Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

Kapitel 7 Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier Jeff Roberts ¨ (Ubersetzt von Peter Hauck) Situation 5. Es ist die letzte Sitzung vor der Weihnac...
8 downloads 0 Views 116KB Size
Kapitel 7

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier Jeff Roberts

¨ (Ubersetzt von Peter Hauck)

Situation 5. Es ist die letzte Sitzung vor der Weihnachtspause in einer Gruppe, die sich nun schon seit einem Jahr trifft. Die Mitglieder waren, trotz vieler Bem¨ uhungen Ihrerseits unf¨ahig ihre Verleugnung der Angst vor der drohenden Trennung zu akzeptieren; tats¨achlich erscheinen sie alle extrem fr¨ ohlich. In dieser Situation bringt ein Mitglied unerwartet einen Korb voll mit selbstgemachtem Weihnachtsgeb¨ack herein, das k¨ ostlich riecht; ein anderer bringt eine Flasche Wein und Gl¨aser f¨ ur jeden, auch f¨ ur den Therapeuten. Aufgaben und Probleme des Therapeuten ¨ber die Mitglieder der Gruppe sagen, daß sie in eine Man kann u manische Flucht verwickelt wurden und sie beabsichtigten, ein „manisches Fest“ durchzuf¨ uhren. Sie scheinen die Bedeutung des ¨ber die Weihnachtspause zu verKontaktverlustes der Gruppe u leugnen und wehren sie auf eine abgekartete Art ab, um irgendeine bedeutungsvolle Diskussion der Schattenseiten von Weihnachten zu verhindern. Die Wortf¨ uhrer haben ein St¨ uck gemeinsamen Agierens in der Gruppe arrangiert, und in dem Moment, in dem eine Intervention gefordert ist, scheint es, daß alle Mitglieder der Gruppe mitmachen werden. Falls der Leiter diese anscheinend harmlose Feier fortzusetzen erlaubt, wird er unf¨ahig sein, Bemerkungen zu machen, die als undankbar und unpassend bez¨ uglich der von den Mitgliedern bescherten Feiertagsatmosph¨are gesehen werden k¨ onnten. Die ¨ber die vereinbarte Abstinenzregel des Gruppe macht sich so u

94

Kapitel 7

„analytischen Zusammenhangs“ lustig und zeigt, so glaube ich, tats¨achlich betr¨achtliche Aggressionen gegen den Leiter. Die Aufgabe des Leiters ist anf¨anglich die des Beobachtens und damit des Sich-Bewußtmachens der Ereignismuster. Er oder sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die ziemlich unangenehme Empfindung haben, daß irgendetwas ganz M¨achtiges sich ereignet, dessen Bedeutung unklar ist, welches aber impliziert, ¨ber die Gruppe daß er oder sie auf irgendeine Art die Kontrolle u verloren hat. Daneben wird dem Leiter, falls er mit der Sprache der Psychoanalyse vertraut ist, die Idee kommen, daß die Gruppe agiert. Die Gruppe leugnet jegliches Gef¨ uhl von Verlust und setzt daf¨ ur symbolische Aktionen der Freude und der Feier. Unf¨ahig dem Impuls zu widerstehen, ihre Gef¨ uhle auszudr¨ ucken, brechen die Gruppenmitglieder die Abstinenzregel, die die Grundlage des analytischen Prozesses ist. Statt sich zu bem¨ uhen, ihre Gef¨ uhle, Fantasien und Gedanken in Worte zu fassen, was ja die Aufgabe der Gruppe ist, wurde die kollektive Entscheidung gef¨allt, eine Feier zu veranstalten. Der Leiter hat ¨ber die zwei dr¨angende Aufgaben. Die eine ist, eine Hypothese u Bedeutung dieses Verhaltens zu bilden. Die zweite ist, schnell zu einer Entscheidung zu kommen, wie er dies am besten in den Griff bekommt. Er hat etwa solange Zeit, wie es dauert, um eine ¨ffnen, um mit einer anf¨anglichen Intervention einFlasche zu o zugreifen. ¨ Eine der Uberlegungen des Leiters d¨ urfte darin bestehen, wie er einerseits die Situation bew¨altigen kann, ohne andererseits denen eine grundlose narzißtische Wunde zu verpassen, die so großz¨ ugig Essen und Trinken f¨ ur die Gruppe gebracht haben. Gibt es hier einen unbemerkten Bezug zum Abendmahl? In diesem Fall w¨ urde die Gruppe paradoxerweise die Geburt Christi mit der Feier seines Todes und der Auferstehung verwechseln. In der Tat k¨ onnte man sich vorstellen, daß die Gruppe mit der Feier des Anfangs unbewußt das Ende feiert, das sie so sehr zu verhindern w¨ unscht. Es ist wichtig, daß der Therapeut eine abstinente Atmosph¨are wiederherzustellen versucht, in der das Agieren analysiert werden kann. Dadurch wird es m¨ oglich, mit der gegenw¨artigen Erfahrung des Verlustes der Gruppe und damit auch vergangener Verlusterfahrungen in Ber¨ uhrung zu kom¨berwinden. men, um dadurch die Erfahrung des Verlustes zu u

