kolonialmächte und vor allem der Vereinigten Staaten gedeutet, während man die Möglichkeit, ob ein jüdischer Staat in der Region jenseits geopolitischer Strategien eine Legitimität haben könne, nicht ernsthaft erwogen wurde. Die Emanzipation der Juden vom Status einer Minderheit, die nur eingeschränkt Rechte beanspruchen konnte und unter einer teils strengeren, teils lockeren Aufsicht stand, wurde als Provokation empfunden; besiegelte sie doch den Verlust des einstigen Glanzes, der mit historischem Abstand immer blendender wurde. Der erfolgreich aus Europa in die arabische Welt exportierte Antisemitismus bestimmte bereits die Haltung mancher arabischer Religionsführer und Politiker seit den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts. Dies und die damit verbundene strikte Ablehnung der jüdischen Besiedlung Palästinas (die sich nach 1948 im Kampf gegen den jüdischen Staat fortsetzte) führten nicht nur den Großmufti von Jerusalem, Haj Muhammad Amim el-Husseini (1893-1974), während des II. Weltkriegs in eine große Nähe zum NS-Regime – bis hin zur offenen Kollaboration258. So versicherte elHusseini in einem Brief vom 27. Oktober 1943 Heinrich Himmler, dass die [!] Araber und Muslime fest entschlossen seien, „den Kampf gegen die Juden und ihre Helfershelfer Seite an Seite mit Deutschland und seinen Verbündeten bis zum endgültigen Siege durchzuführen“259. Dieser Kampf war keineswegs bloß rhetorischer Art. Schon im August 1929 war es zu schweren Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung in Jerusalem, Safed und Hebron gekommen. ElHusseini spielte in der „Islamisierung“ des Konflikts zwischen Arabern und Juden in den dreißiger Jahren eine zentrale Rolle260. Zugleich wuchs der Druck auf die arabische Bevölkerung, sich durch Kleidung und Verhalten deutlich von den Europäern abzusetzen261. Der Antisemitismus wurde – über die säkularen Re-

258 259 260 261

Vgl. Mallmann / Cüppers 2011: 11-68. el-Husseini in Herzl et. al. 2004: 187. Vgl. Mallmann / Cüppers 2011: 19-21. Vgl. ebd.: 32-38.

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gimes nach dem Ende des britischen Imperiums hinaus – schließlich integraler Bestandteil des Islamismus. Im Schatten von forcierter Modernisierung, Kolonialismus, Postkolonialismus und – nach 1945 – Kaltem Krieg entwickelten sich religiöse Gruppen, die sich bewusst nicht nur als Alternative zu den meist autoritären säkularen Regierungen vieler arabischer Staaten sahen, sondern auch als Widerstand und Protest „gegen den Eros des Kapitalismus“262. Eine Überwindung der erlittenen Kränkung wurde nicht von einer Modernisierung und Demokratisierung der Gesellschaften, sondern von einer Renaissance des Islam erwartet, eines Islam, wie er in den Anfangen geherrscht haben soll und dem die verlorene ruhmreiche politische wie kulturelle Überlegenheit über den Westen zu verdanken war. Der Koran in einer sehr engen Auslegung wurde zur Lösung aller Probleme. Die Etablierung religiös ausgerichteter sozialer Netzwerke wie etwa der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft sprach gerade Bevölkerungsgruppen an, die von der bisherigen Modernisierung kaum profitiert hatten, und Intellektuelle, die auf der Suche einer klaren Identität waren, durch die man sich vom ‚westlichen Imperialismus‘ abgrenzen konnte. Die Rückgewinnung der Tradition, die regelmäßige Lektüre und Rezitation des Koran, die Vermeidung des diesseitigen, säkularen Weges, welcher mit seiner Umwertung aller Werte der heutigen Zivilisation nichts als Leid brachte, die Mahnung, Kasinos und Alkohol aus dem Weg zu gehen, den Kontakt mit dezidiert säkularen Zeitgenossen und vor allem verführerischen Zeitgenossinnen zu meiden, gehört zu jenen Ratschlagen, die der Begründer der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna (1906-1949) in seinem Brief an einen muslimischen Studenten erteilt263. Anstatt sich derart ablenken zu lassen, hat der wahre Muslim sich dem ständigen Kampf zu widmen, und das schließt auch die Möglichkeit eines gewaltsamen Endes für die Sache Allahs ein, wie Al Bannah in seiner Schrift Jihad – a comprehensive view betont. ‚Jihad bedeutet hier nicht etwa in einem allgemeinen Sinne ‚Anstrengung‘, die jedem 262 263

Hoff 2007: 97. Vgl. al-Banna 1995: 15f; zu al-Banna vgl. auch Krämer 2005: 296f.

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Gläubigen auferlegt ist, sondern meint ausdrücklich den engeren Sinn eines ‚Zeugnisses‘, das den eignen Tod einschließt. Dem Märtyrer winkt nicht nur das hohe Ansehen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft (ummah), sondern auch das Glück im Jenseits. So lesen wir in der kleinen Schrift al-Bannas über den Jihad: „My brothers! The ummah that knows how to die a noble and honorable death is granted an exalted life in this world and eternal felicity in the next. Degradation and dishonor are the results of the love of this world and the fear of death. Therefore prepare for jihad and be the lovers of death. Life itself shall come searching after you. My brother, you should know that one day you will face death and this ominous event can only occur once. If you suffer on this occasion in the way of Allah, it will be to your benefit in this world and your reward in the next.” (Epilog von al-Banna) (Source: http://www.2muslims.com/directory/Detailed/226270.shtml)264

Die Internet-Version des Textes, welche die Internatioal Muslim Platform bietet, schickt ein Vorwort voraus, das al-Bannas Hochschätzung des Jihad unterstreicht und in den Kontext eines umfassenden Bedrohungsszenarios stellt. Weite Teile der Welt und insbesondere die muslimischen Gemeinschaften sind das Objekt finsterer politischer und ökonomischer Mächte, gegen die zu kämpfen ruhmreich ist; ein Kampf, der das Selbstopfer einschließt. Die Hoffnung auf eine Belohnung im Jenseits verbindet sich mit einer für westliche Leser befremdlichen Liebe zum Tod; ein Aspekt, der bei heutigen Selbstmordattentätern eine bedeutende Rolle spielt. Wer einmal diese Sicht teilt, lässt sich weder von einem hohen Risiko, dass die Aktion misslingt, noch von angedrohten Strafen oder Rücksichten auf Unschuldige abschrecken. Die Gleichheit der Geschlechter, die im Vorwort angedeutet wird (Männern und Frauen sollen ja zum Jihad bereit sein) endet freilich beim Opfer des eigenen Lebens für Gott. Auf die verführerische Macht jener Frauen, welche die tradierte oder vom Fundamentalismus als traditionell angesehene Konstruktion des Geschlechterverhältnisses nicht anerkennen, hatte al-Banna schon hingewiesen. Die sorgfältige Kontrolle der zahlreichen Restriktionen unterworfenen Frauen und die Naturalisierung bzw. Theologisierung der herrschenden Genderverhält264

Letzter Zugriff 11/28/2014.

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nisse – also das, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu „die männliche Soziodizee“ nennt265 – gehört allerdings nicht nur zum islamischen Fundamentalismus, sondern ist einem jeglichen wesentlich. Er profitiert von der bisherigen „geschichtlichen Enthistorisierungsarbeit“266, und setzt sie fort, was nur gelingt, wenn das Denken einer scharfen Zensur unterworfen wird und Frauen – unter Androhung von Sanktionen – lediglich einen limitierten Zugang zu Bildungseinrichtungen haben. Mit der Fähigkeit, angeblich natürliche oder von Gott begründete Strukturen als historisch geworden zu durchschauen, verfliegt der Zauber einer ewigen Ordnung und mit ihr die Evidenz des fundamentalistischen Wahrheitsanspruchs. In der spezifischen Codierung des Genderverhältnisse ist der antimoderne Impetus des Fundamentalismus geradezu verdichtet267. Indessen ist das Verhältnis der meisten Fundamentalisten zur Moderne keineswegs so eindeutig ablehnend, wie man es zunächst annehmen möchte; „we must also recognize both their ambivalent attitude toward modern science and their simultaneous selective adoption of its methods.“268 Schon im amerikanischen Fundamentalismus verbinden sich ein nahezu unerschütterlicher Glaube an die Segnungen des freien Marktes und des unaufhaltsamen technischen Fortschritts mit vormodernen religiösen Deutungsmustern. Aber auch der islamische Fundamentalismus, der diesen Fortschrittglauben nicht teilt, profitiert von Internet, Facebook, Twitter, Fersehen und den nach wie vor wichtigen Printmedien. Wer sich nicht aus der Öffentlichkeit in einen kontemplativen Raum zurückzieht, sondern bestrebt ist, Anhänger zu gewinnen und die Gesellschaft zu transformieren, ist ebenso auf eine möglichst breite Kommunikation angewiesen und auf eine moderne Logistik. Zu den Errungenschaften der Moderne, deren sich auch Fundamentalisten souverän bedienen, gehören die Medien als Mittel der Propaganda. In deren Darstellung bildet der Gegner die tiefschwarze Folie, vor der sich die eigene Gemeinschaft mit ihren Regeln leuchtend abhebt. Auf die gegne265 266 267 268

Bourdieu 2005: 44. Ebd.: 144. Vgl. Ruthven 2007: 59-80. Almond et al. 2003: 11.

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rische Seite gehören Muslime, welche die islamistische Koranauslegung und die daraus sich ergebende Lebensführung nicht teilen, die Trennung von Religion, Staat und Gesellschaft befürworten und durchaus am modernen urbanen Leben partizipieren möchten. Sie sind Opfer von Diffamierungen und nicht selten offener Gewalt, bilden sie doch gleichsam die ‚fünfte Kolonne‘ des imperialistischen Westens269. Forderungen nach Demokratie, Orientierung an wissenschaftlichen Standards, Bildung und Abbau genderspezifischer Ungleichbehandlung werden als westliche Propaganda diffamiert oder – wie in der Islamischen Republik Iran – nur wohldosiert umgesetzt. Die anti-imperialistische Pointierung des islamischen Fundamentalismus verlieh diesen Gruppen den Schein eines legitimen Widerstandes, der sie mit anderen, eher dem linken Spektrum angehörenden Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, Asien und Afrika in eine Verbindung bringt. In der Tat profitieren viele islamistischen Bewegungen davon, dass die monotheistischen Religionen ein hohes soziales Ethos entwickelten, das mit den neoliberalen ‚Reformen‘, wie sie auch vielen Schwellenländern nachdrücklich empfohlen werden. nicht kompatibel ist. Sowohl der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft (Deregulierung) als auch die rigorose Austeritätspolitik (‚solider Haushalt‘) haben dramatische Auswirkungen für die Unterschicht und die stets vom sozialen Abstieg bedrohte Mittelschicht. Zusammen mit einer hohen Korruption – von der politischen Klasse (die sich von der Austeritätsdisziplin ausnimmt) bis hinab zu den unteren Beamten, – sorgen die Verhältnisse für eine steigende Unzufriedenheit, die sich im so genannten ‚arabischen Frühling‘, dessen Blüten inzwischen verwelkten, entlud. Gut ausgebildete, an einer demokratischen säkularen Gesellschaft interessierte, im eigenen Land von Arbeitslosigkeit bedrohte junge Leute ebenso wie Teile der Unterschichten und Anhänger islamistischer Heilslehren bildeten eine vorübergehende fragile Koalition gegen die eher säkular orientierten autoritären Regimes. Manches spricht dafür, dass fundamentalistische zumindest mittelfristig von den Unruhen profi-

269

Vgl. ebd.: 102f.

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tieren; halten sie doch die gedemütigten Unter- und Mittelschichten die einfachen Rezepte bereit. Die Rückkehr zu einem als ‚ursprünglich‘ angesehenen Islam (der historisch so nie existierte270) wird innenpolitisch als Sieg des Volkes und außenpolitisch als Emanzipation von der Diktatur des globalisierten Marktes und des westlichen Imperialismus dargestellt (so in Artikel 22 der HamasCharta: http://www.mideastweb.org/hamas.htm)271. Die Muslimbruderschaft ebenso wie Hamas unterhalten Sozialeinrichtungen, mit deren Hilfe die breite Schicht der Modernisierungsverlierer und Teile der ökonomisch prekären und politisch schwachen, jedoch ambitionierten Mittelschicht für die eigene Sache gewonnen werden können. Zugleich halten der militante Antiamerikanismus und der Antisemitismus ein willkommenes Feindbild bereit. Dies ist sicher kein ‚linkes‘ Projekt, sondern, wie die europäische Geschichte zeigt, durchaus Strategie einer Revolution ‚von rechts‘. Der kleine Rundgang durch eine bizarre Welt zeigt, dass die präzisere Bestimmung dessen, was das Phänomen Fundamentalismus ausmacht, welche sozialen, religiösen und historischen Ursachen es hat und welche Rolle der Fundamentalismus im psychischen Haushalt seiner Anhänger spielt, keineswegs ein rein akademisches Thema ist: Vielmehr steht dieser Versuch sowohl im Interesse einer Selbstverständigung moderner Demokratien als auch reformorientierter Religionsgemeinschaften. John Coleman schlug eine für weitere Überlegungen hilfreiche Definition des Fundamentalismus vor, die einige der bislang angesprochenen Merkmale enthält: „Fundamentalism should not be equated, tout court, with either traditionalism or conservatism, both of which exist in nonfundamentalist forms. Indeed fundamentalism itself is a modern phenomenon, an aggressive reassertion of elements of traditionalism in the fight against modernity. For purposes of this essay I will define fundamentalism an innovating and aggressive form of traditionalism based on a literal and hermeneutically privileged focus of authority: a book, a set of customs, an interpreting institution such as the papacy or the Twelve Apostles in Mormonism.”272

270 271 272

Vgl. Al-Azmeh 2009: 8. Letzter Zugriff: 01/05/2015. Coleman in Kaplan 1992: 75; Hervorhebung: R.B.

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Die in der Moderne angefochtene religiöse Autorität mit ihrer identitätsstiftenden Funktion wird jenseits rationaler (Gegen-) Argumente affirmiert. Der geborene Feind der so mühsam erkämpften Gewissheit ist mithin der Zweifel. Daraus ergibt sich ein zweiter Definitionsversuch: Den religiösen und kulturellen Fundamentalismus kennzeichnet wesentlich, dass bestimmte Autoritäten (Schriften, Personen, Institutionen, Traditionen) vom Zweifel implizit oder explizit ausgenommen werden. Ebenso entschieden lehnt man die Rekonstruktion ihrer historischen Genese, mit der sich die Einsicht in die mögliche Wandelbarkeit verbindet, ab. Zur Abwehr gehört auch die aggressive Haltung gegenüber Personen und Gruppen, die den mühsam unterdrückten Zweifel offen aussprechen und mit starken Argumenten stützen. Autoritätsfixierung und Abwehr gehören zum Habitus des Fundamentalismus.

Dies hat natürlich auch Konsequenzen für eine Theologie der Religionen: Soweit andere Religionen zur Infragestellung der eigenen Identität oder vielmehr deren Konstruktion führen oder auch nur die Möglichkeit dazu besteht, beschränkt sich die Haltung ihnen gegenüber auf Abwehr. Nur Mitglieder der eigenen religiösen Gemeinschaft haben Aussicht auf Heil, während Dissidenten und Angehörige anderer Religionen entweder vom Heil gänzlich ausgeschlossen sind oder aber – so die moderatere Position – sich im ‚letzten Augenblick, d.h. angesichts des göttlichen Gerichtes, noch bekehren, ihrem bisherigen Glauben abschwören und den früheren Lebenswandel tief bereuen. Keine andere Religion oder Konfession als einzig die eigene bezeichnet einen Weg zum Heil, keine andere erfreut sich der göttlichen Zuwendung und Verheißung. Die strong religion bleibt darum einer exklusivistischen Position verhaftet, die übrigens von den drei monotheistischen Religionen auch in Antike und Mittelalter keineswegs durchgehend vertreten wurde. Auch hier ist die Vergangenheit das Resultat einer von gegenwärtigen Wünschen und Ängsten geleiteten Konstruktion. Auf katholischer Seite bedurfte es einiger Zeit, bis erstens theologische Modelle vorlagen, die auf überzeugende Weise die Möglichkeitsbedingung eines Heil auch der Anderen darzulegen vermochten, und zweitens das Lehramt eine solche Positionsänderung auch offiziell nachvollzog.

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Kapitel 4 Jenseits des Exklusivismus: theologische Modelle einer Neubewertung nichtchristlicher Religionen

Eröffnung des zweiten Vatikanischen Konzils im Petersdom am 11. Oktober 1962 (Foto: AZ)

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a). Die Öffnung des II. Vatikanischen Konzils: ‚Nostra aetate‘ und ‚Lumen gentium‘.

Die katholische Kirche war, wie wir sahen, keineswegs frei

von fundamentalistischen Versuchungen, auch wenn sie andererseits an der Notwendigkeit einer rationalen Vermittlung des Glaubens festhielt, die freilich im 19. Jahrhundert noch an vormodernen Modellen orientiert war und die neuzeitlichen Entwicklungen energisch abwehrte. Erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) begann die überfällige Öffnung zur Moderne auch auf lehramtlicher Seite, eine Öffnung, die freilich auf bedeutende Vorarbeiten von Theologen wie Karl Rahner, Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar, MarieDominique Chenu, Yves Congar und Edward Schillebeeckx zurückgreifen konnte273. Es waren jene Theologen, die beabsichtigten, „to reconnect Catholic theology with the reality of the faith and with the concrete everyday life“274, ein Programm, das auf Gaudium et spes vorausweist und die theologischen Grundlagen eines solchen Textes detailliert erarbeitete. Allerdings setzte das Konzil, wie Karl Rahner mit Recht betonte, „den Anfang für den Aggiornamento“, es war also nur ein „Anfang des Anfangs“275. Bahnbrechend waren die pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et spes), die Erklärung über die Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und – von grundlegender Bedeutung für eine Theologie der Religionen – die Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate; die mit 2221 Ja – gegen 88 Nein-Stimmen am 28. Oktober 1965 angenommen und verkündet wurde. Kardinal Agostino Bea (1881-1968) hatte das Dokument maßgeblich vorangetrieben. Ursprünglich war es konzipiert als Erklärung über das Verhältnis der 273 274 275

Vgl. ausführlich Mettepenningen 2010: 41-138. Ebd.: 37. Rahner 1966: 14.

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Kirche zum Judentum, seine Urfassung von 1962 – von Johannes XXIII. angestoßen – bestand noch aus einem gegen den Antisemitismus gerichteten Text. Dieses Schema wurde nicht nur wegen des Drucks arabischer Staaten zurückgezogen. Auch der Versuch, es in das Schema über den Ökumenismus einzugliedern, scheiterte und so wurde ein neuer Text 1964 erarbeitet, der auch das Verhältnis zu den übrigen nichtchristlichen Religionen zum Gegenstand hat. Dieser Entwurf wurde im Grundsatz angenommen, auch wenn das Gefälle von NA Nr. 4 zu den übrigen Passagen nicht zu übersehen ist. Bereits in der Nr. 1 konstatiert Nostra aetate eine Tendenz zur one world („In unserer Zeit, in der sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger eint / Nostra aetate in qua genus humanum in dies arctius unitur) die ihren Ursprung und auch ihre Berechtigung in dem einen Gott hat (1,1), dessen Güte und Heilsratschlüsse sich auf alle Menschen erstrecken. Alle Religionen sind Antwortversuche auf „die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins“, wobei das Konzil hier noch offen lässt, ob auch die übrigen nichtchristlichen Religionen auf die Selbstoffenbarung Gottes zurückgehen oder menschliche Produkte sind. Die Kirche“, heißt es schon deutlicher in Kapitel 2,2, „verwirft nichts von dem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ und bei aller Differenz zum Christentum doch „einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“. Dieser Satz kann, wie weiter oben schon angedeutet, so ausgelegt werden, dass prinzipiell die Möglichkeit einer vorgängigen Offenbarung Gottes an alle Menschen konzediert wird (wie immer diese genau zu denken ist), die sich in anderen Religionen – wenn auch in defizienter Form – objektiviert. Damit ist hier nachdrücklicher als in anderen Dokumenten des Konzils wie etwa in LG 16 „the existence of authentic values in the religious traditions themselves“ festgehalten worden276. Die anschließende Mahnung zu „Gespräch und Zusammenarbeit“ mit den Angehörigen anderer Religionen gründet nicht nur im Bewusstsein der zusammenwachsenden Menschheit bei zu respektierender reli-

276

Dupuis 2005: 164.

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giöser und kultureller Differenzierung, sondern in der Offenbarung Gottes selbst, die im Christusereignis zwar ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat277, aber auf dieses nicht völlig begrenzt ist278. Auch wenn das Zweite Vatikanische Konzil mit Paul Knitter als ‚Meilenstein‘ auf dem Weg der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bezeichnet werden kann, so bleibt doch die spezifisch theologische Qualität eben jener Religionen nicht hinreichend bestimmt und lässt auch eher restriktive Deutungen zu279. Auch hier bestätigt sich Rahners Bemerkung, das Konzil sei erst der Anfang des Anfangs, wo mutige Schritte sich ebenso finden wie Vorsicht und Reserven. Innerhalb der konkreten Verhältnisbestimmungen zu den einzelnen Religionen bleiben die Ausführungen zum Islam allzu knapp und summarisch. Sie fallen merkwürdig unscharf aus, verweisen auf den Glauben an den einzigen Gott, „den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“, die Anerkennung Jesu „zwar nicht als Gott“, aber als Prophet und die Hochschätzung Marias280, doch fehlt eine tiefere theologische Durchdringung, was besonders auffällt, wenn man diese Ausführungen mit der Nummer 4 vergleicht, welche die Klärung des Verhältnisses der Kirche zum Judentum beinhaltet. Was Nostra aetate für viele Zeitgenossen zu einem wegweisenden Text werden ließ, war der Abschied sowohl von der ‚Gottesmordbehauptung‘ als auch von der Substitutionstheorie, der gemäß Gott Israel nach seiner Ablehnung und Tötung Jesu verworfen habe und an nun die Kirche als das neue Israel an dessen Stelle trat. Die Substitutionstheorie bestimmte nicht nur die Theologie, sondern auch Katechese und Alltagsreligiosität. Sie war Teil der christlichen Sozialisation und Identität bis weit in die Moderne hinein. Mit dieser über viele Jahrhunderte festgehaltenen Sicht brach nun das Konzil: Erstens betont das Konzil eine allen Differenzen vorausgehende geistliche Verbundenheit mit dem Judentum von Abraham her, durch die Schriften des sog. Alten Testa277 278 279 280

Vgl. Die Verbum Nr. 4. Vgl. Dupuis 2005: 164. Vgl. Knitter 2010: 75-79; Dupuis 2005: 165-168. Nostra aetate Nr. 3.

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121 ments und nicht zuletzt durch die Zugehörigkeit Jesu und der ersten Jünger zum jüdischen Volk. Zweitens verurteilt das Konzil jeglichen Antisemitismus, wie auch immer er sich zu legitimieren versucht. Drittens distanziert es sich von jener Tradition, welche pauschal damalige oder gar heutige Juden für den Tod Jesu verantwortlich macht. Viertens betont es gegenüber der Substitutionstheorie die bleibende Erwählung Israels; ein Punkt, der auch von der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium281 unter Berufung auf Röm 11,28f herausgestellt wurde.

