FORSCHUNG  UND  ENTWICKLUNG  6065    

Ein  Sommer  in  New  York   Filme  mit  dem  Thema  Migration  II     Irina  Zolliker   Glattwiesenstr.  4   8152  Glattbrugg   Tel.  044/  810  65  79   [email protected]     Eliane  Herzog   Freihofstrasse  3   8633  Wolfhausen   Tel.  055  /  243  41  14   [email protected]     Abgabetermin:  14.11.2010  

Dozenten:  Doris  Grütz  /  Peter  Holzwarth  

F&E: Filme mit dem Thema Migration II

Eliane Herzog, Irina Zolliker

Inhaltsverzeichnis Begründung der Filmwahl

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Fragestellung

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Zusammenfassung des Filmes

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Kontextinformationen

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Präsentation der Hauptpersonen

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Leseart und Intension

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Dramaturgie

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Filmsprachliche Besonderheit

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Zusammenhang filmsprachliche Mittel und potenzielle Bedeutung

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Symbolanalyse

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Musik im Film

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Migration im Film

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Pädagogisches Konzept

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Bibliographie

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Anhang

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The Visitor – Ein Sommer in New York Begründung der Filmauswahl „Einer jener seltenen Filme, bei denen einem das Herz aufgeht. (…) Ein Meisterwerk.“ Zitty (Pressestimme zum Film, 2007) Der Film hat uns beide sehr berührt, als wir ihn zum ersten Mal gesehen haben. Es geht darum, dass sich die Hauptpersonen illegal in den USA aufhalten und sich dementsprechend vor jedem Kontakt mit der Polizei fürchten. Ihnen würde sofort eine Ausschaffung in ihr Heimatland drohen. Mit dieser Situation befinden wir uns mitten in einem brisanten Thema der Migration. Es wird im Laufe des Filmes aufgezeigt, wie sich einerseits eine Freundschaft zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichem Bildungsstand entwickelt, andererseits zeigt der Film auch die realistische und brutale Seite, dass nicht jeder Mensch im entscheidenden Moment Glück oder Recht hat. Manche bleiben einem kontroversen System ausgeliefert, wobei sie zusehen müssen, wie die Welt anderer zusammenbricht, die sie mit viel Einsatz und gutem Willen aufgebaut haben. Beim Schauen des gelungenen Filmes ist uns nicht nur das Herz, sondern auch ein Licht aufgegangen, welches das Dilemmas schön und doch knallhart aufzeigt. Es gefällt uns, dass der Film nicht einfach ein Film mit Happy End ist, sondern einer, der den Zuschauer in eine irgendwie persönlich betroffene, unangenehme Ohnmächtigkeit versetzt.

Fragestellung Uns interessiert, in wie weit das gemeinsame Musizieren die verschiedenen Kulturen verbindet. Ist es wirklich die Musik oder ist es nicht die Mentalität (Temperament, Denken, Offenheit) der Kulturen, ja vielleicht sogar am ehesten die Charakteren der einzelnen Personen, welche eine Verbindung zwischen den zwei konträren Persönlichkeiten möglich macht? Weil wir die Musik ins Zentrum stellen, werden wir anschauen, in welchen Situationen die Musik präsent ist und welchen Einfluss sie auf den weiteren 2

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Verlauf der Beziehung bzw. des Filmes hat. Dabei untersuchen wir auch, wie weit es möglich ist, die Musik einer anderen Kultur (Klassik, Trommeln) zu verstehen und inwiefern die Musik als Befreiungselement (aus gesellschaftlichen Zwängen und Rastern à Vergleiche Walter) dient. Wir sprechen dabei immer von der im Film produzierten Musik (Musik im Film) und nicht von der hintergründigen Filmmusik, ausser es wäre von uns explizit vermerkt.

Kurzzusammenfassung des Filmes Walter Vale, einst brillanter Wirtschaftsprofessor und seit fünf Jahren Witwer, lässt sich ziellos durch sein inhaltsleeres Leben in einem Vorort in Connecticut treiben. Bis er zu einer Konferenz nach New York geschickt wird, wo er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr war. In seinen vier Wänden in Manhattan angekommen, wartet auch schon eine große Überraschung auf ihn. Der eigentlich leerstehende Zweitwohnsitz wird von einem jungen Paar bewohnt, dem Syrer Tarek und der Senegalesin Zainab. Nach einem ersten Schreck auf beiden Seiten stellt sich heraus, dass Walters Wohnung den beiden illegal vermietet wurde. Er entschließt sich, die beiden Fremden bei sich wohnen zu lassen, bis sie etwas Neues gefunden haben. Gerade als er sich mit seinen Mitbewohnern nicht nur arrangiert, sondern auch angefreundet hat, wird Tarek in der U-Bahn verhaftet und als illegaler Ausländer in Abschiebehaft genommen. Als auch noch Tareks Mutter Mouna auftaucht, ist Walter klar, dass er seinen neuen Freunden helfen muss. Koste es, was es wolle…

Kontextinformationen

Cast

Regie: Thomas McCarthy

Walter Vale: Richard Jenkins

Drehbuch: Thomas McCarthy

Tarek Khalil: Haaz Sleiman

Erscheinungsjahr: 2007

Zainab: Danai Gurira

Genre: Drama

Mouna Khalil: Hiam Abbass

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Präsentation der Hauptpersonen Tarek Tarek kommt ursprünglich aus Syrien und ist zusammen mit seiner Mutter vor etwa 9 Jahren illegal in die USA eingewandert. Seit einigen Jahren lebt Tarek aber in New York, um dort als Musiker sein Geld zu verdienen. Er spielt Djembe in Musikgruppen und auch auf der Strasse gemeinsam mit Freunden. Tarek wohnt seit einiger Zeit gemeinsam mit seiner Freundin Zainab