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

95

Die Stimmung k¨ onnte von Fr¨ ohlichkeit und Begeisterung dann in Traurigkeit und Depression umkippen. Der Leiter sollte auch bedenken, daß es einen bedeutenden Verlust der Grenzen der Gruppe gegeben hat, bei der er nicht mitspielen sollte, falls er nicht gewillt ist, einen Pr¨azedenzfall zu schaffen f¨ ur ein ¨ahnliches Agieren (innerhalb oder außerhalb) in der Zukunft.

Ausgew¨ ahlte Interventionen F Ich w¨ urde wahrscheinlich abwarten, wie die Gruppe fortf¨ahrt, bevor ich etwas sagen w¨ urde – und dann w¨ urde ich sagen: „Ich denke, die Gruppe versucht, die schwierigen Gef¨ uhle, die mit der Trennung und den Weihnachtsferien zusammenh¨angen, zu vermeiden, indem sie stattdessen eine Party feiert.“ (1) – oder auf ¨ahnliche Art aber etwas k¨ urzer – F „P. und G. versuchen uns zu helfen, die Leeregef¨ uhle der Trennung zu vermeiden.“ (2) In beiden F¨allen haben die Leiter erlaubt, das Agieren in der Gruppe fortzusetzen. Sie waren taktvoll bez¨ uglich der Schenker und haben gleichzeitig eine Intervention vorgenommen, die die Aufmerksamkeit auf die wahrscheinlich dahinterliegende Motivation richtet. Sie haben die aggressive und angreifende Qualit¨at dieser Aktivit¨at nicht angesprochen (tats¨achlich haben dies nur ¨ber die wenige unserer Leiter getan). Sie haben beide ein Urteil u Art der Gef¨ uhle abgegeben, die durch die Trennung hervorgerufen werden. Tats¨achlich hat die zweite Leiterin in ihrem Hinweis durchblicken lassen, daß f¨ ur sie Trennung mit einem Leeregef¨ uhl verbunden ist. Zweifellos sind Pausen schmerzhafte und schwierige Zeiten, aber diejenigen, die Weihnachten zu Hause genossen haben und die lange Semester erlebt haben, werden wissen, daß manche Trennungen auch angenehme Gef¨ uhle hervorrufen k¨ onnen. M „Wenn jetzt Ostern vor der T¨ ur stehen w¨ urde, w¨ urde ich annehmen, dies w¨are das ,letzte Abendmahl‘, da es aber die Zeit einer jungfr¨aulichen Geburt ist, d¨ urfte es sich, bei

