Ein Kind ‐ Zwei Sprachen Bedingungen und Perspektiven der Deutsch‐Türkischen Frühkindlichen Bildung am Beispiel Berlin Herausgeber Erol ESEN
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Ein Kind – Zwei Sprachen Bedingungen und Perspektiven der deutsch‐türkischen frühkindlichen Bildung am Beispiel Berlin Herausgeber: Erol Esen Umschlaggestaltung und Satz: Gamze Uçak ©Siyasal Kitabevi Tüm Hakları Saklıdır. Mai 2016, Ankara ISBN: 978‐605‐9221‐34‐4 Siyasal Kitabevi‐Ünal Sevindik Yayıncı Sertifika No: 14016 Şehit Adem Yavuz Sok. Hitit Apt. 14/1 Kızılay‐Ankara Tel: +90 (0) 312 419 97 81 Faks: +90 (0) 312 419 16 11 Druck: Desen Ofset A. Ş. Sertifika No: 11289 Birlik Mah. 448. Cad. 476. Sk. No: 2 Çankaya/Ankara Tel: 0 (312) 496 43 43 Bestellung: Siyasal Kitabevi Şehit Adem Yavuz Sok. Hitit Apt. 14/1 Kızılay‐Ankara Tel: +90 (0) 312 419 97 81 Faks: +90 (0) 312 419 16 11
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INHALTSVERZEICHNIS VORWORT ......................................................................................... 7 Erol ESEN Projektleiter Susanne VIERNICKEL Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter, ASH Berlin ERÖFFNUNGSREDE .......................................................................... 13 Ahmet Başar ŞEN Generalkonsul der Türkischen Republik in Berlin ZUSAMMENFASSUNGEN DER AUFSÄTZE ........................................ 21 KAPITEL I FRÜHE MEHRSPRACHIGKEIT IN FORSCHUNG UND PRAXIS Wissenschaftliche Diskussionen und Praktiken zur bilingualen frühkindlichen Bildung – Eine Einführung am Beispiel der Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin ....... 41 Erol ESEN und Anahita TAHERI Inhaltliche und praktische Überlegungen für einen deutsch‐türkischen Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung Ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse der Projekt‐Workshops in Berlin und in Antalya ................................. 141 Janina BISCHOFF 3
Die Mehrsprachigkeit im Kontext der aktuellen Diskussionen: Der soziolinguistische Ansatz ........................................................ 167 Mehmet CANBULAT Der Zusammenhang zwischen früher Sprachentwicklung und sozio‐emotionaler Entwicklung im Kontext von Mehrsprachigkeit .......................................................................... 185 Beyhan ERTANIR Von bilingualer Vorschulerziehung zu transnationalen Bildungskonzepten: Über die Bedeutung von Migrantensprachen als Bildungsressource in Einwanderungsgesellschaften am Beispiel von ‚Türkisch als Fremdsprache‘ ...................................... 205 Almut KÜPPERS Die Auswirkungen der Benutzung der Muttersprache von türkischstämmigen Schülern in Belgien: Schulerfolg und Schulzugehörigkeitsgefühl ............................................................. 233 Orhan AĞIRDAĞ KAPITEL II METHODEN UND INSTRUMENTE FÜR SPRACHERWERB UND SPRACHBILDUNG HAVAS 5 – Ein mehrsprachiges Verfahren zur Sprachstandsanalyse ..................................................................... 255 Bilge YÖRENÇ Mythen und Fakten über die Mehrsprachigkeit: Spracherwerb und Sprachbildung ......................................................................... 277 Natalia GAGARINA und Antje SKERRA
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Lehrprogramme für das Fach ‘Türkische Sprache und Kultur’ mit Bezug auf Kinderspiele .................................................................. 291 Ülker ŞEN „MuM‐Multi: Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit – Wirksamkeit und Wirkung von ein‐ und zweisprachigen fach‐ und sprachintegrierten Förderungen auf sprachliches und fachliches Verstehen .............. 309 Meryem ÇELİKKOL Alphabetisierung in Zwei Sprachen (Deutsch ‐ Türkisch) .............. 325 Ali UÇAR Ein allgemeiner Überblick über bilinguale Kindertagesstätten in Berlin ............................................................................................. 335 Mehmet ALPBEK Bilinguale Erziehung in der FRÖBEL‐Gruppe ................................. 349 Annegret KIESCHNICK KAPITEL III CURRICULARE ÜBERLEGUNGEN FÜR BILINGUALE LEHRKOMPETENZEN Überlegungen zum Aufbau eines internationalen Bachelor‐Plus‐ Studienganges „Bilinguale Bildung und Erziehung“ am Beispiel der Uludağ Universität ......................................................................... 359 Anastasia ŞENYILDIZ, Şeref KARA und Gülten GÜLER Die Bemühungen um eine Lehrpersonalausbildung für bilinguale Bildung in der Türkei ..................................................................... 371 Hatice BEKİR und Remzi AYDIN 5
Studiengang für die Ausbildung von Erziehern für bilinguale frühkindliche Bildung .................................................................... 379 Hatice BEKİR Ein neuer Studiengang zur Qualifikation für die Arbeit in bilingualen Kindertagesstätten ........................................................................ 411 Peter DOYÉ VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN ......................... 429
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VORWORT Die vorliegende Publikation des Zentrums für Europäische Studien an der Akdeniz Universität (AKVAM) stammt aus den Ergebnissen eines deutsch‐türkischen Modellprojekts. Das Projekt, das in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin im August 2014 startete und ein Jahr dauerte, zielte auf die frühe Bildung der in Deutschland lebenden Kin‐ der mit türkischer Herkunft ab. In der genannten einjährigen Phase des Projektes, kurz genannt „Bilinguale frühkindliche Bildung in Deutschland am Beispiel Berlin“, stand das Zu‐ sammentragen der ausgewählten wissenschaftlichen Diskus‐ sionen sowie der Erfahrungen über bilinguale frühkindliche Bildung im Mittelpunkt. Der Blick richtete sich dabei insbe‐ sondere auf Deutschland, und besonders auf das Land Berlin. Die Diskussionen und die Praktiken auf dem Gebiet der bilin‐ gualen Elementarbildung aus anderen Ländern und Kontinen‐ ten fanden jedoch auch Berücksichtigung im Modellprojekt, sofern diese für die in einer neuen Projektphase geplante Ent‐ wicklung eines deutsch‐türkischen Studienganges zur Ausbil‐ dung des Erziehungspersonals als wegweisend galten. Die Projektergebnisse wurden unterschiedlich erzielt: Neben den Recherchen der internationalen Literatur zum Spracherwerb und der frühen Mehrsprachigkeit konnten u.a. 7
die öffentlichen Diskussionen in Deutschland, sofern sich die‐ se in der Presse fanden, sowie die Erfahrungsberichte aus bilingual tätigen Kindertagesstätten ausgewertet werden. Ins‐ gesamt drei Workshops in Berlin und Antalya mit überwie‐ gend deutschen und türkischen Expert/innen aus Wissen‐ schaft und Praxis dienten zur Auswertung der aktuellen Dis‐ kussionen über frühe Mehrsprachigkeit sowie über mögliche Konzepte zur Ausbildung des pädagogischen Personals zur Elementarbildung. Das Projektteam nahm die Situation der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Berlin besonders unter die Lupe. Hierzu dienten zwei Projekttreffen, überwiegend mit Erzieher/innen und Elternvertreter/innen sowie Vertreter/innen von freien Trägern mit türkischem Mig‐ rationshintergrund in Berlin. Diskutiert wurden dabei die besonderen Hindernisse, die einem Schulerfolg der Kinder und Jugendlichen mit türkischer Herkunft im Wege stehen, zusammen mit ausgewählten Aspekten möglicher Lösungen. Neben diesen Berliner Gruppengesprächen führte das Projekt‐ team auch Einzelinterviews mit Expert/innen aus Wissen‐ schaft und Praxis ‐Forscher/innen, Erzieher/innen sowie sons‐ tigen Pädagog/innen und Mitarbeiter/innen der öffentlichen Verwaltung und der freien Wohlfahrtsverbände‐ durch. Ähn‐ liche Interviews fanden auch mit sonstigen freien Trägern der Kinder‐, Jugend‐ und Elternarbeit über die Berliner Grenzen hinaus, insbesondere für Migrant/innen statt. Im Weiteren erkundete das Projektteam durch eine Befragung unter den Berliner Eltern mit türkischem Migrationshintergrund deren Erwartungen und Standpunkte zur bilingualen deutsch‐ türkischen frühkindlichen Bildung. Die Publikation behandelt das Thema der bilingualen Elementarbildung, also der ‚Bedingungen und Perspektiven 8
der deutsch‐türkischen frühkindlichen Bildung am Beispiel Berlin‘ in einzelnen Beiträgen. Alle im Buch enthaltenen Bei‐ träge gehen auf die Präsentationen jeweiliger Autor/innen auf den bereits o.g. verschiedentlichen Projekttreffen zurück, die von AKVAM und der ASH Berlin organisiert wurden. Dieser nun in Deutsch und Türkisch vorliegende Band über Mehr‐ sprachigkeit in der Vorschulphase behandelt das Projektthema in drei Kapiteln: Das erste Kapitel „Frühe Mehrsprachigkeit in Forschung und Praxis“ fasst die internationalen Diskussionen über frühe Mehrsprachigkeit zusammen, führt in das Thema der mehrsprachigen Elementarbildung ein, stellt die Bedeu‐ tung und Funktion des frühen Zweitsprachenerwerbs heraus und verdeutlicht die Rolle der Herkunftssprache beim Sprach‐ erwerb hinsichtlich des späteren (Miss‐)Erfolgs in Schule und Beruf, insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund. Das zweite Kapitel „Methoden und Instrumente für Sprach‐ erwerb und Sprachbildung“ zeigt ausgewählte Verfahren, Lehrprogramme und Förderinstrumente zum allgemeinen Sprach‐ bzw. Zweitspracherwerb auf und versucht, ausge‐ wählte Kriterien für die Arbeit in bilingualen Kindertagesstät‐ ten zu identifizieren. In dem abschließenden dritten Kapitel „Curriculare Überlegungen für bilinguale Lehrkompetenzen“ geht es um die Ausbildung des Erziehungspersonals, das in den bilingualen Kitas eingesetzt werden soll. Ausgehend von der Tatsache der sprachlichen Bildung als der wesentlichen Grundlage für den Erfolg der jungen Generationen in Schule und Beruf will die vorliegende Publi‐ kation die wissenschaftlichen Diskussionen auf internationaler Ebene zusammenfassen und auf die vorzeigbaren Praktiken in der bilingualen Elementarbildung über den europäischen Kontinent hinaus hinweisen. Die jeweiligen Ausführungen 9
enthalten Argumente für eine bilinguale frühe Bildung, insbe‐ sondere der Kinder mit Migrationshintergrund, wie auch Ar‐ gumente für die Professionalisierung des bilingualen Erzie‐ herberufs. Auch um wichtige Faktoren beim Aufbau von bi‐ lingualen Kindertagesstätten und der Erzieherausbildung für bilinguale frühkindliche Bildung geht es in den Ergebnissen dieser Projektarbeit. Mehrsprachige Bildung in der Vorschulphase steht im Mittelpunkt der Diskussionen in diesem Buch, und zwar ihrer individuell wie gesellschaftlich bedeutsamen Effekte: Zum einen ist sie ein wichtiges Instrument für bessere Schulleistun‐ gen und ein erfolgreiches Berufsleben der jungen Generatio‐ nen mit Migrationshintergrund. Zum anderen steht sie für ein gelungenes interkulturelles Zusammenleben bei einer gegebe‐ nen „gesellschaftlichen Vielfalt“. Daher braucht die bilinguale frühkindliche Bildung dringender denn je die besondere Aufmerksamkeit der Politik und Verwaltung sowie der Fach‐ kreise, wenn es darum geht, die interkulturelle Verständigung und die Teilhabechancen der jungen Generationen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, an gesellschaftlichen Pro‐ zessen in den klassischen Einwanderungsländern zu verbes‐ sern. Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die uns nicht nur ihre Beiträge anvertraut und so diese Publikati‐ on ermöglicht haben, sondern auch an den Workshops im Rahmen der Projektarbeit teilgenommen und in den Fachsit‐ zungen mitdiskutiert haben. Auch andere Forscher/innen, Vertreter/innen und Mitarbeiter/innen der freien und öffentli‐ chen Einrichtungen und ausgewählter Kindertagesstätten, die an den Workshops, aber auch den Gruppen‐ und Einzelge‐ sprächen des Projektteams teilgenommen und durch ihre Bei‐ 10
träge die Projektdiskussionen besonders bereichert haben, verdienen unseren Dank. Unser besonderer Dank gilt auch den Leitungen beider Partnerhochschulen, der Akdeniz Uni‐ versität in Antalya und der ASH Berlin, ohne deren ausdrück‐ liche Unterstützung die vorliegenden vielfältigen Ergebnisse der Projektarbeit nicht möglich gewesen wären. Zu den konti‐ nuierlichen Unterstützern zählen auch die Botschaft der Tür‐ kischen Republik und das Generalkonsulat, beide in Berlin, denen wir in der Person des Botschafters, Hüseyin Avni KARSLIOĞLU, und des Generalkonsuls, Ahmet Başar ŞEN danken wollen. Unter den Förderern wollen wir auch dem „Amt für Auslandstürken und Verwandtschaftsgemeinschaf‐ ten“ (Yurtdışı Türkler ve Akraba Toplulukları Başkanlığı ‐ YTB) ‐in Ankara‐ danken, ohne dessen finanzielle Unterstüt‐ zung das Modellprojekt und die vorliegende Publikation gar nicht zustande gekommen wären. Um solche transnationalen Projektkooperationen zu un‐ terstützen und den Transfer der Ergebnisse zwischen den Sprachräumen zu ermöglichen, haben wir beschlossen, das Buch in deutscher und türkischer Sprache zu publizieren. In diesem Zusammenhang danken wir Sezai ZEYBEKOĞLU für die Übersetzung der Beiträge in die jeweils andere Sprache. Ebenso bedanken wir uns bei den Mitarbeiter/innen des AKVAM sowie des Modellprojektes Meral AKSU, Özlem YALÇIN, Dr. Yücel SİVRİ, Sylvia Monique DEROOIJ, Dr. Ali ERDEM, Merve ATALAY und Yeşim YURDAKUL aus Anta‐ lya und Semanur ERDOĞAN HARMANLI und Anahita TAHERI aus Berlin. Unser Dank gilt auch Norbert LINGFELD und Prof. Dr. Rolf WIRSING, zwei Förderern der Arbeit des AKVAM, ohne deren Mühen beim Übersetzen, Durchlesen und der Korrektur einzelner Beiträge die Erstellung der vor‐ 11
liegenden Texte in der gelungenen Verständlichkeit kaum möglich gewesen wäre. Zuletzt gilt unser Dank allen Instituti‐ onen und deren Vertreter/innen, u.a. dem Außenministerium und dem Kultusministerium sowie dem Hochschulrat der Türkei, der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) und der Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland (FÖTED), die mit Rat und Tat die Projektarbeiten stets beglei‐ tet haben. Prof. Dr. Erol ESEN Prof. Dr. Susanne VIERNICKEL
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ERÖFFNUNGSREDE1
Meine sehr verehrte Frau Professorin Susanne Viernickel, Mein sehr verehrter Herr Professon Erol Esen, Sehr verehrte Gäste, Die Migrationsbewegung, die unsere Staatsbürger vor 50 Jahren insbesondere auf der Arbeitssuche gestartet heben, hat heute einen bleibenden Charakter gewonnen. Die Bildungs‐ probleme haben für die Türkische Gemeinde, die mit ihrer Bevölkerungsanzahl über drei Millionen die größte Migrantengruppe darstellt, eine Vorrangstellung. Die Indika‐ toren, die die Verteilung nach den Schularten, Schulab‐ schlussquoten und Erfolge bei der Berufsfindung und dem Hochschulzugang betreffen, zeigen, dass die über halbe Milli‐ on türkeistämmigen Schüler, die im deutschen Bildungssys‐ tem zur Schule gehen, verglichen mit den anderen kulturellen Minderheiten keinen zufriedenstellenden Bildungserfolg vor‐ weisen können. Bekanntlich liegen die Adaptationsschwierigkeiten an das Bildungssystem, mangelhaften Familienunterstützung und Deutschkenntnisse dem Misserfolg in der Bildung zu‐ 1
Die Eröffnungsrede vom Berliner Generalkonsul Herr Ahmet Basar Şen bei dem „Workschop Zweisprachige Bildung im Vorschulbereich am Ber‐ liner Beispiel“, der am 17. Oktober gemeinsam von der Akdeniz Universi‐ tät Antalya und und der Alice Salomon Hochschule in Berlin durchge‐ führt wurde.
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grunde, die eigentlich eine mehrdimensionale und verflochte‐ ne Struktur hat. Wir empfehlen, unseren Kindern früh und dauerhaft den Besuch der Vorschulen zu ermöglichen, damit sie nicht mit mangelnden Deutschkenntnissen eingeschult werden. In den letzten Jahren haben wir beobachtet, dass un‐ sere Eltern die Ansätze respektieren, nach dem der Erwerb der türkischen Sprache den Erwerb der deutschen Sprache ver‐ hindern und die Integration sabotieren soll. Ich möchte auf die Gefahren solcher Fehleinstellungen auf die Entwicklungspro‐ zesse unserer Kinder hinweisen. Damit unsere Kinder zwischen zwei Kulturen, wo sie sich befinden, einheitlich aufwachsen können, dürfen die in der Familie erworbene Persönlichkeitsentwicklung und Kultur nicht unterschätz werden. Entgegengesetzte Verhalten können „Unterwertigkeitsgefühle bei unseren Kindern entwickeln, die die selbe Entwicklung wie ihre Peers erleben und Förderung von den Erwachsenen erwarten, und verursachen, dass sie ihre eigene Kultur und Familien wertlos ansehen. Dieser Zu‐ stand könnte wiederum ihre Kontaktaufnahme zu den Kin‐ dern aus anderen Kulturkreisen verhindern und die Zunahme der Personenzahl verursachen, die sozial und psychologisch problematisch sind. Die Experten meinen, die beste Schutzmaßnahme gegen die Extremitäts‐ und Kriminalitätsneigungen wäre eine mo‐ derne Bildung, wo Individuen erzogen werden, die durch ihre eigene Sprache und Kultur verstärkt sind. Die Entwicklung der Selbstachtung ist äußerst wichtig für die Kinder, die in einem zweisprachigen und multikulturellen Umfeld aufwachsen. Denn die Individuen, die ihre Persön‐ lichkeit in einer multikulturellen Umfeld entfalten und erle‐ ben, dass ihre Persönlichkeit durch die Angehörigen anderer 14
Kulturkreisen respektiert werden, lernen auch selbst die Werte der Gesellschaft zu respektieren, in der sie leben, und leben mit diesen Werten im Einklang. Eine gesund entwickelte Per‐ sönlichkeit vereinfacht die Anpassung an unterschiedliche Werte. Sollte bei den Kindern keine gesunde Persönlichkeit entwickelt werden, so wird ihr Selbstvertrauen darunter lei‐ den. Auf der anderen Seite entsteht das Sprachenreichtum, wenn in einem Land mehrsprachige Individuen leben und mehrere Sprachen gesprochen und gelehrt werden. Die Indi‐ viduen, die eine starke Persönlichkeit und ein entwickeltes gesellschaftliches Verantwortungsgefühl haben sowie gut ausgebildet sind und neben Deutsch und Türkisch auch ande‐ re Sprachen sprechen können, werden die Brückenfunktion erfolgreich übernehmen, die zwischen den Kulturen benötigt werden. Meine verehrten Teilnehmer, damit unsere Kinder beide Sprachen erfolgreich erwer‐ ben können, müssen sie in dem familiären Umfeld bewusst unterstützt werden und dabei muss mehr Wert auf die früh‐ kindliche zweisprachige Bildung gelegt werden. Es müssen zweisprachige Bildungsprogramme angeboten und durch diese Programme die Entwicklung der Muttersprache geför‐ dert werden. Als Generalkonsulate in Deutschland werden wir in Ko‐ ordination mit unserer Botschaft in Berlin unterstützen, dass unsere Kinder die deutsche Sprache bestens erlernen und sich in die deutsche Gesellschaft vollständig integrieren. Die erfor‐ derliche Orientierungshilfe geben wir an unsere Schüler und ihre Eltern weiter. Denn es ist in erster Linie unser Wunsch,
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dass sie in diesem Land eine gute Bildung genießen und die Stellung in der Gesellschaft einnehmen, die sie verdienen. Dabei schreiben wir jedoch eine große Bedeutung dazu, dass sie auch ihre Muttersprache bestens erlernen. Denn wir sind der Meinung, dass die gute Mutterspra‐ chenkenntnisse bei dem Fremdsprachenerwerb die Grundvo‐ raussetzung ist, was auch wissenschaftlich belegt ist. Wir sind bewusst, dass gute Muttersprachenkenntnisse den Erwerb einer zweiten und weiteren Fremdsprache erleichtert. In diesem Rahmen sind gute Türkischkenntnisse in Deutschland keinen Indikator für eine Parallelgesellschaft oder Desintegration sein, sondern sie bedeuten mehr Erfolg beim Erwerb der deutschen Sprache, glücklichere Individuen und eine friedlichere Gesellschaft. Meine sehr verehrten Gäste, es ist auch eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache, dass die Zweisprachigkeit bei den Kindern möglichst in frühen Alter gefördert werden muss. Denn vor allem das Sprach‐ kompetenz bildet die geistige Grundlage der Gedanken der Kinder, die ihre Persönlichkeit, ihr kulturelles Dasein betref‐ fen, und die Kinder setzen diese Kompetenzen in Beziehungen jeder Art. Die Kommunikationsfähigkeit spielt eine enorme Rolle für das Wohlbefinden der Kinder. Durch den Erwerb mehrerer Sprachen fühlen sich Kinder kontaktfreudiger und entdecken ihre Umwelt in einer spielerischen und natürlichen Art und Weise. Zweitens belegen die durchgeführten Unter‐ suchungen die positiven Auswirkungen der Zweisprachigkeit auf die sprachliche Entwicklung und den akademischen Er‐ folg. Die Zweisprachigkeit hilft den Kindern mehr geistige Flexibilität zu gewinnen. 16
Auch die deutschen Wissenschaftler betonen bei jeder Gelegenheit, dass die Migrantenkinder schon vor der Gesell‐ schaftssprache ihre Muttersprache lernen sollten, keine Gesell‐ schaft nun mehr Einsprachigkeit wünsche und die Mehrspra‐ chigkeit als eine Chance gesehen werden müsse. Die Ergebnisse der in Köln durchgeführten wissenschaft‐ lichen Studie KOALA sind in diesem Zusammenhang auffal‐ lend. Bei der genannten Studie, die am Anfang der 2000er Jahre in mehreren Jahren durchgeführt wurde, wurden 3 Testgruppen festgelegt. Bei der ersten dieser Gruppen wurden Kinder, die zu Hause nur Türkisch und in der Schule nur Deutsch sprechen, bei der zweiten dieser Gruppen Kinder, die zu Hause nur Türkisch und in der Schule nur Deutsch lernen und zusätzlich durch die Lehrer des Konsulats in der Schule (muttersprachlicher Ergänzungsunterricht) Türkischunterricht bekommen und bei der dritten dieser Gruppen wurden Kin‐ der, die durch ihre Familien zum Deutsch lernen motiviert und durch ihre Lehrer/Schulleitung zum Lernen ihrer Mutter‐ sprachen motiviert werden, behandelt. Das Ergebnis zeigt, dass die Kinder, die am wenigsten erfolgreich waren, in der ersten Testgruppe sind, die Kinder der zweiten Testgruppe nur minimal besser abgeschnitten haben und die Kinder, die in beiden Sprachen mit Abstand den besten Erfolg hatten, der dritten Testgruppe gehören, die durch die Schulen zum Tür‐ kisch lernen und durch die Familien zum Deutsch lernen mo‐ tiviert waren. Momentan unterrichten durch unseren Staat in Berlin eingesetzte 57 Lehrer mit diesem Bewusstsein 4500 Kinder in Türkisch und türkischer Kultur. In Berlin gibt es 2 Europa‐ schulen, 5 zweisprachige Schulen und mehrere Gymnasien, wo Türkisch als Wahlfach unterrichtet wird. 17
Liebe Gäste, wir glauben daran, im Rahmen der oben genannten Ar‐ gumente, die die Erforderlichkeit der Zweisprachigkeit beto‐ nen, dass die Errichtung der zweisprachigen deutsch‐ türkischen Kindertagesstätte das Problem vom Grund auf lösen wird. Zur Zeit gibt es zwar zweisprachige Kindertages‐ stätte in Berlin, es ist jedoch schwierig zu sagen, dass alle diese Einrichtungen ihre Dienstleistungen im Rahmen eines päda‐ gogischen Konzeptes und nach dem Prinzip der „vollständi‐ gen Zweisprachigkeit“ anbieten. Die Bedeutung der Errich‐ tung der zweisprachigen Kindertagesstätten in Berlin bringen wir in unseren Gesprächen mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft auf höchster Ebene zur Sprache. Auch die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissen‐ schaft, die wegen ihrer eigentlichen Beruf die Bildung der Kinder in den Kindertagesstätten sensibel betrachtet, unter‐ stützt unsere Ansätze, betont aber gleichzeitig den Mangel an Erziehern, die bei diesen Einrichtungen (sollten sie errichtet werden) eingesetzt werden sollen. Obwohl beide Seiten bei diesem Thema die selbe Meinung vertreten und positiv an die Sache herangehen, werden wir mit einer großen Mangel an Erziehern konfrontiert, die die deutsche und türkische Spra‐ chen beherrschen. Der Grund, warum wir uns hier zusammengekommen sind, ist der Gedankenaustausch für eine Initiative, die Lösun‐ gen für dieses Problem liefern kann. Wenn dieses in Zusam‐ menarbeit von Zentrum für Europäische Studien (AKVAM) und Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Berlin durchgeführte Projekt auch praktiziert wird, werden wir durch gemeinsame und erfolgreiche Bemühungen der Einrich‐
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tungen beider Länder einen großen Schritt bei der Lösung dieses Problems machen. Welche Lösungsansätze bietet dieses Projekt für das Problem? Durch dieses Projekt wird die Ausbildung der Bil‐ dungsexperten vorbereitet, die in den Kindertagesstätten ein‐ gesetzt werden sollen, die von den türkischen Vorschulkinder in Berlin besucht werden sollen. Auf der Grundlage der Er‐ gebnisse der Forschungen, die im Rahmen dieses Projektes durchgeführt werden, soll der Studiengang „deutsch‐ türkische zweisprachige Kinderentwicklung“ errichtet wer‐ den, der die Absolventen gleich mit zwei Diplomen ausstattet. Danach sollen die Studenten, die diesen Studiengang besu‐ chen, in Berlin und in Antalya ausgebildet werden können und die Absolventen sollen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland den Erziehermangel entgegensetzen können. Unsere Kinder, die unter Aufsicht der zweisprachigen Erzie‐ hern mit zwei Sprachen zur Grundschule vorbereitet werden, werden für beide Gesellschaften von Nutzen sein. Sehr verehrte Professorin Susanne Viernickel, Sehr verehrter Professor Erol Esen, Sehr verehrte Gäste, Ich glaube sehr daran, dass dieses Projekt durch die Bei‐ träge beider Seiten seine gezielten Ergebnisse erreichen wird, und möchte noch ausdrücken, dass wir als Generalkonsulat jegliche Unterstützung gewähren werden, die in unserer Macht steht. Ich möchte Ihnen und Ihre Teams danken viel Erfolg wünschen, da sie mit sozialem Bewusstsein die Prob‐ leme dieser Gesellschaft zu lösen versuchen, an dieses Projekt glauben und es unterstützen. Ahmet Başar ŞEN
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ZUSAMMENFASSUNGEN DER AUFSÄTZE Wissenschaftliche Diskussionen und Praktiken zur bilingualen frühkindlichen Bildung – Eine Einführung am Beispiel der Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin Erol ESEN und Anahita TAHERI Schlüsselbegriffe: Mehrsprachigkeit, frühkindlicher Zweitsprach‐ erwerb, bilinguale Kindertagesstätten, Curricula für bilinguale Lehrkompetenzen, deutsch‐türkische Studiengänge mit Doppelab‐ schluss Nicht zuletzt infolge der Globalisierung, der Migration wie auch der gesellschaftlichen Vielfalt drängt sich heute das Thema der Mehrsprachigkeit immer mehr auf die Tagesord‐ nung von Politik, Wirtschaft sowie Bildung und Erziehung. Diese Untersuchung fasst ausgewählte Forschungsergebnisse und Praxisbeispiele auf dem Gebiet der bilingualen frühkind‐ lichen Bildung über den europäischen Kontinent hinaus zu‐ sammen. Auch curriculare Überlegungen für die Ausbildung des Erziehungspersonals bilden den Gegenstand dieser Unter‐ suchung. Das alles wird am Beispiel des Landes Berlin und der Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshin‐ tergrund aufgezeigt. Auch bei den curricularen Überlegungen geht es um einen deutsch‐türkischen Studiengang für bilingu‐ ale frühkindliche Bildung mit Doppelabschluss. 21
Inhaltliche und praktische Überlegungen für einen deutsch‐türkischen Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung: Ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse der Projekt‐Workshops in Berlin und in Antalya Janina BISCHOFF Schlüsselbegriffe: Bilingualität, frühkindliche Bildung, Elternar‐ beit, Sprachförderung, Akademisierung der Frühpädagogik Die aktuellen wissenschaftlichen Diskussionen und prakti‐ schen Überlegungen zur Umsetzung der bilingualen frühkind‐ lichen Bildung in einem deutsch‐türkischen Studiengang wer‐ den in diesem Aufsatz zusammengefasst. AKVAM führte zur Grundlagenforschung in Zusammenarbeit mit der ASH Berlin zwei Workshops an den jeweiligen Standorten der Projekt‐ partner, in Berlin und Antalya, durch. Mithilfe der Diskussio‐ nen und Vorträge in den Workshops sind gewinnbringende Impulse für die Curriculumsentwicklung für den geplanten Bachelorstudiengang zusammengetragen worden. Der Auf‐ satz ist in zwei Teile unterteilt, die die Ergebnisse der jeweili‐ gen Workshops skizzieren und durch weiterführende For‐ schung ergänzen. Deutlich geworden sind in den Workshops vor allem die Bedeutung von alltagsintegrierter Sprachförde‐ rung, die Notwendigkeit von Elternarbeit und Zusammenar‐ beit mit beteiligten Bildungsorganisationen für die erfolgrei‐ che Etablierung des Studiengangs.
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Mehrsprachigkeit im Kontext der aktuellen Diskussionen: Der soziolinguistische Ansatz Mehmet CANBULAT Schlüsselbegriffe: Zweisprachigkeit, Schüler aus Migrantenfamilien, Migrationspolitik, Schulerfolg Man kann die Migration in Binnenmigration und Emigration unterteilen. Nach den 40er Jahren gab es in der Türkei eine Binnenmigrationswelle aus den ländlichen Gebieten in die Städte. Die Emigration nach Europa und insbesondere nach Deutschland begann hingegen in den 50er Jahren mit einer großen Arbeitermigrationswelle türkischer Arbeitskräfte. Diese türkischen Arbeitskräfte konnten (als sog. „Gastar‐ beiter“) zunächst aufgrund der –ausschließlich auf die Tür‐ ken‐ angewandten Einschränkungen ihre Familien nicht mit‐ nehmen. Nach der Einführung des Familienzusammenfüh‐ rungsgesetzes im Jahre 1981 entstanden in den Einwande‐ rungsländern Schulprobleme der Migrantenkinder. Nachdem die Erwartungen, die Sprach‐ und Integrationsprobleme der ersten und zweiten Generation würden in der dritten Genera‐ tion wegfallen, sich nicht erfüllt hatten, versuchte man, das Problem durch länder‐ und bundesländerspezifische Maß‐ nahmen zu lösen. Obwohl heute seit Beginn dieser Migration mehr als 50 Jahre verstrichen sind, liegen die akademischen Erfolge der Migrantenkinder nach den PISA‐Studien weit hinter denen der einheimischen Kindern. Die Einwanderungsländer konn‐ ten bisher innerhalb ihrer Schulsysteme für die Multikulturalität der Migrationsgruppen und insbesondere für das Muttersprachproblem der Migrantenkinder keine aus‐ 23
reichenden Angebote entwickeln. Bei den global als erfolg‐ reich geltenden kanadischen und schwedischen Modellen wurden die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität der Mig‐ rantenkinder anerkannt und die Schulsysteme entsprechend gestaltet. Damit stieg der Schulerfolg der Kinder in diesen Ländern, wenn sie in ihrer Muttersprache ausgebildet werden. In einem anderen Einwanderungsland hingegen, nämlich in den USA, werden zweisprachige Bildungsmaßnahmen nur eingeschränkt durchgeführt.
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Der Zusammenhang zwischen früher Sprachentwicklung und sozio‐emotionaler Entwicklung im Kontext von Mehrsprachigkeit Beyhan ERTANIR Schlüsselbegriffe: Bilingualität, Sozio‐emotionale Entwicklung, Sprachentwicklung, Mehrsprachigkeit, Dual Language Learners Mit der steigenden Migration auf der Welt gewinnt parallel auch das mehrsprachige Aufwachsen immer mehr an Rele‐ vanz. Die Untersuchungen zur Mehrsprachigkeit sind haupt‐ sächlich im Bereich der Sprachentwicklung angesiedelt. Da jedoch die Sprachentwicklung im engen Zusammenhang mit der sozio‐emotionalen Entwicklung steht, resultierte die Not‐ wendigkeit der genauen Betrachtung dieser Thematik im Kon‐ text von Mehrsprachigkeit. Hierzu wurde die bereits existie‐ rende Literatur zu diesem Thema gesichtet und in der vorlie‐ genden Arbeit zusammengetragen. Die Analyse dieser Arbei‐ ten zeigte ganz deutlich, dass ein hoher Bedarf an zukünftiger Forschung herrscht, da hinsichtlich der sozio‐emotionalen Entwicklung der mehrsprachigen Kinder, keine eindeutigen Aussagen gemacht werden können. Die derzeit vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass zumindest keine deutlichen Unter‐ schiede zwischen den mehrsprachigen und monolingualen Kindern in Bezug auf die sozio‐emotionale Entwicklung vor‐ liegen.
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Von bilingualer Vorschulerziehung zu transnationalen Bildungskonzepten: Über die Bedeutung von Migrantensprachen als Bildungsressource in Einwanderungsgesellschaften am Beispiel von ‚Türkisch als Fremdsprache‘ Almut KÜPPERS Schlüsselbegriffe: Transnationale Bildung, Bildungsungerechtig‐ keit, Türkisch als Fremdsprache, Segregation im Schulsystem, bilin‐ guale / interkulturelle Bildung Bilinguale Bildungsangebote haben Hochkonjunktur. Im eu‐ ropäischen Kontext erleben sie seit den 1990er Jahren einen regelrechten Boom. CLIL (Content and Language integrated Learning) ist im Schulbereich zur pädagogischen Vorzeige‐ Initiative avanciert, mit der Mehrsprachigkeit und europäi‐ sche Integration gefördert werden sollen. Die Bedeutung von Migrantensprachen als Bildungsressource in west‐ europäischen Einwanderungsgesellschaften hingegen ist bis‐ lang weitgehend ignoriert worden. Die Aufwertung von Migrantensprachen wie Arabisch oder Türkisch zu voll etab‐ lierten modernen Fremdsprachen und deren Öffnung für alle Lerner der Mehrheitsgesellschaft stellen jedoch wichtige Bau‐ steine transnationaler Bildungskonzepte dar und eröffnen Möglichkeiten, wie migrationsbedingte Mehrsprachigkeit in den postnationalen Gesellschaften Europas erschlossen wer‐ den kann. Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus einer eth‐ nographischen Studie, die an einer Grundschule mit bilingua‐ lem Deutsch‐Türkisch‐Programm durchgeführt wurde, wird argumentiert, dass bilinguale Angebote im Bereich der Vor‐ schulerziehung für die Entwicklung transnationaler Bildungs‐ angebote eine wichtige Grundlage darstellen. 26
Die Auswirkungen der Benutzung der Muttersprache von türkischstämmigen Schülern in Belgien: Schulerfolg und Schulzugehörigkeitsgefühl Orhan AĞIRDAĞ Schlüsselbegriffe: Sprachminderheiten, Muttersprachenbenutzung der Migrantenkinder, Schulerfolg, Schulzugehörigkeitsgefühl, assimilationistische Ansätze Diese Arbeit untersucht am Beispiel von in westlichen Gesell‐ schaften lebenden Migrantenkindern die verbreitete Annah‐ me, dass das Sprechen der Muttersprache zu Hause und in der Schule negative Auswirkungen auf den Schulerfolg und das Schulzugehörigkeitsgefühl habe. Diese akademische Studie wurde durch eine Umfrage unterstützt, die in Flandern an 68 Schulen mit Beteiligung von 2.845 Schülern durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der genannten Umfrage werden auch durch Statistiken belegt. Als Fazit lässt sich sagen, dass die o.g. verbreitete An‐ nahme durch die Ergebnisse der Umfrage nicht unterstützt werden kann. Dabei wurde mit dieser Studie auch festgestellt, dass die Einschränkung der Muttersprachenbenutzung von türkischstämmigen Migrantenkindern in ihren Schulen ‐ entgegen der vorhandenen, sehr verbreiteten Annahme‐ deren Schulzugehörigkeitsgefühl sogar verringert.
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HAVAS 5 – Ein mehrsprachiges Verfahren zur Sprachstandanalyse Bilge YÖRENÇ Schlüsselbegriffe: Zweisprachigkeit, Sprachentwicklung, Sprachstandserhebung, Sprachstandsanalyse, Sprachprofil Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Hamburger Ver‐ fahren zur Sprachstandsanalyse (HAVAS) bei 5 Jährigen. Die Besonderheit dieses Instrumentes liegt darin, dass die Feststel‐ lung des Sprachstandes sich nicht nur auf die deutsche Spra‐ che bezieht, sondern auch auf die Herkunftssprache der Kin‐ der. Das Instrument wurde für die Sprachen Spanisch, Portu‐ giesisch, Italienisch, Türkisch, Polnisch und Russisch konzi‐ piert. HAVAS 5 setzt somit die sprachlichen Voraussetzungen der Kinder in den Mittelpunkt. Das Ziel ist es, eine diagnose‐ basierte und systematische Sprachförderung durchzuführen. Hierbei werden gerade die herkunftssprachlichen Kompeten‐ zen als Ressource angesehen.
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Mythen und Fakten über die Mehrsprachigkeit: Spracherwerb und Sprachbildung Natalia GAGARINA und Antje SKERRA Schlüsselbegriffe: mehrsprachiger Spracherwerb, Sprachförderung, Berliner Interdisziplinärer Verbund für Mehrsprachigkeit (BIVEM) Obwohl ca. die Hälfte der Menschen mehrsprachig ist, ist der mehrsprachige Spracherwerb bei Kindern deutlich weniger erforscht als der monolinguale Spracherwerb. In diesem Bei‐ trag werden Vorteile und Typen der Mehrsprachigkeit darge‐ stellt sowie ein Überblick über nicht zutreffende Vorurteile gegeben. Der BIVEM und seine Studie zur Sprachförderung bei mehrsprachigen Kindern mit den Herkunftssprachen Tür‐ kisch oder Russisch werden kurz präsentiert.
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Lehrprogramme für das Fach ‘Türkische Sprache und Kultur’ mit Bezug auf Kinderspiele Ülker ŞEN Schlüsselbegriffe: Im Ausland lebende türkische Kinder, Bildungs‐ programme, Kinderspiele, Fachʺ Türkische Sprache und Kulturʺ Kinderspiele helfen Kindern bei ihrer körperlichen und geisti‐ gen Entwicklung, bei der Sprachentwicklung, bei der Persön‐ lichkeitsentwicklung. Auch im Ausland lebende türkische Kinder sollten deshalb in ihrer Bildung und Erziehung von den Kinderspielen profitieren. Als effektivste und geeignetste Möglichkeit kommt hier das Fach türkische Sprache und Kul‐ tur in Betracht, wo die im Ausland lebenden türkischen Kin‐ der Kinderspiele lernen und spielen könnten. Da dieses Fach innerhalb eines Lehrprogramms unterrichtet wird, müssten Kinderspiele vorrangig in diese Programme aufgenommen werden. Von dieser Forderung ausgehend wird in dieser Ar‐ beit untersucht, ob Kinderspiele in jenen sechs Bildungspro‐ grammen enthalten sind, die bisher für die im Ausland leben‐ den türkischen Kindern konzipiert wurden. Unsere Untersu‐ chungen werden aufzeigen, dass Kinderspiele in den Pro‐ grammen entweder überhaupt nicht oder nur beiläufig als ein Wunsch bzw. Vorschlag erwähnt sind.
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„MuM‐Multi: Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit – Wirksamkeit und Wirkung von ein‐ und zweisprachigen fach‐ und sprachintegrierten Förderungen auf sprachliches und fachliches Verstehen Meryem ÇELİKKOL Schlüsselbegriffe: Mehrsprachige Didaktik, Verstehensprozesse, mehrsprachiger Förderunterricht, Arbeitssprache – Denksprache Das Projekt ermittelt durch eine Interventionsstudie die Wir‐ kung von Mehrsprachigkeit im Sinne einer verstehensstützenden Aktivierung der L1 (Türkisch) und L2 (Deutsch). Die Sprachförderung in der Sekundarstufe I kann nicht unabhängig von den Schulfächern gedacht werden. In der Sekundarstufe I werden besonders Formen der alltägli‐ chen Wissenschaftssprache (AWS) und fachspezifischen Wis‐ senschaftssprache (fWS) relevant, ohne deren Bewältigung der Schulerfolg gefährdet ist. Exemplarisch soll daher am Beispiel des Fachs Mathematik untersucht werden, wie unter den Be‐ dingungen von Mehrsprachigkeit die Förderung von fachlich‐ konzeptuellem Verständnis und die Förderung verstehensprozessierenden sprachlichen Handelns integriert wer‐ den können und welchen Einfluss das (mehr‐)sprachige Vermö‐ gen auf die Verstehensprozesse nimmt.
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Alphabetisierung in zwei Sprachen (Deutsch ‐ Türkisch) Ali UÇAR Schlüsselbegriffe: Schulversuch, koordinierte zweisprachige Al‐ phabetisierung, migrantische Kinder, Schulerfolg In diesem Beitrag geht es um einen Schulversuch, der die türkischsprachigen Kinder gleichzeitig in zwei Sprachen zu alphabetisieren versuchte. Die mangelnden Deutschkenntnis‐ se der Migrantenkinder führen zu einem schlechten Schuler‐ folg dieser Kinder. Dieses in den Berliner Schulen auf Dauer von fünf Jahren durchgeführte Projekt stellte heraus, dass eine zweisprachige Alphabetisierung möglich ist und positive Auswirkungen auf den Schulerfolg der zweisprachigen Mig‐ rantenkinder hat.
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Ein allgemeiner Überblick über bilinguale Kindertagesstätten in Berlin Mehmet ALPBEK Schlüsselbegriffe: Standpunkte der bi‐ und multilingualen Kitas sowie ihre Praktiken; muttersprachliche Bildung; sprachliche und kulturelle Diversität der Schüler/innen In diesem Aufsatz wird in Zusammenhang mit der Migration nach dem Zweiten Weltkrieg bezüglich der Bi‐ /Multilingualität im deutschen Bildungssystem auf folgende Themen eingegangen: ihre Stellung und Entwicklung im Bil‐ dungssystem, die Stellung der Kinder mit Migrationshinter‐ grund, gesetzliche Grundlagen und Entscheidungsmechanis‐ men. Anschließend werden am Beispiel Berlin neben gesetzli‐ chen und pädagogischen Grundlagen der Zwei‐ und Mehr‐ sprachigkeit auf die Standpunkte der bi‐ und multilingualen Kitas sowie deren Praktiken eingegangen.
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Bilinguale Erziehung in der FRÖBEL‐Gruppe Annegret KIESCHNICK Schlüsselbegriffe: Bilinguale Erziehung, Kindertageseinrichtun‐ gen, Immersion, Sprachlehrstrategien, alltagsintegrierte Sprachför‐ derung Der FRÖBEL e.V. betreibt als freier Träger der Jugendhilfe in Deutschland über 140 Krippen, Kindergärten und Horte. Zu‐ sätzlich werden Kinder an den internationalen Standorten in Sydney und Melbourne (Australien), Istanbul (Türkei) und Poznań (Polen) betreut. In vielen Einrichtungen ist der FRÖBEL‐Schwerpunkt Bilinguale Erziehung fest verankert und wird durch eine bewusste pädagogische Ausgestaltung des Alltags in zwei Sprachen gelebt. Ziel ist es, dass die Kin‐ der verschiedene Sprachen erleben können. Dafür arbeiten in den Krippen, Kindergärten und Horten Muttersprachlerinnen und Muttersprachler der jeweiligen Fremdsprache. In den meisten Krippen, Kindergärten und Horten ist dies die engli‐ sche Sprache, aber auch Spanisch, Italienisch oder Polnisch sind vertreten. In den Auslandsstandorten wird Deutsch als zweite Sprache gesprochen. 34
Überlegungen zum Aufbau eines internationalen Bachelor‐ Plus‐Studienganges „Bilinguale Bildung und Erziehung“ am Beispiel der Uludağ Universität Anastasia ŞENYILDIZ, Şeref KARA und Gülten GÜLER Schlüsselbegriffe: bilinguale Erziehung, Studiengang, Kindergar‐ ten, Deutschland, Türkei Im vorliegenden Beitrag wird nach Antworten auf die in Deutschland und in der Türkei bestehende gesellschaftliche Nachfrage nach bilingual ausgebildeten Fachkräften für den Elementarbereich gesucht. Es werden Überlegungen zum Einrichten eines internationalen Bachelor‐Plus‐Studienganges „Bilinguale Bildung und Erziehung“ am Beispiel der Uludağ Universität dargestellt. Dafür kann der bereits bestehende Bachelor‐Studiengang ʺFrühpädagogikʺ durch studienvorbe‐ reitende und ‐begleitende Deutschseminare sowie eine bilin‐ guale Schwerpunktsetzung des deutschsprachigen Wahl‐ pflichtmoduls modifiziert werden. Die internationale Ausrich‐ tung des Studienganges ist durch das an das Bachelor‐ Studium anschließende Auslandssemester an der Partner‐ hochschule anzustreben. 35
Bemühungen um die Ausbildung von Erziehern für bi‐ linguale frühkindliche Bildung in der Türkei Hatice BEKİR und Remzi AYDIN Schlüsselbegriffe: Zweisprachigkeit, zweisprachige Kinder, Ausbil‐ dung der Erzieher Zweisprachige Kinder bekommen einige Probleme in ihrer Sozialisation und im gesellschaftlichen Leben. Von enormer Bedeutung ist dies insbesondere im frühkindlichen Leben von Kindern, die zwischen zwei Sprachen schwanken und keine dieser Sprachen wirklich beherrschen. Hier hat die Regierung der Türkei eine wichtige Aufgabe. Für die Effektivität des Ausbildungsprozesses dieser zweisprachigen Kinder spielen die Erzieher eine bedeutende Rolle. Bisher wird jedoch kein Studiengang für die zweisprachige frühkindliche Bildung angeboten, obwohl der Bedarf an Erziehern für zweisprachige Kinder stetig wächst. In diesem Aufsatz beschäftigen wir uns mit den Bestrebungen, die auf die Ausbildung der Erzieher für zweisprachige Bildung zielen, und unterbreiten entsprechen‐ de Vorschläge.
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Studiengang für die Ausbildung von Erziehern für ilinguale frühkindliche Bildung Hatice BEKİR Schlüsselbegriffe: Zweisprachige Kinder, zweisprachige Bildung, frühkindliche Erziehung, Lehrerausbildungsprogramm Zweisprachige Schulen verbreiten sich heute im Rahmen interkultureller Bildung immer mehr. Deshalb sollten bei der Verhinderung von Misserfolgen und Integrationsproblemen der Kinder mit Migrationshintergrund auch zunehmend zweisprachige Erzieher Aufgaben übernehmen. Dass Erzieher ihre Muttersprache und eine Zweitsprache bestens lesen und schreiben können, reicht leider nicht aus, um zweisprachige Kinder unterrichten zu können. So wird jetzt geplant, bei der zweisprachigen frühkindlichen Bildung von den Absolventen eines Studienganges ʺZweisprachige Frühkindliche Bildungʺ zu profitieren. Entsprechend dieses Zieles werden in dieser Arbeit die zweisprachige frühkindliche Bildung betreffenden theoretischen Erkenntnisse diskutiert und Vorschläge für eine Lehrplanentwicklung behandelt. 37
Ein neuer Studiengang zur Qualifikation für die Arbeit in bilingualen Kindertagesstätten Peter DOYÉ Schlüsselbegriffe: Bildungsauftrag, Bilingualität, Integration, Gleichstellung der Kulturen, Interkulturelle Bildung Die bilinguale Vorschulerziehung hat seit der Jahrtausendwende große Fortschritte gemacht. Ihre theoretischen Grundlagen haben sich konsolidiert und die praktischen Erfahrungen sind ermutigend. Für die Weiterführung fehlen aber die nötigen Fachkräfte. Dringend benötigt werden Erzieherinnen und Erzieher, die über ihre Basisqualifikation hinaus die speziellen Kompetenzen für die Arbeit in bilingualen Kindertagesstätten besitzen. Abhilfe könnte die Einrichtung von Studiengängen für eine solche Qualifikation schaffen. Der folgende Artikel macht den Vorschlag zu einem Curriculum für einen entsprechenden Studiengang.
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KAPITEL I
FRÜHE MEHRSPRACHIGKEIT IN FORSCHUNG UND PRAXIS
Wissenschaftliche Diskussionen und Praktiken zur bilingualen frühkindlichen Bildung – Eine Einführung am Beispiel der Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin Erol ESEN und Anahita TAHERI
Einleitung Vor über 50 Jahren unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei ein Abkommen über die Anwer‐ bung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Nicht nur aus der Türkei auch aus verschiedenen süd‐ und südosteuro‐ päischen Ländern und später aus Nordafrika warb Deutsch‐ land Arbeitnehmer/innen für den Wiederaufbau des Landes an, und es kamen aus etwa 10 Ländern Menschen an, um im Rahmen dieser bilateralen Verträge in Deutschland zu arbei‐ ten. Viel ist darüber geschrieben, gedichtet und gesungen worden, wer eigentlich alles ankam, ob ‚Arbeiter‘ oder ‚Men‐ schen‘! Ergebnis ist, dass Deutschland heute interkultureller, mehrsprachiger und transnationaler denn je ist. Nicht nur in Deutschland öffneten sich viele gesellschaftlichen Bereiche interkulturell und das nicht allein im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen; auch Entscheidungsträger in der Wirtschaft passen ihren Führungsstil den interkulturellen Bedürfnissen, 41
gar Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern, in Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union, oder über‐ haupt in Europa bzw. in der westlichen Welt an. Als Konse‐ quenz oder überhaupt als eine unvermeidbare Folge der Glo‐ balisierung, der Migration wie auch des interkulturellen Zu‐ sammenlebens drängt sich das Thema der Mehrsprachigkeit in den letzten Jahren immer mehr auf die Tagesordnung in der Politik, in der Wirtschaft sowie in der Bildung und Erzie‐ hung. Diese Untersuchung will ausgewählte Forschungsergeb‐ nisse und Praxisbeispiele als Orientierungswerte für das Han‐ deln der Fachkräfte in der bilingualen Elementarbildung vor‐ stellen. Sprachliche Bildung als die wesentliche Grundlage für den Erfolg der jungen Generationen in Schule und Beruf, was heute insbesondere in Zusammenhang mit Kindern und Ju‐ gendlichen mit Migrationshintergrund (MH) intensiv disku‐ tiert wird, wird in ihrer Bedeutung und Funktion in den Mit‐ telpunkt der Ausführungen gestellt. Es geht jedoch hier weni‐ ger um die gängigen und wirksamen Methoden und Techni‐ ken des bilingualen Spracherwerbs, sondern vielmehr um die Vorzüge der bilingualen frühkindlichen Bildung. Vor dem Hintergrund der ausgewählten Forschungser‐ gebnisse über Mehrsprachigkeit und den Zweitspracherwerb werden Argumente und Gründe für eine frühsprachliche Bil‐ dung aufgeführt. Dabei geht es nicht nur um allgemeine Kompetenzen, die Kinder, unabhängig von ihrer ethnischen und sozialen Herkunft, zusätzlich erwerben können. In Zu‐ sammenhang mit dem interkulturellen Zusammenleben, das sicherlich nicht ohne Inklusion und ohne Akzeptanz der ge‐ sellschaftlichen Vielfalt denkbar ist, werden hier auch die be‐ sonderen Probleme und Schwierigkeiten von Kindern und 42
Jugendlichen mit MH in Schule und Beruf thematisiert. An‐ hand des Berliner Beispiels werden die Sorgen und Haltungen der Eltern mit türkischem MH der bilingualen frühkindlichen Bildung gegenüber dargestellt, aus denen zugleich wichtige Konsequenzen für Politik und Verwaltung abgeleitet werden können. Berlin ist Stadt und Bundesland zugleich. Hier sind be‐ reits ganze Reihe von Erfahrungen und Ansätzen zur Institu‐ tionalisierung des interkulturellen Zusammenlebens zu fin‐ den. Es gibt eine Vielzahl von Kindertagesstätten, gar Schulen, die bilinguale Bildungsprogramme einsetzen und bemüht sind, teilweise nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen frühen Zweit‐ oder Mehrsprachenerwerb bzw. Bilingualismus zu praktizieren. Als Beispiel dient Berlin ebenfalls in dieser Untersuchung aufgrund der praktizierten Rahmenbedingun‐ gen für die frühkindliche Bildung, die auch für den Aufbau einer modellhaften bilingualen Kindertagesstätte geeignet wären. Die Ergebnisse der hier dargestellten wissenschaftlichen Diskussionen und der Praxisbeispiele münden dann in die Vorstellung der curricularen Überlegungen zur akademischen Ausbildung von Fachkräften für bilinguale deutsch‐türkische Kindertagesstätten. Die Darstellung der Grundsätze einer Qualifizierung des Erziehungspersonals auf Hochschulebene beruht auf den gemeinsamen Überlegungen der Alice Salo‐ mon Hochschule Berlin und der Akdeniz Universität in Anta‐ lya, der zwei Projektpartner aus Deutschland und der Türkei. Ohne auf die Details der Inhalte einzugehen, werden ausge‐ wählte Aspekte und Anforderungen eines modellhaften ge‐ meinsamen Studienganges mit Doppelabschluss dargestellt. Dabei werden auch Praxisbeispiele aus anderen Fachbereichen 43
oder auch aus den unterschiedlichen Partnerländern ange‐ führt. Davon bleibt allerdings die Einmaligkeit des hier pro‐ jektierten deutsch‐türkischen Studiengangs für bilinguale frühkindliche Bildung unberührt, zumal ein existierendes Beispiel in Deutschland, in Europa, gar in anderen Kontinen‐ ten als Orientierungscurriculum im Rahmen dieser Untersu‐ chungen nicht angetroffen werden konnte.
Zweisprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeit: Bilingualismus „Bilingual“ heißt gemäß den einschlägigen Nachschlagewer‐ ken „zweisprachig“ und meint damit die kompetente „An‐ wendung von zwei Sprachen durch eine Person“ (Duden ‐ Fremdwörterbuch). Vergleichbar sprach der amerikanische Sprachwissenschaftler Bloomfield bereits 1935 von Zweispra‐ chigkeit, sobald eine Person zwei Sprachen perfekt wie Mut‐ tersprachen beherrschte (vgl. Steinmüller, 2013: 4). Hier ist allerdings unklar, was mit „perfekt“ gemeint ist, oder auch auf welche Erscheinungsform sich das überhaupt bezieht: auf die geschriebene Sprache oder auch auf die gesprochene? Eine genaue Definition des Begriffs Bilingualismus kann nicht festgelegt werden. Es existieren zahlreiche Auslegungen, doch sind diese häufig zu ungenau oder widersprechen ei‐ nander. Schenkt man der Aussage Klaus Lambecks Glauben, so scheinen sich Forscher nur darin einig zu sein, dass es sich bei der Bilingualität um einen Zustand handelt, „der dadurch gekennzeichnet ist, daß mehr als eine Sprache in Erscheinung tritt“ (Lambeck, 1984: 12). Die Schwierigkeit bei der Bestimmung des Begriffs be‐ steht darin, dass zahlreiche Ansichten vorliegen und demzu‐ folge allgemeine Uneinigkeit herrscht. Diese verschiedenen Auffassungen sind auf die unterschiedlichen Standpunkte 44
und Forschungsbereiche zurück zu führen, in denen dieser Begriff verwendet wird (ebd.). An der Erforschung des Bilin‐ gualismus sind die Linguistik, Psychologie, Soziologie sowie die Pädagogik interessiert. Die einzelnen Disziplinen betrach‐ ten den Inhalt des Begriffs Bilingualismus aus ihrer fachspezi‐ fischen Sicht und konzentrieren sich somit meist nur auf Teil‐ bereiche, so dass häufig Aspekte für eine genaue Definition fehlen. Bilingualismus sollte aus zwei verschiedenen Standpunk‐ ten betrachtet werden: Einmal aus der Sicht des Individuums, und zum anderen aus der gesellschaftlichen Perspektive. Hie‐ raus entstehen zwei unterschiedliche Forschungsbereiche: die Psycholinguistik, die sich mit dem einzelnen Individuum und dessen Sprachkompetenz beschäftigt, und die Soziolinguistik, die den Bilingualismus als gesellschaftliches Phänomen be‐ trachtet und den Sprachgebrauch in der Gesellschaft unter‐ sucht (Lambeck, 1984: 11). Die Beachtung beider Sichtweisen ist bei der Auseinandersetzung mit der Thematik „Zweispra‐ chigkeit“ von großer Relevanz.
