Med thema 11-12v4.qxd

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 090

MEDWELL Autoimmunerkrankungen

»kannNiemand immer nur bergauf gehen.«

Ex-Skirennläufer Gernot Morgenfurt, 47, MS-Patient, nahezu völlig erblindet, erzählt uns exklusiv seine Geschihcte

TAUSEND GESICHTER Zwei Betroffene sprechen über ihr Leben mit Multipler Sklerose – Zwei Erfahrungsberichte Text: [email protected]

090 ■ WELLNESS MAGAZIN 11/12

Fotos: © Gettyimages, Thinkstock

EIN SCHICKSAL,

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 091

Portrait Inhalt

ie in Was S y erwartet Stor rsonen 00 Pe dieser

12.5 offene n rund ). Zwei Betr iedlie id le rreich tersch e (MS n Öste ler Skleros hten, die un er Gernot ip ic Mult nnläuf esch unter ihre G n: Ex-Ski-Re er körperlis n u n te ein erzähle sein könn t der trotz s h wahre m g oc u n in a r k r b e r ll B. che imm rt vo u n f e n g ge Mia e n n g u ju r e ie d Mor d nach ehin und rt), die chen B leistungen e d n ä ge erfest an Meist edaktionell sdruck r n e e m id a e (N ren L nose 13 Jah e Fehl-diag ein … glaubt

I

»Weltweit wird fast keine andere neurologische Erkrankung so intensiv erforscht wie die multiple Sklerose. Trotzdem sind die auslösenden Ursachen der Krankheit noch nicht genau bekannt. Außerdem verläuft die Erkrankung anfänglich oft stumm, das heißt, bei Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung ist das Zentralnervensystem bereits geschädigt. Diese Vorgänge können zur Zeit nicht rückgängig gemacht werden, eine Heilung ist daher nicht möglich. Im Rahmen der Rehabilitation ist jedoch eine Zustandsverbesserung bei fast allen Patienten erreichbar.« Dr. Dieter Christöfl, Gailtal-Klinik, Abteilung für Neurologische Rehabilitation

RUN GSBERI AH

1

T CH

ER F

Med thema 11-12v4.qxd

„Mir hat es ein Licht ausgeknipst, und ein anderes ist angegangen“ Gernot Morgenfurt, Ex-Skirennläufer und Geschäftsmann, über sein Leben mit MS