96

Kapitel 7

dem was wir hier vor uns haben, wohl um einen Fruchtbarkeitsritus handeln.“ (3) Notiz Es gibt keinen Grund mit dem fortzufahren, was nicht funktioniert. Es wird nur dazu f¨ uhren, daß sie mehr von dem machen werden was sie bereits tun, deshalb ist es meine Aufgabe, es von einer ganz anderen Ecke aus anzugehen. Ich habe die Pause angef¨ uhrt und das Essen ¨ und die Angst uber den bevorstehenden Verlust sowie die M¨ oglichkeit eines neuen Lebens und vielleicht den Verlust der Jungfr¨aulichkeit angesprochen; aber so, daß sie nicht wissen auf welchen Teil sie antworten sollen und ohne ihnen einen Hinweis zu geben, wie sie antworten sollen, jedoch in der Hoffnung, daß es eine ausreichend seltsame und provozierende Bemerkung ist, sodaß es schwierig sein d¨ urfte, sie zu ignorieren. Es ist auch eine Bemerkung, die ich gerne mache; dadurch komme ich aus der Falle der harten Arbeit heraus und aus dem Gef¨ uhl nirgends hinzukommen, irritiert zu werden und alles zum Kotzen zu finden. (Er f¨ahrt fort) Ich bringe oft die theologische Bedeutung von Ostern und Weihnachten ins Spiel (nat¨ urlich nur, wenn die Gruppenmitglieder diesen Kulturkreis teilen) Es ist etwas, das jeder auf einer bestimmten Ebene kennt und es ist Teil unseres gemeinsamen unbewußten Prozesses der Realit¨atskonstruktion; ein Teil der Grundmatrix. Dieser Therapeut hat sich entschlossen, das Agieren anzugreifen, indem er auf eine Art eingreift, die die Mitglieder verwirrt. Zugleich versucht er das Unbewußte der Gruppe mit Hilfe einer Metapher anzusprechen. Wenn eine gut ausgew¨ahlte Metapher als Intervention zum rechten Zeitpunkt angewandt wird, kann sie einen tiefen therapeutischen Effekt haben. Die Sprache der Metapher ist der Sprache des Unbewußten verwandter als die Alltagssprache. Beispielsweise sprechen oft Tr¨aume in metaphorischer Sprache. Metaphern k¨ onnen eine Situation auf eine gr¨ undlichere und effizientere Art erfassen, als ausf¨ uhrliche und ausgearbeitete Beschreibungen und Erkl¨arungen in „digitaler“ Sprache. Murray Cox, der zusammen mit Alice Thielgaard ¨ber Metaphern in der Psy(Cox u. Thielgaard 1987) ein Buch u

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

97

chotherapie geschrieben hat, nimmt an, daß Metaphern tiefe ¨ Anderungen f¨ ordern k¨ onnen ohne die Oberfl¨ache zu zerst¨ oren. Sie k¨ onnen wie eine Unterwasserbombe wirken. ¨ M „Mein Gesicht w¨ urde Uberraschung und gequ¨alte Freude ausdr¨ ucken. Ich w¨ urde mit ihnen essen und trinken. Vielleicht w¨ urde ich zu einem Zeitpunkt ,Abschiedsparty?‘ sagen oder vielleicht auf die Gemeinschaft des Abendmahls hinweisen.“ (4) Notiz Ich betrachte das „acting in“ als eine akzeptierbare Form der Kommunikation, dem man ebenso wie dem gesprochenen Wort aufmerksam lauschen sollte. Ich denke ¨berm¨ oglicherweise wird die Bedeutung der Pause u trieben und es wird vergessen, welche Erleichterung und welche M¨ oglichkeiten eine Pause bringen kann. Sowohl Spaß als auch Schwermut geh¨ oren in Gruppen. Dies ist ungemein verf¨ uhrerisch. Es gibt ein positives Element zum Ende der Bemerkung, die sich, wie die Vervollst¨andigung einer Periode der Arbeit und der Anfang einer Zeit der Muße darstellt. Aber Pausen in der Therapie k¨ onnen, ebenso wie im Leben, destruktive Auswirkungen auf die Beziehungen und den therapeutischen Prozeß haben. Pausen, vor allem wenn nicht dar¨ uber geredet wurde, k¨ onnen zu Abbr¨ uchen, Verst¨arkung der Symptomatik, suizidalem Verhalten und allen Arten des Agierens f¨ uhren. Agieren außerhalb der Gruppe d¨ urfte auch wahrscheinlicher in den Gruppen sein, in denen agieren innerhalb erlaubt wurde und in denen die bedr¨ uckenden Seiten der „Weihnachtsgef¨ uhle“ innerhalb der Gruppe auszudr¨ ucken nicht m¨ oglich war. Wenn der Leiter offen oder verdeckt dieses Verhalten erlaubt oder unterst¨ utzt, wird es auch in die Gruppenkultur eingebettet und das Agieren innerhalb oder außerhalb im Leben der Gruppe fortgesetzt werden. Dar¨ uber hinaus wird es nicht immer so begrenzbar und harmlos sein wie in diesem Beispiel. F „Sie wissen, daß Sie zu dieser Gruppe aus Gr¨ unden der Therapie kommen. Wenn wir uns als Freunde treffen w¨ urden, w¨are Weihnachtsgeb¨ack und Wein entz¨ uckend; wir sollten aber verstehen, warum die Gruppe diese Party ,braucht‘ und nach Sitzungsende w¨are es f¨ ur uns