Walter

in der Wohnung von Walter, welche über Jahre leer Tarek

Zainab

gestanden ist und schlussendlich von einem Immobilienbetrüger an die beiden unwissenden vermietet wurde. Tarek ist sehr lebensfroh und er ist

Mouna

offen für neue Bekanntschaften und Beziehungen zu verschieden Leuten. Zainab Zainab stammt aus dem Senegal, lebt aber bereits seit zwei Jahren in New York, wo sie Tarek kennengelernt hat. Sie verdient ihr Geld durch selbst hergestellten Schmuck, welchen sie an einem Markt verkauft. Zainab ist sehr ängstlich, schüchtern und misstrauisch, was vermutlich auch damit zusammen hängt, dass sie als illegale Aufenthalterin auf keinen Fall irgendwo negativ Zainab

Tarek

auffallen möchte.

Walter Walter lebt seit dem Tod seiner geliebten Frau, einsam, ziellos und ohne Lebensfreude in einem Haus in Connecticut. Er ist Wirtschaftsprofessor und reist für einen Vortrag über ein Buch, welches er als Co-Autor mit verfasst hat nach New York, wo er eine Zweitwohnung besitzt. Walter wird Opfer eines 4

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Immobilienbetrugs und entdeckt in New York, dass

Tarek

Walter

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seine Wohnung von zwei Immigranten bewohnt wird. Zainab

Aus Mitleid und Einsicht über deren schwierige Situation, vielleicht aber auch ein Stück weit aus

Einsamkeit lässt er sie für einige weitere Tage in seiner

Mouna

Wohnung leben. Während dieser Zeit entwickelt sich zwischen ihm und Tarek eine Freundschaft, welche vor allem durch das gemeinsame Djembe spielen vorangetrieben wird. Diese Freundschaft verändert Walters Lustlosigkeit und lässt ihn immer wieder fröhlich sein. Als er nach Tareks Inhaftierung mit dem Migrationsamt in Berührung kommt, verzweifelt er nahezu und versteht die Welt nicht mehr. Ihm war vorhin nie bewusst, wie unmenschlich die Leute dort behandelt werden und wie machtlos selbst ein USBürger vor der Asylpolitik ist.

Mouna Mouna ist die Mutter von Tarek, sie ist gemeinsam mit ihm vor neun Jahren illegal in die USA eingewandert und wohnt etwas ausserhalb von New York. Sie sieht Tarek sehr selten, kontrolliert ihn aber stark, in dem sie täglich mit ihm telefoniert. Mouna hat Zainab noch nicht kennengelernt und weiss auch nicht, dass sich ihr Sohn und dessen Freundin eine Wohnung teilen. Durch die tägliche Kontrolle per Telefon erfährt Mouna,

Tarek

dass ihrem Sohn etwas passiert sein muss. Sie macht Mouna

Zainab

sich auf den Weg nach New York, wo sie auf Walter trifft. Mit dessen Hilfe lernt Mouna Zainab kennen und

Walter

macht sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Sohn, wobei sie dabei ihr Leben in den USA riskiert bzw. verliert.

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Lesearten und Intension Der Zuschauer gewinnt sehr schnell die Sympathie von Tarek, welcher eine enorme Lebensfreude und ein grosser Optimismus ausstrahlt. Er befindet sich zwar illegal in den USA, verhält sich aber äusserst korrekt und freundlich. Seine Verhaftung bei einer Metrostation löst nicht nur bei Walter, sondern auch bei den Zuschauern Empörung aus. Tarek kommt anschliessend mit dem Ausschaffungssystem der USA in Berührung und wird dort äusserst unfreundlich behandelt. Vermutlich finden es alle Zuschauer schockierend und unfair, wie es dort abläuft. Aufgrund der gewählten Darstellung im Film werden verschiedene Aspekte des Ausschaffungs-, sowie des Einwanderungs- und Einbürgerungssystem der USA offen gelegt, hinterfragt und kritisiert. Beim Zuschauer kommt Empörung auf und es tauchen viele Fragen über die aktuelle Situation und über eine mögliche Verbesserung des Systems auf. Der Film ist klar ein „[b]erührendes Plädoyer für eine humanere Gesellschaft“. TV Spielfilm (Pressesimme, 2007)

Dramaturgie

Anhand des Spannungsbogens eines Dramas (Grafik-Quelle: siehe Bibliographie) zeigen wir im folgenden Ereignisse im Film auf, welche Parallelitäten zum gezeigten Schema aufweisen. Erregendes Moment Walter muss feststellen, dass in seiner Zweitwohnung zwei Migranten leben und es wird offensichtlich, dass sich zwischen diesen drei Personen eine Beziehung bzw. eine davon handelnde Geschichte ergeben wird. 6

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Steigende Handlung Walter erlaubt dem jungen Paar für einige Tage bei ihm weiter zu wohnen und es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen Tarek und ihm. Peripetie Walter spielt mit Tarek zusammen und mit Musikern aus den verschiedensten Ländern Djembe. Sie haben dabei so grosse Freude, dass sie die Zeit vergessen. Fallende Handlung Tarek wird festgenommen und gleichzeitig wird klar, dass die Polizei erfahren wird, dass er ein illegaler Aufenthalter ist und es somit grosse Schwierigkeiten geben wird. Retardierendes Moment Walter lernt Tareks Mutter Mouna kennen und gemeinsam engagieren sie einen Anwalt, welcher verspricht, sein bestes für Tareks Freilassung zu tun. Mouna lernt ausserdem Zainab kennen, welche sich sehr gut verstehen und auch zwischen Walter und Mouna entsteht mehr als „nur“ eine Freundschaft. Katastrophe Tarek wird ausgewiesen und kann nicht mehr in die USA zurückkehren. Da sich Zainab ebenfalls illegal im Land aufhält kann sie ihm nicht nach Syrien folgen. Schlussendlich reist auch Mouna nach Syrien, um ihren Sohn dort zu unterstützen obwohl sie weiss, dass auch sie nicht in die USA zurückkommen darf. Walter bleibt alleine zurück.