Damit diese Erklärung nicht wirkungslos verhalle, werden Prediger und Katecheten ermahnt, sich vor jedweder Diskriminierung des Judentums, die nunmehr als Verfälschung des Glaubens gewertet wird, zu hüten. Der Artikel 5 geht über das christlich-jüdische Verhältnis hinaus und verwirft „jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen“; „jeder Theorie oder Praxis“ wird „das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht“. Trotz mancher Kompromisse und kurz vor der Abstimmung vorgenommener Abschwächungen war für Gerhard Riegner, der für den Jüdischen Weltkongress als Beobachter am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, Nostra aetate ein „wirklicher Anfang, eine beispiellose Erneuerung“. Allerdings sind, wie auch Riegner konstatiert und oben bereits angemerkt wurde, die Abschnitte über die anderen nichtchristlichen Religionen, „dem Text über die Juden aufgepfropft worden und lassen nicht den gleichen Grad an Reflexion und Ausarbeitung erkennen“ 282. Ein weiterer, für unsere Frage nach einer Theologie der Religionen relevanter lehramtlicher Text ist die Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium. Der Text vermeidet schon zu Beginn in Nr. 1 eine ekklesiozentrische Perspektive: Das Licht der Völker (lumen gentium) ist eben nicht die Kirche, 281 282

Vgl. Lumen gentium Nr. 16. Vgl. Riegner 2001: 383 und 354.

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sondern Christus, während die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament (veluti sacramentum) bzw. Zeichen und Werkzeug (sigmum et enstrumenten) für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts ist“. Ausgehend von dieser Christozentrik wendet sich der Text erst in einem nächsten Schritt der römisch-katholischen Kirche zu, um in der Nr. 15 den Blick auf die übrigen Kirchen und Gemeinschaften zu weiten. Nr. 16. Schließlich befasst sich mit denjenigen, „die das Evangelium noch nicht empfangen haben“. Sie bilden nicht etwa eine amorphe Masse außerhalb der christlichen Gemeinschaft(en), sondern sind auf das Gottesvolk, als welches sich die Kirche versteht, „auf verschiedene Weise hingeordnet“:  „In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (Röm 9,4.5.), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teuere Volk: die Gaben und die Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (Röm 11,28.29).  Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.  Aber auch zu den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und Atem gibt (Apg 17,25-28) und als Erlöser will, daß alle Menschen gerettet werden (1 Tim 2,4). Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewigen Heil erlangen.“  Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechText: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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tes Leben zu führen sich bemühen. Was sich nämlich an Gutem und Wahrem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe.“ Man könnte ein Modell konzentrischer Kreise entwerfen, in dessen Zentrum Christus steht, um den herum in unterschiedlicher Entfernung die übrigen Religionen gruppiert sind. Nicht vergessen werden auch jene, die keiner Religion zugeordnet werden können oder dies ausdrücklich ablehnen, wohl aber „nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen“, wie es im Text heißt. Damit erstreckt sich die Gnade Gottes weit über die Grenzen der katholischen Kirche, ja des Christentums hinaus. Der Text bestätigt auf seine Weise den universalen Heilswillen Gottes.

In der Mitte stehen Christus und seine Kirche als Gottesvolk; darum gruppieren sich 1. Kreis: Juden 2. Kreis: Muslime 3. Kreis: andere Religionen 4. Kreis: Nichtgläubige (Atheisten, Agnostiker, ‚Menschen guten Willens’) Die Perspektive, die Lumen gentium 16 einnimmt ist weder innerhalb der christlichen Theologie, noch (was kaum überraschen dürfte) außerhalb des christlichen Kontextes unumstritten. So wichtig der Abschied von einer simplen Ekklesiozentrik auch ist, so trifft der Text schwerlich das Selbstverständnis nichtchristlicher Gesprächspartner. Tatsächlich ist er auch eher zu lesen als eine innerkirchliche Verständigung mit Ziel, die irreversible Zusage Gottes an alle Menschen, d.h. über die sichtbaren Grenzen der römisch-katholischen Kirche Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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hinaus, lehramtlich festzuhalten. Wie genau dies zu denken ist, bleibt allerdings dunkel; es ist diese Unschärfe der Argumentation auf die Rahner in seinen Ausführungen zum anonymen oder impliziten Christentum hinweist und die er mit seiner Theorie des übernatürlichen Existentials schon früher grundgelegt hatte. Für heutige TheologInnen – jedenfalls außerhalb fundamentalistischer Strömungen – sind diese Lehren des Konzils mehr oder weniger selbstverständlich, für die damaligen Zeitgenossen bedeutete es eine sehr weitgehende Neuerung, die zugleich weitere Perspektiven eröffnete. Man wird diesen zunächst zögerlichen und gegen zähe Widerstände erkämpften Abschied von einer antijüdischen Theologie nur im Zusammenhang einer Neupositionierung der katholischen Kirche in der Moderne verstehen können. Die Reserven auch des römischen Lehramtes gegenüber der ‘bürgerlichen Verbesserung’, d.h. der Emanzipation der Juden im Laufe des 19. Jahrhunderts, die Pflege oder gar Revitalisierung alter Vorurteile und die bedenkliche Toleranz gegenüber antisemitischen Tendenzen waren Teil einer Abwehr der philosophischen, politischen und ökonomischen Entwicklungen seit der Frühen Neuzeit und verstärkt seit der Französischen Revolution. Dieser ‘antimoderne Habitus’ verlor erst im Umfeld des II. Vatikanums seine die kirchliche Lehre und Diplomatie prägende Kraft, und es bleibt zu hoffen, dass im Zuge einer Annäherung des Vatikans an die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X, die gerade die Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen, zur Religionsfreiheit und nicht zuletzt zum Verhältnis von katholischer Kirche und Moderne, wie sie programmatischen in Gaudium es spes formuliert wurde, vehement ablehnt, diese Errungenschaften nicht zur Disposition gestellt werden. Trotz der deutlichen Absicht Papst Franziskusʼ, die auf dem Konzil begonnene Arbeit des Aggiornamento fortzuführen und zu verhindern, dass der Anfang des Anfangs auch schon das Ende war, so bleiben immer noch massive Widerstände nicht nur in fundamentalistischen Kreisen zu überwinden und schwierige theologischen Fragen zu lösen.

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b) Viele Religionen, aber nur ein Heilsweg: der Exklusivismus

Um den

Umbruch zu verstehen, den eine Theologie auslöste, die den nichtchristlichen Religionen ausdrücklich eine theologische Bedeutung beimaß und sie in eine umfassende Theologie der Offenbarung integrierte, ist es sinnvoll, alternative Modelle in den Blick zu nehmen, die auf katholischer Seite bis zum Konzil eine starke Stellung in der Schultheologie behaupteten und in modifizierter Form sowohl von katholischen als auch von evangelischen Theologen bis heute vertreten werden. Es handelt sich um den in der theologischen Diskussion so genannten Exklusivismus. Er betont die Heilsnotwendigkeit allein (exklusiv) des Christentums, und zwar in katholischer Lesart begrenzt auf die römisch-katholische Kirche als einzige authentische Tradentin und Interpretin des ‚depositum fidei‘. Die klassische lehramtliche Formulierung dieser Position (die ihre lehramtlichen Vorläufer hat) findet sich in den Beschlüssen des Konzils von Florenz in der Bulle Cantate Domino aus dem Jahr 1442; dort heißt es: „Firmiter credit, profitetur et praedicat ‚nullus extra catholicam Ecclesiam existentes‘ non solum paganos‘, sed nec Iudaeos aut haereticos atque schismaticos aeternae vitae posse fieri participes sed in ignem aeternum ituros...“ / „Sie [die Text: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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Kirche, R.B.] glaubt fest, bekennt und verkündet, daß niemand, der sich außerhalb der katholischen Kirche befindet, nicht nur (keine) Heiden, sondern auch keine Juden, Häretiker und Schismatiker des ewigen Lebens teilhaftig werden können, sondern daß sie in das ewige Feuer wandern werden...“ – es sei denn, so fügt die Bulle hinzu, sie schließen sich vor ihrem Lebensende noch der Kirche an283. Das sind deutliche Worte, und die Verfasser sind sich der Wirkung dieser pointierten Formulierung durchaus bewusst, wenn sie unterstreichen, dass nur in der Einheit mit dem Leib der Kirche auch die Sakramente, das Fasten, die Almosen und „die übrigen Werke der Frömmigkeit“ zum Heil gereichen. Man sieht leicht, wie weit der Weg von hier aus zu Lumen Gentium ist. Ein Dialog mit nichtchristlichen Religionen kann eigentlich nur ein Ziel verfolgen: die Bekehrung und Taufe der Nichtchristen, ja Christen, die sich darum nicht bemühen, werden schuldig an der ewigen Verdammnis anderer. Auch wenn der Gedanke einer ‚Begierdetaufe‘, d.h. die Möglichkeit, dass ein Nichtchrist in seinem Leben etwas von dem, was im Christentum explizit zur Entfaltung kommt in hohem Maße realisiert, diese rigorose Position des Florentiner Konzils etwas abschwächt, so bleibt doch der Eindruck eines konsequenten und intransigenten Exklusivismus, der in dieser radikalen Form auch von vielen Kirchenvätern nicht vertreten wurde. Es zeigt sich an diesem Konzilstext, dass kirchenpolitische Fragen wie die Unionsverhandlungen mit Byzanz und anderen Kirchen des Ostens auch die Formulierungen dogmatisch relevanter Entscheidungen beeinflussen und bis in das 20. Jahrhundert hinein sich auswirkten. Nun muss eine exklusivistische Position nicht in jedem Falle denen, die nicht in der Kirche sind, den Verlust des Heils in Aussicht stellen. Denkbar auch, dass der universale Heilswille Gottes dem Menschen unbekannte Wege kennt. Einen exklusivistischen Standpunkt – und hier handelt es sich wirklich eingestandenermaßen um ein Standpunktdenken – nimmt auch eine Theologie ein, die anderen Religionen jeden positiven Bezug zur Offenbarung Gottes abspricht und sie 283

DH 1351 (vgl. auch schon DH 802); dazu Dupuis 2005: 93-96; zum Exklusivismus vgl. Knitter 2010: 1949; Schmidt-Leukel 2005: 96-127; Höhn 2011: 325; von Stosch 2012: 62-87; Ozankom 2012: 222.

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als bloße Selbstbehauptung des Menschen Gott gegenüber, d.h. als Unglauben, wertet, wie etwa Karl Barth im § 17 seiner Kirchlichen Dogmatik. Die Diskussion mit anderen Religionen ist auch für Barth selbstverständlich möglich – aber nicht auf theologischer Ebene. Denn hier kann es nicht um den Vergleich der Religionen gehen, auch nicht um die Frage, was das Christentum anderen Religion voraus haben könnte; das Christentum ist für Barth nicht in einem evolutionistischen Sinne der Höhepunkt der religionsgeschichtlichen Entwicklung, wie teilweise Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule und der liberalen Theologie sahen. Die Selbstoffenbarung Gottes in Christus ist Gericht und Aufhebung der Religion; denn diese „ist Unglaube; Religion ist eine Angelegenheit, man muß geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlosen Menschen“ Warum? „In religion“, fasst Paul Knitter die Sicht Barths zusammen, „humans try to ‚get into act‘ with their own words and beliefs and rituals and laws – and in the end, mess up God’s action.“284 Dies ist, wie Barth präzisiert, „keine Bestreitung des Guten, Wahren und Schönen“285; es ist die Beurteilung der Religion streng vom Standpunkt der Offenbarung her, die dem Menschen widerfährt, ihn richtet und erst so frei macht. Alle Gottesbilder aber, die die Religionen oder Philosophien entwickeln, verdanken sich dem Versuch des Menschen außerhalb der Offenbarung ein eigenes Reich und Recht zu begründen, ein der Offenbarung „widersprechendes Tun“286. Greift nämlich, wie Barth weiter ausführt, „der Mensch von sich aus nach der Wahrheit, so greift er von vornherein daneben. Er tut dann nicht das, was er tun müßte, wenn die Wahrheit zu ihm kommt. Er glaubt dann nämlich nicht. Würde er glauben, so würde er hören; in der Religion redet er aber. Würde er glauben, so würde er sich etwas schenken lassen; in der Religion aber nimmt er sich etwas. Würde er glauben, so würde er Gott selbst für Gott eintreten lassen; in der Religion aber wagt er jenes Greifen nach Gott. Weil sie dieses Greifen ist, darum ist die Religion Widerspruch gegen die Offenbarung, 284 285

286

Knitter 2010: 25. Barth KD I/2: 327; zur Bewertung Barths aus dem Blickwinkel einer pluralistischen Theologie der Religionen vgl. Knitter 2010: 23-26; Schmidt-Leukel 2005: 69, 124-126. Barth KD I/2:: 330.

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der konzentrierte Ausdruck des menschlichen Unglaubens, d.h. die dem Glauben gerade entgegengesetzte Haltung und Handlung.“287. Die Wahrheit Gottes – und damit Gott selbst – kommt auf den Menschen zu, nicht umgekehrt der Mensch auf Gott. Was der Mensch in seiner Bewegung auf Gott hin erlangt, ist „durchgehend und gänzlich eine Fiktion, die mit Gott selbst nicht nur wenig, sondern nichts zu tun hat, ein Gegengott, der erst als solcher erkannt werden und fallen muß, wenn die Wahrheit zu ihm kommt...“ Soweit Religion im Banne menschlicher Selbstbehauptung bleibt, verfällt sie vollständig der Feuerbachschen Projektionshypothese, ist der Gott der Religion das in den Himmel projizierte menschliche Wesen oder besser: Unwesen. „Die Offenbarung“, heißt es nochmals pointiert, „knüpft nicht an die schon vorhandene und betätigte Religion des Menschen, sondern sie widerspricht ihr, wie zuvor die Religion der Offenbarung widersprach, sie hebt sie auf, wie zuvor schon die Religion die Offenbarung aufhob.“288 Man muss wohl von einem ausgesprochen ‘autoritären’ Modell der Offenbarung sprechen, das Gottes Handeln und das Handeln des Menschen nur alternativ sehen kann: Aus sich heraus vermag der Mensch nichts zu tun als sich der Selbstdarbietung Gottes gläubig zu unterwerfen und das Gericht über ihn, das sie zugleich ist, als gerecht anzunehmen. Dass faktisch alle Bemühungen des Menschen auf Gott hin nur Formen menschlicher Selbstbehauptung sind, ist freilich, wie Barth ausdrücklich feststellt, „nicht im Wesen und Begriff des Menschen“289, wohl aber in seinem Status als Sünder begründet, aber auch dies ist eine Wahrheit, die der Mensch nicht in sich selbst findet, sondern die ihm erst von der Offenbarung gesagt werden muss. Diese Argumentation bewegt sich in einem Zirkel: Dass der Mensch Sünder ist und als solcher niemals von sich aus zur Wahrheit Gottes gelangen kann, sagt ihm erst die Offenbarung, der er sich vorab unterwerfen muss, um sein eigenes Unvermögen und seinen eigenen Status als verdammt und verloren zu erkennen. Glaube ist im strengen Sinne Un-

287 288 289

Ebd. Ebd.: 331. Ebd.: 336.

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terwerfung unter das Urteil Gottes. Jene Offenbarung aber ist in Jesus Christus fokussiert, das heißt, „daß unsere Rechtfertigung und unsere Heiligung und unsere Bekehrung und unsere Errettung in Jesus Christus ein für allemal geschehen und vollbracht ist“, und zwar durch den Austausch des Sünders mit der Heiligkeit und Gerechtigkeit Christi290. Barth denkt hier die Stellvertretung Christi als Tausch des Gerechten mit dem Schicksal des Sünders, ein Akt, der erst die vollständige Rechtfertigung dessen bewirkt, der sich nicht mehr am eigenen Schopfe aus dem selbst verschuldeten Sumpf ziehen kann. Diese Handeln Gottes erreicht den Sünder im Wort der Verkündigung, in das hinein sich die Heilstat Christi verlängert, d.h. in der Verkündigung ergeht an den Menschen das Wort Gottes, dem er sich gehorsam zu unterwerfen hat. Eine nähere Begründung für das Verkündigte kann der Mensch nicht fordern, denn jeder Bezug zu seinem Selbstverständnis ist per definitionem abgeschnitten; Offenbarung ist ja dessen Aufhebung, sie knüpft an keine menschliche Voraussetzung an. Welchen Formen der menschlichen Vermittlung das Wort durchlaufen hat, seine Geschichte und seine Geltung, die es beanspruchen kann, sind nicht die Fragen Barths; im Wort der Verkündigung spricht mich Gott an und fordert meine Entscheidung. Barths Theologie bricht, und zwar vollständig, mit jedem Versuch einer Glaubensbegründung, die immer nur Selbstbehauptung des Menschen sein kann. Der Glaube ist, ähnlich dem Verständnis Kierkegaards, ein Wagnis, ein Sprung aus dem zum Scheitern verurteilten Bemühungen des Menschen, zu denen alle Formen von Kultur, Philosophie und Religion gehören. Übersehen wird von Barth jedoch, wie Wolfhart Pannenbergs und Hansjürgen Verweyen mit Recht einwenden, „daß die Positivität der Offenbarung keine Alternative zum Subjektivismus in der Theologie darstellt, sondern vielmehr als theologische Position dessen äußerste Zuspitzung bedeutet“291. Der Dezisionismus, der jenem Sprung in den Glauben eignet, so die Kritik Pannenbergs, zerstört gerade den Anspruch auf Objektivität und Autorität, 290 291

Ebd. Pannenberg 1973: 274; vgl. auch Verweyen 2000: 41f.

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der sich doch mit dem Offenbarungsbegriff verbindet und den Barth mit allem Nachdruck verteidigt. Denn wenn jeder Rekurs auf ein ‚Vorverständnis’, sei es religiöser, sei es philosophischer Art, als der Offenbarung gänzlich unangemessen zurückgewiesen wird, wird das Subjekt selbst zum irrationalen Grund seines Glaubens. Das bloße Wort der Verkündigung erreicht mich zunächst als ein Wort der Menschen und nicht als göttliche Anrede; woraufhin aber kann diesem Wort geglaubt werden, das im Zeitalter von Werbung und Propaganda eines unter vielen ist? Im Akt der Unterwerfung unter einen völlig fremden Anspruch erlebt das Subjekt seinen letzten heimlichen Triumph, indem es selbst Ursprung und Souverän einer Entscheidung ist, die es in keiner Weise mehr vor anderen zu verantworten braucht. Der Ausschluss rationaler Gründe und Kriterien besitzt bedenkliche Affinitäten zu autoritären Ideologien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt solche Bedenken sind es, die die Barthsche Antithese von Religion und Rationalität einerseits und Offenbarung andererseits kaum als letzte Auskunft gelten lassen können. Eine Theologie der Religionen wäre unter der Voraussetzung Barths eigentlich nur möglich als Theologie einer bestimmten Form des Unglaubens, eben der Religion, neben der ebenbürtig die Philosophie auf der Anklagebank Platz nehmen darf. Damit ist über die Heilsmöglichkeit außerhalb des Christentums noch nicht entschieden in dem Sinne, dass Menschen außerhalb des ausdrücklichen Glaubens an Christus verloren seien, so dass Klaus von Stosch zutreffend Barths Position als ‚offenen Exklusivismus‘ bezeichnet292. Die im Grunde nicht ausweisbare Prämisse, dass schlechterdings alles, was der Mensch nicht aus dem Glauben an Christus tut, nur Ausdruck seines Selbstbehauptungswillens gegenüber Gott ist, verurteilt alle kulturellen Phänomene – nicht nur die vor- und außerchristlichen – ebenso wie die Geisteswissenschaften von oben weg. Was gegen sie vorzubringen ist, ist eigentlich nur eines: dass sie nicht im Glauben Grund und Richtschnur haben. Kann es neben einem expliziten christlichen Glauben

292

Vgl. von Stosch 2012: 73-76.

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überhaupt noch Gültiges geben? Bekanntlich schärfte Barths kompromisslose Theozentrik seine Kritik gegenüber allen Versuchen von Theologie und Kirche, sich nach 1933 dem neuen Regime zu akkommodieren und jene problematische Fusion von Neuheidentum, Gegenaufklärung, Antisemitismus und einem uminterpretierten Christentum zu betreiben, wie sie in der ‚Glaubensbewegung Deutscher Christen‘ traurige Realität wurde. Hier trat Religion ohne Zweifel in den Dienst eines verbrecherischen Systems, ein Akt, den man durchaus als moderne Form des Götzendienstes auffassen kann. Darüber hinaus ist Barth durchaus zu konzedieren, dass Gottes Offenbarung gegenüber allen menschlichen Hervorbringungen und Absicherungen einen Eigenstand bewahrt und zu ihnen in ein kritisches Verhältnis tritt. Es gibt also das Moment der Unterbrechung dessen, was in der Geschichte als ein allzu Selbstverständliches sich etablierte, Unrecht, das nur deshalb den Schein des Normalen und Üblichen annahm, weil es schon lange existierte und von allen praktiziert wurde. Offenbarung ist immer auch Gericht – und nicht bloß Bestätigung. Wenn aber schlechthin alles, worin endlicher Geist seinen Ausdruck – sich objektiviert – nichts ist als Ausdruck des Unglaubens und der Selbstbehauptung gegenüber Gott, so verliert der Glaube jede Form einer geschichtlichen Konkretion. Das Wort Gottes in seiner absoluten Fülle bleibt ohne die menschliche, geschichtliche Vermittlung abstrakt und gänzlich unverständlich; kurt: ein theologischer Begriffsfetisch. Es ist sinnlos von göttlicher Offenbarung zu sprechen jenseits des bereits menschlich konkretisierten Textes, sowenig sie darin auch aufgeht. Bei Barth eignet dem der Religion schroff gegenüber gestellten Wort Gottes und dem ihm gemäßen Glauben etwas Unwirkliches, Chimärisches. Ob der Glaube so je in einem Menschen oder in einer Gemeinschaft existierte, ist höchst zweifelhaft, aber für Barth im Grunde irrelevant. Ohne eine Rückbindung an menschliche Praxis und Geschichte aber, so ambivalent alle diese Objektivationen auch sind, erschöpft sich die theologische Radikalität Barths im leeren Gestus. An entscheidender Stelle gebricht es der ‚Dialektischen Theologie’ eben an der Dialektik, die nämlich

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niemals mit abstrakten Antithesen sich begnügt, sondern auf der Vermittlung beider beharrt. Die Antwort auf die Frage, ob es eine Theozentrik geben könne, die zwar richtend aber nicht vernichtend die Phänomene außerhalb des expliziten christlichen Glaubens anerkannt, führt notwendig über die Abstraktionen der ‚Dialektischen Theologie’ hinaus. In einer ähnlichen Weise ist auch Thomas Rusters These einer Entflechtung von Christentum und Religion geprägt von Barths vorschneller Identifizierung der Religion mit Unglauben, was Ruster auch in scharfen Gegensatz zu Vertretern einer pluralistischen Theologie der Religionen führt293. Religion als Dienst am vertrauten Gott, der ein Produkt des auf unterschiedlichen Ebenen sich manifestierenden menschlichen Willens zur Macht ist, muss darum mit großer Skepsis betrachtet werden294. Mit Recht wendet sich Ruster hier gegen ein Vorgehen, das Gott, sei es nach dem Herrschaftsanspruch der Vernunft, den Regeln des Marktes oder auch des spätmodernen Bedürfnisses nach Harmonie, konstruiert und damit dem biblischen Gottesverständnis nicht gerecht wird. Entsprechend kritisiert er auch allzu irenische Töne in interreligiösen Diskussionen, in denen das Verhältnis der Religionen zueinander nach dem Bilde der Marktökonomie gedacht wird – „verschiedene Anbieter der gleichen Ware in verschiedener Verpackung sitzen sich gegenüber“295 – und die scheinbar anstößige Züge des biblischen Gottes unter Hinweis darauf, dass doch alle Menschen denselben Gott anbeten, unterschlagen oder wegretuchiert werden. Nun möchte auch Ruster – wie übrigens schon Barth – nicht einfach zurück zum alten Exklusivitätsanspruch mit seinen Verketzerungen und aggressiven Abgrenzungen296. Alle Kritik, so Ruster, richtet sich zuerst gegen die Götzen, d.h. die selbstgeschmiedeten Gottesbilder des Christentums und erst in zweiter Linie gegen diejenigen der anderen Religionen297. Wir haben es hier also nicht mit ei-

293 294 295 296 297

Ruster 2000: 194-198. Vgl. ebd.: 28-85. Ebd.: 197. Vgl. ebd. Ebd.: 197f.