Bilingualismus und Zweitspracherwerb Von einer Bilingualität spricht man erst nach dem Erwerb einer zweiten Sprache. Bilingualismus oder Bilingualität ist ein Zustand, Zweitspracherwerb bezeichnet dagegen einen Pro‐ zess. Es muss sich dabei nicht einmal um nur eine zweite Sprache handeln. Beim Zweitspracherwerb kann es auch um eine dritte, vierte oder fünfte Sprache gehen. Der Zweit‐ spracherwerb wie auch der Erstspracherwerb beziehen sich beide auf den Zeitpunkt wie auch auf die Gegebenheiten des Erwerbs einer oder mehrerer Sprachen. Von einem Zweit‐ sprach(en)erwerb spricht man, wenn das Lernen der zweiten 45
Sprache nach dem Erwerb der Erstsprache erfolgt, also die genannten Sprachen in einer fortdauernden Zeitfolge gelernt werden. Sprachen müssen jedoch nicht immer in auseinanderlie‐ genden Zeitfolgen erworben werden. So können auch zwei Sprachen gleichzeitig erlernt werden. Das geschieht in der Regel beim Erwerb der ersten Sprache. Das bedeutet, dass zwei Sprachen gleichzeitig und beide als Erstsprache erwor‐ ben werden. Man spricht hier von einem doppelten Erst‐ spracherwerb. Im Weiteren werden die Begriffe Erst‐ und/oder Zweitsprache nach den Umständen differenziert, unter denen diese gelernt werden. So ist die Erstsprache meist auch die Umfeldsprache. Dabei handelt es sich bei dem Um‐ feld um dasjenige, in das das Kind hineingeboren wird bzw. in denen es in den ersten Jahren (der kindlichen Sprachbil‐ dung) aufwächst. Man spricht jedoch von Fremdsprachener‐ werb, wenn die zweite Sprache nicht im Umfeld gesprochen, sondern in Form eines Unterrichts gelernt wird. Wenn das Kind die Erstsprache in seinem Umfeld bzw. im Alltag lernt, so spricht man von einem natürlichen Sprach‐ erwerb. Das kindliche Umfeld muss allerdings nicht immer auf eine Sprache begrenzt sein. Wächst ein Kind mit zwei Sprachen auf, so handelt es sich um einen doppelten Sprach‐ erwerb, wenn die beiden Sprachen gleichzeitig erlernt werden. Diese können aber auch nacheinander aufbauend als Erstspra‐ che und Zweitsprache erworben werden. Mit anderen Worten geht es in dem ersten Fall um den simultanen Spracherwerb, wo beide Sprachen zeitgleich erlernt werden. Der sukzessive Spracherwerb dagegen, der für den aufeinander folgenden Spracherwerb steht, bezeichnet einen zeitlich abgegrenzten Erstspracherwerb (Yılmaz, 2014: 1645‐1646; Meisel, 2007). Die 46
dabei erworbenen Fähigkeiten werden dann beim Erwerb der zweiten Sprache genutzt. Für die spätere Sprachkompetenz des Kindes stellen diese zwei unterschiedlichen Formen des frühkindlichen Spracherwerbs jedoch kaum eine Rolle. Als viel entscheidender sehen die Expert/innen den natürlichen und alltagsbasierten Spracherwerb des Kindes an (Schrö‐ der/Keller, o.J.: 6). Die kindliche Sprachaneignung Wie Kinder Sprachen lernen, ist immer ein wichtiger Gegen‐ stand unzähliger Forschungen gewesen. Oft steht auch die Frage, wann eigentlich die Kinder anfangen, eine Sprache zu erwerben, im Mittelpunkt wissenschaftlicher Diskussionen. Expert/innen führen das bis zum Moment der Geburt zurück. Von spezifischen Kompetenzen der Kinder in der Wahrneh‐ mung von Sprachen sprechen die Expert/innen, bevor sie sprachliche Äußerungen produzieren könnten (BMBF, 2007: 61). Bereits einige Stunden nach der Geburt könnten Säuglin‐ ge, so Mehler (vgl. ebd.), die Stimme der Mutter von fremden Stimmen oder wenige Tage danach ihre Muttersprache von den anderen Sprachen unterscheiden. Auch in der Psychologie scheint die Diskussion um die angeborenen und sozial erwor‐ benen Aspekte der Sprache nicht abgeschlossen zu sein (ebd., 62). Chomsky spricht in diesem Zusammenhang von einem angeborenen Spracherwerbsapparat. Die biologischen Grund‐ lagen zum Spracherwerb, wie z.B. der Spracherwerbsapparat, werden nur in Zusammenwirken mit der Umwelt in Gang gesetzt und durch sie stark geformt. Das bedeutet, dass der Spracherwerb immer durch ein soziales Unterstützungssys‐ tem erfolgt, in dem meist die Mutter maßgeblich beteiligt ist.
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Auch sonstige Bezugspersonen können den Spracherwerbs‐ apparat (des Neugeborenen) in Gang setzen. Beim Erwerb von Sprachen folgen Kinder Gesetzmäßig‐ keiten. Schon früh beginnen Kinder zu erlernen, an der Spra‐ che relevante und nicht relevante Merkmale zu unterscheiden. In der sogenannten „rezeptive Phase“, nimmt das Kind vom ersten Moment an die Bedeutung der sprachlichen Äußerun‐ gen in seinem Umfeld auf. Kinder verstehen die Bedeutung immer aus dem Kontext heraus und nicht umgekehrt. Daher stehen Laut und Bedeutung in einer Kontextabhängigkeit (ebd.). In dieser ersten Phase der Sprachaneignung (Rezepti‐ on) reagiert das Kind meist durch Vokalisation, Mimik und Gestik, also nicht durch Wörter, so wie wir sie zumindest kennen. Dieser Phase des Verstehens der Sprache folgt der aktive Gebrauch, d.h. der produktive Sprachgebrauch. Am Anfang der produktiven Phase stehen das Zeigen und Geben, wodurch das Kind zu anderen Menschen Kontakt aufnimmt. Das ist die erste aktive Form des Kindes beim Er‐ werb von Sprache (vgl. Zollinger, 2010: 24). Weitere Schritte, in denen sich das Kind das System Sprache aneignet, beziehen sich auf das Erfassen wie Verwenden der Wörter bzw. Sätze. So folgt der Zweiwortphase, wo Kinder substantivierte Ver‐ ben aneinander reihen und nur vereinzelt Adjektive verwen‐ den, die Mehrwortphase, in der sie sich auch grammatische Strukturen merken. Im Alter von etwa zweieinhalb Jahren können Kinder in dieser Phase ihre Kenntnisse in Mehrwort‐ sätzen anwenden (Zollinger, 2010: 19; Böhm u.a., 1999: 153). Der frühkindliche Spracherwerb endet vorerst durch das tiefer gehende Erfassen der Bedeutung der Wörter und Sätze. So können Kinder in dieser letzten Phase ihrer Sprachaneignung die Mehrdeutigkeit der Wörter verstehen, ohne dass sie diese 48
explizit erklärt bekommen. Nach diesen Phasen, die Rosema‐ rie Tracy (2008: 5 u. 23ff) als einzelne Meilensteine des Sprach‐ erwerbs benennt, lernt das Kind die immer höher werdende Komplexität der Formulierungen zu erfassen/verstehen. Eine Einteilung der Phasen in Altersstufen wird nicht getroffen, da die sprachliche Entwicklung sehr stark variiert und zeitlich individuell verläuft.
Die Sprachentwicklung bei bilingualem Spracherwerb Die schrittweise Aneignung des komplexen Systems Sprache ist allen Menschen gemeinsam. Daher verläuft die frühkindli‐ che Sprachbildung für jeden Menschen gleich, und zwar un‐ abhängig davon, ob es sich dabei um eine monolinguale oder bilinguale Sprachentwicklung handelt. Deshalb kommt es bei dem bilingualen Spracherwerb weniger auf die einzelnen Mei‐ lensteine und die Prozesse an, welche die Sprachaneignung ermöglichen bzw. unterstützen. Vielmehr sind das Alter des Kindes und die Bedingungen für seinen Spracherwerb maß‐ gebend. Hier gibt es zwei unterschiedliche Positionen (Reich, 2010: 10‐11). Für die Sprachwissenschaftler/innen ist das Le‐ bensalter für den Erwerbsbeginn der Zweitsprache entschei‐ dend. Der sprachliche Input bzw. Umwelteinflüsse sind hier‐ bei unbedeutend, denn der Mensch verfügt über eine spezielle Anlage zum Spracherwerb. Das gilt für alle Sprachen und auch für den Erwerb von mehr als einer Sprache. In diesem Zusammenhang sprechen die Linguist/innen von einer uni‐ versellen Spracherwerbsstrategie. Auch die Abfolge der frü‐ hen Stufen des Spracherwerbs sei universellen Charakters. Daher spricht z.B. Chomsky der „genetischen Anlage“ für den Spracherwerb eine hohe Bedeutung zu. Dem sprachlichen 49
Input kommt hierbei nur die Rolle eines Auslösers des „gene‐ tisch determinierten Erwerbsprozesses“ zu. Deshalb kommt es bei dem Erwerb einer weiteren Sprache auf den Zeitpunkt an: Der Zweitspracherwerb ist umso einfacher, wenn der Kontakt mit der zweiten Sprache früh, möglichst von Geburt an, er‐ folgt (Reich, 2010: 11). Die Spracherwerbsfähigkeit nimmt ab bzw. verschwindet, wenn die Grundzüge einer ersten Sprache fest erworben sind. Dann kann eine weitere Sprache nur auf Umwegen, durch bewusst kognitives Bemühen, und nicht mehr wie eine Muttersprache gelernt werden. Nach der interaktions‐ und sprachgebrauchsorientierten Theorie, meist von Entwicklungspsycholog/innen vertreten, ist dagegen die Teilnahme des Kindes an sozialisatorischer Inter‐ aktion wichtiger. So bildet sein Wunsch nach Verständigung mit Bezugspersonen den Motor für die Konstruktion sprachli‐ chen Könnens. Hier steht der Input im Mittelpunkt des Spracherwerbsprozesses. Dieser ist ebenfalls für die individu‐ ellen und gruppentypischen Unterschiede im Verlauf und Resultat des Spracherwerbs verantwortlich. Erfolgt der Input in zwei Sprachen, führt dieser auch zum Erwerb von zwei Sprachen (Reich, 2010: 9). Die dabei nicht vermeidbaren Un‐ terschiede in der Entwicklung der beteiligten Sprachen sind weniger das Resultat der biologischen Grenze für den Zweit‐ spracherwerb. Nicht das Lebensalter beim Erwerbsbeginn, sondern die Quantität der Sprachkontakte mit den Bezugsper‐ sonen ist also für den Entwicklungsstand der beiden Sprachen entscheidend. Nach diesen Ausführungen können die folgenden Ge‐ meinsamkeiten beider Positionen festgehalten werden: Spra‐ che ist menschenspezifisch und hat eine biologische Basis. Zudem ist ein Spracherwerb ohne eine sprachliche Umwelt 50
nicht möglich. Innere bzw. angeborene Voraussetzungen und umweltliche Faktoren müssen beim Spracherwerb zusam‐ menwirken. Ob es jedoch ein optimales Alter für den Zweit‐ spracherwerb gibt, ist unter den Forscher/innen nicht ab‐ schließend entschieden worden. Nach wissenschaftlichen Un‐ tersuchungen kann ein bilingual aufwachsendes Kind schon im Alter von zwei Jahren unterscheiden, mit welchen Perso‐ nen es eine Sprache spricht und zu welchem Zeitpunkt es angemessen ist, die andere Sprache zu sprechen. Kinder sind sich zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr der Fähig‐ keit bewusst, zwei Sprachsysteme zu besitzen (vgl. Nauwerck 2005: 42). Entscheidend beim Zweitspracherwerb ist demnach nicht unbedingt das Alter, sondern die Intensität des Kontakts mit der zweiten Sprache. Ein möglichst früher Beginn und die Kontinuität beim Erwerb einer zweiten Sprache werden als sehr sinnvoll angesehen. Die aus diesen wissenschaftlichen Grundlagen abzulei‐ tenden optimalen Bedingungen für einen Zweitspracherwerb sind demzufolge: Ein möglichst früher Beginn mit dem konti‐ nuierlichen und natürlichen Kontakt zur zweiten Sprache. Bezogen auf den Umgang mit Zweisprachigkeit in der Kita bedeutet dies, dass zwei Sprachen im Alltag gleichmäßig kon‐ stant präsent sein sollten, die Kinder möglichst früh in Kon‐ takt mit der zweiten Sprache kommen sollten, die Herkunfts‐ sprache der Familien mit in den Alltag der Kinder eingebracht werden sollte, pädagogische Angebote in beiden Sprachen durchgeführt werden und der Erwerb beider Sprachen über die Kita hinaus weitergeführt werden sollte.
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Wenn Kinder bilingual aufwachsen: Argumente für mehr‐ sprachige Entwicklung im Vorschulalter Einmal als Frage formuliert, hieße der Titel: warum sollten Kinder eigentlich bilingual aufwachsen? Oder anders ausge‐ drückt: was spricht für eine individuelle Mehrsprachigkeit eines Kindes? Expert/innen sind sich darüber einig, dass in‐ ternationale Handlungsfähigkeit inzwischen hohe Sprach‐ kompetenz erfordert. Dabei geht es nicht nur um eine Sprache, sondern um Kompetenzen in mehreren Sprachen. Die Europä‐ ische Union hat bereits im Jahre 2000 beschlossen, dass jede/r EU‐Bürger/in neben seiner Muttersprache mindestens zwei weitere Sprachen beherrschen sollte. Um mit wirtschaftlichen Aspekten zu beginnen: Es kann festgestellt werden, dass sich die wirtschaftlichen Prozesse in jedem Land heute in interna‐ tionalen Maßstäben vollziehen. Dies ist eine Folge der Globali‐ sierung, die in den letzten 30‐40 Jahren alle unsere Lebensbe‐ reiche erfasst hat. Für den nahezu täglichen Wissens‐ und Technologietransfer, für Wirtschaftskooperation sowie Orga‐ nisation und Durchführung verschiedener Aktionen reicht die Muttersprache allein nicht mehr aus (Steinmüller, 2013: 2; Doye, 2009: 4). Das Beherrschen von einer bis zwei weiteren Fremdsprachen gehört inzwischen zur allgemeinen Basisqua‐ lifikation. Mehrsprachigkeit erweitert die sprachliche Ausdrucksfä‐ higkeit und bringt mehr Akzeptanz für den Einzelnen mit sich. Aber auch die Kommunikationsbereitschaft zwischen den Gruppen einer Gesellschaft wird durch sie erhöht (Reh‐ bein, 2013: 280), und damit auch der gesellschaftliche Zusam‐ menhalt und die interkulturelle Verständigung. So entsteht Verständnis für Anderssprachige und für Menschen unter‐ schiedlicher Herkunft. Regionale und grenzüberschreitende 52
Verständigung steigt, so dass die Mehrsprachigkeit eine gleichberechtigte Teilhabe bzw. Teilnahme der Individuen an den gesellschaftlichen Prozessen mit sich bringt. Expert/innen weisen zugleich auf den möglichst frühen Erwerb der Mehrsprachigkeit bzw. der Zweisprachigkeit hin. Denn die frühe Mehrsprachigkeit ist die beste Grundlage für den späteren Fremdsprachenerwerb in Schule und Beruf. Sie erweitert die Lebenswelt des Kindes sowie seine sozial‐ emotionale, kognitive und interkulturelle Kompetenz. So ge‐ winnt das Kind früh einen guten Umgang mit Sprachen und stärkt seine Ausdrucksweise und seine Wortschatzbildung (Rehbein, 2013: 181; Köhn, 2012: 12‐13). Bereits 1965 forderte Theodore Andersson in den USA, Kindergärten und Krippen bei der Planung der mehrsprachi‐ gen Erziehung zu berücksichtigen (Doye, 2009: 3). Dabei wies Andersson auf die intellektuelle Bereitschaft und emotionale Neigung von Kindern hin, Fremdsprachen zu lernen. Dies wird ergänzt durch die spätere Feststellung der kanadischen Gehirnforschern Penfield und Roberts, dass die Vorausset‐ zungen für das Erlernen von weiteren Sprachen in frühen Jahren (bis zu acht Jahren) am besten gegeben sind. Daher plädiert man dafür, das Lernen weiterer Sprachen (neben der Muttersprache) schon in den vorschulischen Einrichtungen zu etablieren. Ansonsten sei kostbare Zeit in der Entwicklung der Kinder verspielt (ebd.). Obwohl die Diskussionen über den Zweispracherwerb hinsichtlich der pädagogischen und didaktischen Modelle noch keine wissenschaftlich abgesicherte und unumstrittene Aussagen ergeben haben (Merten, 1997: 66), spielen drei Fak‐ toren eine wichtige Rolle: die Veranlagung des Kindes, seine Umwelt sowie seine Eigenaktivitäten. Zudem wird der Er‐ 53
werb einer zweiten Sprache von der Grundsprache des Ler‐ nenden beeinflusst. So erleichtert das Vorhandensein ähnli‐ cher Elemente bzw. Strukturen der beiden Sprachen den Er‐ werb der Zweitsprache. Im umgekehrten Fall treten dann Lernschwierigkeiten auf (Bausch/ Kaspar, 1979: 5). Die „Interlanguage Hypothese“ nach Larry Selinker (1972), die auf Theorien von Uriel Weinreich basiert, geht davon aus, dass der/die Lernende durch die Konfrontation mit einer neuen Sprache eine eigene Lernersprache entwickelt. Diese weist so‐ wohl Merkmale der Erst‐ als auch der Zweitsprache auf. Die Auseinandersetzung mit der Zweitsprache und die bereits er‐ worbenen Kenntnisse der Erstsprache veranlassen die Lernen‐ den, eigene Hypothesen und Regeln über die Sprachenbildung aufzustellen. In diesem Prozess ist neben dem sozialen Umfeld vor allem die individuelle Eigenleistung der Lernenden aus‐ schlaggebend. Im Folgenden werden drei gelungene pädagogische Kon‐ zepte und Projekte zur praktischen Umsetzung von frühkind‐ licher bilingualer Bildung vorgestellt werden: Die Immersi‐ onstheorie von Henning Wode ist zur heutigen Zeit die Basis für viele bilinguale Konzepte in Kindergärten und Schulen, das Kieler Modell ist ein wissenschaftlich fundiertes Projekt von Ernst Apeltauer, das die Umsetzung eines bilingualen Konzepts in einer Kindertagesstätte aufzeigt, und das Ruck‐ sack‐Projekt ist ein bundesweit etabliertes Programm zur Sprachförderung von Kindern mit der Zusammenarbeit von Eltern.
Die Immersionsmethode nach Hennig Wode Das Wort Immersion wird aus dem lateinischen „immersio“ abgeleitet, was eintauchen bedeutet. Im Deutschen wird der 54
Begriff auch als „Sprachbad“ übersetzt. Der Fremdspracher‐ werb nach der Immersionstheorie wird durch das Eintreten in ein fremdsprachiges Umfeld vollzogen, so dass die Zweitspra‐ che nach dem Prinzip der Muttersprache erworben wird (vgl. Wode o.J.; Fthenakis u.a., 1985). Hier gilt das Prinzip des in‐ haltsbasierten Zweitspracherwerbs (Doye, 2009). Das Prinzip der Immersion wurde erstmalig 1965 in Ka‐ nada von dem Psychologen Wallace Lambert entwickelt. Die‐ ser machte es sich zur Aufgabe, das Spannungsfeld zwischen der dominanten englischen Sprache und der weniger vertrete‐ nen französischen Sprache aufzuheben, indem er die französi‐ sche Sprache als Alltagssprache in den Schulalltag einfließen ließ (Melenk, 2004: S. 13). Das Konzept basiert auf der An‐ nahme, dass die Zweitsprache in einem natürlichen Umfeld besser erlernt wird als in einem gesteuerten Fremdsprachen‐ unterricht (vgl. Fthenakis u.a., 1985: 25). Dieses Konzept wur‐ de in den siebziger Jahren auch in den USA eingeführt und verbreitete sich schnell. Heutzutage ist das Immersionskon‐ zept einer der bekanntesten pädagogischen Ansätze der früh‐ kindlichen bilingualen Erziehung und hat sich durch die hohe Qualität, die schon in den Anfangsjahren durch Längsschnitt‐ untersuchungen bewiesen wurde, ausgezeichnet (vgl. Fthena‐ kis, 1985: 25). Das Immersionsprogramm wird vermehrt auch im frühkindlichen Bereich, z.B. in Kindertagesstätten umge‐ setzt. Der Sprachwissenschaftler Henning Wode befasst sich in Deutschland mit der Einführung der Immersionstheorie in Kindertagesstätten. Die zu lernende Sprache wird bei dieser Methode konsequent als Arbeitssprache in der Kita eingesetzt und ist somit im gesamten Tagesablauf präsent. Sie wird nicht als Unterrichtseinheit oder in einen bestimmten Zeitraum im
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Wochenplan eingebracht, sondern ist fest in den Alltag inte‐ griert (vgl. Wode o J.). Henning Wode verstärkt die Argumente für seine Theo‐ rie, indem er wissenschaftlich nachgewiesene Thesen ein‐ bringt. Dazu gehört, dass die Immersionsmethode erfolgrei‐ cher bei der Aneignung der Sprache und dem Sprachniveau ist, als die lehrgangsorientierte Methode. Das Fachwissen entwickelt sich zudem fast noch besser als im Regelunterricht. Wode widerlegt die Befürchtung, dass die Erstsprache unter dem frühen Zweitspracherwerb leidet und betont, dass diese sogar eher davon profitiert. Außerdem wird durch den frühen Erwerb einer zweiten Sprache die kognitive Entwicklung vo‐ rangetrieben (vgl. Wode o.J.). Nach Wode ist der Erfolg der Immersionsmethode darauf zurückzuführen, dass sie sich darauf bezieht und stützt, wie Kinder eine Sprache lernen (vgl. Wode o.J.). Dabei weist er auf drei Faktoren hin: Die kontinuierliche Dauer, der möglichst lange Zeitraum (von mind. sechs bis sieben Jahren) sowie die Vielfältigkeit der Themenbereiche, in denen die Sprache auf‐ gegriffen wird. In der bilingualen Kindertagesstätte sollte die Rollenverteilung der Fachkräfte so erfolgen, dass ein/e Erzie‐ her/in die Muttersprache vertritt und der andere Teil die Fremdsprache. Die Sprachen sollten im Umgang mit den Kin‐ dern durch diese Person repräsentiert werden. Die/der Erzie‐ her/in sollte über Kenntnisse in beiden Sprachen verfügen. Die Fachkräfte sollten Muttersprachler/innen sein, was dadurch begründet wird, dass eine Authentizität der Sprache in jeder Situation vorhanden sein sollte (vgl. Wode o.J.). Bezogen auf die Anwendung der Immersionsmethode in Kitas spricht Peter Doyè von einer „partiellen Immersion“. Denn nur sofern könne man von der Immersion sprechen, wo 56
die Kommunikation in der zu lernenden Sprache stattfindet. Und das sei in den bilingualen Kitas nur zur Hälfte der Fall (Doyè, 2009: 23). Hier gilt das Prinzip „eine Person, eine Spra‐ che“: Eine Erziehungskraft spricht nur in Deutsch, die andere die neue Sprache bzw. umgekehrt (Köhn, 2012: 14‐15). Ex‐ pert/innen sehen es als weniger wichtig, dass die Zweitspra‐ che, die hier nach dem “Muttersprachenprinzip” erworben wird, auch von den Eltern beherrscht wird. Auch der Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS) stellt fest, dass die zweitgelernte Sprache zu Hause nicht geübt werden muss.
Das Kieler Modell Das „Kieler Modell“ entstand 2002 unter Leitung des Sprach‐ wissenschaftlers Ernst Apeltauer und unter der Mitwirkung von Reyhan Kuyumcu. Anlass war der Bedarf einer städti‐ schen Kindertageseinrichtung in Kiel, die für einen Jahrgang mit fast ausschließlich Kindern mit der Erstsprache Türkisch unterstützende Hilfe suchte. Nicht zuletzt durch die intensive wissenschaftliche Begleitung und die regelmäßige Evaluation wurde es zu dem am häufigsten zitierten Modell im Bereich des Zweitspracherwerbs (Apeltauer, o.J.: 112). Im Rahmen des Projektes wurden 15 türkischstämmige Kinder im Alter von 3,5 bis 5 Jahren in kleinen Gruppen inten‐ siv (sechs Stunden pro Tag und fünfmal die Woche) betreut. Die Laufzeit betrug insg. zweieinhalb Jahre von 2003‐2005. Das Projekt zielte darauf ab, die geringen Deutschkenntnisse der Kinder zu verbessern und die Kinder zum Sprechen ihrer Zweitsprache Deutsch anzuregen. Dadurch sollte ihnen die Verständigung in der Zweitsprache ermöglicht und sie somit auf ihren späteren Schulalltag vorbereitet werden. 57
Bei der Durchführung des Projektes scheinen die wesent‐ lichen Erkenntnisse des frühen Zweitspracherwerbs aus der internationalen wissenschaftlichen Diskussionen weitgehend berücksichtigt zu sein. So bildete die Zusammenarbeit mit den Eltern den Grundbaustein des Projektes, die im Laufe der Projektpraxis unterschiedlich einbezogen wurden. Auch die Mitarbeiter/innen wurden auf ihre Rolle intensiv vorbereitet. Das Projekt wurde durch eine Fortbildungsphase eingeleitet, in der die Erzieher/innen (auch durch spätere modellbeglei‐ tende Weiterbildung) Kenntnisse über sprachwissenschaftli‐ che Grundlagen erwarben. Sie erhielten Informationen zum Erst‐ und Zweitspracherwerb, lernten die Zusammenhänge von kognitiver und sprachlicher Entwicklung kennen und beschäftigten sich mit der Funktion der Lateralität. Im Weiteren bildete die Auseinandersetzung mit Litera‐ tur einen wichtigen Schwerpunkt des Kieler Modells, die in dem konzeptionellen Zusammenhang auch „Anbahnung der Lateralität“ genannt wurde. Diese zielte u.a. auf die Wort‐ schatzbildung ab und stellte sich als sehr förderlich für den Spracherwerb heraus. Auch die Herkunftssprache und die kulturellen Hintergründe der Kinder fanden eine volle Be‐ rücksichtigung im Kita‐Alltag. Dadurch sollten Selbstwertge‐ fühl und das Selbstvertrauen der Kinder in die tägliche Kita‐ arbeit einbezogen werden, um so die Explorationsfreude der Kinder zu erhöhen und eine gelungene Lernatmosphäre zu schaffen (ebd., 116). Ein weiteres kinder‐zentriertes Vermitteln der Zweitsprache fand seinen Ausdruck darin, dass die The‐ men des Projektprogramms möglichst aus den Interessenge‐ bieten der Kinder ausgewählt wurden. Dabei fand auch der Einfluss des Erstspracherwerbs auf den Zweitspracherwerb eine Berücksichtigung (ebd., 114). Auch bei der Wortschatz‐ 58
bildung wurde auf den kontextuellen Zusammenhang beson‐ deren Wert gelegt.
Das Rucksackprojekt Das Rucksack Projekt ist ein sogenanntes Familienbildungs‐ programm zur Sprachförderung der Erst‐ und Zweitsprache des Kindes. Eltern, Kindertagesstätten, Grundschulen und speziell geschulte Elternbegleiter arbeiten eng miteinander zusammen, um den Kindern einen gelungen Spracherwerb zu ermöglichen. Seinen Ursprung hat das ʺRucksack Projekt“ in den Nie‐ derlanden. Die Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA ‐ Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demo‐ kratie e.V.) übertrug 1999 das Konzept auf die Verhältnisse in Deutschland. Die Projekte in den Sprachen Türkisch, Russisch, Italienisch, Griechisch und Spanisch sind mit großem Erfolg umgesetzt worden. Mittlerweile gibt es bundesweit über 500 Rucksack‐Gruppen an Schulen und Kindertagesstätten. Das Rucksack Projekt basiert auf der Annahme, dass Kinder, um eine ausgewogene Mehrsprachigkeit erreichen zu können, gute Sprachvorbilder in ihrer Erstsprache sowie in der Zweitsprache Deutsch benötigen. Dabei wird die Fami‐ liensprache und ‐kultur als eine wichtige Ressource für den Bildungserfolg der Kinder angesehen und somit eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern angestrebt (Springer‐ Geldmacher, 2005). In dem Programm wird versucht, den Kindern von meh‐ reren Seiten einen Input zu geben, indem Themen zunächst innerhalb der Familie und anschließend oder parallel laufend in der Kindertagesstätte bearbeitet werden. Das Kind erwirbt 59
somit zunächst in seiner Herkunftssprache neue Sprachkennt‐ nisse, die anschließend in der Kita auf Deutsch aufgegriffen werden. Daraus folgt eine Partnerschaft für die Sprachförde‐ rung des Kindes zwischen Eltern und Erzieher/innen. Das Programm Rucksack zielt auf die Förderung der mutter‐ sprachlichen Kompetenzen, auf die Förderung des Deutschen und auf die Förderung der allgemeinen kindlichen Entwick‐ lung ab. Dabei werden die Eltern als Experten/innen für das Erlernen der Erstsprache mit einbezogen und mit Hilfe von Arbeitsmaterialien auf die Förderung der Erstsprache vorbe‐ reitet. Die Mütter und Väter treffen sich einmal in der Woche für zwei Stunden mit der Kursleitung in den Räumlichkeiten der Kindertagesstätte und bereiten die Materialien für die Übungen vor, die sie in der darauf folgenden Woche mit ihren Kindern zu Hause durchführen wollen. Während dieser Tref‐ fen werden Themen wie der Wert von Literalität, Anregungen für Literatur behandelt, Bilderbücher und Lieder gesammelt sowie die Wichtigkeit des Spielens und Malens und der Ver‐ bindung von Sprache und Handeln für die Entwicklung des Kindes in der alltäglichen Beschäftigung besprochen. Das Thema Medien wurde neu zum Programm hinzugefügt. Mit der kontinuierlichen Vermittlung des Programms über neun Monate soll auch bei den Eltern eine Steigerung der mutter‐ sprachlichen Kompetenz und eine Bewusstheit über bestimm‐ te Verhaltensweisen im Umgang mit dem Kind entstehen (Springer‐Geldmacher, 2005). Nach Angaben der RAA beste‐ hen die meisten Gruppen hauptsächlich aus Müttern, weshalb in vielen Texten auch nur von diesen gesprochen wird. Zu‐ sammenfassend kann man sagen, dass das Rucksack Projekt ein sehr verbreitetes Programm zur Sprachförderung ist, das sich in vielen Hinsichten bewährt hat. Es gibt ähnliche Fami‐ 60
lienbildungsprogramme, die auf dem Konzept der Einbezie‐ hung der Eltern basieren, wie z. B. die Programme Hippy oder Opstapje; das Rucksack‐Projekt ist jedoch das einzige, bei dem der Fokus auf der Sprachförderung liegt (vgl. ebd.).
Zwei‐ und mehrsprachige Bildung in der frühen Kindheit im internationalen Kontext Es steht also fest, dass die Vorschulbildung im Hinblick auf die soziale Eingliederung der Kinder die größten Erträge er‐ bringt. Entsprechend wurden die Investitionen in die Vor‐ schulbildung in den letzten Jahren in vielen Ländern verstärkt, damit diese wirksam dazu beitragen können, eine Basis für das weitere Lernen zu schaffen, Schulabbrüche zu verhindern, mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit bei den Bildungs‐ ergebnissen und den Beschäftigungsmöglichkeiten zu errei‐ chen und das allgemeine Kompetenzniveau zu steigern. Nach einem kurzen Überblick über die Situation in der Europäischen Union wird in diesem Kapitel zunächst eine internationale Studie beschrieben, die das Stimmungsbild in Gesellschaft und Politik zum Thema der frühkindlichen bilin‐ gualen Bildung aufzeigen soll. Anschließend wird der Fokus auf Deutschland gelegt, indem die Anzahl von bilingualen Kindertagesstätten und die öffentlichen Debatten dort thema‐ tisiert werden. Das Goethe‐Institut gab 2010 die sogenannte Nürnberger Empfehlung zum frühen Fremdsprachenlernen heraus, in der Empfehlungen zur Verbesserung der Gegeben‐ heiten für eine frühkindliche bilinguale Erziehung beschrieben werden. Eine sehr wichtige Rolle spielt hierbei das Netz der Bedingungsfaktoren, in dem Eltern, Erzieher/innen, Lehrkräf‐ te, sowie Organisationen und Institute eine optimale Umge‐ bung für das Kind zum Erwerb einer anderen Sprache schaf‐ 61
fen (Widlok u.a., 2010: 11). Dieses Kapitel soll die strukturel‐ len, institutionellen, rechtlichen und politischen Bedingungen für eine gelungene frühkindliche bilinguale Erziehung aufzei‐ gen. Außerdem werden die wichtigsten Akteure aufgezählt, die an dem Prozess des frühen kindlichen Zwei‐ und Mehr‐ spracherwerbs beteiligt sein sollten. Der Zugang zu Angeboten der „frühkindlichen Betreu‐ ung, Bildung und Erziehung“ (FBBE) ist nach der Europäi‐ schen Kommission einer der Schlüsselfaktoren zu sozialer Gerechtigkeit und Integration (EACEA, 2009: 92). Die größte Herausforderung besteht darin, allen Kindern, insbesondere den Kindern aus sozial benachteiligten Familien, den Zugang zu frühkindlicher Bildung und Erziehung zu ermöglichen. In den allgemeinen bildungspolitischen Rahmenvorgaben wird festgelegt, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund bestimmter sozioökonomischer, geografischer und kultureller Kriterien ein vorrangiger Zugang zu den Angeboten einge‐ räumt werden soll. Die Umsetzung dieser politischen Prioritä‐ ten wird jedoch oftmals durch verschiedene kulturelle oder soziale Faktoren behindert. Diese Hindernisse sind zum Teil nur schwer zu überwinden und können zu einer Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen führen (vgl. ebd.). Die Öff‐ nung der Institutionen mit einem inklusiven Ansatz ist eine Möglichkeit, diese Hürden zu überwinden. Hierbei kann das Thema der Sprachenvielfalt ein Aspekt der Öffnung sein. In‐ ternational gesehen ist die Tendenz steigend, Kindern eine Chance des frühen Fremdsprachenlernens zu ermöglichen. Die Bemühungen, frühe Lernangebote systematisch und auch institutionell übergreifend zu planen, curricular abzusichern und durchzuführen sowie das dafür notwendige Personal heranzubilden, sind allgemein zu beobachten. Nationale und 62
internationale Studien beweisen, dass eine frühe bilinguale Erziehung oder der frühe Erwerb einer Zweitsprache viele Vorteile mit sich bringt und Kinder dieser Anforderung mit Begeisterung entgegen kommen und nicht überfordert sind. Es werden unter guten Bedingungen elementare kommunika‐ tive Fähigkeiten und Kompetenzen, wie z. B. die Sprachbe‐ wusstheit, erworben. Nachweislich sind diese Erfolge von politischen, pädagogischen und didaktischen Bedingungen abhängig, die vielerorts noch nicht ausreichend gegeben sind. Das Sprachlernangebot in einem Land hängt von vielen Faktoren ab: Politische, wirtschaftliche, kulturelle und gesell‐ schaftliche Gegebenheiten, sowie die internationalen Bezie‐ hungen des Landes haben starken Einfluss auf die Sprach‐ lernprogramme und Angebote. Die Reihenfolge des Erwerbs der Sprachen ist ebenfalls von großer Relevanz. In Europa wird die sogenannte „europäische Mehrsprachigkeit“ ange‐ strebt. International hat Englisch zur heutigen Zeit den größ‐ ten Stellenwert und gilt als globale Lingua franca. Der Sprach‐ prestige der einzelnen Sprachen spielt ebenfalls eine große Rolle bei den Sprachangeboten. Sprachen wie Türkisch oder Arabisch haben eher eine geringere Anerkennung als Spra‐ chen, die in der europäischen Union gesprochen werden (Schiffer, 09.03.11). Insgesamt überwiegen Forschungen über den einsprachi‐ gen Erwerbsprozess von privilegierteren sozialen Gruppen. Zum Thema der Mehrsprachigkeit gibt es vorwiegend Unter‐ suchungen zum doppelten Erstspracherwerb, der parallel verläuft. Es sind wenige Studien zu dem sukzessiven Zweit‐ spracherwerb von Kindern eingewanderter Familien mit nied‐ rigeren sozialen Status zu finden (Wagner, 2010: 116). Die Politik hat in den letzten Jahren gezeigt, dass ihr Interesse für 63
die frühkindliche Bildung groß ist. Die thematische Untersu‐ chung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über die Politik frühkindlicher Be‐ treuung, Bildung und Erziehung sollte eine internationale Diskussion und vergleichende Untersuchung der Bildungssys‐ teme in den verschiedenen Ländern herbeiführen und ist ein Beweis für das ansteigende Interesse an der frühkindlichen Bildung (vgl. OECD, 2006: 1). Bisher nehmen 20 Länder an der Untersuchung teil, hierzu gehören Australien, Österreich, Belgien, Kanada, die Tschechische Republik, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Irland, Italien, Korea, Mexiko, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Schwe‐ den, Großbritannien und die USA. Diese Länder unterschei‐ den sich teilweise erheblich in ihrer sozialen, ökonomischen und politischen Struktur, wie auch in ihrem politischen An‐ satz für die Betreuung, Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Zu Beginn des Untersuchungsprozesses einigten sich die Vertreter der Teilnehmerländer auf den Rahmen, den Umfang und den Ablauf der Untersuchung und legten die wichtigsten zu untersuchenden Schwerpunkte fest. Die Untersuchung bezieht sich auf die Alterspanne von der Geburt bis zum Schuleintritt; inhaltlich werden die Erfahrungen der ersten Lebensjahre, die politischen Gegebenheiten und die frühkind‐ liche Betreuung, Bildung und Erziehung, sowie die nationale Sozialpolitik und verschiedene Umwelteinflüsse auf die früh‐ kindliche Entwicklung und frühkindliches Lernen berücksich‐ tigt (OECD, 2004: 5). Die letzte Untersuchung fand 2012 in Deutschland statt. Dabei stellte sich heraus, dass das frühkindliche Bildungssys‐ tem in Deutschland recht gut ausgebaut ist: 96% der 4‐ 64
Jährigen Kinder und 89% der 3‐Jährigen nehmen nach dem Länderüberblick Deutschland an der frühkindlichen Bildung teil, dies liegt weit über dem OECD Durchschnittswert von 79% bzw. 68% (OECD, 2012: 1). An der Studie der OECD ist zu erkennen, dass das Interesse für den Ausbau der kindli‐ chen Früherziehung allgemein groß ist. Die zwei‐ und mehr‐ sprachige Erziehung in institutionellen Einrichtungen hat in vielen Ländern zugenommen. Sprachfördernde Angebote sind meist darauf ausgelegt, Kindern mit einer anderen Erstsprache als die Landessprache Kenntnisse der Landessprache zu ver‐ mitteln. Aufgrund neuer wissenschaftlicher Kenntnisse hat sich in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen, indem die Wichtigkeit und Akzeptanz der Erstsprache für den Zweit‐ spracherwerb erkannt wurde und somit versucht wird, sprachliche Angebote in der Erstsprache anzubieten. Im nach‐ folgenden Kapitel wird anhand des Beispiels Deutschland die derzeitige Situation der frühkindlichen bilingualen Bildung aufgezeigt.
Situation der bilingualen frühkindlichen Bildung in Deutschland Im vorangegangenen Kapitel wurde durch die Untersuchung der OECD gezeigt, dass Deutschland ein relativ gut ausgebau‐ tes Netz an Kindertageseinrichtung besitzt. Die Mehrheit der Kinder in Deutschland besucht eine Kita im Alter von drei bis sechs Jahren. Davon hat jedes fünfte Kind mindestens einen Elternteil mit einer Migrationsgeschichte, und jedes sechste Kind spricht vorrangig eine andere Sprache zu Hause als Deutsch (vgl. Statistisches Bundesamt, 2007, S. 225). In einem großen Teil der Familien wird mehr als eine Sprache gespro‐ chen. Hierbei kann es sich um eingewanderte Familien han‐ 65
deln, bi‐nationale Eheleute oder Familien, in denen Fremd‐ sprachen eine große Rolle spielen. Das Thema der zweispra‐ chigen Erziehung und Mehrsprachigkeit ist allerdings in Bil‐ dungseinrichtungen noch nicht stark verbreitet. Bilinguale Konzepte in Kindertagesstätten sind in den meisten Teilen Deutschlands eher eine Seltenheit (Wagner, 2010: 117). Die Anzahl der Einrichtungen mit einem bilingualen Konzept wird anhand einer Studie des FMKS deutlich. Der FMKS er‐ hob 2014 eine Statistik zur Anzahl bilingualer Kindertagesstät‐ ten in Deutschland. Die Kriterien, eine Kita als bilinguale Kin‐ dertagesstätte zu bezeichnen, legte die FMKS wie folgt fest: Um eine Kita als bilinguale Kindertagesstätte zu bezeichnen, muss diese nach dem Immersionsprinzip zusätzlich zu Deutsch eine weitere Sprache im Alltag integriert haben, die durch das päda‐ gogische Personal umgesetzt wird, welches aus Muttersprach‐ ler/innen besteht oder über muttersprachliche Kompetenzen verfügt. Außerdem sollte nach dem Prinzip „eine Person – eine Sprache“ gearbeitet werden und der Sprachkontakt zu der zweiten Sprache mindestens zur Hälfte der Öffnungszeiten der Kita angeboten werden (FMKS, 2014: 1). Positiv zu sehen ist, dass sich die Zahl der bilingualen Ki‐ tas in Deutschland in den letzten zehn Jahren verdreifacht hat. Nach Aussagen der Studie sind insgesamt 1035 Kindertages‐ stätten mit einem bilingualen Konzept in Deutschland zu fin‐ den. In diesen sind 21 verschiedene Sprachen vertreten. Die Aufteilung der Sprachen weist jedoch große Unterschiede auf. Am häufigsten sind Englisch und Französisch als Zweitspra‐ chen vertreten. In ganz Deutschland gibt es 42 bilinguale Ki‐ tas, in denen die zweite Sprache Türkisch ist, im Vergleich hierzu ist Englisch mit 437 Kitas wesentlich häufiger vertreten. Das Angebot für Türkisch von 2008 hat sich mittlerweile ver‐ 66
doppelt (ebd., 2). Die Verteilung der Sprachen ist in den Bun‐ desländern sehr unterschiedlich. Das Bundesland Saarland hat zwar die meisten bilingualen Kitas und ist mit einem Anteil von 37% der Spitzenreiter. Die höchste Sprachenvielfalt besitzt jedoch danach folgende Bundesland Berlin, welches 173 bilin‐ guale Kindertagesstätten hat (FMKS, 2014: 2). Die Anzahl von bilingualen Kindertagesstätten in Deutschland ist also stark angestiegen. Nach Auffassung des FMKS ist die Zahl jedoch noch lange nicht ausreichend. Die bildungspolitische Zielsetzung der Europäischen Union, dass sich ein Kind im Laufe seiner Schullaufbahn gute Sprach‐ kenntnisse in drei Sprachen aneignet, kann bisher noch nicht verwirklicht werden. Daher fordert der FMKS die Steigerung bilingualer Kitas und Schulen und die Absicherung einer Wei‐ terführung in der Schule mit dem Zweispracherwerb (FMKS, 2014: 9). An den Schulen sowie Kindertagesstätten herrscht bisher immer noch der sogenannte „monolinguale Habitus“, mit dem der Zwang zur Einsprachigkeit einhergeht. Deutsch ist die Voraussetzung, damit bestimmte Abläufe und Angebo‐ te funktionieren, und es wird schwierig, wenn Kinder die Einrichtungssprache nicht verstehen. Für die einsprachigen Fachkräfte wird dies ebenfalls zum Problem, da die Anforde‐ rungen in einer solchen Situation, individuell auf das Kind einzugehen, über ihre eigenen Kompetenzen hinausgehen. Das führt häufig zu einer eher kurzsichtigen Bewältigungs‐ strategie, und zwar zu der Festlegung der Einsprachigkeit, bei der es dann häufig in den Kindertageseinrichtungen heißt „Hier wird nur Deutsch gesprochen“ (Wagner, 2010: 118). In einigen politischen Debatten wird dieses Verhalten leider zu‐ sätzlich verstärkt, indem den Familien mit Migrationsge‐
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schichte geraten wird, hauptsächlich Deutsch mit ihren Kin‐ dern zu sprechen. Der öffentliche Diskurs in Deutschland über die Mehr‐ sprachigkeit ist sehr geteilt. Es wird nicht nur auf politischer Ebene über Bildungsreformen diskutiert. Auch Familien und Eltern zeigen großes Interesse an der Umsetzung von bilingu‐ aler Erziehung und Mehrsprachigkeit. Neben den bereits oben aufgeführten Argumenten spricht für die Mehrsprachigkeit, dass die zwei‐ oder mehrsprachige Erziehung als positiv für die Entwicklung des Kindes angesehen und als förderlich für den Verlauf seines Bildungsweges betrachtet wird. In einem Text zur bilingualen Erziehung erklärt Edit Morvai vom Goe‐ the‐Institut Budapest, dass das Fremdsprachenlernen sich auf das Kind persönlichkeitsbildend auswirkt und den Prozess der Identitätsbildung positiv beeinflusst (vgl. Doyé, 2009). Der Fröbel‐Verein stellt fest, dass eine frühe bilinguale Erziehung die kommunikativen, sprachlichen und interkulturellen Kom‐ petenzen eines Kindes und die Offenheit gegenüber anderer Kulturen sowie die Fähigkeit für den weiteren Erwerb von Sprachen fördert (Fröbel, 23.02.15). Die Sprachwissenschaftle‐ rin Reyhan Kuyumcu spricht von der Möglichkeit, den Zu‐ sammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft durch bilinguale Angebote aufzubrechen (Kuyumcu, 26.02.15). Sie sieht in dem vermehrten Angebot von bilingualen Konzep‐ ten in Kindertagesstätten eine Aufwertung und Akzeptanz anderer Sprachen, die sich positiv auf das Selbstbildnis der Kinder auswirken kann. Es gibt aber auch Gegenstimmen die behaupten, dass Kinder mit einer bilingualen Erziehung überfordert seien. Die Tageszeitung „die Welt“ behauptet z. B., dass eine zweispra‐ chige Erziehung die Sprachentwicklung verzögere, und be‐ 68
zieht sich dabei auf eine Untersuchung der amerikanischen Psychologin Erika Hoff (Die Welt, 25.02.12). Ende 2014 erregte der Entschließungsantrag des CSU‐Parteitags in Deutschland Aufsehen, in dem es heißt: “Wer dauerhaft hier (in Deutsch‐ land) leben will, soll im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch sprechen” (Schwenkenbecher, 16.12.14). Solche Aus‐ sagen führen zu großen Verunsicherungen bei vielen Eltern, aber auch bei Pädagogen/innen. Viele Eltern mit Migrations‐ geschichte befürchten, dass durch die einseitige Förderung des Deutschen ihre Kinder die Herkunftssprache verlernen (OCED, 2004: 60). Eine Studie des Instituts für den Situations‐ ansatz (ISTA) zeigt die Ängste und Befürchtungen von Eltern mit Migrationsgeschichte auf, indem Eltern zu den Erwartun‐ gen an Erzieher/innen und zum Bildungssystem befragt wer‐ den. Einerseits ist es den Eltern sehr wichtig, dass ihre Kinder frühzeitig die deutsche Sprache lernen, aber andererseits be‐ fürchten sie auch die Entfremdung von der Muttersprache und der eigenen Kultur (Jungen, 2011). Die Linguistin Katha‐ rina Brizic hat eine soziolinguistische Studie zum Verlust der eigenen Sprache von Migrant/innen erstellt, in der sie Gründe für den Sprachtod1 einiger Sprachen untersucht und diesen Prozess in Zusammenhang mit dem Bildungserfolg der Kin‐ der setzt. Sie stützt sich auf eine vorherige Studie, bei der vor allem Kinder aus Familien des ehemaligen Jugoslawien sowie aus der Türkei untersucht worden sind. Auffällig ist, dass die meisten Kinder weder gute Kenntnisse in der deutschen Spra‐ che noch in ihrer Muttersprache hatten (Brizic, 2006: 33). Brizic ergänzt ihre Studie, indem sie sich nicht nur die sprachlichen 1
Sprachtod: Unter dem Begriff Sprachtod ist zu verstehen, dass eine Sprachgemeinschaft die eigene Sprache aufgibt und sie durch eine andere ersetzt.
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Fähigkeiten der Kinder anschaut, sondern die Situation der Eltern und die gesellschaftlichen Gegebenheiten mit einbe‐ zieht. Sie stellt fest, dass der sprachliche Input innerhalb der Familie von großer Relevanz ist. Kinder, die ihre Herkunfts‐ sprache mit ihrer Familie sprechen, sind auch im Erwerb der deutschen Sprache fortgeschrittener (Korneck, 26.08.2008). Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Wichtigkeit von bilingualen Kindertagesstätten in vielen Teilen von Deutsch‐ land bereits erkannt wird. Es fehlt jedoch in vielen Bereichen noch die Erkenntnis, dass der Erwerb des Deutschen von der Förderung der Erstsprache positiv beeinflusst wird. Daran schließt eine kurze Darstellung der institutionellen Rahmenbe‐ dingungen zum Aufbau einer bilingualen Kindertagesstätte an. Das anschließende Kapitel soll anhand des Beispiels Ber‐ lin rechtliche Grundlagen für die Betreuung in einer Kinderta‐ gesstätte erläutern und geht dabei kurz auf das Berliner Bil‐ dungsprogramm ein, das die fachliche Grundlage für die pä‐ dagogische Arbeit und das Handeln der Pädagogen/innen ist. Jedes Bundesland hat inzwischen ein solches Papier, das sich z.B. Bildungsempfehlungen, Bildungsplan oder Bildungspro‐ gramm nennt.
Rechtliche Grundlagen zur bilingualen frühkindlichen Bildung in Berlin In Deutschland werden die rechtlichen Grundlagen für die Bildung und Erziehung von Kindern im achten Sozialgesetz‐ buch (SGB VIII) festgelegt. Jedes Bundesland hat ergänzende Gesetzesregelungen zur Umsetzung der Förderung und Be‐ treuung in Kindertagesstätten. In Berlin findet man diese Re‐ gelungen im „Gesetz zur Förderung von Kindern in Tagesein‐ richtungen und Kindertagespflege“ (KitaFöG). Dieses beinhal‐ 70
tet die Aufgaben und Ziele der Förderung, den Umfang der Förderung, die Qualitätsentwicklung, die Elternbeteiligung und den Betreuungsvertrag, die Kindertagespflege, die Ge‐ samtverantwortung der Planung und Organisation der Kin‐ dertageseinrichtungen in bezirklicher Trägerschaft, sowie die Finanzierung und Verwaltungsvorschriften. Gesetzlich ist die Kindertageseinrichtung als sozialpäda‐ gogische Bildungseinrichtung zur Unterstützung und Ergän‐ zung der Erziehung des Kindes neben der Familie zuständig. Die für diese Arbeit relevanten Gesetzmäßigkeiten werden im Anschluss erläutert. In §1 Abs.3, S.4. z. B. steht, dass eine Kin‐ dertageseinrichtung die Aufgabe besitzt, ein Kind in seiner Persönlichkeit zu stärken und die kulturelle Vielfalt zu akzep‐ tieren und zu bejahen. Zur Sprachförderung bezieht man sich in den Gesetzen ausschließlich auf die deutsche Sprache. So heißt es in §1 Abs. 4, dass eine Kooperation mit Eltern und Schulen stattfinden soll und die Übermittlung durch Sprach‐ dokumentationen gesichert werden soll. Der §5 befasst sich ausschließlich mit dem Thema der Sprachförderung. Jeder Träger, der eine Finanzierung nach dem KitaFÖG erhalten möchte, muss versichern, dass er sich an die Rah‐ menbedingen der Leistungssicherstellung hält. Unter diese fällt auch die Erstellung einer Sprachdokumentation für jedes in der Kindertagesstätte angemeldete Kind. Hierfür wurde das Sprachlerntagebuch2 entwickelt, dass die Erzieher/innen bei der sprachlichen Beobachtung und Dokumentation des Kin‐ des anregen soll. Das Sprachlerntagebuch beinhaltet Fragen für ein „Gespräch zum Kennenlernen des Kindes und seiner Familie“, die anregend für ein Gespräch mit den Eltern wirken 2
Das Berliner Sprachtagebuch befindet sich in Überarbeitung. Die neue Fassung wird ab Sommer 2016 verwendet.
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können, sowie einen Teil „Das bin ich“, um mit dem Kind über seine Interessen zu sprechen, die sprachliche Entwick‐ lung zu dokumentieren und andere Sprachen, die in der Fami‐ lie gesprochen werden, wertzuschätzen. In zwei Bildungsge‐ sprächen mit den 4‐5jährigen Kindern wird die sprachliche Entwicklung des Kindes aufgezeigt. Ein Bildungsgespräch wird einzeln mit dem Kind durchgeführt, dabei wird das Kind angeregt, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzu‐ setzen, und die pädagogische Fachkraft notiert das Gespräch. Mit der Lerndokumentation im letzten Jahr des Kitabesuches soll die Sprach‐ und Kommunikationsentwicklung des Kindes im Jahr vor dem Schulbeginn eingeschätzt werden; sprachli‐ che Bildungsprozesse im letzten Kita‐Jahr sollen bewusst an‐ geregt und begleitet werden. Darüber hinaus soll der Über‐ gang zwischen Kita und Grundschule erleichtert werden (Lin‐ gens, 2015). Eine „qualifizierte Statuserhebung zur Sprach‐ entwicklung vierjähriger Kinder in Kitas und Kindertages‐ pflege“ wird zur Einschätzung des deutschen Spracherwerbs jedes Kindes durchgeführt. Das Berliner Sprachlerntagebuch, das einmalig in der ganzen Bundesrepublik ist, bleibt Eigen‐ tum des Kindes und dessen Familie und wird ihnen nach Be‐ endigung des Kindergartenaufenthaltes übergeben. Seit 2008 ist das Sprachlerntagebuch Teil der Anlage der Qualitätsver‐ einbarung mit den Trägern von Kindertagesstätten (QVTAG) und kommt 2016 in einer aktualisierten Fassung heraus. Das bundesweit geltende Kinderförderungsgesetz von 2008 führte in Ergänzung zum SGB VIII seit 01. August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ein und brachte einen Ausbau der Bildungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahre mit sich. Die Bundesregierung beschreibt im 14. Kinder‐ und Ju‐ 72
gendbericht, dass die Bildungspotenziale aktiviert, Benachtei‐ ligungen abgebaut und insbesondere in den Bereichen der Sprachförderung, der Kindertagespflege, in qualitativen Bera‐ tungsangeboten und bei der Fachkräftegewinnung Förderun‐ gen vorgesehen sind (vgl. 14. Kinder‐ und Jugendbericht, S. 7). Zum Thema der Sprachförderung, welches für diese Ar‐ beit relevant ist, kann man zusammenfassend feststellen, dass die gesetzlichen Regelungen die Förderung des Kindes als Individuum zugrunde legen und damit die verschiedenen kulturellen und sprachlichen Hintergründe mit einbeziehen. Der Bildungsauftrag liegt in der Absicherung einer gelunge‐ nen Bildungsbiografie, und das beinhaltet stets, dass der Er‐ werb der deutschen Sprache im Vordergrund steht. Es wird einerseits die individuelle Betrachtung auf das Kind gefördert, doch durch den Fokus auf die deutsche Sprache wiederum eingegrenzt. Im Sinne einer Bildungsgerechtigkeit sollen Start‐ und Teilhabechancen von Kindern verbessert werden.
Das Berliner Bildungsprogramm Das Berliner Bildungsprogramm wird für jede Kindertages‐ stätte in Berlin bereitgestellt und beinhaltet einen Orientie‐ rungsrahmen für die Arbeit in einer Kindertagesstätte (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2010, S. 15). Inhaltlich beschreibt das Berliner Bildungspro‐ gramm den Auftrag einer Kindertagesstätte, den Bildungsbe‐ griff und das Bildungsverständnis, die Ziele des Bildungspro‐ gramms, die Rolle und die pädagogischen Aufgaben eines/r Erziehers/in. Im Folgenden werden diese Themen noch aus‐ führlicher erläutert und mit den Bildungsbereichen des Berli‐ ner Bildungsprogramms in Zusammenhang gesetzt.
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In der von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissen‐ schaft und Forschung herausgegebenen „Werkzeugkiste In‐ terner Evaluation“ wird der Auftrag von Kindertagesstätten dahin gehend beschrieben, dass eine Kindertagesstätte nicht nur zur Betreuung der Kinder vorgesehen ist, sondern auch eine wichtige und eigenständige Bildungsinstitution darstellt. Eine Kindertagesstätte sollte sich an den gesellschaftlichen Erfordernissen und den Lebensumständen der Kinder orien‐ tieren. Die Veränderungen der Lebenssituation und der ge‐ sellschaftliche Wandel sollten stets beachtet und in die päda‐ gogische Arbeit mit einbezogen werden, so dass eine Überprü‐ fung und Anpassung der eigenen Arbeit ständig gefordert ist (vgl. ebd.: 15). Unter diese Thematik fallen als Beispiel die Aufgabenbereiche „Projekte gestalten“ oder auch „Demokrati‐ sche Grundprinzipien leben“ (vgl. ebd.: 16). Das Bildungsver‐ ständnis, welches dem Berliner Bildungsprogramm zu Grunde liegt, geht von einer Selbsttätigkeit kindlicher Aneignungs‐ prozesse aus. Die Bildungsbereiche des Berliner Bildungspro‐ gramms sind Richtungsziele, die den Pädagogen/innen Orien‐ tierung geben sollen. Die sieben Bildungsbereiche des Berliner Bildungsprogramms stellen die verschiedenen Zugänge für ein ganzheitliches Lernen und Weltverständnis dar. So soll den Erzieher/innen erleichtert werden, die Vielfalt der Bil‐ dungsinhalte im Blick zu behalten. Die Bildungsbereiche be‐ inhalten die Themen, mit denen jedes Kind während seiner Kita‐Jahre in Berührung kommen soll. Alle sieben Bildungsbe‐ reiche sind an der Lebenswelt des Kindes orientiert und in den Zusammenhang mit den Ebenen „Das Kind in seiner Welt“, „Das Kind in der Kindergemeinschaft“ und „Weltgeschehen erleben, Welt erkunden“ gegliedert.