Wahrscheinlich hat auch er sich gesagt „Behindert sein oder gar blind – das passiert anderen, mir doch nicht!“ Das tat es aber! Einst fuhr er Skirennen mit Marc Giradelli und Armin Assinger, wurde Tischlermeister, gründete eine Familie, eine Firma … und Anfang der 90er Jahre erkrankte er an MS. Morgenfurt, Jahrgang 1965, wurde - schon stark gesundheitlich beeinträchtigt – zum erfolgreichen Geschäftsmann und steht auch heute, nahezu erblindet, privat wie beruflich mitten in einem zufriedenen und bewegten Leben. „Das war's, ab jetzt geht es bergab“? Diese Reaktion erwartet man wohl nach Diagnosen dieser Art, nicht so Gernot! Bergab ging es mit ihm stets nur auf Skiern. Von Anfang an trotzt er dem Handikap, kanalisiert die mentale Stärke des Leistungssportlers in die richtigen Kanäle. Dort wo die meisten anderen leiser treten, gibt er Gas, wagt sogar den Schritt in die Selbständigkeit. Den Rennsport hängte er früh an den Nagel, schon mit 23 wollte er mehr. Als junger Tischlermeister zog er nach Deutschland, wo er einen besonderen Natursteinbodenbelag (Strizo) kennenlernte, den er als Generalvertreter nach Österreich brachte. Er lebt mit seiner Frau und seinem 18 jährigen Sohn in Techendorf am Weißensee. 2004 beförderte ihn ein MS-Schub direkt in den Rollstuhl. Sofort bekam er die jedem MS Kranken bekannten Kortison-Flaschen zur Entzündungshemmung, begann aber schon im Krankenbett mit Training und Therapie. Im Dezember 2005 verlor er innerhalb einer Stunde sein Augenlicht, wusste aber, jetzt zählt jede Sekunde. Er kam rasch „an die Flasche“ und erreichte, dass er wieder etwas „Helles“ sehen konnte. In Folge ließ sich Gernot spezielle Nährstoffkapseln für die Augen zusammenstellen, er nimmt täglich u.a. „sein Aloe Vera“, vertraut auf Schüssler Salze, ist ein Befürworter alternativer Methoden. „Jeder kann das Richtige für sich finden, es lohnt sich, dem Körper, der durch die Medikamente geschwächt ist, auf andere Weise Energie zuzuführen.“ Die Spritzen (Rebif/Interferon) setzte er inzwischen ab, nicht ohne Widerstand aber natürlich unter Aufsicht seiner Ärzte. Zur Zeit ist Gernot „auf Rehab“ in der Gailtal-Klinik in Hermagor, Kärntens Kompetenzzentrum für neurologische Rehabilitation. Vor gut einer Woche begann er auf der Slackline zu trainieren. Nach ein paar Tagen und ungezählten Versuchen schafft er sechs Meter, ohne fremde Hilfe! Wir treffen uns nicht zum Jammern! Er verfolgt seine Ziele mit maximaler Disziplin, auch wenn er sich für Menschen mit einer Behinderung stark macht, für die Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden im Speziellen. Er gründete 2002 eine Selbsthilfegruppe, die er nun in einen „Stammtisch“ umtaufte. „Wir treffen uns nicht zum Jammern sondern um eine gute Zeit zu verbringen. Freunde sind wichtiger als Geld und Macht!“

WELLNESS MAGAZIN 11/12 ■ 091

Med thema 11-12v4.qxd

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 092

MEDWELL Autoimmunerkrankungen

B

ei einer Autoimmunerkrankung reagiert das Immunsystem über. Weil es körpereigenes Gewebe nicht erkennt, wird es so wie ein Fremdkörper bekämpft. Dadurch kommt es zu schweren Entzündungsreaktionen, die zu Schäden an den betroffenen Organen führen. Bis dato sind rund 60 verschiedene Autoimmunerkrankungen bekannt. MS ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter.

digte Myelin kommt es zu Übertragungsfehlern in den Nervenfasern. Je nach dem, welcher Teil des zentralen Nervensystems entzündet ist, treten bei Betroffenen erstmals unterschiedliche Symptome auf, wie Kribbeln, Gefühlsverlust, Sehstörungen oder Schwierigkeiten beim Gehen.