98

Kapitel 7

m¨ oglicherweise O.K., gesellig zusammen zu essen und zu trinken.“ (5) Notiz Ganz besonders wichtig ist mir, die Bedeutung von allem Ausgesprochenen und Getanen im Zusammenhang mit der Gruppe zu verstehen. Hier wird die Angst vor der drohenden Pause verleugnet. Meines Erachtens ist eine Kl¨arung m¨ oglich, ohne diejenigen, die eine Party wollen, allzu sehr zu kr¨anken. Es ist nat¨ urlich ein Angriff auf meine Autorit¨at, aber dies kann nach der Pause erneut aufgegriffen werden. Ich pers¨ onlich w¨ urde nicht an einer Party nach der Gruppe teilnehmen. Diese Intervention ist der unzweideutige Versuch die Grenzen der Gruppe und den Status der therapeutischen Abstinenz innerhalb des gemeinschaftlichen Feldes der Gruppe aufrechtzuerhalten. Die Therapeutin hat klar die Grenzen und ihre Entschlossenheit, diese Grenzen aufrechtzuerhalten, festgelegt. Es erscheint mir auch eine einfache, nicht interpretative Ermutigung der Gruppe zu sein, ihre M¨ oglichkeiten zu nutzen, um die Bedeutung zu erforschen, die hinter dem Verhalten steht,. Zweifellos werden diejenigen, die eine Party feiern wollen, leiden. Es w¨are vom Therapeuten auch nicht korrekt, sich f¨ ur den prim¨aren Grund des Leidens zu halten; dieses Leiden wird tats¨achlich insgeheim durch die Weihnachtsgaben hervorgerufen. Von zus¨atzlichem Interesse ist die Entscheidung der Therapeutin, nach der Gruppe nicht an der Party teilzunehmen. Es stellt sich die Frage, wo die Party stattfinden soll. Indem sie nicht erlaubt daß sich die Party in den letzten f¨ unf Minuten der ¨berhaupt noch gew¨ Gruppe ereignet, falls dies u unscht wird, (die Therapeutin kann sich entscheiden, ob sie daran teilnimmt oder nicht), verlagert sie m¨ oglicherweise das Agieren von innerhalb nach außerhalb, sodaß die erstickte Fr¨ ohlichkeit vielleicht in die Wohnung eines Gruppenmitgliedes weggetragen wird. M „Das Beerdigungsfleisch wird zum Hochzeitsgenuß.“ (6) Notiz Weil ich von dem verstorbenen Jim Home ausgebildet wurde, kommentiere ich in einer leicht schr¨agen Art (das ist keine Marotte). Ich glaube, daß ich es dadurch jedem Individuum erm¨ ogliche innezuhalten und die eigene Meinung zu diesem Kommentar zu suchen und zu fin-