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Das Berliner Bildungsprogramm hat einen Absatz „Bil‐ dung braucht Sprache“, in dem erläutert wird, dass Partizipa‐ tion und Dialog Grundlagen des ganzheitlichen Bildungspro‐ zesses sind. Sprache kann das Zugehörigkeitsgefühl verstär‐ ken und kann als Wertschätzung für Personen innerhalb einer Gemeinschaft fungieren (vgl. Berliner Bildungsprogramm 2014: 16). Bemerken Kinder, dass jede Sprache, die in der Kita vertreten ist, wertgeschätzt wird, stärkt dies das positive Ver‐ hältnis zur Familiensprache und Kultur (vgl. ebd.: 102). Das Berliner Bildungsprogramm versteht somit die Sprachenviel‐ falt als eine Ressource. Der Umgang mit verschiedenen Spra‐ chen und Schriften stärkt das Kind in seiner Entwicklung und dessen Weltwissen. Ein respektvoller Umgang mit verschie‐ denen Sprachen weist dem Kind die Bedeutung von Sprache in einer globalisierten Welt und als Ausdruck der kulturellen Identität auf. Zwei‐ und mehrsprachige Erziehung wirkt sich nach dem Berliner Bildungsprogramm positiv auf die Ent‐ wicklung des Kindes aus. Die Pädagogen/innen können durch eine sprachanregende Umgebung die Sprachfreude und Lernmotivation für die deutsche Sprache bei Kindern mit ei‐ ner anderen Familiensprache wecken (vgl. ebd.). Die Eltern sollten dazu ermutigt werden, in der Sprache mit ihren Kin‐ dern zu sprechen, in der sie sich am wohlsten fühlen (vgl., ebd.: 102).
Institutionelle Rahmenbedingungen für bilinguale frühkindliche Bildung Die Bundesländer unterscheiden sich in ihren Rahmencurricu‐ la für Kitas voneinander, doch sind diese in bestimmten Ge‐ setzmäßigkeiten bundesweit gleich. Kindertagesstätten kön‐ nen von Städten oder Gemeinden getragen werden. Durch 75
eine finanzielle Umstrukturierung wurden immer mehr Ein‐ richtungen an freie Träger übergeben. Zu den freien Trägern gehören z.B. kirchliche Gemeinden, soziale Organisationen oder Zusammenschlüsse von engagierten Eltern (Cra‐ mer/Kohlberger, 2010: 7). Es besteht die Möglichkeit, als Trä‐ ger in unterschiedlichen Rechtsformen, wie z.B. als Vereini‐ gung bürgerlichen Rechts (GbR), als gemeinnützige GmbH (gGmbH), als eingetragener Verein (e.V.) oder auch als Ein‐ zelperson mit Gewerbeschein eine Kindertagesstätte zu grün‐ den. In der Trägerlandschaft ist die am häufigsten verwendete Form der eingetragene Verein (e.V.), dieser wird rechtlich durch einen Vorstand vertreten. Bei einer GbR werden die einzelnen Personen des Zusammenschlusses als rechtliche Vertreter gesehen. Die Vorteile eines Vereins (e.V.) sind, dass die Gründer des Vereins nicht als Privatperson haften, son‐ dern der gesamte Verein; außerdem müssen sie kein Eigenka‐ pital aufbringen, sondern werden häufig von der jeweiligen Gemeinde oder einer Organisation unterstützt. Ein eingetra‐ gener Verein arbeitet gemeinnützig, d.h. es darf kein Eigenka‐ pital aus dem Unternehmen genommen werden. Eine Eltern‐ initiative wird von Eltern gegründet, die ein bestimmtes Inte‐ resse an einem pädagogischen Konzept wie z. B. bilingualer Erziehung haben (ebd., 20ff). Der erste Schritt einer Kitagründung besteht darin, sich eine Trägerform auszuwählen; ist dies geschehen, kann Kon‐ takt zu den Behörden aufgenommen werden. Die drei wich‐ tigsten Behörden sind zunächst die Standortgemeinde zur Klärung der Rahmenbedingungen, das zuständige Jugendamt zur Finanzierung der belegten Plätze und das Landesjugend‐ amt zum Erhalt der Betriebserlaubnis. Um diese zu erhalten, muss der Träger nachweisen, dass er eine Kita in der erforder‐ lichen Qualität betreiben kann. Dazu gehören angemessene 76
Gruppenräume mit entsprechender Ausstattung, angemesse‐ ne Versorgung, Einhaltung hygienischer Vorschriften, sowie die Einhaltung des Unfall‐ und Brandschutzes. Außerdem muss der Träger über die erforderlichen personellen und fi‐ nanziellen Möglichkeiten verfügen, um eine Eigenleistung3 zu erbringen (vgl. Cramer/Kohlberger, 2010: 24). Es gibt gesetzli‐ che Vorschriften, die den Rahmen der Betreuung in einer Kin‐ dertagesstätte regeln. Diese sind bundesweit im §45 Kinder‐ und Jugendhilfegesetz oder auch im Achten Buch Sozialge‐ setzbuch (SGB VIII) festgelegt und wurden im voran gegan‐ genen Kapitel bereits beschrieben. In den Bundesländern gibt es noch andere gesetzliche Regelungen, die von Bundesland zu Bundesland kleine Unterschiede aufweisen können. Das Kindertagesstättenförderungsgesetz (KitaFöG) ist in Berlin das Gesetz zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtung und Tagespflege. Darin werden Betreuungsangebote und An‐ gebotsformen beschrieben, darunter Themen wie Öffnungs‐ und Betreuungszeiten, Anzahl der Kinder und Gruppengröße, Räume und Ausstattung, Essensversorgung und Personal. Die pädagogischen und konzeptionellen Rahmenbedingungen werden auf der Grundlage des Berliner Bildungsprogramms zum größten Teil vom Träger selbst gestaltet (vgl. ebd.: S. 24). Die Finanzierung einer Kindertagesstätte ist im KitaFöG im Einzelnen beschrieben. Die Kostenträger sind: • Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Ju‐ gendamt) • Die örtlich zuständige Gemeinde bzw. das entspre‐ chende Amt • Der Träger der Einrichtung 3
Eigenleistung bedeutet, über die nötigen Mittel zu verfügen, damit der Betrieb der Einrichtung sichergestellt ist.
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• Die Eltern (Elternbeteiligung) • Jugend‐ und Sozialämter (bei Themen wie z. B. Integ‐ ration) (Cramer/Kohlberger, 2010: 49)
Situation und Probleme der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Berlin: Schule und Beruf Über 3‐4 Generationen leben bereits Migrant/innen in Berlin. Seit Beginn der Anwerbung von ausländischen Arbeitneh‐ mer/innen durch Deutschland im Jahre 1955 stieg die Zahl der Migrant/innen in Berlin wie in vielen anderen deutschen Städ‐ ten ständig an. Während jede/r fünfte Bürger/in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, macht der Anteil der Men‐ schen mit Migrationsgeschichte in Berlin etwas über ein Vier‐ tel (27,4%) aus. Hinzu kommt, dass sich die Gruppe der Berli‐ ner/innen mit Migrationshintergrund sehr heterogen zusam‐ mensetzt. Die hier am meisten vertretenen Migrant/innen kommen aus der Türkei, aus Polen und der Russischen Föde‐ ration. Die EU‐Bürger machen unter Ihnen 381.263 (ca. 73% der Berliner mit MH) aus (vgl. Statistisches Bundesamt, 2013). Auch wenn die Migrant/innen ethnisch, religiös, kulturell und sozial sehr heterogen sind, unterscheiden sie sich in vielen Punkten von den Einheimischen; zugleich weisen Menschen mit MH viele Gemeinsamkeiten auf, wie z.B. in Fragen der Bil‐ dung und Arbeit. Im Folgenden soll die Situation der Migran‐ tenkinder und ‐jugendliche kurz vorgestellt werden, um dabei auf die Probleme in Schule und Beruf hinzuweisen. Nach die‐ sem kurzen Überblick soll die Vorschulphase der türkischen Kinder dargestellt werden, die vor allem durch die möglicher‐ weise darin enthaltenen Sprachprobleme aus Sicht der Ex‐ pert/innen für die späteren Lebenslagen der Kinder und Ju‐ 78
gendlichen sehr ausschlaggebend ist. Vor allem die ersten Jahre nach der Geburt sind für die Expert/innen hinsichtlich des Spracherwerbs enorm wichtig. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb der deutschen Sprache, die auch Amtssprache ist; auch die eigene Muttersprache spielt für den späteren Erfolg im Schul‐ und Berufsleben der Kinder eine sehr wichtige Rolle. Als unmittelbare Bezugspersonen und Entscheidungsträ‐ ger für die Zukunft des Kindes stellen auch die Eltern in der Kette der frühkindlichen Bildungsstationen und –akteure ei‐ nen wichtigen Faktor dar. Im Rahmen eines Modellprojektes über bilinguale frühkindliche Bildung von Kindern mit türki‐ schem MH in Deutschland wurde im Januar‐Februar 2015 eine Befragung unter den türkischstämmigen Eltern durchgeführt. Anhand einiger ausgewählter Ergebnisse dieser Befragung sollen die Haltungen und Erwartungen, aber auch die Sorgen der Eltern aufgezeigt werden. Schließlich geht es hier um eine Problematik, bei der sich im Laufe der Migrations‐ bzw. Integ‐ rationsjahre leider viel zu wenig veränderte. Die bilinguale frühkindliche Bildung könnte, laut Expert/innen, durchaus dafür geeignet sein, den türkischstämmigen Kindern neue Chancen für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit in der Frage der Teilnahme an den Bildungs‐ und Beschäftigungsprozessen anzubieten. Diese Praxis der frühen bilingualen Bildung, als ein wirksames Bildungskonzept auch für mehr Chancen‐ gleichheit und hohen Bildungserfolg auch für andere Migran‐ tenkinder, würde außerdem den einheimischen Gleichaltrigen neben zusätzlichen Sprachkompetenzen mehr interkulturelle Fähigkeiten und Akzeptanz für andere Kulturen entwickeln helfen. Während jede/r Fünfte der in Deutschland lebenden Per‐ sonen einen Migrationshintergrund aufweist, steigt dieser 79
Anteil in jüngeren Jahren weiter an. So beträgt z.B. der Anteil von unter 6‐Jährigen mit MH gut ein Drittel der Bevölkerung. In manchen Regionen steigt dieser über 40% an. Auch in Ber‐ lin ist die Tendenz steigend. So betrug der Anteil junger Berli‐ ner/innen mit MH unter 21 Jahren 39% in 2007; dieser erhöhte sich in 2012 auf 42,7% (ISO, 2013: 26). Dagegen ging der Anteil der „nichtdeutschen“ Kinder zurück. Das liegt an der im Jahre 2000 eingeführten Options‐ regelung, die die Änderung des deutschen Staatsbürgerrechts zur Folge hatte. Demnach erhalten die hier geborenen Kinder von Anfang an die deutsche Staatsbürgerschaft, sofern ihre Eltern länger als acht Jahre in Deutschland leben. Deshalb ist die Staatsbürgerschaft weniger für die Festlegung des Migra‐ tionsstatus geeignet. Stattdessen gewinnt das Merkmal Migra‐ tionshintergrund bzw. –geschichte mehr an Bedeutung. Hier gibt es wiederum unterschiedliche Ausprägungen: zum einen geht es um Personen, die im Ausland geboren wurden und selber über eigene Migrationserfahrung verfügen. Zum anderen handelt es sich um Personen, die in Deutschland geboren wur‐ den und somit selber keine eigene Migrationserfahrung haben. Ähnlich wie auf der Bundesebene ist die Gruppe der Per‐ sonen mit MH in Berlin sehr heterogen. Von den unter 21‐ Jährigen haben 23% einen türkischen, 7,7% einen polnischen und 5% einen russischen Migrationshintergrund. Ihre Vertei‐ lung auf die einzelnen Bezirke ist nach Alter sehr unterschied‐ lich. So leben die meisten Menschen mit Migrationshinter‐ grund im Bezirk Mitte (46,6%), gefolgt von Neukölln (41,1%) und Friedrichshein‐Kreuzberg (37,6%). Der Bezirk Mitte be‐ heimatet ebenfalls die meisten jungen Migrant/innen unter 21 Jahren. Kinder unter 6 Jahren machen dort 68% aus, während
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die Gruppe von 6‐15 Jahren 75% erreicht und die von 15‐21 Jahren 54% (vgl. ebd.: 27). In Berlin beträgt die Zahl der Schüler/innen insgesamt (öffentliche und private Schulen) 324.025 (2013/14). Unter ih‐ nen ist der Anteil der Schüler/innen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit 12,5% (40.608). An Berliner Schulen liegt der Anteil von Schüler/innen mit Migrationshintergrund mit 33,9% (109.990) etwa drei Mal höher. Der letztere betrug 6 Jahre zuvor 28,5%, wobei die ausländischen Schüler/innen 15,7% der Gesamtzahl der Schüler/innen ausmachten (BSenBJW: 38). Die Zahl der Schüler/innen mit Migrationshin‐ tergrund stieg an fast allen Berliner Bezirken an. So überstieg dies in den Bezirken Mitte, Friedrichshein‐Kreuzberg und Neukölln die 50%‐Hürde. In der Grundschule erreicht sogar der Anteil der Schüler/innen mit Migrationshintergrund im Bezirk Mitte 72,1%, während dieser auf Landesebene Berlin bei ca. 40% liegt (ebd.). Hinsichtlich der Verteilung auf die Schularten sind die Verhältnisse bei ISS und Gymnasium spiegelverkehrt. In allen Berliner Bezirken besuchen Schüler/innen ohne Migrations‐ hintergrund mehrheitlich Gymnasium (Berlin‐weit 78%), wäh‐ rend das für Schüler/innen mit MH in keinem der Bezirke zutrifft (Berlin‐weit 22%). Interessant ist allerdings die Vertei‐ lung in Neukölln. Dort machen Gymnasiast/innen mit MH etwa 58% und ohne MH 42% aus. Dennoch liegen die Anteile für die Schüler/innen ohne MH über dem der ISS‐ Schüler/innen (ISO, 2013: 90). Auch im Bezirk Mitte nähern sich die Werte Gymnasiast/innen mit MH (49%) und ohne MH (51%); die Grundregel bleibt jedoch für beide jungen Gruppen bestehen: die Zahl der ISS‐Schüler/innen bei Jugendlichen ohne MH ist geringer und die der Jugendlichen mit MH höher 81
als die Gymnasiast/innen. Auch die Schulabschlüsse bei Ju‐ gendlichen mit MH liegen recht niedrig: So beträgt im Jahre 2011 der Anteil der Migranten‐Jugendlichen (zwischen 17‐45) mit Hauptschulabschluss 32%, während dieser für Jugendliche ohne MH 19% beträgt. Bei Jugendlichen mit türkischem MH liegt dieser bei 54% (vgl. bpb, 2013: 202). Dagegen erreichen lediglich 20% der türkischstämmigen Jugendlichen Abitur. Das liegt bei Jugendlichen mit MH (33%) bzw. ohne MH (42%) wesentlich höher. Bei den frühen Schulabgänger/innen ist der Anteil der Berliner/innen mit MH recht hoch. So beträgt der Anteil der Berliner Zuwanderer/innen in 2012 16,6%, die keinen Schulab‐ schluss erreichen konnten (ISO, 2013: 40) Dieser Prozentsatz beträgt für die Berliner/innen ohne MH 1,5%. Im Weiteren hat ein Viertel der Berliner Schüler/innen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, ausländische Staatsbürgerschaft bzw. 47,8% haben MH. Diese Rate beträgt für den Bildungsgang Haupt‐ schule 53,7% für Gymnasien sogar 56,8%, bei integrierter Se‐ kundarschule (ISS) am höchsten (60,1%) (ISO, 2013: 98). Nied‐ rige Schulabschlüsse haben ebenfalls niedrige Berufsabschlüs‐ se zur Folge. In Berlin haben Personen mit MH 42,8% keinen Berufsabschluss; bei Berliner/innen ohne MH beträgt dieser 13,4% (ISO, 2013: 41) Um hier auch die Zahlen auf Bundesebe‐ ne heranzuziehen: 35% der Personen mit MH zwischen 25‐65 Jahren sind ohne beruflichen Abschluss. Für die Personen ohne MH beträgt dieser lediglich 15%. Für die Personen mit türkischem MH erreicht das sogar 60% (bpb, 2013: 201). Unter dem Migranten‐Nachkommen (zwischen 17‐45) liegt das bei 36% (ohne MH 17%). Jugendliche mit türkischem MH verlas‐ sen die Berufsschulen zu 56% ohne einen Abschluss. 82
Frühkindliche Bildung in Berlin Für Schule und Berufsausbildung scheinen die Startbedingun‐ gen der Kinder mit MH und ohne recht unterschiedlich zu sein. Sicherlich spielen dabei viele Faktoren mit eine Rolle. Da es hier um bilinguale frühkindliche Bildung geht, werden im Folgenden insbesondere die Sprachdefizite bzw. ihre Gründe behandelt. Bei etwa einem Drittel der Kinder mit MH werden im Al‐ ter von 3‐7 Jahren Sprachdefizite festgestellt. Dieser Anteil liegt bei Kindern ohne MH bei 21%. Bei den Migrantenkindern variiert das je nach Sprache, die in der Familie als unmittelba‐ rer Sprachumwelt des Kindes gesprochen wird. Dabei hängt die Höhe der Sprachbedürftigkeit neben der/n gesprochenen Sprach(en) zu Hause auch stark von der Teilnahme an Be‐ treuungsangeboten ab. Daher soll hier die Situation in der Familie, aber auch das Betreuungsverhalten der Eltern näher beleuchtet werden. Das besondere Augenmerk gilt dabei den Kindern mit MH in Berlin; türkischstämmige Kinder werden in jenen Bereichen berücksichtigt, sofern statistisches Material zu dieser Gruppe vorliegt. Expert/innen sind sich darüber einig, dass Kinder mit Migrationshintergrund frühkindliche Betreuungsangebote am nötigsten haben. Das Sprachdefizit variiert allerdings stark in Abhängigkeit von der gesprochenen Sprache in der Familie. Unter Kinder, deren Eltern beide MH haben, gelten 31% als sprachbedürftig. Wenn von den Eltern nur der eine Teil Mig‐ rationshintergrund hat, reduziert sich dieser Prozentsatz auf 23%. Unabhängig von der Herkunft der einzelnen Elternteile beträgt der Grad der Sprachbedürftigkeit der Kinder 21%, ist also genau so hoch wie bei Eltern ohne MH, sofern die Eltern mit MH zu Hause häufig Deutsch sprechen (Vgl. 83
Slupina/Klingholz, 2013: 9). Wenn die „Migrations‐Eltern“ allerdings zu Hause überwiegend eine andere Sprache spre‐ chen als Deutsch, dann steigt die Sprachbedürftigkeit der Kin‐ der gleich auf 39 Prozent. Nicht nur das sprachliche Umfeld hat Einfluss auf die Sprachkompetenz der Kinder. Durchschnittlich werden insge‐ samt 22,5% der einzuschulenden Kinder als sprachbedürftig eingestuft. Davon sind 44,8% Kinder mit MH; der Anteil jener ohne MH beträgt lediglich 8,4% (ISO, 2013: 64). Mit steigender Besuchsdauer einer Tageseinrichtung gehen die Sprachdefizite der Kinder zurück. 2012 betrug der Anteil der Berliner Mig‐ rantenkinder mit Sprachdefiziten 61%, die keine Tageseinrich‐ tung besuchten; bei den Kindern mit ausländischer Staatsbür‐ gerschaft stieg dieser Prozentsatz auf 92%. Auch deutsche Kinder ohne MH scheinen, wenn auch geringer (24%), vom Sprachdefizit betroffen zu sein, wenn sie zuvor keine Kita besucht haben. Bei 4 und mehr Jahren Kindergartenbesuch betragen die Werte für das Sprachdefizit bei den Berlinern Kinder ohne MH 7%, mit MH 30% und bei den ausländischen Kindern 42%. Längere frühkindliche Bildung reduziert zwar mögliche Sprachdefizite, beseitigt diese jedoch nicht. Im Be‐ zirk Marzahn‐Hellersdorf haben ein Fünftel der deutschen Kinder ohne MH Sprachprobleme, obwohl der überwiegende Teil von ihnen drei Jahre und mehr Kitas besucht hat. Auch für deutsche Kinder mit MH sieht das nicht viel anders aus. In den Bezirken Mitte und Neukölln, jenen mit höchstem Migrantenanteil, haben Kinder mit MH erhebliche Schwierig‐ keiten mit der deutschen Sprache, obwohl mehr als die Hälfte von ihnen drei Jahre und länger an Betreuungsangeboten teil‐ genommen hat (ebd.: 65).
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In der Haltung bezüglich der Nutzung der frühkindli‐ chen Betreuungsangebote stellt man grundsätzliche Differen‐ zen zwischen den Eltern mit und ohne MH fest. So wurden die Eltern mit MH für U3‐ und Kinder zwischen 3‐6 Jahren befragt: Ungeachtet von der Tatsache, dass die ersten drei Jahre für die Sprachförderung wichtig sind (Slupina/Klingholz, 2013: ISO, 2013: 10), ist der Wunsch unter den Migrantenfamilien recht gering (16%), ihre U3‐Kinder in die Kita zu schicken. Das liegt deutlich unter dem Prozentsatz für die deutschstämmigen Gleichaltrigen (33%). Die Haltung der Migranteneltern in der Frage der Nutzung von Be‐ treuungsangeboten für Kinder über 3 Jahren ändert sich und liegt ziemlich nahe an dem Prozentsatz für deutschstämmige Eltern. So beträgt der Anteil des Kindergartenbesuchs bei 3‐ 5jaehrigen Kindern ohne MH 96%, bei den Kindern mit MH 87% (ebd.). Die unterschiedliche Nutzung der Betreuungsangebote fällt ebenfalls bei der Dauer der Bildungsbeteiligung der Kin‐ der im Vorschulalter auf. Unter den Kindern, die 2012 an der jährlich durchgeführten Einschulungsuntersuchung teilnah‐ men, besuchten 2,1% keine Kindertageseinrichtung. Auf die Herkunft bezogen stellte man fest, dass 42% der Kinder eine ausländische Staatsbürgerschaft, 29% einen MH und weitere 29% keinen MH haben. Auch die Bildungsdauer der Kinder im Vorschulalter ist bei den o.g. drei Gruppen recht unter‐ schiedlich. Während 25% der ausländischen Kinder, 38% der deutschen Kinder mit MH und 54% der deutschen Kinder ohne MH weniger als 2 Jahre Kindertageseinrichtungen be‐ suchten, beträgt dieser Prozentsatz für 5‐6 Jahre Bildungsbe‐ teiligung für die jeweiligen Gruppen der Reihe nach 3%, 15% und 82% (ISO, 2013: 58‐59). Verglichen mit ihrem Anteil an 85
der Gesamtbevölkerung sind die Kinder mit ausländischer Herkunft (8% der Bevölkerung) und mit Migrationshinter‐ grund (39% der Bevölkerung) in der Bildungsbeteiligung der Berliner Kinder im Vorschulalter recht unterrepräsentiert. Expert/innen zeigen auch auf, wie sehr Herkunft und die meist gebrauchte Sprache zu Hause für das Nutzungsverhal‐ ten der Eltern entscheidend sein können. Bei Kindern unter 3 Jahren mit einem Elternteil MH beträgt der Anteil der Nut‐ zung von Tagesbetreuungsangeboten 18%. Dieser geht gleich auf 14% zurück, wenn beide Elternteile MH haben, gar auf 10%, wenn die Eltern zu Hause überwiegend eine andere Sprache sprechen als Deutsch. Ähnliches gilt auch bei den Kindern zwischen 3‐6 Jahren: Wenn ein Elternteil mit MH ist, werden die Betreuungsangebote (ganztags) zu 47% genutzt, bzw. wenn beide Elternteile mit MH sind, zu 50%, und bei Eltern, die zu Hause mehrheitlich kein Deutsch sprechen, re‐ duziert sich dies auf 43% (Schober/Spiess, 2012: 21). In der Frage der Nutzung von Kinderbetreuungsangeboten unter‐ scheidet sich die Haltung der Eltern mit MH von der der Ein‐ heimischen erheblich. Als meist genannte Gründe sind hier unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der frühkindli‐ chen Bildung festzustellen. Zugewanderte Familien mit wenig Kenntnissen der deutschen Sprache und des deutschen Bil‐ dungssystems neigen eher dazu, ihre Kinder möglichst selbst zu betreuen. Als weitere Gründe für geringere Nutzung der Tagesbetreuungsangebote nennen die Eltern mit MH noch folgende Punkte: geringe bzw. fehlende interkulturelle Öff‐ nung der Kitas, fehlende Kitaplätze, die Höhe der eventuell anfallenden Betreuungskosten (Vgl. Slupina/Klingholz, 2013: 10‐11).
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Bei Kindern mit MH ist nicht die Familiensprache bzw. die Dauer der Bildungsbeteiligung allein für eine erfolgreiche frühkindliche Bildung entscheidend. Selbst wenn diese Kinder so früh eine Kita besuchen, heißt das noch lange nicht, dass ihre Sprachdefizite gering ausfallen. Gerade den Migrantenkindern, die mit großen Sprachdefiziten in die Ein‐ richtungen kommen, fehlt meist das richtige Sprachumfeld, d.h. eine möglichst sprachlich gleichmäßig gemischte Kita. Laut Statistiken besuchen etwa 30% der Kinder, die zu Hause kein oder wenig Deutsch sprechen, Tageseinrichtungen mit mehrheitlich Kindern aus nicht deutschsprachigen Familien. In Berlin erreichte das in 2010 bei Kindern mit nichtdeutscher Familiensprache 57%, die ebenfalls Kitas mit mehrheitlich Kindern mit MH besuchten (ebd., 12). So fehlt den Migrantenkindern meist das “deutsche Sprachbad”, das für den Erwerb von hohen Sprachkompetenzen nötig ist. Nicht zuletzt deshalb, weil die Eltern die Einrichtung frei auswählen dürfen, wird dieses Defizit noch mehr verstärkt. Gerade türki‐ sche Eltern neigen häufiger als deutsche dazu, eine Be‐ treuungseinrichtung in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld zu nehmen (ebd.). In manchen Stadtteilen sind deutschsprachige Kinder eher Ausnahme. So können die Kita‐Jahre bei diesen Kindern relativ wenig bewirken, und Sprachdefizite vor Schulbeginn werden dann unvermeidbar.
Erwartungen, Sorgen und Standpunkte zur bilingualen frühkindlichen Bildung: Ergebnisse einer Befragung mit Eltern türkischer Herkunft Im Januar‐Februar 2015 führte das Projektteam eine Befragung mit türkischstämmigen Eltern in Berlin durch, das im Rahmen des Projektes als Modell‐Bundesland ausgewählt wurde. Ins‐ 87
gesamt 110 Eltern mit türkischem MH wurden über ihre Er‐ wartungen, Sorgen und Haltungen bezüglich der bilingualen frühkindlichen Bildung befragt. Unabhängig von der Nutzung solcher Angebote wurde die Stichprobe nach dem Zufalls‐ prinzip aus türkischstämmigen Eltern ausgewählt, die sich auf verschiedene Berliner Bezirke verteilen. Sowohl die geringe Anzahl der Befragten wie auch ihre Auswahl ausschließlich aus dem Land Berlin schränkt die Repräsentativität der Er‐ gebnisse der Untersuchung ein. Sie sind allerdings durchaus dazu geeignet, die Grundhaltungen und allgemeine Tenden‐ zen der türkischstämmigen Eltern über bilinguale frühkindli‐ che Bildung festzustellen. Der verwendete Fragebogen wurde durch die Projektlei‐ tung entwickelt und mit Hilfe der bilingualen Interviewer (deutsch‐türkisch) in Form von persönlichen Gesprächen mit türkischstämmigen Frauen und Männern mit Kind durchge‐ führt. Neben den demographischen Angaben über das Ge‐ schlecht, Alter und den Bildungsstand wurden die türkisch‐ stämmigen Interviewpartner/innen über ihre Lebensbedin‐ gungen in Berlin befragt. Außerdem mussten sie Angaben über die Anzahl ihrer Kinder sowie ihre tatsächliche Nutzung der frühkindlichen Betreuungsangebote machen. Die Befra‐ gung schloss mit Fragen über Erwartungen und Meinungen bezüglich der bilingualen frühkindlichen Bildung ab, über die es in der Wissenschaft teilweise noch Diskussionsbedarf be‐ steht bzw. diese weiterhin als umstritten gelten. Die an der Befragung teilgenommenen Eltern erhielten alle 16 Fragen gestellt, die der Fragebogen umfasste, wenn diese ihre Kinder zur Zeit der Befragung oder zuvor zur Kita schickten; ansons‐ ten beantworteten die Teilnehmer/innen insgesamt 14 Fragen. 88
Mehr türkischstämmige Kinder in bilingualen Kitas An der Projekt‐Befragung nahmen insgesamt 49 Väter (45%) und 61 Mütter (55%) mit türkischem MH teil. Die Mehrheit von ihnen sind unter 40 Jahren (etwa 60%); der Anteil der Eltern über 51 Jahren beträgt lediglich 18%. Die größte Gruppe von 36% (39 Personen) der Befragten bilden die Hochschulab‐ solvent/innen. So macht der Anteil der befragten türkisch‐ stämmigen Eltern mit Abitur 23% aus, eben so viel sind auch die Realschulabsolvent/innen; Befragte mit Grundschulab‐ schluss (9%) und mit Hauptschulabschluss (10%) machen zusammen etwa 20% der Befragten aus. Die häufige Nennung der in Deutschland üblichen Schulabschlüsse legt zudem die Vermutung nahe, dass die meisten Befragten in Deutschland in die Schule gegangen sind. Bezogen auf ihre Lebensdauer in Deutschland geben die meisten Befragten an, dass sie in Deutschland geboren sind (36%) oder seit über 21‐30 Jahre (21%) bzw. 31 Jahre oder länger (19%) in Deutschland leben; d.h. etwa 76% der Befragten sind entweder in Deutschland geboren oder leben länger als 21 Jahre dort. Im Weiteren ge‐ ben 70% der türkischstämmigen Eltern an, dass bei ihnen zu Hause beide Sprachen, Türkisch und Deutsch gesprochen würden. Der Anteil derjenigen, die zu Hause nur Türkisch sprechen, liegt mit 18% höher als der jener, die zu Hause nur Deutsch (11%) sprechen. Unter der Rubrik “andere Sprachen” wurden Kurdisch und Arabisch genannt. Auch Bulgarisch befindet sich unter den zu Hause gesprochenen sonstigen Sprachen. Laut ihrer Angaben haben 58% der befragten Berliner El‐ tern mit türkischem MH gegenwärtig Kind/er im Alter von 0‐6 Jahren. Einschließlich jener Eltern, die auch Kinder über 6 Jahre haben, geben zu 84% an, derzeit ihre Kinder in die Kita 89
zu schicken bzw. zuvor geschickt zu haben. An einer anderen Stelle bestätigen die Berliner türkischstämmigen Eltern mit großer Mehrheit die Notwendigkeit, dass Kinder Vorschuler‐ ziehung erhalten (89%) sollen. Hinzu kommt, dass 72% der türkischstämmigen Eltern ihre Kinder unter 3 Jahren in die Kita geschickt hätten; weitere 28% der Eltern hätten ihre Kin‐ der 3jährig oder älter in die Kita geschickt. Lediglich 11% hät‐ ten mit den jeweiligen Tageseinrichtungen Kommunikations‐ probleme gehabt; 84% der Befragten hätten dabei allerdings keine oder keine nennenswerten Probleme erlebt. Gefragt nach dem Alter, wann Kinder mit dem Kita‐ Besuch beginnen sollten, meinen die meisten Berliner Eltern mit türkischem MH (73%) mit 2 Jahren oder jünger. Der Anteil von denjenigen, die 3 Jahre oder älter (22%) bzw. 4 Jahre oder älter (6%) sagen, bleibt gering. Wenn sie jedoch gefragt wer‐ den, in welchem Alter sie ihre Kinder in eine Kita schicken würden, in der beide Sprachen, Deutsch und Türkisch gleich‐ berechtigt gesprochen würden, stimmen gleich viel mehr El‐ tern zu, ihre Kinder im frühen Alter dahin zu schicken. So steigt der Anteil der Eltern, die ihre Kinder in eine deutsch‐ türkische Kita mit 2 Jahren oder jünger schicken würden, auf 82%. Weitere 17% der befragten Eltern würden ihre Kinder mit drei Jahren in eine deutsch‐türkische Kita schicken. Das bedeutet, dass 99% der türkischstämmigen Eltern ihre Kinder bereits unter 4 Jahren in eine deutsch‐türkische Kita schicken würden. Was die Haltung der Berliner Eltern mit türkischem MH über die Notwendigkeit der frühkindlichen Bildung anbetrifft, kann folgendes gesagt werden: Mit einer großen Mehrheit stimmen die türkischstämmigen Eltern (89%) der Aussage zu, dass “die frühkindliche Bildung völlig notwendig” ist. 7% 90
äußerten sich dazu nicht bzw. 4% lehnten diese Meinung ab. Den Imperativ, “in den Kitas soll ausschließlich Deutsch ge‐ sprochen werden” lehnen 63% der türkischstämmigen Eltern ab; dagegen stimmen 24% dieser Meinung zu bzw. 13% geben keine Antwort. Die Berliner Eltern mit türkischem MH sind gespalten, wenn sie zu der Meinung Stellung nehmen müssen, “in den Kitas sollten Deutsch und Türkisch gleichberechtigt gesprochen werden”. Diese Aussage findet die Zustimmung von 65% der Eltern, während 17% sie ablehnen bzw. etwas über 17% darüber keine Meinung äußern. So können die türkischstämmigen Eltern in Berlin, die an der Befragung teilnahmen, wie folgt beschrieben werden: Zwei Drittel von ihnen sind 40 Jahre oder jünger und über ein Drittel Hochschulabsolvent/innen. Die meisten von ihnen sind in Deutschland geboren oder leben bereits seit über 20 Jahren dort. Außerdem sind sie zu Hause bilingual, zwei Drittel von ihnen sprechen Deutsch und Türkisch. Die überwältigende Mehrheit der Berliner Eltern mit türkischem MH (89%) tritt dafür ein, dass Kinder eine Tageseinrichtung im Vorschulalter besuchen sollen. Damit liegt der Prozentsatz der Eltern, die einen Kita‐Besuch für notwendig halten, leicht über dem Bun‐ desdurchschnitt bei Eltern mit MH (87%). Bezogen auf das Startalter plädieren die meisten von ihnen (73%) für U3‐Jahren für einen Kita‐Besuch. Dieser Prozentsatz für U3 als Kitaalter weicht einerseits stark von den Angaben für Migranten‐Eltern auf Bundesebene (16%) ab, erhöht sich zugleich um etwa 10%, wenn es um Kindertageseinrichtungen mit deutsch‐ türkischem Sprachangebot geht. Hier wird die Tendenz unter den türkischstämmigen Eltern zumindest deutlich, dass ein großer Teil von ihnen ihre Kinder in den frühen Jahren in die Kita schicken würden. Damit kann festgestellt werden, dass 91
bilinguale Kitas mehr türkischstämmige Eltern dazu bewegen würden, ihre Kinder länger in die Kita zu schicken. Dass sich die Berliner Eltern mit türkischem MH bewusst für den frühen Besuch von deutsch‐türkischen Kitas aussprechen, wird auch an anderen Standpunkten deutlich: So lehnen zwei Drittel von ihnen ab, dass Kinder in ausschließlich deutschsprachige Kitas gehen sollen. In der Frage über die Notwendigkeit der bilin‐ gualen, deutsch‐türkischen Kitas sind sie allerdings recht ge‐ spalten. Wer will die Kinder „früh“ in die Kita schicken? Bezüglich der Frage, wer unter den türkischstämmigen Eltern in Berlin der frühkindlichen Bildung zustimmt, kann folgen‐ des festgestellt werden: etwa 72% der Befragten geben zu, ihre Kinder im Alter von 2 Jahren oder jünger in die Kita geschickt zu haben. Dieser Prozentsatz liegt bei den jüngeren Eltern höher. Mit steigendem Alter der Eltern nimmt das Kitaalter der Kinder mit türkischer Muttersprache zu. So geben die Eltern von 20‐30 Jahren zu 91% an, dass sie ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in die Kita geschickt haben. Sie treten gleichzeitig mit 79% grundsätzlich dafür ein, dass die Kinder im Alter von 2 Jahren oder jünger in die Kita kommen sollten. Dieser Prozentsatz beträgt bei den Eltern von 31‐40 Jahren 84% bzw. 80%, bei den Eltern von 41‐50 Jahren 61% bzw. 67%, bei denen mit 51 Jahren oder älter 40% bzw. 55%. Bei dem Faktor „Bildungsstand“ verhält sich mit dem be‐ vorzugten Alter der Kinder für einen Kitabesuch ähnlich. So steigt der Anteil der Berliner Eltern mit türkischem MH, die ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in die Kita schickten, mit höherem Schulabschluss auch an. 90% der Hochschulabsol‐ vent/innen geben zu, ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in 92
die Kita geschickt zu haben oder plädieren mit 92% grund‐ sätzlich dafür, dass die Kinder in den genannten Jahren in die Kita kommen sollten. Dieser Prozentsatz beträgt für die Abitu‐ rient/innen 88% bzw. 84%, für Eltern mit Mittelschul‐ /Realschulabschluss 55% bzw. 72%. Die Grundschulabsol‐ vent/innen geben zwar mit 50% an, dass sie ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in die Kita geschickt zu haben; sie sprechen sich jedoch grundsätzlich dafür aus, dass Kinder erst mit 3 Jahren (90%) oder älter (10%) in die Kita kommen sollten. Ber‐ liner Eltern mit türkischem MH mit Hauptschulabschluss hät‐ ten zwar ebenfalls zu 50% ihre Kinder allerdings erst mit 2 Jah‐ ren in die Kita geschickt, sie treten ebenfalls mit einem geringen Anteil von 45% dafür ein, dass Kinder erst mit zwei Jahren oder älter (55%) mit einem Kitabesuch beginnen sollten. Die Praxis bzw. die Haltung der Berliner türkischstäm‐ migen Eltern zur frühen Bildungsbeteiligung der Kinder hat auch mit Einkommen der Familie zu tun. Mit steigendem Ein‐ kommen steigt auch die Bereitschaft an, die Kinder früh in die Kita zu schicken bzw. dafür einzutreten. So geben die Eltern aus der höheren Einkommensgruppe (3001 Euro und höher monatlich) mehrheitlich (90%) an, dass sie ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in die Kita geschickt zu haben; sie treten aber auch mit 92% für einen frühen (2 Jahre oder jünger) Kita‐ besuch ein. Die Eltern in der mittleren Einkommensgruppe von 2001‐3000 Euro im Monat geben zu 70% an, ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in die Kita geschickt zu haben bzw. plädieren mit 73% dafür; dieser Prozentsatz liegt bei den El‐ tern mit geringem Einkommen von 1000‐2000 Euro monatlich bei 56% bzw. 55%. Bezüglich der Haltung, wer unter den türkischstämmigen Eltern einen frühen Kitabesuch unterstützt, wurden zwei Fra‐ 93
gen gestellt: in welchem Alter die Befragten ihre Kinder in die Kita geschickt haben oder die grundsätzliche Frage, in wel‐ chem Alter die Kinder mit einem Kitabesuch beginnen sollten. Die erste Frage betrifft nur diejenigen Eltern, die ihre Kinder überhaupt in die Kita geschickt haben, d.h. hier wurde neben der Haltung auch die Praxis der Eltern befragt. Demnach konnte festgestellt werden, dass Alter, wie auch der Bildungs‐ stand sowie das Monatseinkommen bei der Entscheidung für eine Kindertageseinrichtung eine wichtige Rolle gespielt ha‐ ben. Mit steigendem Alter bzw. abnehmendem Bildungsstand oder auch geringerem Einkommen geht auch die Bereitschaft zurück, sich für eine frühe Nutzung der Vorschulbildung der Kinder einzutreten. Wer will die Kinder in eine „deutsch‐türkische“ Kita schicken? Auf die Frage, wer für die Nutzung einer Kindertageseinrich‐ tung eintritt, in der Deutsch und Türkisch gleichwertig be‐ handelt werden, wird mit Hilfe von zwei Fragen Antwort gesucht: Hier werden die Eltern einmal vor die Entscheidung gestellt, „in welchem Alter sie ihre Kinder am liebsten in eine deutsch‐türkische Kita“ schicken würden. Denn auf die Frage nach dem Alter, in dem die Kinder mit einem Kitabesuch be‐ ginnen sollen, antworten die Eltern recht unterschiedlich, je nachdem ob es sich dabei um eine allgemeine Kita oder eine Qualifizierte, wie z.B. eine deutsch‐türkische bilinguale Kita handelt. Als eine besondere Unterstützung für zweisprachige Kitas wird die höhere Zustimmung der Eltern für einen frü‐ hen Kitabesuch verstanden. Um in diesem Zusammenhang mit einem Bezug auf das vorherige Kapitel zu beginnen, plä‐ dieren 73% der Befragten allgemein für einen Kitabesuch in den ersten zwei Jahren des Kindes. Dieser Prozentsatz steigt 94
gleich um 9% an und 82% der Berliner Eltern mit türkischem MH finden sich bereit, ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in eine deutsch‐türkische Kita zu schicken. Die Änderung im Kitaverhalten der Eltern steht somit in unmittelbarem Zu‐ sammenhang mit der Qualität dieser Kitas, dass diese nämlich bilingual sind. Damit wird die Möglichkeit der bilingualen frühkindlichen Bildung zu einem wichtigen Indikator für die Entscheidung der Eltern, d.h. für eine längere Nutzungsdauer der vorschulischen Bildungsangebote. Dieses klare Bild der Unterstützung der bilingualen Kitas durch die türkischstämmigen Eltern wird gleich verschwom‐ men, wenn sie aufgefordert werden, der Forderung gegenüber Stellung zu beziehen, dass „in den Tageseinrichtungen Deutsch und Türkisch gleichwertig behandelt werden soll‐ ten“. Daher werden diese im Folgenden in Bezug auf ausge‐ wählte Eigenschaften der Befragten diskutiert. Hierbei werden Geschlecht, Bildungsstand, die zu Hause gesprochene Sprache und das Familieneinkommen jeweils mit den beiden genann‐ ten Items in Verhältnis gesetzt. Um gleich mit dem Geschlecht anzufangen: Mehr Mütter (83%) als Väter (80%) geben an, dass sie ihre Kinder mit zwei Jahren oder jünger in eine deutsch‐türkische Kita schicken würden. Auch der Bildungsstand scheint einen unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung der Eltern mit türkischem MH zu haben, in was für eine Kita sie ihre Kinder schicken wür‐ den. Die Tageseinrichtungen mit deutsch‐türkischem Sprach‐ angebot finden am meisten unter den Hochschulabsol‐ vent/innen Zustimmung. So bilden diese mit 95% die Gruppe, die ihre Kinder mit zwei Jahren oder jünger in eine deutsch‐ türkische Kita schicken würden. Für die Abiturient/innen be‐ trägt dieser Anteil 88% und für die Realschulabsolvent/innen 95
76%. Die Hauptschul‐ und Grundschulabsolvent/innen wür‐ den ihre Kinder keineswegs unter 2 Jahren in die Kita schi‐ cken. Die Ersteren würden zu 80% mit zwei bzw. 20% mit 3 Jahren oder älter, die Zweitgenannten würden ihre Kinder zu 30% mit 2 Jahren, zu 70% mit 3 Jahren oder älter ihre Kinder in die Kita schicken. Wie bei den Eltern mit MH in Deutschland festgestellt, hat die zu Hause gesprochene Sprache auch Einfluss auf die Entscheidung der Berliner Eltern mit türkischem MH, wenn es darum geht, in was für eine Kita ihre Kinder kommen sollen. Eltern, bei denen zu Hause überwiegend Deutsch gesprochen wird, sind am meisten bereit, ihre Kinder früh in eine bilingu‐ ale Kita zu schicken. So stimmen diese mit 92% zu, ihre Kinder mit 2 Jahren oder jünger in eine deutsch‐türkische Kita zu schicken. Auch Eltern mit deutsch‐türkischer Bilingualität zu Hause finden sich mit 91% bereit, dass ihre Kinder mit 2 Jah‐ ren oder jünger in eine Kita kommen, wo Deutsch und Tür‐ kisch gleichberechtigt gesprochen werden. Anders verhält es sich allerdings mit den Eltern, bei denen zu Hause überwie‐ gend Türkisch gesprochen wird. Sie geben an, dass sie ihre Kinder nur mit 2 (37%) bzw. 3 Jahren oder älter (63%) in eine deutsch‐türkische Kita schicken würden. Die Einkommenshöhe gilt hier für die Eltern ebenfalls als einen wichtigen Einflussfaktor für eine Kita‐Wahl für eigene Kinder. So fällt auf, dass die Nutzungsjahre der Tageseinrich‐ tungen mit deutsch‐türkischem Sprachangebot mit höher werdendem Einkommen auch steigen. Die in der Befragung gebildete Elterngruppe mit dem höchsten Monatseinkommen von 3001 Euro und mehr will, dass Kinder im Alter von einem Jahr (52%) bzw. 2 Jahren (48%) in die Kita kommen. Ihnen folgt die Elterngruppe mit einem mittleren Monatseinkommen 96
von 2001‐3000 Euro, die mit 77% dafür plädiert, dass ihre Kin‐ der ab dem Alter von 2 Jahren oder jünger in eine bilinguale Kita gehen sollen. Eltern mit einem monatlichen Einkommen von 1000‐2000 Euro geben mit 74% an, dass ihre Kinder mit zwei Jahren oder jünger in eine bilinguale Kita kommen. 26% der Eltern würden dagegen ihre Kinder erst im Alter von 3 Jahren oder älter in eine deutsch‐türkische Kita schicken. Ohne den direkten Bezug auf ihre Kinder geht die grund‐ sätzliche Haltung der Mütter und der Väter mit türkischem MH eindeutig auseinander, wenn es um die Nutzung der Tageseinrichtungen mit bilingualem, deutsch‐türkischem Sprachangebot geht. So stimmen 74% der Mütter der Aussage zu, dass „in den Kitas Deutsch und Türkisch gleichberechtigt gesprochen werden sollten“. Dieser Prozentsatz beträgt bei den befragten Vätern lediglich 57%. Für ausschließlich deutschsprachige Kitas liegt die Unterstützung bei Männern höher (29%) als bei Frauen (21%). Bei der Haltung zum Sprachangebot in den Kitas scheint auch der Bildungsstand der Eltern erheblichen Einfluss zu haben. Bilinguale Sprach‐ angebote in Kitas finden am meisten die Unterstützung der Eltern mit Realschulabschluss bzw. Abitur, mit jeweils 76%. Grundschulabsolvent/innen unterstützen diese Idee lediglich mit 40%. Das bilinguale Sprachangebot findet bei den Haupt‐ schulabsolvent/innen den geringsten Zuspruch (27%) (Ableh‐ nung bei 55%). Vielmehr würden sie Kitas mit ausschließlich deutschem Sprachangebot (46%) unterstützen. Die deutsch‐ sprachigen Kitas finden wiederum die höchste Ablehnung (80%) unter den türkischstämmigen Eltern mit Hochschulab‐ schluss. Bei der Grundsatzhaltung der türkischstämmigen Eltern gegenüber dem täglichen Sprachangebot in den Kitas werden 97
weitere Faktoren wirksam. So finden bilinguale deutsch‐ türkische Kitas die höchste Unterstützung (73%) unter den Eltern, bei denen zu Hause Deutsch und Türkisch zusammen gesprochen werden. Ihnen folgen jene türkischstämmigen Eltern mit 67%, die zu Hause ausschließlich Deutsch sprechen. Die bilingualen Kitas finden unter den Eltern mit türkischem MH den geringsten Zuspruch (40%) unter jenen, die angeben, dass bei ihnen zu Hause ausschließlich Türkisch gesprochen würde. Diese haben ebenfalls zu 35% keine Meinung dazu bzw. sie lehnen mit 25% die Forderung nach bilingualen Kitas ab. Dagegen treten diese mit 45% für deutschsprachige Kitas ein. Nach der vorliegenden Untersuchung unterscheiden sich die Eltern auch nach ihrer Einkommenshöhe, wenn es um das Sprachangebot in den Kitas geht. So sprechen sich die Eltern mittlerer Einkommensgruppe (2001‐3000 Euro) mit sehr gro‐ ßer Mehrheit (73%) für bilinguale Kitas aus. Ihnen folgt die Einkommensgruppe von 3001 und mehr mit 65%. Die Unter‐ stützung für bilinguale Kitas fällt bei den Eltern mit geringem Einkommen (1000‐2000 Euro monatlich) recht bescheiden (55%) aus. Abschließend kann festgehalten werden, dass eindeutig mehr Berliner Mütter als Väter mit türkischem MH für bilin‐ guale frühkindliche Bildung eintreten. Diese Meinungsdiffe‐ renz zwischen den befragten Frauen und Männern wird grös‐ ser, wenn es um grundsätzliche Entscheidung geht, dass in den Tageseinrichtungen Deutsch und Türkisch gleich behan‐ delt werden sollen oder nicht. Das Eintreten für deutsch‐ türkische Kitas ist ebenfalls bei den Eltern mit höherem Schul‐ abschluss größer. Dabei fällt auf, dass sich die Standpunkte zu bilingualen Kitas bei den Eltern mit Grundschul‐ bzw. Haupt‐ schulabschluss und den restlichen Befragten eindeutig unter‐ 98
scheiden. Eltern mit niedrigerem Bildungsstand treten eher für ausschließlich deutschsprachige Kitas ein. Die Hochschulab‐ solvent/innen sind wiederum am meisten gegen Kitas mit ausschließlich deutscher Sprache. Bezüglich der Unterstützung der Eltern für bilinguale frühkindliche Bildung spielt ebenfalls die zu Hause gespro‐ chene Sprache eine Rolle. Eltern, bei denen es zu Hause bilin‐ gual (deutsch‐türkisch) zugeht bzw. überwiegend Deutsch gesprochen wird, treten mit großer Mehrheit für deutsch‐ türkische Kitas ein. Eltern mit türkischsprachigem Familienle‐ ben sind stark zurückhaltend, gar ablehnend den bilingualen Kitas gegenüber. Sie unterstützen eher die Forderung, dass in den Kitas ausschließlich Deutsch gesprochen werden soll. Ein wichtiger Einflussfaktor ist auch die Einkommenshöhe bei dem Standpunkt der Eltern, wenn es um Unterstützung für bilinguale Kitas geht. So treten die türkischstämmigen Eltern mit geringem Familieneinkommen in Berlin weniger für bilin‐ guale Kitas als jene mit mittlerem oder höher liegendem Ein‐ kommen.
Ein Kind zwei Sprachen: Argumente zur Ausbildung von pädagogischem Personal für bilinguale deutsch‐türkische Kindertagesstätten Im Rahmen der Darstellung der Hochschulausbildung von Erzieherinnen und Erziehern für bilinguale deutsch‐türkische Kindertagesstätten werden im Folgenden auf die Diskussio‐ nen über mögliche Inhalte des Curriculums sowie die mögli‐ che Form eines gemeinsamen Studienganges eingegangen. Die Ausführungen nehmen dabei Bezug auf die oben dargestellten Ergebnisse der Recherchen über die Situation der türkisch‐ stämmigen Kinder und Jugendlichen in Schule und Beruf. 99
Auch die Diskussionen von Wissenschaftler/innen, den Ex‐ pert/innen aus dem Bereich der Bildungspraxis sowie Vertre‐ ter/innen verschiedener deutscher und türkischer freien und öffentlichen Träger fließen in die Vorstellung dieser Lösungs‐ möglichkeiten mit ein. Spätestens seit den PISA‐Studien in den Jahren 2003‐2004 begannen die Diskussionen über die deutsche Bildungsmisere. Grund hierfür war das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler. Die noch schlechteren Ergebnisse der Studie für Kinder und Jugendliche mit MH legte die Ver‐ mutung nahe, dass diese einer besonderen Benachteiligung im deutschen Bildungssystem unterliegen (Tures, 2015). Spätere Studien belegen zudem einen noch größeren Misserfolg der Kinder und Jugendlichen mit türkischer Herkunft im Ver‐ gleich mit Gleichaltrigen an deutschen Schulen. So stellten die Wissenschaftler/innen fest, dass die Schulleistungen der tür‐ kischstämmigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland viel schlechter aussehen als die der anderen Schüler/innen an deutschen Schulen. Die besondere Benachteiligung der tür‐ kischstämmigen Bildungsinländer in Deutschland wird auch deutlich, wenn ihre Schulergebnisse mit denen ihrer Gleichalt‐ rigen mit türkischer Herkunft in anderen Aufnahmeländern, nicht nur in Europa auch in den USA bzw. Kanada (PoliTeknik, 2014; Cummins, 2014; El‐Mafaalini/Kemper, 2014). Auch Kinder, die einen Teil ihrer Schulzeit noch im Heimatland verbracht haben und dann in eine Schule in Deutschland wechseln, können bessere Schulleistungen vor‐ weisen als die in Deutschland geborenen Kinder mit Migrati‐ onshintergrund (Gerlach, 2006: 229). Das zeigt noch einmal, dass Kinder aus nichtdeutschsprachigen Familien im deut‐ schen Bildungssystem besonders benachteiligt sind. 100
Die PISA‐Diskussionen in Deutschland erreichten bald die Themen „Sprachförderung“ und insbesondere „Sprach‐ förderung im Vorschulalter“. Damit setzten rasante Entwick‐ lungen in der Früh‐ und Kindheitspädagogik ein. Die Fach‐ schulen bzw. Fachoberschulen, die bis dahin für die Ausbil‐ dung von Erzieherinnen und Erziehern verantwortlich waren, erhielten zunehmend Konkurrenz durch die deutschen Hoch‐ schulen. Innerhalb von 10 Jahren eröffneten etwa 100 Hoch‐ schulen den Studiengang für frühkindliche Bildung bzw. Kindheitspädagogik. Der zunehmenden Professionalisierung folgte damit die Akademisierung der Erzieherausbildung. Auch die Bundesregierung forderte die Anhebung der Aus‐ bildung des Erzieherpersonals auf das Hochschulniveau (vgl. 12. Kinder‐ und Jugendbericht: 11). Die Diskussionen sowie die Bemühungen im Bildungsbe‐ reich gaben zwar Anstoß, die Erzieherausbildung zu profes‐ sionalisieren; sie bezogen sich überwiegend auf die Förderung der deutschen Sprache. Sie berücksichtigten jedoch weder die gesellschaftliche Vielfalt als die „neue Normalität“ (Tures, ebd.), noch die besonders schlechten Schulergebnisse der Kin‐ der und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Nürn‐ berger Empfehlung des Goethe‐Instituts betonte lediglich den Erwerb einer „anderen Sprache“, und wies insbesondere auf das dafür förderliche Netzwerk von Eltern, Erzieher/innen und Lehrkräften sowie Organisationen und Instituten hin (vgl. Widlok u.a., 2010: 11). Nationale und internationale Studien beweisen, dass eine frühe bilinguale Erziehung oder der frühe Erwerb einer Zweitsprache viele Vorteile mit sich bringt und Kinder dieser Anforderung mit Begeisterung entgegenkommen. Es werden unter guten Bedingungen elementare kommunikative Fähig‐ 101
keiten und Kompetenzen erworben. Nachweislich sind diese Erfolge von politischen, pädagogischen und didaktischen Bedingungen abhängig, die vielerorts noch nicht ausreichend verbreitet sind. Die Zwei‐ oder mehrsprachige Erziehung wird als etwas Positives für die Entwicklung des Kindes angesehen und als förderlich für den Verlauf des Bildungsweges des Kindes be‐ trachtet. Der Erwerb von Sprache stellt eine Schlüsselkompe‐ tenz für die frühkindliche Bildung dar und wirkt sich zugleich auf das Kind persönlichkeitsbildend aus und beeinflusst den Prozess der Identitätsbildung positiv (vgl. Doyé, 2009: 9). Un‐ abhängig von der Herkunft der Eltern bzw. der Familienspra‐ che trägt es außerdem zur Förderung von kommunikativen, sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen eines Kindes bei, die Offenheit gegenüber anderer Kulturen und die Fähig‐ keit für den weiteren Erwerb von Sprachen (vgl. Fröbel, 23.02.2015). Wie die Sprachwissenschaftlerin Kuyumcu (vgl. Kuyumcu, im Druck; Dirim et al. 2009) feststellt, könnte pro‐ fessionelle bilinguale Bildung die fatale Abhängigkeit des Bildungserfolgs und der sozialen Herkunft möglicherweise aufheben, indem durch den Erwerb sprachlicher Kompeten‐ zen Kinder mit Migrationshintergrund frühzeitig gefördert werden und somit deren Bildungsweg positiv beeinflusst wird. Bezogen auf die türkischstämmigen Kinder gibt es Vor‐ teile, die speziell dafür geeignet wären, deren besondere Be‐ nachteiligung zum größten Teil zu beheben. Das Vorhanden‐ sein von deutsch‐türkischen Kindertagesstätten, wo Türkisch und Deutsch gleichberechtigt zum Zuge kämen, würde die Nutzungsdauer der vorschulischen Bildungsangebote durch die Eltern mit türkischer Herkunft erhöhen. Die Tatsache, dass 102
der Erwerb der Muttersprache auch das Erlernen der Fami‐ lienkultur mit einschließen würde, würde auf die türkisch‐ stämmigen Eltern vertrauensbildend wirken. Nicht nur allge‐ mein wird dadurch ihr Vertrauen in die Bildungsangebote für Kinder gesteigert, auch deren Bereitschaft, wie oben bereits dargestellt, ihre Kinder im Vorschulalter frühzeitig in die Kita zu schicken. Längere frühkindliche Bildung zusammen mit dem systematischen Erlernen der beiden, d.h. der türkischen Herkunfts‐ wie der deutschen Sprache führt somit zu einem höheren Erfolg der türkischstämmigen Kinder und Jugendli‐ chen in Schule und Beruf. Nicht zuletzt durch ihre besonderen Sprach‐ und Kulturkompetenzen in beiden Sprachräumen qua‐ lifizieren sich diese außerdem zu „Brückenbauern“ zwischen beiden Ländern, zu wichtigen Akteur/innen im deutsch‐ und türkischsprachlichen Wirtschafts‐, Sozial‐ und Bildungsraum.