Die Diagnose MS ist nicht einfach zu stellen. Bestätigt sich der Verdacht einer neurologischen Krankheit, werden Blutuntersuchungen und ein MRT (MagnetresonanzMultiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmun- tomographie) gemacht, denn auf den Bildern des MRTS sind erkrankung (multiple: viele, Skleros: hart – bezieht sich auf die herdförmigen Entzündungen im ZNS zu erkennen. Werdie entstehenden Narben), die das Zentralnervensystem den die speziellen Entzündungen auch im Liquor (Hirnwasser) (ZNS). Bei MS werden durch einen immunologischen Prozess nachgewiesen, ist die Wahrscheinlichkeit einer MS-Diagnose Entzündungen im Bereich das Myelins ausgelöst, der Schutz- groß, aber immer noch nicht bewiesen. Erst wenn das wiebzw. Isolierschicht der Nervenfasern. Diese Entzündungen derholte Kommen und Gehen von entzündlichen Herden stören die wichtigen Signalübermittlungen, durch das beschä- nachgewiesen ist und Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen sind, wird Multiple Sklerose vom Arzt endgültig diagnostiziert. Beim Großteil der MS-Patienten, bei rund 90 Prozent, beginnt Statement Multiple Sklerose mit einem ersten Erkrankungsschub. Zu Beginn der ErDr. Volker Tomantschger , Facharzt für Neurologie krankung ist eine vollständige Rückbilund Psychiatrie, Gailtal-Klinik Hermagor über Grendung der Symptome möglich. Später zen und Chancen der Therapie bleiben neurologische Defizite bestehen. urch die Rehabilitation sollen Patienten selbstständig einen möglichst normalen Platz in der Gesellschaft und im Berufsleben einnehmen, aber Frühe Therapie ist wichauch lernen, mit der chronischen Erkrankung zu leben. Studien zeigen, tig! Prinzipiell sollten MS-Patienten dass die Wirksamkeit der rehabilitativen Maßnahmen nach rund neun nach der Diagnosestellung so früh wie Monaten verloren geht. Deshalb ist es sinnvoll, die Rehabilitation kontinumöglich eine immunmodulierende ierlich zu wiederholen. Dank großer Fortschritte in der medizinischen Therapie beginnen, denn durch sie Forschung ermöglichen neue Medikamente, die anders wirken kann die Anzahl und der Schweregrad als die bisher eingesetzten Arzneimittel, eine gute Behandder Schübe und somit die Krankheitslung. Der monoklonale Antikörper (immunologisch aktives progression maßgeblich verringert Protein) dockt an die fehlgesteuerten körpereigenen Imwerden. Der Großteil der Medikamenmunzellen an und verhindert, dass diese durch die Blutte blockiert, bei noch relativ starken Hirn-Schranke und damit in das zentrale Nervensystem Nebenwirkungen, die Rezeptoren von gelangen. Entzündungsreaktionen werden so verringert. bestimmter Abwehrzellen (B- und TLymphozyten), die eine Immunreaktion, also einen Entzündungsprozess auslösen und zur Zerstörung des MyeMS-Experte Neurologe Dr. lins führen. Große Erfolge erzielen BeVolker Tomantschtroffene auch mit alternativen bzw. erger, beantwortet gänzenden natürlichen Heilmitteln und unsere Fragen Bewegungstherapien.

{ } Rehabilitation & neue Medikamente

D

092 ■ WELLNESS MAGAZIN 11/12

Med thema 11-12v4.qxd

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 093

Interview

»Die Macht der Gedanken« Für Gernot war klar, dass er die Krankheit beherrschen würde!

Wer glaubt, man zieht sich zum Gespräch in ein ruhiges, sicheres Plätzchen zurück, der irrt. Wir wandern! Am Seeufer entlang zu einem Kraftplatz. Einzig die Plakette für Blinde erinnert an Gernots Handikap. Er geht trittsicher ohne eine Sekunde zu straucheln. Gernot, Wege erkennst du mit der Kraft der Konzentration, Abläufe und Distanzen trainierst du, du hast offenbar deine Umgebung im Griff, nicht sie dich! Trotzdem: Wie gehst du mit der ständigen Unsicherheit um? Die Kurzschlüsse oder Kabelbrände durch die Autoimmunerkrankung kommen ja in Schüben, keiner weiß wann und wie – deshalb nennt man MS auch die Krankheit mit den 1000 Gesichtern. So war es auch bei mir. Ich war 28, als mir eines Tages das Essen aus dem Mund fiel. Die Diagnosen und Prognosen waren alles andere als rosig, aber für mich war von Anfang an klar, dass ich die Krankheit beherrschen werde, nicht umgekehrt. Daran änderten auch die Schübe in den Folgejahren nichts. Die Sichtweise macht es aus! Mit eisernem Willen und einer positiven Lebenseinstellung geht alles! Du kommst gleich auf den Punkt. Und es scheint zu funktionieren: Wer positive Energie ausstrahlt und positiv mit Situationen umgeht, wird auch positive Hilfe erhalten. Ganz logisch, ich denke und handle nach dem Prinzip der Anziehung. Mutter Theresa sagte, zu einer Anti Kriegs-Demo komme sie nicht mit, aber bei einer Friedens-Demo sei sie dabei! Stecken wir unsere Energie ins Dafürsein! Glauben wir an die Macht der Gedanken. Man ist seines Glückes Schmied. Niemand kennt seinen Körper besser als man selbst! Diese Einstellung ist bewundernswert, dennoch stockt einem beim Lesen eines Satzes aus deinem Buch* der Atem: „Eigentlich könnte ich noch glücklicher sein, indem ich auch noch taub wäre!“ Kannst du uns das bitte erklären. Das muss man aus der Situation heraus verstehen und auch aus meinem Ziel, andere durch Provokation wachzurütteln. Die Menschen ärgern sich über so vieles, sind ständig unzufrieden, jammern, über die Benzinpreise, dass der Fisch nicht gut zubereitet war, der Champagner zu warm serviert wurde, etc. Solche Probleme gibt es für mich nicht! Ich