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nem grimmigen Exklusivismus alten Stils zu tun, sondern mit einer Religionskritik von innen, die allerdings die tiefe Tendenz hat, Religion ebenfalls von allen empirischen Elementen, die ihr notwendig eignen und nicht frei sind von erheblichen Deformationen, zu reinigen. Der fremde Gott, den Ruster gegen alle Versuche einer Vereinnahmung und Verharmlosung verteidigt, ist am Ende so weltlos wie der Glaube, der ihm entspricht. Der biblische Gott ist aber nicht der fremde und fremd bleibende Gott; seine Inkommensurabilität, die Unmöglichkeit, ihn menschlichen Interessen unterzuordnen und sich ein Bild von ihm zu machen, schließt nicht aus, dass er in die Geschichte seines Volkes und der Menschen involviert ist, und zwar in einem Maße, das der philosophischen Reflexion, die die Unveränderbarkeit Gottes betonte, suspekt blieb. Die Kritik der menschlichen Verhältnisse und der ihnen entsprechenden Gottesbilder läuft nicht notwendig auf eine restlose Entwertung dessen hinaus, was Menschen geschichtlich hervorgerbacht haben und worin endlicher Geist notwendig sich manifestiert. Das Wort Gottes, das seinen Rezipienten zur völligen Passivität und Unterwerfung verurteilt, kehrt, was biblisch undenkbar ist, unverrichteter Dinge zu seinem Urheber zurück. Die Offenbarung Gottes muss, wenn sie, salopp formuliert, ‘ankommen’ soll, die Alterität und den Selbststand des Menschen (er mag Sünder sein oder Gerechter oder, wie wohl in dem meisten Fällen, eine trübe Mischung aus beidem) anerkennen. Wäre dieser durch die Sünde nicht bloß erheblich beeinträchtigt, sondern aufgehoben, so gewönne diese eine quasi-ontologische Qualität, ein Gedanke, der alle Rede von Schöpfung letztlich zunichte machte. Denn die menschliche Autonomie ist nicht schon Ausdruck einer Rebellion gegen Gott, sondern begründet in der Schöpfung, die bekanntlich keine göttliche Emanation darstellt, sondern einen Akt, in dem Gott etwas von ihm selbst gänzlich Verschiedenes und Eigenständiges in Freiheit setzt. Der Schöpfungsbegriff ist darum auch keineswegs ein harmloser theologischer Zierrat; er hat zwei wichtige Konsequenzen: Am Anfang steht nicht die absolute Identität, aus der heraus sich

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die Vielfalt des Seienden entwickelt, sondern eine von Gott selbst gesetzte Differenz, die sich nicht noch einmal auf Identität reduzieren lässt. Alle Selbstmitteilung Gottes gilt zweitens einem von Gott wesentlich Verschiedenen, dessen spezifische Beschaffenheit Bedingung der Möglichkeit dafür ist, dass die göttliche Offenbarung überhaupt einen Rezipienten findet. Im endlichen, d.h. geschichtlich und somatisch vermittelten Geist erst steht Gott ein Partner gegenüber, dem E r sich mitzuteilen vermag und der sich umgekehrt dieser Mitteilung öffnen oder verschießen kann. In jedem Falle aber ist die Andersheit und Eigenständigkeit des Menschen Voraussetzung der Offenbarung auch dann noch, wenn faktisch die gesamte Geschichte der Menschen und ihr Verhalten im Schatten der Sünde stehen. An eben diese Einsicht knüpft nicht nur das Offenbarungsverständnis Karl Rahners an, sondern auch der Inklusivismus. c) Anerkennung des Anderen oder ‚freundliche Übernahme‘? Das inklusivistische Modell

Dass der Ausschluss des anders Glaubenden und dessen

pauschale Verurteilung keine angemessene Antwort auf die Erfahrung religiöser Pluralität ist, war bereits im 12. Jahrhundert Pierre Abailard (oder Petrus Abaelardus, 1079-1142) bewusst. In seinem Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen (1141) lässt Abailard den Philosophen, der gegenüber Juden und Christen die Position dessen vertritt, der sich nicht schon im Besitz der einzigen Wahrheit wähnt, sagen: „Diese Leute versteigen sich oft in solchen Wahnsinn, daß sie sich nicht schämen, das, was sie gestehen, nicht begreifen zu können, zu glauben bekennen; als bestünde der Glaube eher in einer Äußerung von Worten als im Verständnis der Seele und als sei es mehr Sache des Mundes als des Herzens. Sie rühmen sich daher auf höchste, wenn sie so Gewaltiges zu glauben scheinen, was man weder in der Sprache erörtern noch im Geiste erfassen könne. Sie macht die Einzigartigkeit ihrer eigenen Glaubensrichtung so anmaßend und hochmütig, daß sie urteilen, wen auch immer sie im Glauben von sich getrennt

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135 gesehen hätten, der sei der Barmherzigkeit Gottes entfremdet, und, während alle anderen verdammt seien, sich als einzig selig preisen.“298

Dem Judentum (und weiten Teilen der christlichen Väterliteratur) lässt sich dieser Exklusivismus sicher nicht pauschal unterstellen, wohl aber schienen im Zeitalter der Reconquista die Fronten verhärtet. Die aufs Lippenbekenntnis beschränkten, fern aller Einsicht apodiktisch behaupteten Glaubensaussagen der Offenbarungsreligionen (die aus der argumentativen Not eine fideistische Tugend machen) verbinden sich mit einem exklusiven Heilsanspruch für die jeweils eigene Position, der nicht nur maßlos und arrogant ist, sondern auch konfliktträchtig. Abailard, dem noch lange ein Image als Ketzer anhaftete, musste noch einige Jahrhunderte auf eine theologisch angemessene Antwort warten, und es zeigt sich auch hier, dass eine Theologie der Religionen nicht sinnvoll betrieben werden kann, ohne dass sie zu einem argumentativ gehaltvollen Offenbarungsbegriff vermittelt ist. Eben dies versuchten auf katholischer Seite im 20. Jahrhundert die inklusivistischen Modelle zu leisten, mit denen sich die impliziten Voraussetzungen der oben erläuterten Konzilsdokumente ebenso wie Namen aus deren theologischem Umfeld wie Karl Rahner, Jacques Dupuis oder auch Hans Küng verbinden. Sie setzen sich nicht nur von den Einseitigkeiten einer antimodern pointierten katholischen Schultheologie kritisch ab, sondern entwickeln auch einen anderen Begriff von Offenbarung als Karl Barth auf evangelischer Seite und gelangen darum auch zu einem anderen Urteil über die nichtchristlichen Religionen. Kurz gesagt, verbindet der Inklusivismus die Betonung der Einzigkeit und Endgültigkeit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus mit dem universalen Heilswillen Gottes, der durch die Partikularität des Geschehens in Zeit und Raum konkretisiert, aber nicht begrenzt wird. Der Gedanke ist neu nur in seiner Durchführung, seiner lehramtlichen Rezeption in LG 16 und vor allem in der Dringlichkeit mit der er sich stellt; seine Anfänge aber reichen erheblich weiter zurück: Jacques Dupuis (1923-2004) kann immerhin 298

Abailard 1995: 18/19. – Einen weiteren Beitrag zum Frieden zwischen den Religionen – unter Beibehaltung der Differenzen – leistete im Mittelalter Ramon Llull (1232-1316); vgl. Dupuis 2001: 105-107.

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auf eine Tradition verweisen, die weit über die Kirchenväter299 bis in das Alte Testament zurückreicht, wie er anhand der Priesterschrift, prophetischer Texte und nicht zuletzt der Weisheitsliteratur nachweist300. Man denke etwa an den Noachbund und die Bezeichnung des Noach als gerecht in seiner Generation (Gen 6,9 und 7,1). Das Alte Testament kennt Gerechte unter den Völkern und die spätere jüdische Tradition ist ihm – bis heute – darin gefolgt. Man muss also nicht Jude werden, um an der kommenden Welt zu partizipieren. Die Weisheit Gottes, die vom Menschen erkannt und praktiziert werden kann, ist nicht nur auf Israel beschränkt. Viele Schriften der Weisheitsliteratur und spätere rabbinische Texte haben die Tendenz, Hokhma und Thora in große Nähe zu rücken oder gar miteinander zu identifizieren. Sie sind von Gott vor der Welt erschaffen und dienten Ihm als Medium der Schöpfung: „Der Herr hat mich erschaffen“, so spricht die Weisheit, „im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang beim Ursprung der Erde. ... Ich war seine resp. Gottes Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.“ (Spr 8,22-31) Die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf wird auch hier nicht verwischt, wir es nicht mit einer vorweggenommen Trinitätslehre zu tun, aber als erstes Geschöpft vor der Welt und den Menschen kommt ihr doch eine außerordentliche Bedeutung zu und ihre Rede in der ersten Person Singular schwankt zwischen Metapher und Hypostase. Weisheit, Thora und Wort Gottes wurden schließlich in der alexandrinischen Schule mit dem neuplatonischen Logos-Begriff verbunden, so dass die biblischen Schriften auch philosophisch erschlossen werden konnten. Mochten sie sich zunächst an Israel wenden, so war ihr Gehalt doch von universaler Bedeutung. Gott wirkt nach Philo von Alexandrien (1. Hälfte des 1. Jahrh.) „nicht unmittelbar auf die Welt“, sondern, wie Julius Guttmann schreibt, „durch Vermittlung der von ihm ausgehenden Kräfte, deren oberster der Logos ist“301. Als In299 300 301

Vgl. Dupuis 2005, 53-83. Vgl. ebd.: 31-45. Guttmann 2000: 63.

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begriff der Ideen, mit personalen Zügen ausgestattet, stellt er eine eigentümliche Verbindung von platonischer Philosophie und jüdischer Engellehre dar. Schöpfung und Offenbarung sind durch den Logos vermittelt, wobei Philos Offenbarungsverständnis sich weitet auf alle Menschen. Unverkürzt und auf vollkommene Weise kommt die Offenbarung Gottes in der hrvt zur Geltung. „Die mosaische Lehre ist für ihn der Inbegriff aller Wahrheit und enthält in sich Alles, was die Wissenschaft zu erkennen vermag.“302 In abgestufter, das heißt: defizienter Weise aber findet sie sich auch außerhalb des Judentums. Während die rabbinische Tradition einen anderen Weg einschlug und Philos keineswegs unkritische Assimilation an die griechische Philosophie nicht explizit mitvollzog, rezipierten vor allem die Kirchenväter die Schule von Alexandrien, wenn auch unter ihrem spezifisch christlichen Blickwinkel. Unter Berufung auf die Logos-Theologie des Prologs in Joh 1,1-18 ließ sich auch die christliche Botschaft zum universalen Logos des Neuplatonismus und zur Weisheitstradition Israels vermitteln, wobei man vor bedenklichen Allegoresen nicht zurückschreckte. Die von Johannes und Philo inspirierten Logos-Spekulationen der Kirchenväter betreffen aber auch das Verhältnis des Christentums zu vor- und außerchristlichen Religionen ebenso wie zu den heidnischen Philosophien. Bei Justin dem Martyrer, also schon im zweiten Jahrhundert, findet sich der Gedanke, dass gleichsam Logos-Samen, sich auch bei heidnischen Philosophen und Dichtern finden. Die neuplatonische und stoische Idee des Logos spermatikós erhält aber eine spezifisch christliche Deutung auf dem Hintergrund des Johannesprologs. Der Gedanke, dass alles von Gott durch den Logos geworden ist (Joh 1,3), besitzt eine universalistische Perspektive, die durch die Konkretion der Fleischwerdung des Logos in Christus (Joh 1,14) nicht aufgehoben wird. So war implizit auch schon in der Philosophie eines Sokrates, Plato oder in der stoischen Moralphilosophie der Logos am Werk, der in seiner Fülle und ungeschmälert erst durch Christus offenbar wurde303. Damit ist auch schon gesagt, 302 303

Ebd. 69. Vgl. Dupuis 2001: 58f.

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weshalb die Philosophen einander so oft widersprochen haben und nicht leicht zu harmonisieren sind: Da sie den Logos nur teilweise, bruchstückhaft erfasst haben, kamen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dupuis unterscheidet bei Justin drei Formen des religiösen Wissens: (1) dasjenige der Völker, (2) der Juden und (3) der Christen, wobei allein letztere in vollem Umfang am einzigen und wahren Logos partizipieren. So können auch die Angehörigen der Völker, soweit sie sich ein gerechtes Leben zu führen bemühen (also nicht nur die Philosophen und Dichter), aufgrund ihres – wenn auch defizienten – Anteils am Logos Christen genannt werden304. Karl Rahners berühmte These vom anonymen Christentum ist also keineswegs präzedenzlos in der Theologiegeschichte. Ähnliches mochte auch Irenäus von Lyon vorschweben, als er im vierten Buch gegen die Häresien feststellte, dass sich das Wort durch die Schöpfung geoffenbart habe „und durch die Welt den Herrn als Weltenbauer und durch das Geschöpf den als Bildner, der es geschaffen hat“305. Schon dieser erste, noch sehr oberflächliche Blick auf die Theologiegeschichte zeigt bereits, dass der Inklusivismus den Exklusivismus nicht einfach historisch ablöst, sondern beide Modelle, wenn auch mit unterschiedlicher Akzeptanz, meist parallel existierten. Sie bezeichnen unterschiedliche Reaktionen christlicher Gruppen und Theologien auf ein überwiegend nicht christliches oder nicht mehr christliches Umfeld. Exklusivistische Positionen müssen nicht notwendig auch in ein kulturelles und religiöses Ghetto führen, sie sprechen aber den außerchristlichen Kulturen und Religionen jede theologische Relevanz ab und sicher so auf eine sehr problematische Weise die eigene Identität. Gewonnen wird damit eine hohe Sensibilität gegenüber vorschnellen Assimilationsversuchen und ein kritischer Blick auf die eigene Umwelt, wie sich an der Offenbarungsund Religionstheologie Barths zeigen ließ. Verloren aber geht auf diese Weise jede Möglichkeit, anders als durch zuweilen sogar polemische Abgrenzung und theologische Abwertung des Anderen auf die schwierige Situation als Minder304 305

Ebd.: 59. Adv. Haer. IV,6,6; dazu Dupuis 2001: 60-66.

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heit zu reagieren. Der Exklusivismus droht leicht, in eine fundamentalistische Selbstisolation abzugleiten; der Abgrenzung nach außen entspricht meist eine massive soziale Kontrolle nach innen, die früher oder später zu internen Konflikten führt. Die andere Möglichkeit einer eigenen Situierung besteht darin, die nichtchristliche Umwelt als Vorstufe des Christentums oder als implizit christlich zu interpretieren und damit der eigenen Deutung zu unterwerfen. Dass im 20. Jahrhundert der Inklusivismus bedeutende theologische Vertreter fand, wundert angesichts der im ersten Teil dargestellten historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht. Er wirkt gegenüber dem Exklusivismus weltoffener und theologisch oft anspruchsvoller. Ihm liegt ein Offenbarungsverständnis zu Grunde, das allen Nachdruck auf den universalen Heilswillen Gottes legt, ohne doch den eigenen Heilsweg nur als einen beliebigen unter vielen anderen anzusehen. Die vorsichtige lehramtliche Annäherung an diese Position ist in Nostra aetate und in Lumen gentium Nr. 16 dokumentiert. Eines der einflussreichsten inklusivistischen Modelle, das die nur unzureichend durchgearbeitete Position des Konzils weiterführt – das lässt die Frage, wie denn genauer die Heilsmöglichkeit außerhalb der katholischen Kirche und des Christentums zu denken sei –, ist dasjenige Karl Rahners. In seinem Aufsatz Kirche, Kirchen und Religionen attestiert Rahner den nichtchristlichen Religionen vor Christus, dass „sie ‚an sich‘ und grundsätzlich durchaus als von Gott positiv gewollte, legitime Heilswege anerkannt werden“ können“306. Denn sie sind nicht einfach Ausdruck „menschlicher Spekulation, menschlicher Depravation“, sondern – hier unterscheidet sich Rahner von Barth grundlegend – „in ihnen allen“ ist „die gnadenhafte dynamische Bewegung des Menschen auf den dreifaltigen Gott am Werke“. In einem ähnlichen Sinne schrieb Rahner in einer stark vom zeitgenössischen Existentialismus geprägten Sprache schon früher:

306

Rahner ST VIII: 355-394, hier: 370; zu Rahners umstrittener These vom anonymen Christentum vgl. auch Vorgimler 2004: 182-188.

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140 „Vollzieht somit der Mensch als geistige Person in der totalen Entscheidung über sich selbst seine ‚Natur‘, so ist diese personale Entscheidung konkret immer auch unthematisch eine Stellungnahme für oder gegen die übernatürliche Berufung des Menschen zur Teilnahme am Leben des dreifaltigen Gottes.“307

Mit jener ‚unthematischen Stellungnahme‘ war bereits die These des ‚anonymen‘ Christentums der Sache nach gegeben und bedurfte einer spezifischen Pointierung auf die Theologie der Religionen hin. Wenn Rahner Natur hier in Anführungszeichen setzt, so ist damit im Sinne des schon mehrfach erwähnten übernatürlichen Existentials die je schon gnadenhaft erhobene Natur gemeint, nicht der theologische ‚Restbegriff‘ einer natura pura jenseits des Raumes, den die göttliche Selbstmitteilung eröffnet. Nicht nur die außer-, sondern auch die vorchristlichen Religionen sind Objektivationen der transzendentalen Offenbarung oder des übernatürlichen Existentials308. Wäre hier nicht die christologische und trinitarische Fokussierung jener übernatürlichen Dynamik ausgesprochen, so könnte man fast meinen, Rahner vertrete für die außerchristlichen Religionen vor Christus geradezu eine pluralistische Theologie. Die ganze Anlage der übernatürlichen, d.h. gnadenhaften Finalisierung des Menschen und seiner Transzendenz auf die freie Selbstmitteilung hin aber schließt auch vor Christus eine solche plurale Position aus. Denn zu dieser freien Selbstmitteilung als endgültige gehört nach Rahner wesentlich die Annahme und Realisierung durch den Menschen. Das Christusereignis ist ja nicht nur eine weitere Selbstbekundung Gottes unter vielen anderen, sondern auch die Annahme in Endgültigkeit, ohne die alle Selbstmitteilung ein Wort ins Leere bliebe. Menschwerdung, wenn sie nicht bloße Verkleidung oder Drapierung des göttlichen Wortes sein soll, ist seine Entäußerung an das Nichtgöttliche, Menschliche und in einem seine freie Annahme. Die Menschwerdung Gottes ist nach Rahner gerade „der einmalig höchste Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit, der darin be-

307 308

Rahner ST II: 88. Rahner ST VIII: 370.

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steht, daß der Mensch ist, indem er sich weggibt“309. Die Inkarnation Gottes wäre damit zugleich die Vollendung der Menschwerdung des Menschen, wie ja nach Rahner der Mensch definiert werden kann als das, „was entsteht, wenn die Selbstaussage Gottes, sein Wort, in das Leere des gottlosen Nichts liebend hinausgesagt wird“310. Insofern alle emphatischen, Unbedingtheit beanspruchenden Akte der Freiheit auf eine leiblich-geschichtliche Endgültigkeit vorausgreifen und diese erst in Christus definitiv zugesagt und angekommen ist, muss vor oder außerhalb des Christentums nicht bloß von anonymen Theisten sondern eben doch von anonymen Christen gesprochen werden. Angesichts dieser inkarnatorischen Pointierung der Heilsgeschichte können die vor- und außerchristlichen Religionen, eben weil ihnen das ausdrückliche Bewusstsein vom endgültigen Heil fehlt, nur vorbereitende, nicht uneingeschränkt gültige Wege sein. Sie finden erst in der absoluten geschichtlichen Heilszusage ihre Antwort, verlieren damit aber auch ihre weitere Berechtigung. Rahner hält auch unmissverständlich fest, „daß diese außerchristlichen Religionen ‚an sich‘ und grundsätzlich abgeschafft und überholt sind durch die Ankunft Christi, durch seinen Tod und durch seine Auferstehung“311. Damit ist freilich „noch nicht eindeutig etwas über den Zeitpunkt ausgesagt, in dem diese Religionen konkret aufhören, ein legitimer Heilsweg für bestimmte Menschen zu sein“312. Zu denken ist hier zunächst daran, dass auch Jahrhunderte nach Christus die Botschaft noch nicht zu allen Völkern gekommen ist und an den Einzelnen auf eine sein Gewissen verpflichtende Weise herantritt. Nur wenn letzteres geschieht, ist auch für den Einzelnen die bisherige Religion als Heilsweg aufgehoben313. Wann konkret dies aber geschieht, lässt sich ‚von außen‘ nicht präzise angeben. In einem ähnlichen Sinn argumentierte Rahner auch schon in einem Vortrag unter dem Titel Das Christentum und die nichtchristlichen Religionen aus dem Jahr 1961314. Die ers309 310 311 312 313 314

Rahner ST IV: 142. Ebd.: 150; Rahner 1976: 223. Rahner ST VIII: 371. Ebd. Ebd.: 372. Vgl. Rahner ST V: 136-158.

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te These hält in pointierter Weise den Anspruch des Christentums gegenüber den anderen Religionen fest: Es versteht sich, so Rahner, „als die für alle Menschen bestimmte, absolute Religion, die keine andere als gleichberechtigt neben sich anerkennen kann“315. Auch wenn gilt, so jedoch die zweite These, dass es kein Heil an Christus vorbei gibt, eben weil es durch ihn definitiv angekommen ist316, so bleibt zu beachten, dass dieses Heil den Menschen nicht völlig unvorbereitet trifft. Er ist vielmehr auf das ihn erfüllende Ziel gnadenhaft finalisiert, wie schon zum übernatürlichen Existential ausgeführt wurde. Damit kommt auch den Religionen vor und außerhalb des Christentums ein bedeutend höherer Stellenwert zu als ihnen der Exklusivismus einräumt: Sie sind nicht bloßer Ausdruck erbsündlicher Depravation (gegen Barth); als Konkretionen eben jener übernatürlichen Hinordnung auf die definitive Selbstzusage Gottes sind sie heilsbedeutsam und es finden sich auch in ihnen gnadenhafte Momente317. Darum sind gemäß der dritten These die Angehören der anderen Religionen keineswegs einfach als Nichtchristen zu bezeichnen, sie sind vielmehr anonyme Christen. Heil kann also auch außerhalb der Kirche gefunden werden, sie ist „keine exklusive Gemeinschaft der Heilsanwärter“318; vorausgesetzt wird von Rahner allerdings, dass dieses Heil kein anderes ist als jenes, das durch Christus irreversibel in der Geschichte ‚angekommen‘ ist319. Der bestehende weltanschauliche und religiöse Pluralismus, dem Rahner sich im Spätwerk ausführlicher widmet320, ist in dieser Weltzeit nicht aufzuheben. So können auch nach Christus Menschen durchaus ohne Schuld bei ihrer überlieferten Religion bleiben, wenn sie von der Verkündigung nicht zentral und in einer verpflichtenden Weise getroffen werden. Konzediert ist, dass das Christentum nicht alle Menschen erreicht bzw. erreichen kann – entweder aus geographischen und historischen Gründen oder eben weil die Verkündigung nicht jeden zu überzeugen vermag – aus welchen Gründen 315 316 317 318 319 320

Ebd.: 139. Ebd.: 145. Ebd.: 154. Ebd.: 156. Vgl. ebd.: 154-156. Vgl. Rahner ST XV: 84-91.