Filmsprachliche Besonderheit Nicht nur die im Film produzierte Musik, sondern auch die Filmmusik ist sehr besonders. Die Szenen sind oft lautlos gefilmt, und wenn eine Musik hinterlegt ist, hört man sie oft nur leise. Ausser sehr vereinzelten Djembe Stücken ist die ganze Musik sehr melancholisch und ruhig. Es ist sogar oft dieselbe Melodie oder dasselbe Motiv in einer anderen Variation. Das Ruhige 7

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macht einem als Zuschauer in gewissen Situationen noch betroffener, weil keine künstliche Emotionalität hochkommt, und man mit dem Geschehen alleine gelassen wird. Dies ist zum Teil sehr ungewöhnlich, z.B. bei der Szene, als Walter bei seiner Ankunft seine Wohnung in NYC durchsucht. Es ist sehr dunkel und mit der Person mitgehend (ev. von Hand) gefilmt, hat aber keinerlei Töne. Die Szene erinnert an einen Horrorfilm, nur dass die grellen Geigen oder das schnelle Trommeln eben fehlen. Eine weitere typische Szene ist am Schluss, als Zainab erfährt, dass Tarek ausgeschafft wird. Man hört ihre Fassungslosigkeit nicht, ihr Schreien, ihre Tränen. Es ist einfach ganz still.

Zusammenhang zwischen filmsprachlichen Mitteln und potenzieller Bedeutung Einstellungsgrössen:

Gross Im Film werden die Schauspieler wiederholt in Grossaufnahme gefilmt. Dies vor allem in Situation, wo die Gefühle einen hohen Stellenwert haben. Es ist jede Regung des Gesichtsausdruckes nachvollziehbar und die Zuschauer können sich in die dargestellte Person einfühlen. Die Situation, aus welcher diese beiden Bilder stammen ist äusserst berührend.

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Halbnah Man sieht in diesem Bildausschnitt Zainabs Unzufriedenheit darüber, dass Walter neben ihr sitzt äusserst gut. Dies liegt auch daran, dass die halbnahe Kameraeinstellung Körperhaltungen zum Vorschein bringt und auch mimische Regungen sichtbar gut sind.

Totale In der totalen Kameraeinstellung rücken die einzelnen Personen etwas in den Hintergrund. Sie gibt einen Überblick über den Ort, wo sich eine Handlung abspielt. Häufig dienen solche Ansichten als Einstieg in neue Szenen. In diesem Fall aber wurde zuerst Tareks Band in der nahen und halbnahen Kameraeinstellung, ihre Musik stand im Zentrum. Der Bildausschnitt der ganzen Bar wird erst später gezeigt.

Kameraperspektive:

Untersicht Walter sieht seinen Vorgesetzten aus dem Sitzen. Es ist klar, dass dieser mehr Macht hat und darüber entscheidet, was Walter geschäftlich tun soll und dies wird durch die Kameraeinstellung verdeutlicht.

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Aufsicht Aus der Sicht vom Vorgesetzten wirkt Walter klein und unterlegen. Bei der Aussage des Vorgesetzten: „Der Dekan will es so!“, wird klar, dass Walter keine andere Möglichkeit bleibt. Normalansicht Nachdem sich Walter zu wehren versucht hat, setzt sich sein Vorgesetzter ihm gegenüber auf einen Stuhl und betont: „Als Freund würd ich dir das nicht raten.“ Als Freunde befinden sich die beiden auf derselben Höhe.

Vogelperspektive Walter befindet sich hier in einem Zwischenraum, bevor er in den Besucherraum der Ausschaffungshaft eintreten kann. Anschliessend wird klar, dass sich in derselben Ecke, wie die Filmkamera auch eine Überwachungskamera befindet. Dadurch wird auch für die Zuschauer klar, wie gut die Haftanstalt überwacht wird und wie machtlos Walter ist.

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Bewegung: Kombination aus Schwenk und Zoom, der Bildausschnitt wird verengt. Dieser Bildablauf wird bei Walters Ankunft in New York gezeigt. Es wird zuerst die Umgebung gezeigt, in welche er hineinkommt und mit einem Schwenk in vertikaler Richtung und dem Zoom wird schlussendlich das Auto anvisiert, in welchem sich Walter befindet.

Zoom, der Bildausschnitt wird weitwinkliger Tarek und Walter werden nach dem gemeinsamen Musizieren in der Halbnahe gefilmt, ihr fröhliches Gespräch ist wichtig. In dem Moment gilt einfach nur ihre neue Freundschaft. Mit der Zoombewegung über die Halbtotale zur Totale wird deutlich, wo sie sich befinden und in ihrem Gespräch wird auch angedeutet, dass sie sich in einem ganzen System befinden. In einer Gesellschaft, wo man sich anpassen muss. Dies wird deutlich unterstützt, durch die Sicht auf die Stadt New York.

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Zoom, der Bildausschnitt wird weitwinkliger Durch die Zoombewegung wird deutlich, dass Walter alleine unterwegs. Es gibt auch einen ersten Eindruck von seiner Machtlosigkeit gegenüber dem Ausschaffungssystem in Amerika.