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

99

den. Ich betrachte die obige Szene als eine Vermeidung des Schmerzes der Trennung und f¨ uhle mich verpflichtet dar¨ uber zu kommunizieren, was denn so schwierig auszudr¨ ucken sei. ¨berzeugt, daß seine Gruppe daran arbeiDieser Leiter ist davon u tet, die Bedeutung ihres Verhaltens herauszufinden. Ich bin mir unsicher, was ich davon halten soll. Man muß eine gut trainierte Gruppe voraussetzen, die diesen Ansatz des Leiters nutzen wird; die das was er angeboten hat, in echt analytischer Art aufgreifen wird, indem sie von der Intention zu agieren abgebracht wird ¨bergeht, die Analyse der Gruppe durch die Gruppe, und dazu u einschließlich des Leiters, fortzusetzen. Ich denke eine Menge h¨angt davon ab, ob diese Intervention an ihren K¨ opfen vorbeigeht oder ob sie sie unterhalb der G¨ urtellinie trifft. Im letzten Fall ist es sicherlich erfolgreich. Mein Problem ist, daß ich niemals von Beerdigungsfleisch und vom Hochzeitsgenuß geh¨ ort habe. Falls ich ein Gruppenmitglied w¨are, w¨ urde ich es dann an mir vorbeirauschen lassen oder w¨ urde ich den Korkenzieher hervorholen und nach Erkl¨arungen fragen? F „Ich w¨ urde fest dasitzen und nichts sagen/machen. Am Ende der Gruppe, vorausgesetzt, das Weihnachtsgeb¨ack ist gegessen und der Wein getrunken, w¨ urde ich die Gruppe dazu ermuntern, das Ende zu betrachten. Oder ich w¨ urde die Gruppe veranlassen bis zum Ende zu warten – aber ich bezweifle dies.“ (7) Notiz Ich denke nicht, daß es f¨ ur die Gruppenmitglieder ein hilfreicher Vorschlag ist ihren Widerstand aufzugeben – die Gruppe ist noch zu jung, und ich weiß bis jetzt noch nicht, wie der Trennungsprozeß abl¨auft. Die Therapeutin hat eine minimale Intervention gew¨ahlt. Sie hat einen festen Standpunkt, aber sie nimmt ein Risiko auf sich, denn ¨ffnen als diese wieder zu schließen. es ist leichter, eine T¨ ur zu o Die Erlaubnis zum Agieren setzt einen Pr¨azedenzfall und l¨aßt die Gruppe f¨ ur alle Zeiten wissen, daß ihr Leiter einen großz¨ ugigen Stil hat. Beispiel: Eine lange bestehende Gruppe (in der Gruppen¨beranalytischen Praxis) wurde von einem neuen Leiter u

100

Kapitel 7

nommen. Es war die letzte Gruppe der Woche und wahrscheinlich hatte sich der fr¨ uhere Therapeut mit Blick auf das Wochenende stets ein wenig in der Gruppe ausgeruht. In der Gruppe gab es Zigarettenraucher, die w¨ahrend der Gruppe rauchten und zus¨atzlich tranken sie regelm¨aßig Kaffee aus der K¨ uche der Angestellten. Wein wurde zur Abschiedsfeier des scheidenden Leiters getrunken. F¨ unf Jahre sp¨ater, bedient sich die Gruppe, trotz des vollst¨andigen Wechsel des Personals, einschließlich des Leiters, noch immer mit Kaffee aus der K¨ uche der Angestellten. Keine andere Gruppe in der Praxis macht dies. M „Ich w¨ urde es vermeiden zu essen und zu trinken, dennoch w¨ urde ich erw¨ahnen, wie gut es aussieht und riecht. Es sieht so aus als w¨aren wir bei Ihnen zu Hause – gerade hereingekommen – vielleicht ist einer von uns der Weihnachtsmann, Weihnachten ist so eine gastfreundliche Zeit. Es ist so, als ob die Gruppe bereits eine Pause h¨atte und jetzt ihre eigenen Traditionen und Gebr¨auche beschmutzt.“ (8) Notiz Ich m¨ ochte nicht den Anschein erwecken, daß ich durch Annahme der Geschenke ein oder zwei Mitglieder bevorzuge, denen ich unterstelle, daß sie die heftigsten Verweigerer sind. Ich w¨ urde gerne den Familienaspekt von Weihnachten in den Vordergrund stellen, oder das Wiedertreffen von Freunden – im Gegensatz zu dieser Gruppen-„Familie“ hier. Ich w¨ urde hoffen, daß die ¨ber Geschenke, den Weihnachtsmann, Gruppe fortf¨ahrt u den Messias und Gef¨ uhle der Gruppe gegen¨ uber, vielleicht „kein Platz in dieser Herberge zu assoziieren.“ Der Therapeut hat klare Vorstellungen und W¨ unsche, wor¨ uber die Gruppe nachdenken sollte. Er hat sich hier entschlossen, den Rat, den Wilfred Bion (1970) Psychoanalytikern gegeben hat, nicht anzunehmen, n¨amlich „in jede Sitzung ohne Erinnerung oder Wunsch zu gehen.“ Er hat bewundernswerte Hoffnungen f¨ ur das Sitzungsprogramm dieser Gruppe und dennoch ist meine pers¨ onliche Neigung, mich Bion anzuschließen, mit dem Gef¨ uhl verbunden, daß Erwartungen und W¨ unsche, zu Entt¨auschungen