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auch immer. Damit ist für Rahner gesichert, dass es nicht nur vorchristlich, sondern auch nachchristlich ein anonymes Christentum gibt, obwohl – heilsgeschichtlich betrachtet – die nichtchristlichen Religionen eigentlich ihre raison d’être verloren haben. Insofern wird man auch nur eingeschränkt von einer Anerkennung der nichtchristlichen Religionen sprechen können. Sie sind Heilswege, aber dieses Heil ist christlich bestimmt und verstanden. Man könnte von einer ‚freundlichen Übernahme‘ anderer Religionen im Dienste christlicher Selbstvergewisserung sprechen. Ihr Wahrheitsgehalt kann immer nur ein Anteil an der christlichen Wahrheit sein, den es in den nichtchristlichen Religionen lediglich unthematisch gibt. Das Selbstverständnis eben dieser Religionen spielt für ihren Status als Heilsweg keine konstitutive Rolle. „In the end“, wendet Paul Knitter ein, „no matter how fruitful the work of the Spirit might be in other religions, no matter how many genuinely holy people are found within them – persons walking along other religious paths do not really know where they are going; they don‘t really know who they are. This is because for Rahner, as for the Evangelicals, there is an only in his theology: only Jesus Christ is the final cause of salvation.“321 Knitters letzte Bemerkung leitet implizit zu der von ihm präferierten pluralistischen Perspektive über, deutet aber auf ein gravierendes Problem inklusivistischer Argumentation: Kann es eine theologische Anerkennung nichtchristlicher Religionen geben, wenn allein Christus der Weg ist? Mögen die Religionen ihr Verständnis von Erlösung, vom Ziel, das es zu erreichen gilt, vom personalen oder nichtpersonalen Charakter des Absoluten im eigenen Bereich und untereinander diskutieren, mögen sie dabei auch ihr eigens kritischen Potenzial herausarbeiten und weiter schärfen, so gilt nach Bertram Stubenrauch, der Knitters Bedenken zu bestätigen scheint: „Aber nur vom Christusereignis her gewinnt diese Anstrengung ihren theologischen Sinn. … In Christus und im Pneuma, das die Welt durchwaltet, sind alle Religionen, deren Absicht lauter ist, an der menschlichen Gottesbeschreibung beteiligt.“322 Schon der erste Teil des 321 322

Knitter 2010: 74. Stubenrauch in Müller 1998: 366f.

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Zitats ist geradezu kürzeste Formulierung einer inklusivistischen Sicht. Um auf George Steiners Überlegungen zu Babel zurückzukommen: Können andere Sprachen tatsächlich Welt angemessen erschließen und legitim eine eigene Perspektive begründeten, wenn es nur eine Sprache als Referenzmodell gibt? Schwerlich ließe sich noch von Übersetzungen im Sinne Steiners sprechen, die von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Sprachen ausgeht, sondern eher von Klarstellungen, insofern es nur eine letztlich normative Sprache gibt. Können, so die Übertragung, andere Religionen eine angemessene Sprache/Symbolisierung der an alle Menschen gerichteten Selbstmitteilung Gottes darstellen, wenn es nur eine Religion gibt, in der (1) die eine tatsächliche, ‚wahre‘ Wirklichkeit auch explizit gewusst wird und (2) auch angemessen symbolisiert wird? Hier hinterlässt der Inklusivismus, Rahners Theorie des anonymen oder impliziten Christentums eingeschlossen, ungelöste Fragen, auch dann, wenn man Rahners Theorie primär als Diskurs zur innerchristlichen Selbstverständigung interpretiert. Auch für Rahners jüngeren Mitbruder, Jacques Dupuis, bleibt Christus einzigartig und konstitutiv für das Heil aller Menschen, „the human face of god“323. Alle Formen außerchristlicher Religionen sind demgegenüber nur unvollständige Gesichter des göttlichen Mysteriums, denn, so Dupuis mit Joh 1,18, „niemand hat jemals den Vater gesehen als allein der Sohn“324. Deutlicher jedoch als Rahner ist für Dupuis der religiöse Pluralismus nicht nur als Faktum zu akzeptieren, ihm kommt auch eine positive Bedeutung zu, was für eine Theologie der Religionen auch methodische Konsequenzen haben muss: „The method of such a theology would have to be inductive, which meant dialogical and comparative, in keeping with the hermeneutical code from context to text and vice versa.“325 So sieht Klaus von Stosch die Religionstheologie Dupuisʼ aufgrund ihrer „Verbindung der qualitativen Einzigkeit Jesu Christi mit der positiven Würdigung religiöser Pluralität“ zutreffend „an der Nahtstelle zwischen Inklusivismus und Pluralis-

323 324 325

Dupuis 2005: 294-304; zu Depuis vgl. von Stosch 2012: 117-122. Dupuis 2005: 279. Ebd.: 385.

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mus“ positioniert326. Eben dieser Befund dürfte wohl auch die lehramtlichen Bedenken provoziert haben. Andere Religionen sind mehr als Samenkörner und Vorstufen des Christentums, sie verhalten sich komplementär zu ihm327, was voraussetzt, dass im geschichtlich greifbaren Christentum die Wahrheit zumindest noch nicht vollendet für alle Menschen offenbar zutage liegt. Insofern können Christen von anderen Religionen lernen, auch wenn diese Religionen ihrerseits die Selbstzusage Gottes, wie sie in Christus gekommen ist, nicht ergänzen oder etwas völlig Neues hinzufügen. Es bleibt also eine theologisch nicht aufhebbare Asymmetrie innerhalb der interreligiösen Komplementarität: Der Lernprozess etwa, den Christen durchlaufen, bezieht sich nämlich letztlich nur auf die Möglichkeit, das, was in Christus geschichtlich endgültig gekommen ist, genauer zu verstehen und zu entfalten. Dies kann möglicherweise in anderen Religionen sogar geschichtlich besser zum Ausdruck gekommen sein als im Christentum. Dupuis zögert aber – und zwar nicht erst seit seinem Konflikt mit dem Lehramt und der Notifikation der Glaubenskongregation328 –, den anderen Religionen einen eigenen, von der Offenbarung in Christus unabhängigen Status einzuräumen, was wohl auch den Schritt zum Pluralismus bedeutet hätte. Entsprechend wird ihm etwa von Perry Schmidt-Leukel Inkonsequenz und seinem Modell Inkonsistenz bescheinigt: Er könne die Wertschätzung anderer Religionen und die konstitutive Heilsbedeutung Christi – für Dupuis die beiden Brennpunkte einer Ellipse – nicht zu einem überzeugenden Konzept vereinigen. Das Scheitern des Inklusivismus bei Rahner und Dupuis ist aus der Sicht pluralistischer Religionstheologen nicht im Unvermögen der Person, sondern in der Sache begründet, es wird verbunden, was einander unaufhebbar widerspricht329. Aber auch aus der Sicht einer komparativen Theologie der Religionen (s.u.) bleiben die von Dupuisʼ verwendeten Maßstäbe interreligiös nicht hinreichend 326 327 328

329

Von Stosch 2012: 117. Vgl. ebd.: 326-329. Vgl. Dupuis 2005: 434-438(Appendix1); auch auf der Homepage des Vatikans: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010124_dupuis_ en.html (letzter Zugriff: 12/04/2014). Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 147-149.

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ausgewiesen und bedürfen hinsichtlich ihrer genaueren Bedeutung im jeweiligen religiösen, kulturellen und historischen Zusammenhang einer sorgfältigen Analyse. Bedeutungen sind nicht in einem absoluten Sinn je schon gegeben, sondern kontextabhängig und historisch variabel selbst innerhalb einer einzigen Religion oder Konfession330. d) Der eine Gott und die vielen Wege: das pluralistische Modell

Die

von Rahner und Dupuis so emphatisch festgehaltene Endgültigkeit und Irreversibilität der Heilszusage, die mit Leben, Tod und Auferstehung Jesu als Anbruch der neuen Schöpfung manifest wurde, kennt freilich ein Noch-nicht, von dem Rahner auch mehrfach ausführlich spricht331. Die Schöpfung ist nicht schon im vollendeten, erlösten Stande, der Auferweckte selbst hat, wie schon Paulus in 1 Kor 15 einschärfte, noch eine Zukunft. Darum ist der konkrete Verlauf der weiteren Geschichte keineswegs schon absehbar. Ihre jeweiligen Formen und Strukturen werden freilich durch den hoffenden Ausgriff auf die absolute Zukunft stets neu relativiert und dürfen sich nicht absolut setzen332. Es ist also ein von Gott nicht mehr revozierter Anfang gemacht, auf den aber eine Geschichte folgt, von deren Dauer und Verlauf die ersten Christen wohl kaum eine Vorstellung hatten. Dass nach der konstantinischen Wende die römischen und griechischen Kulte allmählich von der geschichtlichen Oberfläche verschwanden – ob sie nicht subkutan weiterwirkten, ist eine interessante Frage –, mochte den Eindruck eines unaufhaltsamen Siegeszuges des Christentums erwecken. Man wusste nichts oder doch nur wenig von den anderen Religionen vor allem in Asien, die an Lebendigkeit und kultureller Wirksamkeit nichts einbüßten. Mit der Entstehung einer neuen, ihrerseits Endgültigkeit beanspruchenden Religion, des Islams, stieß auch das Christentum auf Grenzen, die sogar langsam enger wurden, denn weite Teile des christlich gewordenen Weltkreises wurden vom Islam erobert. Alles diese Entwicklungen lagen völlig außerhalb des Horizonts biblischer 330 331 332

Von Stosch 2012: 122. Vgl. ST VIII: 555-609. Ebd.: 577f.

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Naherwartung. Auf Grenzen stieß in der Neuzeit auch die christliche Mission nach anfänglichen Erfolgen auch in Asien, wo Versuche, der anderen Kultur sich zu assimilieren, auf lehramtliche Widerstände stießen und die Kombination von Mission und Kolonisation sich schließlich als fatal erwies und scharfe Maßnahmen gegen Christen provozierte. Auch das Judentum lebte – obwohl von christlicher Seite mehrfach tot gesagt und unter denkbar schwierigen Voraussetzungen weiter. Auch in einer mehrheitlich christlich oder islamisch geprägten Gesellschaft entwickelte es eine reiche, differenzierte religiöse Tradition mit ihren bewahrenden, kreativen und auch kritischen Aspekten: angefangen von den rabbinischen Schriften über die Platonund Aristoteles-Rezeption im Mittelalter, die Kabbala und schließlich der Rezeption der europäischen Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts. Verfolgungen im Namen des Messias Jesus werden auf jüdischer Seite als endgültige Falsifikation der christlichen Botschaft gewertet. Die Rede von der alle Menschen, Kulturen und Epochen umgreifenden Endgültigkeit des Heils in Jesus Christus behauptet also mehr, als hic et nunc eingelöst werden kann. Jedenfalls scheint es, als stünde der christliche Anspruch angesichts einer innerweltlich wohl kaum aufhebbaren Pluralität von Religionen einerseits und der alle vergangenen Katastrophen überbietenden Schrecken des 20. Jahrhunderts andererseits (die auch ihre christliche Vorgeschichte haben), zum empirischen Befund in einem kaum noch auszuräumenden Widerspruch. Der transzendentale Ansatz, auf dem Rahners Inklusivismus basiert, setzt sich dem Verdacht einer Verdrängungsstrategie aus, den Rahners Schüler Johann Baptist Metz schon in den siebziger Jahren artikulierte333. Der Versuch, dem Christentum „durch Transzendentalisierung eine Art Omnipräsenz“ zu verleihen, sichert dessen zunehmend bedrohte Identität auf Kosten des gewaltsam integrierten Besonderen und ignoriert die aller Versöhnung spottenden geschichtlichen Brüche334. 333 334

Vgl. Metz 1992: 152-164. Ebd.: 161 und 158.

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Es sind also wesentlich zwei Befunde, die auch die inklusivistische Position zunehmend der Kritik aussetzen: Eine differenziertere Wahrnehmung der unterschiedlichen religiösen Traditionen und ihres Reichtums zwingt dazu, so die pluralistische Religionstheologie, deren Eigenrecht unabhängig vom Christentum anzuerkennen; gleichzeitig betont die neue Politische Theologie den tiefen Widerspruch zwischen der anwachsenden geschichtlichen Negativität und dem Anspruch einer nicht bloß verheißenen, sondern bereits irreversibel in Gang gekommenen Erlösung in Jesus Christus als dem unüberbietbaren Höhepunkt der Heilsgeschichte. Beide Befunde werden uns in diesem und im nächsten Teil noch eingehender beschäftigen. Die Anerkennung des Eigenrechts anderer Religionen – und zwar unabhängig von einer christlichen ‚Platzanweisung‘ – wurde zunehmend von Theologen aus dem angelsächsischen Raum gefordert. Die von Perry Schmidt-Leukel so genannte religionstheologische Doppelfrage – (1) Wie versteht und beurteilt das Christentum andere Religionen und (2) Wie versteht und beurteilt das Christentum sich selbst angesichts der anderen Religionen335

– wurde von den Vertretern einer pluralistischen Religionstheologie so beantwortet, dass das Christentum im Zusammenhang einer an alle Menschen ergehenden Selbstbekundung Gottes steht, die sich dann aber auf unterschiedliche Weise geschichtlich konkretisiert. Die Offenbarung in Jesus Christus ist damit weder der absolute Höhepunkt der Heilsgeschichte, auf den die menschliche Selbsttranszendenz bezogen ist als ihre definitive Erfüllung, noch ist er die Überbietung aller anderen religionsgeschichtlichen Phänomene, sondern er bildet lediglich eine neben anderen Formen der Objektivation göttlicher Offenbarung, die durchaus gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die entscheidende Differenz zum Inklusivismus liegt prima facie in der Bedeutung, welche für die pluralistische Religionstheologie die Christologie hat, wie etwa John Hicks Kri335

Schmidt Leukel 2005: 34.

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tik an Rahners These eines anonymen Christentums zeigt. Sie stelle nur auf den ersten Blick eine kühne Erneuerung der Theologie dar, während in Wahrheit doch auch hier nur das Christentum die wahre Religion sei, die von den Nichtchristen eben implizit affirmiert werde336. Hick spricht von einem „ad hocKunstgriff“, denn es sei letztlich ebenso „leicht – und genauso willkürlich – gläubige Christen als anonyme Muslime und anonyme Hindus zu bezeichnen wie gläubige Hindus oder Muslime als anonyme Christen“337. Dies ist in besonderem Maße mit Blick auf den Islam von Bedeutung, da dieser mit dem Christentum konkurriert in dem Anspruch, eine letztgültige und unüberbietbare Offenbarung empfangen zu haben. Eine solche Sicht, so Hick, sei im Grunde der letzte Versuch, das Selbstverständnis des Christentums als der absoluten Religion zu retten und gleichzeitig der Einsicht in die wahrscheinlich nicht aufhebbare Pluralität der Religionen Rechnung zu tragen. Mit dem Begriff der ‚absoluten Religion‘ verweist Hick auf die von Hegel über Troeltsch bis in die Gegenwart reichende Diskussion über den Superioritätsanspruch des Christentums338. Die Rede von der Absolutheit des Christentums ist, worauf Ernst Troeltsch (18651923) ausdrücklich verweist, jüngeren Ursprungs: „Der Ausdruck ‚Absolutheit‘ entstammt der modernen evolutionistischen Apologetik und hat nur unter ihren Voraussetzungen einen bestimmten Sinn, insofern er den Horizont der allgemeinen Religionsgeschichte, die Anerkennung aller nichtchristlichen Religionen als relativer Wahrheiten und die Konstruktion des Christentums als der diese relativen Wahrheiten zu der absoluten vollendenden Gestalt der Religion einschliesst. Der Ausdruck, seine Voraussetzungen und sein Inhalt sind also durch und durch moderne Schulbegriffe und gerade durch die Nivellierung alles menschlichen Geschehens in der modernen Historie bedingt.“339

Der Begriff antwortet also auf eine Verlegenheit, die dadurch entsteht, dass sich das Christentum mit einem immer deutlicher ins Bewusstsein tretenden religiö-

336 337 338 339

Vgl. Hick 2002: 38. Ebd.: 31. Vgl. Waldenfels 2005: 210-214. Troeltsch 1902: 9.

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sen Pluralismus einerseits und den Ergebnissen der modernen Kulturwissenschaften andererseits auseinandersetzen muss. In diesem Prozess zergeht die Absolutheit des Christentums, wie sie für ein naives Verständnis gegeben war, d.h. das Christentum verliert seine Konkurrenzlosigkeit, Selbstverständlichkeit und lebensweltliche Evidenz340. Aber auch die Überführung des ‚naiven Absolutheitsanspruchs‘ in einen philosophisch und argumentativ besser gesicherten vermag nicht zu überzeugen. So pointierte Troeltsch gegen Hegels anspruchsvollen spekulativen Rettungsversuch des christlichen Überlegenheitsanspruchs den historischen Befund, der eine Teleologie innerhalb der Religionsgeschichte nicht erkennen lasse341. Insofern aber das Christentum primär „auf einer überwältigenden Kundgebung Gottes in den großen Propheten und deren Innenleben“ beruht oder, wie es wenig später heißt, es sich „der Selbsterschließung Gottes im Kern des Gewissens und nicht der Richtigkeit des Denkens und Beweisens verdankt“, gibt es so etwas wie eine Allgemeingültigkeit oder eine zweite „naive Absolutheit des Christentums“342. Die darin vorausgesetzte Vereinigung der Individualität (des historisch bestimmten, in sich differenzierten Christentums) mit dem Allgemeinen wurde Troeltsch allerdings bald schon zweifelhaft343. Seine spätere Position, die der weiter vorangetrieben Kritik an einer vorschnellen Vereinigung von historischer Individualität der Religion mit der absoluten, allgemein verbindlichen Wahrheit entspringt, kommt einer pluralistischen Theologie der Religionen recht nahe, wenn er schreibt, dass die absolute Wahrheit als Zusammenschluss von Individualität und Allgemeinheit „nicht in einer der historischen Religionen selbst schon liegen kann, sondern daß sie alle in eine gemeinsame Richtung deuten und alle aus innerem Antrieb in eine unbekannte letzte Höhe streben, wo allein erst die letzte Einheit und das Objektiv-Absolute liegen kann“344. Nach Abailards Collationes sive Dialogus und vor allem Les-

340 341 342 343 344

Vgl. ebd.: 96-100. Vgl. Troeltsch 1902: 40-42; Troeltsch 1924: 66-70. Troeltsch 1924: 73. Vgl. ebd.: 75. Ebd.: 82.

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sings Ringparabel im Nathan345 legt auch Troeltsch ein nicht nur von der Philosophie, sondern mehr noch von der historischen Forschung und ihren Differenzierungen inspiriertes Plädoyer für den Verzicht auf einen theologischen Absolutheitsanspruch vor. Die heutige pluralistische Theologie der Religionen ist also nicht präzedenzlos, worauf auch Perry Schmidt-Leukel mit Blick auf Troeltsch verweist346. Dieser Problemlage entspricht, wie Schmidt-Leukel und John Hick argumentieren, nur ein weitgehender Wechsel der Perspektive. Hick spricht in einer an Kant erinnernden Metapher347 von einer fälligen wahrhaft kopernikanischen Wende in der Theologie der Religionen: Wie in der Astronomie das Dogma von der Geozentrik aufgegeben wurde, so muss auch das „Dogma, wonach das Christentum das Zentrum bildet“, ersetzt werden durch den Gedanken, „dass Gott der Mittelpunkt ist und alle Religionen der Menschheit, einschließlich unserer eigenen, ihm dienen und um ihn kreisen“348. Die bisherige christozentrische Perspektive, die sich übrigens auch bei Rahners Inklusivismus mit dem Absolutheitsanspruch eng verbindet349, wird damit ersetzt durch eine theozentrische, einmal vorausgesetzt, dass tatsächlich alle Religionen um Gott kreisen. Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis zur Christologie. Hick plädiert denn auch konsequent für eine metaphorische Deutung der Inkarnation in Jesus Christus. „Wenn ein Mensch“, so Hick, „in seinem Leben eine bestimmte Wahrheit oder einen bestimmten Wert ganz und gar verwirklicht, dann ist es völlig natürlich, in metaphorischer Weise davon zu sprechen, dass sich diese Wahrheit oder dieser Wert in seinem Leben verkörpert bzw. inkarniert hat“. Eben dies kann, so Hick, von Jesus gesagt werden, was hingegen nicht bedeutet, 345

Vgl. Lessing, Werke I: 531-534. Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 167f. 347 „Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich an unserem Erkenntniß richten, welches so schon besser nach der verlangten Möglichkeit einer Erkenntniß derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden etwas festsetzen soll. Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Copernicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das Ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ.“ (KrV: B XVI = Kant 1911b: 12) 348 Hick 2002: 40; vgl. auch ebd.: 76-79; vgl. auch Stubenrauch in Müller 1998: 359-364. 349 „Wenn das Christentum Christus ist, die absolute Tat Gottes am Menschen, in der Gott sich selbst gibt, dann kann das Christentum und so die Kirche auf den Anspruch eines Absolutheitscharakters und auf eine universale Sendung nicht verzichten.“ (Rahner ST VIII: 339) 346

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„dass er von derselben Substanz wie Gott, der Vater, war oder dass er zwei vollständige Naturen, eine menschliche und eine göttliche, besaß“350. Die Aufgabe, Gottheit und Menschheit jeweils ungeschmälert festzuhalten, sei auch „nach fast 2000 Jahren christlicher Reflexion“ nicht befriedigend gelöst worden351. Auf der Ebene einer Tatsachenbehauptung und in Kategorien einer Substanzmetaphysik ist nach Hick eine Lösung auch nicht zu erwarten, denn die Rede von Inkarnation sei mythologisch, d.h. symbolisch oder metaphorisch zu verstehen. „Denn der Grund dafür“, so Hick, „dass es niemals gelungen ist, die wörtliche Bedeutung der Inkarnationsidee zu bestimmen, liegt einfach darin, dass sie keine wörtliche Bedeutung hat.“352 Was aber besagt dann deren poetische oder metaphorische Bedeutung näherhin? „Man kann“, schreibt Hick, „durch sie ausdrücken, dass Jesus unser lebendiger Kontakt zum transzendenten Gott ist. In seiner Gegenwart erfahren wir uns in der Gegenwart Gottes. Wir glauben, dass er auf eine so wahrhafte Weise Gottes Diener ist, dass, wenn wir als seine Jünger leben, wir zugleich nach dem Willen Gottes leben.“ Das schließt auch die Möglichkeit anderer Heilswege nicht nur außerhalb des sichtbaren Christentums, sondern auch außerhalb der Offenbarung in Jesus explizit ein. „Wir können sagen“, schreibt Hick zusammenfassend, „dass in Christus Heil ist, ohne sagen zu müssen, dass es Heil nur in Christus gibt.“353 Dies richtet sich nicht bloß gegen exklusivistische, sondern ebenso gegen inklusivistische Positionen, die nach Hicks Auffassung ebenfalls nur begrenzt dialogfähig sind, weil sie die Legitimität anderer Religionen nicht uneingeschränkt festhalten. Hicks Überlegungen zielen nicht auf eine Welteinheitsreligion, die er nicht für „erstrebenswert“ hält, sie visieren vielmehr einen Zustand an, in dem „die verschiedenen Traditionen sich selbst und einander nicht länger als rivalisierende ideologische Gemeinschaften betrachten“. Die bereits angesprochene ‚nachbabylonische’ Situation der Religionen wird positiv bewertet; alle Religionen re350 351 352 353

Beide Zitate: Hick 2002: 32. Ebd. 81. Ebd. 82. Beide Zitate: ebd.