Bildausschnitt: Tarek und Walter sprechen in der Ausschaffungsanstalt miteinander. Die Scheibe zwischen den beiden trennt sie nicht nur physisch. Sie können zwar während kurzer Zeit miteinander sprechen, für Walter ist es aber unmöglich Tarek richtig helfen zu können. Diese Trennung wird auch schön durch den horizontalen Fensterrahmen unterstützt. Walter und Tarek sind in ein freundschaftliches Gespräch vertieft. Tarek schlägt Walter vor, dass sie gemeinsam Musik machen könnten und sich schliesslich den Gewinn aufteilen könnten. Er wurde für das Gespräch vom Musiker inspiriert, der auf der anderen Seite der Gleise zwischen ihren Köpfen spielt. Die Gesprächspartner sind der Kamera nah, das Thema worüber sie sprechen noch in der Ferne.

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Mouna steht vor der Ausschaffungshaft, wo ihr Sohn festgehalten wird. Sie befindet sich genau in der Flucht des Gebäudes, entlang von welchem die Strasse verschiedene Richtungen einschlägt. Mouna steht vor einem schwierigen Moment. Einerseits weiss sie nicht, ob alles wieder gut kommen wird oder nicht. Andererseits muss sie auch später eine ganz wichtige Entscheidung fällen. Will sie ihrem Sohn nach Syrien in ihre alte Heimat folgen und wissen, dass sie nicht mehr in ihre aktuelle Heimat in Amerika zurückkehren kann. Oder entscheidet sie sich für ihren gewohnten Alltag. Mouna sitzt hinter einer verregneten Scheibe. Sie musste vor einigen Momenten erfahren, dass ihr Sohn nach Syrien ausgeschaffen worden ist. Die Scheibe kann als Zeichen dafür interpretiert werden, dass sie nun von ihrem Sohn getrennt ist und die Regentropfen unterstützen ihre tiefe Trauer.

Schnitt und Übergangseffekt: Die Kameraeinstellungen werden jeweils ohne Übergangseffekte eingefügt. Viele Schnitte wirken relativ hart. Auffällig ist, dass die Musik im Film wie auch die Filmmusik häufig schon vor dem optischen Szenenwechsel eingeblendet werden. Auf diese Weise geschieht es zum Beispiel, dass man die Trommelschläge der Strassenmusiker schon hört, wenn die Kamera noch auf Bilder in der U-Bahnstation gerichtet ist.

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Symbolanalyse Walter bekommt als Abschiedsgeschenk von Mouna und Zainab ein selbstgeknüpftes Freundschaftsband. Ein Freundschaftsband hat seine Bedeutung über die Kulturgrenzen hinweg, (auch hier in Europa ist es bekannt) und ist, wie der Name bereits sagt, einerseits ein Band, welches die Freundschaft zeigen und aufrechterhalten soll, andererseits dienst es hier als Dankeschön für seine Hilfe und Anteilnahme. Auch Walters Kleidung -immer in Anzug und Krawatte- strahlt ein gewisses Statussymbol aus. Obwohl er mit Leuten aus verschiedenen Kulturen die Trommel spielt und sich auf sie einlässt, tauscht er seine Kleidung, die seinen Lebensstandard verrät, nicht ein. Er behält seine Wurzeln und hat immer noch das gleiche Leben, er hat „bloss“ eine etwas andere Leidenschaft gefunden. Wir begrüssen es, dass er seinen Stil beibehält, es zeigt eine grössere Wirkung, weil es zur Reife und Persönlichkeit von Walter passt. Auch die zwei Musikinstrumente an sich müssen als Symbole gedeutet werden. Auf der einen Seite steht das Klavier, welches als Symbol für die bürgerliche, reiche und bildungsnahe Familie steht. Ganz im Gegensatz dazu das Djembe: Es ist ein Rhythmusinstrument, welches mit Intuition, Gefühl und Gemeinschaft verbunden. Klavier zu spielen hat meistens seine klaren Vorgaben und Techniken, es ist eher ein Soloinstrument. Das Djembe alleine zu spielen macht dagegen nicht viel Sinn und Spass -ausser man ist gerade am Üben- sondern es braucht andere, die mitwirken und zusammen den Weg und Rhythmus finden. Klavier

Djembe

-

klare Vorgaben

-

Intuition

-

eher Soloinstrument

-

eher Begleitinstrument

-

in Europa verbreitet

-

aus Afrika stammend

-

klassisch

-

unkonventionell

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Musik, die im Film verwendet wird und ihre Bedeutung

In diesem Unterkapitel werden wir die Beobachtungen im Bezug auf unsere Fragestellung analysieren. Wir haben einige wichtige Stellen herausgeschrieben, sie sind der Reihe nach geordnet und beantworten, in welchen Situationen die Musik präsent ist, welchen Einfluss sie auf den Verlauf des Filmes haben und wie die Musik eine kulturelle Verbindung darstellt. 1. Der Film beginnt mit einer Klavierstunde. Die Klavierlehrerin ist sehr streng und konservativ. Sie behandelt Walter wie ein Kind und ist im Grunde genommen nicht an seinen Fähigkeiten, sondern nur an seinem Flügel interessiert. Auch vermindert sie das sonst bereits tiefe Selbstwertgefühl von Walter indem sie ihm deutlich zu verstehen gibt, dass seine natürliche Begabung fürs Klavierspielen fehlt. Der Zuschauer weiss von diesem Punkt an, dass Walter sicher nicht mehr Klavierspielen wird/will und dass er dabei auch nicht glücklich werden kann. (Ausschnitt: 01’20-03‘35 ) 2. Nach einem unbefriedigenden Arbeitstag flüchtet Walter zu Hause erneut in die Welt der klassischen Musik um sich abzulenken und Ruhe zu finden. Auch scheint es so, als ob er in seiner Verzweiflung einen letzten Versuch am Klavier startet, obwohl er dann schlussendlich definitiv resigniert. (Ausschnitt: 06’35-06‘59) 3. Walter und Tareks erstes, gemeinsames Gesprächsthema ist auch wieder die (klassische) Musik. Man erkennt die beiden zwar nur selten zusammen auf einer Kameraeinstellung, ihre Welten sind noch immer getrennt. Aber das verbindende Element der Musik wurde in diesem Moment gefunden. (Ausschnitt: 13’50-14‘29) 4. Als Walter beim Rückweg zu seinem Arbeitsort zwei Strassenmusikern beim Spielen auf umgedrehten, leeren Farbkübeln mit 15