Top Körperbeherrschung trotz Handikap: Gernot auf der Slackline

bin zufrieden und glücklich mit der Fülle an Leben, die ich immer noch habe. Ich gehe sogar so weit zu sagen, ich bin heute glücklicher! Ich sehe viel Schönes nicht mehr so wie früher, aber auch viel Hässliches muss ich nicht sehen! Bist du religiös, glaubst du ans Schicksal – mit dem man ja auch heftig hadern könnte? Das Göttliche finde ich in der Natur, nicht in der Kirche. Es gibt für mich etwas Großes, Übergeordnetes, aber ganz besonders glaube ich an meine Kraft. Jede Aufgabe, die mir gestellt wird, ist dazu da um sie zu lösen, an ihr zu wachsen. Wir lernen aus Niederlagen! Das klingt nach „Schicksal als Chance? Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass MS mir heute keine Energie abzieht, sondern dass ich aus dem Handikap Energie gewinne. Sicher, ich bin seit meiner Jugend als Skirennläufer extrem zielorientiert. Das Leben positiv sehen und es meistern, egal was kommt, kann aber grundsätzlich jeder schaffen!

per unterscheidet da nicht, was zuviel ist, ist zuviel! * Haben Sie noch Fragen? Sind Sie Betroffen? Gernot Morgenfurt hat sich bereiterklärt, Anfragen unserer Leser zu beantworten. Die ersten fünf Einsender erhalten überdies seinen Ratgeber „Wie ich mein Handikap verbessere“. Bitte richten Sie Ihre Anfrage an [email protected], wir leiten sie verlässlich und vertraulich weiter.

Sagst du dir nie, es hätte anders laufen können, wenn du früher vom Gas gegangen wärst, nicht ein Leben auf der Überholspur geführt hättest? Als ich schon gesundheitlich stark angeschlagen war, betrug mein Arbeitstag von Montag bis Samstag zwischen 12 und 14 Stunden, ich war extrem erfolgreich und hatte Spaß an meiner Tätigkeit. Da hätte ich früher auf meine Gernot Morgenfurt mit Frau, Freunde und seiner Therapeutin in der Gailtalklinik Ärzte hören sollen, denn Stress ist, wie ich heute weiß der Auslöser für die meisten Probleme. Man spricht viel von positivem und negativem Stress. Der Kör-

Med thema 11-12v4.qxd

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 094

RUN GSBERI AH

2

T CH

ER F

MEDWELL Autoimmunerkrankungen

»Was zunächst noch Hoffnungsfantasie war, wurde bald zu einem festen Glaubenssatz: Ich habe keine MS!« Die 30-jährige Mia B. über eine Diagnose, die höchst wahrscheinlich falsch ist