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präsentierten unterschiedliche und geschichtsmächtig gewordene Typen religiöser Erfahrung, unter denen Hick drei Grundtypen unterscheidet: 1. die Erfahrung des Absoluten als Person, die mit einem Willen ausgestattet ist; 2. die Erfahrung des gesamten Universums als einer Manifestation göttlicher Realität (Naturmystik und kosmische Mystik) und 3. eine apersonale Erfahrung des Absoluten, wobei das Selbst, das diese Erfahrung macht, seinerseits in der göttlichen Realität aufgeht354.

Insofern es sich hier aber um Erfahrungen handelt, die bereits sprachlich vermittelt und damit durch ein gewisses Maß an Reflexion gebrochen sind, muss noch etwas angenommen werden, das gleichsam ‚hinter’ diesen Erfahrungen steht und nicht unmittelbar benannt werden kann. Sieht man von der Naturmystik einmal ab, die ja nicht ganz eindeutig ist und auch auf ein personal gedachtes Absolutes bezogen werden kann, so bleiben für Hick und Schmidt-Leukel eigentlich nur zwei Typen übrig, die sich religionsgeschichtlich weiter ausdifferenzieren: die personal und die apersonal objektivierte Erfahrung des Absoluten oder Realen. Ersterer entsprechen eher die drei monotheistischen Religionen, letzterer Teile der asiatischen Religionen, vor allem der Buddhismus. Auf jeden Fall handelt es sich um sprachlich vermittelte Bilder eines Absoluten, das diese Bilder weit übersteigt355. Hick bemüht hier ausführlicher den Vergleich mit der Erkenntnistheorie Kants: Wie in der Gegenstandserkenntnis dem Subjekt konstitutive Bedeutung bei der Ordnung der phänomenalen Wirklichkeit zukommt, so kommt ihm eine solche auch bei der Gotteserfahrung – von der Kant freilich nicht sprach – eine ähnlich Funktion zu. Wird die Gegenstandswelt von uns vermittels der Kategorien aufgebaut – Substanz, Kausalität, Quantität, Qualität etc. –, so baut sich die religiöse Welt durch die unterschiedlichen Gottesbilder auf, die, als kulturell und geschichtlich entsprungene, religiöse Erfahrung konstituieren356. Die Differenz zu Kant sollte allerdings nicht übersehen werden: Während Kant die Kategorien als die unsere Erkenntnis strukturierenden Begriffe mit 354 355 356

Vgl. ebd. 102f. Hick 2002, 113-126; Schmidt-Leukel 2005, 466-477. Hick 2002, 113-118.

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der Vernunft selbst als gegeben ansieht, sind die Gottesbilder nicht einfach ein Faktum der Vernunft, sondern als strukturierende Elemente selbst schon geschichtlich entsprungen, kulturell geformt. Inwieweit dies nicht auch für die Kategorien gilt, kann hier nicht weiter diskutiert werden. In beiden Fällen aber können wir über eine Welt jenseits dieses Vermittlungsgefüges keine gültige Aussage machen, eben weil eine jede schon die subjektive Apparatur voraussetzt, von der doch abstrahiert werden soll. Wir haben es sowohl erkenntnistheoretisch als auch religionsepistemologisch bereits mit Phänomenen zu tun, während die von uns postulierte noumenale Wirklichkeit unerreichbar bleibt, in den Worten Hicks: „Gott, wie die Menschen ihn kennen, ist nicht Gott an sich, sondern Gott in Beziehung zur Menschheit, vorgestellt und erfahren in den Begriffen einer konkreten, begrenzten Tradition religiöser Erkenntnis und Reaktion.“357 Gott an sich bleibt unerkennbar, insofern hatte auch Jesus Christus für ihn nicht Gott in seiner unverstellten Wirklichkeit gezeigt. Alle Aussagen über Gott sind immer schon subjektiv vermittelt, d.h. entweder Bilder oder – als Begriffe – gleichsam abstrahierte Bilder. Die prinzipielle Unerkennbarkeit Gottes wird durch keine Religion überwunden, sondern durch die Pluralität der Religionen eher bestätigt. Dass es unterschiedliche Religionen gibt mit untereinander oft kaum vereinbaren Vorstellungen und Zielen, ist kein Unfall oder eine von Menschen verschuldete verzerrte Überlieferung der ‚wahren‘ Offenbarung, sondern gründet ‚in der Sache selbst‘, Keine Religion, auch nicht das Christentum, kann darum für sich Letztgültigkeit beanspruchen, als wäre sie die Empfängerin einer unüberbietbaren Offenbarung Gottes. Halten wir einen Augenblick inne: Wenn Hick die noumenale Wirklichkeit oder das ‚Ding an sich‘ umstandslos mit Gott identifiziert, so hätte Kant wohl schwerlich zugestimmt, denn über die Existenz Gottes vermögen wir nach Kant kraft der theoretischen Vernunft keine positive oder negative Aussage zu machen. Hicks erkenntnistheoretische Unbekümmertheit – mal will es scheinen als werde die

357

Ebd.: 117.

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alte intentio recta erneuert und alle Erkenntnis vorkritisch an einer ‚gegebenen‘ Wirklichkeit gemessen, mal wird der kritische Idealismus Kants bemüht, um die Unmöglichkeit einer adäquaten Erkenntnis Gottes durch ein einziges religiöses Symbolsystem darzulegen – ist mit Recht von Klaus von Stosch moniert worden358. Woher nimmt Hick die Kenntnis erstens von einer erfahrbaren absoluten Wirklichkeit und zweitens von der Inadäquatheit aller religiösen Symbolisierungen? Gibt es einen Standpunkt jenseits dieser Symbolwelten, von dem aus Nähe und Ferne zum Objekt zu beurteilen sind? An der Erfahrbarkeit und extramentalen Existenz eines – wie auch immer zu denkenden – Absoluten oder ‚absolut Realen‘ hält auch die pluralistische Theologie fest, insofern sie Theologie bleiben will, auch wenn die Modelle, mit denen die Behauptung begründet werden soll, innertheologisch keineswegs konsensfähig sind. Dies gilt auch für Tradition negativer Theologie, der sich die pluralistische Theologie der Religionen besonders verbunden weiß. Die theologia negativa reicht bis in die Antike zurück, man denke etwa an die neuplatonische Philosophie und an den von ihr beeinflussten (Pseudo-)Dionysios Areopagita, den „Kronzeugen der ‚negativen Theologie‘“359. Aber auch die mittelalterlichen Zeugen sind beachtlich: In der Philosophie des Maimonides (1135/38-1204), der auch von christlichen Autoren wie Albert, Thomas, Meister Eckart und Nikolaus Cusanus rezipiert wurde, kommt der neuplatonisch inspirierten und biblisch untermauerten negativen Theologie eine wichtige Funktion zu, nämlich den Monotheismus ungeschmälert festzuhalten (was sich wohl auch gegen christliche Deutungen richtet) und vor menschlichen Projektionen zu bewahren. Das Angesicht Gottes kann nach Ex 33,23 kein Mensch, nicht einmal Moshe, schauen; seine Bitte wird von Gott zurückgewiesen, lediglich den ‚Rücken‘ Gottes darf er sehen. Maimonides zieht daraus in den Kapiteln 21 und 54 des ersten Buchs seines Moreh Nevuchim (Führer der Verwirrten) weitreichende philosophische Folgerungen: Was nämlich als Attribute Gottes angesehen wird, also als Aussa358 359

Vgl. von Stosch 2012: 29-42. – Diese Kritik wird gilt aber nur eingeschränkt für Perry Schmidt-Leukel. Schmidt-Leukel 2005, 203.

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gen über sein Wesen, betrifft in Wahrheit lediglich Bezeichnungen sind, die aus seinen Werken und Taten geschlossen werden. „So oft nämlich irgendeine einer [Gottes, R.B.] Wirkungen erkannt wird, wird Gott eine Eigenschaft beigelegt, von welcher diese Wirkung herkommt, und mit einem Namen benannt, der von dieser Wirkung abgeleitet ist.“360 Von den Wirkungen aber auf das Wesen zu schließen, ist unzulässig, ja es ist sogar unmöglich, auch nur von einer Ähnlichkeit zwischen Gott und seinen Geschöpfen zu sprechen. Eine Analogielehre, wie sie später von Thomas entwickeln wird, und die bei größerer Unähnlichkeit doch eine Ähnlichkeit konzediert, ist Maimonides fremd. Alle Begriffe, die wir auf Gott anwenden, gelten nur in einem homonymen Sinne und dürfen nicht unmittelbar als Attribute seines Wesens angesehen werden361. So sind eigentlich nur negative Aussagen von Gott möglich, ihm kommt, wie Maimonides betont, „auf keinerlei Weise ein positives Attribut zu. In der Tat sind es die verneinenden Aussagen, denen wir uns bedienen müssen, um das Denken zu dem hinzuleiten, was wir in Bezug auf Gott glauben müssen, weil aus ihnen in keiner wie immer gearteten Weise die Vorstellung einer Vielheit in Gott entstehen kann...“ 362 Mit Blick auf die christliche Trinitätslehre vertritt Nikolaus Cusanus (14011464) zwar nicht mit der gleichen Konsequenz wie Maimonides eine negative Theologie, aber man merkt unschwer, dass er ihr in seiner docta ignorantia den Vorzug vor allen affirmativen Aussagen gibt, von denen zwar das Denken seinen Ausgang nimmt, die sich aber doch als unzureichend, ja als gefährlich erweisen. Es gibt sogar eine sacra ignorantia, die uns die „Unausprechlichkeit Gottes gelehrt“ hat, so dass es mit Dionysos und Maimonides angemessener ist, wenn wir von Gott „alles Geschöpfliche abstreifen und verneinen“363. Ohne die negative Theologie, so Cusanus, kann Gott „nicht als der unendliche Gott verehrt“ werden, „sondern vielmehr als Geschöpf [non coleretur ut deus infinitus, sed potius ut creatura]. Eine solche Gottesvorstellung aber ist Götzendienst 360 361 362 363

Moreh I, 54 = Maimonides 1972, Band I: 181. Vgl. I, 56.57. I,58. De docta ignor., I,26,87. = Nikolaus von Kues 2002, Band 1: 110f.

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[idolatria], der dem Bilde gibt, was nur der Wahrheit gebührt.“

364

Auch hier

geht es darum, den Gottesbegriff rein von aller endlichen Beimischung zu halten. Selbst für die Lehre von der Trinität gilt: Unter „dem Gesichtspunkt der Unendlichkeit ist Gott weder Eines noch vieles. Vom Standpunkt der negativen Theologie findet sich in Gott nichts als Unendlichkeit. Ihr zufolge ist er darum weder in dieser, noch in der künftigen Welt erkennbar, da jedes Geschöpf, welches das unendliche Licht nicht zu erfassen vermag, ihm gegenüber Finsternis ist. Er ist vielmehr nur sich selbst bekannt [sed sibi solus notus est].“365 Gott bleibt also auch im Stande der visio beatifica ein Geheimnis, weil die Differenz von Schöpfer und Geschöpf durch die Erlösung nicht aufgehoben wird. Die unio, von der im dritten Teil der docta ignorantia gesprochen wird, ist nicht Identität, sondern, nach dem Vorbild der hypostatischen Union Einheit des bleibend Verschiedenen366. Die negative Theologie des Cusaners neutralisiert freilich nicht die Christologie zur bloßen Metapher im Sinne Hicks; hier gehen wohl die ‚gelehrte Unwissenheit‘ und die pluralistische Religionstheologie verschiedene Wege. In Christus ist die Wahrheit unseres Leibes und unseres Geistes erst ganz zu sich gekommen, „ut sit una Christi humanitas in omnibus hominibus et unus Christi spiritus in omnibus spiritibus“, damit am Ende „ein Christus aus allen sei“367. Wie im Menschen die ganze Schöpfung repräsentiert ist – er ist geradezu ein Mikrokosmos „aut parva mundus“368 –, so ist in Christus die Wahrheit unseres Leibes und Geistes realisiert. In ihm ist der Mensch und im Menschen die ganze Schöpfung versöhnt und geeint. Mag dies in der Kirche als Leib Christi bewusst sein, so zielen die Gedanken des Cusaners im Grunde schon auf die ganze Menschheit. Ausdrücklich vollzog diese Wendung, wie Ernst Cassirer zeigte, der Platoniker Marsilio Ficino (1433-1499). Seine Religionsphilosophie besitzt schon

364 365 366 367 368

I,26,86;= Nikolaus von Kues 2002, Band 1: 108-111, hier: 110f. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: I,26,88 = Nikolaus von Kues 2002: Band 1: 112f. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,260f Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,256 Nikolaus von Kues, De docta ignorantia: III,198.

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stärkere Affinitäten nicht nur zu inklusivistischen, sondern auch zu pluralistischen Modellen. Der Religionsbegriff, so Cassirer, wird „nicht ausschließlich in einer einzelnen Glaubensform, sondern in der Gesamtheit der historischen Glaubensformen verkörpert“369. Vorausgesetzt ist hier ein Offenbarungsbegriff, dessen Einheit „nicht anders als im Ganzen der Geschichte und in der Totalität ihrer Gestaltungen zu suchen ist“370. Der geographisch und historisch erweiterte Horizont hatte auch theologisch und religionsphilosophisch erhebliche Folgen. Es scheint, dass für die ‚Avantgarde‘ des 15. Jahrhunderts exklusivistische Positionen nicht mehr nachvollziehbar waren. In der modernen pluralistischen Religionstheologie, zu der wir nun wieder zurückkehren, wurde die negative Theologie, wie Schmidt-Leukel feststellt, „die erste und grundlegende Voraussetzung“371. Schärfer noch als die meisten Diskurse in Mittelalter und Renaissance, auf die sie sich beruft und deren Linien sie konsequent auszieht, wird die völlige Transzendenz, Unbegreiflichkeit und Unausprechlichkeit Gottes betont. Keine der bestehenden Religionen kann beanspruchen, ein letztgültiges Wissen über Gott, sein Wesen und seine Pläne – letzteres ist bereits ein Anthropomorphismus – zu besitzen. Das schließt aber die Möglichkeit einer bestimmten Erfahrung, die man mit dem schlechthin transzendenten Absoluten machen kann, nicht aus372, wobei alle Erzählungen, Bilder und Texte, die eine solche Erfahrung zum Ausdruck bringen, bereits deren notwendige, aber niemals adäquate Objektivationen sind. Mit anderen Worten: Es gibt zwar Offenbarung im Sinne einer Selbsterschließung des Absoluten, diese ist aber nicht – hier stimmen die pluralistischen Theologen Rahner zu – eine Mitteilung von Sätzen oder fertigen Inhalten, sondern eben Gott selbst, der aber auch als der sich Offenbarende zugleich das Mysterium im strikten Sinne des Begriffs bleibt. „Gott muss immer als jene Realität bestimmt werden, die alle 369 370 371

372

Cassirer 1994: 75. Ebd. 76. Schmidt-Leukel 2005: 195-211, hier: 207. Außerhalb einer Theologie der Religionen besitzt die lange Tradition der negativen Theologie natürlich auch eine hohe Bedeutung – als Kontrollinstanz und in ideologiekritischer Absicht; vgl. Alois Halbmayr: Gottesrede als Einspruch. Das ideologiekritische Potential negativer Theologie (in Halbmayr / Hoff 2008: 186-208). Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 219.

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begrifflichen Eingrenzungen und alle notwendigerweise endlichen Vorstellungen übersteigt.“373 Auch Schmidt-Leukel knüpft an das Faktum menschlicher Transzendenz an: dass nämlich der Mensch sich nicht in der Ordnung seiner empirischen Erfahrungen und der intelligenten Befriedigung seiner Bedürfnisse erschöpft, sondern diese endlichen Bereiche jeweils übersteigt und auf eine Erfüllung vorgreift, deren Existenz im strengen Sinne freilich nicht schon bewiesen ist. Könnte es nicht sein, dass uns unsere eigene Vernunft narrt? Zumindest aber ist die Ausrichtung auf eine absolute Wirklichkeit nicht widervernünftig, sondern in der spezifischen Verfassung endlichen Geistes angelegt, ein Gedanke, der von Rahners transzendentaltheologischer Grundlegung von Anthropologie und Offenbarung seinen Ausgang nehmen kann. Das in den Kategorien einer auf Beherrschung ausgerichteten Rationalität nicht erfassbare Woraufhin menschlicher Transzendenz bleibt, wie Rahner in einem berühmten Essay zeigt, unaufhebbar Geheimnis und nicht etwa ein prinzipiell auflösbares Rätsel. Mit Geheimnis ist also weder ein bloß vorläufig noch nicht Erkanntes gemeint, eine Lücke in unserem Wissen, die bald geschlossen werden kann, noch ein Denkverbot oder eine quasi-mythische Gewalt. Der Begriff bezeichnet vielmehr die nicht adäquat einholbare, unverfügbare Basis und Erfüllung aller in Denken und vernünftiger Praxis vollzogenen Transzendenz des Menschen. Insofern dieses Geheimnis in jedem – gerade auch alltäglichen – Akt der Selbstüberschreitung unthematisch affirmiert wird, stellt dessen Erfahrung nichts Extraordinäres dar, das etwa nur wenigen auserwählten Mystikern sich erschließt, sondern etwas Selbstverständliches374. Der Begriff des Geheimnisses verwandelt also die Theologie nicht in eine Arkanwissenschaft oder stellt sie auf eine irrationale Basis, sondern erinnert das Denken insgesamt an einen ‚Primat des Objekts‘, d.h. an die Unverfügbarkeit des alle geistige Dynamik Erfüllenden. Der Zusammenhang von transzendentaler Erfahrung und Geheimnis verweist auf die Erbschaft nega-

373 374

Ebd.: 218. Vgl. Karl Rahner: Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie (Rahner ST IV: 51-99; zum Konnex von transzendentaler Erfahrung und Geheimnis vgl. ebd.: 68-81).

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tiver Theologie im Denken Karl Rahners, was hier in seinen fundamentaltheologischen und dogmatischen Konsequenzen nicht weiter erörtert werden kann. Schmidt-Leukels Argumentation bleibt an spekulativer Tiefe zwar hinter derjenigen Rahners zurück, zielt aber auch auf eben jene nicht schon im Begriff einholbare und adäquat darstellbarbare Erfüllung menschlicher Selbstüberschreitung und scheint von daher besser fundiert als die Argumentation John Hicks. In den Religionen wird eben dies, wie defizitär auch immer (das gilt auch für christliche Objektiviationen transzendentaler Erfahrung), explizit375. Damit ist allerdings nicht schon entschieden, ob sich Religion auf eine leere, personale oder apersonale Unendlichkeit erstreckt. Eine leere Unendlichkeit wäre die ewig unbefriedigte Selbsttranszendenz des Menschen – eine wenig erhebende Perspektive. So bleiben noch die beiden anderen, bereits von John Hick thematisierten Möglichkeiten, die in den drei großen monotheistischen Religionen einerseits und im Buddhismus andererseits ihre prägnanteste Realisierung erfuhren. Die erheblichen Unterschiede der Objektivation der ursprünglichen Transzendenzerfahrung führt Hick auf die jeweiligen kulturellen Kontexte zurück376, die jedoch, so muss man hinzufügen, in vormodernen Gesellschaften niemals ohne religiöse Codierung existieren. Damit ist allerdings Rahners inklusivistische Position zugunsten einer pluralistischen aufgegeben worden, eine Konsequenz, die Hick, Schmidt-Leukel und Knitter auch explizit ziehen. Muss man aber nicht im Sinne dieses Gedankengangs, um zu vermeiden, allen Religionen heimlich doch noch eine theistische Option zu unterschieben, besser von den diversen Erfahrungen und Wirkungen des Absoluten sprechen? Dies wäre eine moderne Verlängerung jener Überlegungen, die schon Maimonides im Führer der Verwirrten anstellte: Alle angeblichen Attribute Gottes seien in Wahrheit nur seine Wirkungen auf uns. Die entscheidende Erfahrung aber, die nach Paul Knitter (und ähnlich auch nach John Hick) sich in den Religionen 375

376

Perry Schmidt-Leukel verweist in diesem Zusammenhang auch explizit auf Anselm von Canterbury und Karl Rahner (vgl. Schmidt-Leukel 2005: 197f), während er Rahners Begriff der transzendentalen Erfahrung für seine Ausführungen zur religiösen Erfahrung (vgl. ebd.: 217-224) nicht fruchtbar macht. Vgl. Hick 2002: 96.

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ausdrücke, sei die Erfahrung der Befreiung und so spreche man besser nicht von Theozentrik, sondern von Soteriozentrik, von der aus eine pluralistische Theologie der Religionen entwickelt werden könne. Nicht ός, sondern ί wäre demnach die angemessene Kategorie religiöser Erfahrung377. Dies bedeute, so Knitter, nicht notwendig die Preisgabe einer transzendenten Wirklichkeit, vielmehr handele es sich um den Versuch, die alle Religionen verbindende Heilserfahrung angemessen auszudrücken378. Im Hintergrund steht hier nicht nur die Befürchtung, theozentrische Ansätze unterstellten allen Religionen ein personales Gottesverständnis; Knitter möchte zugleich eine Theologie der Religionen mit einer Theologie der Befreiung fusionieren, und zwar so, dass Befreiung nicht bloß ein weiterer Aspekt der Transzendenzerfahrung ist, sondern einer jeglichen inhäriert. Die Frage ist freilich, ob man in allen Religionen unter Befreiung dasselbe versteht oder nicht doch das Verhältnis zur materiellen, geschichtlichen Welt entscheidend den Begriff von Befreiung bestimmt. Kann eine Theozentrik auf die prinzipielle Unerkennbarkeit des Absoluten verweisen und offen bleiben für ganz unterschiedliche Symbolisierungen, so ist Befreiung von Anfang an bezogen auf eine konkrete historische Situation und ihre Bewertung, wenn sie nicht ein völlig abstrakter Begriff, im Grunde ein Fetisch werden soll; es gibt keine Befreiung ‚schlechthin‘. Der nachdrücklich formulierte Einspruch gegen Leid und Unrecht, die Geschichte als Ort, an dem der Kampf gegen beides geführt wird, leitet sich historisch doch eher von einem biblisch geprägten Denken ab. Macht es nicht einen erheblichen Unterschied, ob ein personal gedachter, geschichtlich involvierter Gott ein geknechtetes Volk von seinen Unterdrückern befreit und in ein Land führt, in dem Milch und Honig fließen oder ob die Befreiung sich eher auf dem Weg nach innen vollzieht in fortschreitender Negation allen auf einen Gegenstand gerichteten Wollens bis hin zum Verlöschen des Subjekts eben jenes Wollens? Gerade an diesem Punkt wird man er-

377 378

Vgl. Knitter 1997: 187. Vgl. Knitter 1997: 186.