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Schlagzeugschlägern zuschaut, spürt er, dass ihn den Rhythmus packt und er von ihm gefesselt wird. Einen Tag später isst er bereits an diesem Ort zu Mittag. Dies lässt den Zuschauer ahnen, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist, dass er sich von Strassenmusikern begeistern lässt. (Ausschnitt: 17’44-18‘43) 5. Als er von einem weiteren Tag der Konferenz nach Hause kommt, übt Tarek auf seiner Djembe und Walter erlaubt ihm, weiter zu spielen. Im Gegensatz zum Anfang des Filmes ist er auf eine positive Art gleichgültiger geworden und offen, Neues zu sehen, hören und lernen. (Ausschnitt:18’48-19‘35) 6. Alle drei besuchen gemeinsam einen Gig von Tarek mit seiner Band. Zainab ist absolut nicht begeistert, dass Walter sie begleitet. Hier ist die Musik als Unterhaltungs- und nicht in erster Linie als Bindungselement zu verstehen. Es ist Tareks Leidenschaft, aber auch sein geliebter Job. (Ausschnitt: 21’46-22‘46) 7. Walter versucht sich das erste Mal im Djembe spielen. Er ist noch schüchtern, aber es macht ihm auf Anhieb Spass. Auch als Tarek ihn beim Spielen erwischt, wird er für seine ersten Schritte nicht getadelt, sondern erhält ein Kompliment. Bereits hier erklärt Tarek, dass es beim Trommeln um ein Gefühl geht und nicht um den Verstand: „Walter, ich weiss, Sie sind ein kluger Mann, aber mit der Trommel müssen Sie darauf aufpassen, nicht zu denken. Durch das Denken wird alles vermasselt.“ Das Trommeln durchbricht eine Wand, die Walter in der Vergangenheit aufgebaut hat. Er wirkt das erste Mal im Film wirklich fröhlich und entspannt und er lacht sogar herzlich. Diese Szene ist ein schönes Bild für das Ausbrechen von Walter aus seinen bekannten Normen und Regeln. Die Metapher mit dem Takt ist hier geradezu selbsterklärend, denn die klassische Musik funktioniert in 4-4teln, was Walter offensichtlich zu schaffen gemacht hat, denn kaum kann er aus diesem strikten Muster ausbrechen, kann er aufhören zu denken. Es scheint, als ob es ein Augenblick ist, in dem er Freiheit erlebt. (Ausschnitt: 23’05-26‘25)

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8. Der Höhepunkt des Filmes und des Musizierens ist das Spielen im Park. Für Walter braucht es zu Beginn eine grosse Überwindung und das Ermutigen von Tarek, der dies auch ganz geschickt anzustellen weiss: „Ach kommen Sie, ist doch leicht. Warten Sie einfach, bis Sie es spüren.“ Lebensfreude (in Verbindung mit Freiheit) ist nicht eine Sache von genügend Geld oder einem gut-bezahlten Job, sondern ein Gefühl. Das Gefühl für sein Tun eine Leidenschaft und Freude zu empfinden/entwickeln. Wie bereits oben erwähnt, passt Walter zwar äusserlich nicht in diese Szene im Park, aber dadurch, dass es nicht um materielle Dinge, auch nicht um Ehre oder Anerkennung von Aussen geht, sondern um Emotionen und Mut, kann sich Walter frei „bewegen“. Musik ist nicht einer Kultur zuzuschreiben und für alle anderen unzugänglich. Selbstverständlich sind gewisse Kulturen anders geprägt, aber im Grunde genommen geht es um die Herzenshaltung dahinter. Und das ist genau das schöne an der Musik, dass sie über die Kulturgrenze hinaus ihre Wirkung entfalten kann. Wir sind uns dessen bewusst, dass das gerade erwähnte auch auf den Schluss des Filmes übertragen werden müsste. Es würde implizieren, dass Tarek trotz seiner Gefangenheit frei sein kann. Einen kurzen Augenblick kommt dies beim zweiten Besuch in der Anstalt auch zum Vorschein. Walter muss Tarek zeigen, woran er gerade übt und spielt ihm auf dem Besuchertisch einen Rhythmus vor, während Tarek den Takt mit seinem „Herzschlag“ angibt. Aber auch wenn wir behaupten, dass dem so sei kann, ist es ein Unterschied, in welchen Umständen man sich gerade befindet. Klar gibt es begünstigende und hemmende Umstände für das Erleben von Freiheit. (Ausschnitt: 32’16-34‘18) 9. Auch nur eine knappe, aber deutliche, und bedeutsame Anspielung auf die Bedeutung der Musik für Tarek kommt von ihm selbst, als es ihm im Gefängnis verzweifelnd fragt: „Ich möchte einfach mein Leben leben und meine Musik spielen. Was ist daran so falsch?“ Er möchte frei sein, und Freiheit hat für ihn die Implikation von Leben leben und Musik spielen. Weil ihm dieser Wunsch durch die Ausschaffung verwehrt wird und um ihm eine letzte Ehre zu erweisen, weil sie nicht 17