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

101

f¨ uhren, nicht authentische Ausdrucksweisen f¨ ordern und die urspr¨ ungliche Kreativit¨at ersticken k¨ onnen. Bisher habe ich nur den Kommentar betrachtet, den der The¨ber seine Intervention abgegeben hat. Von der Interrapeut u vention denke ich nicht nur, daß sie wirkm¨achtig ist, sie ber¨ uhrt ¨ber die gemich gleichzeitig unangenehm. Der Leiter ist sich u setzten Grenzen klar und anf¨anglich ziemlich großz¨ ugig in der Wertsch¨atzung der Geschenke. Seine Intervention hat jedoch einen erheblichen Widerhaken. Sie geht die Aggressivit¨at des Agierens der Gruppe frontal an. Ich komme in diesem Fall nicht damit klar, ob Sanftmut oder Konfrontation die beste Ann¨aherung sei. Diese besondere Intervention wird vermutlich f¨ ur die Gruppe besonders schmerzhaft sein. Soll sie ihnen Gedankennahrung geben oder soll sie sie erziehen? Wird sie ihnen noch eine Wunde zum Lecken verpassen und sinnlose Feindseligkeit dem Therapeuten gegen¨ uber erzeugen? Ein heftiges Rachegef¨ uhl f¨ ur eine in der letzten Gruppensitzung des Quartals erhaltene Wunde sollten nicht im n¨achsten Quartal wieder aufleben. F „Ich w¨ urde die ,Weihnachtsgeschenke‘ nicht direkt zur¨ uckweisen, w¨ urde aber sagen, daß es noch eine Menge zu tun gibt bevor wir unsere Sorgen im Alkohol ertr¨anken“. Partys, speziell zur Weihnachtszeit, bringen fast immer schmerzliche Gef¨ uhle mit sich, wobei es schwierig ist diese zuzulassen. Das Weihnachtsgeb¨ack riecht k¨ ostlich, aber es ist nicht wirklich die Antwort auf emotionalen Hunger, sie dienen h¨ ochstens als kurzes linderndes Mittel. Lassen Sie uns anschauen, was unter dieser fr¨ ohlichen Oberfl¨ache steckt. Wenn darauf Schweigen folgen w¨ urde, w¨ urde ich sagen: „Es ist schwierig, die Fr¨ ohlichkeit verschwinden zu lassen – Traurigkeit ist schmerzhaft.“ (Wir werden wahrscheinlich nach der Sitzung das Essen zu uns nehmen.) (9) Notiz Meine Kommentare w¨ urden sich auf den schmerzlichen Verlust und die Traurigkeit zentrieren (und nicht auf den ¨ Arger, der durch die Verweigerung hervorgerufen wird). ¨ber die Traurigkeit leichter als Ich finde den Zugang u ¨ ¨ber den Arger. u Sp¨ater w¨ urde ich wahrscheinlich bemer-