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heblichen interreligiösen Kontroversen zu rechnen haben, gerade wenn man den Befreiungsbegriff so ernst nimmt, wie Knitter es mit Recht fordert. Ob nun theozentrisch oder soteriozentrisch begründet, verweist die pluralistische Religionstheologie auf ein Problem, das exklusivistische und inklusivistische Modelle in der Tat kaum gelöst haben: Der Exklusivismus ist vollziehbar im Grunde nur als Sprung in den – jede andere religiöse Form verwerfenden – Glauben und konzipiert diesen als Dezisionismus. Der Inklusivismus Rahners und Dupuis’ bietet zwar eine anspruchsvolle religionsphilosophische Grundlage des Glaubens und eine Alternative zum Exklusivismus, hat aber Schwierigkeiten, wenn es um die Frage geht, warum gerade die kategoriale, besondere Offenbarungsgeschichte, wie sie im Alten und Neuen Testament bezeugt ist, die von aller schuldhaften Zweideutigkeit und Depravation freie, schlechthin geglückte „Selbstauslegung der transzendentalen Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte“ sein soll, die „sich mit Recht als von Gott gesteuert und geführt weiß“379. Das Kriterium ist nach Rahner im Christusereignis zu sehen380, insofern eben hier Selbstzusage Gottes, freie menschliche Annahme und der Beginn der Neuschöpfung in einem geschehen sind381. Dass es aber in jenem Jesus von Nazareth geschichtlich sich ereignet hat, ist transzendental nicht ableitbar. Nochmals sei betont, dass Rahner nicht die begonnene Erlösung in Jesus Christus transzendental ‚konstruiert‘, sondern die Bedingung der Möglichkeit des im Glauben angenommene Geschehens rekonstruiert. Der Vorwurf einer zirkulären Struktur ist damit nicht völlig von der Hand zu weisen, braucht von Rahner aber auch nicht gescheut zu werden, denn er beansprucht keineswegs, eine anthropologische Deduktion des geschichtlichen Ereignisses zu liefern. Dass jene vollkommene Übereignung der eigenen Freiheit in ihrer Finalisierung auf die absolute Fülle in Gott durch Jesus Christus geschehen ist und so umgekehrt die Liebe Gottes in ihm geschichtlich unüberbietbar sichtbar wurde, ist nicht Ergebnis ei-

379 380 381

Rahner 1976: 159. Ebd.: 161. Vgl. ebd.: 208-211.

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ner anthropologischen Reflexion, aber wohl auch nicht einer historischkritischen Analyse des Neuen Testaments. Die Ablehnung jener hier beanspruchten Endgültigkeit ist, unabhängig von einer metaphysischen oder symbolischen Deutung der christologischen Formel von Chalkedon, die Grundlage einer pluralistischen Theologie der Religionen, wie Perry Schmidt-Leukel es auch unmissverständlich sagt382. Eine symbolische oder mythologische Deutung der Christologie im Sinne Hicks gründet nicht nur im Zweifel an der traditionellen Sprache der Christologie, sondern ist auch Folge einer Relativierung des christlichen Erlösungsanspruchs. Wenn es mehrere, grundsätzlich gleichwertige Objektivationen der Transzendenzerfahrung gibt, die ja zu dieser nicht erst nachträglich hinzutreten, ist die Offenbarung in Jesus Christus nicht die endgültige – und umgekehrt. Inkarnation ist nicht das einmalige Ereignis der Selbstmitteilung Gottes in Christus, sondern ein Grundzug der Offenbarung, womit sicherlich etwas Richtiges erkannt wird383, denn ohne eine leibliche und geschichtliche Rezeption und Konkretion der Selbstmitteilung Gottes bliebe diese schlechthin wirkungslos. Jesus war auch nach SchmidtLeukel Mittler der göttlichen Offenbarung, aber doch nicht so dass ein endlicher Mensch den unendlichen Gott erschöpfend zur Darstellung gebracht hätte, was, so Schmidt-Leukel auch nach der Ansicht des Thomas unmöglich ist384. Darum sei grundsätzlich damit zu rechnen, dass auf ähnliche Weise wie Jesus, „aber in kulturell und religiös völlig anderen Kontexten, andere Menschen ebenfalls in vergleichbarer Offenheit für die göttliche Wirklichkeit gelebt und durch ihr Leben und ihre Lehren, wenn auch in ganz anderer Form, zu Mittlern göttlicher Selbsterschließung geworden sind“385. Gleichwohl möchte Schmidt-Leukel auf den Christus-Titel und die damit verbundene Heilsrelevanz Christi nicht völlig verzichten: „Aus pluralistischer Sicht“, schreibt er, „kann auch die Auffassung akzeptiert werden, dass Christus 382 383 384 385

Schmidt-Leukel 2005, 277. Vgl. ebd. 291-296. Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 295f, unter Berufung auf STh III, q3, a7. Schmidt-Leukel 2005: 296.

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die Ursache allen Heiles ist, wenn dabei unter ‚Christus‘ im Sinne vieler Kirchenväter der universale Logos verstanden wird. Wenn Christus gleich ‚Logos‘ ist und ‚Logos‘ (das göttliche ‚Wort‘) die universale Selbsterschließung Gottes meint, dann ist die Aussage, Christus sei die Ursache allen Heils, lediglich die spezielle christliche Formulierung der allgemeinen Aussage, dass die Selbsterschließung Gottes die Ursache allen Heils ist.“386 Diese Überlegungen sind nicht weit entfernt von den Logos-Spekulationen eines Philo und der alexandrinischen Schule, die ja auch viele Kirchenväter beeinflusste. Allerdings spricht SchmidtLeukel hier noch von der ‚Selbsterschließung Gottes‘ und verbleibt damit im Sprachspiel eines expliziten Theismus, während in der modernen Logos-Interpretation dessen personale Form ebenso ausgeschlossen wird wie die von den Vätern betonte Einmaligkeit seiner Inkarnation. Man wird kaum bestreiten können, dass sich mit der pluralistischen Religionstheologie, wie sie hier skizziert wurde, eine grundlegende Neuinterpretation des Christentums verbindet, die, würde sie zu einer umfassenden kirchengeschichtlichen Tendenz, auf eine im Detail noch gar nicht absehbare Transformation des bisher bekannten Christentums hinausliefe. Sie beinhaltet vor allem den Abschied von dem Anspruch, die letzte und endgültige Offenbarung Gottes zu sein (auch wenn die Evidenz des Gottesreiches noch aussteht), auf die alle Geschichte, Religion und Kultur implizit oder explizit bezogen bleibt. Pluralistische Theologie der Religionen impliziert, wie Klaus von Stosch es formuliert: „die Preisgabe von orthodoxer Christologie und Trinitätstheologie“387. Andererseits gibt es eine Reihe von Gründen, die heute der pluralistischen Religionstheologie ein hohes Maß an Plausibilität verleihen:  die Einsicht in die absolute Transzendenz und Unverfügbarkeit Gottes als Basis pluralistischer Religionstheologie konvergiert mit einer verbreiteten Skepsis gegenüber dogmatischen Formulierungen und Definitionen;

386 387

Ebd.: 275f. Vgl. von Stosch 2012: 42-55.

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165  die faszinierende Erfahrung des Reichtums anderer Religionen und die Notwendigkeit einer interreligiösen Verständigung auf ‚Augenhöhe’ angesichts einer langen und oft blutigen Geschichte des christlichen Überlegenheitsanspruchs;  das Ende kultureller Homogenität und fester religiöser Identitäten, ein Prozess, der sowohl zur Öffnung des Horizonts als auch zu fundamentalistischer Regression führen kann;  und schließlich die zu lange strapazierte Hoffnung auf die vollständige Einlösung der christlichen Verheißungen und des hohen Anspruchs einer endgültigen, erfüllenden Offenbarung, von der geschichtlich leider nicht viel sichtbar geworden ist.

Lehramtlich gibt es auch nachkonziliar gegen die pluralistische Theologie der Religionen erhebliche Vorbehalte, die nicht nur einzelnen Ausprägungen dieses Modells gelten, sondern auf eine prinzipielle Ablehnung hinauslaufen, wie deutlich aus der Erklärung Dominus Iesus (2000) hervorgeht. In der Nr. 4 richtet sich die Kritik der Glaubenskongregation ausdrücklich gegen die Pluralistische Theologie der Religionen und bescheinigt ihr eine relativistische Sicht: „Die immer währende missionarische Verkündigung der Kirche wird heute durch relativistische Theorien gefährdet, die den religiösen Pluralismus nicht nur de facto, sondern auch de iure (oder prinzipiell) rechtfertigen wollen. In der Folge werden Wahrheiten als überholt betrachtet, wie etwa der endgültige und vollständige Charakter der Offenbarung Jesu Christi, die Natur des christlichen Glaubens im Verhältnis zu der inneren Überzeugung in den anderen Religionen, die Inspiration der Bücher der Heiligen Schrift, die personale Einheit zwischen dem ewigen Wort und Jesus von Nazareth, die Einheit der Heilsordnung des Fleisch gewordenen Wortes und des Heiligen Geistes, die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi, die universale Heilsmittlerschaft der Kirche, die Untrennbarkeit – wenn auch Unterscheidbarkeit – zwischen dem Reich Gottes, dem Reich Christi und der Kirche, die Subsistenz der einen Kirche Christi in der katholischen Kirche.“ 388

Es fällt auf, dass in den Relativismus-Verdacht jede Theologie gerät, die nicht nur die – wohl schwerlich bestreitbare – Faktizität eines religiösen Pluralismus zum Gegenstand hat („de facto“), sondern auch seine theologische Rechtfertigung („de iure“). Diese Formulierung ist entweder missverständlich, insofern 388

Dominus Iesus, Nr. 4. – Der Text ist auch auf der Homepage des Vatikans zugänglich: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000806_dominus-iesus_ge.html (letzter Zugriff: 18.12.2014)

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sie auch inklusivistische Modelle einschließt, die nichtchristliche Religionen ausdrücklich als Heilswege anerkennen, selbst wenn dieses Heil explizit kein anderes als das durch Christus begründete ist, oder die Erklärung steuert in Abwehr des von ihr diagnostizierten Relativismus auf einen offenen Exklusivismus zu. An dieser Stelle ist eine Entscheidung dieser Frage kaum möglich. Mit Recht erkennt die Glaubenskongregation die theologische und religionsphilosophische Basis der Pluralistischen Theologie der Religionen in der negativen Theologie, der gemäß, wie es knapp und leider auch stark verkürzend heißt, „die göttliche Wahrheit nicht fassbar und nicht aussprechbar ist, nicht einmal durch die christliche Offenbarung“389. Gegenüber jener epistemologischen und ästhetischen (im Sinne der Wahrnehmungslehre) Skepsis „muss vor allem der endgültige und vollständige Charakter der Offenbarung Jesu Christi bekräftigt werden“, der sodann in Nr. 5 ausgeführt wird. Der Text fordert mit Hinwies auf Joh 14,6 und die ungebrochene lehramtliche Tradition dazu auf, „fest zu glauben, dass im Mysterium Jesu Christi, des Fleisch gewordenen Sohnes Gottes …, die Fülle der göttlichen Wahrheit geoffenbart ist“390. Andere Religionen mögen Elemente dieser Wahrheit enthalten, doch sind sie niemals der christlichen Wahrheit ebenbürtig, die erst die ganze Fülle der göttlichen Offenbarung zugänglich macht und von ihr getragen ist. „Im Gegensatz zum Glauben der Kirche“ mahnt die Erklärung nochmals, „steht deshalb die Meinung, die Offenbarung Jesu Christi sei begrenzt, unvollständig, unvollkommen und komplementär zu jener in den anderen Religionen. Der tiefste Grund dieser Meinung liegt in der Behauptung, dass die Wahrheit über Gott in seiner Globalität und Vollständigkeit von keiner geschichtlichen Religion, also auch nicht vom Christentum und nicht einmal von Jesus Christus, erfasst und kundgetan werden könne. Diese Auffassung widerspricht radikal den vorausgehenden Glaubensaussagen, gemäß denen in Jesus Christus das Heilsmysterium Gottes ganz und vollständig geoffenbart ist.“391

389 390 391

Ebd. Dominus Iesus, Nr. 5. Dominus Iesus, Nr. 5.

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Abgelehnt wird damit ausdrücklich auch jede Form von Komplementarität von Christentum und nichtchristlichen Religionen, wie sie auch in bestimmten inklusivistischen Positionen zumindest hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Konsequenzen genauer durchdacht wird. Zur Pluralistischen Theologie der Religionen ist damit die Kommunikation abgebrochen worden und eine Theologie, welche orthodox bleiben will, ist hier eindeutig positiv wie negativ festgelegt. Eine grundlegende Änderung dieser lehramtlichen Position ist in der nächsten Zeit kaum zu erwarten. Indessen fallen die biblischen (vor allem neutestamentlichen) und theologiegeschichtlichen Belege für die eigene Position bei Vertretern des Pluralismus deutlich magerer aus als bei ihren Gegnern, und die breiter belegbare negative Theologie als ‚Basistheorie’ mündete in der Tradition zumindest faktisch nicht in eine pluralistische Position. Andererseits öffneten sich weite Teile der katholischen und evangelischen Theologie gegenüber dem Judentum in einem Maße, das die Aufmerksamkeit pluralistischer Religionstheologen weckte: Man nahm von der Judenmission und der Substitutionstheorie Abschied und unterstrich in den wichtigsten Dokumenten den bleibenden Bund Gottes mit Israel, auch wenn Juden in Jesus von Nazareth nicht den Messias und die definitive Selbstmitteilung Gottes sehen. Gibt es also in mindestens einem Fall Heil an Christus vorbei? Der Nachdruck auf der bleibenden Erwählung Israels, der sich in den einschlägigen Texten findet, erweckt in der Tat eher den Eindruck als werde ein im Bund mit Abraham und am Sinai begründeter eigener Heilsweg für Israel vorausgesetzt, was von paradigmatischer Bedeutung wäre, jedoch die Ausführungen von Dominus Iesus relativieren müsste. Umgekehrt wird von jüdischer Seite der Verzicht auf eine ‚hohe Christologie’ und den christlichen Überlegenheitsanspruch, die bislang das Verhältnis beider Religionen stark belasteten, positiv bewertet392. Wenn nun, so Schmidt392

Vgl. Dabru emet. Text unter http://www.icjs.org/what/njsp/dabruemet.html (letzter Zugriff: 16. 12. 2014); dazu die Beiträge in Kampling/Weinreich 2003; siehe auch Schmidt-Leukel 2005: 338-343. Es wäre allerdings auf jüdischer Seite eine Illusion zu glauben, dass die katholische Kirche von lehramtlicher Seite für das Judentum ein Heil jenseits von Christus konzedieren würde. Dominus Iesus schließt jedenfalls eine solche Perspektive aus. Das Judentum ist nicht Objekt einer aktiven Mission, doch bleibt der von Christus eröffnete Weg der einzige, dessen Wahrheit und Gültigkeit am Ende der Tage erkannt wird.

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Leukel, unter Berufung auf die unbestreitbare religionsgeschichtliche und theologische Nähe von Judentum und Christentum keine „inklusivistische Allianz“ zwischen beiden Religionen angestrebt werden soll, lässt sich auch gegenüber den anderen Religionen der christliche Absolutheitsanspruch nicht länger aufrecht erhalten, und es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auch sie gültige Heilswege darstellen393. Die Fragen, auf die Schmidt-Leukel Theologie und Lehramt aufmerksam macht, sind durchaus von Gewicht, und die Diskussion kann – trotz Dominus Iesus – in keiner Weise als abgeschlossen betrachtet werden. Die pluralistische Theologie der Religionen gewinnt viel, vermag sie doch die Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit der Gesprächspartner uneingeschränkt festzuhalten. Auch ist sie keine Repristination der Vernunftreligion des 18. Jahrhunderts, sondern denkt die übernatürliche Bestimmung des Menschen, den universalen Heilswillen des transzendenten Absoluten konsequent weiter. Man könnte sie durchaus als anspruchsvolle Erwiderung auf Holbachs Spott über den Offenbarungsbegriff und seine Unklarheiten interpretieren. Der Preis für die so gewonnene Offenheit ist freilich hoch: Diese Konzeption lässt sich nur noch schwer von einer Konkurserklärung der spezifisch christlichen Hoffnung – dass nämlich in diesem einen das Heil der Menschheit, ja der ganzen Schöpfung, definitiv angebrochen sei – unterscheiden. Zudem bleibt der von Schmidt-Leukel so oft strapazierte Begriff des Heils eher vage und nur in dieser Unbestimmtheit – ähnlich Knitters Begriff der Befreiung – ist er für eine pluralistische Theologie der Religionen geeignet, die nicht nur den absoluten Geltungsanspruch des Christentums, sondern auch jeder anderen Religion, sofern er dort überhaupt erhoben wird, einschränkt. Ob dies nichtchristlichen Gesprächspartnern die gebührende Achtung zollt – wovon Hick, Knitter und Schmidt-Leukel überzeugt sind –, oder eher, wie Klaus von Stosch meint, zusammen mit dem Inklusivismus als Ergebnis „eines liberalen Universalismus und damit [!] eines westlichen kulturellen Hegemonialstrebens“394 zu sehen ist, sei dahingestellt. Die lehramtlichen 393 394

Vgl. Schmidt-Leukel 2005: 322-328. Von Stosch 2012: 61.

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Reserven sind angesichts der verbleibenden Fragen nicht einfach als Zeichen einer rückwärtsgewandten Theologie der Religionen zu deuten, der es an Konsequenz und Courage fehlt. Sie registrieren auf ihre Weise einen Paradigmenwechsel in der Theologie der Religionen, dessen Konsequenzen sehr weit reichen. Als massive Intervention droht Dominus Iesus aber auch die fällige Diskussion zu blockieren, indem Ergebnisse präjudiziert werden, so dass es nur noch auf den Weg ankommt, das vorgegebene Ziel zu erreichen. e) Ein vierter Weg? Die komparative Theologie oder: ‚Der liebe Gott steckt im Detail‘

Die logisch möglichen Varianten einer entfalteten umfas-

senden Theologie der Religionen sind damit genannt395, wenn auch nicht in allen internen Varianten vollständig dargestellt. Das Ergebnis bleibt unbefriedigend, denn keinem der drei Basismodelle scheint es zu gelingen, die Anerkennung des Fremden und Anderen und den Unbedingtheitsanspruch des Christentums ohne Einschränkung festzuhalten. Gibt es einen Ausweg aus dieser Aporie? Der für nicht wenige Zeitgenossen attraktive pluralistische Weg stellt, wie wir gesehen haben, die universale Geltung der Erlösungstat Christi zur Disposition; indessen kann der christliche Glaube, so Klaus von Stosch, „nicht darauf verzichten, die Heilsuniversalität Christi in dem Sinne zu behaupten, dass Jesus von Nazareth als normative, irreversible und unüberbietbare Gestaltwerdung der allen Menschen zu allen Zeiten geltenden bedingungslosen Selbstzusage geglaubt wird. Damit behauptet er beides: die einmalige Besonderheit Jesu Christi und die bedingungslose Liebe jedes Menschen“396. Aber eben dieser Glaube ist nur in bestimmten Epochen und eng begrenzten Lebenswelten evident, er bedarf der internen wie externen Rechtfertigung und Entfaltung; intern, insofern das Christentum kein monolithischer Block ist, sondern konfessionelle Differenzen mit unterschiedlichen theologischen ‚Sprachen‘ aufweist; extern, weil hier über-

395

396

„Jenseits einer atheistisch/naturalistischen Position“, so Schmidt-Leukel, „kann es sich hierbei aus christlicher Sicht nur um eine Variante des Exklusivismus, des Inklusivismus und des Pluralismus handeln.“ (Schmidt-Leukel 2005: 95) Von Stosch 2010: 93f; vgl. auch Knitter 2010: 211-213.

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haupt durch Vergleich und Übersetzung im Detail eine Verständigungsbasis mit anderen, uns zunehmend näher rückenden Religionen gefunden werden kann, welche jedoch die religionstheologischen ‚Großerzählungen‘ nicht bieten. Weder innerchristlich noch außerchristlich ist unumstritten, was genau mit dem christlichen Anspruch genau gemeint ist und auf welches Verständnis sich Annahme, Kritik oder Ablehnung gründen. Umgekehrt ist auch das Selbstverständnis anderer Religionen zu allen Zeiten, in allen Regionen und allen Gruppen keineswegs identisch. Um Fragen der Geltung, der Praxis und der sozialen Gestalt der Religionen beantworten zu können, sind übergreifende Modelle einer Theologie der Religionen wenig hilfreich: erstens sind sie miteinander nicht kompatibel, zweitens sind sie vor allem mit den Problemen ihrer Begründung beschäftigt und weniger mit den Religionen in ihren kulturellen, historischen, spirituellen und sozialen Konkretionen; drittens sind alle Argumente, die für oder gegen die drei Ansätze sprechen, ausgetauscht worden, ohne dass sich ein klares Ergebnis abzeichnet. Dieser Befund spricht für ein Moratorium der ‚religionstheologischen Großerzählungen‘, und in der Tat plädiert Klaus von Stosch für eine solche Pause, deren Dauer ebenso offen ist wie die Rückkehr zu einer umfassenden Theologie der Religionen397. Dies bedeutet aber gerade keinen theologischen Stillstand, die ‚Pause‘ wird vielmehr genutzt, um sich „dem konkreten Einzelfall und damit spezifischen Feldern der Auseinandersetzung“398 zu widmen; an anderer Stelle spricht von Stosch auch von der mikrologischen Ebene oder der mikrologischen Vorgehensweise399. Es werden keine pauschalen Werturteile über Religionen getroffen, sondern die unterschiedlichen religiösen Traditionen und Theologien, „in denen die kognitiven Elemente von Religionen bestimmt sind“400, müssen sowohl innerhalb einer Religion (denn bereits hier gibt es gravierende Unter-

397 398 399

400

Vgl. von Stosch 2012: 222. Von Stosch 2002, 307. Vgl. von Stosch: Komparative Theologie als Hauptaufgabe der Theologie der Zukunft, in: Bernhardt / von Stosch 2009: 15-33, hier: 20-22; von Stosch 2010: 95. Von Stosch 2012: 224.

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schiede) als auch mit Elementen anderer Religionen auf synchroner und diachroner Ebene verglichen werden, ein Vergleich, der sowohl einzelne Inhalte als auch Strukturen umfasst. So können sich in religiösen Phänomenen, die inhaltlich stark differieren, durchaus ähnliche Strukturen finden. „Nach einer solchen Hinwendung zum Einzelfall wird aber nicht mehr allgemein über Religion nachgedacht, sondern über konkrete religiöse Überzeugungen, und deshalb scheint es mir sinnvoller, die dann erfolgenden theologischen Überlegungen nicht der Theologie der Religionen zuzuordnen, sondern der Komparativen Theologie.“401 Natürlich wird man nicht behaupten können, dass die Komparative Theologie voraussetzungslos arbeite; die theologischen und religionsphilosophischen Auffassungen der einzelnen TheologInnen fließen in die Forschungsarbeit ein und bedürfen ihrerseits der Kritik402. Eben dies bildet in aller Kürze das Programm einer Komparativen Theologie der Religionen, wie sie im angelsächsischen Raum bereits u.a. von Francis Clooney, James Fredericks und Robert Neville entwickelt wurde403. Sie alle beanspruchen nicht, eine vierte religionstheologische Großerzählung zu entwickeln, sondern ein methodisches Programm oder eine theologische Praxis, auf deren Basis ein interreligiöser Dialog gehaltvoll getrieben und von Sachkenntnis getragen sein kann. Gegenüber den unterschiedlichen religiösen Sprachen soll keine ‚Metasprache‘ entwickelt, sondern die einzelnen religiösen ‚Sprachspiele‘ selbst (diese verstanden als kontextbezogene Gesamtheit „der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist“404) im Prozess des Dialogs verglichen und – wenn möglich – zueinander vermittelt werden. „Voraussetzung dafür ist natürlich eine detaillierte Kenntnis nicht nur der eigenen, sondern auch der theologischen Position des bzw. der Anderen.“405 Dabei ist zu beachten, dass die unterschiedlichen Religionen ihrerseits hochgradig differenzierte Gebilde sind, so dass globale 401

402

403 404 405

Von Stosch 2012: 219. Von Stosch erinnert in diesem Zusammenhang an Wittgensteins Rede von der „Tiefengrammatik“ im Unterschied zur „Oberflächengrammatik“ (vgl. Wittgenstein 1995: 478f [Nr. 664]). Vgl. Robert Cummings Neville: Philosophische Grundlagen und Methoden der Komparativen Theologie, in: Bernhardt / von Stosch 2009: 35-54. Hier: 48-54; von Stosch 2012: 221f. Vgl. hierzu auch die Darstellung bei Knitter 2010: 205-215. Wittgenstein 1995: 241. Von Stosch in Bernhardt / von Stosch 2009: 15-33, hier: 23.