Aspekte der Entwicklung eines Studienganges für bilinguale frühkindliche Bildung Die Veränderungen und die Entwicklung in der Kindertages‐ betreuung stellen hohe Anforderungen an die Arbeit von Pä‐ dagoginnen und Pädagogen. Um Kinder familiennah und professionell in ihrer Entwicklung zu begleiten, ist eine le‐ bensweltorientierte Bildung, Erziehung und Betreuung nötig. Pädagoginnen und Pädagogen, die in bilingualen Kinderta‐ gesstätten tätig sind, benötigen zusätzliche Qualifikationen, die über die Kernkompetenzen der pädagogischen Arbeit hinausgehen. Im nachfolgenden Kapitel werden die Qualifi‐ zierungsanforderungen an die pädagogischen Fachkräfte mit dem Schwerpunkt der bilingualen frühkindlichen Bildung vorgestellt und die wichtigsten Inhalte eines solchen Studien‐
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gangs aufgezählt, sowie mögliche Module beschrieben und inhaltlich erklärt. Die Notwendigkeit der Entwicklung eines Studiengangs für bilinguale frühkindliche Bildung ergibt sich vor allem aus dem Bedarf nach einer besonderen Sprachförderung für Kin‐ der mit MH. Diese erschöpft sich jedoch nicht allein in der Optimierung der Vermittlung der deutschen Sprache. Sie schließt auch den Erwerb der Herkunfts‐ bzw. der Familien‐ sprache mit ein. Der Normalfall ist meist umgekehrt: die Mig‐ rantenkinder lernen erst die Familiensprache, müssen diese jedoch aufgeben, wenn sie in die Kindertagesstätte bzw. in die Schule kommen. Hinzu kommt, dass sie in der Vorschulzeit meist eine kürzere Bildungsdauer durchmachen, die wiede‐ rum zum größten Teil in einem Lernumfeld mit wenigen Deutschsprachler/innen verbracht wird, d.h. ohne das not‐ wendige „deutsche Sprachbad“. Im stark auf „Aussieben“ bedachten deutschen Bildungssystem sind zudem die Migran‐ tenkinder die ersten, die dann in der Schule zu Hauf auf der Strecke bleiben. Jedoch nicht nur die deutsche Sprachförde‐ rung, auch die Förderung der Familiensprache bzw. der meist benutzten Zweitsprache ist erforderlich. Expert/innen plädieren für das gleichzeitige Erlernen bzw. den Erwerb beider Sprachen. Das Erziehungspersonal soll dabei möglichst Muttersprachler/in sein oder vergleichbar gute Sprach‐ und Kulturkenntnisse mitbringen. Das bedeutet: Ein neues Erzieherprofil muss her. Damit steht die Entwick‐ lung einer bilingualen Erzieherausbildung auf Hochschulni‐ veau voll im Trend der allgemeinen Professionalisierung bei gleichzeitiger Akademisierung der Kindertagesbetreuung. Das ergibt sich auch zum Teil aus der gegenwärtigen Situation in der Ausbildung des Erziehungspersonals in Deutschland. 104
Mehr als 90 Prozent des Personalbedarfs im Vorschulbereich wird deutschlandweit durch Fachschulen und Fachoberschu‐ len gedeckt, wo Mehrsprachigkeit lediglich als Wahlfach an‐ geboten wird und diese nicht fester Bestandteil des Curricu‐ lums ist. Es ist fast ausschließlich dem Engagement und Inte‐ resse der dort tätigen Dozent/innen überlassen, ob Themen wie die Mehrsprachigkeit im Unterricht behandelt werden oder nicht. Im Bereich der Fort‐ und Weiterbildung sind zwar viele Angebote zum Thema „Mehrsprachigkeit“, in denen sich die Teilnehmer/innen als Zusatzqualifikation zu „Facherzie‐ her/in für Sprache“ ausbilden lassen können. Dabei werden jedoch Fremdsprachen und noch weniger die von den Mig‐ rant/innen benutzten Sprachen nur selten vermittelt. Zu dem Fach Deutsch als Fremdsprache entstanden in den letzten 10 Jahren viele Bachelor‐ und Masterstudiengänge; diese kon‐ zentrieren sich jedoch hauptsächlich auf den Erwerb des Deutschen. Bei der Überlegung nach einer möglichen Erhöhung des Anteils der Erzieher/innen mit MH bzw. Muttersprachen‐ kenntnissen als Teil einer möglichen Lösung kommen zwei Gruppen in Frage. Bei den Lehrkräften, die ihren Berufsab‐ schluss im Heimatland erlangt haben, stehen jedoch Probleme voll im Wege, wenn es um die Anerkennung der ausländi‐ schen Schul‐ bzw. Studienleistungen geht (Ott, 2015; Kieschnick, 2015). Diese dürfen entweder in den fachlich nied‐ riger angelegten Tätigkeiten, oder gar nicht beschäftigt wer‐ den. Die in Deutschland ausgebildeten Erzieher/innen mit MH bzw. Muttersprachkenntnissen finden kaum eine Beschäfti‐ gung entsprechend ihrer Profession. Entweder werden sie nur selten in die Kindertagesstätten aufgenommen, oder sie sprin‐ gen nach kurzer Zeit wieder ab bzw. werden mit anderen 105
Aufgaben betraut, für die sie gar nicht ausgebildet sind (Akbaş, 2014). Hinzu kommt sicherlich auch, dass sie nicht speziell für bilinguale Bildung ausgebildet sind, denn es gibt gar keinen Studiengang mit dem Schwerpunkt der bilingualen Bildung in der Frühpädagogik in Deutschland, nicht in Euro‐ pa, aber auch nicht in anderen Kontinenten. Auch die jeweili‐ gen Kindertagesstätten als deren mögliche Arbeitsbetriebe sind gar nicht bilingual ausgelegt. Inklusion oder „individualisierte Perspektive“ auf die Kinder (Tures, 2015) sind die nächsten Stichworte, die die Notwendigkeit eines Studienganges für bilinguale frühkindli‐ che Bildung begründen. Damit kann auch der gesellschaftli‐ chen Vielfalt genügend Rechnung getragen werden, was in‐ zwischen in den meisten Einwanderungsländern Realität ist. Die Professionalisierung des Erziehungspersonals für bilingu‐ ale Kitas gilt auch als ein wichtiger Beitrag zur weiteren inter‐ kulturellen Öffnung der Dienstleistungen. Denn eben dadurch würden sich die Familien mit MH bereitfinden, an den öffent‐ lichen Bildungsleistungen in der Frühkindheit mehr zu parti‐ zipieren. Last but not least ist noch auf die Bemühungen der EU‐Länder hinzuweisen, dass solche gemeinsamen Studien‐ programme, auf deren Einzelheiten später eingegangen wird, auch in Zusammenhang mit den anhaltenden Anstrengungen zur Internationalisierung der Hochschulausbildung gefördert werden.
Wesentliche Kompetenzen der Fachkräfte Der Stellenwert und die Ausweitung früher Bildung in der Kindheitspädagogik sowie die sich daraus erwachsenden An‐ forderungen führen zu einem neuen Berufsprofil, und damit zu einem stärkeren Bedarf an akademisch ausgebildeten pä‐ 106
dagogischen Fachkräften. Bezogen auf unser Thema wird es im Folgenden um die Frage gehen, welche Kompetenzen sich die Erzieher/innen für bilinguale Kindertagesstätten aneignen sollen. In diesem Zusammenhang ist es zunächst nötig, auf die wesentlichen Ziele einzugehen, die durch ihre pädagogische Arbeit in der frühen Kindheit erreicht werden sollen. Der Einsatz bilingual kompetenter Lehrkräfte sollte vor allem dazu beitragen, die negativen Auswirkungen zu behe‐ ben, die sich aus den Sprachdefiziten der Kinder mit MH er‐ geben, und die sprachlichen und kulturellen Grundlagen für einen möglichen Schulerfolg zu schaffen. Das schließt die Stärkung der Persönlichkeitsbildung und der sozialen Sprach‐ entwicklung der Kinder ein, die in die Lage versetzt werden sollen, selbstbewusst ihre Gedanken und Wünsche zum Aus‐ druck zu bringen und mit ihrem unmittelbaren und weitge‐ hend multikulturellen Umfeld problemlos zu kommunizieren (Aksu, 2014; Kieschnick, 2015). Dabei muss das Erziehungs‐ personal in bilingualen Kitas fähig sein, alle Personen und Institutionen in Zusammenhang mit der Bildung des Kindes an den Bildungsprozessen ausreichend zu beteiligen. Hierzu zählen insbesondere die Eltern, aber auch die Vertreter/innen der betreffenden heimatländischen bzw. der deutschen freien und öffentlichen Träger/innen. Nicht nur die Arbeitsziele des speziell ausgebildeten Er‐ ziehungspersonals für bilinguale Kindertagesbetreuung sind hier wichtig, sondern auch die Prinzipien, die sich aus der jeweiligen Aufgabenstellung ergeben. Das oberste Gebot der bilingualen frühkindlichen Bildung ist, dass keine der ver‐ wendeten Sprachen in der Kindertagesstätte Priorität vor einer anderen Sprache hat, d.h. beide gleichberechtigt und gleich intensiv in der Einrichtung verwendet werden. Dabei gilt das 107
Prinzip: „eine Person, eine Sprache“. Das bedeutet, dass beide Sprachen jeweils durch ein Lehrpersonal in der Kita gleichbe‐ rechtigt vertreten sind. Wenn ein/e Erzieher/in Deutsch spricht, muss der/die andere ausschließlich Türkisch sprechen. Beide pädagogische Kräfte müssen allerdings nicht nur die jeweiligen Sprachen weitgehend beherrschen. Sie müssen zumindest in der einen Sprache Kenntnisse vorweisen, die denen der Muttersprachler/innen gleichkommen (Doye, 2015; Pappani, 2015; Karhan, 2015). Auch Kenntnisse über die Kul‐ tur des jeweiligen Sprachraumes sollten anwendungs‐ bzw. vermittlungsfähig vorhanden sein. Für den gleichzeitigen Erwerb beider Sprachen ist es wünschenswert, dass beide Sprachen unter den teilnehmenden Kindern in etwa gleicher Anzahl vertreten sind. Das Erziehungspersonal hat dabei die Aufgabe, zwischen den Kindern zu vermitteln bzw. die Kommunikation zu leiten bzw. zu begleiten. Diese Rolle muss dann mit der/dem für die andere Sprache zuständigen Kolle‐ gen/in genau abgestimmt sein, und das alles muss in Form von Teamwork ablaufen. Eine pädagogische Fachkraft für frühkindliche bilinguale Bildung muss demnach neben den Basiskompetenzen als Kindheitspädagoge/in auch fachspezifisches Wissen über die kindliche Sprachentwicklung, den Mehrspracherwerb, Diversität und Kultursensibilität haben. Die Erzieher/innen müssen neben dem Schwerpunkt der frühkindlichen bilingua‐ len Bildung Kenntnisse über die Prozesse des pädagogischen Handelns erwerben (Aksu, 2014; Yazıcı, 2014). Inhaltlich be‐ deutet dies, sich die Theorie‐, Methoden‐ und Handlungs‐ kompetenzen der frühkindlichen Bildung anzueignen. Dazu gehört die Einordnung unterschiedlicher pädagogischer Kon‐ zepte sowie ihrer Umsetzung in die Praxis. Das bilinguale 108
Kitapersonal muss die entwicklungspsychologischen Grund‐ lagen für das Verständnis kindlichen Lernens sowie seine Unterstützung durch pädagogisch‐methodisches Handeln beherrschen. Neben Erkennen und Dokumentieren von kind‐ lichen Bildungsprozessen ist unter Berücksichtigung der ge‐ sellschaftlichen und individuellen Rahmenbedingungen die Unterstützung der Kinder und ihrer Familien wichtig. Darü‐ ber hinaus können folgende Kenntnisse und Fähigkeiten des Bildungspersonals in bilingualen Kindertagesstätten noch aufgezählt werden: Die inhaltliche und methodische Organi‐ sation der Zusammenarbeit verschiedener an den Bildungs‐ prozessen der Kinder beteiligter Personen und Institutionen, die Verwendung von wissenschaftlichem Wissen und wissen‐ schaftlichen Methoden, der Umgang und das Verständnis rechtlicher Grundlagen in Bereichen der frühkindlichen Erzie‐ hung und Bildung, die kritische Reflexion des Bezugs zwi‐ schen Theorie und Praxis und die Reflexion der eigenen Ar‐ beit vor dem Hintergrund einer kulturell und religiös vielfäl‐ tiger gewordenen Lebenswelt, ferner Leitungs‐ und Manage‐ mentkompetenzen zur Personalentwicklung sowie zur Quali‐ tätsentwicklung und –sicherung (vgl. EHB 2014). Zusammenfassend kann festgestellt werden: Das Erzie‐ hungspersonal mit einer Reihe von Kenntnissen und Fähigkei‐ ten für bilinguale frühkindliche Bildung auszustatten, setzt die Aneignung eines breiten Spektrums von Theorie und Praxis pädagogischen Handelns voraus, das neben dem interkultu‐ rellen Lernen sich insbesondere auf den kindlichen Spracher‐ werb und Sprachgebrauch bezieht. Außerdem ist ein professi‐ onelles Handeln des Personals erforderlich, um die notwendi‐ ge Sprachförderung bei Kindern zu planen, interkulturelle Kommunikationstechniken anzuwenden, Eltern und sonstige 109
Akteure im Lernumfeld des Kindes in die Bildungsprozesse einzubinden und die Kommunikation im Team und unter den beteiligten Kindern untereinander zu organisieren (Şenyıldız, 2015; Karhan, 2015).
Ausgewählte Inhalte zum deutsch‐türkischen Studiengang für frühe bilinguale Bildung Der Aufbau eines Studienganges für frühkindliche Bildung kann unterschiedlich strukturiert werden. Wie in vielen Pro‐ jektdiskussionen bestätigt, werden zunächst fünf in den deut‐ schen Curricula häufig anzutreffenden Studienbereiche festge‐ legt. Diese sind: Studienbereich 1: Grundlagen der Kindheitspädagogik Studienbereich 2: Bildungsprozesse und pädagogisches Handeln Studienbereich 3: Mehrsprachigkeit und Diversität Studienbereich 4: Organisation und Management Studienbereich 5: Wissenschaftliches Arbeiten Der hier genannte Studienbereich „Mehrsprachigkeit und Diversität“ ist in den Bildungsprogrammen mancher deut‐ scher Hochschulen unterschiedlich ausgewiesen. So heißt es z.B. in dem Curriculum der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin „Kommunikation und Sprache“ und „Diversity“. Zu‐ dem geht es bei dem ersteren weniger um Mehrsprachigkeit sondern vielmehr um den Spracherwerb, Sprachstörungen sowie Sprachförderung. Der besondere Blick liegt auf Deutsch. Mehrsprachigkeit bzw. Zweitspracherwerb wird als eines der Lernziele des jeweiligen Moduls erwähnt. Zu dem neu zu konzipierenden Studiengang kommen 1‐2 weitere Studienbe‐ reiche aus dem derzeit angewandten türkischen Curriculum hinzu, das nahezu an allen Universitäten in der Türkei einheit‐ 110
lich umgesetzt wird. Das sind „Ästhetik und Umwelterzie‐ hung“ sowie „ Kooperation mit Eltern“. Im Folgenden werden lediglich die Module näher erläu‐ tert, die sich aus den o.g. Studienbereichen ergeben und spezi‐ ell auf den Bereich der frühkindlichen bilingualen Bildung beziehen. Diese betreffen in erster Linie den o.g. Studienbe‐ reich Mehrsprachigkeit und Diversität, berühren zugleich die Bereiche Grundlagen der Kindheitspädagogik und Organisa‐ tion und Management. Hier können insgesamt sechs Module erwähnt werden, die speziell mit bilingualer frühkindlicher Bildung in Zusammenhang stehen: 1. Sprachwissenschaftliche Grundlagen 2. Sprachförderkonzepte 3. Sprachstandsverfahren bei Mehrsprachigkeit 4. Diversitätsbewusstsein und Soziokulturelle Sensibilität 5. Kultursensitive und multilinguale Pädagogik 6. Zusammenarbeit mit Eltern in multilingualen Kontex‐ ten Zunächst müssen den Studierenden sprachwissenschaft‐ liche Grundlagen vermittelt werden. Darauf folgen Sprachför‐ derkonzepte und Sprachstandserhebungen für den Bereich der Mehrsprachigkeit, die die Studierenden befähigen, den Sprachstand von Kindern zu ermitteln und Konzepte zur För‐ derung des Spracherwerbs zu entwickeln. Die Sensibilisierung für Umgang mit der kulturellen Diversität und sprachlichen Vielfalt der Kinder, sowie das Befassen mit verschiedenen pädagogischen Konzepten der Vielfalt und des interkulturel‐ len Handelns ist von großer Relevanz. Das Verständnis für eine Erzieher‐ und Elternpartnerschaft und die Fähigkeit eine enge Zusammenarbeit mit Eltern anzustreben, ist hier eben‐ falls ein sehr wichtiger Aspekt. 111
Modul 1: Sprachwissenschaftliche Grundlagen In diesem Modul sollten den Studierenden sprachwissen‐ schaftliche Grundlagen vermittelt werden. Darunter gehören Kenntnisse über die kindliche Sprachentwicklung, Wissen über den Erst‐ und Zweitspracherwerb und die Mehrspra‐ chigkeit sowie eine theoretische Einführung in die Spracher‐ werbstheorien und den aktuellen Forschungsstand im Bereich der frühkindlichen Sprachentwicklung und der Multilingualität. Modul 2: Sprachförderkonzepte Thematisch sollten im Modul der Sprachförderkonzepte Stu‐ dien und Projekte zur Förderung des kindlichen Spracher‐ werbs vorgestellt und erarbeitet werden. Die Studierenden erhalten einen Input durch bisher durchgeführte Studien und Projekte und können diese anschließend in der pädagogischen Praxis erproben und umsetzen. Die Studierenden sollen Kom‐ petenzen im Bereich der konzeptionellen Entwicklung von Sprachfördermaßnahmen und Strategien für die Umsetzung dieser erwerben. Modul 3: Sprachstandsverfahren bei Mehrsprachigkeit Das Kennenlernen von Sprachstandsverfahren für den Spracherwerb soll für die Studierenden unterstützend bei der Entwicklung von Konzepten für die Sprachförderung wirken. Hierbei sollen zunächst allgemeine Verfahrenssprozesse für den Spracherwerb und anschließend Verfahrensmethoden fokussierend auf die Mehrsprachigkeit vorgestellt werden. 112
Modul 4: Diversitätsbewusstsein & Soziokulturelle Sensibilität Die frühkindliche Bilingualität bezieht sich nicht nur auf den kommunikativen Aspekt der Verständigung, sondern auch der Vermittlung kulturellen Wissens. Inhalte und Methoden sollten so ausgewählt werden, dass das Kind seine Offenheit für Neues bewahrt und im Umgang mit Fremdem sensibili‐ siert wird. Die Studierenden sollen befähigt werden, einen kompe‐ tenten Umgang mit kultureller Vielfalt zu entwickeln. Denn dies ist eine wichtige Schlüsselqualifikation für pädagogisches Handeln. Außerdem sollten Kompetenzen, wie die Sensibilität für interkulturelle Lernsituationen, Fähigkeit zu interkulturel‐ ler Kommunikation und Perspektivenwechsel, die Fähigkeit zu Offenheit, Toleranz, Empathie, Flexibilität und Konfliktlö‐ sung und die Fähigkeit zu kultureller Selbstreflexion erwor‐ ben werden. Das Thema der Diversität in multikulturellen Gesellschaften sollte ebenfalls thematisiert werden. Modul 5: Kultursensitive und multilinguale Pädagogik In dem Modul der kultursensitiven und multilingualen Päda‐ gogik sollten interkulturelle pädagogische Konzepte vermittelt werden. Außerdem sollten die Studierenden Einblicke in die Bildungssysteme anderer Länder, in internationale Zusam‐ menhänge und in Unterschiede der Bildungspolitik erhalten. Als Kenntnisgrundlage sollte hierbei das Konzept der vorur‐ teilsbewussten Erziehung und Bildung herangezogen werden. Modul 6: Zusammenarbeit mit Eltern in multilingualen Kontexten Die Zusammenarbeit mit Eltern ist bei der Thematik des Zweitspracherwerbs von großer Relevanz. Das Ziel sollte sein, eine Eltern‐ und Erzieherpartnerschaft aufzubauen, in der die 113
beiden Parteien gleichberechtigt und kooperativ an der opti‐ malen Förderung des Kindes arbeiten. Die Studierenden soll‐ ten die Fähigkeit erwerben, ohne Vorurteile und mit interkul‐ turellen Kompetenzen eine Beziehung zu den Eltern aufzu‐ bauen. Das Organisieren und Durchführen von Veranstaltun‐ gen sollte geübt werden und Kompetenzen der Gesprächsfüh‐ rung und Konfliktlösung erworben werden. Hergestellt werden sollte ebenfalls die Möglichkeit zu ei‐ nem Austausch mit Organisationen, Vereinen, Trägern, die sich mit dem Thema der bilingualen frühkindlichen Bildung auseinandersetzen und mit denen mögliche Kooperationen und Projekte durchgeführt werden können.
Anforderungen an einen deutsch‐türkischen Bachelor‐ Studiengang für bilinguale Elementarbildung Um die Anforderungen und die erforderlichen Strukturen eines Studienganges für bilinguale frühkindliche Bildung zu formulieren, ist ein vorheriger kurzer Blick auf die Ziele dieses Studiengangs angebracht. Es geht also um die Ausbildung von Erzieher/innen, die in den deutsch‐türkischen Kitas be‐ schäftigt zu werden. Sie müssen zum einen alle notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten der Kindheitspädagogik mitbrin‐ gen. Darüber hinaus müssen sie beide Sprachen und Kulturen kennen und in der Lage sein, diese kindheitsgerecht zu ver‐ mitteln. Dabei sind die Eltern, aber auch andere wichtige Ak‐ teure im Lernumfeld des Kindes voll zu beteiligen und daher sind Kenntnisse zu beiden Sprachen und Kulturen zu erwer‐ ben und diese anzuwenden. Kinder, die auf dieser Weise den notwendigen Bildungsprozess durchgemacht haben, sollen ihre Herkunftssprache lernen und ‐kultur erfahren bzw. be‐ wahren und zugleich die Umweltsprache und –kultur beherr‐ 114
schen und in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Identität ge‐ stärkt werden. Der neu zu entwickelnde Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung soll auf alle Fälle ein gemeinsames Werk einer deutschen und einer türkischen Hochschule sein. Es spricht dabei nichts gegen eine Partnerschaft von mehreren Universitäten. Das kann sogar sehr förderlich sein, wenn es um den Spracherwerb bzw. Förderung der Sprachkenntnisse, aber auch um die Durchführung der Fachpraktika der Teil‐ nehmer/innen des Studienganges geht. Unter Berücksichti‐ gung der jeweiligen Stärken der deutschen und türkischen Hochschulen können dabei sogar Konsortien gebildet werden, die arbeitsteilig für eine erfolgreiche Durchführung des Stu‐ dienganges miteinander zusammenarbeiten. Denn nicht nur die jungen Teilnehmer/innen aus der frühen Kindheit in den bilingualen Kitas benötigen die höchste Aufmerksamkeit aller am Lernprozess Beteiligten. Auch die jungen Erzieherkandi‐ dat/innen müssen in einer intensiven und kooperativen Arbeit für den künftigen Beruf vorbereitet werden. Ein unverzichtbarer und qualitativ auf höchstem Niveau stehender Bestandteil dieses Studienganges sind Sprach‐ kenntnisse und damit verbunden Kenntnisse über beide Kul‐ turen. Denn ein gleichberechtigtes Dasein beider Sprachen wie auch der beiden Kulturen in der Kindertagesstätte setzt eine intensive binationale Zusammenarbeit der beteiligten Hoch‐ schulinstitute voraus. Diese Zusammenarbeit schließt auch Studien‐ und Praktikumsaufenthalte an der Partnerhochschule bzw. in dem Partnerland ein, die zur fachlichen Ausbildung als Frühpädagog/innen, wie auch zum Erwerb der zweiten Arbeitssprache dienen. An dieser Stelle ist auch hoch entwi‐ ckelte interkulturelle Kommunikationsfähigkeit zu erwähnen, die im Zuge dieser transnationalen Zusammenarbeit am bes‐ 115
ten angeeignet werden. Diese Kompetenzen können auch nicht durch andere Maßnahmen, wie z.B. Einstellung der im Ausland ausgebildeten Fachkräfte, ersetzt werden, zumal die Anerkennung der ausländischen Studienleistungen oft schwierig oder sogar unmöglich ist. Außerdem sind die jewei‐ ligen Sprach‐ und Kulturkenntnisse in der geforderten Intensi‐ tät nur durch den eigenen Aufenthalt der Erzieherkandi‐ dat/innen in dem Partnerland anzueignen, die auch eine ge‐ wisse Praxisdauer erforderlich machen. Als eine weitere Grundbedingung eines gemeinsamen Studiengangs ist ferner der Doppelabschluss zu nennen. Im Rahmen eines solchen Kooperationsstudiums mit Doppelab‐ schluss wird nicht nur eine Mindestdauer des Studienaufent‐ halts an der Partneruniversität geregelt, auch die Anerken‐ nung der Studienleistungen in beiden Ländern, aber auch die Förderung dieser Hochschulkooperation, vor allem durch die deutsche Seite (Schackert‐Feld, 2015). So setzt die Erlangung eines Doppelabschlusses aus einem gemeinsamen Bachelor‐ Studiengang auf der deutschen Seite mindestens ein Jahr Auf‐ enthalt an der ausländischen Hochschule voraus. Das redu‐ ziert sich bei Masterabschlüssen auf ein Semester. Durch die Anerkennung der Studienleistungen erlaubt ein solcher Studi‐ engang seinen Absolvent/innen die Aufnahme von Aufbau‐ studiengängen in beiden Ländern. Außerdem erlangen die Absolvent/innen das Recht, in dem Partnerland beschäftigt zu werden, wodurch eine wichtige arbeitsrechtliche Bedingung vor allem in Deutschland erfüllt wird. Der ausländische Ab‐ solvent muss jedoch nachzuweisen, dass er nach den ersten 18 Monaten weiterhin beschäftigt wird. Aufgrund des hohen Bedarfs im Bereich der frühkindlichen Bildung steht hier der deutsche Arbeitsmarkt ebenfalls für die Absolvent/innen mit türkischer Staatsbürgerschaft offen. 116
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Förderprogramm unterstützt Studiengän‐ ge an Hochschulen, die nach einem an der deutschen und ausländischen Partnerhochschule absolvierten Studium zu einem ‚Joint‘, d.h. gemeinsamen oder einem ‚Double Degree‘, d.h. Doppelabschluss führen. Bei etwa gleich bleibenden Stu‐ dienbedingungen kann auf dieser Weise das Abschlusszeug‐ nis getrennt jeweils von den Partnerhochschulen, oder mit Signatur von beiden Kooperationspartnern in Form eines Ab‐ schlusszeugnisses ausgestellt werden. Der DAAD fördert die‐ se Programme zunächst für acht Jahre; ein wiederholter An‐ trag für weitere vier Jahre kann meist erfolgreich gestellt wer‐ den (DAAD, 2015). Ohne auf die Einzelheiten der Förderbe‐ dingungen einzugehen ist hier zu erwähnen, dass sowohl die Vorbereitungsphase, aber auch die Durchführung des Stu‐ dienganges gefördert werden kann. Neben deutschen Teil‐ nehmer/innen des Studienganges finden dabei die Studieren‐ den, wie auch die an dem gemeinsamen Studiengang beteilig‐ ten Lehrkräfte aus dem Partnerland die Unterstützung des DAAD. Eine solche Förderung ist insbesondere für die Teil‐ nehmer/innen aus der Türkei wichtig, da die hohen Lebens‐ haltungskosten meist kaum einen längeren Aufenthalt in Deutschland erlauben, sei es für das Studium oder auch für Praktika, die im Rahmen des gemeinsamen Studiums nötig sind. Sprachkenntnisse der Teilnehmer/innen des Studien‐ gangs sind nicht allein deshalb wichtig, weil die Absol‐ vent/innen später in mehrsprachigen Bildungsprozessen tätig sein sollen. Dieser Studiengang darf nicht nur um der Koope‐ ration willen allein an zwei Hochschulen bzw. in zwei Län‐ dern durchgeführt werden. Auch der Doppelabschluss ist nicht die alleinige Konsequenz dieses binationalen Studien‐ 117
programmes, auch nicht das einzig Doppelte. Die künftige Arbeit der Absolvent/innen in bilingualen Kitas ist Grund dafür, dass dieser Studiengang ebenfalls bilingual durchge‐ führt werden muss. Die Teilnehmer/innen müssen somit be‐ reits während ihres Studiums in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitssprache(n) gut zu beherrschen. Also auch Kennt‐ nisse über die Sprache der Partnerhochschule sind im Studi‐ um erforderlich, das von Anfang an oder zum größten Teil bilingual durchgeführt werden soll. Der geforderte Stand der Sprachkenntnisse bzw. deren Förderung und die Aufnahmebedingungen wie die einzelnen Leistungsanforderungen und deren Festlegung und sonstiger Bedingungen zur Durchführung des Studiengangs bleiben dann einer gemeinsamen Vereinbarung überlassen. Dieser wird allerdings ein allgemeiner Kooperationsvertrag vorange‐ stellt, der zwischen den beiden Partnerhochschulen auf Rekto‐ renebene unterzeichnet wird und den Rahmen für die Zu‐ sammenarbeit bildet sowie die einzelnen Schwerpunkte der beidseitigen Kooperation nennt. Nach den Richtlinien von Türkischem Hochschulrat (Yüksek Öğretim Kurulu – YÖK) steht zudem am Anfang einer solchen Initiative immer die Feststellung, ob die Partneruniversität auf der Liste von aus‐ ländischen Hochschulen steht, die jedes Jahr von YÖK neu verabschiedet wird. Außerdem müssen die kooperationswilli‐ gen Institute der Partnerhochschulen bereits Absolvent/innen in dem jeweiligen nationalen Studiengang haben, bevor diese mit dem gemeinsamen Studiengang starten. Nach dieser kurzen vorangestellten Darstellung der we‐ sentlichen Kriterien wird im Folgenden auf die auswählten Inhalte der Anforderungen an den zu entwickelnden gemein‐ samen Studiengang eingegangen. Diese Anforderungen erge‐ ben sich aus den rechtlichen Regelungen, denen die jeweiligen 118
Partnerhochschulen unterliegen. Auf der türkischen Seite bil‐ den dabei die vom Hochschulrat (YÖK) 2006 verabschiedeten Richtlinien über den Aufbau von gemeinsamen Studiengän‐ gen mit ausländischen Hochschulen (YÖK, 2006) den rechtli‐ chen Rahmen. Auf der deutschen Seite dagegen bilden die jeweiligen Landeshochschulgesetze den rechtlichen Grund‐ rahmen für die Zusammenarbeit mit ausländischen Hoch‐ schulen. Die Anwendungsvorschriften für verschiedene Berei‐ che, die in der gemeinsamen Vereinbarung enthalten sind, nehmen meist Bezug auf die eigenen Regelungen der jeweili‐ gen Partneruniversitäten. Der zu entwickelnde Studiengang mit gemeinsamem Ab‐ schluss beruht somit auf einer Vereinbarung beider Universi‐ täten, die unterschiedlich bezeichnet wird: Der Türkische Hochschulrat (YÖK) legt Wert darauf, dieses Dokument „Pro‐ tokoll“ zu nennen, während die deutsche Seite das Dokument „Satzung“, „Ordnung“ oder „Prüfungsordnung“ nennt. Darin werden die Grundrichtlinien bzw. Prinzipien verabschiedet, nach denen der gemeinsame Studiengang aufgebaut, struktu‐ riert und durchgeführt wird. Das Dokument ist eine Art Sat‐ zung und die darin vereinbarten Richtlinien sind für beide Seiten bindend. Während auf der türkischen Seite der Hoch‐ schulrat (YÖK) von der Initiierung, über die Genehmigung, Gestaltung, Durchführung bis zur Qualitätskontrolle im Zent‐ rum des Geschehens steht, haben die deutschen Hochschulen mehr Spielraum in der Ausgestaltung und Umsetzung der gemeinsamen Vereinbarungen im Rahmen des Studiengangs. Als Förderstelle dieser gemeinsamen Programme wirkt auch der DAAD von Anfang an bei der Gestaltung und Durchfüh‐ rung des gemeinsamen Studienganges mit, sofern für das binationale Vorhaben eine Unterstützung erwünscht wird. 119
Übersicht über die Inhalte und Durchführungsbestimmun‐ gen der Vereinbarung zum gemeinsamen Studiengang Bei den binationalen Programmen überwiegt die Zahl der deutsch‐türkischen Aufbaustudiengänge; als einziger deutsch‐ türkischer Studiengang mit Bachelorabschluss wird vom DAAD jener aufgeführt, der in der Kooperation zwischen der Universität Köln und der Istanbuler Stiftungsuniversität Kemerburgaz im Studienjahr 2012‐2013 begann (Şipka, 2014). Darüber hinaus gibt es einen türkisch‐amerikanischen (Wilmington North‐Carolina University und Marmara Uni‐ versität) Studiengang. Speziell für die Ausbildung von Erzie‐ her/innen dagegen konnte keinen binationalen Studiengang mit Doppelabschluss in Deutschland bzw. in der Türkei fest‐ gestellt werden. Vollständigkeitshalber ist in diesem Zusam‐ menhang noch auf den Bachelorstudiengang mit Doppelab‐ schluss der Universität Hildesheim und der russischen Uni‐ versität Nowgorod in Erziehungswissenschaften hinzuweisen, der bereits seit 2004 durchgeführt wird, jedoch keine Erzie‐ her/innen ausbildet. Seit 2008 gibt es dazu noch einen Master‐ studiengang, ebenfalls mit Doppelabschluss (Graumann, 2015). Um die allgemeinen Durchführungsbestimmungen der jeweiligen Programme darzustellen, werden sowohl die hier‐ für durch YÖK verabschiedeten Richtlinien von 2006 herange‐ zogen, wie auch die vorliegenden Vereinbarungen der bereits laufenden Studiengänge mit gemeinsamem Abschluss. Die zu vereinbarenden einzelnen Punkte kann man in mehrere Kapi‐ tel einteilen. Einfachheitshalber werden diese im Folgenden in drei Kategorien dargestellt: Prüfungsordnung, Zulassungs‐ vorschriften und Studienordnung. Die Titel der einzelnen Kapiteln der Vereinbarung können die Kooperationspartner 120
zwar selbst auswählen, sie müssen jedoch alles darin regeln, was mit der Durchführung eines Studienganges mit gemein‐ samem Abschluss zu tun hat. Im Folgenden sollen in den be‐ reits genannten Themenblöcken auf die wesentlichen Elemen‐ te einer Vereinbarung über die Umsetzung eines gemeinsa‐ men Studienganges behandelt werden. Prüfungsordnung Hier geht es vor allem um die Definition des Geltungsberei‐ ches und des akademischen Grades des Studienganges sowie dessen Ziele. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei um einen Bachelorstudiengang mit gemeinsamem Abschluss handelt. Auch die Regelstudienzeit sowie ihre Auf‐ teilung unter den Partnerhochschulen müssen darin erwähnt werden. YÖK setzt dabei die Regelstudienzeit für Bachelor‐ studiengänge auf vier Jahre/acht Semester fest, damit dieser einen Doppelabschluss hergibt. Nach YÖK kann diese Regel‐ studienzeit maximal drei weitere Jahre überzogen werden. In der Zeit müssen die Studierenden 240 ECTS‐Kreditpunkte von je 30 pro Semester erbringen. Von der genannten Studienzeit muss die Hälfte an der Partnerhochschule verbracht werden. Das entspricht einer Kreditpunktezahl von 120. Hier handeln die einzelnen Studienpartner unterschied‐ lich. Die einen lassen alle Teilnehmer/innen, d.h. die eigene und die der Partnerhochschule, an einer der Hochschule mit dem Studium beginnen. Nach der Absolvierung der ersten zwei Jahre/vier Semestern gehen die Teilnehmer/innen des jeweiligen Studiengangs alle zusammen dann zu der anderen Partnerhochschule und studieren dort die restlichen zwei Jah‐ re/vier Semester. Das ist z.B. die Praxis des einzigen deutsch‐ türkischen Bachelorstudiengangs der Juristischen Fakultäten an der Universität Köln und an der Istanbuler Kemerburgaz 121
Universität. Bezüglich des Auslandsstudiums gibt es ein ande‐ res Modell: Hier gehen die türkischen Studierenden nach der Absolvierung einer bestimmter Anzahl von Semestern für eine Zeitlang an die Partnerhochschule gehen, z.B. für ein Jahr, um dann zusammen mit den deutschen Teilnehmer/innen des Studiengangs in die Türkei zu kommen und ein weiteres Jahr gemeinsam zu studieren. In einem Entwurf des Kooperations‐ protokolls der Akdeniz Universität und der Hochschule Landshut ist z.B. vorgesehen, dass die türkischen Studieren‐ den das dritte und vierte Semester in Landshut, die deutschen Teilnehmer/innen wiederum das fünfte und sechste Semester in Antalya verbringen. Bezüglich der Regelstudienzeit und der Dauer der im Ausland zu erbringenden Leistungen gehen die nationalen Regelungen ziemlich auseinander bzw. die jeweiligen Univer‐ sitäten unterliegen unterschiedlichen Regelungen. Da in Deutschland die Regelstudienzeit für Bachelorabschluss meist drei Jahre/sechs Semester ist und in der Türkei das Bachelor‐ studium ausschließlich vier Jahre/acht Semester, wird für die deutschen Teilnehmer/innen eine Verlängerung der Studien‐ zeit bei gemeinsamen Studiengängen von mindestens ein Jahr unvermeidlich. Denn die Regelungen von YÖK untersagen zwar keine Zusammenarbeit mit ausländischen Hochschulen, machen jedoch die Regelstudienzeit von vier Jahren für den Erwerb des Doppelabschlusses zur Pflicht. Für den Studien‐ gang für Elementarbildung gilt dies überall in Deutschland, da dieser ausschließlich an den Fachhochschulen oder Hoch‐ schulen für angewandte Wissenschaften vorhanden ist und dort die Regelstudienzeit meist drei Jahre beträgt. In der Türkei dauert dagegen das Studium in der Regel 4 Jahre, und YÖK legt dieses als Maßstab und besteht bei Dop‐ pelabschlussstudiengängen auf einem achtsemestrigen Studi‐ 122
um. Nicht zuletzt aufgrund der zusätzlichen Module, die durch die notwendigen Inhalte hinsichtlich der Mehrspra‐ chigkeit bzw. Diversität bei einem Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung neu hinzukommen müssen, findet eine mögliche Verlängerung meist ohne Probleme die Zustimmung der deutschen Partnerhochschulen. Außerdem kennen die deutschen Hochschulen die einjährige Verlängerung der Re‐ gelstudienzeit bei Partnerschaften mit ausländischen Universi‐ täten durch das Kooperationsmodell des Bachelor Plus. Bei dem vom DAAD geförderten Zusatzprogramm beträgt die Dauer des Auslandsstudiums ebenfalls zwei Semester. Problematischer wird die Erfüllung der vorgeschriebenen und im Ausland zu verbringenden Studienzeit. Nach den geltenden Regelungen besteht YÖK darauf, im Rahmen des gemeinsamen Studienganges die Hälfte der Regelstudienzeit, d.h. zwei Jahre, an der Partnerhochschule zu verbringen. Of‐ fen ist jedoch, ob diese Studiendauer von zwei Jahren/vier Semestern im Ausland auch für die Studierenden der Partner‐ hochschule für einen Studienaufenthalt in der Türkei obligato‐ risch ist oder nicht. Ginge es dem YÖK dabei nicht ausschließ‐ lich um die halbe Regelstudiendauer von zwei Jahren bei der Partneruniversität sondern um die Studienleistungen von insg. 120 ECTS‐Punkten, so könnten diese in Höhe von 60 Kreditpunkten, d.h. für ein ganzes Studienjahr bzw. zwei Stu‐ diensemester, durch gegenseitige Anerkennung der auch an der Heimatuniversität belegbaren Fächer erbracht werden. Denn für die deutsche Seite ist ein Studienjahr im Ausland ausreichend, um den Doppelabschluss zu erwerben; das gilt für die deutschen Teilnehmer/innen, die diese Zeit an der Partnerhochschule verbringen müssen, aber auch die auslän‐ dischen Teilnehmer/innen des gemeinsamen Studienganges,
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die in dem Falle an der deutschen Partnerhochschule studie‐ ren müssen. Gerade für die türkischen Studierenden ist es schwieri‐ ger, die Gesamtdauer von zwei Jahren im Ausland zu absol‐ vieren, da die geltenden Lebenshaltungskosten in Deutsch‐ land sehr hoch sind. Die Förderung des DAAD bietet zwar hier einigermaßen Hilfe an; sie löst das Problem jedoch nicht gänzlich. Hier müssen vielleicht auch die türkischen Stellen nach Möglichkeiten suchen, Teilnehmer/innen solcher Ge‐ meinschaftsprogramme während der Auslandszeit finanziell zu unterstützen. Die notwendigen Mittel könnten sogar aus den bereits vorhandenen Programmen wie Erasmus Plus oder Mevlana, einem dem Erasmus ähnelnden Austauschförder‐ programm der Türkei, geschöpft werden. Denkbar ist aber auch, dass dieser Bereich im Rahmen der Erweiterung der Aufgaben dem Amt für Auslandstürken und Verwandschaftsgemeinschaften (YTB) in Ankara oder den Yunus Emre Instituten zugeordnet wird, da beide Institute für Bildungsaufgaben im Ausland tätig sind. Zulassungsvorschriften Nach den geltenden türkischen Regelungen handelt es sich bei den gemeinsamen Studiengängen um einen völlig neuen Stu‐ diengang. Das bedeutet, dass die türkischen Studierenden sich nicht aus einem anderen bereits existierenden Fach, wenn auch aus dem gleichnamigen nationalem Programm ohne den bilingualen Schwerpunkt, hier einschreiben lassen können. Sie müssen auf der Grundlage ihrer erzielten Punktezahl im Rahmen der allgemeinen Zulassungsprüfung (ÖSYM) für die Universitäten den Studienplatz für diesen Studiengang erhal‐ ten haben. Hier unterscheidet jedoch YÖK zwischen den Zu‐ gelassenen mit türkischer Staatsbürgerschaft und mit auslän‐ 124
discher Staatsbürgerschaft. Während die türkischen Teilneh‐ mer/innen ausschließlich über die Zulassung durch die allge‐ meine Prüfung für Hochschulen aufgenommen werden, wer‐ den die ausländischen Studierenden im Rahmen der Zulas‐ sungsprüfung aufgenommen, die meist durch die jeweiligen Hochschulen selbst im Ausland durchführen und auf diese Weise ausländische Studierende rekrutieren. Auf der deut‐ schen Seite unterscheidet sich die Einschreibung in den ge‐ meinsamen Studiengang nicht von den anderen. Außerdem lassen die Einschreibungsbedingungen in Deutschland zu, dass sich die Studierenden in mehrere Studi‐ engänge einschreiben. Hier kann sich z. B. ein/e Teilnehmer/in des Studienganges für Kindheitspädagogik auch für das Fach für bilinguale frühkindliche Bildung anmelden. Auch hinsicht‐ lich der Sprachkenntnisse kennen die nationalen Zulassungs‐ bedingungen hier unterschiedliche Handhabungen. Laut der Regelungen duldet YÖK in der entsprechenden Ausschrei‐ bung für den gemeinsamen Studiengang keine Einschränkun‐ gen. Die aufnehmende Universität ist verpflichtet, den Neu‐ aufgenommenen bei Bedarf einen nachträglichen Spracher‐ werb zu ermöglichen. Das führt dazu, dass die meisten Studi‐ enanfänger ein Jahr sprachliche Vorbereitung machen müssen, wodurch sich das Studium für die türkischen Student/innen auf 5 Jahre verlängert. Die deutsche Seite kann wiederum ihre Erwartungen für Mindestsprachkenntnisse bereits in der Ausschreibung ein‐ bringen. Von den sprachlichen Bedingungen her ist hier auf der türkischen Seite mit besonderen Schwierigkeiten zu rech‐ nen, zumal das Studium später, z.B. ab dem 3. oder 4. Semes‐ ter bilingual gehalten wird. Daher eignet sich der hier projek‐ tierte Studiengang besonders für die in Deutschland aufge‐ wachsenen Jugendlichen mit türkischem MH, wenn es um 125
sprachliche Startbedingungen der Teilnehmer/innen geht. Für die Studienbewerber/innen, die über den rein türkischen Bil‐ dungsweg kommen, müssen zusätzliche Maßnahmen ergrif‐ fen werden, um diesen einen schnelleren und qualitativ hochwertigen Spracherwerb zu ermöglichen. Möglicherweise ergibt sich hier als ein weiterer Problem‐ punkt noch, dass die türkischen Studiengänge mit gemeinsa‐ mem Abschluss gebührenpflichtig sind, und zwar nicht nur für türkische Studierende, auch für die Studierenden der aus‐ ländischen Partneruniversität. Da in Deutschland für Bache‐ lorstudiengänge keine Studiengebühren zugelassen sind, be‐ günstigt diese Regelung die türkischen Stiftungsuniversitäten, die ohnehin horrende Studiengebühren für alle ihrer Studien‐ fächer erheben. Seit der Einführung der Studiengebühren durch den YÖK ab 2006 konnte keine staatliche Hochschule einen gemeinsamen Studiengang einrichten. Hier sind noch auf beiden Seiten bürokratische Hürden zu erwarten, deren Überwindung besondere Kreativität und wohlwollende Aus‐ legung der geltenden Regelungen erforderlich macht. Schlimmstenfalls werden die türkischen Teilnehmer/innen des gemeinsamen Studienganges kräftig zur Kasse gebeten, wäh‐ rend die Sozialbeiträge und sonstige Leistungen der deut‐ schen Studierenden als notwendige Studiengebühren anzuer‐ kennen sind. Für die Schaffung gleicher Chancen für alle Teil‐ nehmer/innen ist hier dringendes Handeln gefordert. Zum Stichwort Zulassungsvorschriften gehören noch Prüfungen, einschließlich Zulassungsbedingungen zu den Prüfungen, deren Wiederholungen, Fristen und Kriterien zum Bestehen der Prüfungen. Auch das Abschlusszeugnis wird hier be‐ schrieben, u.a. ob dieses als gemeinsames Dokument oder in Form von zwei separaten Dokumenten ausgestellt wird. 126
Studienordnung Das Kooperationsprotokoll setzt die gegenseitige Anerken‐ nung der Studienleistungen voraus, die die Grundlage für den Doppelabschluss in bilingualer frühkindlicher Bildung bildet. Beide Hochschulen legen gemeinsam die Kernelemente der Curricula fest, für die sie sich selbst verantwortlich fühlen und für die sie durch eigene Angebote in den jeweiligen Modulen selber aufkommen. Die akademische Umsetzung der zusätzli‐ chen Ergänzungselemente, die sich aus dem Schwerpunkt der bilingualen frühkindlichen Bildung ergeben, wie z.B. Diversität und Bilingualität, können teilweise an der Partner‐ hochschule vorgenommen werden. Es gibt aber auch Pflicht‐ veranstaltungen, die an der Partneruniversität absolviert wer‐ den müssen, um den angestrebten Doppelabschluss zu erlan‐ gen. Hierzu kann z.B. die Lehrveranstaltung über kemalistische Prinzipien und die Geschichte des türkischen Wandels erwähnt werden, die für alle in der Türkei Studie‐ renden als Pflichtveranstaltung gilt. Entsprechend der inhaltlichen Gestaltung der einzelnen Module geht es hier um die Bedingungen und Regelungen zur Umsetzung des Studienprogrammes. Ausführliche Pro‐ grammübersicht mit den jeweiligen Modulen sowie Kredit‐ punktezahl müssen dem genehmigungspflichtigen bilateralen Vertrag beigefügt werden. Auch die Studieninhalte im Einzel‐ nen müssen beschrieben und Übersichten zur Notenumrech‐ nung wie die Zusammensetzung der einzelnen Module beige‐ fügt werden. Auch die Praktika werden hier festgehalten, d.h. wann, in welchem Umfang und wo sie vor allem geleistet wer‐ den sollen. Zudem wird hier die Studiensprache vereinbart sowie die gemeinsamen Anstrengungen, die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden zu verbessern. Der Studiengang kann in einer der Sprachen der Partneruniversitäten oder auch bilingual 127
gehalten werden. Bei dem hier geplanten Studiengang wird Wert darauf gelegt, die Lehrveranstaltung an beiden Projektor‐ ten durchgängig oder zeitweise zweisprachig durchzuführen. Das bedeutet, dass bestimmte Pflichtveranstaltungen auf Deutsch bzw. in türkischer Sprache angeboten werden.
Fazit Als die PISA‐Studien die Politik und Verwaltung sowie die Expert/innen und die Fachkreise in Deutschland höchst alar‐ mierten, stand schon längst fest, dass die Kinder und Jugend‐ lichen mit MH einer ebenso großen, wenn nicht gar einer viel größeren Benachteiligung im deutschen Bildungssystem aus‐ gesetzt waren als ihre Gleichaltrigen ohne MH. In den darauf folgenden Jahren fand sich zwar die Politik bereit, die Maß‐ nahmen für Sprachförderung im Vorschulalter besonders aus‐ zubauen, und auch in der Ausbildung des Erziehungsperso‐ nals kam es immer mehr zu einer Professionalisierung, auch auf Hochschulebene. Diese besonderen Bemühungen in Deutschland konnten jedoch wenig dazu beitragen, die Schul‐ leistungen der Kinder mit MH zu verbessern. Zugleich stieg in der Zeit auch das Interesse der Eltern an einer bilingualen frühkindlichen Bildung. Vor allem als eine besondere sprach‐ liche Fördermaßnahme, insbesondere für Kinder mit MH, rücken in den Fachkreisen die Diskussionen über bilinguale Frühbildung immer mehr in den Mittelpunkt. Um die Schlussbemerkungen mit einer Frage fortzufüh‐ ren: Wann liegt überhaupt ein Bilingualismus vor? Ex‐ pert/innen meinen, der Bilingualismus ist gegeben, wenn zwei Sprachen gleichzeitig verwendet werden, oder wenn in einer Situation mehr als eine Sprache in Erscheinung tritt. Es ist weniger wichtig, wann und in welcher Reihenfolge der Zweit‐
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spracherwerb erfolgt. Es steht fest, dass Kinder von Geburt an Sprache lernen. Schon wenige Tage nach der Geburt können Kinder die Stimme der Mutter und damit auch die Mutter‐ sprache unterscheiden. Sprachwissenschaftler/innen wie Chomsky führen das auf die biologische Grundanlage zurück, die das Kind mit Geburt mitbringt. Dazu braucht es ein sozia‐ les Unterstützungssystem, das eigentlich nichts anderes ist als das Umfeld, in welches das Kind hineingeboren wird und in dem die Mutter eine Schlüsselrolle spielt. Sprachwissenschaftler/innen wie Entwicklungspsycho‐ log/innen bestätigen, dass der Zweitspracherwerb nicht an‐ ders verläuft als der Erstspracherwerb. Es kommt auf den Input und auf die Interaktion an, der das Kind ausgesetzt ist. Erfolgt der Input in zwei statt in einer Sprache, führt dies zu einem gleichzeitigen Erwerb von zwei Sprachen. Nach Sprachwissenschaftler/innen dient der Input lediglich als Aus‐ löser der genetisch vorhandenen „Spracherwerbsanlage“ und sie raten zum Kontakt mit der zweiten Sprache so früh wie möglich, am besten von Geburt an. Ein Kind kann schon mit zwei Jahren unterscheiden, bei welchen Personen es welche Sprache anwendet. Beim Zweitspracherwerb ist nicht das Alter, sondern die Intensität des Kontakts mit der zweiten Sprache entscheidend. Die Erwerbsfähigkeit nimmt ab, wenn die Grundzüge einer ersten Sprache erworben sind. Ob das Kind in der ersten Spracherwerbsphase mit einer oder zwei Sprachen in Berüh‐ rung kommt, ist entscheidend für den Erwerb von einer oder gleichzeitig zwei Sprachen in dieser Phase. Dabei ist die Wahl der Sprachen in der Vorschulphase wichtig. Damit der Sprachenerwerb auch über die Kita hinaus erfolgt, raten die Expert/innen dazu, die zweite Sprache möglichst aus dem Alltag des Kindes heraus zu wählen. Bezogen auf die Kinder 129
mit MH bietet sich hier neben Deutsch die Familiensprache am ehesten an. Nicht nur die dadurch zu steigernden kognitiven und die kommunikativen Fähigkeiten des Kindes, auch die notwendi‐ ge internationale Handlungskompetenz im Berufsleben macht das mehrsprachige Aufwachsen für die Kinder erforderlich. Bezogen auf die Kinder mit MH kommt noch ein wichtiger Grund hinzu: Nicht zuletzt durch eine Verbesserung der eige‐ nen Sprachdefizite können diese ihre Startchancen in Schule und Beruf erheblich erhöhen. Bei der Frage, wie der Zweit‐ spracherwerb erfolgen soll, weisen Praktiker/innen gerne auf die Immersionsmethode hin. Diese eignet sich auch für die bilingualen Kindertagesstätten am besten, sofern eine Authen‐ tizität der Sprachen im Kindergarten gegeben ist. Das setzt voraus, dass beide Sprachen von Muttersprachler/innen reprä‐ sentiert werden. Für einen erfolgreichen Zweisprachenerwerb erwarten Expert/innen die Erfüllung weiterer drei Faktoren: Kontinuierliche Dauer, langer Zeitraum sowie die Vielfältig‐ keit der Themenbereiche hinsichtlich der zu erwerbenden Sprachen. Nicht zuletzt dadurch, dass die Vorschulbildung hin‐ sichtlich der sozialen Eingliederung der Kinder größte Erträge erbringt, steht dieser Bereich in den letzten 10 Jahren im Mit‐ telpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit in Deutschland. Dazu zählen u.a.: die Eröffnung von über 100 Studiengängen für Kindheitspädagogik durch die Hochschulen, Sprachför‐ dermittel staatlicher Stellen in den Kindertagesstätten in Milli‐ ardenhöhe und die Verpflichtung der Kommunen, für jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Kitaplatz zur Verfügung zu stellen. Ob diese Maßnahmen jedoch zur Linderung der spezifischen Probleme beigetragen haben, die die Kinder mit MH in der Skala der Leistungserfolge an deut‐ 130
schen Schulen bis an die untersten Ränge herunterdrückten, ist zu bezweifeln. Die Zahl der Einrichtungen für bilinguale frühkindliche Bildung nahm zwar in den letzten 10 Jahren erheblich zu; daran partizipieren jedoch Migrantensprachen wie Türkisch und Arabisch nur geringfügig. Nicht nur das besondere Au‐ genmerk der Politik fehlt hierzu, das sich bisher mehr auf die Förderung der deutschen Sprache richtete, so dass diese zu‐ sammen mit anderen Prestigesprachen wie Englisch und Französisch den bilingualen Kita‐Markt dominierte. Auch auf dem Gebiet der Ausbildung des Fachpersonals passierte kaum etwas, und dieses bleibt bis heute als ein Problem, wenn Kin‐ der vor allem früh mehrsprachige Lernangebote erhalten sol‐ len. Diese könnten allerdings den Kindern mit MH vielfach zugutekommen: Gerade die Migrantensprachen, die auch in der Familie gesprochen werden, eignen sich für einen frühen Zweitspracherwerb am besten. Es ist auch zu erwarten, dass dadurch die bei Migrantenkindern vorherrschenden Sprach‐ defizite als wesentlicher Grund für den schulischen Misserfolg weitgehend behoben würden. Nicht zuletzt aufgrund der Besonderheiten des Kitaver‐ haltens der Eltern mit türkischem MH kann die Förderung der bilingualen deutsch‐türkischen Frühbildung zu einer Verbesse‐ rung der Schulleistungen ihrer Kinder beitragen. Denn eine bilinguale frühkindliche Bildung würde die Beteiligung der türkischstämmigen Kinder an Bildungsangeboten im Vorschul‐ alter erheblich erhöhen. So finden sich die Eltern mit türki‐ schem MH mit großer Mehrheit bereit, „unbesorgt“ ihre Kinder bereits mit zwei Jahren und darunter zur Kita zu schicken. Eine professionelle Herangehensweise in den Tageseinrichtungen im Vorschulbereich würde auch zu einer intensiveren Zusammen‐ arbeit zwischen dem Erziehungspersonal und den Eltern, aber 131
auch den Bildungsinstitutionen führen, was in der Vorschul‐ phase des Kindes von enormer Bedeutung ist. Wenn diese Untersuchung zu dem Schluss kommt, dass die mehrsprachige frühkindliche Bildung, insbesondere für Kinder mit MH, soweit wie möglich ausgebaut werden soll, so folgt dem die notwendige Konsequenz: Das hier einzusetzende pädagogische Personal ist in einer engen bilateralen Zusam‐ menarbeit auszubilden. Denn die notwendigen Kompetenzen des Erziehungspersonals machen den Einsatz von Mutter‐ sprachler/innen erforderlich, die jedoch sowohl die Familien‐ sprache als auch die deutsche „Umweltsprache“ in ihren kultu‐ rellen Zusammenhängen gut beherrschen. Angesichts der Prob‐ leme bei der Anerkennung der ausländischen Studienleistun‐ gen ist dieser Bedarf durch die im Heimatland ausgebildeten Erzieher/innen nicht zu decken. Auch durch die allein in Deutschland oder im Herkunftsland ausgebildeten Absol‐ vent/innen ist die Aneignung der erforderlichen pädagogischen und interkulturellen Kompetenzen nicht möglich. Selbst wenn diese aus den Reihen der reichlich vorhandenen Muttersprach‐ ler/innen in Deutschland oder auch im Heimatland der jeweili‐ gen Migrant/innen ausgewählt werden, droht dennoch die Ge‐ fahr, dass die pädagogischen Kompetenzen am Einsatzort, d.h. im bilingualen Kindergarten, längst nicht ausreichen. Für den hier projektierten Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung empfiehlt es sich, eine enge deutsch‐ türkische Zusammenarbeit mit Partnerhochschulen aus Deutschland und der Türkei zu etablieren. Das entsprechende Curriculum muss in einer gemeinsamen Arbeit entwickelt und seine Umsetzung ebenfalls gemeinsam organisiert und bewäl‐ tigt werden. Neben den frühpädagogischen Grundlagen gehö‐ ren u.a. der Bilingualismus und Diversität zum regulären Bil‐ dungsprogramm eines solchen Studienganges, der zudem 132
selbst bilingual durchgeführt wird und mit einem gemeinsa‐ men Zeugnis beider Hochschulen abschließt. Für einen Aus‐ bau und die Verbreitung der bilingualen frühkindlichen Bil‐ dung sind jedoch beide Länder aufgerufen, die vorhandenen Rahmenbedingungen und die Förderprogramme zu verbes‐ sern. Schließlich stellt die bilinguale frühkindliche Bildung für Deutschland eine neue Chance dar, zusätzliche Potentiale zur sozialen Eingliederung der Kinder mit MH zu mobilisieren. Auch für die Türkei ergibt sich daraus die Möglichkeit, eine junge Generation mit türkischer Herkunft im Ausland als neue Brückenbauer/innen zu den Einwanderungsländern zu gewinnen.