M

it 17 Jahren erfuhr Mia B. von ihrer MS-Diagnose, damals hatte sie ihren ersten und einzigen Schub. Danach stagnierte die Krankheit, die Ergebnisse der Kontrolluntersuchungen waren ausnahmslos positiv. Trotzdem befolgte die junge Salzburgerin den Rat der Ärzte und setzte die medikamentöse Langzeittherapie mit Rebif/ Beta-Interferon fort. An drei Abenden pro Woche spritze sich Mia selbstständig subkutan (unter die Haut). Während Altersgenossen Parties feierten, plante MS-Patientin ihren Lebensalltag genau, denn selbst ein Glas Wein vertrug sich nicht mit dem Medikament. Ihr Schicksal behielt die junge Frau für sich. Zu oft erlebte sie, dass Menschen in ihrem Umfeld nicht mit der Dia-

gnose einer schweren chronischen Erkrankung umzugehen wussten. Auch ihre Arbeitgeber klärte Mia nicht über die MS auf. Denn sie wollte keine „Extrabehandlung“ und schon gar kein Mitleid oder besondere Hochachtung, dass sie „trotzdem“ normal lebt, viel Sport macht, ein Studium absolvierte und lange Reisen unternimmt. Dass sich Mia B. im Lauf der Jahre von der Horrorvorstellung zukünftig im Rollstuhl sitzen zu müssen distanzierte, erzählt sie im Interview. Hilfreich für die Entwicklung eines intensiven Glaubens an ihre Gesundheit war dabei auch die alternativmedizinische, ganzheitliche Behandlung und natürlich ihre Familie, die Mia mit Rat und Tat zur Seite stand.

Auf einen Blick

Fakten zu MS Weltweit sind laut Schätzungen rund 2,5 Millionen Menschen von MS betroffen. Interessant ist, dass die Autoimmunerkrankung geographisch ungleich verteilt ist: um so weiter man sich vom Äquator entfernt, um so häufiger tritt MS auf. Meist wird MS zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert. Frauen sind fast doppelt so häufig betroffen wie Männer. In einer österreichischen MS-Prävalenz-Studie waren 71 Prozent der Patienten Frauen. Die Prognose des Krankheitsverlaufs wird bei Frauen in den meisten Fällen günstiger eingeschätzt. Arten von MS. Treten in einem Zeitraum von zehn Jahren keine Behinderungen auf, spricht man von einer milden MS (Benigne MS). Dem gegenüber steht die seltene Fulminante MS (nur fünf Prozent aller Patienten leiden daran), die rasch zu einer massiven Behinderung führt. In etwa drei bis fünf Prozent der Fälle treten die ersten klinischen Symptome vor dem 16. Lebensjahr auf, es handelt sich dann um die Juvenile MS. Einfluss von Stress und Infektionen. Wie Studien bestätigen, birgt Stress bei MS-Patienten ein maßgebliches Risiko für einen erneuten Erkrankungsschub. Die genauen Zusammenhänge zwischen entzündlichen Aktivitäten und Stress sind bis dato allerdings noch nicht geklärt. Auch Infektionen unterstützen die Entstehung von Entzündungsherden, vor allem Virusinfektionen der Atemwege. Denn nach einer Virusinfektion wird das Immunsystem des Körpers besonders aktiv, was gleichzeitig autoimmune Reaktionen verstärkt, wie jene der MS. Die virale Infektion selber löst aber keinen Schub aus. Erkrankungen, die MS imitieren können. In jedem Alter können andere entzündliche Erkrankungen des ZNS auftreten, die den Anzeichen von MS ähneln. Dazu zählen Gefäßentzündungen, rheumatologische Erkrankungen mit Gehirnbeteiligung und Migräne. Seltener können Schlaganfälle, angeborene Stoffwechselstörungen der Zellen oder schwere Vitaminmängel dem Erscheinungsbild von MS ähneln. In jedem Fall sind es schubförmig auftretende Krankheitsbilder.