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Theorien über das Judentum, den Islam, das Christentum, den Hinduismus oder den Buddhismus wenig zur Verständigung beitragen. Sehr schön belegt dies von Stosch am Beispiel von Judentum und Islam im Unterschied zum Christentum: Während im Christentum die Einheit der Glaubenden, d.h. der innere Zusammenhang der Glaubenslehre und des Bekenntnisses konstitutiv ist, entsteht im Judentum die Einheit „nicht durch ein gemeinsames Bekenntnis, sondern durch das gemeinsame Befolgen der Tora“406. Im Islam stehen die ethische und ästhetische Rekonstruktion des Koran im Zentrum, wobei gerade hier ein Vergleich mit dem Judentum nahe liegt, Parallelen und Differenzen aufgezeigt werden können. Zu beachten sind auch die unterschiedlichen Richtungen innerhalb der beiden Religionen, die je eigene Ausprägungen des Offenbarungsverständnisses kennen407. Für das Verhältnis von Christentum und Islam mildert gerade eine mikrologische Untersuchung der (gelebten) Traditionen einen scharfen Gegensatz beider Religionen ohne die Differenzen und die je eigenen Ansprüche einzuebnen. „Denn auch wenn man daran festhält, dass Gott sich in Jesus von Nazareth in unüberbietbarer, irreversibler, definitiver und normativer Weise den Menschen zugesagt hat, schließt das nicht aus, dass sich derselbe Gott an anderer Stelle in seiner Schönheit zeigt und durch seine Schönheit um die Liebe und Hingabe des Menschen wirbt.“408 Es kann also in einer anderen Religion – hier im Islam – ein Aspekt der Offenbarung bewusst und im Fortgang der Tradition entfaltet werden, die im Christentum nicht explizit wurde, ohne dass dieser Befund dem christlichen Anspruch und Selbstverständnis widerspricht. Auf den ersten Blick scheinen sich hier Einsichten der Komparativen Theologie mit dem – allerdings inklusivistischen – Modell eines Jacques Dupuis zu berühren. Unübersehbar ist aber auch, dass von Stosch sich, anders als Dupuis, eines übergreifenden Erklärungsansatzes (‚Modell‘) enthält zugunsten eines möglichst 406

407 408

Von Stosch 2010: 107. – Ein anderes Thema, an dem die Fruchtbarkeit und kritische Kraft der komparativen Methode sich erweisen kann, ist die Ausgestaltung Abrahams in der hebräischen Bibel, im Judentum, im Christentum und im Islam, die oft apologetischen Interessen folgt und nicht zu harmonisieren ist vgl. etwa Levenson 2012, dazu Buchholz 2014. Vgl. von Stosch 2010: 109-119. Ebd.: 119f.

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differenzierten Vergleichs der verschiedenen Theologien, Traditionen und Praktiken. Und hier liegt ohne Zweifel eine Stärke der Komparativen Theologie. Während für ein übergreifendes Modell oft das bloße Faktum des Pluralismus genügt, um die Denkbewegung zur Beantwortung der Frage nach einer spezifisch theologischen Bewertung eben dieses Pluralismus in Gang zu setzen, mahnt die Komparative Theologie dazu, sich den religiösen Phänomen selbst zuzuwenden, sie in ihrer inneren synchronen wie diachronen Differenzierung wahrzunehmen und auf ihre sozialen Träger zu beziehen. Nicht ‚der Mensch‘, ‚die Religion‘, ‚die Transzendenz‘ oder ‚das Heil‘ in ihrer summarischen Fassung, sondern die unterschiedlichen Ausprägungen menschlicher Transzendenz, die von der der ‚immanenten‘ Verfassung keineswegs zu trennen sind, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Komparative Theologie erfordert nicht nur eine gründliche Kenntnis der unterschiedlichen Religionen und ihrer spezifischen Ausprägungen, sondern auch eine gemeinsame Forschungsarbeit mit jenen, die diesen verschiedenen Traditionen angehören. Die nichtchristlichen Religionen hören auf, exotische Gegenstände theologischer und religionswissenschaftlicher Forschung zu sein; Menschen unterschiedlicher Religionen werden von Objekten zu kooperierenden Subjekten einer Forschungsarbeit, die zugleich ein wechselseitiger Lernprozess ist. Während gerade in der systematischen Theologie die Menschen als lebendige, vergesellschaftete und in bestimmten religiösen wie kulturellen Kontexten stehende Wesen allenfalls in Fußnoten vorkommen, geraten sie hier in den Fokus des Interesses409. Damit deutet sich allerdings auch ein Problem an, denn es muss sich zeigen, ob dieses ambitionierte Konzept einer mikrologisch verfahrenden und Kompatibilitäten untersuchenden komparativen Theologie erstens eine uneingeschränkt überzeugende Alternative zu den bisherigen Theologien der Religion darstellt und zweitens auf Dauer einer zumindest impliziten Entscheidung zugunsten ei409

Für das Judentum hatte André Neher dies sehr schön auf den Punkt gebracht: „Es gibt kein Judentum ohne Juden.“ (Neher 1995: 10) Und diese Juden sind weder isolierte Individuen, noch auf eine abstrakte Ich-DuBeziehung reduzierbaren Existenzen, sondern sie stehen in einer Traditionen und in sozialen Verbindungen, die ihnen nicht etwa äußerlich sind, sondern als konstitutiv angesehen werden müssen.

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nes der drei religionstheologischen Grundmodelle entgehen kann. Mit ihrer Forderung, nicht von oben weg im Sinne einer vorgefassten Theorie sich den religiösen Phänomenen zu widmen, greift sie einen Gedanken auf, mit dem bereits Hegels Phänomenologie des Geistes einsetzte, dass nämlich die Wissenschaft ganz „bey der Sache ist und sich ihr hingibt“410. Sie soll sich „an der Sache selbst“411 abarbeiten, ihrer Bewegung folgen, jenseits der vorgefassten Meinungen und Urteile. Unübersehbar ist aber auch, dass die Komparative Theologie als religionsphänomenologische und theologische Feldforschung412 weitgehend auf das spekulative Moment verzichten möchte, um sich ganz auf das ‚Material‘ und auf die unterschiedlichen Gesprächspartner zu konzentrieren, ja der Verzicht auf religionsphilosophische Reflexionen wird zum Kriterium der Objektivität, wie umgekehrt jede an die spekulative Tradition erinnernde Überschreitung des in sich differenzierten empirischen Materials in den Verdacht des Vorurteils oder vielleicht gar im Sinne Wittgensteins einer „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel der Sprache“413 gerät, insofern, auf unseren Zusammenhang bezogen, theologische Sprache unscharf, d.h. abgelöst von ihrer spezifischen ‚Grammatik‘ oder den Regeln ihres Gebrauchs innerhalb eines spezifischen kulturell-religiösen Sprachspiels gebraucht wird. Auch wenn die Wahrheitsfrage nicht sistiert wird, so bleibt sie doch stets nur bezogen auf streng eingegrenzte einzelne Phänomene und enthält sich einer umfassenderen Wertung. „Die Philosophie“ schreibt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen, „darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben. Sie kann ihn auch nicht begründen. Sie läßt alles, wie es ist.“414 Das schließt, bezogen auf die ‚Grammatik‘ der Religionen, jede Form einer ‚freundlichen‘ oder ‚feindlichen‘ Übernahme ebenso aus wie alles Besserwissen unter globaler Perspektive. Es kommt darauf an, die ein410 411 412 413

414

Hegel 1980: 11. Ebd.: 53. Zum Begriff der Feldforschung vgl. Burke 2014: 40-52. Wittgenstein 1995: 299 (Nr. 109). Zur Spätphilosophie Wittgensteins vgl. Kenny 2007: 137-143; zu ihrer möglichen theologischen Adaptation vgl. von Stosch 2001: 96-112, ders. 2012: 175-193. Wittgenstein 1995: 302 (Nr. 124).

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zelnen Bedeutungen in ihrem spezifischen Gebrauch zu erschließen und zu vergleichen, denn nur auf dieser Klärung kann ein interreligiöser Dialog aufbauen. Die Anerkennung der anderen Religion wird nicht abgeleitet aus einem ‚Wesen‘ dieser oder jener Religion, ebenso wenig aus einer a priori feststehenden Theologie der Religionen, sondern sie liegt dem gesamten Verfahren zugrunde415. Allerdings fragt es sich, ob die religiösen Phänomene sowohl religionswissenschaftlich als auch theologisch auf der Basis einer ausschließlich mikrologischen Methode angemessen zur Darstellung gelangen. Um die Schlüsselmetapher aus Adornos Antrittsvorlesung aufzugreifen416: Wie in den bisherigen Formen einer Theologie der Religionen der Schlüssel zu groß war, um die Phänomene aufzuschließen, so könnte er sich in der Komparativen Theologie als zu klein erweisen. Das je Einzelne ist überhaupt erst verstehbar in dem Kontext, in dem es steht, sein Spezifisches entfaltet und in der Auseinandersetzung mit seinem Umfeld zugleich verändert. Denn das je Einzelne ist nicht in einem statischen Sinne, sondern es bewegt sich synchron wie diachron. Wirklichkeit – soziale, kulturelle, politische und religiöse – ist verstehbar nur als Text, in dem das Einzelne bedeutet – ein Gedanke, der dem späten Wittgenstein keineswegs fern lag. Damit ist aber nicht nur der engere Kontext gemeint, sondern auch der weitere Zusammenhang, und zwar selbst dann, wenn die ‚Webmuster‘ des Textes wechseln. Deutungen und „Hintergrundannahmen“, die jeder „zum großen Teil mit den Menschen seiner Sprachgemeinschaft teilt“417, haben ihrerseits eine Genese, die in die kulturellen ‚Sprachspiele‘ selbst konstitutiv eingeht, von der aber in der Wittgensteinschen Philosophie abstrahiert wird, da hier die Beschreibung im Zentrum des Interesses steht. Religionen und Zivilisationen ‚haben‘ nicht nur eine Geschichte als ein ihnen äußeres ‚Kleid‘, sondern ihre Geschichte geht konstitutiv in ihr Webmuster ein; im kleinsten Detail ist ihre Geschichte monadologisch aufgespeichert. Die ‚Grammatiken‘ der Texte (und hierzu gehören auch 415

416 417

Die Fruchtbarkeit dieser Zugangsweise muss sich in Studien zu unterschiedlichen Problemfeldern bewähren, so etwa in der Reihe Beiträge zur Komparativen Theologie, die von Stosch herausgibt. Vgl. Adorno, Die Aktualität der Philosophie = Adorno GS 1: 325-344, hier: 340f. Von Stosch 2012: 178.

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die Religionen) als deutende ‚Lektüre‘ des Wirklichen verändern sich im Zusammenspiel mit anderen ‚Texten‘. Texte bilden ‚Wirklichkeit‘ nicht einfach ab, sondern machen sie lesbar auf Bedeutung hin; Wirklichkeit wird erst im und durch den Text bedeutsam. Es ist darum auch kein Sakrileg, nach der Bedeutung einzelner Elemente in einem größeren Zusammenhang zu fragen oder, auf unser Thema bezogen: zu erörtern, was das Faktum religiöser Pluralität für eine christliche Theologie bedeutet, welchen Sinn es theologisch hat, dass auch post Christum natum Religionen (wie der Islam) entstanden sind, sich fortentwickelten, eigene Symbolwelten entwickelten und Geltungsansprüche erhoben. Eine solche Frage (deren Beantwortung eine Theologie der Religionen impliziert) ist nur dann sinnlos, wenn die einzelnen religiösen Phänomene und ‚Grammatiken‘ in einem absoluten Sinne für sich stehen. Entsprechend fordern Autoren unterschiedlicher Richtungen wie Claude Ozankom418 oder Perry Schmidt-Leukel, „dass die komparative Arbeit für die religionstheologischen Problemstellungen offen, ja mehr noch, sensibel bleibt“, denn wozu, „sollen diese durchaus fruchtbaren Hinweise dienen, wenn nicht letztendlich dazu, ihren Teil zu einer religionstheologischen Entscheidung beizutragen, bei der es eben unausweichlich darum geht, ob solche Kompatibilitäten nun im Sinne des Inklusivismus oder des Pluralismus zu deuten sind oder ob die eventuelle Inkompatibilität nicht doch eher den Exklusivismus stützt“419. Wenn Klaus von Stosch für das Christentum reklamiert, Gott habe sich in Jesus Christus unüberbietbar, universal und irreversibel geoffenbart, so hat dieser theologische Satz in seiner apodiktischen Form und Universalität Implikationen, die einem übergreifenden religionstheologischen Modell – also einer Theologie der Religionen – sehr nahe kommen. Anderenfalls handelte es sich um eine vergleichende Religionswissenschaft, die ebenfalls für das Christentum den Anspruch einer Unüberbietbarkeit der göttlichen Selbstmitteilung in Christus deskriptiv konstatieren kann, aber er steht jenseits aller Wertung und geprüften Geltung 418 419

Vgl. Ozankom 2007: : 376-378; ders. 2012: 225-228. Schmidt Leukel 2005: 93f.

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neben anderen Ansprüchen. In der Tat war während der Anfangsphase im 19. Jahrhundert die ‚Komparative Theologie‘ nicht so eindeutig der konfessionellen Theologie oder der konfessionell unabhängig operierenden vergleichenden Religionswissenschaft zuzuordnen; entsprechend unscharf war noch die Terminologie. So erhielt 1868 der Orientalist und Religionswissenschaftler Max Müller (1823-1900) in Oxford einen Lehrstuhl für Comparative Theology420. Heute würde man die Disziplin, die Müller in Oxford vertrat, eher Vergleichende Religionswissenschaft nennen. Eines seiner bekanntesten Werke, Introduction to the Science of Religion (1873; new edition 1882) nennt zwar die Komparative Theologie im Titel nicht, erkennt in ihr aber eine zukunftsweisende Teildisziplin, die einen zentralen Platz in der entstehenden Religionswissenschaft beanspruchen darf, d.h. „the science of religion is divided into two parts; the former, which has to deal with the historical forms of religion, is called Comparative Theology, the latter, which has to explain the conditions under which religion, whether in its highest or its lowest form, is possible, is called Theoretic Theology.”421 Die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Religion verweist auf die transzendentale Argumentationsfigur, und in der Tat erinnert Müller explizit an die Tradition von Leibniz bis Kant. In der Konstitution menschlicher Vernunft selbst liegt eine Verwiesenheit auf das Unendliche, die in einer eigenen Reflexion – eben der Theoretic Theology – zu thematisieren ist. Müllers Betonung der Objektivität und Unparteilichkeit religionswissenschaftlicher Arbeit422 läuft also – worauf Hugh Nicholson mit Recht aufmerksam machte423 – nicht darauf hinaus, philo420 421 422 423

Vgl. Burke 2012: 74 / Burke 2014: 88. Müller 1882: 16f; deutsche Übersetzung: Müller 1876: 19. Vgl. Müller 1882: 7f; deutsche Übersetzung: Müller 1976: 8f. Vgl. Nicholson 2011: 22f.

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sophische und theologische Interessen gänzlich zu eliminieren. Dabei bleibt er allerdings nicht nur einer konfessionell gebundenen Theologie gegenüber skeptisch, sondern räumt auch die Möglichkeit ein, dass die Fragen der Theoretic Theology eines Tages als überholt angesehen werden könnten und die Comparative Theology, der er als neuer Disziplin sich in seinem Werk hauptsächlich widmen möchte, ihre ältere Kollegin ablöst424. Die Theoretic Theology ist in Müllers Verständnis und Terminologie noch nicht exklusiv auf die Religionsphilosophie bezogen, sondern schließt auch Reflexionen ein, die heute etwa als Erschließung und Begründung des Offenbarungsbegriffs im Kontext der Fundamentaltheologie vertraut sind. Indessen zeichnet sich bereits im 19. Jahrhundert der Konflikt ab zwischen einer gewissen positivistischen Engführung religionswissenschaftlicher Forschung einerseits und einer eher spekulativen religionsphilosophischen Frage nach der Möglichkeitsbedingung von Religion und religiösem Bewusstsein andererseits. Gleichwohl verschwindet das spekulative Moment aus Müllers Verständnis von Religionswissenschaft noch nicht gänzlich. Im heutigen Selbstverständnis einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion außerhalb konfessioneller Theologien wird die Theoretic Theology Müllers der Religionsphilosophie zugewiesen, während die Vergleichende Religionswissenschaft – Müllers Comparative Theology – sich eher am Ideal historisch und empirisch arbeitender Wissenschaften orientiert. Es scheint, als hätte das spannungsreiche Verhältnis von Comparative und Theoretic Theology in der frühen science of religion eine Entsprechung auf der Ebene der aktuellen konfessionellen Theologie, und zwar in der Kontroverse zwischen von Stosch und den Vertretern einer Theologie der Religionen. Die Frage nach Grund und Geltung religiöser Traditionen lässt sich nicht einfach mit dem Hinweis auf die empirisch-mikrologische Forschung abweisen. Sobald ein bestimmtes Bekenntnis Fragen nach Geltung, Stellenwert und Begründung provoziert, sind die Grenzen einer rein mikrologisch-komparativ verfahrenden Theo-

424

Vgl. Müller 1882: 17; deutsche Übersetzung: Müller 1876: 20.

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logie, so fruchtbar sie sich als Methode auch erweist, überschritten; mit andern Worten: Die Bekenntnisse selbst haben systematisch-spekulative Implikationen, die von Stosch noch in der Rekonstruktionen eines modernen Offenbarungsverständnisses entfaltete425. Dem steht in der Entfaltung des Programms Komparativer Theologie der – scheinbar selbstbewusst und irritationsfest vorgetragene – Abschied von einer spekulativ begründeten Theologie der Religionen gegenüber, der freilich nicht ganz so konsequent durchgehalten wird, wie er verbal daherkommt. Als konfessionelle Theologie bleibt auch für die Komparative Theologie der Universalitätsanspruch christlicher Soteriologie und Eschatologie normativ und die entsprechenden Konsequenzen daraus werden durch eine religionstheologische ἐποχή nicht benannt, sondern eher umgangen. SchmidtLeukel verweist darauf, dass von Stosch in früheren Publikationen die Errungenschaften einer Theologie der Religionen nicht pauschal bestritten hatte426. Und selbst in seiner ausführlichen Entfaltung des Programms sowie der epistemologischen Voraussetzungen und der Methoden Komparativer Theologie geht von Stosch in seiner Diskussion der Christologie sowie jüdischer und christlicher Soteriologie in eine Argumentation über, die starke Affinitäten zu einem ‚offenen Inklusivismus‘ aufweist427. Dass „die Parusie Christi, dessen eschatologisches Antlitz weder die Kirche noch Israel kennen, … das entscheidende noch ausstehende Ereignis für Juden und Christen“ darstelle, kann nur aus christlicher Perspektive, und auch hier nur in einem inklusivistischen Referenz425 426

427

Vgl. von Stosch 2010: 46-73. Vgl. etwa von Stosch 2002: 308 (Anm. 40), wo er mahnt, man solle „damit vorsichtig sein, die Errungenschaften der traditionellen Modellbildung der Theologie der Religionen gänzlich zugunsten der Mikrologie komparativer Theologie aufzugeben. So kann man sicherlich im Gedächtnis behalten, daß es nicht a priori falsch ist, wenn wir uns als Christinnen und Christen von den anderen das Bild machen, daß sie durch eine anonyme Beziehung zu Jesus Christus ihr Heil wirken. Wichtig ist es dabei nur zu sehen, daß sich uns die Bedeutung dieser Kennzeichnung wegen ihres grammatischen Charakters erst durch Korrelationsversuche erschließt, die auch andere Bilder als akzeptabel erscheinen lassen können. Insofern können wir für den Fremden zwar mitunter nur durch die Kennzeichnung aus dem Eigenen heraus eine Hoffnungsperspektive entwickeln, und es ist m.E. legitim, wenn eine Glaubensgemeinschaft als ganze eine solche Hoffnungsperspektive formuliert.“ Vgl. zu dieser Stelle Schmidt-Leukel 2005: 94f. Vgl. von Stosch 2012: 271-282. So ist auch die Forderung, „die gesamte christliche Dogmatik so zu formulieren, ‚dass sie die bleibende Erwählung Israels einschließt‘“ und auch nicht auf eine „qualitative Überbietung (oder gar Aufhebung) der Offenbarung an das Judentum“ hinausläuft (ebd.: 281f), kein Spezifikum Komparativer Theologie, sondern mit einem offenen Inklusivismus, der die Möglichkeit von Offenbarung und Heil auch in anderen Religionen prinzipiell anerkennt, durchaus vereinbar. Für das Judentum kann etwa auf die grundlegenden Studien Josef Wohlmuths verwiesen werden.

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system, überzeugen428. Von Stosch schwächt in einer Fußnote seine Position ab, wenn er schreibt, „dass man christlicherseits gar nicht so sehr auf der ausdrücklichen Identifikation dieses Messias mit Christus drängen sollte“ und verweist mit Recht darauf, dass nicht alle jüdische Hoffnungen „in Christus abgegolten“ sind429. Eine solche Auffassung kommt einer – zumindest auf das Judentum bezogenen – pluralistischen Position mit komparativen Korrekturen schon recht nahe. Was Francis Clooney betrifft, so konnte Schmidt-Leukel überzeugend darlegen, dass, bei aller Bedeutung detaillierter Analysen, doch eine Affinität zu inklusivistischen Positionen besteht, „da sie sowohl die Treue zu den universalen Ansprüchen der eigenen religiösen Tradition als auch die Anerkennung von Wahrheit jenseits der konfessionellen Grenzen Rechnung trage“430. Bezeichnet es aber einen Fortschritt über das religionstheologische Dilemma, wenn die Theologie der Religionen gleichsam ‚unter dem Ladentisch‘ gehandelt wird? Vielleicht ist die Komparative Theologie, paradox ausgedrückt, eine produktive Resignation: Angesichts dessen, dass eine mit dem Lehramt konforme Theologie der Religionen als inklusivistische stets den Beigeschmack einer ‚freundlichen Übernahme‘ hat, vertagt man die Frage, was die Religionen theologisch (für-) einander sind ad calendas graecas und erfreut sich des ungeheuren Reichtums der religiösen Traditionen (einschließlich ihrer Heterogenität), der in gemeinsamer Forschungsarbeit und ohne klandestine Kolonialisierung des Anderen sich erschließt. Von der Realisierung des Programms Komparativer Theologie darf man noch viel erwarten, aber es gibt aber eine ausgesparte Mitte, etwas, worüber ‚man‘ nicht spricht, weil es peinlich wäre und das gerade so in besonderer Weise präsent ist. Würde es explizit, liefe dies in der Konsequenz genau darauf hinaus, wogegen von Stosch sich so nachdrücklich und gegenüber einigen Autoren zuweilen in gereiztem Ton wendet: die Übernahme einer sorgfältig ausgearbeiteten und praktizierten komparativen Methode als eine Korrektur und 428 429 430

Von Stosch 2012: 278. Vgl. ebd.: Anm. 64 Schmidt-Leukel 2005: 93 unter Verweis auf Francis Clooney: Theology After Vedanta. An Experiment in Comparative Theology, Albany 1993, 194f.