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Persönliche Gespräche Prof. Dr. Olga GRAUMANN, Hildesheim, 15.7.2015 Annegret KIESCHNICK, Fröbel e.V., 20.7.2015 Maria LINGENS, AWO Landesverband Berlin, 30.7.2015 Dr. Alexander OTT, Lomonossov‐Grundschule, Berlin, 13.7.2015 Francesca PAPPANI, Kindertagesstätte‐St. Thomas, 16.7.2015, Wolfsburg Nurgün KARHAN, Europa‐Kitas, VAK e.V., Berlin, 22.7.2015 Meral AKSU, Zentrum für Europäische Studien der Akdeniz Univer‐ sität, Antalya, 8.10.2014 Doç. Dr. Zeliha YAZICI, Pädagogische Fakultät der Akdeniz Univer‐ sität, 10.10.2014
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Inhaltliche und praktische Überlegungen für einen deutsch‐türkischen Studiengang für bilinguale frühkindliche Bildung Ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse der Projekt‐Workshops in Berlin und in Antalya Janina BISCHOFF
Workshop in Berlin im Oktober 2014 Das Forschungs‐ und Entwicklungsprojekt ‚Bilinguale früh‐ kindliche Bildung in Deutschland am Beispiel Berlin‘ der Ak‐ deniz Universität Antalya und der Alice Salomon Hochschule Berlin hielt im Oktober 2014 und im Januar 2015 Workshops mit dem Ziel ab, die Förderung der bilingualen frühen Bil‐ dung auf den Weg zu bringen. In dem ersten Workshop begrüßten Frau Professorin Su‐ sanne Viernickel (ASH) und Herr Professor Erol Esen die ein‐ geladenen Experten und Expertinnen und stellten ihr Projekt vor. Die für acht Monate geplante Studie bezieht sich auf die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen der in Deutsch‐ land lebenden Kinder mit türkischer Herkunft. Das Projekt zielt darauf ab, ein Ausbildungsprogramm für das Personal auszuarbeiten, das in den jeweiligen Einrichtungen für die 141
Bildung und Erziehung dieser Kinder eingesetzt werden soll. Es soll ein gemeinsamer deutsch‐türkischer Bachelorstudien‐ gang für frühe bilinguale Bildung ins Leben gerufen werden. Für dieses innovative transnationale Studienkonzept sind zwei Standorte vorgesehen: Berlin und Antalya. Die Organisa‐ toren freuten sich mit den Teilnehmern in einen Austausch Inhalte, Methoden und zu erwerbende Kompetenzen für ein solches Curriculum zu kommen und sich Gedanken über hochschuldidaktischen Formate eines solchen Studiengang zu machen. Im Hotel ‚Art Hotel Charlottenburger Hof‘ folgten darauf spannende Diskussionen. Die interessanten Anregungen und Ideen im Laufe des Workshops halfen das Projektvorhaben weiterzuführen. Besonders der interdisziplinäre Austausch bereicherte die Sammlung der Expertise. Durch das Engage‐ ment der Teilnehmer und Referenten konnten zudem viele neue Informationen und Vernetzungen gesammelt werden, was zur Qualität bei der Entwicklung des Curriculums deut‐ lich beitragen konnte.
Bilinguale Sprachförderung als Ressource Der Referent Herr Professor Christoph Schroeder forscht an der Universität Potsdam zu Verläufen und Besonderheiten des Schriftspracherwerbs. Er konnte damit auch Empfehlungen für die Inhalte des zu entwickelnden Studiengangs geben. Er betont, dass bilinguale Sprachförderung als Ressource den Kindern allgemein nützt und positive Effekte unter der Be‐ dingung haben kann, dass Institutionen und Akteure, d.h. Schulen, Lehrer und Eltern, miteinander kommunizieren. Sie können die Förderung mittragen, da sie der Sprachförderung damit Sinnstrukturen verleihen und die Sprachen miteinander 142
verbinden. Für das Forschungsprojekt bedeutet dies im Kon‐ kreten, dass die Studenten und Studentinnen im Studiengang Wissen zu den Ressourcen ‚Netzwerk‘ und ‚Kommunikation mit den Eltern‘ unbedingt erlangen sollten. Der Einbezug der Eltern in die Konzeptplanung soll laut Herrn Esen auch wei‐ terhin dadurch gewährleistet werden, dass im Laufe des Pro‐ jektes Interviews mit Eltern erfolgen sollen, um ihre Wünsche und Ideen zu berücksichtigen. Es wird zudem herausgestellt, dass es für die Eltern der Zielgruppe einen niedrigschwelligen Zugang durch ein möglichst breites Informationsspektrum geben muss. In vielen Studien, zuletzt im KIFÖG‐Bericht 2013, wurde herausgestellt, dass es für Migrantenfamilien oft zu wenige Informationen über die Kita‐Landschaften gebe (vgl. BMFSFJ KIFöG‐Bericht, 2013). Denn ‚in der Altersgruppe von unter drei Jahren werden Kinder mit Migrationshintergrund deutlich seltener in einer Einrichtung oder in der Kinderta‐ gespflege betreut als Kinder ohne Migrationshintergrund. Dadurch profitieren die Erstgenannten seltener von den An‐ geboten frühkindlicher Förderung, insbesondere von der Sprachförderung‘ (vgl. ebd.; Bertelsmann Stiftung, 2013).
Sprachliche Bildung im Alltag Daniel Schmerse evaluiert zusammen mit der Universität Bamberg das Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt‐Kitas Sprache und Integration“. Dieses Projekt stellt er im ersten Workshop in Berlin im Oktober 2014 vor. Besonders die Umsetzung der sprachlichen Bildung im Alltag möchte das Familienministerium hiermit fördern. Die Evalua‐ tion der PädQUIS GmbH richtet sich an insgesamt 240 Kinder‐ tageseinrichtungen, die am Bundesprogramm teilnehmen. Zusätzlich werden 80 Einrichtungen einbezogen, die mit den 143
Schwerpunkt‐Kitas in regional‐lokalen Kontextbedingungen, Alterszusammensetzung und Einrichtungsgröße vergleichbar, („regionale Zwillinge“), jedoch nicht am Programm beteiligt sind. Durch den Vergleich verschiedener Gruppen von Ein‐ richtungen werden Aussagen zur Wirksamkeit des Pro‐ gramms möglich (vgl. PÄDQUIS GmbH, 2015). Insbesondere werden folgende Aspekte untersucht: - Umsetzung der sprachlichen Bildung im Alltag - Nutzung von Netzwerken und externer Unterstüt‐ zung - Effekte der zusätzlichen Personal‐ und Sachmittel in den Schwerpunkt‐Kitas - Einfluss des Programms auf die (sprach‐) pädagogi‐ sche Qualität in den Einrichtungen - Einfluss des Programms auf die sprachliche Entwick‐ lung von Kindern mit besonderem Förderbedarf (vgl. ebd.) Um die Veränderungsprozesse in diesen Bereichen evalu‐ ieren zu können, fanden Erhebungen zu zwei Messzeitpunk‐ ten statt (im Pre‐Post‐Design) – im Herbst 2012 und im Früh‐ jahr 2014 – sowie eine zusätzliche Online‐Befragung im Som‐ mer 2013 (vgl. ebd.). Das Ministerium finanziert das Projekt mit 400 Millionen Euro und hat seit 2011 in 4000 Kitas in ganz Deutschland sogenannte Sprachförderkräfte finanziert. Das ist ein Umfang von einer halben Stelle ‐20 Stunden pro Woche‐, bei der eine Sprachförderkraft in einer Einrichtung tätig ist. Zusätzlich bekommen diese Einrichtungen Sachmittel in Höhe von 4.500 Euro pro Jahr, die ihnen zur freien Verfügung ste‐ hen und die z.B. in die Anschaffung von Fördermaterialien fließen können. Zudem wurden die Kitas mit Materialien, die z.B. das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in München entwickelt 144
hat, ausgestattet. Dem Personal wurden Fortbildungsangebote unterbreitet. Zudem gibt es in diesem großen Verbunde soge‐ nannte Konsultationskitas, die speziell durch Programme zur sprachlichen Förderung des DJI begleitet wurden. Auch wer‐ den die Kitas in regionale Netzwerke eingebunden, um ihre Erfahrungen austauschen zu können. Der Fokus des Familienministeriums im Bundespro‐ gramm richtete sic besonders auf Kinder unter 3 Jahren sowie auf mehrsprachige Kinder, auf Kinder mit MGH und auf Kin‐ der aus bildungsfernen Familien. Ziel ist die Verbesserung einer alltagsintegrierten sprachförderlichen Prozessqualität. Der Hintergrund dieser Offensive war die in Evaluationsstu‐ dien nachgewiesene geringe Wirkung vieler Maßnahmen, bei denen die Kinder beispielsweise in Kleingruppen aus dem Kita‐Alltag herausgenommen werden, um sie mit didakti‐ schen Materialien zu fördern. Deswegen kam man auf die Idee, die sprachliche Bildung in den Alltag der Kinder zu in‐ tegrieren, denn sprachliche Bildung ist an Kommunikation gebunden und nicht unabhängig von anderen Entwicklungs‐ bereichen. Ein weiteres Ziel ist die sprachförderliche Zusam‐ menarbeit mit den Eltern, in der sich diese Kitas profilieren sollen. Denn auch die Familie als primäre Sozialisationsin‐ stanz wirkt auf die Sprachentwicklung von Kindern. Die Sprachförderkraft soll damit als eine Art Motor für die Quali‐ tätsentwicklung wirken, wenn sie mit Familien zusammenar‐ beitet, den Kontakt zu Eltern intensiviert, Beratungsangebote unterbreitet und Informationsabende veranstaltet. Der Vortrag von Herrn Schmerse weist in der darauffol‐ genden Diskussion auf die für den Curriculumsinhalt bedeut‐ same Handlungskompetenzen zur sprachlichen Bildung hin: auf das Fachwissen, die Fachdidaktik, das allgemeine pädago‐ 145
gische Wissen und auf das Grundlagenwissen zur Sprache (in Bezug auf die deutsche Grammatik). Besonders wichtig ist hier für die pädagogischen Fachkräfte das Wissen zu bilingua‐ len Entwicklungsverläufen, die Einstellungen zu Mehrspra‐ chigkeit und zu Multilingualität. Dabei muss vor allem bei der Konzeption des Sprachunterrichts berücksichtigt werden, dass die Kinder bilingual sind, was bedeutet, dass es keinen Unter‐ richt wie im Herkunftsland geben soll, sondern einen speziell auf die Bedürfnisse angepassten Sprachunterricht.
Zusammenarbeit im Kita‐Team und mit Familien Die Ergebnisse der Diskussion schließen sich den Empfehlun‐ gen von Herrn Schroeder an. Die bilinguale frühkindliche Bildung ist erfolgreich, wenn Erzieher, Eltern und Leitungen zusammenarbeiten und es genügend Wissensressourcen gibt. Die Auswertung zum Thema ‚Zusammenarbeit mit den Fami‐ lien‘ der Evaluierungsstudie zeigt, dass alle Kitas, die sich mit dem Thema Sprachförderung auseinandersetzen, im Punkt der Elternzusammenarbeit wesentlich mehr Aktivitäten in sehr kurzer Zeit umsetzen können. Es gibt hier laut Herrn Schmerse mehr Hinweise in Elternabenden, Netzwerkkontak‐ ten und Entwicklungsgesprächen. Frau Annegret Kieschnick vom Fröbel e.V., einem Träger für Kindertagesstätten mit ca. 130 Einrichtungen in Deutsch‐ land, schließt sich mit ihren Ausführungen der Diskussion an. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist für die bilinguale frühkindliche Bildung von hohem Stellenwert. Der Fröbel e.V. hat langjährige Erfahrungen mit bilingualen Kitas, zuletzt hat er 2013 einen Kindergarten in Istanbul eröffnet und betreibt auch einen Kindergarten in Sydney. Frau Kieschnick erzählt von ihren Erfahrungen aus der Praxis und betont, dass 146
Bilingualität eine große Herausforderung für das Kita‐Team ist. Deshalb empfiehlt sie eine Ausrichtung auf Sprachlehrstra‐ tegien für das Curriculum sowie Auseinandersetzungen mit ‚Teamwork‐ und Management‘.
Verbleib der pädagogischen Fachkräfte mit Migrationshintergrund Einen interessanten Diskussionspunkt wirft Frau Bedia Akbaş vom‚ Center für lebenslanges Lernen‘ der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ein: Sie forscht für das Projekt ‚Fach‐ kräfte mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten: Res‐ sourcen – Potenziale‐ Bedarfe’ über die Anerkennung, den Berufszugang und die Arbeitssituation von Fachkräften mit Migrationshintergrund (MH) (vgl. Universität Oldenburg, 2015). Sie hält einen Vortrag über ihre Sonderauswertung des Mikrozensus von 2008, der besagt, dass 50% der pädagogisch ausgebildeten Fachkräfte mit Migrationshintergrund einer berufsfremden Tätigkeit in Deutschland nachgehen. In ihrem Projekt stellt sie die Frage nach dem Verbleib dieser Pädago‐ ginnen und Pädagogen. Um die Arbeitssituation dieser Zielgruppe zu untersu‐ chen, hat das Projektteam u.a. die Perspektiven der unter‐ schiedlichen Akteure durch Fragebögen und Interviews erho‐ ben. Befragt wurden Schulleitungen und Kitaleitungen, sowie Fachkräfte, Schülerinnen und Schüler mit MH. Das Ergebnis zeigt z.B. eine deutliche Unterrepräsentanz von Schülerinnen und Schülern mit MH in den befragten Berufsfachschulen und Fachakademien bei einer gleichzeitig erheblichen Unterreprä‐ sentanz für deren Lehrkräfte auf allen Funktionsebenen. Die Befragten geben an, dass Deutsch als Zweitsprache nicht aus‐ reichend in Bildungs‐ und Lehrplänen der Länder berücksich‐ 147
tigt wird. Zu den weiteren Gründen, warum Fachkräfte mit MH in ihrem Beruf nicht verbleiben, werden Sprachdefizite und kulturelle Differenzen erwähnt. Zudem stellt Frau Akbaş heraus, dass die Kitaleitungen angaben, dass die heutige Aus‐ bildung die Fachkräfte zwar gut auf die Arbeit mit Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft vorbereitet, aber eher weniger gut auf die Arbeit mit Kindern mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen und mit anderen Erstsprachen als Deutsch. Die Forschungsergebnisse von Bedia Akbas zeigen auch, dass Pädagogen und Pädagoginnen ihrer Meinung nach nicht gut auf eine gemeinsame Arbeit in interkulturellen bzw. multifunktionalen Teams vorbereitet sind. In der darauffolgenden Diskussion wird klar, dass diese Forschungsergebnisse einen Handlungsbedarf in der Ausbil‐ dung von pädagogischen Fachkräften mit MH einfordern. Für das Forschungsprojekt ‚Bilinguale frühkindliche Bildung‘ bedeutet dies im Konkreten den Schwerpunkt auf die Schu‐ lung von kulturspezifischer Kommunikation und Denkstilen zu legen. Auch müsste die Ausbildung auf das perfekte Ler‐ nen der beiden Sprachen ausgerichtet werden. Das Potenzial der Fachkräfte ist mehr in die Öffentlichkeit zu rücken, indem man zum Beispiel eine engere Zusammenarbeit mit den ver‐ antwortlichen Bildungsinstitutionen und ihren politischen Vertretern anstrebt.
Sprache sollte kontextualisiert werden Frau Professor Kristin Kersten von der Universität Hildesheim referiert zu konkreten Methoden der Sprachverwendung im bilingualen Setting. Sie zeigt die pädagogischen Prinzipien auf, die wichtig sind, damit Kinder die neue Sprache leichter verstehen. Vor allem sollte die Sprachverwendung laut Frau 148
Kersten kontextualisiert werden. Konkret heißt das, dass Pä‐ dagoginnen und Pädagogen beim Sprechen Mimik, Gestik, Umgebung oder Materialien (Bilder & Fotos) miteinbeziehen sollen. Lange Pausen und viele Wiederholungen können die Beziehung zwischen Sprache und Situation sichtbarer machen. Es sei wichtig, dass jede Handlung sprachlich begleitet wird (Signale für Routinen wie Symbole, Glocken, Bilder als sprach‐ liches Gerüst). Laut ihrer Forschungsergebnisse sei die Ent‐ wicklung in Wortschatz und Grammatik umso besser, je mehr Strategien von den Erzieherinnen und Erziehern im sprachli‐ chen Alltag verwendet werden. Zudem wird in der Diskussion erneut deutlich, dass es wichtig ist, die einzelnen Zuständigkeiten und Kompetenzen der Erzieherinnen und Erzieher im Team klar zu definieren. Laut Frau Kersten spürten die Kinder schnell, wenn es inner‐ halb des Teams interkulturelle Probleme oder auch Hier‐ archieprobleme gibt. Bilinguale Pädagogen sollten in Kita‐ Teams nicht ‘nur’ die Rolle eines muttersprachlichen Inputge‐ bers, sondern auch die des gleichgestellten Pädagogen inne‐ haben. Zusätzliche Qualifikationen sind daher dringend not‐ wendig und im Curriculumsentwurf zu berücksichtigen.
Bedeutung der bilingualen Bildung in den öffentlichen Diskurs bringen Herr Professor Mehmet Canbulat von der Akdeniz Universität Antalya forscht zu aktuellen Diskursen über Mehrsprachigkeit und zum soziolinguistischen Ansatz. Er findet, dass die posi‐ tiven Ergebnisse bilingualer Erziehung in der medialen Auf‐ arbeitung ignoriert, negative Beispiele hingegen in den Vor‐ dergrund gerückt werden. Er meint, dass ‚auch die Schulsys‐ teme die positiven Ergebnisse bilingualer Erziehung ignorie‐ 149
ren‘. Bilinguale Programme gingen in vielen Ländern zurück und man beobachte, dass die Sprachen der Einwanderer teil‐ weise ignoriert würden. Es sei also laut Herrn Canbulat sehr wichtig, die Diskussion um die Bedeutung bilingualer früh‐ kindlicher Bildung wieder mehr in die Öffentlichkeit zu rü‐ cken und mit Entscheidungsträgern aus Bildung und Politik zu diskutieren.
Interessante Anregungen für den Curriculumsinhalt In der letzten Diskussionsrunde wurden von den Experten und Expertinnen noch einmal Themen angeregt, die für be‐ sonders wichtig erscheinen, um die Nachhaltigkeit der Pro‐ jektergebnisse zu gewährleisten. Es wird empfohlen, nach weltweiten Programmen zur bilingualen Erziehung zu suchen um daraus einige Handlungsempfehlungen für die Curriculumsentwicklung abzuleiten. Abschließend wird auf das ELIAS verwiesen – Project, Early Language and Intercultural Acquisition Studies. Es ist ein Projekt der EU, wel‐ ches von 2008 bis 2010 zehn bilinguale Kitas untersucht hat, u.a. mit Blick auf die Sprachverwendung der Erzieherinnen. Die im Workshop gewonnenen Erkenntnisse und Infor‐ mationen werden nun ausgewertet und sollen durch Litera‐ turrecherchen, Presseanalyse, Gespräche mit Führungsperso‐ nal und sonstigen Expert/innen sowie durch Interviews mit Eltern ergänzt und vertieft werden. Aufgrund des großen Erfolges des Berliner Workshops wurde ein zweiter Workshop im Januar 2015 in Antalya angekündigt, um die angeregten Diskussionen zu vertiefen und das Rahmencurriculum in eine endgültigen Form zu bringen. Prof. Erol Esen vom Zentrum für Europäische Studien der Akdeniz Universität und Prof. Susanne Viernickel von der 150
Alice Salomon Hochschule Berlin bedanken sich recht herzlich bei allen Teilnehmern und Referenten für Ihre Beiträge zur bilingualen frühkindlichen Bildung und Ihr Kommen zum Workshop.
Workshop in Antalya im Januar 2015 Nach dem ersten erfolgreichen Workshop zum Forschungs‐ projekt ‘Bilinguale frühkindliche Bildung in Deutschland am Beispiel Berlins‘ fand im Januar wie geplant der zweite Work‐ shop statt, diesmal am Standort in Antalya. Das Team um Herrn Professor Erol Esen konnte auch hierfür Experten und Gäste als Workshop‐Teilnehmer an der Akdeniz Universität empfangen. Nachdem im ersten Teil in Berlin der Schwerpunkt auf der Grundlagenforschung lag, um das Forschungsprojekt auf den Weg zu bringen, waren die Themen diesmal spezifischer und die Diskussionen tiefgründiger. Die Expertinnen und Experten diskutierten detailliert über das Curriculum für den geplanten Bachelorstudiengang in bilingualer frühkindlichen Bildung und über die Rahmenbedingungen zur Akkreditie‐ rung. Drei Monate vor Beendigung der Projektphase gab Herr Esen zu Beginn einen Überblick über die bisherigen Ergebnis‐ se und Fortschritte des Projekts. Ein übergeordnetes Ziel des Projekts sei es, Bilingualismus weiter bekannt zu machen und die Öffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren. Hier sind vor allem skandinavische Länder als Vorreiterbeispiele anzusehen. Klar sei, dass in Deutschland ein großer Bedarf an bilingualen Kindertagesstätten bestehe. Die wird vor allem durch die in letzten Jahren gestiegene Forschung zur früh‐ kindlichen Bildung deutlich gemacht. Das Augenmerk auf 151
eine hohe Qualität bei der Ausarbeitung des Studienganges zu legen ist für das Team von Herrn Esen ein besonderes Anlie‐ gen. Bilinguale Erziehung erfordert von Erzieherinnen, Eltern und beteiligten Organisationen höchste Sensibilität und eine gute Zusammenarbeit. Unterschiedliche Bildungspläne und Submersionseffekte Die Referentin Professorin Hatice Bekir von der Gazi Universi‐ tät Ankara hatte hierzu eine ganz klare Haltung: Es sei ihr besonders wichtig, mit den verantwortlichen Bildungseinrich‐ tungen zu kooperieren und sich dementsprechend auch an die zuständigen Ämter zu wenden. Demnach ist der Bildungsplan in der Türkei ‐ im Gegensatz zu Deutschland ‐ Sache des Mi‐ nisteriums und nicht des Landes. Konkreter bedeutet dies, dass die Bildungspläne studiert werden sollten, um die ange‐ henden Pädagoginnen und Pädagogen entsprechend schulen zu können. Auch muss dabei auf die unterschiedlichen Bil‐ dungssysteme und Lernmethoden beider Länder reagiert werden. Hilfreich sei dabei ein Blick auf den Modulaufbau der türkischen Pädagogen‐Ausbildung. Frau Bekir betont, dass ein wichtiger Baustein des Curri‐ culums der zukünftigen Erzieherinnen und Erzieher die Aus‐ einandersetzung mit Immersions‐ und Submersionseffekten (nach James Cummins 1980; zitiert nach Forum Bildungspoli‐ tik, 2015) sei. In der Sprachwissenschaft bedeutet Immersion der implizite Spracherwerb in einem fremdsprachigen Um‐ feld. In diversen Studien von Cummins wurde herausgestellt, dass es schichtspezifische Unterschiede gebe, durch die Bilingualität gefördert beziehungsweise eben auch behindert werden kann (letzteres vor allem bei Arbeitsmigranten in Deutschland), sodass sich Bilingualität auch negativ auf Kin‐ 152
der auswirken kann. Submersionseffekte können entstehen, wenn die Zweitsprache nicht ausreichend gestärkt wird. Es ist dementsprechend wichtig, die Zielgruppe für zukünftige bi‐ linguale Kindergärten zu definieren und die Sprachlernme‐ thoden (Prinzipien des Mutterspracherwerbs oder Fremdspra‐ chenunterrichts) anzupassen. Eine Methode wird in Kitas und in der frühkindlichen Bildung häufig bevorzugt: ‚Eine‐Person‐Eine‐Sprache‘, eine Immersionsmethode bei der die Erzieher nur in ihrer jeweili‐ gen Muttersprache mit den Kindern kommunizieren. Zudem wird diese Sprachlernmethode gerne mit kontextgebundenem Lernen verknüpft, sodass sich die Kinder beispielsweise in Projekten und Aktionen spielerisch spezifisches Vokabular aneignen können. Um kontextgebundenes Lernen durchfüh‐ ren zu können, sollten die Studierenden Lebensweisen und Traditionen der jeweiligen Länder gut kennen. Im Plenum wird deutlich, dass die zukünftigen Erzieherinnen und Erzie‐ her unbedingt mit den kulturellen und sprachlichen Erwar‐ tungen sowohl des Deutschen als auch des Türkischen ver‐ traut sein müssen.
Kindbezogene Didaktik und Sensibilisierung für unterschiedliche Sprachen In einem weiteren Block referierte Herr Professor Rehbein von der hiesigen Akdeniz Universität zu didaktischen Methoden und Techniken sowie Lern‐ und Vermittlungsstrategien in der bilingualen Erziehung. Er selbst begleitet seit Jahren verschie‐ dene Forschungsprojekte, die sich vor allem mit dem ‚Vorle‐ sen‘ in zwei Sprachen beschäftigen. Als renommierter Linguist ist Herr Rehbein der Ansicht, dass bilinguale Erziehung eine ‚Top‐down‘ Didaktik erfordert, die eine Äquivalenz zwischen 153
den Sprachen herstellt. Besonders wichtig für Kinder im Kita‐ alltag sei das Lernen von‐ und untereinander. Zudem sollten didaktische Methoden auf keinen Fall auf das Erlernen von Grammatik abzielen, sondern die Kinder sollen durch Zuhö‐ ren und durch Handlungen mit den Erzieherinnen und Erzie‐ hern lernen. Vor allem werde durch die Etablierung einer ‚Vorlesekultur‘ eine wohlwollende kindzentrierte Didaktik gefördert, betont der Professor. Es geht demnach darum, die Kinder zuallererst auf die unterschiedlichen Strukturen der Sprachsysteme zu sensibili‐ sieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Er betonte, dass in unserem medialen Zeitalter der Nutzung von Medien, wie z. Bsp. von PC‐Spielen oder anderen Applikationen, ein hoher Stellenwert zugesprochen wird und diese deshalb auch von Sprachexpertinnen und –experten genutzt werden sollten. Gewinnbringend sei auch die Verknüpfung des Spracherler‐ nens mit Musik und Bewegung. Besonders solche praktischen Aspekte habe er in der bisherigen Diskussion vermisst. Ein Beispiel, welches diese Anregungen aufgreift, ist das ‚Experimento‘‐Projekt der Siemens‐Stiftung. Die Stiftung hat eine Sprach‐Lern‐Software entwickelt, die Sprachen beim Ex‐ perimentieren in Schule und Kindergarten digital möglich macht und dabei hilft, sprachliches Vokabular spielerisch auf‐ zubauen (vgl. Siemens‐Stiftung, 2015). Es existieren sehr viele Möglichkeiten, die den zukünftigen Pädagogen während ihrer Ausbildung an die Hand gegeben werden können, damit sie diese in der Praxis anwenden können.
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‚Akademisierung‘ der Frühpädagogik ist noch jung in Deutschland Die wissenschaftliche Erzieherausbildung ist noch relativ jung in Deutschland, obwohl es das Tätigkeitsfeld schon lange gibt. In anderen Ländern, vor allem im europäischen Ausland gibt es schon länger Standards für eine entsprechende Qualifizie‐ rung durch Hochschulen. Daneben hat sich auch die For‐ schung in frühkindlicher Bildung erst seit einigen Jahren in‐ tensiver und fokussierter entwickelt, besonders nach den auf‐ rüttelnden Ergebnissen der PISA‐Studie und der Verabschie‐ dung von Bildungsplänen für Kindertagesstätten (vgl. Gerstberger, 2008). Die Akademisierung der Frühpädagogik wurde erst im Jahre 2004 auf den Weg gebracht, sodass lang‐ jährige Erfahrungen über den Erfolg dieser Studiengänge noch nicht vorhanden sind. Die Expertin und Psycholinguistin Pro‐ fessorin Andrea Tures schlägt vor, dass wegen der späten deutschen Akademisierung der Frühpädagogik, Vorreiterbei‐ spiele aus anderen Ländern herangezogen werden sollten. In den Evaluationsstudien anderer Länder werde die Arbeit mit den Eltern als eine Grundvoraussetzung für den Erfolg gese‐ hen. Der Einfluss von Elternorganisationen, pädagogischen Organisationen und anderen sozialen Einrichtungen als Ent‐ scheidungsträger werde in diesen Studien stärker berücksich‐ tigt (Holländisches Ministerium für Gesundheit, 2010: 10f). Frau Tures verweist hier noch einmal darauf, wie wichtig die Qualität der frühkindlichen Bildung für den positiven Verlauf bilingualer Erziehung ist. Frau Professorin Anastasia Senyildiz referiert über Sprachprestige und balancierten Bilingualismus bei der Aus‐ bildung von Fachkräften. Sie forscht u.a. zusammen mit Pro‐ fessor Ernst Apeltauer von der Universität Flensburg über 155
zweisprachige Entwicklungen bei Vor‐ und Grundschulkin‐ dern (vgl. Senyildiz, 2009). Dabei empfehlen sie das Potenzial der Analyseergebnisse von Sprachlernbiografien zu nutzen. Sprachlernbiografien beurteilen die Aktivitäten, persönliche Erfahrungen und Strategien im Lernen von Muttersprachen und Fremdsprachen von Personen und helfen bei der Formu‐ lierung gezielter Handlungsempfehlungen. Frau Senyildiz empfiehlt, dass die angehenden Fachkräfte vor Beginn der Ausbildung auf pädagogische Eignung geprüft werden soll‐ ten, denn nicht jeder habe das natürliche Geschick mit Kin‐ dern sensibel umzugehen. Es wird zudem angeregt, ein geeig‐ netes Instrument zur Sprachstanderhebung der angehenden Studierenden zu finden. Das Erlernen der Fremd‐ bzw. Zweit‐ sprache, in diesem Fall des Türkischen, ist zweifelsohne von hoher Bedeutsamkeit. Das Forschungsteam um Herrn Esen hat hierzu bereits im Vorhinein einen einjährigen obligatori‐ schen Aufenthalt in der Türkei vorgesehen, um neben dem Erlernen der Sprache auch eine Kultursensibilität anzustreben. Als weiteren wichtigen Punkt sieht Frau Senyildiz im Erwerb fundierten pädagogischen Wissens. Auch sollten ergänzend Praxiserfahrungen gesammelt und diese mithilfe von Semina‐ ren (inklusive Videotagebüchern sowie gegenseitigem Filmen) reflektiert werden (Senyildiz 2012: 51ff). Im Plenum wird herausgestellt, dass neben der Aneignung von Fachwissen die praktische Ausbildung nicht zu kurz geraten soll. Es wird vorgeschlagen, den Studenten Werkstattunterricht zu geben, um sie in handwerklichen Arbeiten zu schulen. Gerade diese Fähigkeiten könnten im Kitaalltag sehr hilfreich sein. Für den geplanten Studiengang kommt hinzu, dass der soziokulturelle Rahmen im ‚Sprachenlernen‘ sich auch deut‐ lich zwischen Deutschland und der Türkei unterscheidet. In 156
der Türkei herrscht eine ‚Oralkultur‘ vor, dem entgegen be‐ steht in Deutschland eine stark ausgeprägte ‚Vorlesekultur‘. Der türkische Kulturkreis wurde stark durch mündliche Über‐ lieferungen von Generation zu Generation geprägt. In der türkischen Gesellschaft gibt es daher viele Volksmärchen, Sprüche, Lieder oder Gesänge, die im Kitalltag auch instru‐ mentalisiert werden können. Es geht eben auch darum, die Kindergartenkinder für ihre Herkunftskultur zu sensibilisie‐ ren. Hierzu muss auf die Bedürfnisse der Familien bei der Curriculumsentwicklung eingegangen werden. Neben soziokulturellen Unterschieden wird auch die Sprachvarietät der türkischen Sprache diskutiert. Lokale und regionale Dialekte und Akzente existieren auch hier wie in fast allen Sprachen. Im Plenum wird darauf hingewiesen, dass einige türkischstämmige Kinder mit einem anatolischen Ak‐ zent aus den 70er Jahren sprechen und in Deutschland von Generation zu Generation weitergegeben, während die türki‐ sche Sprache in der Türkei sich unabhängig davon verändert. Damit wird klar, dass ein Auslandsaufenthalt für die Erzieher den Vorteil bringt, die Kinder in ihrer Muttersprache bestmög‐ lich zu fördern.
Bilingualität im Alltag und Zusammenarbeit mit Eltern sowie Organisationen Eine weitere Expertin ist aus Istanbul zum Workshop nach Antalya angereist. Frau Sonja Mintert leitet in Istanbul eine deutsch‐türkische Kindertageseinrichtung. Der Ahtapoti‐Kita‐ Alltag ist durch folgenden Leitgedanke geprägt: „Mehrsprach‐ lichkeit ist eine Chance und ein Reichtum! [… ] [Das] günstige „Zeitfenster“ für das Erlernen sprachlicher Fähigkeiten liegt im Vorfeld der Schule. Kinder erwerben Sprache durch Imita‐ 157
tion und Verstärkung, unbewusst‐ intuitiv, ganzheitlich, in Interaktion und konkreter Handlung“ (Ahtapot Poti Kinder‐ garten, 2015). Sie bringt interessante Beispiele aus ihrem Kita‐ Alltag ein, die sich mit den Ideen des Projekts weitestgehend decken. Zudem weist Frau Mintert daraufhin, dass monolinguale Erzieherinnen und Erzieher nicht ausgeklammert werden sollen. Sie verfügen ebenso über ein hohes Potenzial. In der praktischen Umsetzung bilingualer Erziehung werden in ei‐ nem Kita‐Team verschiedene Rollen und Ansprechpartner festgelegt. Dies bedeutet, die Kinder wissen, dass sie für die verschiedenen Sprachen jeweilige Ansprechpartner bzw. Er‐ zieherinnen und Erzieher haben, an die sich wenden können. Diese Herangehensweise verhindert eine dauernde Mischung der Sprachen und fördert positive Effekte im Erlernen der Sprachen. Im Plenum wird diskutiert, dass ‚Muttersprachler‘ in beiden Sprachen als Zielgruppe angestrebt werden, um die Professionalität und Qualität der Ausbildung zu erhöhen. Im Ahtapoti‐Kindergarten wird die enge Zusammenar‐ beit mit den Eltern gefördert. Es gibt eine Eltern‐Kind‐Gruppe, die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch zwischen Eltern und Erziehern bietet. Frau Mintert erklärt, dass sich ihr Kita‐ Team als Erziehungspartner der Eltern sieht, der zum Beispiel praktische Tipps zum Gemeinwohl der Kinder gibt und die Zusammenarbeit ausbaut. Im Plenum wird wie bereits zuvor betont, dass die Zu‐ sammenarbeit mit den Eltern eine hohe Priorität innehat. Zu der Zusammenarbeit gehören vor allem eine Sensibilisierung für Bilingualität‐ ihre Stärken und Schwächen und die Kom‐ munikation mit den Eltern. Nach den neuesten Erkenntnissen ist es besonders wichtig, die Bilingualität der Kinder auch im 158
Elternhaus und im Alltag zu fördern. Das Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung stellt fest, dass „je mehr die Zweisprachigkeit von den Bezugspersonen des Kindes (Fami‐ lie und Erziehern) geschätzt wird, desto besser lernt das Kind die Zweitsprache“ (vgl. Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung, 2015). Die alleinige Auseinandersetzung mit der Zweitsprache in der Einrichtung würde etwaige Erfolge schnell wieder verflüchtigen. Der Eltern‐Zusammenarbeit liegt deshalb gleich vom Anfang an eine differenzierte Information und Aufklärung zum Konzept bilingualer Kitas vor. Der Dritte Zwischenberichts zur Evaluation des Kinder‐ förderungsgesetzes vom Bundesministerium für Familie, Se‐ nioren, Frauen und Jugend (KiföG‐Bericht 2012) gibt den nied‐ rigschwelligen Informationen über Kitas und den Be‐ treuungsmöglichkeiten für Eltern mit Migrationshintergrund eine hohe Bedeutung (vgl. KiföG‐Bericht, 2012). Zahlen zur Bildungsbeteiligung aus Berlin (Besuch der Kita 2012 von Kindern unter 3 Jahren) zeigen, dass 52% der Kinder ohne Migrationshintergrund im Gegensatz zu 27% der Kinder mit MH eine Kita besuchen (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2012). Das heißt, U3 Kinder mit MH profitieren seltener von den Angebo‐ ten frühkindlicher Bildung und insbesondere der Sprachför‐ derung. Um Kinder mit Migrationshintergrund zu erreichen, wurde im Rahmen der KiföG‐Evaluation nach Bedingungen (siehe Abbildung 1;) gefragt, unter denen Eltern ihre Kinder unter drei Jahren in einer Einrichtung betreuen lassen würden. 32% der Eltern mit MH äußerte, dass die Mehrsprachigkeit des Personals ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Einrichtung sei (vgl. Abbildung 1). Im Plenum wurde festge‐ stellt, dass diese Ergebnisse die Notwendigkeit des AKVAM‐ 159
Projektes unterstützen, bilinguale Kindergärten zu etablieren und für die Thematik zu sensibilisieren. Abbildung 1: Bedingungen, unter denen Eltern ihre unter dreijährigen Kinder in einer Einrichtung betreuen lassen würden (KiFöG, BMFSFJ, 2012: 83). Fragestellung: Hätten Sie Ihr Kind in eine Kindertageseinrichtung gegeben, wenn …
Mehrfachnennungen möglich Quelle: Deutsches Jugendinstitut: AID:A/Zusatzuntersuchung KiföG 2011, N = 851‐891
Im Plenum wurde zudem vorgeschlagen, Interviews mit Migranteneltern zu führen, um auch die Erwartungen, Beden‐ ken und Hürden für eine bilinguale frühkindliche Bildung berücksichtigen zu können. Professor Esen weist darauf hin, dass dieses Ziel schon im ersten Workshop in Berlin gesetzt wurde und gab bekannt, dass momentan ein entsprechender
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Fragebogen vorbereitet wird. Das AKVAM‐Team hat bereits einen Plan ausgearbeitet und erste Kontakte zu Elternvertre‐ tern geknüpft. Ein Treffen mit Entscheidungsträgern aus Poli‐ tikern, Eltern und beteiligten Organisationen findet im Febru‐ ar 2015 in Berlin statt. Hier werden Vertreter aus den jeweili‐ gen Organisationen über die Situation und Entwicklungslage in Berlin diskutieren. Herr Esen führt auf, dass die Ergebnisse und Arbeitswei‐ sen in der interkulturellen Jugendarbeit durch Schulen und Organisationen mithilfe eines breiten Netzwerkes genutzt werden sollten. Es sollte einen Raum für Kooperationen ge‐ ben. Hier könnte man durch kleine Projekte und Einbindung von anderen Organisationen und Vereinen ein Netzwerk etab‐ lieren, welches vor allem für die Vorteile von Bilingualität wirbt. Mehrsprachigkeit muss in der Zielgruppe (bei den deutsch‐türkischen Familien in Berlin) als Bereicherung ange‐ sehen werden, die gleichzeitig auch als Ressource für das Ler‐ nen angesehen werden kann (vgl. Rasch, 2002). Die Rolle, die die Herkunftssprache und ‐kultur in der familiären Erziehung und in der institutionellen Bildungspraxis darstellt, sollte in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen werden.
Umsetzung braucht einen differenzierteren Zugang Um in der Zukunft auch bilinguale Kindergärten in der Türkei anzubieten, wird vom Plenum herausgestellt, dass in der Tür‐ kei Mehrsprachigkeit und Kontakt zu anderen Sprachen nicht den Regelfall darstellen. Dies bedeutet konkret, dass bei der Umsetzung des Projektes in der Türkei noch eine starke Sensi‐ bilisierung für Bilingualität in der Öffentlichkeit geschaffen werden muss. Als Vergleich werden hier die arabischen Län‐ der genannt, bei denen aufgrund der Historie die Zweispra‐ chigkeit zum Alltagsleben gehört. Für das Curriculum sollen 161
Aspekte erarbeitet werden, auf denen in der Kinderbetreuung in den jeweiligen Ländern besonders Wert gelegt werde. Wichtig sei es auch, auf andere bilinguale Studienpro‐ gramme weltweit zu schauen. Es wird ein Studiengang in Erziehungswissenschaften erwähnt, der zwischen Nowgo‐ rod/Russland und Hildesheim besteht und seit 2006 erfolg‐ reich durchgeführt wird (vgl. Universität Hildesheim, 2007). Dabei müssten die Voraussetzungen vor allem auf der organi‐ satorischen Ebene in beiden Ländern im Vorhinein geschaffen werden. Für ein doppeltes Diplom sei die Akkreditierung beider Länder Grundvoraussetzung. Hierzu sollen die Behör‐ den, die für die Anerkennung zuständig sind, befragt werden. Im Rahmen der Curriculumsinhalte wird auch auf Unter‐ schiede im deutschen und türkischen Familienalltag hinge‐ wiesen. Es erscheint sehr sinnvoll, beispielsweise im Rahmen von Soziologieseminaren, diese Thematik und die kulturspezi‐ fischen Gegebenheiten zu beleuchten. Die angehenden Päda‐ gogen müssen eingehendst mit beiden Kulturen vertraut sein, um die Kinder fördern zu können. Das Leben in multikulturel‐ len Gesellschaften, konkret in Berlin, erfordert die Sensibilisie‐ rung für kulturspezifische Kommunikation und Denkstile. Kritisch sollen sich die Studenten während ihres Studiums auch mit Migrations‐ und Identitätstheorien und der Diskri‐ minierung von Minderheiten auseinandersetzen. Der Bil‐ dungserfolg kann ‐ diversen Studien zur Folge ‐ auch abhän‐ gig von der Selbstwahrnehmung des Lernenden sein. Im Plenum wird über die Lehrkraftausbildung gespro‐ chen. Es wird herausgestellt, dass Nordrhein‐Westfalen eines der wenigen Bundesländer in Deutschland sei, welches Leh‐ rer, die in der Türkei ausgebildet worden sind, einstelle. Der Wissenschaftler Serhat Karhan untersucht in seiner Dissertati‐ on der Universität Duisburg‐Essen empirisch die ‚Türkischen 162
Lehrkräfte „der ersten Stunde“ in Nordrhein‐Westfalen“ (vgl. Karhan, 2014). NRW bietet muttersprachlichen Ergänzungsun‐ terricht als eines der ersten Bundesländer an und hat demnach viel Expertise. In seiner Arbeit stellt Karhan die Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts dar und beleuchtet die Grundzüge des türkischen Bildungssystems (vgl. ebd.). Einige seiner Ergebnisse können gut auf die Rahmenbedingungen der Kita‐Landschaft in Deutschland übertragen werden.
Blick in die Zukunft Am zweiten Tag des Workshops wurden in einer gemütlichen Session bei Kaffee und Tee die Workshop‐Ergebnisse zusam‐ mengefasst. Der Leiter des Zentrum für Europäische Studien AKVAM, Prof. Esen fasste noch einmal zusammen, welche Module und Lehrinhalte besonders wichtig für das Curricu‐ lum sind: Neben Diversity Management sollte auch ein Aus‐ landsaufenthalt (Fremdsprachenerwerb aus erster Hand & Mobilitätsförderung) obligatorisch aufgenommen werden. Eine umfassende pädagogische Ausbildung steht selbstver‐ ständlich auch bereits neben interkultureller Kompetenz auf der Agenda. Der Fokus soll damit auf einer interkulturellen Ausbildung liegen. Die Veranstaltung von AKVAM kann als sehr gelungen angesehen werden. Die vorläufige Ausarbeitung des Studien‐ programms ist nach dem Forschungsstand der Expertinnen und Experten auf dem richtigen Weg. Damit war der Work‐ shop ein voller Erfolg. Die Herausforderung für das For‐ schungsprojekt besteht nun darin, die gehaltvollen Ideen und Forschungsergebnisse der Expertinnen und Experten gewinn‐ bringend in das Curriculum zu integrieren. Das vorläufige Curriculum kann somit nun fertiggestellt werden. Mit dem Workshop wurde sichergestellt, dass die 163
neuesten Erkenntnisse aus zahlreichen unterschiedlichen Dis‐ ziplinen zur bilingualen frühkindlichen Entwicklung berück‐ sichtigt und miteinander verzahnt werden können. Damit steht einer erfolgreichen Etablierung des Studienprogramms nichts mehr im Wege. Die letzten bürokratischen Hürden für die Akkreditierung können nun genommen werden.
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Die Mehrsprachigkeit im Kontext der aktuellen Diskussionen: Der soziolinguistische Ansatz Mehmet CANBULAT
Einführung Neben den kulturellen Unterschieden, den unterschiedlichen Wertvorstellungen, den unterschiedlichen Sitten und Gebräu‐ chen ist die unterschiedliche Sprache das Hauptmerkmal des ʺAndersseinʺ von Migranten in der neuen Mehrheitsgesell‐ schaft. Die Forderungen der Migranten nach zweisprachiger Bildung, wie sie in den klassischen Einwanderungsländern schon seit langem erhoben wurden, sind mittlerweile allmäh‐ lich auch in den ʺneuenʺ Einwanderungsländern wie der Bun‐ desrepublik Deutschland (Sprachregelung dort: ʺZuwande‐ rungʺ statt des politischen Tabu‐Worts ʺEinwanderungʺ) im‐ mer lauter zu hören. Diese Forderung hat mehrere Gründe: Die Migranten beklagen zu Recht den geringen Schulerfolg, der nach so langer Zeit weiterhin ausbleibt, die hohe Schulabbrecherquote, die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem auch den Wunsch der Mehrheitsgesellschaft nach Assimilati‐ on der Zuwanderer, und damit verbunden die Ablehnung der ihrer Muttersprachen und kulturellen Identitäten. Der Erfolg zweisprachiger Bildungsmodelle, z.B. in Kanada und einigen europäischen Ländern (PISA 2003‐2012), unterstützt selbstver‐ 167
ständlich die Forderungen der Migrantengruppen nach zwei‐ sprachiger Bildung. Die Erwartungen der Migrantengruppen an zweisprachi‐ ge Bildung sind an die Möglichkeit geknüpft, dass ihre Kinder sich in ihrer Muttersprache und in der Sprache der Mehrheits‐ gesellschaft schriftlich und mündlich möglichst auf höchstem Niveau ausdrücken können sollen. Nach Ehlers (Ehlers, 2009) ist Zweisprachigkeit im Bereich des Sprechens ein weltweit anerkanntes Phänomen; vollständige Zweisprachigkeit im Bereich des Schreibens sei jedoch auf keinen Fall möglich und nur gehobenen Schichten eigen.
Die Definitionen der Zweisprachigkeit Der Begriff der Zweisprachigkeit (Bilingualismus) wird in der Literatur nicht nur wissenschaftlich, sondern auch unter politi‐ schen Aspekten diskutiert. Im Fokus der politischen Debatten stehen zumeist die Bildungsprobleme der Migrantenkinder. Hier jedoch werden wir überwiegend die wissenschaftlichen Diskurse behandeln und die politischen Diskussionen nur am Rande erwähnen. Das Phänomen der Zweisprachigkeit, das man in den Bereichen Linguistik, Erziehungswissenschaften, Geisteswissenschaft und Soziologie findet, wird von der jewei‐ ligen Disziplin jeweils anders definiert, und deshalb existiert also keine einheitliche Definition der Zweisprachigkeit. In ih‐ rem Werk “Second Language Acquisition” sagen Glaas und Selinker, dass in der Literatur 34 unterschiedliche Definitionen von Zweisprachigkeit existieren, und dass diese sich häufig überschneiden (Glass und Selinker, 2008). Nach Lambeck haben die Definitionen nur eines gemeinsam: nämlich “dass es um mehr als eine Sprache geht“ (Lambeck, 1984: 12) ! Valdes definiert die Zweisprachigkeit nicht in Bezug auf den täglichen Sprachgebrauch, sondern als Zweisprachigkeit 168
bezeichnet er es, wenn eine ausgebildete Person beide Spra‐ chen auf dem Niveau ihrer Muttersprache anwenden kann. Er führt jedoch aus, dass dieses „mythische Zweisprachigkeits‐ phänomen“ sehr selten beobachtet wird (Valdes, 2001: 40). Nach dem soziolinguistischen Ansatz sind die gesellschaftliche Struktur und die Sprachleistung (die Performanz) des Indivi‐ duums innerhalb der Gesellschaft der bestimmende Faktor für Zweisprachigkeit (Kannwischer, 2008: 7). Demnach sollte die Zweisprachigkeit sowohl in Bezug auf das Individuum und als auch in Bezug auf die Gesellschaft betrachtet werden. Nach dem Soziologen Löffler (Löffler, 2010) tauchen im Laufe des Zweisprachigkeitsprozesses unterschiedliche Zweisprachigkeitsarten auf. Während die gleichgewichtige Zweisprachigkeit eine ganzheitliche Weiterführung beider Sprachen bedeutet, wirkt sich in einer Zweisprachigkeit, in der die zweite Sprache die Vorherrschaft besitzt, die zweite Spra‐ che auf den Wortschatz und den Satzbau der anderen Sprache aus, dies funktioniere aber nicht im Umkehrschluss. Darüber hinaus existieren Erscheinungen wie die gemischte, elitäre und eine ʺKonfliktʺ‐Zweisprachigkeit. Skutnabb‐Kangas behauptet, dass es besser wäre, die schwierige Definition der Zweisprachigkeit nach unterschied‐ lichen Kriterien zu entwickeln (Skutnabb‐Kangas, 1984). In ihrer Arbeit “Bilingualism or not“ führt sie aus, dass die Zwei‐ sprachigkeit nach mindestens vier Variablen behandelt wer‐ den sollte, und dass die Zweisprachigkeit der Person nur nach diesen Variablen eine Bedeutung haben würde. Diese Variab‐ len sind: das Erwerbsalter der Sprache(n), das Sprachniveau, wo und zu welchem Zweck die Sprachen angewandt werden sollen, und die Einstellung des Individuums gegenüber den Sprachen. Dies zeigt die folgende Tabelle. 169
Kriterien
Definitionen
1. Anfangsalter
Ein Sprecher ist zweisprachig, wenn (a) er seine erste Sprache ab seiner Geburt in der Familie lernt (b) er von Anfang an beide Sprachen funktionell einsetzt (a) er die Kompetenz hat, beide Sprachen zu benutzen (b) er beide Sprachen wie seine Mutter‐ sprache spricht (c) er in beiden Sprachen äquivalente Kompetenzen hat (d) er auch in der anderen Sprache sinn‐ volle Aussagen produzieren kann (e) er die grammatischen Strukturen der anderen Sprache kennt und anwenden kann (f) er Berührungspunkte mit der anderen Sprache hat (Englisch: has come into contact with another language) (a) er beide Sprachen nach seinen Wün‐ schen und den Erwartungen der Gesell‐ schaft überwiegend anwendet / anwen‐ den kann (a) er sich zweisprachig und/oder bikulturell oder als Teil der Kulturen definiert (b) er von den anderen als zweisprachig und/oder als nativer Sprecher anerkannt wird
2. Kompetenz
3. Die Funktion
4. Identität Innere Bestandteile Äußere Bestandteile
Quelle: Skutnabb‐Kangas, 1984
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Ein Überblick über die Diskussionen über die zweisprachige Bildung Die Zweisprachigkeit wird in der Literatur unter drei Titeln behandelt. Der erste Diskussionspunkt ist, ob die zweispra‐ chigen Bildungsmodelle überhaupt nützlich sind. Wer von ihrem Nutzen überzeugt ist wird behaupten, dass sich die zweisprachige Bildung zwingend positiv auf den Schulerfolg der Migrantenkinder auswirkt (Hamers und Blanc, 2000). Während einige behaupten, der Erwerb der Mehrheitssprache neben der Muttersprache wirke sich positiv auf den Schuler‐ folg und die Integrationsprozesse aus, sind einige andere der Meinung, dass die zweisprachige Bildung keine positiven Wirkungen auf den Schulerfolg habe, den Integrationsprozess beeinträchtige und die Sozialisation und Anpassung verlang‐ same. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, welche Funktion das anzuwendende Modell ausüben soll. Manche Forscher behaupten, das anzuwendende Modell müsse ‐ wenn die Stadien der Migration betrachtet werden ‐ in den Anfangs‐ jahren die Muttersprachen unterstützen und einen kompensa‐ torischen Ansatz beinhalten. Das endgültige Ziel solle jedoch sein, dass die Bildung in der zweiten Sprache erfolgt, damit Chancengleichheit in der Bildung erreicht werde. Die For‐ scher, die sich gegen diesen Ansatz positionieren, der als As‐ similation an die herrschende Sprache betrachtet wird, vertei‐ digen hingegen die funktionale Anwendung beider Sprachen in den Schulsystemen. Nach Cummins sind die täglich ge‐ sprochene Sprache “Basic Interpersonal Communication Skillsʺ (BICS) und die akademische Sprache “Cognitive Aca‐ demic Language Proficiency” (CALP) zwei ganz unterschied‐ liche Sprachen (Cummins, 2003). Für den Erfolg in den Schul‐ 171
systemen ist die Nutzung der Standardsprache der herrschen‐ den Gesellschaft enorm wichtig. Die Forscher führen basie‐ rend auf den Thesen von Cummins aus, dass allein eine Bil‐ dung in der herrschenden Sprache den Schulerfolg, die Sozia‐ lisation und die Integration verbessere. Bildungsmodelle, die auf die Monolingualität der herrschenden Sprache zielen Programmart Gesellschaft‐ liche Gruppe, zu der das Kind ange‐ hört Submersion Sprachmin‐ derheit Submersion Sprachmin‐ derheit Unterstützt durch vorläu‐ fige kompensato‐ rische Klas‐ sen Sprachmin‐ Unterschei‐ derheit dende zwei‐ sprachige Bildung Sprachmin‐ Vorläufige zweisprachi‐ derheit ge Bildung (transitorisch)
Angewand‐ Lernergeb‐ te Sprache nis in der Klasse
Herrschen‐ Assimilation Monolingualität de Sprache Assimilation Monolingualität Der Über‐ gang von Mutter‐ sprache zur Mehrheits‐ Sprache Minderhei‐ Unterschei‐ ten‐sprache dung
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Begrenzte Zwei‐ sprachig‐keit
Übergang Assimilation Relative Zwei‐ sprachig‐keit von der Minderhei‐ ten‐sprache zur Mehr‐ heits‐ sprache
Quelle: Adaptiert aus Baker, 2001: 278
Beabsichtigte Sprachkompe‐ tenzen
Als drittes gibt es “zweisprachige” Bildungsmodelle, die in multinationalen Ländern angewandt werden. In den Län‐ dern wie Kanada, die Schweiz, Belgien, Südafrika und Austra‐ lien werden die Diskussionen über Zweisprachigkeit auf einer anderen Ebene geführt. Da diese Länder keine assimilatori‐ schen Ansätze hegen, stehen in diesen Ländern Maßnahmen im Vordergrund, die neben multikulturellen und mehrspra‐ chigen Bildungsmodellen, die das Zusammenleben der ein‐ heimischen und zugewanderten Gruppen und Gemeinden fördern, den Erhalt der gesprochenen Sprachen (language maintenance) zum Ziel haben. Während die vielen gesproche‐ nen Sprachen und die unterschiedlichen Kulturen als Berei‐ cherung betrachtet werden, bemüht man sich gleichzeitig auch um den Erhalt von Eingeborenensprachen, wie z.B. in Südaf‐ rika. Durch die im Jahre 1996 eingeführte Verfassung wurden dort 11 Sprachen (einschließlich Englisch und Afrikaans) als Amtssprachen anerkannt und offizielle Einrichtungen ge‐ gründet, die den Erhalt der Eingeborenensprachen zum Ziel haben. Nach Collin Baker basieren die in diesen Ländern an‐ gewandten Bildungsmodelle auf dem Immersionsmodell.