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mehr die Chance hatten, zusammen in der U-Bahn zu musizieren, aber auch um seinen eigenen Frust und seine Hilflosigkeit irgendwo zu deponieren, beginnt Walter ganz am Schluss des Filmes in der U-Bahn Station Djembe zu spielen. Das Leben in NYC geht –ob mit einem Migranten mehr oder weniger- normal weiter: die Züge fahren, die Leute hetzen durch die U-Bahn Station. Doch für Walter wird das Leben nie mehr gleich weitergehen, denn auch er hat durch die Musik ein Stück Lebensfreude und Freiheit (zurück)gewonnen. (Ausschnitt: 46’00-48‘05 ) 10. Wieder daheim ist Walter zwar erneut alleine in seinem grossen Haus, doch die Atmosphäre hat sich geändert. Er isst mit der Trommelmusik von Tarek Frühstück, übt zu Hause in seiner Unterhose die Djembe, verkauft seinen Flügel und klopft auch bei geschäftlichen Besprechungen mit seinen Fingern beliebige Rhythmen. (Ausschnitt: 1‘10’50-1‘11‘24) 11. Eine nur kurze und doch verbindende Szene spielt sich beim Eintreten in seine Wohnung zurück in New York ab. Mouna hört die CD seiner Frau und findet grossen Gefallen an ihrer Musik. Auch wenn sie sonst (noch) nicht viel teilen, verbindet die Klassik die beiden auf eine schöne Art und Weise. (Ausschnitt:1‘12’00-1‘12‘49) McCarthys Aussage über die Kraft der Musik lässt sich in zusammenfassend folgendermassen übersetzen: „Sie überschreitet Grenzen und überwindet kulturelle Unterschiede. Sie ist etwas, dass uns alle verbindet. In der Befreiung, die man in der Musik finden kann, ist etwas sehr elementares und kraftvolles. Es gibt einen Grund, warum die Musik uns so emotional machen kann; weil sie rein ist.“ (http://www.thevisitorfilm.com/main.html, 12.11.10)

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Wie wird Migration im Film thematisiert? Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund Alle Menschen, die im Film vorkommen und keinen einheimischen Hintergrund haben, werden positiv dargestellt. Sie arbeiten um ihr Geld zu verdienen, sind freundlich und bemühen sich, nicht aufzufallen, weil sie wissen, was ihnen drohen könnte. Tarek ist sehr lebensfroh, korrekt und offen für neue Bekanntschaften. Man spürt seine Leidenschaft für die Musik, womit er auch seinen Lebensunterhalt verdient. Auch die Beziehung zu Zainab ist ihm sehr wichtig und das Einhalten der Regeln den USA. Doch auch wenn er die amerikanische Kultur in New York kennen gelernt hat, lebt er an ihrer Hektik vorbei und hält so weit wie möglich seine eigene Welt mit seiner eigenen Kultur aufrecht. Zainab verdient ihr Geld durch das Verkaufen von Handarbeiten. Auch sie verhält sich anständig und versucht sich, stark anzupassen. Im Vergleich zu Tarek ist sie jedoch sehr scheu. Man spürt ihre Angst, übers Ohr gehauen oder erwischt zu werden. Dies äussert sich darin, dass sie niemandem traut und es lange braucht, bis sie sich jemandem öffnet. Identität ist für Mouna ein wichtiges Thema. Man spürt, dass sie bereits einiges erlebt hat und beide Kulturen (Syrien / Amerika) sehr genau kennt. Durch ihre dankbare und zufriedene Art, gelingt es Mouna sehr gut, trotz oder wegen ihrer palästinensischen Wurzeln, ein angepasstes und unauffälliges Leben in Amerika zu führen.

Darstellung von Menschen ohne Migrationshintergrund Walter ist ein einsamer Amerikaner Bürger aus der höheren Mittelschicht. Auch wenn diese Einsamkeit erst seit dem Tod seiner Frau eingetreten ist, scheint sie typisch für die westliche Kultur, die oft keinen grossen Wert auf Gemeinschaft und auch immer weniger auf Familie legt. Ebenso interessiert sich Walter im Voraus nicht für Leute mit anderen kulturellen Hintergründen und er hat keine Ahnung, wie das amerikanische System (im 19

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Bezug auf Migranten) funktioniert. Zu Beginn ist sich Walter auch unsicher, ob er seine Komfortzone verlassen möchte und Zainab und Tarek wirklich helfen soll. Doch als er über seinen eigenen Schatten springt, weil er realisiert, dass er eigentlich nichts zu verlieren hat und immer mehr in die Welt der „Ausländer“ sieht, spürt er, wie macht- bzw. hilflos er gegenüber dem System ist und seine menschliche Seite tritt zum Vorschein. Auch weitere amerikanische Bürger, die im Film gezeigt werden, z.B. Angestellte oder Wirtschaftsprofessoren, werden als funktionierende Marionetten in einem riesigen System dargestellt. Die Angestellten auf dem Migrationsamt haben z.T. selber keine Ahnung, machen bloss ihren Job und sind froh, wenn man sie in Ruhe lässt. Walters Arbeitskollegen sind beschäftigte, erfolgreiche Banker, an denen das Leben ausserhalb ihrer Routine und Tradition völlig vorbeizieht.

Generationenverhältnis bei Migranten Die Unterschiede zwischen westlichen und abendländischen Kulturen kommen in den zwei „Familien“ klar zum Vorschein. Mouna ist sehr besorgt um ihrem Sohn, wohingegen Walters Nicht-Wissenheit über das Leben seines Sohnes erschreckend ist. Tendenziell hat die Familie in „ärmeren“ Ländern einen hohen Stellenwert, weil sie auch als Altersvorsorge mehr in Anspruch genommen wird / genommen werden muss. Die Tendenz, dass Walter keine oder nur eine oberflächliche Beziehung zu seiner Tochter pflegt, bzw. dass die Familie neben Freizeitaktivitäten, Karriere, Freunden und/oder eigenen Interessen „halt“ auch noch existiert, ist auch in unserer Gesellschaft zu beobachten.