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ständige Kontrolle bestehender religionstheologischer Basismodelle, die weiterhin ihre Gültigkeit behalten, da Zweifel bleiben, ob der Anspruch der Komparativen Theologie, eine theologische Alternative zu den Großerzählungen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus zu bilden, argumentativ eingelöst wurde, ja sich überhaupt einlösen lässt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Komparative Theologie keineswegs das einzige Modell ist, das sich jenseits von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus ansiedelt, Hans-Joachim Höhns Transversale Theologie der Religionen zeigt. Wie für die inklusivistischen und pluralistischen Konzeptionen ist auch für Höhn das Heilshandeln Gottes keineswegs beschränkt auf das explizite Christentum: „Wo sich die Anerkennung des anderen Menschen als Person frei macht von Hintergedanken und Einschränkungen, wird gleichsam anonym und inkognito das Menschen- und Gottesverhältnis Jesu vergegenwärtigt.“431 Höhn möchte nun keineswegs Rahners These vom ‚anonymen Christentum’ repristinieren, um damit die detaillierte Auseinandersetzung mit dem religiösen Pluralismus zu unterlaufen. Wenn aber mit dem II. Vatikanischen Konzil die Universalität von Gottes Heilswillen festzuhalten ist und sich auch in nichtchristlichen Religionen manifestiert, und so kann ein Christentum, das sich selbst ernst nimmt, schwerlich exklusivistische Positionen vertreten432. Es liefe auf die Negation des universalen Heilswillens Gottes hinaus, wenn der Zugang zum Heil davon abhinge, in welchen kulturellen und religiösen Kontext jemand zufällig hineingeboren wird433. Bedeutet dies aber umgekehrt, dass angesichts der religiösen Vielfalt alle Religionen uneingeschränkt im Sinn einer pluralistischen Theologie der Religionen gleichwertige Heilswege darstellen und das Christentum nur ein beliebiger unter vielen ist? Dies kollidiert prima facie hart mit dem Unüberbietbarkeitsanspruch des Christentums, während umgekehrt die inklusivistischen Modelle diesen Anspruch wahren und zugleich gegenüber den anderen

431 432 433

Höhn 2011: 282. Ebd.: 310-313, 340, 343f Vgl. ebd.: 294f.

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Religionen eine größere Offenheit zeigen. Deren Grenzen werden allerdings sichtbar, wo konstatiert wird, dass die „außerchristlichen Religionen ‚an sich’ und grundsätzlich abgeschafft und überholt sind durch die Ankunft Christi“, wenn auch bis zum Augenblick nicht klar sein mag, wann genau diese Religionen „aufhören, ein Heilsweg für bestimmte Menschen zu sein“. Sie können diese Funktion nur ausüben als implizites Christentum, während sie das explizite im besten Falle um einige Aspekte bereichern434. Wenn die bisherigen drei Modelle einer Theologie der Religionen in ihrer ‚programmatischen Absolutsetzung‘435 nicht überzeugen können, was bildet dann die Alternative? „Partikular, einmalig und unwiederholbar“, so Höhn, „ist die Offenbarung seiner (des Christentums, R.B.) Botschaft in der Gegebenheitsweise unbedingter (inter-)personaler Zuwendung mitsamt ihrer materialen Unüberbietbarkeit. Universal ist der in dieser Zuwendung offenbar werdende unbedingte Wille Gottes zur Gemeinschaft mit allen Menschen, d.h. auch mit jenen, die niemals in Kontakt mit dem Christentum kamen oder kommen werden. Ihnen wird daher das Moment seiner Unbedingtheit als in einer anderen, mit der christlichen unverrechenbaren (d.h. ‚a-personalen’) Gegebenheitsweise erschlossen gedacht werden müssen“436

Unüberbietbarkeit und Einzigartigkeit bedeutet weder Exklusivität noch die christliche Vereinnahmung anderer Religionen. Ihnen wird vielmehr eine heilsgeschichtliche raison d’être zuerkannt, die nicht schon von der kultischen und theologischen Symbolisierung im expliziten Christentum abgeleitet ist. Die personale Form, in welcher die Unbedingtheit des göttlichen Heilswillens im Christentum als geoffenbart bekannt wird, ist ihrem spezifischen Gehalt nach zwar weder wiederholbar noch durch eine weitere zu überbieten, doch schließt dies aber die Möglichkeit ein, dass in anderen Religionen diese Unbedingtheit in einer Form festgehalten ist, die weder eine heilsgeschichtliche Notlösung und materiale Depravation der ‚wahren‘ Offenbarung darstellt und durch das Christen-

434 435 436

Zitate: Rahner ST VIII, 355-373, hier: 371. Höhn 2011: 343. Ebd.: 346f.

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tum überholt ist, noch lediglich eine „materiale Ergänzung“437 des christlichen Offenbarungsverständnisses bezeichnet. Wohl kann „von den nichtchristlichen Religionen nicht etwas gelernt werden, was nicht prinzipiell auch in Jesus Christus gesagt ist“438, doch schließt das nicht notwendig ein, dass der ganze Reichtum dessen, was die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen bedeutet, im empirischen Christentum mit seinen kulturellen Grenzen auch adäquat, unverkürzt, unmissverständlich gelebt und gelehrt wird. Mehr noch: Der einmal manifestierte Heilswille Gottes übersteigt seine jeweils positiv gegebenen Objektivationen oder geschichtlichen Verwirklichungen (sonst wäre er nicht göttlich, sondern bloß endlich), so dass keine der bestehenden Religionen für sich beanspruchen kann, ihn exklusiv oder inklusiv für sich als festen, statischen Besitz zu beanspruchen. Die Offenbarung Gottes steht quer zu allen vorschnellen und petrifizierten Heilsgewissheiten und verflüssigt sie, ihre Dynamik ist also nicht gleichförmig universal. sondern transversal (von lat.: quer, schräg). Wenn das Unbedingte in den bedingten Formen zur Erscheinung kommt, so ist keine der Erscheinungen schon aufgrund ihrer Endlichkeit der vollkommene Ausdruck des Unbedingten. Das bedeutet aber auch, dass die anderen Religionen nicht einfach das verzerrte Spiegelbild des propriuim christianum sind439, sondern in ihnen ein eigenständiges, aber auch interreligiös vermittelbares Moment des Heilshandelns Gottes zum Ausdruck kommt, ohne dass damit das Christentum zu einer beliebigen Religion unter anderen würde. Dieses Modell einer transversalen Theologie der Religionen bringt das Wahrheitsmoment, das in den drei religionstheologischen Grundtypen erstarrt ist, wieder in Fluss, verhindert falsche Verabsolutierungen und erschließt neue Dimensionen des göttlichen Handelns. Die transversale Theologie der Religionen besitzt eine größere ‚Freiheit zum Objekt‘ und bleibt skeptisch gegenüber einer religionstheologischen Metatheo-

437 438 439

Ebd.: 344. Von Stosch 2012: 288, der sich hier auch auf Höhn 2011: 329 beruft. Das bedeutet umgekehrt natürlich auch nicht, dass sie eine von Depravationen freie Objektivation des göttlichen Heilswillens sind. In den interreligiösen Diskussionen und Debatten sind auch solche Depravationen, von denen das Christentum sich nicht ausnehmen kann, zu thematisieren.

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rie, welche die Differenzen und Gemeinsamkeiten der Religionen eher neutralisiert als präzise herausarbeitet und diskutiert. Tatsächlich lässt sich Höhns Model nicht eindeutig einer inklusivistischen oder pluralistischen Position zuordnen, es unterläuft die vielfach konstatierte Dichotomie beider Modelle, ohne auf eine spezifisch theologische Argumentation zu verzichten. Insofern aber die Unüberbietbarkeit der in Christus eröffneten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen festgehalten wird, bleibt denn doch eine Affinität zum Inklusivismus, den man insofern als ‚offen‘ bezeichnen muss, als dass die nichtchristlichen Religionen keineswegs bloß depravierte Formen des christlichen Heilsweges darstellen. f) Kein Privatissimum: Aspekte einer Politischen Theologie der Religionen Höhns Modell, das mit der Methodologie einer Komparativen Theologie durchaus vereinbar ist, wird man vielleicht weniger als ein fertiges Ganzes betrachten können, sondern eher als work in progress oder als Experiment. Anstelle eines religionstheologischen Moratoriums bietet es wechselnde Versuchsanordnungen und arbeitet sich bei aller Nähe zum Inklusivismus am Faktum des religiösen Pluralismus, der uneinholbaren Transzendenz Gottes und des eschatologischen Vorbehalts ab. Insofern ist es auch nicht unproblematisch, von einer Selbstoffenbarung Gottes zu sprechen, als wäre im Endlichen, das unendliche Wesen Gottes vollständig gegenwärtig, erschlossen und ‚begriffen‘. Gott offenbart sich, wie Karl Rahner immer wieder mit Recht betonte als das uneinholbare Geheimnis, und damit überwiegt doch das negative Moment innerhalb dieser Selbstoffenbarung, die nur dann kein neuer theologischer Begriffsfetisch ist, wenn sie sich innerhalb der gott-menschlichen respektive der zwischenmenschlichen Relationen konkretisiert. Gott verheißt und gewährt nicht seine Emanation ins Endliche oder die Heimholung des Endlichen in sein Pleroma, sondern die größtmögliche Nähe des absolut Verschiedenen, und dies ist auch in der theologischen Bewertung religiöser Pluralität von Bedeutung. Wenn überhaupt eine Theologie der Religionen geboten werden soll (was sich für den Exklusivismus im Grunde erübrigt), so verläuft die Debatte auch weiterhin zwischen dem inText: © René Buchholz, September 2015 / Bilder: Wikipedia.org. Das Skript ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt!

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klusivistischen und pluralistischen Modell, wobei Höhn immerhin einer Lösung des Dilemmas näher kommt als jedes der beiden Modelle für sich genommen. Die transversale Theologie der Religionen verflüssigt fixe Identitäten, die suggerieren, wir lebten schon am Ende der Tage und überschauten die Totalität der gesamten Religionsgeschichte im Licht des vollendeten Gottesreiches. Eben weil damit zu rechnen ist, dass die Transzendenz Gottes und seines Reiches über jede erlangte historisch-kulturelle und doktrinäre Identität hinausweist, bleibt ein negatives Moment, das nicht religionstheologisch aufgehoben werden kann. Eben dies ist ein weiterer Grund dafür, dass Höhn aller ‚dogmatischen Vollmundigkeit‘440 gegenüber, die dem Dialog der Religionen wenig förderlich ist, skeptisch bleibt. Aber weder eine transversale Theologie der Religionen noch eine Komparative Theologie wird jenseits der gesellschaftlichen und politischen Vermittlungen betrieben oder kann von ihnen als Bedingungen der religiösen Phänomene abstrahieren. An den sich wandelnden Identitäten der Religionen hat der soziale und politische Kontext konstitutiven Anteil. Nimmt man eine Theorie einer Offenbarung ernst, der gemäß die Selbstmitteilung Gottes aufgrund der spezifischen Konstitution der Rezipienten erst durch religiös-kulturelle Objektivationen lesbar und lebbar wird, so dürfen Glaube, Religion. Politik und Kultur nicht als schlechthin separate Bereiche angesehen werden. Ferner ist mit Jürgen Manemann daran zu erinnern, dass „Versuche, die Ebene des Glaubens und der Gnade von der der Geschichte und der natürlichen Ordnung zu trennen“ zum Scheitern verurteilt sind441. Sie verurteilen den Glauben zu einer chimärischen Existenz in einem imaginären, von allen Zweideutigkeiten freien Raum und spiritualisieren die Religion entweder oder sie erklären im Sinne Barths als Ausdruck des widergöttlichen, sündigen Menschen. Aber in einer gesellschaftstheoretisch erweiterten und modifizierten Frage nach dem ‚Hörer des Wortes‘, der doch dieses

440 441

Vgl. Höhn 2008: 90. Jürgen Manemann: Kritik als zentrales Moment des Glaubens. Zur gesellschaftskritischen Dimension der Fundamentaltheologie, in Müller 1998: 217-241, hier: 217.

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‚Wort‘ als homo politicus et oeconomicus in einen menschlichen ‚Code‘ konkretisiert, dürfen die Subjekte der Religionen als geschichtlich-politische442 nicht ausgeblendet werden443. Und auch Religion ist mindestens faktisch, ja von den biblischen Traditionen her sogar bewusst und intendiert politisch. Der Begriff ‚politisch‘ bedeutet allerdings mit Blick auf moderne demokratische, säkulare und pluralistische Gesellschaften nicht, dass eine bestimmte Religion einer Gesellschaft als normativ oktroyiert oder integralistische Gesellschaftsmodelle wiederbelebt werden sollen. Theologie muss aber im Gedächtnis behalten, dass die Anfänge des biblischen Monotheismus von einer prophetischen Kritik der jeweiligen Gesellschaft untrennbar sind und dass diese enge Verbindung nicht etwa zu den ‚Eierschalen‘ der Entstehungszeit gehört, die man später abwerfen kann, sondern konstitutiv in den Glauben an den einen und einzigen Gott eingingen und sein ‚Webmuster‘ in der Folgezeit bestimmten. So sind Gesellschaftskritik und die Reflexion gesellschaftlicher Funktion von Religion wesentliche Bestandteile der Fundamentaltheologie444, insofern sie sich versteht - als theologisch-philosophische Begründung und Verteidigung der im Christentum erhobenen Geltungsansprüche im Interesse einer nachvollziehbaren immanenten Rationalität des Glaubens, - als Vermittlungsdisziplin zu anderen Wissenschaften, - als kritische Erhellung der religiösen, politischen und sozialen Kontexte des Christentums in den unterschiedlichen Regionen, - als theologische Grundlagenwissenschaft und - als detaillierte Ausführung interreligiöser Kommunikation.

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443

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Man wende nicht ein, dass das Subjekt der Religion Gott allein sei. Ein solcher Einwand setzt eine unmittelbare, im Grunde instruktionstheoretisch gedachte Offenbarung als Stiftung der Religion und der Religionsgemeinschaft voraus, die sich noch auf die kleinsten Details erstreckt. Insofern aber Religion theologisch eine Objektivation der Offenbarung ist (und nicht diese unmittelbar), kommt den religiösen Symbolisierungen in Text, Kult, Institution und Alltag als konkreter Ausformung der Selbstmitteilung Gottes und als schöpferische Antwort der Menschen zentrale Bedeutung zu. Die Vielfalt sowohl des Christentums als auch der nichtchristlichen Religionen zeigt, wie hoch dieser kreative Anteil veranschlagt werden muss. Für das Christentum hatte dies Johann Baptist Metz unter dem Begriff der ‚Neuen Politischen Theologie‘ angestoßen; vgl. Metz 1992: 45-90, ders. 2006: 151-157. Vgl. Manemann in Müller 1998: 217-241.

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Für unseren Zusammenhang sind vor allem die zuletzt genannten Aspekte von großer Bedeutung: Religionen existieren nicht jenseits einer bestimmten Gesellschaft, sondern erfüllen bewusst, unbewusst oder geradezu ‚bewusst-unbewusst einen gesellschaftliche Funktionen, über die sie nur selten uneingeschränkt entscheiden können. Diese Funktionen fließen in die normativen mündlichen, schriftlichen und kultischen Traditionen ein, reichen sogar bis in die jeweilige Spiritualität und bestimmen oft Reichweite wie Grenzen des inter-religiösen Dialogs. Sowenig Religionen in diesen Funktionen aufgehen, sowenig kann in religionswissenschaftlichen, -soziologischen und theologischen Reflexionen von ihnen abstrahiert werden. Umgekehrt erschließt sich das kritische Potenzial von Religionen erst einem genauen Blick auf die Gesellschaften, in denen sie sich bewegen und auf die sie sich beziehen. Eine politische Theologie der Religionen fügt zu den bestehenden drei Basismodellen weder ein weiteres hinzu, noch erklärt sie alle Theologie der Religionen im Sinne der Komparativen Theologie für überholt. Vielmehr muss jede Theologie der Religionen, jede komparative Untersuchung und die Klärung dessen, was etwa der Begriff der Gastfreundschaft im Kontext einer Theologie der Religionen angesichts wachsender ideologischer Essentialisierungen kultureller, religiöser und politischer ‚Identitäten‘ bedeutet445, zugleich eine kritische politisch-gesellschaftliche Reflexion sein, die auch noch die Rolle der Forschenden einbezieht. Zugleich wird sie die theologischen Geltungs- und Wahrheitsfragen nicht ausblenden, sondern mit gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Religionen existieren, in einen Zusammenhang bringen. Insofern ist die Erhellung des historischen und sozialen Kontextes keine bloße Zutat, sondern gehört wesentlich zu einer Theologie der Religionen. Sowohl für die Religion selbst als auch für ihre die theologische Reflexion ihrer Vielfalt (als Theologie der Religi-

445

Vgl. Ozankom 2012: 230-233. Wie dringlich die Einbeziehung politischer (Fehl-) Entwicklungen in die religionstheologischen Reflexionen ist, zeigt etwa ein Blick auf die starken Reserven gegenüber dem Islam und Muslimen in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften, wo von ‚Gastfreundschaft‘ nur sehr eingeschränkt gesprochen werden kann und die Integration in das ideologisch hoch aufgeladene ‚Abendland‘ zunehmend schwierig wird; siehe hierzu Nussbaum 2012: 1-58.

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onen) gilt allerdings die Differenz von Genese / Funktion und Geltung. Die Rolle, die einzelne Religionen oder religiöse Traditionen zu einer bestimmten Zeit spielten oder gegenwärtig spielen, ist kein Schlusswort in der Wahrheits- und Geltungsfrage. Das gilt auch für die Theologie der Religionen: Wenn etwa Klaus von Stosch, wie oben angeführt, meint, die inklusivistischen und pluralistischen Modelle seien das Ergebnis eines „liberalen Universalismus“, den er umstandslos mit einem ‚westlichen kulturellen Hegemonialstreben‘ identifiziert446, so ist damit noch nicht die Geltung dieser Modelle entschieden. Auch wenn die historischen Bedingungen, auf die sie antworten, in ihr Webmuster eingeschrieben sind, so ist die Universalität der Ansätze nicht per se schon Ausdruck eines Hegemonialstrebens, solange für Differenzen und Anerkennung des oder der Anderen Raum bleibt. Die Furcht um die eigene (christliche) Identität findet gewiss in den inklusivistischen Modellen stärker ihren Ausdruck als in den pluralistischen, so dass die Versuche, eine Relativierung der eigenen Geltungsansprüche abzuwehren hier kaum überraschen. Auch in diesen Fragen ist die Debatte zwischen Inklusivismus und Pluralismus trotz der lehramtlichen Vorgaben argumentativ noch nicht entschieden. Angesichts des keineswegs erhebenden Befundes, dass die vom Christentum verkündete, in Christus realisierte und antizipierte Erlösung, im Raum unserer geschichtlichen Erfahrung keinen evidenten Anhalt hat und der Überhang des ‚Noch-nicht‘ nach rund zweitausend Jahren gegenüber der einstigen Naherwartung geradezu erdrückend ist, gehört die dogmatisch-soteriologische Bescheidenheit auch im interreligiösen Diskurs zur intellektuellen Redlichkeit der Theologen. Für das aktuelle Verhältnis von Christentum und Islam schließlich ist zu beachten, dass beide Religionen ihre einstige Stellung als Mehrheitsglaube und ‚herrschende Religionen‘, die ihren jeweiligen kulturellen Raum beinahe unangefochten prägten, verloren haben und neu ‚zur Disposition stehen‘. Sie verlieren ihre frühere Dominanz in immer rascherem Tempo und müssen sich auf eine

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Von Stosch 2012: 61.

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egalitäre Koexistenz mit anderen Religionen einstellen. Darunter sind auch solche Religionen, die einst nur geduldet waren und deren Entfaltung Einschränkungen unterworfen war. Für die islamische Welt kommt die Kränkung hinzu, Gegenstand imperialer und realpolitischer Strategien seitens jener Mächte geworden zu sein, denen man einst selbstbewusst einen niedrigen kulturellen und oft auch religiösen Stand zuschrieb. Die Regeln und Prinzipien, nach denen das Zusammenleben der Religionen sich ausrichtet, sind nur zu einem Teil von ihnen selbst und aus ihren eigenen Ressourcen entwickelt worden. Sowohl in Europa als auch in Nordamerika spielen Traditionen der Aufklärung mit einer mehr (Frankreich) oder weniger stark ausgeprägten (Deutschland) Entflechtung von Religion und Politik sowie einer Säkularisierung im Sinne einer von religiösen Vorgaben unabhängige Entwicklung der gesellschaftlichen Subsysteme eine große Rolle. Das bedeutet keineswegs, dass etwa jenes von Martha Nussbaum entwickelte Prinzip von „equal respect for conscience“ mit seiner Basis in der gleichen Würde aller Menschen447 sich nicht zu den religiösen Traditionen vermitteln lasse; aber es wird schwierig sein, hier für Islam und Christentum eigene ‚Copyrights‘ zu reklamieren. Der interreligiöse Dialog spielt sich auch in diesem Kontext ab, und anstatt zu hoffen, gegenüber der säkularen Gesellschaft verlorenes Terrain zurück zu gewinnen, ist es sinnvoller, in ihr einen Selbststand zu gewinnen, der es ermöglicht, dass die eigene Stimme jenseits von Fundamentalismus, Assimilation und vorschneller Apologetik für ein vernunftgeleitetes, qualifiziertes Urteil steht und auch außerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften wahrgenommen wird. In diesem Kontext könnte sich Religion – gerade auch in der von Holbach bespöttelten pluralen Struktur – als das erweisen, was Johann Baptist Metz ihr attestierte: als „Unterbrechung“448 jener infamen Normalität, die sich von der Idee einer menschenwürdigen Welt weit entfernt hat. „Die tödliche Krankheit der Religion“, schreibt Metz, „ist nicht Naivität, sondern Banalität. Banal kann Religion werden, wenn sie in ihren Kommentaren 447 448

Vgl. Nussbaum 2012: 59-97. Metz 1992: 192; ders. 2006: 143-150.

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zum Leben nur das verdoppelt, was ohne sie – und nicht selten gegen sie - ohnehin zum modernen Konsens wurde.“449 Diese These, die ein kritisches Potenzial der Religionen voraussetzt, ist durchaus geeignet, interreligiös diskutiert und geprüft zu werden. Ob jenes kritische Potential, auf das Metz setzt, aber Wirklichkeit wird, liegt nicht allein bei der Theologie, sondern bei den sozialen Trägern der Religionen, die, so scheint es, ihren Platz in der Moderne jenseits bloßer Assimilation und fundamentalistischem Nihilismus noch finden müssen.

449

Metz 2006: 146.

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