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Die Zweisprachigkeit und Bildungsmodelle, die sich auf zweisprachige Alphabetisierung richten Prgramm‐ Gesellschaft‐ Die in Lernergebnis art liche Gruppe, der zu der das Klasse Kind gehört ange‐ wandte Spra‐ che Immersion Herrschende L2 Multikulturali Sprache tät
Spracher‐ Sprachmin‐ halt derheit (Language Maintance)
Bilingualer Sprachmehr‐ Unterricht. heit und ‐ (Two‐way minderheit immer‐ sion) Bildung in Sprachmehr‐ der herr‐ heit schenden Sprache
Zweisprachigkeit und zweispra‐ chige Alphabeti‐ sierung L2 mit Der Erhalt der Zweisprachigkeit L1 vorhandenen und zweispra‐ gewich‐ Sprachen, chige Alphabeti‐ tet Multikulturali sierung tät, Bereiche‐ rung L1 und Der Erhalt der Zweisprachigkeit L2 vorhandenen und zweispra‐ Sprachen, chige Alphabeti‐ Multikulturali sierung tät, Bereiche‐ rung Zwei Der Erhalt der Zweisprachigkeit Spra‐ vorhandenen und zweispra‐ chen Sprachen, chige Alphabeti‐ Multikulturali sierung tät, Bereiche‐ rung
Quelle: Adaptiert aus Baker, 2001: 278
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Beabsichtigte Sprachkompe‐ tenzen
Bei einem Vergleich der Immersions‐ und Submersionsmodelle sieht man, dass beim Immersionsmodell ‐ da es die Muttersprachen und die kulturellen Identitäten nicht ablehnt ‐ der Schulerfolg höher ist. Immersion Migrantenkinder beherrschen die Schulsprache nicht ausrei‐ chend. Die Muttersprache / die erste Sprache wird in der Schule akzeptiert und nicht als Grund des Misserfolges gese‐ hen. Die Muttersprache wird gleichwertig zu der zweiten Sprache angesehen. Die Lehrer sind vertraut mit der Sprache und Kultur der Kinder. Die Nutzung der zweiten Sprache wird gefördert.
Submersion Die Bildungssprache ist die Amts‐ sprache. Der Misserfolg bei der Schulspra‐ che wird als kognitive Inkompe‐ tenz aufgefasst.
Bildungsunterstützung wird durchgeführt. Schüler gehen zu privaten Bildungseinrichtungen. Die Lehrer sind nicht vertraut mit der Sprache und Kultur der Kin‐ der. Es entstehen Sprachbarrieren. Die Nutzung der Sprachen außer der Schulsprache wird nicht gern gesehen.
Sind Sprachen eine Bedrohung oder ein Gewinn? Aus dem Blickwinkel einer ʺSprachplanungʺ könnten Minder‐ heitensprachen als Bedrohung empfunden werden. Es ist gleichzeitig aber demgegenüber auch möglich, dass die Exis‐ tenz und der Unterricht der Minderheitensprachen als Men‐ schenrechte und schließlich als zu unterstützende Errungen‐ schaften (Ressource) aufgefasst werden (Ruiz, 1984). „Die Initiative 2003 für die Entwicklung der Herkunftssprache“
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führt aus, dass die Vereinigten Staaten Individuen brauchen, die die englische Sprache und andere Sprachen auf gehobe‐ nem Niveau sprechen, d.h. dass die Politik neue Strategien und Visionen entwickeln muss, um diese Errungenschaft zu verwirklichen, und dass bei der Errichtung einer pluralisti‐ schen amerikanischen Gesellschaft sämtliche Schüler eine gehobene Bildung in englischer und einer anderen Sprache benötigen (Ricento, 2005). Die Mehrsprachigkeit wird in der Gesellschaft akzeptiert, wenn es um gesellschaftlich angesehene Sprachen geht. Die Mehrsprachigkeit wird jedoch als Bedrohung aufgenommen, wenn sie allein durch den Druck, d.h. durch die Anwesenheit der migrantischen Gruppen entsteht (Bär, 2004). Diese Diskus‐ sionen können demnach in drei Punkten klassifiziert werden: 1. Nach dem Ansatz und der Ideologie, welche die Min‐ derheitensprachen als eine Bedrohung empfinden, wird be‐ hauptet, dass der Erhalt der Minderheitensprachen (und ein entsprechender Unterricht) zu gesellschaftlichen Probleme führt, die Integration der Migrantengruppen in die herrschen‐ de Gesellschaft verzögert und eine Dissoziation in der Gesell‐ schaft auslösen könnte. Die Verteidiger dieser Auffassung unterstützen ihre These am Beispiel Jugoslawiens. Es wird behauptet, dass die mehrsprachige und multikulturelle Struk‐ tur Jugoslawiens der Hauptgrund für den Zerfall des Landes gewesen sei. Nach dieser Auffassung ist Sprache das wichtigs‐ te Element, das eine Gesellschaft zusammenhält. Die Mehr‐ sprachigkeit sei eine Bedrohung für die Zukunft der Gesell‐ schaft, und die Minderheiten müssten an die Amtssprache assimiliert werden. Die Gegner dieser Auffassung behaupten dagegen am Beispiel Singapurs, Luxemburgs und der
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Schweiz, dass eine nationale Einheit auch ohne eine gesell‐ schaftliche Einheit existieren könne. 2. Nach der Auffassung derer, die in Minderheitenspra‐ chen keine Bedrohung sehen, sondern sie im Rahmen der Menschenrechte betrachten, hat jedes Individuum das Recht seine Sprache zu wählen und das Recht auf Zweisprachigkeit. Nach Kloss (Kloss, 1998) schützt das Recht auf die Sprach‐ auswahl das Individuum vor Assimilation. Viele Minderhei‐ tengruppen (wie z.B. Sprecher der maorischen Sprache, von Indianersprachen und von Walisisch) wurden nach seiner Auffassung sprachlich assimiliert. Als Beispiel dafür erwähnt Klaust, dass in einer bestimmten Ära die walisische Sprache in der Schule verboten wurde, den walisisch sprechenden Kin‐ dern als Kennung eine Karte um den Hals gehängt und diesen Kindern Gewalt angetan wurde. Dass den Schülern aus Migrantenfamilien das Sprechen der Muttersprache in der Schule verboten wird, ist nach Kloss der augenfälligste Indika‐ tor für eine Diskriminierung. 3. Nach einer weiteren Auffassung, die im Gegensatz zu den beiden erwähnten die Minderheitensprachen als ein Reichtum sieht, sind die in einer Gesellschaft gesprochenen Sprachen individuelle und gesellschaftliche Errungenschaften. Insbesondere die Zweisprachigkeit in Großbritannien und Nordamerika sind gute Beispiele für diesen Ansatz.
Politische Ansätze gegen den wissenschaftlichen Ansatz Cummins, einer der ersten Verfechter der Zweisprachigkeit, führt aus (Cummins, 2006), dass er in den letzten 35 Jahren durch mehr als 150 wissenschaftliche Studien bewiesen habe, dass die Kinder in den Primar‐ und Sekundarschulen durch die Entwicklung ihrer Sprachkompetenzen in mehr als einer 177
Sprache einschlägiges Wissen erwerben und die Sprache ef‐ fektiver nutzen, dass jedoch diese Fertigkeiten der Migranten‐ kinder in den Schulsystemen nicht ausreichend gewürdigt werden. Die Auffassung von Cummins über die Errungenschaften der zweisprachigen Bildungsmaßnahmen können wie folgt zusammengefasst werden: • Die Förderung der Muttersprache ist nicht nur für die Muttersprache, sondern auch für die Entwicklung der Sprachbegabung der Kinder nützlich. • Die Integration der Minderheitensprachen in die Schulsysteme hat keine negativen Auswirkungen auf die Bildung in der herrschenden Sprache. • Sollte die Muttersprache nicht gefördert werden und die Bildung in der herrschenden Sprache erfolgen, können die Kinder aus Migrantenfamilien ihre Fertig‐ keiten, die sie in ihrer Muttersprache entwickelt ha‐ ben, schnell wieder verlieren. • Die Akzeptanz der Identitäten der Minderheitenkin‐ der in den Schulsystemen spielt bei ihrem akademi‐ schen Erfolg eine große Rolle (Cummins, 2003). Esser (Esser, 2006), der gegen die Auffassung Cummins´ und somit auch gegen die zweisprachige Bildung argumen‐ tiert, behauptet in seiner AKI‐Forschungsbilanz 4, dass die vorhandenen Daten die Auswirkungen der zweisprachigen Schulmodelle auf den Erwerb der zweiten Sprache und den Schulerfolg nicht wissenschaftlich beweisen könnten, und führt dazu wie folgt aus: • Die wissenschaftlichen Studien über die Auswirkun‐ gen der Zweisprachigkeit auf den Schulerfolg basieren
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nicht auf Langzeitstudien, Mess‐ und Kontrollgrup‐ pen. • Die zweisprachigen Kompetenzen der Migranten, d.h. dass sie neben der Sprache der herrschenden Gesell‐ schaft ihre Muttersprache beherrschen, haben keine Auswirkungen auf den Schulerfolg und die Jobsuche. • Während die internationale Entwicklung die Assimila‐ tion der Migrantengenerationen an eine einzige Spra‐ che bewirkt, wird die Kompetenz ʺZweisprachigkeitʺ eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Esser trägt vor, nicht der Erhalt der Muttersprache der Migranten und ihrer Kinder, sondern vielmehr ihre Assimila‐ tion an die herrschende Sprache führe zu einer höheren Per‐ sönlichkeitsentwicklung und verursache weniger seelische Probleme (Esser, 2006). Er führt weiterhin aus, dass der Erhalt der Muttersprache im Laufe der Generationen schwieriger werde und letztendlich mit der Assimilation an die herr‐ schende Sprache ende. In manchen besonderen Situationen (wie in sehr großen Migrantengruppen) könne die Mutter‐ sprache erhalten bleiben, dies würde jedoch zu sprachlichen Dissoziationen führen. Die Vereinigten Staaten, die bei zweisprachigen Bil‐ dungsmaßnahmen zusammen mit Kanada und Australien genannt werden, zählen auch zu den Ländern, in denen eine zweisprachige Bildung erfolgreich angewandt wird. Jedoch ist das Phänomen der zweisprachigen Bildung eines der umstrit‐ tensten Themen in diesem Land. Nach den Zahlen aus dem Jahr 2000 wachsen 47 Mill. Amerikaner (17,6%) mit einer eige‐ nen Muttersprache neben Englisch auf (United States Census 2000). Obwohl dieses Land ein Einwanderungsland ist, wer‐ den auch hier in den letzten Jahren Einschränkungen bei 179
zweisprachigen Bildungsmaßnahmen vorgenommen. Nach dem im Rahmen der “English Only”‐Kampagne im Jahre 1998 in Kalifornien der Vorschlag Nummer 227 durch eine Volks‐ abstimmung mit 61% der Stimmen angenommenen worden war (Crawford, 2000), nahm man erhebliche Einschränkungen bei den zweisprachigen Bildungsmaßnahmen in diesem Bun‐ desland vor. Dass dann im Jahr 2000 auch im Bundesstaat Arizona ähnliche Entscheidungen getroffen wurden, unter‐ stützt die Auffassung Essers. Bei diesen Entscheidungen wa‐ ren nicht so sehr wissenschaftliche Gründe, sondern vor allem politische Haltungen ausschlaggebend. Nach Cummins war der Einfluss der Wirtschaft, von Medien und Politikern bei diesen Entscheidungen enorm. Cummins berichtet, dass “The Economist” bei diesem Prozess Kampagnen gegen die zwei‐ sprachige Bildung geführt habe, jedoch fünf der sechs Thesen, die diese Zeitung gegen die zweisprachige Bildung aufgestellt hat, falsch wären, und dass wohlhabende Geschäftsleute (wie Ron Unz) in diesen Prozess eingegriffen hätten. Der Forscher führt weiterhin aus, dass das nächste Ziel von Ron Unz sei, ähnliche Entscheidungen auch in New York herbeizuführen, und dass derartige Ereignisse die Thesen derjenigen unter‐ stützen würden, die in Europa einer zweisprachigen Bildung ablehnend gegenüberstehen. Insbesondere auf seinen Besu‐ chen in Dänemark und Griechenland wäre er mit ähnlichen Fragen konfrontiert worden.
Ergebnis ‐ Diskussion Bei der Betrachtung der zweisprachigen Bildungsmodelle sehen wir, dass zwei unterschiedliche Bildungsmethoden ei‐ nander gegenüberstehen; nämlich die Immersion und die Submersion. Das Immersionsmodell, das eine Assimilation 180
vorsieht, wird heute in vielen Einwanderungsländern ange‐ wandt. Die Muttersprache ist nach dieser Auffassung keine im Schulsystem zu akzeptierende Sprache. Der Gebrauch der Muttersprache bleibt auf die Familie und das nähere Umfeld begrenzt, und diese muss nach einer Weile ihren Platz zu‐ gunsten der zweiten Sprache verlassen. Das Submersionsmodell, das als modernere und humanistischere Anwendung erscheint, enthält aber keine Unterrichtsmethode, die nur eine hochentwickelte Zweisprachigkeit ermöglicht. Wie im kanadischen Beispiel zu sehen ist, erfordert die An‐ wendung solcher Modelle und die Durchführung derartiger Programme eine partizipatorische Gesellschaft und ein wirt‐ schaftlich und psychologisch geeignetes Umfeld. Der Erhalt und die Entwicklung der sprachlichen Diversität in der Ge‐ sellschaft müssen mehr auf gesellschaftlichen Kompromissen als auf gesetzlichen Regelungen gegründet werden. Denn die Submersionsmethode erfordert ‐ im Gegensatz zur monolingualer Bildung‐ ein arbeitsintensives Bildungsumfeld. Solche Bildungsmodelle können in globalen Krisenzeiten sehr leicht den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Flankierend betonen die entsprechenden ideologischen Ansätze, die eine Mehrsprachigkeit als Bedrohung ansehen, dass die Multikulturalität und Mehrsprachigkeit zu einem gesellschaft‐ lichen Zerfall führen könnte. Niedrig führt aus (Niedrig, 2008), dass in Südafrika, ob‐ wohl dort ein effektives Mehrsprachigkeitsprogramm ange‐ wandt wird, die allgemeine Tendenz zu einem Monolingualismus (Englisch) ginge (Niedrig, 2008) und die verfassungsrechtlichen Regelungen nur ein symbolisches Handeln seien. Auch das Beispiel Kanadas ist auf ähnliche Weise kritisch zu sehen. Der Erfolg bei den Immersionsan‐ 181
wendungen wird überwiegend offenbar nur dann erzielt, wenn es um die Sprachen der herrschenden Kulturen geht; nämlich um Englisch und Französisch. Auch beim Versuch, die Erfolge der Immersionsmethode der Öffentlichkeit zu vermitteln, können gravierende Proble‐ me auftreten. Nach den Feststellungen von McQuillan & TSE betonen 55% der Berichte in den Medien die negativen Aspek‐ te der zweisprachigen Bildung, obwohl 87% der betreffenden Abhandlungen die positiven Effekte der zweisprachigen Bil‐ dung herausstellten (McQuillan und TSE, 1996). Cummins bemängelt, dass die Medien die öffentliche Meinung zu Lasten der zweisprachigen Bildung lenken. Im Hintergrund der zweisprachigen Modelle der Länder, die von sich behaupten partizipatorisch und pluralistisch zu sein, steht die Assimilation an die herrschende Sprache. Bei der Bestimmung dieses Ansatzes, der darauf basiert, dass die Migranten in der Amtssprache sozialisiert werden, haben neben der Politik auch ökonomische Interessen ganz entschei‐ denden Einfluss. Während in vielen Ländern die offizielle Anerkennung der Eingeborenen‐ und Minderheitensprachen zu verzeichnen ist, sinkt gleichzeitig die Akzeptanz der Migrantensprachen in anderen Gesellschaften und deren Schulsystemen täglich weiter. Die Migrantengruppen müssten sich daher organisieren und ihren Bildungs‐ und Sprachforde‐ rungen Nachdruck verleihen, um ihre Rechte effektiv nutzen zu können, die sie durch internationale Verträge und die nati‐ onalen Gesetze derjenigen Länder erhalten haben, in denen sie jetzt leben. 182
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Der Zusammenhang zwischen früher Sprachentwicklung und sozio‐emotionaler Entwicklung im Kontext von Mehrsprachigkeit Beyhan ERTANIR
Einleitung Als Folge der Globalisierung, der weltweiten Migration und Zunahme von verschiedenen Kommunikationswegen nimmt die Heterogenität der Länder und Kulturen hinsichtlich der ethnischen, sprachlichen und sozialen Zusammensetzung immer weiter zu. Laut den Angaben des Statistischen Bundes‐ amtes lebten in Deutschland im Jahr 2013 rund 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund (Statistisches Bundes‐ amt Deutschland, 2013). Dies entspricht einem Bevölkerungs‐ anteil von 20,50%, und dieser Anteil liegt bei Jungen und Mädchen unter 5 Jahren sogar bei 35,4%. Damit haben in den alten Bundesländern etwa ein Drittel aller minderjährigen Kinder einen Migrationshintergrund und wachsen mit einer nicht deutschen Erstsprache auf. Türkisch und Russisch sind die Sprachen, die als die meistgesprochenen Sprachen gelten (Reich, 2007). Obwohl der Gebrauch von einer, zwei bzw. mehreren Sprachen abhängig von nationalem Hintergrund, dem Kommunikationspartner und sozialer Schicht variiert, 185
stellt vor allem für Kinder mit türkischer Migrationsgeschichte ein‐, zwei‐ bzw. mehrsprachiges Aufwachsen eher die Regel als die Ausnahme dar. Der Sprachgebrauch im Alltag variiert ebenfalls sehr, wobei sich drei Typen feststellen lassen: Zum einen gibt es in Deutschland Kinder mit Migrationshinter‐ grund, die überwiegend mit der deutschen Sprache aufwach‐ sen, andere wachsen überwiegend mit der Herkunftssprache auf und eine dritte Gruppe wächst mit zwei oder mehr Spra‐ chen auf (Leisau, 2010). Daher ist von sehr unterschiedlichen Sprachständen in der Herkunftssprache und der deutschen Sprache bei Kindern auszugehen (Kristen & Dollmann, 2010). In Abhängigkeit vom Sprachgebrauch und der Präsenz der Erstsprache im Alltag kann das mehrsprachige Aufwachsen häufig zu einer Herausforderung für Kinder mit Migrations‐ hintergrund werden. Die Untersuchungen dieser Kinder be‐ schränken sich häufig auf die Erforschung der eigentlichen sprachlichen Fähigkeiten in den einzelnen Sprachen der Kin‐ der. Die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten steht allerdings in einem engen Austausch und Zusammenhang mit anderen Entwicklungsbereichen, unter anderem der sozio‐emotionalen Entwicklung. Studien zeigen, dass vor allem bilinguale Kinder vom Kindergartenalter bis zur fünften Klasse, die überwie‐ gend die Erstsprache sprechen, Probleme im sozio‐ emotionalen Bereich entwickeln können (z.B. Han & Huang, 2010). Umgekehrt haben im Kindergartenalter sozio‐emotional gefestigte Kinder aus sozial benachteiligten Familien einen stärkeren Leistungszuwachs in der Zweitsprache als sozio‐ emotional wenig gefestigte Kinder (Oades‐Sese et al., 2011). Aus diesem Grund scheint die Erforschung des Zusammen‐ hangs von sprachlicher Entwicklung und sozio‐emotionaler
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Entwicklung im Kontext von Mehrsprachigkeit besonders wichtig zu sein. Dieser Zusammenhang ist sowohl im Rahmen linguisti‐ scher Forschung als auch im Rahmen emotionspsychologi‐ scher Forschung von großer Relevanz: Erstens sind Kinder in ihrer Sprachentwicklung bereits von Anfang an auf einen emotional bestätigenden und kommunikativen Austausch angewiesen (Lüdtke, 2006). Zweitens haben sprachliche Fä‐ higkeiten eine katalysierende Wirkung für die emotionale Entwicklung und die Herausbildung selbstregulativer Fähig‐ keiten. Somit gehört die Entwicklung sozio‐emotionaler Kom‐ petenz zu einer zentralen Entwicklungsaufgabe der frühen Kindheit (Petermann &Wiedebusch, 2002; 2008), woraus sich ableiten lässt, dass Probleme innerhalb dieser Bereiche auch gleichzeitig ungünstige Auswirkungen auf die allgemeine Entwicklung des Kindes haben können. Zahlreiche Studien belegen, dass die sozio‐emotionale Kompetenz nicht nur enge Bezüge zum Sozialverhalten der Kinder aufweist, sondern auch mit Wohlbefinden physischer und psychischer Gesund‐ heit sowie mit Schulerfolg verbunden ist (Garner, 2010). Aus diesem Grund kann die Förderung der Sprache möglicherwei‐ se auch im Hinblick auf frühkindliche Förderung und Mög‐ lichkeiten zur frühen Prävention emotionaler Schwierigkeiten im Kindesalter sehr wichtig sein. In den Forschungsbereichen der sprachlichen und sozio‐ emotionalen Entwicklung stößt man auf unterschiedliche De‐ finitionen und Forschungsschwerpunkte, die auch verschie‐ dene Zugänge zur Messung dieser Konstrukte mit sich brin‐ gen. Selbstauskunftsmethoden sind weit verbreitet, diese set‐ zen jedoch neben einem gewissen Alter der Kinder auch des‐ sen Bewusstsein für die jeweiligen untersuchten emotionalen 187
Prozesse voraus (Multhauf und Bockmann, 2015). Aus diesem Grund wird oftmals auch auf die Auskünfte von Eltern oder Erziehern/Lehrern innerhalb von Fragebögen zurückgegriffen. Bei jüngeren Kindern sind neben physiologischen Erhe‐ bungsmethoden (Herzschlag oder Atmung) auch zusätzlich das Beobachtungsverfahren anwendbar. Diese unterschiedli‐ chen Erhebungsmethoden erschweren die Erforschung des Themas und erklären hauptsächlich die manchmal uneindeutigen und konträren Aussagen. Neben unterschiedli‐ chen methodischen Zugängen lassen sich auch zwei grundle‐ gende Forschungslinien differenzieren: 1. Untersuchung der Verbindungen zwischen Prozessen der Sprachentwicklung, dem Erwerb von Emotionswissen und der Herausbildung der Fähigkeit zur Emotionsregulation 2. Betrachtung der Komorbidität von Sprachstörungen mit Verhaltensproblematiken und emotionalen Störungen, sowie des Zusammenhangs der Sprachkompetenz bei mehr‐ sprachigen Kindern und Störungen der sozio‐emotionalen Entwicklung Nachfolgend sollen diese beiden Forschungslinien kurz skizziert werden.
1. Definition Der Sozio‐emotionalen Entwicklung Zu Beginn wurde erwähnt, dass die sozio‐emotionale Ent‐ wicklung eine wesentliche Komponente des allgemeinen Wohlbefindens des Kindes darstellt. Dies gilt insbesondere in den folgenden Punkten: Die Fähigkeit zur eigenen Emotions‐ regulierung und das Erkennen und Reagieren auf Emotionen Anderer sind notwendige Skills für die Funktionsfähigkeit in sozialen Situationen. Ebenso gehören das Aufbauen von sozia‐ len Interaktionen, angemessene Gefühlserwiderungen auf 188
soziale Gesten, Konfliktlösefähigkeiten etc. zu den wichtigen Kompetenzen der sozio‐emotionalen Entwicklung. Vor allem die frühen Kindheitsjahre liefern die Grundlagen für gelunge‐ ne, sozio‐emotionale Kompetenzen. Alle Arten von Beziehun‐ gen, sei es mit den Eltern, Erziehern oder Gleichaltrigen, die Kinder in den frühen Jahren entwickeln, schaffen die Voraus‐ setzungen für zukünftig funktionale Interaktionsmuster (Halle et al., 2014). Es gibt unterschiedlich viele und wichtige Aspekte der sozio‐emotionalen Entwicklung, die in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der Entwicklungsforscher auf sich gezogen haben. Dennoch kristallisieren sich spezifische Dimensionen heraus, die weitgehend eine einheitliche Konzeptualisierung der sozio‐emotionalen Entwicklung ermöglichen. Zum einen ist hierbei die Selbstregulation zu nennen. Darunter sind Fä‐ higkeiten zur Aufmerksamkeitsfokussierung, Emotionsmana‐ gement und Verhaltenskontrolle zu verstehen (Blair & Razza, 2007). Die frühe Kindheit ist durch die substanzielle Entwick‐ lung dieser Fähigkeiten gekennzeichnet. Kinder lernen in die‐ sen Jahren, wie sie an sozialen Aktivitäten teilnehmen, ihre Gefühle regeln, den Forderungen und Aufgaben ihrer Eltern nachkommen können und den kontrollierten Umgang mit Impulsen in sozialen Situation (Campbell, 2006). Zum anderen zählt auch die soziale Kompetenz zu einem wichtigen Be‐ standteil der sozio‐emotionalen Entwicklung. Damit sind alle Kompetenzen gemeint, die zum Aufbauen und Aufrechterhal‐ ten von effektiven, sozialen Interaktionen mit anderen Men‐ schen gehören (Fabes et al., 2006). Die Entwicklung dieser Kompetenzen ist essentiell, da sie mit späteren akademischen Leistungen und einer gefestigten sozio‐emotionalen Entwick‐ lung assoziiert sind (Raver et al., 2007). Des Weiteren ist auch 189
die soziale Kognition eine wesentliche Komponente der sozio‐ emotionalen Entwicklung. Sie schließt alle kognitiven Prozes‐ se ein, welche bei Kindern bezüglich sozialer Geschehnisse (Beziehungen, psychische Vorgänge, soziale Umwelt etc.) ablaufen. Gemeint ist mit dieser Fähigkeit beispielsweise, wie Kinder verstehen, wie sie in sozialen Situationen das Verhal‐ ten Anderer in den Kontext einordnen müssen und wie sie gänzlich Interaktionen in sozialen Situationen steuern (Moore, 2007). Als letzter Punkt sind Verhaltensauffälligkeiten zu nen‐ nen. Mit Verhaltensauffälligkeiten sind alle Probleme bzw. Störungen bezüglich der Selbstregulation, der Sozialkompe‐ tenz und des Emotionsausdrucks gemeint (Campbell, 2006). Diese werden in internalisierendes und externalisierendes Verhalten unterteilt. Internalisierende Verhaltensauffälligkei‐ ten sind eher durch Sorgen, Ängstlichkeit, Traurigkeit und Zurückgezogenheit gekennzeichnet (Campbell, 2006). Die externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten werden hingegen als aggressives Verhalten, Impulsivität und Hyperaktivität beschrieben (McMahon, 1994).
2. Bedeutung der Sprache für die Sozio‐emotionale Entwicklung Die Sprache strukturiert die Wahrnehmung und ist an jegli‐ chen Bewertungsprozessen beteiligt. Mit dem Spracherwerb werden den Dingen nicht nur Wörter und Begriffe zugeord‐ net, sondern auch deren Bedeutungen assoziiert (Holodynski, 2006). Das emotionsbezogene Vokabular ermöglicht zudem den Erwerb von Wissen rund um die Gefühlswelt, deren Ur‐ sachen und Folgen. Ferner stellt emotionsbezogenes Wissen einen wichtigen Prädiktor der Emotionsregulation dar. Es verschafft eine Übersicht über Ursachen und Konsequenzen 190
emotionaler Erregung und dessen Ausdruck. Somit kann sie die Bemühungen zur Regulation der eigenen Gefühle ansto‐ ßen und steuern (Multhauf & Bockmann, 2015). Sowohl die expressive als auch die rezeptive Sprache sind für die Emoti‐ onsregulation von besonderer Bedeutung. Denn die Emotions‐ regulation wird nach Eisenberg und Morris (Eisenberg und Morris, 2002) nicht nur zum Ausdrücken von eigenen Gefüh‐ len genutzt, sondern auch zum Verhandeln mit Anderen und diene somit zur indirekten Erfüllung von Bedürfnissen der Kinder. Auch die rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten spielen eine tragende Rolle. Das Sprachverständnis ermöglicht Kin‐ dern, Feedback und Hinweise aus dem sozialen Umfeld zu verstehen und von diesem Gebrauch zu machen. Denn sie bekommen dadurch Rückmeldung in Bezug auf ihre emotio‐ nalen Reaktionen und Verhaltensweisen, sowie deren Ange‐ messenheit (Multhauf & Bockmann, 2015), womit die Reflekti‐ on des eigenen Emotionsausdrucks und dessen Regulation veranlasst und die Eignung mit sozialen Normen überdacht wird (Kopp, 1989).
3. Emotionale Entwicklung und Verhaltensprobleme bei Kindern mit Sprachaufälligkeiten Sprachliche Defizite, insbesondere Sprachentwicklungsstö‐ rungen, ziehen Konsequenzen für die sozio‐emotionale Ent‐ wicklung mit sich, denn ca. bei der Hälfte der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen werden Schwierigkeiten im Verhalten wahrgenommen. Außerdem ist aus Längsschnitt‐ studien bekannt, dass unzureichende Fähigkeiten in der Laut‐ und Schriftsprache zu erheblichen Schulproblemen und zu einer Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung führen können (Sachse et al, 2007). Empirisch konnte nachgewiesen 191
werden, dass ca. 30% der sprachentwicklungsgestörten Kinder die Kriterien einer weiteren psychiatrischen Störung erfüllen (Übersicht bei Suchodoletz, 2013). Auch weitere Untersuchun‐ gen zeigen, dass hier ein eindeutiger Zusammenhang vorliegt. Weniger eindeutig bzw. bis jetzt ungeklärt, ist jedoch die Fra‐ ge, wodurch dieser Zusammenhang zustande kommt. Zum einen werden Verhaltensauffälligkeiten als eine sekundäre Begleitstörung beschrieben, zum anderen gibt es die Annah‐ me, dass psychische Störungen als zusätzliche komorbide Störungen auftreten (Multhauf & Bockmann, 2015). Laut einer Studie von McCabe und Meller (2004) konnte nachgewiesen werden, dass sich 36 sprachauffällige Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren von 35 sprachgesunden Kindern hinsichtlich des emotionsbezogenem Wissens, Durchsetzungsvermögen, Kon‐ taktfreude, Selbstbeherrschung und internalisierendem Ver‐ halten signifikant voneinander unterschieden haben. In einer anderen Untersuchung, in der diesmal 94 sprachgestörte und 94 sprachgesunde Kinder im Alter von 4 bis 6 Jahren die Stichprobe bildeten, konnten ebenso Verhaltensauffälligkeiten zu Ungunsten der sprachgestörten Kinder festgestellt werden. Die Eltern dieser Kinder schätzen ihre Kinder in Bezug auf sozialen Rückzug, körperliche Beschwerden, Angst/Depressivität, soziale Problemen, Zwänge, Aufmerk‐ samkeitsstörungen, dissoziales und aggressives Verhalten deutlich auffälliger ein als Eltern sprachgesunder Kinder (Willinger et al., 2003). Auch Beitchmann und Kollegen (Beitchmann et al., 1996) lieferten Nachweise dafür, dass sprachgestörte Kinder sogar trotz Überwindung der Sprach‐ störungen in späteren Jahren psychische Störungen (z.B. Angststörungen) entwickelten, was als ein Indiz dafür gese‐
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hen werden könnte, dass diese ein Folgeproblem von Sprach‐ störungen darstellen.
4. Forschungsergebnisse zur sozio‐emotionalen Entwicklung von mehrsprachigen Kindern aus Amerika (Englisch: Dual Language Learners) Nachdem zunächst der allgemeine Zusammenhang zwischen Sprache und sozio‐emotionaler Entwicklung und Besonder‐ heiten bei abweichender Entwicklung behandelt worden ist, wird dies nun im Kontext von Mehrsprachigkeit unter die Lupe genommen. Im nachfolgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der in den Vereinigten Staaten publizierten Litera‐ tur bezüglich der sozio‐emotionalen Entwicklung junger Dual Language Learners (DLLs) getrennt nach den vier unter‐ schiedlichen Dimensionen zusammengefasst. Die empirische Grundlage für diese Zusammenfassung bilden die Ergebnisse des Reviews von Halle und Kollegen (Halle et al., 2014), der nur 14 Studien umfasste. Daraus lässt sich auch sehr leicht ableiten, dass die Forschung in diesem Bereich noch sehr be‐ grenzt ist. Der Terminus Dual Language Learners ist die übli‐ che Bezeichnung für mehrsprachig aufwachsende Individuen im amerikanischen Sprachraum. Deshalb wird nachfolgend diese Bezeichnung durchgehend verwendet.
4.1. Selbstregulation Hinsichtlich der Selbstregulation liefern die meisten Studien Nachweise dafür, dass DLLs im Vergleich zu monolingualen Kindern ein besseres Selbstkontrollverhalten zeigen. Zum Beispiel konnten DeFeyter und Winsler (DeFeyter und Winsler, 2009) anhand einer Studie belegen, dass die erste Generation von Migrantenkindern höhere Werte im Selbst‐ 193
kontrollverhalten erreichte als Kinder der zweiten Generation oder Kinder, die keinen Migrationshintergrund hatten. Des Weiteren konnte in den USA bei spanischsprachigen Kindern, die im Kindergartenalltag öfter mit der spanischen Sprache in Kontakt kamen, festgestellt werden, dass die Frustrationstole‐ ranz und Aufgabenorientierung höher war als bei Kindern, die ausschließlich der englischen Sprache ausgesetzt waren (Chang et al., 2007). Auch andere Studien (z.B. Han, 2010) liefern Hinweise darauf, dass mehrsprachige Kinder im Ge‐ gensatz zu ihren monolingualen Peers in Bezug auf die Selbst‐ regulation im Vorteil sein könnten.
4.2. Soziale Kompetenz Es gibt einige Hinweise darauf, dass die sozialen Kompeten‐ zen junger DLLs denen der monolingualen Kinder sehr äh‐ neln. Die Daten einer Studie, die mexikanische Migrantenkin‐ der untersucht hatte, konnten belegen, dass die zwischen‐ menschlichen Beziehungen dieser Kinder vergleichbar mit denen der weißen und asiatischen Kinder waren. Andere Stu‐ dien haben weniger eindeutige Ergebnisse und unterscheiden zwischen einzelnen Migrantensubgruppen. Galindo und Ful‐ ler (Galindo und Fuller, 2010) konnten beispielsweise bei ku‐ banischen und südamerikanischen Kindern zwar bessere sozi‐ ale Kompetenzen als bei anderen lateinamerikanischen Migrantenkindern nachweisen, dafür aber schlechtere Werte bei puerto‐ricanischen Kindern, wenn sie mit weißen Ameri‐ kanern verglichen worden sind. Hierbei wird deutlich, dass die kontextuellen Faktoren der Umgebung des Kindes sehr ausschlaggebend sind. Beispielsweise scheint die Verwendung der Erstsprache im Kindergartenalltag (vor allem durch Erzie‐ her) positiv mit der Frustrationstoleranz, Durchsetzungsfä‐ 194
higkeit, Aufgabenorientierung und den sozialen Skills zu‐ sammenzuhängen (Halle et al., 2014; Chang et al., 2007).
4.3. Soziale Kognition Die soziale Kognition ist in Bezug auf die Mehrsprachigkeit nur sehr begrenzt untersucht. Eine der wenigen Studien zeigte lediglich, dass mexikanisch‐amerikanische Mädchen viel häu‐ figer mit ihren Müttern über ihre Gefühle sprachen als mexi‐ kanische Migrantenkinder und mexikanisch‐amerikanische Jungen. Außerdem berichteten mexikanisch‐amerikanische Kinder und mexikanische Jungen eher über ihre negativen Gefühle, während mexikanische Mädchen keine Unterschiede bezüglich positiver bzw. negativer Gefühlsäußerungen zeig‐ ten (Cervantes, 2002).
4.4. Verhaltensprobleme Einige Studien belegen, dass Verhaltensprobleme bei DLLs eher beobachtet werden können als bei monolingual aufwach‐ senden Kindern, wobei viel auch vom Umgebungskontext der Kinder, wie etwa dem Sprachgebrauch zuhause oder im Kin‐ dergarten, abhängt. Dawson und Williams (Dawson und Wil‐ liams, 2008) zeigten in ihren Untersuchungen, dass spanische DLLs, die schlechte Englischkenntnisse besaßen, mehr durch Externalisierungsverhalten auffielen als spanische DLLs, die über bessere Englischkenntnisse verfügten. Auf der anderen Seite konnten Vaughan van Hecke und Kollegen (2007) nach‐ weisen, dass der Sprachgebrauch im Elternhaus keine sub‐ stanziellen Auswirkungen auf das Externalisierungsverhalten der 30 Monate alten Kinder verschiedener Herkunft hatte. Trotzdem geben die Mehrheit der Studien in diesem Bereich eher Hinweise darauf, dass Kinder mit den schwächsten 195
Sprachkenntnissen öfter Probleme in der Selbstkontrolle, in zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung und im Interna‐ lisierungs‐ bzw. Externalisierungsverhalten zeigen (Halle et al., 2014)
4.5. Sonstige Kontextfaktoren Eindeutiger sind die Ergebnisse jedoch in Hinblick auf andere Faktoren. Die Quintessenz vieler Studien ist, dass verschiede‐ ne Kontextfaktoren die sozio‐emotionale Entwicklung der DLLs beeinflussen können (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Beeinflussende Kontextfaktoren der sozio‐ emotionalen Entwicklung
Zum einen wäre an erster Stelle der Familienkontext zu nennen. Neben bekannten Faktoren wie gesundem Bindungs‐ verhalten, guten Verhältnissen zu den Eltern etc. spielen an‐ scheinend auch elterliche Sozialisationspraktiken (Akkultura‐ tionseinstellung oder Sprachkenntnisse der Eltern) eine bedeu‐ tende Rolle (z.B. Bornstein, 2009; Hughes et al., 2006). Mindes‐ 196
tens genauso viel zählt auch die außerfamiliäre Betreuungssi‐ tuation. Howes und Kollegen (Howes et al., 2011) stellen bei‐ spielsweise dar, dass sichere Erzieher‐Kind‐Bindungen besse‐ re soziale Kompetenzen im Umgang mit Gleichaltrigen vo‐ raussagen. In einer anderen Studie wurde zudem herausge‐ funden, dass Erzieher die sozialen Beziehungen der DLL‐ Kinder insgesamt besser und weniger konfliktgeladen be‐ schrieben haben (Luchtel et al., 2010). Ebenso wurde die Ver‐ wendung der Erstsprache im Kindergartenalltag mit mehr Nähe zwischen Erziehern und Kindern assoziiert (Chang et al., 2007). Auch Downer und Pianta (Downer und Pianta, 2006) berichten, dass das Ausmaß der emotionalen Unterstüt‐ zung und Einrichtungsorganisation im Allgemeinen die sozia‐ len Kompetenzen der DLLs deutlich beeinflusst und negativ mit Verhaltensauffälligkeiten der Kinder korreliert. Chang und Kollegen (Chang et al., 2007) zeigten auch, dass die Ver‐ wendung der Erstsprache durch Erzieher die Wahrscheinlich‐ keit reduziert hat, dass Kinder Opfer von Peer‐Aggressionen im Kindergartenalltag wurden.
5. Emotionale‐ und Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus Europa und Deutschland Nachdem die Ergebnisse aus den USA präsentiert worden sind, soll nun ein Blick auf die Forschung im europäischen und speziell im deutschen Sprachraum geworfen werden. Auch hier muss erwähnt werden, dass in Europa ebenfalls ein großer Mangel an Forschung bezüglich der sozio‐emotionalen Entwicklung bei mehrsprachigen Kindern existiert. Die meis‐ ten Studien bzw. die einzigen Reviews zu diesem Bereich be‐ fassen sich mit den Verhaltensauffälligkeiten mehrsprachiger 197
Kinder (z.B. Kouider et al., 2014). Den meisten Schlussfolge‐ rungen der Studien aus Europa nach haben Kinder mit Migra‐ tionshintergrund ein höheres Risiko für internalisierende Ver‐ haltensprobleme und zwar mehr als für Externalisierungs‐ probleme (Kouider et al., 2014). Die Auftretenswahrscheinlichkeit für externalisierende Verhal‐ tensprobleme bei Kindern mit Migrationshintergrund hinge‐ gen scheint vergleichbar mit den Kindern zu sein, die keine Migrationszugehörigkeit besitzen (z.B. Gieling et al., 2010). Der Migrationsstatus an sich wird oft als ein Risikofaktor für die mentale Gesundheit der Migrantenkinder genannt und zwar vor allem für Kinder der ersten Migrantengeneration. Außerdem stellen auch niedriger sozio‐ökonomischer Status, nichteuropäische Abstammung, unsichere kulturelle Identität der Eltern, problematische mütterliche Erziehung oder inadä‐ quater Beschäftigungsstatus der Eltern etc. zusätzliche Fakto‐ ren dar, die einen deutlichen Einfluss auf die mentale Ge‐ sundheit der Kinder mit Migrationshintergrund haben (Kouider et al., 2014). Darüber hinaus scheinen die Unter‐ schiede bezüglich der mentalen Gesundheit zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in der frühen Kindheit größer zu sein als in späteren Jahren. Hölling und Kollegen (Hölling et al., 2007) finden zudem, dass das prosoziale Ver‐ halten bei Kindern mit Migrationshintergrund mit der Ado‐ leszenz steigt. Auch die Sprachkompetenzen wirken sich auf die sozialen Kompetenzen und mentalen Bedingungen aus (Schreyer & Petermann, 2010). In Deutschland zeigt sich die Datenlage zu psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten bei Migrantenkindern sehr uneinheitlich. In einem Review von Stevens und Vollebergh (Stevens und Vollebergh, 2008) fan‐ 198
den einige Studien höhere Werte für internalisierende und externalisierende Auffälligkeiten bei DLLs und einige ver‐ gleichbare Werte für beide Gruppen und wieder andere Studi‐ en niedrigere Werte für mehrsprachige Kinder. Dies wird mit den unterschiedlichen Voraussetzungen der Studien erklärt. Die Ergebnisse der KIGGS‐Studie des Robert‐Koch‐Instituts zeigen zugleich, dass nach den Elternangaben 10% der Kinder mit Migrationshintergrund ein auffälliges Ergebnis im Strengths and Difficulties Questionnaire (Goodman, 1997) erhielten, während nur 4,4% der Kinder ohne Migrationshin‐ tergrund als auffällig eingestuft wurden. Ferner wurden 12,7% der Kinder mit Migrationshintergrund als grenzwertig einge‐ stuft, während nur 7,1% der Kinder ohne Migrationshinter‐ grund zu der Kategorie der auffälligen Kinder gehörten (Hölling et al., 2007). Auch Schreyer und Petermann (Schreyer und Petermann, 2010) konnten in einer Untersuchung zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund auffälliger hinsichtlich ihrer Verhaltensprobleme waren. Erzieher schätzten mehr‐ sprachige Kinder als auffälliger im Bereich Hyperaktivität ein und erlebten diese als weniger prosozial.
6. Fazit Im Großen und Ganzen wird deutlich, dass bisher nur wenige Publikationen zu diesem Thema vorhanden sind. Die bereits erfolgte Forschung untersucht vorrangig die wechselseitige Beziehung zwischen Sprache und Emotionen. Somit zeigt sich ein hoher Bedarf an Forschung, die sich speziell mit der sozio‐ emotionalen Entwicklung mehrsprachiger Kinder befasst. Trotzdem können jedoch tendenzielle Aussagen gemacht werden. DLLs scheinen über besseres Selbstkontrollverhalten und ausgeprägtere, interpersonelle Fähigkeiten zu verfügen, 199
während sie in Internalisierungs‐ bzw. Externalisierungsver‐ halten und Verhaltensproblemen schlechter als ihre monolin‐ gualen Peers abschneiden. Es muss jedoch beachtet werden, dass auch Studien vorhanden sind, die das Gegenteil feststel‐ len. Die uneindeutigen Ergebnisse sind wohl auf die geringe, unsystematische Erforschung des Themas zurückzuführen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse aus dem amerikanischen Forschungsraum aber trotz mangelnder Forschung, dass zu‐ mindest keine eindeutigen Unterschiede zwischen den DLLs und monolingualen Kindern bezüglich der sozio‐emotionale Entwicklung nachgewiesen werden können. In mancher Hin‐ sicht sind die DLLs ihren Non‐DLL‐Peers gegenüber sogar überlegen.
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Von bilingualer Vorschulerziehung zu transnationalen Bildungskonzepten: Über die Bedeutung von Migrantensprachen als Bildungsressource in Einwanderungsgesellschaften am Beispiel von ‚Türkisch als Fremdsprache‘ Almut KÜPPERS
Einleitung Transnationale Bildungskonzepte werden (bislang) nicht in staatlichen Bildungsbehörden entworfen; denn traditionell sind diese zuständig für die Planung nationaler Bildungsan‐ gebote. In den letzten Jahrzehnten haben nationale Bildungs‐ angebote jedoch zunehmend einen internationalen Anstrich erhalten. Bilinguale Angebote haben im schulischen Bereich dazu einen wichtigen Beitrag geleistet und sind als pädagogi‐ sche Antworten auf eine zunehmende Europäisierung, Inter‐ nationalisierung und Globalisierung zu sehen. Der Vorschul‐ bereich gehört mittlerweile ebenfalls zu einem wichtigen Segment auf dem Bildungsmarkt. In Deutschland gab es im Jahre 2012 ca. 500 bilinguale Kindertagesstätten mit steigender Tendenz (Doyé, 2012: 12). Ähnlich stark wie in den Schulen setzt sich jedoch auch im Vorschulbereich der Trend durch,
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Englisch als eine Partnersprache einzusetzen. Das Bildungspo‐ tenzial, das hingegen von den großen Migrantensprachen wie Türkisch ausgeht, ist auch im Kontext der bilingualen Vor‐ schulerziehung noch längst nicht ausgelotet. „Two‐way Im‐ mersion“ Programme scheinen besonders anschlussfähig zu sein für einen Übergang in bilinguale Grundschulen mit inter‐ kulturellem Anstrich, wie etwa an der Albert‐Schweitzer‐ Schule in Hannover, von der in diesem Beitrag die Rede sein wird. Konzipiert als Begegnungsorte für Kinder, die Türkisch als Familiensprache sprechen und Kinder der Mehrheitsgesell‐ schaft, können bilinguale deutsch‐türkische KiTa‐Angebote die Grundlagen für transnationale Bildungsangebote legen, den Segregationstendenzen und institutioneller Diskriminie‐ rung entgegenwirken und interkulturelle Begegnungen und Austausch ermöglichen und damit die Startchancen erhöhen für diejenigen, die im deutschen Bildungssystem häufig Um‐ wege gehen müssen: Kinder aus Familien mit einer Migrati‐ onsgeschichte. Die Albert‐Schweitzer Schule ist eine ungewöhnliche Grundschule mit einem bemerkenswerten Sprachenpro‐ gramm. An dieser Schule, die in einem multi‐ethnischen, stark türkisch geprägten und überdurchschnittlich armen Stadtteil in Hannover liegt, können Kinder ab der 1. Klasse Türkisch lernen – und zwar auch solche, die es nicht zuhause als eine Familiensprache lernen. Die Albert‐Schweitzer‐Schule ver‐ kehrt damit den defizitären Blick auf Migrantenkinder1 ins 1
Der Begriff „Migrantenkinder“ ist ebenso problematisch wie die Verwen‐ dung von Begriffen wie „Migrantensprachen“, „Zweitsprache“ oder „Fa‐ miliensprache“, weil klare Etikettierungen aufgrund der Komplexität von Mehrsprachigkeit unter den Bedingungen von Migration und Globalisie‐ rung kaum mehr möglich sind. Kinder aus Familien mit Einwanderungs‐ geschichte, die z.B. der zweiten oder auch dritten Generation angehören,
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Gegenteil (vgl. Albrecht, 2015). Das, was die Kinder und ihre Familien an sprachlichen und kulturellen Schätzen mitbrin‐ gen, wird hier nicht als Problem, sondern grundsätzlich als Bereicherung betrachtet2. Das deutsch‐türkische bilinguale Sprachenprogramm ist in seiner Art wohl einzigartig in Deutschland. Der Ansatz, Türkischunterricht nicht nur für Türkisch sprechende Kinder anzubieten, sondern ihn zu öff‐ nen für alle Kinder und Türkisch gleichzeitig auch als eine Arbeitssprache in Lernbereichen wie Kunst, Musik oder Sach‐ unterricht einzusetzen, stellte die Initialzündung für den er‐ folgreichen Schulentwicklungsprozess dar. Vor zehn Jahren noch wurde die Schule als „Türkenschule“ bezeichnet – im Sommer 2014 war sie die einzige Grundschule in der Endaus‐ wahl um den Deutschen Schulpreis3. Dieser Beitrag dokumen‐ tiert eine beispielhafte Initiative transnationaler Bildungsarbeit von unten (vgl. Küppers, 2015).
Die Studie „Exploring multilingual landscapes“ Die sozial‐kulturellen Wirkungen des besonderen bilingualen deutsch‐türkischen Sprachenprogrammes wurden im Rahmen einer von der Mercator‐Stiftung in Essen geförderten ethno‐ grafischen Fallstudie4 durchgeführt, wobei folgende zentrale besitzen in der Regel deutsche Pässe und sind deutsche Staatsbürger und keine Migranten, sprechen aber häufig zu Hause eine „Migrantensprache“. 2 Vgl. dazu die überarbeiteten Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Interkulturellen Bildung und Erziehung vom 05.12.2013, die einen solchen Paradigmenwechsel mittlerweile festgeschrieben haben. 3 Vgl. http://www.albert‐schweitzer‐schule‐hannover.de/aktuell.php. Zu‐ gegriffen: 18. Januar 2015. 4 Die Studie wurde über ein Mercator‐IPC Fellowship am Istanbul Policy Center durchgeführt, einem europäischen Think Tank in Istanbul,
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Fragestellung erkenntnisleitend war: „Welche sozial‐ kulturellen Wirkungen sind zu beobachten, wenn eine stark stigmatisierte Migrantensprache wie Türkisch zu Bildungs‐ zwecken eingesetzt und damit aufgewertet wird?“ (vgl. Küp‐ pers und Yağmur, 2014; Küppers, 2015). Dadurch, dass das bilinguale Programm auf eine bottom‐up‐Initiative von Eltern zurückgeht, ist es besonders aufschlussreich, die Erfolgsfakto‐ ren zu untersuchen sowie die besonderen Bedingungen, unter denen diese Schule arbeitet(e). Ziel der Studie ist es, ein mög‐ lichst facettenreiches Bild von den Interaktionen, Prozessen und Routinen an dieser Schule zu zeichnen und allen wichti‐ gen Akteuren im Feld eine Stimme zu verleihen. Mit seiner vertikalen Ausrichtung ist dieses Projekt damit explizit auch als Ergänzung zu den großen horizontalen Leistungsstudien wie PISA und TIMSS zu verstehen. Cummins (Cummins, 2013, 2014; Norton 2013) verweist auf die enorme Bedeutung von Studien, die Aspekte der Identitätsaushandlung auf Un‐ terrichtsebene sowie Strukturen gesellschaftlicher Machtver‐ hältnisse in Bildungskontexten im Zusammenhang mit Migrantensprachen in den Blick nehmen. Dass diese Aspekte im Bereich der Bildungsplanung und der Policy‐Entwicklung bislang so gut wie keine Berücksichtigung fänden, sei ange‐ Karaköy, mit institutioneller Anbindung an die Sabancı University und Förderung durch die Stiftung Mercator in Essen. Die Datenerhebung fand im akademischen Jahr 2013/14 statt. Siehe auch: http://ipc.sabanciuniv.edu/en/fellow/almut‐kuppers/. Zugegriffen: 13. Februar 2015. Ein englischsprachiger Zwischenbericht dokumentiert den Schulentwicklungsprozess detaillierter und ist online zugänglich unter http://ipc.sabanciuniv.edu/en/publication/why‐multilingual‐matters‐ alternative‐change‐agents‐in‐language‐education‐policy/. Zugegriffen: 30. März 2015. Eine Darstellung und Diskussion auf Deutsch findet sich in Küppers 2015.
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sichts der umfangreichen Forschungserkenntnisse aus der angewandten Linguistik, der Fremd‐ und Zweitsprachen‐ Erwerbsforschung sowie der Theoriebildung im Bereich des interkulturellen Lernens und dessen Wirkung auf Identitäts‐ entwicklungen nicht nachvollziehbar (vgl. Cummins, 2014: 6). Durchgeführt wurden die Forschungsarbeiten in Hymes’ Verständnis eines empirischen Monitoring‐Prozesses, wobei ethnografische Forschung als „soziale Handlung“ verstanden wird, was die Wirkungen der Forschenden im Forschungs‐ prozess nicht negiert, sondern im Gegenteil Kooperation und sharing knowledge als wichtige Bestandteile im Feld und bei der Berichterstellung anerkennt (vgl. Van der Aa und Blommaert, 2011: 324). Eine Reihe von qualitativen Erhebungsmethoden wie die teilnehmende Beobachtung und Fokusinterviews wurde verwendet, um sich behutsam den Interaktionen der Akteure im Feld zu nähern und sie zu beschreiben sowie die sozial‐kulturellen Wirkungen des bilingualen CLIL‐ Programmes der Schule zu erheben und mögliche Verände‐ rungen von Haltungen und Selbstwahrnehmung zu doku‐ mentieren. CLIL steht für Content and Language Integrated Lear‐ ning und hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem päda‐ gogischen Aushängeschild auf europäischer Ebene entwickelt – mit dem Ziel, Mehrsprachigkeit und europäische Integration zu fördern (vgl. Eurydice, 2005; Breidbach und Viebrock, 2013). Derzeit fördern CLIL‐Programme jedoch häufig additi‐ ve schulische Mehrsprachigkeit unter monolingualen Lernen‐ den, die nicht selten eine Leistungselite innerhalb einer Schul‐ gemeinde, aber auch der Gesellschaft darstellen (vgl. Küppers und Trautmann, 2013). Die am häufigsten verwendete Sprache in CLIL‐Programmen ist zudem Englisch. CLIL hat die Domi‐ nanz der englischen Sprache im europäischen Kontext weiter 209
untermauert und dazu geführt, dass Mehrsprachigkeit von der Übermacht des Englischen mittlerweile bedroht ist (vgl. House, 2003; Extra und Yağmur, 2012; Extra, et al., 2013). In empirischen Studien wird der Erfolg von CLIL‐Programmen zudem meist anhand der Parameter „akademische Leistun‐ gen“ sowie „sprachliche Kompetenzen“ gemessen. In dieser Studie hingegen steht Türkisch als eine Migrantensprache im Mittelpunkt der Forschung, und der Erfolg des CLIL‐ Programmes an der Albert‐Schweitzer‐Schule wird gemessen an den Wirkungen im sozial‐kulturellen Bereich.
Kontext Superdiversity: Eine „Türkenschule“ in einer mehrsprachigen Nachbarschaft Lange Zeit war die Albert‐Schweitzer‐Schule mitten im bun‐ ten, multi‐ethnischen Stadtteil Linden angesiedelt, in unmit‐ telbarer Nachbarschaft einer türkischen Bäckerei, eines türki‐ schen Handy‐Ladens und eines türkischen Gemüseladens. Im Gegensatz zum schönen alten Backsteinhaus5, in dem die Schule über viele Jahrzehnte untergebracht war, stand ihr Ruf. Sie wurde als „Türkenschule“ bezeichnet. Das schlechte Image der Schule führt zur Abwanderung der deutschen Mittel‐ schichtfamilien, die ihre Kinder mithilfe unterschiedlicher Strategien reihenweise von der Schule abmeldeten. Es kam sogar zu „Massentaufen“ kurz vor den Einschulungsfristen, denn so konnten die Kinder an der nahe liegenden katholi‐ schen Schule angemeldet werden6. Bis zu einem Drittel aller Vor ca. drei Jahren ist die Schule an den Rand des Einzugsgebietes umge‐ zogen und zwar in das Gebäude einer ehemals weiterführenden Schule mit großzügigem Außengelände. 6 So berichtete die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in einem Ge‐ spräch im Juli 2014. 5
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Kinder eines Jahrgangs wurden nicht an der Albert‐ Schweitzer‐Schule eingeschult – das entsprach laut den Mel‐ deunterlagen häufig aber zu fast 100% der Anzahl von Kin‐ dern aus deutschen Mittelschichtfamilien im Einzugsgebiet. In ihren schlechtesten Zeiten war die Schule somit fast komplett segregiert – wurde fast ausschließlich von den Kindern be‐ sucht, deren Eltern einst nach Deutschland eingewandert wa‐ ren. Die größte Gruppe unter ihnen waren die Kinder, deren Eltern einst aus der Türkei ausgewandert waren. Selbst türkei‐ stämmige Eltern mit höherem Bildungsniveau meldeten ihre Kinder nicht an der Schule an aus Angst, sie würden dort zu viel Türkisch sprechen und nicht genügend Deutsch lernen. Weitverbreitet ist eine doppelte Rationalisierung unter den Eltern, die ihre Kinder abmeldeten: Einerseits seien die Kinder hoher Gewalt auf dem Schulgelände ausgesetzt, und anderer‐ seits würden ihre Lernpotenziale in einem solchen problema‐ tischen Umfeld nicht ausreichend gefördert werden können. Die Schule war in einem Teufelskreis gefangen. Mit zuneh‐ mender Segregation wurde sie nicht nur unattraktiver für die Familien in der Nachbarschaft, sondern auch für die Lehrerin‐ nen und Lehrer7 sowie das übrige Personal. 7
Im Verlauf des Textes werden weibliche und männliche Formen für Leh‐ rerinnen, Schüler oder FreundInnen beliebig variiert; es sind damit stets beide Geschlechtsformen gemeint. Lediglich in Zitaten werden die tat‐ sächlich geäußerten Formen verwendet.