Unterschied Frau ßà Mann Vergleicht man die zwei Frauen mit den beiden Herren ist klar ersichtlich, dass sich die Frauen viel mehr und grössere Sorgen um ihre Umwelt bzw. um ihre Mitmenschen machen. Dass Tarek die Auseinandersetzungen mit seiner Freundin mit Zärtlichkeiten und Komplimenten löst und dass Walter sie mit Geld und Status aus dem Weg zu schaffen versucht, scheint 20

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irgendwie „typisch“ für das männliche Geschlecht. Dies ist nicht negativ gemeint, denn sie sind es auch, welche (meistens) den kühlen Kopf bewahren und am Schluss die Verantwortung tragen.

Darstellung von Stereotypen, werden sie bestätigt oder relativiert? Dass Migranten nicht arbeiten und, dass sie überall vom gutfunktionierenden System des Landes, in welches sie einreisen, zu profitieren versuchen, bestätigt sich in diesem Film nicht. Genaueres dazu wurde oben bereits erwähnt. Auch das stereotypische, „afrikanische“ Temperament ist nur bei Tarek zu erkennen. Zainab ist zu beängstigt um ihr Temperament oder ihre Gefühle preiszugeben. Es werden im Film also Ausländer dargestellt, welche die negativen Stereotypen-Bilder nicht erfüllen. Damit kann auf die negative Seite der Vorurteile aufmerksam und der Zuschauer nachdenklich gemacht werden, weil viele Menschen ausgeschafft werden, die sich eigentlich gut verhalten und sich sehr bemühen. Das grösste Vorurteil wird aber durch die Tatsache relativiert, dass Tarek wirklich ausgeschaffen wird. Er ist schlicht keiner, der vom amerikanischen System profitiert und am Schluss endet nicht alles gut und glücklich. Walter bestätigt die Vorurteile eines Wirtschaftsprofessors immer weniger. Zu Beginn des Filmes „spielt“ er noch Klavier bzw. Mozart und wohnt in einem grossen Haus. Er ist sehr reserviert und empfindet keine Leidenschaft für seinen Beruf. Wie er vor dem Tod seiner Frau war, kann man nicht wissen. Doch sein Umfeld (Arbeitskollegen) verrät etwas, von dieser habituellen, Geld-orientierten Haltung. Im Laufe des Filmes kommt Walter richtig aus sich heraus, zum Beispiel am Schalter der Ausschaffungsanstalt. Er erkennt sich fast selber nicht mehr, dass er so ausrasten und für jemanden eine derart tiefe Empathie entwickeln kann, hätte er sich nicht (mehr) erträumen lassen.

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Urteil von Menschen mit Migrationshintergrund Die Tatsache, dass die Thematik der „unfairen“ Ausschaffung offengelegt wird, und die Zuschauer zum Nachdenken animiert werden, wird der Film von den dargestellten Migrationsnationen vermutlich gutgeheissen. Sie werden sehr politisch neutral und menschlich dargestellt, auch wird kein moralisches Plädoyer für eine unrealistische Gleichberechtigung propagiert, sondern ruhig und klar „Fakten“ aufgetischt. Dieses Nicht-Moralisieren hat weit die grössere Wirkung, als das Malen eines idealisierenden, unerreichbaren Bildes. Mouna bringt es selber auf den Punkt, indem sie die amerikanische (Ausschaffungs-)Politik auf dieselbe Stufe wie in ihrer Heimat stellt, was die Augen für die Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund definitiv öffnet. „Das ist wie in Syrien.“ Eventuell fehlt das Leben, wie es nach der Heimkehr weiter geht in der filmischen Umsetzung. Es ist „Schnitt“ dort fertig und über das Weitergehen wird der Zuschauende in Unwissenheit gelassen. Wie schlimm es ist, wenn man ausgeschaffen wird und keine richtige Heimat mehr hat? Auch wenn man diese Frage nicht zu beantworten braucht, gibt der Film einen tiefen Einblick in eine traurige Tatsache.

Pädagogisches Konzept: Die Zielgruppe sind sicherlich Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Oberstufenzeit. Der Film kann gut in die Migrationsthematik (bzw. Politik) eingebettet werden oder dann beigezogen werden, wenn jemand aus der Klasse ins Herkunftsland zurückgehen muss. Man kann davon ausgehen, dass die Musik für die Integration von Tarek in Amerika eine sehr entscheidende Rolle gespielt hat. Eine vergleichbare Rolle könnte in einem anderen Fall dem Sport zugeschrieben werden. Wir möchten in unserer körperorientierte Methode allerdings auf die Musik eingehen, weil sie im Film entscheidend ist. Diese kann gut als Einstieg in die Thematik verwendet werden, der Film wird erst anschliessend thematisiert. Unserer Meinung nach ist es sinnvoll, den gesamten Film an einem Stück mit der ganzen Klasse anzusehen, denn nur so erlangt dieser bei den Zuschauern seine 22

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ganze Wirkung. Einzelne Ausschnitte können später natürlich nochmals thematisiert und analysiert werden.

Körperorientiert Ein wichtiger Bestandteil, der die Freundschaft von Tarek und Walter entstehen und immer grössen werden liess, war das gemeinsame Musizieren. Wir schlagen daher vor, im Rahmen des Musikunterrichts verschiedene Gruppenrhythmen zu klatsch oder diese eventuell mit verschiedenen Perkussionsintrumenten zu spielen. Interessant ist dies ebenfalls, wenn für die Geräusche verschiedene Gegenstände aus dem Schulzimmer verwendet werden können (zwei Bleistifte werden gegeneinander geschlagen, mit den Händen wird auf dem Tisch oder einem Schrank getrommelt). Dabei soll es Raum für Improvisation geben.