102

Kapitel 7

ken, daß wohl Entt¨auschung dar¨ uber aufgetreten sei, daß sich die Gruppe f¨ ur einige Wochen nicht trifft, aber es sei unwahrscheinlich, daß wir uns lange ¨argern w¨ urden (und zweifellos wird dies zu heftigen Gegenreaktionen nach der Pause f¨ uhren). „Laßt uns hinschauen“ ist eine sehr n¨ utzliche Art der Intervention und sie unterst¨ utzt nachdr¨ ucklich die Verantwortung der Gruppe, ihre eigene Interpretation zu finden (und schließlich deren gr¨ oßeren Wert f¨ ur sie). Ich w¨ urde das kulinarische Angebot nicht abweisen, (da es ja bereitgestellt wurde,) denn das k¨ onnte als pers¨ onliche Zur¨ uckweisung der Patienten erlebt werden. Jedoch w¨ urde ich erst nachdem die Bedeutung analysiert wurde, den Verzehr erlauben (und dies sollte zu Ende der Sitzung sein). Ich w¨ urde den Alkohol ablehnen und der Gruppe sagen, daß ich noch weiter arbeiten m¨ usse. Die Therapeutin hat eine klare Hypothese dar¨ uber entwickelt, was hier vorgeht und teilt dies der Gruppe mit großer Klarheit und Ausf¨ uhrlichkeit mit. Sie vermeidet markig bildhafte Mitteilungen und zentriert sehr auf das Hier und Jetzt. Dar¨ uber hinaus zeigt sie ein Maß von therapeutischem Takt und Respekt f¨ ur die Gef¨ uhle ihrer Gruppe, was einige unserer anderen Therapeuten als unn¨ otig und vielleicht sogar als unerw¨ unscht ansehen. Und wieder sind wir bei dem Dilemma angelangt, welches Ausmaß der Konfrontation und des Respekts oder des Mangels an Respekt bez¨ uglich der Gef¨ uhle ihrer Patienten, diese letztlich am meisten f¨ ordern. Das Folgende ist ein anderes Beispiel eines m¨annlichen Therapeuten, der ziemlich unfreundlich ist, in der Art, wie er den Sinn der Party untergr¨abt. M „Ah! Fr¨ ohlich zum Ende . . . danke, ja ich will Weihnachtsgeb¨ack essen . . . k¨ ostlich . . . irgendetwas außergew¨ ohnliches . . . irgendetwas spezielles heute . . . aber n¨achste Woche (mit Ironie) . . . Nichts!“ Ich w¨ urde fortfahren, das Verneinen und das Weihnachtsgeb¨ack als Agieren zu interpretieren, aber ohne die Aktion selbst anzugreifen. (10) Notiz Ich w¨ urde nicht das Agieren angreifen wollen, welches eine konstruktive Form annehmen kann, aber ich w¨ urde

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

103

es interpretieren und w¨ urde die Gruppe mit den vermie¨ denen negativen Aspekten der Ubertragung in Ber¨ uhrung bringen. Der Therapeut ist zuversichtlich und klar in seiner Entscheidung, das Agieren weiter zu erlauben und in seiner Absicht, den Widerstand zu bearbeiten. Er glaubt nicht, daß die Gruppe nur durch das Wegnehmen (zumindest zu Beginn) der Befriedigung f¨ahig werden wird verbal ihre Gef¨ uhle zu schildern. Man k¨ onnte argumentieren, daß dies nicht so ist und daß Worte und Aktionen sich gegenseitig ausschließende Alternativen sind. Dies w¨ urde diejenigen Therapeuten unterst¨ utzen, die versuchen, die Aktion zu verhindern und die Gruppe ermutigen, ihre Gef¨ uhle zu finden und dann Worte zu finden, um diese Gef¨ uhle zu verstehen. Jedoch ist es nicht einfach das Agieren im Vorfeld zu verhindern. Man kann mit dem Unbehagen und der Verzweiflung des folgenden Therapeuten sympathisieren, wenn man schon ¨ahnliche Erfahrungen gemacht hat. M „Nun – ich f¨ uhle mich innerlich ¨außerst geschockt (mit einer Art von angenehmer Befreiung von der Gegen¨ uber¨ber als eine tragung). Wir haben uns hier das ganze Jahr u seri¨ ose Gruppe getroffen und jetzt ist das Ganze außer Kraft gesetzt. Ich f¨ uhle mich ziemlich verst¨ ort.“ (11) Notiz (Das habe ich spontan ge¨außert, ich habe nicht gut reagiert. Danke f¨ ur die zweite Gelegenheit zu antworten.) Die Gruppe kann die Angst der Trennung nicht verarbeiten, sie verleugnet sie und projiziert sie in den Therapeuten – Entsetzen, Verlust, Unf¨ahigkeit, Verst¨ orung und so weiter. Ich bleibe bei meiner Einsch¨atzung. Ich w¨are zu entsetzt, um an den Festlichkeiten teilzunehmen und obwohl ich physisch anwesend w¨are, w¨are ich gef¨ uhlsm¨aßig unf¨ahig, daran teilzunehmen. Pontius Pilatus lebt, es geht ihm gut und er lebt in . . . Ich denke in diesem St¨ uck Selbstenth¨ ullung, erkennt dieser Therapeut auf¨ richtig die wahre Schrecklichkeit all der Ubel, die die Gruppe ihm so freundlich aufgeb¨ urdet hat. Er erlebt einen m¨achtigen und komplexen projektiven Prozeß und obwohl er versucht, es dieses Mal besser zu machen, scheint es, daß er eine Situation schafft, in der er sich mit der Projektion identifiziert. Dies scheint