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Die Akteure Im Schulentwicklungsprozess, Ihre Motive und Die Veränderungsprozesse Die neue Schulleiterin und das bilinguale deutsch‐türkische Programm „Ich wusste, es würde nicht einfach werden. Aber dass es so schlimm war, hatte ich nicht gedacht“, erinnert sich Beatrix Albrecht, die den Mut besaß, die vakante Stelle als Schulleite‐ rin an der berüchtigten Stadtteilschule um die Jahrtausend‐ wende anzutreten. „Als ich die Schule übernahm, war Schul‐ entwicklung noch nicht wirklich erfunden“, erläutert sie die Motive, warum sie sich für diese neue Aufgabe überhaupt interessiert hatte, „das mehrsprachige, multikulturelle Ein‐ zugsgebiet der Schule faszinierte mich. “Sie war gerade aus Ungarn zurückgekehrt, wo sie für mehrere Jahre unterrichtet und Mehrsprachigkeit als etwas Positives und Bereicherndes erlebt hatte. Nachdem sie sich der dramatischen Situation an der Schule bewusst geworden war, entschied sie sich, das Kind beim Namen zu nennen und die Probleme in der Öffent‐ lichkeit nicht mehr weiter herunterzuspielen. „Auch für die Lehrerinnen und Lehrer war die Situation untragbar gewor‐ den. Ihre tägliche Arbeit war so anstrengend und wurde nie geschätzt. Stattdessen wurden sie für die Misere verantwort‐ lich gemacht und die Kinder aus der Schule abgemeldet.“ Sie entwickelte eine doppelte Strategie, um die Lernbedingungen für die Kinder erträglicher zu machen. Das größte Problem war das schlechte Image der Schule, das musste unbedingt verbessert werden. „Es gab diese Vorstellung, dass die Gewalt an unserer Schule unglaublich sein musste. Aber das ist ein Vorurteil. Sie war so wie an allen Schulen, das Übliche, kleine Taschengeld‐Erpressungen und hier und da eine Rauferei.“ 212
Und damit verbunden war die Erkenntnis, dass die SchülerIn‐ nen an dieser Schule kaum eine Chance hatten, erfolgreich zu sein. „Ich fragte mich immer wieder: Was ist das Besondere an unseren Kindern? Was haben sie für Potenziale? Und wie können wir dieses Potenzial im Unterricht fördern?“ Ein glücklicher Umstand löste dann einen beeindrucken‐ den Schulentwicklungsprozess aus. Von einigen der wenigen verbliebenen deutschen Familien wurde während eines El‐ ternabends die Frage gestellt, ob ihre Kinder auch am Her‐ kunftssprachenunterricht teilnehmen könnten, um die Sprache zu lernen, die so viele Kinder in der Nachbarschaft sprächen. Diese Idee wurde nicht etwa als „verrückt“ verworfen, son‐ dern landete in der Schulleitung auf fruchtbarem Boden und wurde mit engagierten KollegInnen erst zu einer freiwilligen AG entwickelt, dann aber zu einem offiziellen CLIL‐ Programm ausgebaut. Nicht vergessen werden darf, dass die‐ se Initiative in der Zeit nach Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA‐Studien ihren Ursprung hatte. In ganz Deutschland wurde öffentlich hitzig darüber diskutiert, wa‐ rum eines der vermeintlich besten Schulsysteme der Welt so schockierend schlecht abgeschnitten hatte, und schnell war auch ein Erklärungsansatz gefunden: Die vielen „Ausländer‐ kinder“ und ihre schlechten Lesekompetenzen (vgl. Ammermüller, 2005). Als Konsequenz aus dem PISA‐Schock wurde diesen Kindern mehr Unterstützung beim Deutschler‐ nen verordnet, und insgesamt gab es eine starke Tendenz in etlichen Bundesländern, die Investitionen in den Herkunfts‐ sprachenunterricht zu kürzen (vgl. Faas, 2014; Schroeder und Küppers, 2015). Gegen diesen allgemeinen Trend wurde an der Albert‐Schweitzer‐Schule eine schon fast abenteuerlich
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anmutende Idee umgesetzt: Türkischunterricht – auch für deutsche Kinder! Mit viel Selbstbewusstsein und trotz der zum Teil hefti‐ gen negativen Reaktionen vor allem aus dem lokalen politi‐ schen Establishment und bundesweit über das Internet wurde ein Programm implementiert, das Türkisch nicht weiter mar‐ ginalisierte, sondern stattdessen in die Stundentafel integrierte und damit aufwertete. In der Absicht, das ramponierte Image der Schule zu verbessern und außerdem das neue bilinguale Programm vorzustellen, wendete sich die Schule gezielt an die Öffentlichkeit und lud die Presse zu Konferenzen ein. „Das bilinguale Programm bekam in den Medien viel Aufmerk‐ samkeit […], aber viele Menschen konnten nicht verstehen, warum gerade so eine exotische Sprache wie Türkisch in den Stundenplan integriert werden sollte“, erinnert sich die Schul‐ leiterin, die sich sicher war, dass ihre Schule viel besser war als ihr Ruf. Viel Überzeugungsarbeit musste geleistet werden, mit etlichen Eltern wurden persönliche Gespräche geführt, und keine Familie konnte ihr Kind ohne ein ausführliches Gespräch über die Motive einfach abmelden. „Ich versuchte die Mittelschichtfamilien wieder an Bord zu holen, und ich sprach auch mit den Eltern, die am Rande der Gesellschaft standen. Ich musste beide überzeugen, denn wir brauchten beide.“ Die größte Herausforderung bestand darin zu vermit‐ teln, dass das bilinguale Türkischprogramm ein interessantes Angebot sowohl für die Mittelschichtkinder als auch die Kin‐ der aus den armen Türkisch sprechenden Familien war.
Strukturelle Veränderungen für mehr Bildungsgerechtigkeit Als bald darauf deutlich wurde, dass das bilinguale Pro‐ gramm einer anderen Struktur bedurfte, begann der Ausbau 214
der Schule zu einer Ganztagsschule. Später wurden außerdem Hausaufgaben abgeschafft sowie ein offener Schulbeginn mit selbst gesteuertem Lernen als erster Lernblock implementiert. All diese strukturellen Veränderungen haben entscheidend dazu beigetragen, das Sprachenprogramm nachhaltiger zu gestalten. Aber dazu war ein langer Atem notwendig, denn es hieß, alle Beteiligten auf den oftmals frustrierenden Weg der Schulentwicklung mitzunehmen. Befragt nach der Quelle für die Energien, die notwendig sind, um einen solchen Prozess anzubahnen und gegen viele Widerstände durchzusetzen, verweist die Schulleiterin auf ihre Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik: „Ich hatte einfach genug davon, wie sich das politische Establishment stets an den Bedürfnissen der Mittel‐ und Oberschicht orientiert mit seinen Programmen und Ent‐ scheidungen – für Kinder, die das über ihre Elternhäuser oh‐ nehin mitbekommen.“ Sie fährt fort: „Bildungsplaner und Politiker können oder wollen einfach nicht verstehen, dass unsere Kinder hier andere Bedürfnisse haben.“ Ihrer Ansicht nach fängt die Bildungsungerechtigkeit in den Elternhäusern der Kinder an. „Scheinbar nehmen die Verantwortlichen an, dass alle Kinder das gleiche Unterstützungssystem zu Hause vorfinden – dies ist aber bei einer wachsenden Gruppe von Kindern gerade nicht der Fall. Diese Kinder rennen im beste‐ henden System immer hinterher und müssen unter ihren Möglichkeiten bleiben.“ Energisch verweist Beatrix Albrecht auf die notwendige Schlussfolgerung: „Also mussten wir hier in Linden einen anderen Weg gehen“, was ihren Worten zu‐ folge aber keineswegs bedeutet, die Standards und Anforde‐ rungen zu senken, sondern es hieß: Aufräumen mit einigen vermeintlich unverrückbaren Säulen, auf denen das deutsche Schulsystem ruht. Beispielhaft führt sie die Hausaufgaben an, 215
die an der Albert‐Schweitzer‐Schule nach langen und kontro‐ vers geführten Diskussionen abgeschafft wurden. Zwei ge‐ wichtige Argumente führt sie dafür ins Feld: 1) permanente Demütigungen häufig der Kinder aus armen und/oder mehr‐ sprachigen Familien mit Einwanderungsgeschichte und 2) Ineffizienz. Kinder, die in armen Verhältnissen aufwachsen – und das bedeutet häufig auch mehrsprachig –, können im Unterricht nicht mithalten mit denen, die sich auf Eltern verlassen kön‐ nen, die zu Hause als gut ausgebildete Hilfslehrer fungieren. Eltern, die nach Deutschland immigriert sind, sprechen oft selbst kaum oder noch nicht ausreichend Deutsch, um die Hausaufgaben zu verstehen. Sie haben das Schulsystem selbst nicht durchlaufen, können die Anforderungen und Ziele schlecht einschätzen. Und in tragischen und traurigen Fällen gibt es leider auch Eltern, die sich aus unterschiedlichen Gründen für die Entwicklung ihrer Kinder nicht interessieren. Das zweite Argument war die Ineffizienz. Beatrix Albrecht resümiert: „Wir haben die Wirkung der Hausaufgaben unter‐ sucht und gemessen auf der Grundlage der Zeit, die unsere KollegInnen damit verbringen, sie zu kontrollieren und sich mit ihnen zu beschäftigen. Das Ergebnis war ein Desaster!“ Viel Unterrichtszeit geht verloren, wenn Hausaufgaben kon‐ trolliert werden müssen, vor allem auch für die Administrati‐ on von nicht gemachten Hausaufgaben. Darüber hinaus leidet auch das Lehrer‐Schüler‐Verhältnis enorm, wenn die Wahr‐ nehmungen stark über den Ärger mit den Hausaufgaben be‐ einflusst werden. Denn der Eindruck der LehrerInnen über „gute“ oder „schlechte“ Schüler wird nicht nur über die Quali‐ tät der Leistungen beeinflusst, sondern ebenfalls über die sub‐ tilen Nebeneffekte des Aufwandes, den man mit schlampig 216
oder nicht gemachten Hausaufgaben hat. Ab dem Moment, in dem der Ganztagsbetrieb8 an der Schule mit einer Kernzeit von 8 bis 15 Uhr umgesetzt wurde, „waren die Hausaufgaben fällig“, erzählt Beatrix Albrecht, „sie wurden durch den Se‐ GeL‐Ansatz ersetzt, also durch selbst gesteuertes Lernen, was mit ausgebildetem Personal durchgeführt wird.“ Eine weitere wichtige strukturelle Änderung war die Abschaffung des fes‐ ten Unterrichtsbeginns um 8 Uhr und die Einführung eines offenen Beginns ab 7.45 Uhr mit einer Phase selbst gesteuer‐ tem Lernen im ersten Block des Tages. Denn nicht nur auf dem Feld der Hausaufgaben werden immer wieder kleine Kämpfe ausgefochten und Demütigungen erlebt, auch das Zuspätkommen beeinflusst die Wahrnehmung der Lehrer von Schülern – aber auch die Wahrnehmungen der Schüler unter‐ einander.
Identitätsaushandlungen im Unterricht Alle genannten Strukturmaßnahmen, in die das bilinguale Sprachenprogramm der Schule eingebettet sind, dienen nicht nur dazu Bildungsprozesse individueller und damit nachhal‐ tiger zu gestalten, sondern sie wirken hinein in den subtilen Bereich der Identitätsaushandlungen auf Unterrichtsebene und verändern so auch die Wahrnehmungen der SchülerInnen untereinander, und das heißt in Bordieus Sinne, sie beeinflus‐ sen auch die bestehenden Machtverhältnisse im Sozialgefüge. 8
Derzeit gibt es ein mit dem Unterricht und Schulbetrieb verzahntes Be‐ treuungsangebot mit einem Betreuungszeitraum von 7 bis 17 Uhr an der Schule. Die Leitung der Betreuung sowie die Mitarbeiter der Jugendhilfe, die ebenfalls im Schulgebäude untergebracht sind, werden als Teil eines Schulmanagement‐Teams verstanden, das sich zu regelmäßigen Sitzun‐ gen trifft.
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Durch die Einrichtung des Ganztagsschulbetriebes mit offe‐ nem Unterrichtsbeginn und die Abschaffung der Hausaufga‐ ben sowie die Implementierung des SeGeL‐Ansatzes ist die Albert‐Schweitzer‐Schule dem Ziel einer bildungsgerechteren Schule ein gutes Stück näher gekommen. Hausaufgaben sind in Bordieus Sinne immer auch ein effizientes Instrument, um die Wirkung symbolischen Kapitals der herrschenden Eliten im Prozess der sozialen und kulturellen Reproduktion zu ver‐ stärken. Mit anderen Worten, Hausaufgaben abzuschaffen, bedeutet den Einfluss der Eltern, der weit in die Klassenräume hineinreicht und auf Bildungsprozesse einwirkt, massiv zu beschneiden. Durch den Wegfall der gemeinsamen Hausauf‐ gabenkontrolle im Unterricht fehlt zudem die Arena, in der vor allen Dingen die Kinder der Mittelschichtfamilien glänzen können – mit qualitativ hochwertigen Ergebnissen, Texten und Resultaten, bei denen die Eltern nicht selten beteiligt sind in Form von Hilfestellungen und Kontrollen unterschiedlichs‐ ter Art. Für die Kinder der Albert‐Schweitzer‐Schule ist kaum mehr sichtbar, welche Klassenkameraden in den Augen der LehrerInnen „gut“ oder „schlecht“ sind, weil es ein öffentli‐ ches Bloßstellen wegen nicht erledigter Hausaufgaben oder Zuspätkommens nicht mehr gibt. Für die Kinder aus den är‐ meren Familien fallen damit zugleich schmerzhafte Demüti‐ gungserfahrungen weg, wenn sie nicht mehr getadelt werden für die Konsequenzen eines Alltags, den sie kaum beeinflus‐ sen können: Wenn Familien in existenziellen Notsituationen leben, Eltern sich streiten oder getrennt leben, wenn zu Hause Gewalt herrscht, wenn Arbeitslosigkeit, Alkoholabhängigkeit oder Krankheiten das Leben bestimmen, dann ist das Augen‐ merk der Familien nicht maßgeblich auf Optimierung des Bildungserfolgs ihrer Kinder gerichtet. Viele Kinder, die die 218
Albert‐Schweitzer‐Schule besuchen, leben in Realitäten, in denen sie schon früh lernen müssen, Verantwortung zu über‐ nehmen für sich selbst und ihre schulischen Leistungen, für jüngere Geschwister und zum Teil sogar für erwachsene Fami‐ lienmitglieder. Sich an der Schule gut aufgehoben zu fühlen, wenn das Zuhause kaum emotionale Stabilität oder stimulie‐ rende Anregungen bietet, ist für die Identitätsentwicklung vieler Kinder von großer Bedeutung.
Identitätserfahrungen im Türkischunterricht An der Albert‐Schweitzer‐Schule wird seit ca. zehn Jahren Türkischunterricht in Form eines bilingualen Programmes angeboten. Das Programm ist mittlerweile etabliert und wird vor allem von Mittelschichtfamilien nachgefragt. 40 % der Familien in der Schulgemeinde haben eine türkische Migrati‐ onsgeschichte, unter diesen Eltern ist das bilinguale Angebot weniger bekannt und wird zum Teil auch mit dem türkischen Herkunftssprachenangebot verwechselt, für das sie ihre Kin‐ der zusätzlich anmelden können. Aufgrund der strapazierten Personalsituation können pro Jahrgang nur maximal zwei von vier Klassen als „Bili‐Klassen“ eingerichtet werden. Während der Klassenverteilungskonferenzen wird sehr genau auf eine ausgewogene Mischung in allen vier Klassen geachtet, um die Bili‐Klassen nicht zu leistungsstarken „Eliteklassen“ werden zu lassen. Grundsätzlich werden alle Schüler und Schülerin‐ nen in den Bili‐Klassen immer gemeinsam unterrichtet; es findet keine Differenzierung nach sprachlichen Kompetenzen statt, wohl aber eine Förderung nach individuellen Lernbe‐ dürfnissen in unterschiedlichen Lernbereichen. 219
Türkisch sprechende Kinder im Türkischunterricht Das Türkischprogramm hat an der Albert‐Schweitzer‐Schule eine Tür aufgestoßen zu einem Raum, in dem sich die Mit‐ glieder der Schulgemeinde auf Augenhöhe begegnen können. Ganz besonders profitieren davon die Kinder der bilingualen Klassen. Zu erleben, dass sich Kinder, die zu Hause vielleicht nur Deutsch und/oder andere Sprachen sprechen, für Türkisch interessieren und Spaß daran haben, die Sprache zu lernen, ist für die Kinder, die in ihren Familien Türkisch sprechen, eine besondere Wertschätzung. Es macht sie stolz und hat positive Auswirkungen auf ihr Selbstbewusstsein, wenn sie aus eige‐ nen Erfahrungen dazu beitragen können, dass ihre Freunde etwas über ihre Familiensprache oder die Türkei lernen. Gleichzeitig vermitteln ihnen die Schule und besonders der Bili‐Unterricht Wissen über Sprache, Kultur und das Land ihrer Eltern oder Großeltern. Ein Land, das ihnen selbst häufig kaum bekannt ist, wo sie vielleicht einmal Urlaub gemacht haben. Die positive Wertschätzung der türkischen Sprache und Kultur an der Schule trägt dazu bei, dass sie sich selbst‐ bewusst mit diesem Teil ihrer Identität auseinandersetzen und ihn bejahen können. Identitätsentwicklungen bilingualer deutsch‐türkischer Kinder sind somit ganzheitlich möglich, was auch erklärtes Ziel des interkulturellen Bili‐Ansatzes der Schule ist. Während der türkische Sprachunterricht für etliche Türkisch sprechende Kinder zu einer Bühne wird, wo sie sich engagiert und aktiv beteiligen und sich selbst als „leistungs‐ stark“ erleben können, trägt der Einsatz der türkischen Spra‐ che in den Lernbereichen des Sachfachs oder beim Rechnen dazu bei, dass sie einen leichteren Zugang zu den Inhalten finden können. Zwei positive Konsequenzen sind dabei die Folge: Zum einen profitiert der türkische Wortschatz, da die 220
Kinder sich im Bili‐Unterricht Sachverhalte auch auf Türkisch erschließen können, denen sie im Elternhaus nicht unbedingt begegnen. Andererseits können positive Rückmeldungen aus dem Türkischunterricht die Lernhaltung insgesamt positiv beeinflussen, was wiederum positive Auswirkungen auf das Lernverhalten in den anderen Fächer haben kann. Schließlich werden die Kinder stets gemeinsam mit den oft leistungsstar‐ ken Kindern der Mittelschichtfamilien unterrichtet, denen sie im Türkischunterricht sogar helfen können. Gerade in den Bili‐Klassen ist zu beobachten, dass sich Freundschaften über ansonsten häufig trennende Sprachbarrieren hinaus entwi‐ ckeln (vgl. Albrecht, 2015). Mit Freunden gemeinsam einen langen Schultag zu verbringen und sich gelegentlich auch nach der Schule zu treffen, bedeutet dass die Türkisch spre‐ chenden Kinder viel Zeit mit sprachlichen Vorbildern der deutschen Sprache verbringen und spielerisch und in bedeu‐ tungsvollen Interaktionen leichter in die deutsche Sprache hineinwachsen können. Etliche Kinder der Bili‐Klassen entwi‐ ckeln großes Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten und akade‐ mischen Leistungen und verlassen die Albert‐Schweitzer‐ Schule mit beeindruckenden Zeugnissen und Gymnasialemp‐ fehlungen.
Deutsch sprechende Kinder im Türkischunterricht Im Folgenden wird das Bili‐Programm bewusst aus der Per‐ spektive der Kinder betrachtet, die zu Hause einsprachig Deutsch aufwachsen, um herauszuarbeiten, wie diese Kinder vom bilingualen Lernangebot profitieren können9. Denn als 9
Am Bili‐Programm der Albert‐Schweitzer‐Schule nehmen nicht nur Tür‐ kisch sprechende Kinder und Kinder aus sozio‐ökonomisch stabilen Mit‐ telschichtfamilien teil, sondern auch Kinder, deren Familien zu Hause an‐
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sprachliche Vorbilder sind es gerade die Kinder der Mittel‐ schichtfamilien, die durch Segregationsentwicklungen im Schulsystem den Schulen in sozialen Brennpunkten fernblei‐ ben. Zunächst erleben die Erstklässler in den Bili‐Klassen, dass Türkischlernen an der Albert‐Schweitzer‐Schule normal ist. Dass sie dort eine ziemlich komplizierte neue Sprache lernen können, gehört zum Erleben des Schulalltags dazu und wird somit nicht hinterfragt. Mit Interesse und zum Teil großer Begeisterung lassen sie sich auf diese Lernerfahrungen ein und stellen durchaus fest, dass Türkisch lernen gar nicht so einfach ist. Da Türkisch eine agglutinierende Sprache ist und im Vergleich zur deutschen Sprache strukturell große Unter‐ schiede aufweist, müssen die leistungsfähigen Erstklässler‐ Gehirne mehr kognitive Mobilisierung betreiben als z.B. im Englischunterricht. Während Englisch lernen aus der Sicht deutscher Muttersprachler durch die strukturelle Verwandt‐ schaft der Sprachen als einfach wahrgenommen wird, bedeu‐ tet Türkisch lernen, neue, ungewöhnliche Sprachlernerfah‐ rungen zu machen. Der Türkischunterricht bietet sprachliche Differenzerfahrungen ganz anderer Art und Möglichkeiten, über Sprachreflexionen Sprachbewusstsein zu entwickeln. Als Sprachbewusstsein (language awareness) bezeichnet man all‐ gemein das Wissen über sprachliche Systeme sowie die Ver‐ wendung von Sprache, z.B. in den Fertigkeiten des Schreibens, Sprechens oder Lesens (Gnutzmann, 2010: 115). Dieses Wissen ist verankert in den Erfahrungen mit den Muttersprachen und kann über die Auseinandersetzung im Sprachunterricht bzw. Fremdsprachenunterricht zur Entfaltung gebracht werden. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass erhöhtes Sprachbe‐ dere Sprachen sprechen, wie z.B. Französisch oder Englisch, aber auch Arabisch oder Kurdisch.
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wusstsein zu einer Verbesserung des Sprachgebrauchs sowie des Sprachlernbewusstseins beiträgt. Darunter versteht man wiederum das Wissen über das Lernen von Sprachen, was auch als language learning awareness bezeichnet wird (Gnutzmann, 2010; 115ff.). Für die fremdsprachlichen Fächer ist die Feststellung eines Sprachbewusstseins mittlerweile relevant für das Abitur10. Der positive Umgang mit Mehrspra‐ chigkeit an der Albert‐Schweitzer‐Schule im Allgemeinen, die Arbeit im Türkischunterricht im Speziellen und hier beson‐ ders auch Sprachreflexionen, die über Sprachvergleiche oder auch durch Übersetzungen angeregt werden, bilden eine wertvolle Grundlage für die Entwicklung dieses Sprachlern‐ bewusstseins. Ein gut entwickeltes Sprachlernbewusstsein gilt wiederum als Voraussetzung für erfolgreiches (lebenslanges Fremd‐)Sprachenlernen. Insgesamt scheinen der Türkischunterricht und die Lern‐ phasen, in denen Türkisch benutzt wird, besonders gut geeig‐ net zu sein für das Erleben von (sprachlichen) Unterschieden als Normalität. Unter den Kindern gibt es viel Verständnis für jeweils anders gelagerte Stärken und auch Lernprobleme. Jede/r braucht in anderen Situationen einmal Hilfe, kann aber auch Hilfestellung leisten, wenn andere sie brauchen. Insofern werden über das Türkischprogramm auch soziale Kompeten‐ zen gefördert und der wechselseitige Respekt nimmt zu. Ein‐ sprachige Kinder erleben sich zudem nicht in allen Lernberei‐ 10
Vgl. Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Eng‐ lisch/Französisch) für die allgemeine Hochschulreife (Beschluss der Kul‐ tusministerkonferenz vom 18.10.2012). Als ein Kompetenzbereich wird dort unter 2.4 Sprachbewusstheit aufgeführt (S. 21ff.). http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/201 2_10_18‐Bildungsstandards‐Fortgef‐FS‐Abi.pdf. Zugegriffen: 15. Januar 2015.
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chen als Leistungsspitze, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie Einsprachigkeit als Überlegenheit erleben, nimmt durch die Konstellationen in den Türkischphasen ab. Über eigene Erfah‐ rungen mit dem Türkischlernen erkennen sie, dass es für ihre Freunde nicht einfach ist, eine so schwere Sprache wie Deutsch zu lernen. Für Kinder, die noch nicht perfekt Deutsch sprechen können, haben sie Verständnis und schauen nicht herab auf Freundinnen, die noch (Aussprache‐)Fehler machen. Damit unterstützt der Türkischunterricht Wirkungen, die über das Abschaffen der Hausaufgaben oder die Einführung des offenen Unterrichtsbeginns auf der Ebene der wechselseitigen Wahrnehmungen ebenfalls aufgebrochen werden. Hierarchie‐ unterschiede im Sozialgefüge (power differences) können über den Türkischunterricht offenbar weiter ausgeglichen werden.
Kinder der Mehrheitsgesellschaft als Botschafter der türkischen Sprache Anders als bei Politikern, Bildungsplanern, Schulleitern, El‐ tern oder Lehrern sind die Handlungen der Kinder kaum be‐ einflusst von Ideologien, Weltanschauungen oder Überzeu‐ gungen. Kinder blicken unvoreingenommen in die Welt und beurteilen Menschen danach, wie sie handeln, und weniger danach, wie sie aussehen, wie sie sprechen oder an was sie glauben: „Diversity is done – not seen, heard, or discussed. For small children religious, social, linguistic, or cultural di‐ versity simply does not matter. Diversity is about football, running, playing, having fun, not about being colored or short, Muslim or Christian, Turkish or African or about, migration background‘“ (Küppers und Yağmur, 2014: 31). In ähnlicher Art begegnen Kinder Sprachen. Sie kümmern sich nicht um deren Status in der Gesellschaft oder um deren Wert als kultu‐ 224
relles Kapital, sondern sind grundsätzlich neugierig darauf, die Sprachen zu lernen und zu benutzen. An der Albert‐ Schweitzer‐Schule begegnen die Kinder in den Bili‐Klassen im Alter von ca. fünf oder sechs Jahren der türkischen Sprache. In den fünf Unterrichtsstunden pro Woche, in denen sie sich mit Türkisch beschäftigen, entwickeln sie eine grundsätzlich posi‐ tive Haltung zur Sprache und zum Land Türkei und tragen diese Einstellungen nicht nur in ihre Familien, sondern auch in die Gesellschaft. Die positive Einstellung, die die Kinder zur türkischen Sprache, aber auch zur Mehrsprachigkeit entwickeln können, ist nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Schulgelän‐ de überall greifbar. Im Schulsekretariat wird man mit „Merhaba“ begrüßt, und die Sekretärin schreibt sich kleine Zettelchen, die sie sich an den PC klebt, um die neuen türki‐ schen Redewendungen zu lernen, die ihr die Türkischlehre‐ rinnen und andere Türkisch sprechende Personen zutragen. Es gibt türkische und arabische Aushänge an Wänden, und in den Klassenräumen sind praktische Redewendungen in bis zu zehn Sprachen zu entdecken. In einem positiven mehrsprachi‐ gen Umfeld, in dem Türkisch besonders geschätzt und aufge‐ wertet wird, haben die Kinder keinen Grund, die Sprache abzuwerten. Im Gegenteil, die Erfahrungen und Erzählungen der Kinder zeigen eindrucksvoll, wie das Türkischprogramm Enthusiasmus, Motivation und Neugier freisetzt und ein auf‐ nahmebereites Erstklässler‐Gehirn zusätzlich fordert und da‐ mit fördert. Dabei ist besonders beeindruckend, wie die Kin‐ der den kommunikativen Wert der türkischen Sprache in der Nachbarschaft entdecken. Viele aufgeweckte Erstklässler be‐ greifen schnell, dass die Sprache, die sie morgens im Unter‐ richt lernen, eine Sprache ist, die man nachmittags auf dem Weg nach Hause benutzen kann. Ohne Scheu und Vorurteile, 225
aber mit viel Selbstbewusstsein machen sich einige von ihnen nur mit einer Handvoll Redewendungen und Wörtern auf den Weg in die Gesellschaft und beginnen Brücken zu bauen.
Ausblick und Herausforderungen Hannover ist keine Megacity wie New York, Buenos Aires oder Istanbul, und dennoch lassen sich auch an den kleineren Großstädten die gleichen Phänomene und Herausforderungen fortschreitender Transnationalisierung und Globalisierung ablesen, wie Zygmunt Bauman (Bauman, 2007: 81) feststellt. Auch im Stadtteil Linden werden die Handlungen der Men‐ schen durch Mobilität und Technisierung zunehmend durch globale Bezüge beeinflusst. Die staatlichen Institutionen haben hingegen weiterhin ein lokales Fundament, und ihre Hand‐ lungsspielräume reichen bis zu den Grenzen des nächsten Bundeslandes. Und obgleich sich die großen globalen Städte laut Bauman zu den Müllplätzen für global produzierte Prob‐ leme entwickelt haben, sind es gerade die urbanen Zentren, die sich als Laboratorien besonders eigneten, um den Umgang mit Vielfalt zu lernen (vgl. Bauman, 2007: 92). Wie eine „ganz normale Schule“ ihren problematischen Kontext als lokalen Handlungsspielraum nutzt, um sich den veränderten Realitä‐ ten zu stellen, und ein Bildungsangebot entwickelt hat, das nicht nur zum lebendigen multi‐ethnischen Stadtteil passt, sondern anschlussfähig ist an den transnationalen deutsch‐ türkischen Bildungsraum, zeigt das Beispiel der Albert‐ Schweitzer‐Schule. Türkisch als community language (vgl. Rehbein, 2013: 281 mit Verweis auf Clyne, 1991) im Einzugsgebiet der Schule erfährt durch die Integration in das bilinguale Programm der Schule eine Wertschätzung, die ihr in der deutschen Gesell‐
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schaft ansonsten nicht zu Teil wird. Die Schule begreift die migrationsbedingte Mehrsprachigkeit der Schüler‐ und El‐ ternschaft grundsätzlich als eine wichtige Ressource für die Bildungsarbeit und leistet damit einen enormen Beitrag insbe‐ sondere zur interkulturellen Bildung und Öffnung der Schule in die Nachbarschaft sowie zur Verbesserung von sozialer Kohäsion. Während Kindern aus „Migrantenfamilien“ der Zugang zu hochwertiger Bildung und der soziale Aufstieg ermöglicht wird, lernen die Kinder aus den bildungsnahen Mittelschichtfamilien die sprachliche Realität und Vielfalt in Deutschland kennen und werden durch den Türkischunter‐ richt zudem kognitiv gefördert. Die Albert‐Schweitzer‐Schule wirkt damit Segregationstendenzen im deutschen Schulsystem entgegen (vgl. Morris‐Lange, 2013; Barz, 2013) und ist ein Ler‐ nort, an dem Bildungschancen gerechter verteilt werden kön‐ nen. Durch den Türkischunterricht werden zudem Sprachbar‐ rieren abgebaut und damit eine Tür aufgestoßen zu einem Raum, in dem sich die Menschen dieser Schulgemeinde auf Augenhöhe begegnen und liebgewonnene Klischees über „die anderen“ nicht nur infrage stellen, sondern diese auch über Bord werfen können und Integration somit in mehreren Rich‐ tungen stattfinden kann. Gleichzeitig wird mit der Aufwer‐ tung der dominanten Migrantensprache im Stadtteil kommu‐ niziert – „Türkisch gehört nach Linden“ und „Türkisch gehört zu dieser Schule“ –, was wiederum den Kindern der Familien, die einst aus der Türkei nach Deutschland immigrierten, die Chance bietet, leichter als vielleicht anderswo in der deut‐ schen Gesellschaft ein Gefühl des Dazugehörens zu entwi‐ ckeln (sense of belonging). Positive Identitätsentwicklungen sind die Folge und durchaus beabsichtigt. Insgesamt kann die Albert‐Schweitzer‐Schule als best practice‐Beispiel dafür betrachtet werden, wie sich eine Bil‐ 227
dungsinstitution auf den Weg gemacht hat und als grassroots‐ Projekt von unten das bislang verkannte Bildungspotenzial einer ansonsten in Deutschland wenig geliebten Migrantensprache erschließt. Trotz vielfach verliehener Preise steht die Schule jedoch vor großen Herausforderungen, denn lokale Projekte leben vom Engagement, der Überzeugung und Ausdauer einzelner Akteure. Lokales Erfahrungswissen gilt es, konzeptionell zu verstetigen, möglichst in Zusammenarbeit mit Universitäten oder Lehrerausbildungsinstitutionen. Ein zentrales Problem ist die Rekrutierung von entsprechend ge‐ schultem Personal für den bilingualen Türkischunterricht, der eine besondere Didaktik der Binnendifferenzierung für fremd‐ sprachliche und zweitsprachliche Türkischlerner braucht – diese muss aber weiterentwickelt und fundiert werden. Das Beispiel der Albert‐Schweitzer‐Schule macht somit einerseits Hoffnung, denn es zeigt sich, dass ein bilingualer Ansatz mit einem Schwerpunkt im Bereich des interkulturellen Lernens nachhaltige Wirkungen gerade im sozial‐kulturellen Bereich zeitigen kann. Andererseits ist von der allgemein eher traurigen Situation des Türkischunterrichts in Deutschland bislang kaum Rückenwind zu erwarten: Noch immer stark im Herkunftsspra‐ chenunterricht verwurzelt, trägt der Türkischunterricht zur Ethnisierung durch Sprachunterricht bei (Türkischunterricht für „die Türken“), woraus sich wiederum sein massives Image‐ problem erklärt (vgl. Schroeder und Küppers, 2015). Mit der Fokussierung auf einen sich rasch vernetzenden deutsch‐türkischen transnationalen Bildungsraum wird am Beispiel der Albert‐Schweitzer‐Schule jedoch eindrucksvoll deutlich, welches Bildungspotenzial Migrantensprachen wie Türkisch in Einwanderungsgesellschaften wie Deutschland besitzen. Türkischkenntnisse werden in einem transnationalen Kontext zu einem zentralen Bestandteil transkulturellen Kapi‐ 228
tals, was zu verstehen ist als Kompetenzen, Einstellungen und Fertigkeiten basierend auf linguistischem und kulturellem Hintergrundwissen für zwei unterschiedliche Kulturräume (vgl. Küppers et al., 2015). Damit wird kulturelles Kapital in Bordieus Sinne nicht nur allgemein erweitert, sondern die Grundlagen geschaffen für aktive Teilhabe und Partizipation in zwei Ländern, in Deutschland und der Türkei (vgl. dazu auch das Modell von Rehbein 2013). Migrantensprachen wie Arabisch und Türkisch aufzuwerten, als voll etablierte mo‐ derne Fremdsprachen für alle Lerner der Mehrheitsgesell‐ schaft zu öffnen und in die Curricula der Schulen zu integrie‐ ren, erscheint eine wirkungsvolle Möglichkeit, wie migrati‐ onsbedingte Mehrsprachigkeit in den postnationalen Gesell‐ schaften Europas erschlossen werden kann. In transnationalen Bildungskontexten, die auf einer Pädagogik des Respekts ba‐ sieren und in denen Vielfalt als Norm erlebt werden kann, können junge Menschen mit einem Gefühl der Zugehörigkeit zu mehreren Gemeinschaften und Kulturräumen aufwachsen und sind möglicherweise eher in der Lage, globale Verantwor‐ tungen zu entwickeln. Vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Zerklüftungen in etlichen postnationalen Gesellschaf‐ ten Westeuropas und einer alarmierenden, wachsenden Islamophobie entwickeln transnationale Bildungskonzepte möglicherweise die notwendige integrative Kraft, um den Lernbedürfnissen gerade männlicher, muslimischer Jugendli‐ cher besser gerecht zu werden – deren junge Psychen in einem selektiven Schulsystem wie dem deutschen mit Tendenzen zu Segregation und institutioneller Diskriminierung nicht selten stark beschädigt werden.
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Die Auswirkungen der Benutzung der Muttersprache von türkischstämmigen Schülern in Belgien: Schulerfolg und Schulzugehörigkeitsgefühl Orhan AĞIRDAĞ
Einführung Schulerfolg ist für Einwanderer bzw. Minderheiten als eine Aufstiegsmöglichkeit und eine Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen besonders wichtig. Sie vermittelt die erforderlichen Kenntnisse, sozialen Werte und Arbeitskompe‐ tenzen für das Leben in entwickelten Gesellschaften. Die Bil‐ dungssysteme vieler westlichen Nationen haben allerdings Schwierigkeiten, die Leistungsunterschiede zwischen der ein‐ heimischen Bevölkerung und einigen großen Einwanderergruppen, wie zum Beispiel der türkischen Bevöl‐ kerung in West‐Europa, zu schließen (Crul und Schneider, 2009). Die Einwanderergruppen sind oft jünger als die ein‐ heimische Bevölkerung, und ihre Zahl wächst stetig an. Die Zukunft der westlichen Nationen ‐ sowohl in Bezug auf das Wirtschaftswachstum als auch auf den sozialen Zusammen‐ halt – wird weitgehend davon abhängen, wie erfolgreich sie bei der Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten für ihre ethnisch unterschiedlichen Menschen sind.
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Seit den 1990er Jahren reagierten viele Politiker der west‐ lichen Länder auf wachsende Zuwanderung und ethnische Ungleichheiten mit einem assimilationistischen Ansatz. Am sichtbarsten dabei war die Erhöhung des gesellschaftspoliti‐ schen Drucks auf die sprachlichen Minderheiten, damit sie ihre Muttersprache in der Schule aufgeben (Macedo, 2000; Helot und Young, 2002; Agirdag, 2010; Yagmur, 2010). Diese Assimilationspolitik geht davon aus, dass die Beibehaltung der Muttersprache ein Hindernis für die soziale Integration von Minderheiten ist. Wie in diesem Artikel weiter unten be‐ schrieben wird, ist die Bildungspolitik, die die Einsprachigkeit (monolinguistisch) bevorzugt, in Belgien sehr verbreitet, wo die türkische Minderheit die größte sprachliche Minderheit bildet. Frühere Studien in Belgien haben gezeigt, dass die türkische Sprache in der Schule kaum willkommen ist und die Lehrer davon ausgehen, dass das Sprechen der türkischen Sprache ein Hindernis für den Schulerfolg ist und keinen Mehrwert darstellt (Agirdag, Van Avermaet und Van Houtte, 2013). Es gibt über diese Annahme jedoch nur sehr wenige empirische Untersuchungen. Deshalb sind die Konsequenzen des Sprach‐ gebrauchs der türkischen Schüler auf ihren Schulerfolg weit‐ gehend unbekannt. Daher ist das erste Ziel dieser Studie, die Auswirkungen des Muttersprachengebrauchs (zu Hause und in der Schule) auf den Schulerfolg der türkischen Schüler zu untersuchen und auf diese Lücke hinzuweisen. Während das Verhältnis zwischen Sprachgebrauch und Schulerfolg in der internationalen Literatur weitgehend abge‐ deckt ist (z.B. Mouw und Xie, 1999; Han 2012), gibt es nach meinem Kenntnisstand keine Studien, die das Verhältnis zwi‐ schen dem Sprachgebrauch der Schüler und ihrer Schulzuge‐ hörigkeit untersuchen. Das Schulzugehörigkeitsgefühl der 234
Schüler wird mit der Anerkennung, der Wertschätzung und dem Respekt in der Schule definiert, welche die Schüler von der Schulgemeinschaft erhalten (Goodenow, 1993). Das Schul‐ zugehörigkeitsgefühl ist nicht nur wichtig, damit die Schüler sich gut fühlen und in der Schule willkommen sind, sondern weil mit wachsendem Zugehörigkeitsgefühl auch der Schuler‐ folg steigt und das schlechte Verhalten in der Schule abnimmt (Johnson, Crosnoe und Elder, 2001; Demanet, Agirdag und Van Houtte, 2012). In dem assimilationistischen Schulkontext könnte der Sprachgebrauch der Schüler mit dem Schulzuge‐ hörigkeitsgefühl in Verbindung stehen. Das heißt, der Aus‐ schluss der Muttersprachen der Schüler in dem Schulkontext könnte dazu führen, dass diese Kinder, die in der Schule überwiegend ihre Muttersprache sprechen, sich ausgegrenzt fühlen (siehe Cummins, 2001). Somit ist das andere Ziel dieser Studie, das Verhältnis zwischen dem Sprachgebrauch der türkischen Kinder und ihrem Schulzugehörigkeitsgefühl zu untersuchen. Ich werde dieses Kapitel mit einer Skizze des sprachpoli‐ tischen Kontextes in Belgien beginnen. Danach werde ich den methodischen Hintergrund der Daten definieren. Anschlie‐ ßend werden die Daten der Umfrage untersucht, die über die Auswirkungen des Sprachgebrauchs der türkischen Schüler auf ihren Schulerfolg und ihr Schulzugehörigkeitsgefühl durchgeführt wurde. Mit der Diskussion der Ergebnisse wer‐ de ich dann meine Arbeit abschließen.
Die türkische Minderheit in Flandern und der sprachpolitische Kontext Diese Studie wurde in der belgischen Provinz Flandern durchgeführt, in der flämisch gesprochen wird. Nach dem 235
Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Flandern durch die Ein‐ wanderer aus Südeuropa, der Türkei und Nordafrika schnell zu einer multikulturellen Gesellschaft. Die Einwanderung wurde zwar im Jahr 1973 durch die Regierung beschränkt, aber der Zustrom von Einwanderern nahm durch Familienzu‐ sammenführung und Heirat zu. Zusammen mit den Marok‐ kanern bilden die türkischen Einwanderer die größte Einwanderergruppe (Agirdag und Van Houtte, 2011). Ange‐ sichts der Sprachfragmentierung innerhalb der marokkani‐ schen Gemeinschaft ist die türkische Sprache die größte Min‐ derheitensprache. Die Muttersprache der türkischen Einwan‐ derer und ihrer Kinder (und Enkelkinder) in Flandern ist überwiegend türkisch. Die türkische Sprache wird nicht nur im familiären Umfeld vermittelt, sondern es gibt auch einen breiten Zugang zu den türkischen Medien und Kulturveran‐ staltungen in türkischer Sprache. Wie in vielen Gebieten in West‐Europa mit einer großen türkischen Bevölkerungsanzahl sind türkische Zeitungen, TV‐Kanäle, Filme und Konzerte auch in Flandern sehr verbreitet (Yagmur, 2010). In Flandern liegen die Leistungen der Schüler aus der türkischen Minderheit sowohl auf der Primarschule als auch der Sekundarschule hinter ihren einheimischen flämischen Mitschülern. Dies gilt selbst dann, wenn der soziale Hinter‐ grund berücksichtigt wird (Agirdag, Hermans und Van Houtte, 2011; Van Praag et al., 2014). Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die Bildungsungleichheit in Flandern eine der höchsten in den entwickelten Ländern ist (OECD, 2006). Mit anderen Worten ausgedrückt ist die Differenz zwischen dem Schulerfolg der türkischen Migrantenkinder und dem der Kinder der einheimischen Bevölkerung ein sehr ernstes Prob‐ lem in Flandern. Die Bildungspolitiker behaupten, dass diese 236
breiten Ungleichheiten hauptsächlich durch die Sprachdefizite der Einwanderer verursacht werden. Der ehemalige flämische Bildungsminister Frank Vandenbroucke z.B. erklärte, dass er in seiner Amtszeit drei politische Prioritäten für die Erstellung von Chancengleichheit in der Bildung hatte, und zwar ʺSpra‐ che, Sprache und Spracheʺ. Ein anderer ehemaliger flämische Bildungsminister, Pascal Smet, behauptete, dass die sprachli‐ chen Mängel die wichtigste ‐wenn nicht die einzige ‐ Ursache für schwache Leistungen von Schülern mit Migrationshinter‐ grund sei (siehe auch Agirdag, 2010; Agirdag et al., 2013). Während ein großer Teil der Türken in Flandern die flämische Sprache beherrscht, werden sie dennoch selten als „zweispra‐ chig“ bezeichnet, sondern stattdessen als „sprachlich andersʺ (auf flämisch: „anderstaligen“) eingestuft. Dies spiegelt bereits die abwertende Perspektive auf Mehrsprachigkeit wieder (siehe auch Blommaert, Creve und Willaert, 2006). Viele der von der türkischen Regierung finanzierten muttersprachlichen Bildungsprogramme in Flandern wurden in den 1990er Jahren abgebrochen. Obwohl Belgien zwei Hauptsprachen (d.h. flä‐ misch in Flandern und französisch in Wallonien) hat, tritt die zweisprachige Bildung seit der Einführung der neuen belgi‐ schen Gesetze sehr selten auf, die den zweisprachigen Unter‐ richt verbieten. Während im Jahr 1998 in der französisch spre‐ chenden Region (Wallonien) die Schulen zweisprachigen Un‐ terricht organisieren durften, ist der zweisprachige Unterricht in der flämischsprachigen Region (Flandern) immer noch so gut wie nicht existent. Die zweisprachige Erziehung wurde in Flandern in der Tat nur als ein wissenschaftliches Experiment in einigen wenigen Projekten durchgeführt (Bollen und Baten, 2010). Den Hintergrund für den überwältigenden sozialen und politischen Druck in Bezug auf Einsprachigkeit und die 237
Abneigung gegen eine zweisprachige Erziehung in Flandern bilden tief verwurzelten, historisch verstehbare Ängste vor einer französischen Dominanz und damit verbunden eine star‐ ke Präsenz der flämisch‐nationalistischen Politik. So ist die kon‐ servative Flämische Nationalistische Partei (N‐VA) derzeit die größte Partei in Flandern, und ihr steigender Nationalismus beeinflusst die Mainstream‐Politik dermaßen, dass sich eine sprachliche Vielfalt nicht entfalten kann. Menschen, die nicht flämisch sprechen,werden beispielsweise sogar aus den jüngs‐ ten Maßnahmen zu sozialen Wohnungsbauprogrammen und anderen Sozialprogrammen ausgeschlossen (siehe Malya, 2012).
Stichproben und Entwurf Ich nutzte hier die gesammelten Daten aus dem „Projekt Aus‐ grenzung in Primarschulen in Flandern“. Diese Umfragedaten wurden im Schuljahr 2008‐2009 über 2.845 Schüler in 68 Grundschulen in Flandern erhoben. In 48 dieser Schulen sind 435 Kinder mit türkischer Herkunft (d.h. ihre Großmütter sind in der Türkei geboren, oder sie sprechen die türkische Spra‐ che). Es wurde eine mehrstufige Stichprobe durchgeführt. Um das gesamte Spektrum der ethnischen Zusammensetzung zu umfassen, wurden in der ersten Stufe drei Städte in Flandern ausgewählt, die eine ethnisch relativ vielfältige Bevölkerung hatte. In der zweiten Stufe wurden, unter Verwendung der durch das flämische Bildungsministerium gesammelten Da‐ ten, 116 Grundschulen in den ausgewählten Städten ausge‐ sucht und um Teilnahme gebeten, so dass 54% von ihnen un‐ serem Wunsch nachgekommen sind. Der Anteil der Schulen, die sich nicht beteiligten, war nicht auf die ethnische Zusam‐ mensetzung der Schüler zurückzuführen. Die Schulen, in de‐ nen die Daten gesammelt wurden, repräsentieren das gesamte 238
Spektrum der ethnischen Zusammensetzung; darunter gibt es Schulen mit sehr wenigen türkischen Schülern, aber auch Schulen mit 87% Anteil türkischer Schüler (siehe Tabelle 1). In allen Schulen, die die Teilnahme akzeptiert haben, befragte unser Forschungsteam alle Schüler der 5. Klassen, die wäh‐ rend unseres Besuchs anwesend waren. In den Schulen, wo die Anzahl der Fünftklässler unter 30 betragen, wurden sämt‐ liche Sechstklässler mit in die Untersuchung aufgenommen. Wegen der vorgegebenen Zeitbegrenzung konnten wir nicht alle Unterrichtsfächer testen, so dass wir uns auf den Mathe‐ matikunterricht konzentriert haben, da ein Großteil der Be‐ fragten nicht flämische Muttersprachler waren und Mathema‐ tiktests weniger Sprachkenntnisse erfordern als sprachliche Fächer wie z.B. Lesen (Abedi, Hofstetter und Lord, 2004). Die Daten aus der Stichprobe deuten auf die innerhalb den Schulen ʺverschachteltenʺ Schüler hin. Das Multi‐Level‐ Modell war daher am besten geeignet (SPSS 21, MIXED‐ Verfahren wurde angewandt). Wir berechneten zuerst die Pearson‐Korrelationen mit Doppelvariablen, um die Zusam‐ menhänge zwischen dem Sprachgebrauch, der Schulleistung und dem Schulzugehörigkeitsgefühl zu bewerten. Als zweiten Schritt haben wir bei der Bewertung der Schulleistung und des Schulzugehörigkeitsgefühls ein mehrstufiges Regressi‐ onsmodell angewandt, damit auch die Scheinkorrelationen Berücksichtigung finden. In den Multi‐Level‐Modellen haben wir auch verschiedene Variable berücksichtigt, die ebenfalls einen Einfluss auf den Schulerfolg und das Schulzugehörig‐ keitsgefühl haben könnten. Auf der Schülerebene haben wir die Klasse, das Geschlecht und die Generation der Kinder sowie den sozioökonomischen Status der Eltern berücksich‐ tigt. Auf der Schulebene hingegen haben wir den Anteil der 239
türkischen Schüler in der Schule und den mittleren sozioöko‐ nomischen Status der Eltern berücksichtigt (siehe Abschnitt „Variable“). Die fehlenden Angaben wurden mit der multip‐ len Imputation behandelt, und die Imputationsmethode wur‐ de an fünf Stellen angewandt.
Variable ‐ Unabhängige Variable Sprachgebrauch. Wir bewerteten die türkischsprachigen Schüler unter sieben Aspekten. Die Schüler haben angegeben, in wel‐ chem Maße sie flämisch oder eine andere Sprache (1) zu Hau‐ se mit dem Vater; (2) zu Hause mit der Mutter; (3) zu Hause mit den Geschwistern; (4) in der Schule mit den Kameraden; (5) auf dem Spielplatz mit Freunden und (6) außerhalb der Schule mit Freunden sprechen. Jeder der Aspekte bot fünf mögliche Antworten von „immer flämisch“ (1 Punkt) bis „immer eine andere Sprache“ (d.h. türkisch) (5 Punkte). Auf der Basis einer Faktorenanalyse mit der Varimax‐Rotation unterschieden wir zwischen den Schülern, die zu Hause tür‐ kisch sprechen (Aspekte 1, 2 und 3 höher als 0,72) und die in der Schule türkisch sprechen (Aspekte 4, 5 und 6 höher als 0,60). Der Mittelwert der Aspekte 1, 2 und 3 ist gleich 2,79 und der Mittelwert der Aspekte 4, 5 und 6 ist gleich 3,69. (3 Punkte deuten gleichermaßen flämisch und andere Sprachen). Bei der Analyse haben wir jedoch anstatt des „Mittelwertes“ die „Faktorwerte“ verwendet. Das taten wir, weil der Faktorwert im Gegensatz zum Mittelwert auf die Bedeutung unterschied‐ licher Aspekte hinweisen kann. Wie die Tabelle 1 zeigt, basie‐ ren die Faktorwerte auf den Mittelwerten (Mittelwert = 0) und sind standardisiert (Standardabweichung = 1), an sich sind ihre Minimalwerte negativ. 240
Abhängige Variable Die Schulleistung wurde in der Analyse an dem mathemati‐ schen Erfolg der Schüler gemessen, wobei eine Testmethode angewandt wurde, die basierend auf einem standardisierten Bildungsniveau für die flämischen Schüler in der fünften Klasse der Grundschulbildung entwickelt wurde. Dieser Test besteht aus 60 Elementen, die die elementare Arithmetik, Problemlösung, Brüche, Dezimalzahlen und schriftliche Divi‐ sionen beinhalten. Die Bewertung wurde unter Verwendung einer 2‐Parameter Rash Model (IRT) berechnet. Für deskripti‐ ve Statistiken siehe Tabelle 1. Das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule. Das Schulzugehörig‐ keitsgefühl wurde anhand der „Skala der psychologischen Gefühle zur Schulmitgliedschaft“ von Goodenow (1993) ge‐ messen, die aus 18 Punkten besteht und in die flämische Spra‐ che übersetzt wurde. Vier beispielhafte Punkte sind u.a.; „Die Lehrer hier respektieren mich“, „manchmal fühle ich mich, als ob ich nicht hierher gehöre“ (umgekehrt kodiert), „die Men‐ schen an dieser Schule sind freundlich zu mir“ und „es ist schwer für Schüler wie mich hier angenommen zu werden „(umgekehrt kodiert). Es gibt 5 Antwortkategorien von „ich stimme überhaupt nicht zu“ (1 Punkt) bis „ich stimme voll zu“ (5 Punkte).‐ Die Bewertungen wurden in der Faktoranalyse durch jeweilige Faktorlösungen kalkuliert. Für die deskriptive Statistik siehe Tabelle 1.
Kontrollvariablen Die Klassen. Diese Studie hat sich auf die Schüler der fünften und sechsten Klassen konzentriert. Daher waren die meisten der Befragten im Alter von 11 und 12 Jahren. Angesichts der 241
hohen Korrelation zwischen Alter und Klasse (Cramer’s V = 0,64; p 0,3 Mittelwert Cronbachs Alpha >0,7 Ergebnisse der C‐Test Pilotierungen • Pilotierung I: Auswertung C‐Test Deutsch nach Daller 81 Schülerinnen und Schüler (SuS) 5 Texte à 20 Lücken (3x all, 2x akk) ausgefüllte Lücken (3 all): Text 1: 0‐20, Text 2: 0‐ 18, Text 3: 0‐18 ausgefüllte Lücken (2 akk): Text 4: 0‐18, Text 5: 0‐15 • Pilotierung I: Auswertung C‐Test Türkisch nach Daller 41 SuS 5 Texte à 20 Lücken (3x all, 2x akk) ausgefüllte Lücken (3 all): Text 1: 0‐8, Text 2: 0‐8, Text 3: 0‐6 ausgefüllte Lücken (2 akk): Text 4: 0‐3, Text 5: 0‐3 Pilotierung II: Auswertung C‐Test Türkisch neu 314
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16 SuS 5 Texte à 20 Lücken (5x all) ausgefüllte Lücken (5 all): Text 1: 0‐14, Text 2: 0‐9, Text 3: 0‐14, Text 4: 0‐18, Text 5: 0‐12 Bei der Pilotierung des türkischen C‐Tests ist bereits in der Vorschaltphase, also in der inoffiziellen Phase der Begrü‐ ßung, des sich Vorstellens und der Einnahme der Sitzordnung seitens der Sitzungsleiterin auf Türkisch gesprochen worden. Bei der Durchführung des C‐Tests ist aufgefallen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler das Testformat nicht ge‐ wohnt sind, d.h. sie wussten mit der Aufgabenstellung und den Texten nicht umzugehen. Wurde ihnen die Aufgabe und der erste Satz, der zum Kontextverständnis keine Lücke auf‐ weist, laut vorgelesen, konnten einige die Texte bearbeiten. Anderen, die durch Melden und Nachfrage oder durch ratlose und passive Körperhaltung signalisierten, dass sie dennoch nicht wussten, was sie mit den Lückentexten tun sollten, wur‐ de einzeln der Anfang eines Textes halblaut vorgelesen: Der erste lückenlose Satz und ohne längere Pause der nächste mit Lücken, in dem diese durch Interjektionen [hm̀hm̀hḿ] akus‐ tisch gefüllt wurden, um das kontextuelle Verständnis zu för‐ dern. Das leise Vorlesen hat, zumindest in der Pilotierung II, Verstehensprozesse in Gang gesetzt und Ressourcen aktiviert, so dass diese Schülerinnen und Schüler jetzt im gewissen Ma‐ ße handlungsfähig waren. Das erklärt sich einerseits durch das ungewohnte Testformat mit den silbischen Lücken, ande‐ rerseits damit, dass die meisten es nicht gewohnt sind, über‐ haupt türkische Texte zu bearbeiten. So war häufig zu be‐ obachten, dass sie nicht den Text als Ganzes, also Satz für Satz gelesen haben, sondern sich auf die Wörter mit Lücken kon‐ zentrierten und diese separat zu komplettieren versuchten. Der Prozess der ganzheitlichen Textbearbeitung dieser Art 315
geht über den alltagssprachlichen Gebrauch der Erstsprache hinaus und erfordert bei fünf Texten eine hohe Ausdauer an Konzentration. Somit wurde entschieden, für die Testphasen drei Texte (all) für den C‐Test Türkisch zu wählen.