Handlungsorientiert Im Folgenden ist eine Fragestellung formuliert, welche die Schülerinnen und Schüler in vierergruppen ausarbeiten sollen. Dabei erhält jede Schülerin und jeder Schüler eine Rolle zugeteilt, welche er für die Gruppenarbeit einnimmt. Schlussendlich entsteht eine inszenierte Darbietung jeder Gruppe. Auftrag Schülerinnen und Schüler: Situation: Kurz nach der Ausschaffung von Tarek trifft sich Walter mit seinem früheren Freund Fred zum Mittagessen. Fred ist seit über 10 Jahren in der Ausschaffungsbehörde tätig. Auftrag: 1. Verteilt die folgenden Rollen untereinander auf: Walter: Studiert mit den anderen Gruppenmitgliedern eine Diskussion ein und präsentiert diese anschliessend vor der ganzen Klasse. Fred: Studiert mit den anderen Gruppenmitgliedern eine Diskussion ein und präsentiert diese anschliessend vor der ganzen Klasse.

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Protokollführer: Studiert mit den anderen Gruppenmitgliedern eine Diskussion ein. Er hält den Ablauf und die Argumente der beiden Gesprächspartner fest. Regisseur (Gruppenchef): Studiert mit den anderen Gruppenmitgliedern eine Diskussion ein. Er entscheidet darüber, wie gewisse Gesprächselemente eingebracht werden und wie das ganze dargestellt wird. Er ist verantwortlich, dass alle aus der Gruppe mitarbeiten. 2. -Walter sammelt gemeinsam mit dem Protokollführer Argumente, welche die Ausschaffungspolitik, wie sie im Film dargestellt wird kritisieren. -Fred sammelt gemeinsam mit dem Regisseur Argumente, welche begründen, warum die aktuelle Ausschaffungspolitik notwendig ist. 3. Tragt alle Argumente zusammen und überlegt euch, wie ihr sie in einer Diskussion zwischen Walter und Fred darstellen könnt. Das Theater soll auch einen inszenierten Anfang und Ende haben.

Abschliessende Diskussion In einer abschliessenden Diskussion können die Argumentationen nochmals zusammengetragen werden. Dabei fallen möglicherweise verschiedene Fragen an, die miteinander besprochen werden können.

Kognitiv orientiert Im Geschichtsunterricht ist es möglich, mit den Schülerinnen und Schülern auf die Ausschaffungssituation in der Schweiz einzugehen. Eine solche Thematisierung muss aber gründlich vorbereitet werden, damit die Lehrperson die Grundlagen kennt und sich auch über die verschiedenen Ansichten ihnen bezüglich im Klaren ist. Es müsste sicherlich auch thematisiert werden, welche Gesetzesgrundlagen darüber entscheiden, ob jemand eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz bekommt oder nicht. Ebenfalls zentral dabei sind die Schwierigkeiten diese Gesetzesgrundlagen zu 24

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interpretieren. (Anhand realen Fällen aus der Zeitung oder Ähnlichem, können bestehende Gesetzesgrundlagen betrachtet und deren Grenzen angeschaut werden. Es könnten auch Schwierigkeiten diskutiert bzw. gespielt werden, vor die ein Richter/ eine Richterin gestellt wird, wenn er/sie über einen Fall entscheiden muss.)

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Bibliographie Literatur: Klant, Michael. Spielmann, Raphael. (2009) Grundkurs Film 1. Kino Fernsehen Videokunst. Braunschweig: Schroedel Internet: Quelle Fotos: http://www.kino.de/kinofilm/ein-sommer-in-new-york-thevisitor/108701.html Quelle Spannungskurve im Drama: http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_drama/drama_2_1_4. html Quelle Filmzusammenfassung: http://www.moviepilot.de/ Weitere Quellenangaben: http://www.thevisitorfilm.com/main.html, 12.11.10

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Anhang Filmmaterial auf der DVD Die Sequenzen sind aus dem Film herausgeschnitten. Falls mit dem offiziellen Film gearbeitet wird, können die angegebenen Zeiten zu den Sequenzen benutzt werden. Musikszenen: 1.

01’20-03’35

àKlavierstunde

2.

06’35-06’59

àKlavier üben (Klassische Musik als Ablenkung)

3.

13’50-14’29

àTarek und Walter reden über klassische Musik

4.

17’44-18’43

àStrassentrommler

5.

18’48-19’35

àWalter lässt Tarek in der Wohnung Djembe üben

6.

21’46-22’46

àGig Tarek

7.

23’05-26’25

àWalter übt Djembe

8.

32’16-34’18

àDrumsircle

9.

46’00-48’05

àTrommeln in der Abschiebungsanstalt

10.

1‘10’50-1‘11’24

àWalter hört Tareks CD

11.

1‘12’00-1‘12’49

àMouna hört CD von Walters Frau

Weitere wichtige Szenen: 12. 05’30:

Kameraperspektive: Chef von Walter

13. 07’55:

Tonmaterial: Walter kommt in Wohnung in NY an (keine Geräusche)

14. 29‘50:

Amerikaner: Frau auf Markt spricht mit Zainab

15. 31‘49:

Kameraeinstellung: Walter und Tarek sitzen in UBahnstation

16. 35.10

Verhaftung Tarek

17. 40’35:

Walters erster Besuch in der Ausschaffungsanstalt

18. 1‘13’40:

Tarek verzweifelt in der Ausschaffungsanstalt

19. 1’21.43:

Walter rastet in der Ausschaffungsanstalt aus

20. 1‘26’45:

Zainab erfährt von Tareks Abschiebung 27