094 ■ WELLNESS MAGAZIN 11/12

Interview

»Ein Leben ohne MS« Mia rät Betroffenen eine ergänzende Behandlung mit alternativen Heilmethoden Mia, du warst 17, fast noch ein Kind, als bei dir die ersten Symptome auftraten. Was geschah damals und wie bist du mit der Diagnose umgegangen? Ich begann plötzlich zu lispeln und konnte Wörter nicht mehr richtig aussprechen. Das ging über mehrere Tage so, worauf mich meine Eltern ins Spital brachten. Zunächst wurde ein Schlaganfall vermutet. Weitere Untersuchungen schafften Klarheit: es handelte sich um eine Entzündung, mehr erfuhr ich anfangs nicht. Nach einigen Tagen im Spital gingen die Symptome mithilfe einer Cortison Therapie vollständig zurück, ich war beruhigt. Bei der Entlassung schlug die Bombe dann ein: Im Beisein meiner verzweifelten Eltern klärte mich ein Arzt reserviert und gefühllos darüber auf, dass ich für den Rest meines Lebens unter der schweren chronischen Erkrankung MS leiden würde. Für mich und meine Familie brach erst einmal die Welt zusammen. Diese erste Erfahrung war sicher schlimm für dich. Wurdest du danach medizinisch und psychologisch besser betreut? Wer stand dir zur Seite? Leider kam ich auch danach an eine inkompetente Psychotherapeutin, nach wenigen Monaten brach ich die Therapie ab. Medizinisch wurde ich aber von einer sehr bemühten Neurologin betreut, die ich bis heute ein bis zweimal jährlich aufsuche. Natürlich standen mir meine Familie und einige ausgewählte Freunde bei. Sie unterstützen mich in vielen Belangen. Wie erging es dir mit der medikamentösen Behandlung, traten Nebenwirkungen auf? Schlimm war anfangs die Lumbalpunktion, die wohl schmerzhafteste Untersuchung meines Lebens, die ich im Lauf des Diagnoseverfahrens mehrmals über mich ergehen lassen musste. Die Nebenwirkungen der Medikamente kosteten mich allerdings noch viel mehr Kraft. Drei mal wöchentlich bekam ich nachts im Anschluss an die Injektion Schweißausbrüche, Schüttelfrost und Fieber.

Med thema 11-12v4.qxd

29.10.2012

12:12 Uhr

Seite 095

Interview

Wenn der Bauch entscheidet

ist es, »dieWesentlich Diagnose als Aufforderung zu betrachten, und einen Weg des Hinschauens zu beschreiten. Mia B., 30

«

Während die Symptome bis zum Morgen verschwanden, blieb die Erschöpfung. Gleich welche Dosis ich mir verabreichte, am „Vormittag danach“ war ich äußerst depressiv und kam bis Mittag nicht in die Gänge. Im Sommer 2009 sollte sich nach einem Besuch einer Frauenärztin alles ändern. Diese meinte prompt, dass es sich bei dir um eine Fehldiagnose handle. Was geschah dann? Die Gynäkologin verwies mich an eine Allgemeinmedizinerin in Wien, die sich auf bioenergetische Behandlungsformen spezialisiert hatte. Dass ihre Praxis sehr überlaufen war, ließ mich schon vermuten, dass es sich um eine besonders gute Ärztin handelte. Die Ärztin stellte fest, dass ich unter einer Schwermetallunverträglichkeit und einer Amalgamvergiftung litt, wodurch die gleichen neurologischen Symptome und Ablagerungen im Gehirn entstanden, wie bei MS. In einem langwierigen Prozess wurde das Amalgam aus meinem Körper ausgeleitet. Dann, im Dezember 2011 setzte ich alle meine Medikamente ab, weil ich die Nebenwirkungen einfach nicht mehr ertrug. Seither fühle ich mich wie ein anderer Mensch, mir ist es nie zuvor besser gegangen als im letzten Jahr, sowohl physisch als auch psychisch! Die Ärztin geht davon aus, dass die auf den MRT Befundbildern sichtbaren Plaques vollständig zurückgehen werden. Dieser sichtbare Beweis für die Fehldiagnose steht bis jetzt noch aus. In einigen Monaten, bei der nächsten Kontrolluntersuchung, werde ich allerdings Gewissheit kriegen. Es sieht also wirklich so aus, als hätten dir die Ärzte eine Fehldiagnose gestellt. Bist du wütend? Nein, viel wichtiger ist, dass mir so zu sagen ein neues Leben geschenkt wurde. Ich verurteile die Schulmedizin keineswegs! Was ich allerdings jedem Betroffenen raten kann, ist verschiedenste Experten aufzusuchen, einen gesunden Lebensstil zu führen und eine ergänzende Behandlung mit alternativen Heilungsmethoden nicht auszuschließen. Die Auseinandersetzung mit der medizinischen Familien-Anamnese, der eigenen Psyche und dem Familiensystem scheint mir unabdingbar. Wesentlich ist, die Diagnose als Aufforderung zu begreifen, einen Weg des Hinschauens und ganzheitlichen Konfrontierens zu beschreiten und keinesfalls sie einfach so hinzunehmen und damit sich selbst aufzugeben! ■ WELLNESS MAGAZIN 10/12 ■ 095