104

Kapitel 7

mir die Dinge total zu verkehren. Es d¨ urfte die Gruppenmitglieder mit heftiger Schuld zur¨ ucklassen, die sie dann mit nach Hause nehmen. M „Nun das Weihnachtsgeb¨ack riecht k¨ ostlich. Ich nehme an, dies muß so etwas wie eine Spur sein (die uns zu etwas f¨ uhren soll) – Vielleicht sollten wir es essen, nachdem die Gruppe zu Ende ist.“ (12) Notiz Ich sehe gar nichts Schlechtes an dem Essen und Trinken. ¨ber die dahinterDie Speisen k¨ onnen eine Diskussion u liegenden Ursachen erm¨ oglichen. Dieser Therapeut nimmt im Gegensatz zu dem vorherigen alles sehr gelassen, und obwohl er das Agieren hinausschiebt, macht er ¨ber eine metaphorische Ann¨aherung dies behutsam und er hat u versucht, Zutritt zu unbewußten Prozessen zu bekommen. F „Anf¨anglich nichts. Ich w¨ urde die Entwicklung der Sitzung in der Hoffnung abwarten, daß die Gruppe anf¨angt ihre manische Abwehr in Form des Agierens zu erforschen. Falls nicht, w¨ urde ich einen Vergleich zwischen einer relevanten Situation und dieser ziehen, z. B. dem Erwachen nach einer Beerdigung, oder dem Weihnachtstrubel und dem Wunsch, viele Waren und Geschenke zur Bet¨aubung der M¨ uhsal und Schmerzen zu bringen, die den Menschen bewußt sind.“ (13) Notiz Wenn die Gruppe in der letzten Sitzung mit einem derartigen Widerstand die eigene Angst zu erkunden, angekommen ist, w¨ urde es aus meiner Sicht nicht geh¨ ort werden, wenn der Therapeut mit der offensichtlichen Interpretation – n¨amlich daß sie ihre Angst verleugnen und sie statt dessen in eine Party umm¨ unzen, – sie wie mit einem Vorschlaghammer treffen w¨ urde, Ich denke jedoch, daß Agieren oft zur Anerkennung der Einsicht f¨ uhrt, wie schwierig es f¨ ur die Gruppe ist, in F¨ uhlung mit der eigenen Angst zu kommen. Dieses zu akzeptieren, aber auch das manische Verhalten zu kommentieren, w¨are der praktikable Weg. Hier haben wir eine weitere Therapeutin, die eindeutig das Agieren dieser Art als ein relativ harmloses und selbstbegrenzendes Ph¨anomen betrachtet. Sie kann deshalb die Position einnehmen,

Eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier

105

daß Essen und Trinken fortgesetzt werden k¨ onnen und daß die Gruppe anfangen wird zu fragen, was sie tut. Der Autor dieses Kapitels war ein Mitglied der Party-Gruppe ¨ber eine Kultur heimund er erinnert sich, daß die Gruppe u t¨ uckischen Agierens verf¨ ugte, die gew¨ ohnlich so unschuldig schien, daß man weitermachte ohne nachzufragen. Es schien, daß dies den analytischen Prozeß und dadurch die Therapie jedes einzelnen zerst¨ orte. An dem aktuellen Abend der Party war die Gruppe viel zu sehr mit dem Weihnachtsgeb¨ack und dem Wein besch¨aftigt, um sich mit tiefergehenden Sachen zu befassen. Andererseits brach, als bei einem Gruppentraining dieses Szenario im Rollenspiel einige Wochen vor Weihnachten gespielt wurde (ohne dabei den Personen eine spezifische Rolle zu geben), ein heftiger Streit innerhalb der Gruppe aus; es kam zum fruchtbarem Erforschen der Hintergr¨ unde und zum Aufdecken ¨bernahmen die Rollen ganz von viel Kummer. Die Darsteller u nat¨ urlich und es stellte sich heraus, daß der Vater eines der Gruppenmitglieder, die versuchte eine Party zu feiern, sehr schwer erkrankt im Krankenhaus lag.