Mag. Anita Frauwallner, Expertin für Darmgesundheit, probiotische Medizin (ÖPROM), im Gespräch

Neueste Publikationen zeigen spannende Wechselbeziehungen zwischen Darm und Gehirn. In Österreich hat sich das Institut Allergosan intensiv mit diesen Zusammenhängen auseinandergesetzt. Mag. Anita Frauwallner, CEO des Instituts, erläutert die wesentlichsten Studienergebnisse. Warum wussten wir bisher so wenig über unsere Darmflora? Die Komplexität des Darms und seiner Bewohner, der Darmbakterien blieb deshalb so lange verborgen, da wir erst seit etwa zehn Jahren in der Lage sind, das genetische Material von Bakterien zu untersuchen anstatt diese kultivieren zu müssen. Heute wissen wir: Es gibt viel mehr Bakterien in unserem Darm als menschliche Zellen und sie bestimmen über Gesundheit und Krankheit! Ohne unsere Bakterien wären wir aber auch nie in der Lage gewesen unsere geistige Entwicklung so voranzutreiben. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen unseren Darmbakterien und dem Nervensystem? Die neuesten Forschungsergebnisse weltweit deuten darauf hin, dass es einen unmittelbaren Konnex gibt. Wir finden dieselben Gewebeschäden im Gehirn von Alzheimerpatienten wie auch in ihrem Darm und wir nutzen dieselben Neuronen für Erinnerung im Gehirn, wie wir sie im Darm wiederfinden. Können probiotische Mikroorganismen das Gehirn beeinflussen? Ja! Wir sehen, dass unter Dauerstresseinwirkung eine Entzündungskaskade die Auflösung der Darmschleimhautbarriere im Darm bewirkt. Dies führt zu eklatanten emotionalen, kognitiven und mentalen Problemen, wie etwa Konzentrationsstörungen, chronischer Müdigkeit und Depressionen. Die in speziell entwickelten Probiotika verabreichten entzündungshemmenden Laktobazillus- und Bifidobakterienstämme erhöhen sofort die Produktion von speziellen Zytokinen, wodurch die Produktion von Stresshormonen und Neurotransmittern günstig beeinflusst werden kann. Was ist mit „Bauch-Hirn-Achse“ gemeint? Für die Depression scheint nach neuesten Erkenntnissen eine veränderte Funktion dieser Achse verantwortlich. Vielfach weisen depressive Patienten erhöhte Kortisol- und Kortikotropin – Releasing – Hormon – Spiegel auf. Das Vorhandensein krankmachender E. coli Bakterien trägt wesentlich zu einer Eskalation bei. Durch den Einsatz speziell entwickelter Probiotika kann diese Aktivierung von krankmachenden Keimen blockiert und so die Hormonspiegel normalisiert werden. Die Wissenschaft ist sich dessen bewusst, dass in Zukunft bei vielen nervlichen Problemen unsere Aufmerksamkeit vermehrt auf die probiotische Behandlung der Entzündungen im Magen- und Darmtrakt gerichtet werden muss. Dort sitzen jene probiotischen Bakterien, die uns helfen, Stress besser zu verarbeiten und vor allem die negativen Auswirkungen von Stress so aufzufangen, dass er uns nicht mehr schadet.