Zusammenfassung Die Migrationsgeschichte blickt von der Gastarbeitergenerati‐ on mittlerweile auf die vierte, häufig in Deutschland geborene Generation zurück, die im Familienverband mit Türkisch als Erstsprache aufwächst. Im Kindergarten erlernen die Kinder Deutsch als Zweitsprache, die in der Schule zu ihrer Bildungs‐ sprache wird. Aber entwickelt sich aus der Arbeitssprache (hier: Deutsch) automatisch die Denksprache (hier: Türkisch), vor allem wenn keine Sprachförderung der L1 stattfindet? Die Verstehensprozesse sind nicht klar abgrenzbar und einheitlich für alle Kinder mit L1 (Türkisch) erkennbar. Um den Sprach‐ stand zu ermitteln, werden in diesem Projekt der türkisch‐ sprachige Fragebogen zur Erfassung der Familienhintergrün‐ de und die selbsteingeschätzte Erstsprachkompetenz und der C‐Test auf Türkisch eingesetzt. Letzterer liefert Erkenntnisse darüber, ob es den Schülerinnen und Schülern gelingt, getilgte Silben morphologisch und grammatikalisch korrekt zu ergän‐ zen, dem wiederum ein Verstehen des Kontextes vorausgeht. Das Testformat und fehlende Routine der Schülerinnen und Schüler im komplementären Umgang mit türkischen Texten scheinen für den C‐Test zur Sprachstandsermittlung als ein nicht sehr geeignetes Instrument. Durch die Intervention zeigt das Projekt wichtige empi‐ risch abgesicherte Erkenntnisse für mehrsprachige fachbezo‐ gene Sprachförderung in der Sekundarstufe, aus denen sich einerseits theoretische Grundlagen für mögliche Modelle der
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mehrsprachigen Sprachförderung im Fachunterricht ergeben und andererseits durch die empirischen Analysen und Video‐ szenen Inhalte und Anschauungsmaterial für Lehrerfortbil‐ dungen geliefert werden. Literaturhinweis BEESE, M. & GÜRSOY, E. (2012), Bezüge herstellen im Deutschen und Türkischen – Sprachliche Stolpersteine beim Mathematikler‐ nen für zweisprachige Lernende, Praxis der Mathematik in der Schule 45, 34‐37 BÜHRIG, K. (1996), Reformulierende Handlungen: Zur Analyse sprachlicher Adaptierungsprozesse in institutioneller Kommuni‐ kation, Tübingen DALLER, H. (1999), Migration und Mehrsprachigkeit. Der Sprach‐ stand türkischer Rückkehrer aus Deutschland, Frankfurt am Main DUARTE, J., GOGOLIN, I. & KAISER, G. (2011), Sprachlich bedingte Schwierigkeiten von mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern bei Textaufgaben, PREDIGER S. & ÖZDIL, E. (Hrsg.), Mathematik‐ lernen unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit. Stand und Perspekti‐ ven der Forschung und Entwicklung in Deutschland, (S. 33‐53), Müns‐ ter EHLICH, K. (2007), Anforderung an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für die frühe und indivi‐ duelle Sprachförderung von Kindern mit und ohne Migrations‐ hintergrund. Eine Expertise für das Bundesministerium für Bil‐ dung und Forschung, Bonn, Berlin EHLICH, K. & REHBEIN, J. (1986), Muster und Institution: Untersu‐ chungen zur schulischen Kommunikation, Tübingen FRÖHLICH, I. & PREDIGER, S. (2008), Sprichst Du Mathe? Kommu‐ nizieren in und mit Mathematik, Praxis der Mathematik in der Schu‐ le 50(24), 1‐8 GOGOLIN, I. & LANGE, I. (2010), Bildungssprache und Durchgängi‐ ge Sprachbildung, FÜRSTENAU, S. & GOMOLLA, M. (Hrsg.),
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Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit. (S. 107‐127), Wiesbaden GRASSER, B. & REDDER, A. (2011), Schüler auf dem Weg zum Er‐ klären – eine funktional‐pragmatische Fallanalyse, HÜTTIS‐ GRAFF, P. & WIELER, P. (Hrsg.), Übergänge zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Vor‐ und Grundschulalter, (S. 57‐78), Freiburg GRIESSHABER, W. (2011), Diagnose und Förderung zweitsprachli‐ cher Kompetenzen im Mathematikunterricht. Ansätze eines sys‐ tematischen Überblicks, PREDIGER, S. & ÖZDIL, E. (Hrsg.), Ma‐ thematiklernen unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit ‐ Stand und Perspektiven der Forschung und Entwicklung in Deutschland, (S. 77‐ 96). Münster GRIESSHABER, W., ÖZEL, B. & REHBEIN, J. (1996), Aspekte von Arbeits‐ und Denksprache türkischer Schüler, Unterrichtswissen‐ schaft 24, 3‐20 GROTJAHN, R. (Hrsg.), (1996), Der C‐Test. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen, (Bd. 3, S. 353‐366), Bochum KALUK, M. (2011), Mathematiklernen in einer deutsch‐türkischen Vermittlungssprache – ein Erfahrungsbericht aus dem Förderun‐ terricht, HOFFMANN, L. & EKINCI‐KOCKS, Y. (Hrsg.), Sprachdi‐ daktik in mehrsprachigen Lerngruppen, (S. 253‐262), Baltmannsweiler ÖZDIL, E. (2010), Codeswitching im zweisprachigen Handeln. Sprachpsychologische Aspekte verbalen Planens in türkisch‐ deutscher Kommunikation, Münster REDDER, A. (2012a), Rezeptive Sprachfähigkeit und Bildungssprache – Anforderungen in Unterrichtsmaterialien, DOLL, J., et al. (Hrsg.), Schulbücher im Fokus. Nutzungen, Wirkungen und Evaluati‐ on. (S. 81‐99), Münster REHBEIN, J. (2011), Arbeitssprache Türkisch im mathematisch‐ naturwissenschaftlichen Unterricht der deutschen Schule – ein Plädoyer, PREDIGER, S., ÖZDIL, E. (Hrsg.), Mathematiklernen un‐ ter Bedingungen der Mehrsprachigkeit – Stand und Perspektiven der Forschung und Entwicklung in Deutschland, (S. 203‐230), Münster THIELMANN, W. (2010), Fachsprachenvermittlung, Krumm, H.‐J., et al. (Hrsg.), Deutsch als Fremd‐ und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch, (S. 1052‐1058), Berlin, New York
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Anlage Pilotierung I: C‐Test Türkisch nach Daller [Text 1 (all)] Yaşasın özel TV’ler Çok değil bundan 24 yıl önce ilk Türk televizyonu den_____ yayınlarına başla_______. Sınırlı olan_____ sınırlı b_____ bölge v_____ sınırlı süre_____ başlayan i_____ televizyon yayın__________ şimdilerde pat_____ noktasında. Yur_____ her köşe__________ binaların tepe_____ kondurulmuş alüm__________ antenler yer_____ çanak anten_____ bırakıyor. Otu_____ odalarının en öne_____ konforu telev__________ mutfaklarda yat_____ odalarında d_____ yerini alıyor. [Text 2 (all)] Ortaköy Ortaköy 1980 yılına kadar İstanbul’un dışa kapalı mahallerinden biri_____ . 1980 de yap_____ meydan düze__________ çalışmalarından so_____ Ortaköy de b_____ canlılık baş_____ . Sahilde ün_____ çınar meyhan__________ açılmasıyla birl__________ İTÜ Konser__________ ve Aka_____ öğrencileri bur_____ kendilerine me_____ edinmeye başla_____ . Derslerden so_____ akşamları v_____ hafta sonlarında meyh__________ oturup her_____ kendi dal_____ ürettiği san_____ sunuyordu. [Text 3 (all)] Göçün 50 yılı Türkiye’den Federal Almanya’ya göç 50. yılını doldurdu. Bu sü_____ içerisinde milyo__________ insan yurtd__________ özellikle Batı Avr_____ ülkelerine çal__________ gitti. 319
Başla__________ göç edi_____ ülkelerden bir_____ yıl çal_____ tekrar Türkiye’ye ge_____ dönme eği_____ egemenken da_____ sonra gid_____ ülkelere yer__________ eğilimi ar_____ . 1965’lerde Almanya’da____ Türk nüfus_____ yüzde 90’nı b_____ işte çalış_____ bugün çal_____ nüfusun toplam nüfusu oranı % 36’ya düşmüş bulunuyor. [Text 4 (akk)] Osmanlılarda Para ve Fiyat Hareketleri Osmanlılar XIX. yüzyıla kadar altın ve gümüş gibi değerli madenlerden yapılma paralar kullanmışlardır. Bu bak__________ , Osmanlı parala__________ gerçek değe__________ ile kull_____ sırasında kendi__________ biçilen de_____ arasında sı_____ bir ili_____ vardır. Devl_____ darphanede sö_____ edilen maden__________ kestiği, be_____ ağırlıktaki ya_____ , yuvarlak parçac__________ sikke a_____ verilirdi. Bunl__________ gümüşten ol_____ akçe, alt__________ olanı i_____ sikke‐i hasene veya kır_____ diye biliniyordu. Genel olarak sikke‐i hümayun denilen ve padişahın emriyle kesilip tedavülde bulundurulan Osmanlı paralarının yanında, ülke içinde yabancı altın ve gümüş paralar da serbestçe kullanılmaktaydı. [Text 5 (akk)] Osmanlı İktisat Anlayısı Ekonomik faaliyet, temel insan davranışlarından biridir. Genel ola_____ çeşitli tük__________ mallarının üreti__________ ve bun__________ dağıtımının sağla__________ için gelişt__________ örgütlenmelerin tü_____ , bu t___ faaliyetlerden say_____ . Tarım, hayva__________ , ham ma_____ denilen te_____ mallardan k_____ ve ka_____ 320
gücüyle ye_____ meta üreti__________ ekonomik falliy__________ çeşitli alan__________ . Ayrıca, b_____ takım hizm__________ de (doktorluk, berberlik, nakliyat v.b.) bu tür faaliyetlerdendir. Pilotierung II: Neu entwickelter C‐Test Türkisch [Text 1] Parayı veren düdüğü çalar Nasrettin Hoca pazara gidiyormuş. Çocuklar yolu_______ çıkm_______. Hepsi d_______ “Pazardan ba_______ düdük a_______” “Bana dü_______ getir...” “Düdük iste_______!..” di_______ tuttuşmuşlar. İçler_______ yalnız bir______ çıkarıp düd_______ parasını ver_______. Akşam dönüş_______ çocuklar Hoca’n_______ çevresini sarmış_______, Hoca cebi_______ bir t_______ düdük çık_______, parayı vere_______ uzatmış. Öte_______ “Hani benimki, hani benimki?” diye atılınca Hoca: “Eee..” demiş, “parayı veren düdüğü çalar.” [Text 2] Şehirler Şehirler mevsimleri unutmuştur. Mevsimler deği_______ de kims_______ haberi bi_______ olmaz. Çünkü onlar_______ bir haberci, bir işa_______ yoktur şehirl_______. Şehrin ken_______ has akışı, yapıl_______, kurumları, ciddiy_______ ve öldüren kalabal_______ bahara ve on_______ işaretçilerine gele_______ yer bırakmamıştır. Yal_______ bahara mı? Bü_______ mevsimlere… Mevsimlerin değişt_______ takvimlerden iz_______ şehirliler. Ne gül_______ değil mi? Kış, bahar, yaz ve son_______… Nelerle gelir bunlar, orta_______ nasıl deği_______, dünyayı hangi renklere 321
boyar… Takvim sayfalarında “Baharın ilk günü, kış başlangıcı” filan yazar… Siz de inanırsınız. [Text 3] Her ülke bir çiçek tarlası gibi Her ülkede çeşitli halkar yaşıyor. Her ülkede rengârenk bir çiçek tarlası gibidir. Her reng_______ ayrı b_______ güzelli_______, her çiçe_______ ay_______ bir koku_______ var. Tek renkli, tek çiçekl_______ bir tarl_______ başka renkleri tanımak kol_______ olm_______. O t_______ renkli çiçek_______ kokusuz d_______ olabilir. O ned_______ insanla_______ çoğunl_______ rengârenk, gü_______ kokulu bir çiçek tarl_______ gibi birli_______ yaşam_______ istiyor. Her ülke bir halklar tarlasıdır, çiçek çiçek, renk renk... [Text 4 ] Okumaya zaman mı var? Arkadaşım Aylin, sınıfımın en başarılı öğrencilerden biridir. Büt_______ dersleri iyidir. Güz_______ konuşur. Her der_______ sık sık söz alır. Güzel açıkla_______ yapar. Ma‐ te_______ problemlerini d_______ çok ça_______ anlar, hatta ba_______ da anl_______. Öy_______ çok ders de çalışmaz... Mer_______ edip sord_______: “Her dersten başa_______ olmanı, güzel yaz_______ güzel konuş_______ neye borçlu_______? Ben de çok çalışıy_______ ama senin ka_______ başarılı değ_______.” “Annem bunun kitap okumanın sonucu oldu_______ söylüyor... Sanırım haklı.” “Kitap okumaya zaman mı var? Her gün okul ve ödevler...” “Olmaz olur mu?” 322
[Text 5] Körebe Körebe, bütün dünyada oynanan bir çocuk oyunudur. Oyuna başlamadan önce ebe kim olacak belirlenir. Körebe ola_______ gözleri mendil ve_______ eşarp il_______ bağlanır ve göremez hal_______ getirilir. Sonras_______ bir meyda_______ ebe serbestçe dol_______. Ebe_______ görevi arkadaşları_______ birini eli_______ yakalayıp ebeli_______ kurtulmaktır. Oyun_______, oyun esna_______ ‘’körebe körebe sesi_______ gel”, diye sesl_______ elleriyle ebey doku_______ eğlenirler. Ebe, onlar_______ birini yakal_______ çalışır. Ebe yakalad_______ kişiyi ses_______ tanıyarak bilmeye çalışır. Eğer bilirse ve doğru ismi söylerse ebelikten kurtulur. Doğru ismi söyleyemezse ebeliğe devam eder. In der Testphase wurden aus der Pilotierung II für den C‐ Test Türkisch die Texte 1, 3 und 4 gewählt. Anhang 3: C‐Test Pilotierung II (17.12.2014) Cronbachs Alpha: 0,870 Mittelwerte:
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Trennschärfen (rechte Spalte):
© Lena Wessel, TU Dortmund; C‐tur 4 und 5 müssen auch (all) bezeichnet werden
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Alphabetisierung in zwei Sprachen (Deutsch ‐ Türkisch) Ali UÇAR
Einführung In zwei Sprachen lesen lernen, geht denn das? Im folgenden Beitrag geht es um einen wissenschaftlichen Schulversuch in Berliner Schulen. Es war geplant, die türkischsprachigen Kin‐ der in ihrer Muttersprache und gleichzeitig auf Deutsch zu alphabetisieren. Der Schulversuch hat insgesamt fünf Jahre gedauert. Die Ergebnisse wurden wissenschaftlich ausgewer‐ tet mit der Schlussfolgerung: Alphabetisierung in zwei Spra‐ chen ist machbar und hat positive Auswirkungen auf die Schulleistungen von zweisprachigen Kindern. Bevor ich auf das Konzept der zweisprachigen Alphabe‐ tisierung eingehe, möchte ich einige Tatsachen benennen, die dazu geführt haben, einen solchen Schulversuch zu starten. Es ist lange bekannt, dass die Kinder von Migrantenfamilien in Deutschland im Vergleich zu einheimi‐ schen Kindern schlechte Schulleistungen haben. Eine wichtige Ursache der schlechten Schulleistungen sind mangelnde Deutschkenntnisse dieser Kinder. Die bis dahin unternomme‐ nen offiziellen Maßnahmen zur Verbesserung der Deutsch‐ kenntnisse haben aus unterschiedlichen Gründen wenig ge‐ holfen. 325
Die an den Berliner Schulen beschäftigten Lehrer stellten fest, dass die Alphabetisierung von türkischen Kindern nur in deutscher Sprache wenig erfolgreich ist, nämlich aus einem einsichtigen Grund: Kinder, die nicht verstehen, was sie lesen oder schreiben, verlieren die Lust am Lernen. Die Kinder müs‐ sen also in der Sprache alphabetisiert werden, die sie bei der Einschulung sprechen und verstehen. Sie ist bei den meisten Kindern ihre Muttersprache und für die türkischen Kinder die türkische Sprache. An der Nürtingen Grundschule im Berliner Stadtteil Kreuzberg entstand eine Initiative von Lehrern für zweispra‐ chige Alphabetisierung. Deutsche und türkische Lehrer haben begonnen, türkischsprachige Kinder in ihrer Muttersprache, also in Türkisch und gleichzeitig auf Deutsch zu alphabetisie‐ ren. Die zuständige Schulverwaltung war mit diesem Vorha‐ ben der Lehrer einverstanden. Im Schuljahr 1982/1983 haben die deutschen und türkischen Lehrer mit dem Projekt begon‐ nen, es war aber alles noch provisorisch. Es gab dafür weder Lehr‐ noch Lernmaterialien, die aber noch entwickelt werden müßten. Im Schuljahr 1988/1989 wurde das Modell vom Ministe‐ rium für Erziehung des Bundeslandes Berlin als koordinierte zweisprachige Alphabetisierung für türkische Kinder als offi‐ zieller Schulversuch anerkannt und die dafür notwendigen Gelder wurden zur Verfügung gestellt. Der Schulversuch war für die Dauer von fünf Jahren geplant. Innerhalb dieser Zeit sollten das Modell der koordinierten zweisprachigen Alphabe‐ tisierung und die dafür vorgesehenen Lehr‐und Lernmateria‐ lien für die Klassenstufen 1 und 2 entwickelt und erprobt werden. In den Klassenstufen 3 und 4 wurde zweisprachiger Unterricht mit reduzierter Stundenzahl weitergeführt. 326
Für die Teilnahme der Kinder an den Schulversuchsklas‐ sen war die Zustimmung der Eltern erforderlich. Die türki‐ schen Kinder haben in den Schulversuchsklassen für den tür‐ kischen Alphabetisierungsteil fünf Wochenstunden mehr Un‐ terricht. Im Laufe der fünf Jahre des Schulversuches haben sich daran von Jahr zu Jahr immer mehr Schulen und Klassen be‐ teiligt. Am Anfang waren es nur türkische Klassen, dann be‐ teiligten sich im Laufe der Zeit zunehmend auch gemischte Klassen aus deutschen und türkischen Kindern. Im Jahr 1993 waren in 5 Berliner Bezirken, 14 Grundschu‐ len, mit 69 Schulklassen beteiligt, davon waren 38 deutsch‐ türkische Klassen. Insgesamt haben sich 1588 Kinder und mehr als 100 Lehrer am Schulversuch beteiligt. Seit dem Schul‐ jahr 1992/1993 waren auch zwei Vorklassen beteiligt. Die wis‐ senschaftliche Begleitung bestand aus Pädagogen und Lingu‐ isten.
Zur Konzeption Der Koordinierten Zweisprachigen Alphabetisierung Zweisprachige Alphabetisierung‐ wie geht denn das? Die koordinierte zweisprachige Alphabetisierungskonzeption wird auf der Grundlage der systematischen zweisprachigen Erziehung mit den innovativen pädagogischen Ansätzen auf‐ gebaut. Die pädagogischen Ansätze sind vor allem dialogi‐ sches Lesenlernen, Projektunterricht und Binnendifferenzie‐ rung. Die Grundlagen der koordinierten Alphabetisierungs‐ konzeption lassen sich im Einzelnen mit den folgenden Prin‐ zipien beschreiben (Arbeitsstelle, 1993). 327
1) Koordination der Schriftsysteme und Sprachen Es wird begonnen mit Wörtern aus solchen Lauten und Buch‐ staben, die in beiden Sprachen, also in der deutschen und türkischen Sprache, ziemlich gleichlautend ausgesprochen werden. Diese Herangehensweise vereinfacht den Einstieg in die Grundoperationen des Lesens, die eng mit metasprachli‐ chen Begriffen wie Buchstabe, Laut und Wort verbunden sind. Allmählich werden dann die in beiden Sprachen abweichen‐ den, sogenannten Interferenzbuchstaben eingeführt. Hier be‐ ginnt auch der bewusste kindgemäße Sprachvergleich. Es gelingt den Kindern Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und der türkischen Sprache auf den ihnen zugäng‐ lichen Ebenen zu lernen. Die Folgen sind sprachbewusstes Handeln und auffallendes Interesse an beiden Sprachen. Ein Graphem (Buchstabe) wird im Türkischen eingeführt, darauf folgt die Einführung des Graphems im Deutschen. Wie bei einem Reißverschluss ergibt sich eine Verzahnung der Buchstabenfolge. Einige Grapheme sind im Deutschen und im Türkischen unterschiedlich oder es gibt sie in der anderen Sprache gar nicht (Interferenzbuchstaben). Auf diesen Punkt wird ganz besonders geachtet.
2) Koordination der Leselehrmethoden Theoretisch gesehen gibt es unterschiedliche Leselehrmetho‐ den. Für den Schulversuch der zweisprachigen Alphabetisie‐ rung wurde die analytisch‐synthetische Leselehrmethode ge‐ wählt. Diese Lehrmethode ist für beide Sprachen gut geeignet. Durch diese Leselehrmethode können die türkischen Kinder die Grundoperationen des Lesens, die immer zuerst im Türki‐ schen eingeführt werden, leicht auf das Deutsche übertragen.
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Manche türkische Lehrer kannten diese Leselehrmethode nicht, weil sie in ihrer Lehrerausbildung nach der Ganzheits‐ methode ausgebildet wurden. Daher war es notwendig, Lese‐ lehrmethoden zu koordinieren. 3) Koordination des Unterrichtes Die türkische und deutsche Fibel sind sprachlich, inhaltlich und methodisch aufeinander abgestimmt. Daraus folgt, dass sowohl beteiligte deutsche als auch türkische Lehrer mitei‐ nander kooperieren müssen. Die Kooperation der türkischen und deutschen Lehrer ist ein wichtiges Prinzip der zweispra‐ chigen Alphabetisierung. Die türkischen und deutschen Lehrer haben nämlich nicht nur verschiedene Muttersprachen, sondern auch unter‐ schiedliche kulturelle Erfahrungen (Uçar, 1983). Der gemeinsame Unterricht der deutschen und türki‐ schen Lehrer ist nicht nur für die Kinder ein Vorteil, sondern die gemeinsame Unterrichtsvorbereitung der Lehrer fördert bei ihnen auch pädagogische Lernprozesse und hilft, interkul‐ turelle Probleme und Missverständnisse zwischen ihnen zu lösen.
4) Koordination der Interkulturellen Inhalte Die Grundoperationen des zweisprachigen Lesens und Schreibens können jedoch nur zum Erfolg führen, wenn die Wörter und Sätze für die Kinder einen Sinn haben. Daher wird versucht, mit dem Leselehrmaterial an die Lebensbedingun‐ gen und an die interkulturellen Lebenserfahrungen der Kin‐ der anzuknüpfen. Hier wird mit den eingeführten Wörtern Bezug auf Schlüsselsituationen im Leben der Kinder genom‐
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men. Mit der Einführung der Schlüsselwörter soll die Mitar‐ beit an Themen aus der sozialen und kulturellen Lebenswelt der Kinder im Dialog zwischen Schülern und Lehrern ange‐ regt werden.
Ergebnisse Die Ergebnisse des Schulversuchs der zweisprachigen Alpha‐ betisierung wurden wissenschaftlich ausgewertet und mit einem Bericht veröffentlicht. Auszugsweise konnte ich folgen‐ de Erkenntnisse feststellen. „Der Schulversuch zeigt, dass gleichzeitige Alphabetisie‐ rung in zwei Sprachen keine Überforderung für türkische Kinder ist. Ganz im Gegenteil, sie lernen sehr motiviert Lesen und Schreiben, denn sie können dem Unterricht gut folgen, Lernfortschritte in der einen Sprache auf die andere Sprache übertragen und werden über den frühen Vergleich der beiden Sprachen sprachbewusst“ (Arbeitsstelle, 1993: S. 4). Die Kin‐ der lernen in der üblichen Zeit in beiden Sprachen gleich gut lesen und schreiben. Die türkische und deutsche Fibel „Voneinander lernen“ und „Birlikte öğrenelim“ wurden als überarbeitete Auflage herausgegeben. Die Fibel, die Übungsmaterialien und die sonstigen Lehrmaterialien reflektieren die neuesten sprach‐ psychologischen und linguistischen Erkenntnisse über den Schriftsprachenerwerb, ebenso wie neuere pädagogische An‐ sätze der zweisprachigen Ansätze. Das gesamte Lehrwerk ist so konzipiert, dass türkische Kinder ihre Muttersprache und gemeinsam mit deutschen Kindern Deutsch lesen und schrei‐ ben lernen können (Nehr, at al., 1988). Das Modell der koordinierten zweisprachigen Erziehung geht von zwei Personen aus, und die Unterrichtsmaterialien 330
sind dementsprechend aufgebaut. Die deutsche und die türki‐ sche Fibel sind sprachlich, inhaltlich und methodisch so aufei‐ nander bezogen, dass die beteiligten deutschen und türki‐ schen Lehrer auf allen Ebenen miteinander kooperieren kön‐ nen. Den türkischen Lehrern steht hier die Rolle als Vermittler zwischen den Sprachen und Kulturen zu (Ucar, 2005). Daher steht das Kooperationsmodell im Zentrum der koordinierten zweisprachigen Erziehung. Im Kooperationsmodell zwischen den deutschen und türkischen Lehrern geht es um die übli‐ chen Bereiche hinaus. Hier müssen die strukturellen und in‐ haltlichen Konfliktbereiche ebenfalls einbezogen werden. Eine konfliktfähige Kooperationspartnerschaft der deutschen und türkischen Lehrer ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von zweisprachiger und interkultureller Erziehung. Die zweisprachige Alphabetisierung hat gezeigt, dass das Modell günstige Auswirkungen auf den deutschen Schrift‐ sprachenerwerb, die Lesefähigkeit und das gesamte Verhalten der türkischen Kinder hat. Mit hochsignifikanten Ergebnissen wurde die Annahme bestätigt, dass gute Leistungen im Türkischen mit guten Er‐ gebnissen in der deutschen Lesefähigkeit einhergehen und umgekehrt. Diese Ergebnisse unterstützen die sprachpsycho‐ logische Annahme von einer einheitlichen Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten bei der zweisprachlichen Erziehung. Die vorgelegten Ergebnisse zeigen die Machbarkeit und die Erfolge der koordinierten zweisprachigen Alphabetisie‐ rung. 331
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Ein allgemeiner Überblick über bilinguale Kindertagesstätten in Berlin Mehmet ALPBEK
Einführung Die Diskussion über den Spracherwerb von Migranten und deren Nutzung von Sprache wurde in Deutschland insbesondere in den letzten Jahren zum Teil auf polemische Art und Weise geführt. Konservative Kreise sind generell der Meinung, dass der beste Weg zur Anpassung an die deutsche Gesellschaft über den Erwerb der deutschen Sprache führe, und dass eine Bildung in der Muttersprache den Erfolg der Kinder in der Schule verhindere. Ein ganz aktuelles Beispiel dafür ist die Forderung einer deutschen politischen Partei im Jahre 2014, dass “die Migrantenfamilien auch zu Hause Deutsch sprechen sollen“. Trotz der erwähnt Diskussion existieren seit Jahren in mehreren Bundesländern Deutschlands im Vorschul‐ und Schulbereich zwei‐ und mehrsprachige Angebote. In diesem Bei‐ trag werden wir uns mit der Stellung der Zwei‐ bzw. Mehr‐ sprachigkeit in Deutschland und der zwei‐ und mehrsprachi‐ gen Bildung und insbesondere der deutsch‐türkischen zwei‐ sprachigen Bildung in den Kindertagesstätten am Beispiel Berlin befassen. 335
Die Stadien der muttersprachlichen Bildung in Deutschland Die Anzahl der Kinder, die durch die Familienzusammenfüh‐ rung mit der ʺGastarbeiterwelleʺ nach dem II. Weltkrieg in den 50er Jahren in die BRD gekommen sind, stieg seit den 60er Jahren und insbesondere nach 1973 mit dem Ende der ʺGast‐ arbeiteranwerbungʺ weiter an (Boos‐Nünning und Schwarz, 2004: 406). Wegen der föderativen Struktur Deutschlands kann auf Bundesebene nur die Grundstruktur der Bildungspolitik be‐ stimmt werden. So hat jedes Bundesland das Recht, eigene Bildungspolitik zu betreiben. Die einzige assoziative Instituti‐ on in diesem System ist die „Kultusministerkonferenzʺ(KMK). Die KMK hat erstmals 1964 die Stellung der (Migranten) ‐ kinder im (Schul)‐bildungssystem bestimmt. Man ging generell davon aus, dass die sog. ʺGastarbeiterʺ sich nur für eine be‐ stimmte Zeit in der Bundesrepublik aufhalten würden. Es wur‐ de dementsprechend versucht, Bildung betreffende Entschei‐ dungen und Maßnahmen danach auszurichten. In den Be‐ schlüssen der KMK wurde festgehalten, dass die ausländischen Kinder in Deutschland schulpflichtig sind. Insbesondere wurde die Bedeutung der Förderung der muttersprachlichen Bildung betont, da angenommen wurde, dass diese Kinder bald wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren würden. Dadurch verur‐ sachte der Beschluss für lange Zeit de facto eine Segregation, da die Migrantenkinder zwar in deutschen Schulen, jedoch dort in Ausländerklassen bzw. in nationalen Klassen unterrichtet wur‐ den (Boos‐Nünning und Schwarz, 2004: 409). Der oben erwähnte Beschluss wurde in den nachfolgenden Jahren mit kleinen Anpassungen erneuert. In diesen Beschlüs‐ sen wurden zwei Wege beschrieben. Mit den vorgeschlagenen 336
Bildungswegen wurde beabsichtigt, für die Dauer ihres Auf‐ enthalts in der BRD die Integration der ausländischen Kinder in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen, gleichzeitig jedoch bei ihrer Rückkehr ihre Reintegration in die Schulen der Hei‐ matländer zu erleichtern (Damanakis, 1983: 2‐3). Eine Neuausrichtung der KMK‐Beschlüsse begann erst in den 90er Jahren. In dem 1996 beschlossenen und 2013 revidier‐ ten KMK‐Beschluss über die „multikulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ wird betont, dass ein Schwerpunkt in der Schule die interkulturelle Bildung ist. In diesem Zu‐ sammenhang werden die Schulen aufgefordert, entsprechende Konzepte zu erstellen. Es wurde vor allem betont, dass der gemeinsame Unterricht in sämtlichen Fächern die Grundvo‐ raussetzung für einen interkulturellen Lernprozesses ist. In dem Beschluss wird weiterhin Wert darauf gelegt, dass die sprachliche und kulturelle Diversität der Schüler und ihrer Eltern von der Schule als eine Chance betrachtet und in den Schulprogrammen berücksichtigt werden soll. Es wird emp‐ fohlen, dass mehrsprachige Schüler ihre Erfahrung in den Unterricht einbringen und ihre mehrsprachigen Fähigkeiten auch durch den Unterricht in ihren Herkunftssprachen geför‐ dert werden (KMK 1996/2013). In einer gemeinsamen Erklärung der KMK und diverser Migrantenorganisationen wurden 2007 und 2013 die Aner‐ kennung und Beachtung der Herkunftssprachen im Schulsys‐ tem als Ziel beschrieben (KMK, 10.10.2013). Die oben dargelegten Entwicklungen zeigen, dass früh‐ kindliches Lernen am Beginn der Arbeitsmigration kaum Be‐ achtung gefunden hat. Tatsächlich wurden die Migranten‐ kinder erst ab den 70er Jahren in frühkindliche Bildungsorga‐ nisationen gelenkt. Nachfolgend werden wir auf die gesetzli‐ 337
chen Grundlagen der heutigen Verfahren eingehen und prak‐ tizierende zweisprachige Kindertagesstätten in Berlin vorstel‐ len.
Die Rechte des Kindes und die gesetzlichen Grundlagen der frühkindlichen Erziehung in der BRD Die Grundzüge der Kinderrechte und des Bildungs‐ und Pfle‐ gesystems werden durch das Grundgesetz, das Sozialgesetz‐ buch VIII und das Kinder‐ und Jugendhilfegesetz (KJHG) bestimmt. Nach dem Sozialgesetzbuch VIII und dem Kinder‐ und Jugendhilfegesetz (KJHG) hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Per‐ sönlichkeit (SGB VIII, § 1.1; KJHG, § 1.1.). Durch das Sozialgesetzbuch wird weiterhin festgelegt, dass die Jugendhilfe (hier sind Kinder mit eingeschlossen) durch eine Vielfalt von Maßnahmeträgern von unterschiedli‐ cher Wertorientierung, mit dementsprechend unterschiedli‐ chen Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet ist (SGB VIII, § 3). Das Gesetz sieht im Rahmen der Förderung des Entwicklungsstandes des Kindes vor, das Alter und die Entwicklungsstufe, die sprachlichen und anderen Fähigkeiten, die Lebenssituationen, Interessen und Bedürfnisse sowie die ethnische Herkunft des einzelnen Kindes zu berücksichtigen (SGB VIII, § 22). Diese Paragrafen werden bei zwei/mehrsprachigen Bildungsmaßnahmen zu Grunde gelegt. Entsprechend der föderalen Struktur der BRD hat jedes Bundesland ein eigenes Kinder‐ und Jugendhilfegesetz (KJHG). Das Berliner Gesetz wurde zuletzt 2010 aktualisiert (AG KJHG).
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Die Pflege und Erziehung der Kinder bis zum Schulalter in den Bildungseinrichtungen in Berlin sind im Kindertagesstättenförderungsgesetz (KitaFöG) geregelt. Der Inhalt der Bildung in den Berliner Kindertagesstätten richtet sich nach dem Berliner Bildungsprogramm. Im Kindertagesstättenförderungsgesetz (KitaFöG) wird die Förderung des Erwerbs der deutschen Sprache betont, und die dafür erforderlichen Maßnahmen und Methoden werden festgelegt (KitaFöG, § 5a) Das Berliner Bildungsprogramm wiederum versieht die institutionelle frühkindliche Erziehung mit einem multikulturellem Vorzeichen. In diesem Programm wird eine Förderung für die Entwicklung der Kinder in fol‐ genden Bildungsbereichen vorgeschlagen: ‐ Körper : Bewegung und Gesundheit ‐ soziale und kulturelle Umwelt und Kommunikation: Spra‐ chen, Schriftkultur und Medien ‐ Bildnerisches Gestalten ‐ Musik ‐ mathematische Grunderfahrungen ‐ naturwissenschaftliche und technische Grunderfahrungen (Kurzinformation über das Berliner Bildungsprogram, 2004: 7‐8). Das Programm enthält in Bezug auf die Zusammenhänge von Sprache und Kultur folgende Feststellungen: ‐ Sprechen lernen durch kulturelle Zusammenhänge: Kinder erkennen und erlernen Sprachen aus dem Sprachgebrauch in ihren Bezugsgruppen. Die Art zu grüßen, jemanden anzure‐ den oder um etwas zu bitten, kann in der Familie eine völlig andere sein als in der Kita oder Kindertagespflegestelle. Erle‐ ben Kinder, dass alle Sprachen und Sprachkulturen wertge‐ schätzt werden, die in der Kita vertreten sind, fällt es Ihnen 339
leicht, ein positives Verhältnis zu ihren jeweiligen Sprache und Kultur aufzubauen (Berliner Bildungsprogramm, 2014: 102). ‐ Sprachenvielfalt als Ressource und Ziel in Bildungsprozessen: In Kitas und Kindertagespflege im Land Berlin kommen Kin‐ der mit vielfältigen sprachlichen Vorerfahrungen zusammen. Das Erleben anderer Sprachen (…) ist eine Chance. Die Begeg‐ nung mit unterschiedlichen Sprachen und Schriften von klein auf fördert die allgemeine Entwicklung, den kompetenten Umgang mit Situationen, die von sprachlicher Vielfalt geprägt sind und das Weltwissen von Kindern. Die Kinder werden angeregt, über sprachliche und schriftliche Phänomene nach‐ zudenken. Wird mit sprachlicher Vielfalt respektvoll umge‐ gangen, erfahren alle Kinder die Bedeutung von Sprachen in einer globalisierten Welt und für ihre eigene kulturelle Identi‐ tät. In vielen Berliner Familien wir eine andere Sprache als Deutsch gesprochen. Die Familiensprache wird lebendig ge‐ halten und gepflegt u.a. durch Nutzung vielfältiger Medien. Zwei‐ und mehrsprachige Erziehung wirkt sich im Allgemei‐ nen positiv auf die gesamte Entwicklung des Kindes aus. El‐ tern sollten ermutigt werden, mit ihren Kindern die Spra‐ che(n) zu sprechen, in der sie sich selbst am meisten „zu Hau‐ se“ und wohl fühlen. Pädagoginnen und Pädagogen begegnen allen Familiensprachen mit Respekt. Um sich mit Eltern mit geringen Deutschkenntnissen zu verständigen, können geeig‐ nete Personen als Sprachmittler herangezogen werden. Falls erforderlich können wichtige schriftliche Informationen für Eltern auch in ihren Familiensprachen präsentiert werden. Eltern und weitere Sprecher anderer Sprachen werden über Lieder, Geschichten, mündliches Erzählen oder weitere kultu‐
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relle Schätze in die Arbeit der Kita einbezogen (Berliner Bil‐ dungsprogramm, 2014: 102).
Zwei‐ und mehrsprachige Kindertagesstätten in Berlin Nach dem die ʺGastarbeiterʺ der 60er Jahre in der BRD sess‐ haft geworden waren und durch die Familienzusammenfüh‐ rung ihre Partner und Kinder nach Deutschland geholt hatten, kam die Erziehung der Kleinkinder auf die Tagesordnung. Anfang der 70`er Jahre wurde insbesondere in Berlin mit der Errichtung von Kindertagesstätten für Migrantenkinder be‐ gonnen. In dieser Zeit wurden auch türkischstämmige Kin‐ derpflegekräfte eingestellt, so dass die Kinder mit ihnen in der eigenen Sprache kommunizieren konnten (Stange, 2004: 199). Heute existieren in Berlin mehr als 100 Kindertagesstätten und Vorschuleinrichtungen, die zwei‐ bzw. mehrsprachige Erziehung anbieten. Das sind Einrichtungen, die neben der gemeinsamen Weltsprache Englisch auch in den anerkannten europäischen Sprachen wie Deutsch‐Französisch, Deutsch‐ Spanisch, Deutsch‐Italienisch und in weiteren Sprachen wie Chinesisch, Hebräisch, Kurdisch, Polnisch, Portugiesisch, Rus‐ sisch, Türkisch und Griechisch unterrichten. Daneben gibt es auch Kindergärten, in denen in Gebärdensprache unterrichtet wird. Während die Mehrheit dieser Kindertagesstätten nur frühkindliche oder vorschulische Bildung anbietet, beginnen andere Einrichtungen mit ihrer zweisprachigen Bildung im Kindergartenalter und begleiten dann die Kinder bis zum Abitur (Phorms Education SE, TÜDESB). In Berlin gibt es 17 Kindertagesstätten, die mit unter‐ schiedlichen Konzepten deutsch‐türkische Bildung anbieten. Obwohl die Konzepte der deutsch‐türkischen und mehrspra‐ 341
chigen Kindertagesstätten sehr ähnlich sind, hat jede Kinder‐ tagesstätte und Trägerinstitution eigene Schwerpunkte. Die Konzepte einiger dieser Kindertagesstätten werden unten vorgestellt: In der ʺEuropa‐Kitaʺ der AWO wird mit dem Konzept der Zweisprachigkeit nicht nur das Sprachenlernen der Kinder angestrebt. Die Kinder und ihre Eltern sollen sich auch ande‐ ren Kulturen öffnen und sich für diese interessieren. So kön‐ nen die Tendenzen des Abstandhaltens und Ausgrenzens verringert und unterschiedliche Kulturen und Sprachen als alltäglich empfunden werden. Darüber hinaus werden behin‐ derte und nicht‐behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. In den Kindertagesstätten der ʺIna‐Kindergarten gGmbHʺ wird dafür geworben, dass die Diversität der Fami‐ lien, ihre Sprachen und ihr Glauben, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Menschen als Anziehungspunkte und die Multikulturalität als eine Ressource gesehen werden, und es wird betont, dass das gesamte Team bewusst nach einem gegen Vorurteile aufgestellten Bildungs‐ und Erziehungskon‐ zept arbeitet (www.inakindergarten.de/kitas/dresdener _strasse.php). Bei ʺKibestʺ ‐ einem Statdtteilkindergarten ‐ wird das Zu‐ sammenleben der Kinder unterschiedlicher Herkunft durch gemeinsames Spielen, Lernen und Arbeiten unterstützt, wobei gegenseitiger Respekt und Verständnis und das Interesse an unterschiedlichen Kulturen im Vordergrund stehen. Die För‐ derung der türkisch‐deutschen Erziehung ist einer der Schwerpunkte der Arbeit dort (www.kibest.de). In einem anderen Stadtteilkindergarten (ʺKinder aus Kreuzbergʺ) wird darauf hingewiesen, dass man hier die ge‐ meinsamen Eigenschaften der Kinder aus unterschiedlichen 342
Kulturen beachtet und somit verschiedene Sprachen und Dia‐ lekte verwendet (www.kinderauskreuzberg.de). Auch in dem Kindergarten „Komşu“ (Nachbar) in Berlin‐ Kreuzberg gilt die Maxime „eine Sprache, ein Mensch“. In jeder Gruppe arbeiten eine deutsche und eine türkischer Er‐ zieherperson zusammen. Es wird betont, dass die beiden Sprachen in täglichen Situationen gleichberechtigt verwendet werden (www.komsu‐kinder.de). In dem Konzept der Kita „Kleiner Frosch“ von dem Tür‐ kischen Elternverein wird darauf hingewiesen, dass die Kin‐ der dort sowohl in Deutsch als auch in ihrer Muttersprache gefördert werden. Der ʺVerein zur Förderung ausländischer und deutscher Kinderʺ (VAK) wurde 1971 in Berlin gegründet und verfolgt u.a. das Ziel, die Zwei‐ und Mehrsprachigkeit zu entwickeln. VAK war eine der ersten Einrichtungen, die zweisprachige Bildung in Deutsch‐Türkisch angeboten haben. Deshalb möch‐ ten wir das Konzept des VAK etwas näher betrachten. VAK betreibt zur Zeit zwei Kindertagesstätten. Eine die‐ ser Kindertagesstätten arbeitet nach einem zweisprachigen (Deutsch‐Türkisch) und die andere wiederum nach einem mehrsprachigen Konzept. Bei beiden Konzepten wird darauf hingewiesen, dass die Sprachenvielfalt der Kinder als eine Ressource gesehen wird und die Grundlage der Sprachent‐ wicklung darin besteht, die Sprachen der Kinder anzuerken‐ nen und wertzuschätzen (VAK Çocuk Yuvalarının Konsepti, Türkçe, 2012: 12). Dass sich die Mehrsprachigkeit in allen Kommunikati‐ onsfeldern in einer Kindertagesstätte widerspiegelt, wird in der Kindertagesstätte der VAK in der Oranienstrasse wie folgt betont: 343
• in unserer Kindertagesstätte sind die Beschriftungen zweisprachig,
• die Eltern erhalten Informationen auf Deutsch und Türkisch,
• Kinderbücher und Liederbücher sind auf Deutsch und Türkisch,
• die von den Kindern gebastelten Gegenstände (Bil‐ der/Handarbeit) werden zweisprachig beschriftet,
• die Kommunikation erfolgt zweisprachig, • die Gespräche in den Elternabenden werden grund‐ sätzlich übersetzt, • die Elterngespräche werden nach Wunsch auf Deutsch oder auf Türkisch gehalten (VAK Çocuk Yuvalarının Konsepti, Türkçe, 2012: 21‐22). Zu den die Zielen der Kindertagesstätte des VAK in der Reichenberger Str. zählen u.a. die Anerkennung und Wert‐ schätzung der unterschiedlichen Sprachen der Kinder, d.h. diese Sprachen sollen in der Kindertagesstätte wahrgenom‐ men und gehört werden können. Auch wenn die deutsche Sprache die gemeinsame Kommunikationssprache ist, werden zur Kommunikation bei Bedarf die Muttersprachen der Kin‐ der eingesetzt (VAK Çocuk Yuvalarının Konsepti, Türkçe, 2012: 25‐26). Nach dem VAK‐Konzept wird die mehrsprachige Bil‐ dung nicht als eine isolierte Maßnahme, sondern im Rahmen der Entwicklung der interkulturellen Kompetenzen, der be‐ wussten Bildung gegen Vorurteile und der Bildungspartner‐ schaft mit den Eltern verwirklicht (VAK Çocuk Yuvalarının Konsepti, Türkçe, 2012: 27). In den beiden Kindertagesstätten arbeitet jeweils ein auf die Sprachentwicklung spezialisierter Erzieher. Die Gruppen 344
der Kindertagesstätte in der Oranienstrasse, in der zweispra‐ chige Bildung angeboten wird, werden von einem deutsch‐ türkischen Team geleitet, und es herrscht die Maxime „eine Sprache, ein Mensch“ (Die Erzieher sprechen mit den Kindern in ihren eigenen Muttersprachen, die Kinder dürfen jedoch jede Sprache benutzen). Es ist nach folgenden, eigens für die pädagogischen Tätigkeiten festgelegten Kriterien beabsichtigt, die zweisprachige Bildung der Kinder zu vereinfachen: 1. Positive Haltung gegenüber der Zweisprachigkeit 2. Durchführung von Kinderversammlungen in unserer Kindertagesstätte 3. Bereitstellen von Zeit für das Lesen und Erzählen von Geschichten 4. Das Vorhandensein von zweisprachigen Kindern und Familien soll sich in der Ausstattung der Gruppen‐ zimmern widerspiegeln 5. Projektarbeit in den Gruppen 6. Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten Auch die Kita in der Reichenberger Strasse wendet diese ʺSechs Punkteʺ an. Da es hier Kinder mit den unterschiedlichs‐ ten Sprachen gibt, ist die sprachliche Bildung nicht auf die „Zweisprachigkeit“ begrenzt. Die Grundidee ist jedoch die gleiche: Die unterschiedlichen Sprachen der Kinder werden wertgeschätzt und anerkannt, man bemüht sich, dass auch das Personal in der Kindertagesstätte die Sprachen der Kinder sprechen kann. Die Aushänge in der Kindertagesstätte erfol‐ gen in unterschiedlichen Sprachen, und auch Bücher und CDs sind in unterschiedlichen Sprachen vorhanden. Auch hier werden die Gruppen jeweils von zwei Erzie‐ hern geleitet, die außer ihrer Muttersprache noch eine weitere
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Sprache sprechen können (VAK Çocuk Yuvalarının Konsepti, Türkçe, 2012).
Fazit Diese Arbeit befasst sich mit den gesetzlichen Grundlagen der frühkindlichen zwei‐ bzw. mehrsprachigen Bildung in Deutschland und mit den Bildungsinhalten und Bildungskon‐ zepten der vorhandenen deutsch‐türkischen Kindertagesstät‐ ten. Warum es in einer Stadt wie Berlin, in der mehr als 100.000 Staatsbürger aus der Türkischen Republik und tür‐ kisch‐stämmige Menschen leben, nicht noch mehr deutsch‐ türkische Kindertagesstätten gibt, konnte hier nicht behandelt werden. Dies wäre eine dringende Aufgabe für weitere For‐ schungen.
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Anhang: Liste der deutsch‐türkischen Kindertagesstätten in Berlin Europa‐Kita /Arbeiterwohlfahrt Berlin Blücherstraße 46 www.awo‐mitte.de AWO Kita Löwenzahn, Baerwaldstrasse 56 www.awo‐mitte.de INA.KINDERGARTEN Grüntaler Str. 34 www.inakindergarten.de INA.KINDERGARTEN Dresdener Str. 128 www.inakindergarten.de Kibest‐interkulturelle Kinderbegegnungsstätte Nehringstraße 16 a www.kibest.de Kita Mondsichel ʺCemiyet‐i Nisaʺ e.V., Boppstr. 4 Komsu e. V. Paul‐Lincke‐Ufer 12 www.komsu‐kinder.de KOTTI‐Kita Adalbertstr. 87 ve 88 www.kotti‐berlin.de KOTTI‐Kita Dresdener Str. 14 www.kotti‐berlin.de KOTTI‐Kita Alte Jakobstr. 172 www.kotti‐berlin.de KITA Küçük Kurbağa (kleiner Frosch), Türkischer Elternverein Berlin‐ Brandenburg e.V. Lübecker Str. 32 www.tevbb.de TÜDESB Bildungsinstitut Berlin‐Brandenburg e. V. TÜDESB betreibt in Neukölln, Rixdorf, Spandau und Wedding vier Kin‐ dertagesstätte mit dem Namen Kinderparadies www.tuedesb.de VAK‐Kita Oranienstr. 4 www.vak‐kindertagesstaetten.de VAK‐Kita Reichenbergerstrasse 156 a www.vak‐kindertagesstaetten.de
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Bilinguale Erziehung in der FRÖBEL‐ Gruppe Annegret KIESCHNICK
Einleitung Sprachliche Kompetenzen sind eine Schlüsselqualifikation in der Bildung von Kindern. Sie sind entscheidend, um mit ande‐ ren in Kontakt zu treten, sich mitzuteilen und um andere zu verstehen. Ein Großteil der Menschen wächst mit mehreren Sprachen auf – Mehrsprachigkeit ist somit weltweit keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Durch die Globalisierung gewinnt die Verständigung im privaten und beruflichen Kon‐ text in verschiedenen Sprachen zudem immer mehr an Bedeu‐ tung. Mehrere Sprachen zu sprechen, erhöht folglich die Mög‐ lichkeit, sich mit Menschen aus aller Welt auszutauschen und mit verschiedenen Kulturen direkt in Kontakt zu treten. Da jedes Kind grundsätzlich über die Fähigkeit verfügt, neben der Muttersprache mindestens eine weitere Sprache zu erwerben, unterstützt FRÖBEL einen frühzeitigen Kontakt zu einer Fremdsprache.
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Der FRÖBEL e. V. ist ein freier Träger der Jugendhilfe. In regionalen Gesellschaften betreibt er über 140 Krippen, Kindergärten, Horte und andere Einrichtungen der Jugend‐ hilfe und schafft qualitativ hochwertige Betreuungssettings für rund 12.000 Kinder in Deutschland, Sydney und Mel‐ bourne (Australien), Istanbul (Türkei) und Poznań (Polen).
Bilinguale Erziehung in FRÖBEL‐Krippen, ‐Kindergärten und ‐Horten In einem Teil unserer Einrichtungen ist der FRÖBEL‐ Schwerpunkt Bilinguale Erziehung bereits im Rahmen alltags‐ integrierter Sprachförderung fest verankert. In diesen Krip‐ pen, Kindergärten und Horten werden die Kinder sowohl von deutschsprachigen als auch von einem Anteil fremdsprachiger pädagogischer Fachkräfte betreut. Zumeist können die Kinder beim Besuch einer solchen Einrichtung mit der englischen Sprache in Kontakt treten, aber auch Polnisch, Italienisch und Spanisch werden vereinzelt angeboten. Perspektivisch wird dieser Schwerpunkt in allen FRÖBEL‐Einrichtungen aufge‐ baut. Das frühe Heranführen an eine weitere Sprache fördert kommunikative und sprachliche Kompetenzen der Kinder sowie die Offenheit und Fähigkeit für das Erlernen von Spra‐ chen im Allgemeinen. Bilinguale Erziehung bietet darüber hinaus die Chance, andere Kulturen kennenzulernen und interkulturelle Kompetenzen zu erwerben.
In einer anderen Sprache baden Die Bilinguale Erziehung bei FRÖBEL orientiert sich an dem Prinzip von Immersion. Dabei sind zwei Sprachen selbstver‐ 350
ständlicher Teil des pädagogischen Alltags. Die Kinder tau‐ chen in Form eines „Sprachbads“ in eine Fremdsprache ein – wie beim Erwerb der Muttersprache. Dieses „natürliche Fremdsprachenlernen“ unterscheidet sich so von Sprachlern‐ methoden, bei denen eine andere Sprache bewusst beigebracht wird. Dadurch wird ein natürlicher und positiv besetzter Erst‐ kontakt mit einer Fremdsprache ermöglicht, der von den Kin‐ dern über die Intensität der Kontaktaufnahme mitgestaltet wird. Gleichzeitig erleben sie eine Stärkung ihrer Selbstwirk‐ samkeit.
Zweisprachige Ausgestaltung des Alltags Voraussetzung für die bilinguale Arbeit in den FRÖBEL‐ Einrichtungen ist, dass die pädagogischen Fachkräfte ihre Sprache konsequent in allen pädagogischen Alltags‐ und Themenbereichen anwenden. Damit haben die Kinder den gesamten Tag über die Möglichkeit, mit einer anderen Sprache in Berührung zu kommen und in das „Sprachbad“ einzutau‐ chen. Wichtigstes Ziel ist, den Kindern so viele Sprachanlässe wie möglich zu bieten. Um eine qualitativ hochwertige pädagogische Betreuung zu sichern, ist das Buch „Pädagogische Qualität in Tageseinrich‐ tungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog“(NKK) heraus‐ gegeben von Wolfgang Tietze und Susanne Viernickel (2013) unser fachlicher Orientierungsrahmen. In der Neuauflage wurde in Zusammenarbeit mit FRÖBEL der NKK im Quali‐ tätsbereich „Sprache, Mehrsprachigkeit und Bilinguale Erzie‐ hung“ um Kriterien für Bilinguale Erziehung erweitert. We‐ sentliches Kriterium ist, wie bereits erwähnt, das Prinzip „Eine Person, eine Sprache“. Das bedeutet, dass die Pädagoginnen und Pädagogen im Alltag in „ihrer“ Sprache bleiben und nicht 351
die Sprachen wechseln. Im Alltag kann beispielsweise der Morgenkreis in Deutsch oder in der Fremdsprache durchge‐ führt werden, ebenso finden pädagogische Aktivitäten wie Vorlesen, Basteln oder Experimentieren in mehreren Sprachen statt. Untersuchungen zeigen, dass es sich positiv auf die Sprachkompetenzen von Kindern auswirkt, wenn die päda‐ gogischen Fachkräfte implizite Sprachlehrstrategien anwen‐ den (vgl. Beller & Beller, 2009; Hopp et al., 2010; Rothweiler & Ruberg, 2011). Egal in welcher Sprache die Kinder sprechen, die fremdsprachige pädagogische Fachkraft greift das Gesagte in der Fremdsprache auf und antwortet dem Kind in vollstän‐ digen Sätzen und erweitert gegebenenfalls die Aussage. Kind: „Heute holt mich Oma ab“ Fremdsprachige pädagogische Fachkraft: „Oh, great, your grandma is picking you up. Are you going to the park with grandma?“ Bei ihrer Antwort orientiert sich die Fachkraft an den sprachlichen Kompetenzen des Kindes und achtet darauf, dass den Kindern das Gesagte kontextbezogen verständlich ist. Ebenso ist die Fachkraft darauf bedacht, ihr Handeln im All‐ tag sprachlich zu begleiten, um ihrer Aufgabe als Sprachmo‐ dell für die Kinder gerecht zu werden. Beispielsweise begleitet sie das Anziehen oder das Freispiel der Kinder sprachlich. Fremdsprachige pädagogische Fachkraft: „Oh, that`s a beautiful red jacket. Put your hat on, it`s windy outside“. Auch werden den Kindern sprachliche Routinen angebo‐ ten, an denen sie sich orientieren können. Sie beginnen das gemeinsame Essen mit einem Tischspruch und begrüßen und verabschieden Kinder in ähnlicher Art und Weise. Auch sind 352
Wiederholungen von Liedern oder vorgelesenen Geschichten eine gute Möglichkeit, die Sprachkompetenzen der Kinder zu erweitern. Ebenso verfügen die Fachkräfte der Einrichtung über Wissen in den Bereichen Erst‐ und Zweitspracherwerb von Kindern und können dementsprechend Beobachtungen, bei‐ spielsweise über Codeswitching der Kinder, als Merkmal des Zweitspracherwerbs einordnen. Von großer Bedeutung ist zu jedem Zeitpunkt das Prin‐ zip der freien Sprachenwahl. Die Kinder entscheiden, in wel‐ cher Sprache sie mit den pädagogischen Fachkräften sprechen und werden in keiner Weise zu einer Antwort in einer be‐ stimmten Sprache genötigt.
Sprachenfreundliche Lernumgebung Die Umgebung in Krippe, Kindergarten oder Hort ist so ge‐ staltet, dass sich viele Sprachanlässe ergeben. Denn je varian‐ tenreicher der Input in den Sprachen gestaltet wird und die Themen der Kinder aufgegriffen werden, desto eher lernen die Kinder die Sprache. Und je enger die Beziehung zwischen Kind und fremdsprachiger pädagogischer Fachkraft ist, desto eher wird das Kind den sprachlichen Input aufgreifen und selbst produzieren. Als Gesprächsanlass sind beispielsweise viele Bilder oder Fotos der Kinder vorhanden, ebenso laden Rollenspielbereiche, Handpuppen, Kindertelefon zu Gesprä‐ chen ein. Erweitert wird die Lernumgebung der Kinder durch ent‐ sprechendes Material in der Fremdsprache der Einrichtung, wie ein reichhaltiges Angebot an zweisprachigen Büchern, Hörbüchern und CDs. Sprachenvielfalt wird außerdem durch Namensschilder an Garderoben und Fächern sowie mehrspra‐ 353
chigen Beschriftungen von Objekten und Werken der Kinder in der Einrichtung sichtbar.
Zusammenarbeit mit Familien Der Zusammenarbeit mit der Familie kommt in diesem Be‐ reich eine große Bedeutung zu. Es ist entscheidend, die Fami‐ lien von vornherein ausführlich über das Konzept der Bilin‐ gualen Erziehung in Krippe, Kindergarten oder Hort zu in‐ formieren. Damit kann von Beginn an ausgeschlossen werden, dass falsche Erwartungen über die zu erwerbenden Kompe‐ tenzen entstehen. Die fremdsprachigen pädagogischen Fach‐ kräfte informieren die Familien regelmäßig über die Sprach‐ kompetenzen in der Fremdsprache.
Herausforderung für Teams Für Teams in Einrichtungen mit einem bilingualen Schwer‐ punkt ergibt sich täglich die Herausforderung, den Alltag so zu gestalten, dass alle Sprachen ihre Berechtigung im Neben‐ einander finden. Ebenso erfordert es Absprachen im Team, wann beispielsweise ein Kollege oder eine Kollegin überset‐ zend in einer Situation unterstützt. In diesem Fall ist entschei‐ dend, dass die deutschsprachige Fachkraft nicht alles eins zu eins übersetzt, sondern wenn nötig den Inhalt noch einmal umformuliert (paraphrasiert). Auch Rückmeldungen, inwie‐ weit die Bedeutung des Gesprochenen vom Kontext heraus verständlich ist, geben wertvolle Informationen zur Umset‐ zung der Bilingualen Erziehung. Grundsätzlich muss das Team gemeinsam einen Weg finden, wie man am besten mit‐ einander kommuniziert und die pädagogische Arbeit – auch in verschiedenen Sprachen – gestaltet. Dies kann nur im Ge‐ 354
samtteam stattfinden und muss immer wieder reflektiert und gegebenenfalls angepasst werden. Insgesamt ist die Umsetzung einer bilingualen Erziehung in Krippe, Kindergarten oder Hort für die Beteiligten eine herausfordernde Aufgabe, die im Gegenzug für alle eine gro‐ ße Bereicherung des Alltags darstellt.
Literaturverzeichnis BELLER, S. & BELLER, E. K. (2009), Abschlussbericht des Projekts: Systematische sprachliche Anregung im Kindergartenalltag zur Erhöhung der Bildungschancen 4‐ und 5‐jähriger Kinder aus so‐ zial schwachen und Migrantenfamilien ‐ ein Modell der päda‐ gogischen Intervention, (12.01.2015) HOPP, H., THOMA, D. & TRACY, R. (2010), Sprachförderkompetenz pädagogischer Fachkräfte. Ein sprachwissenschaftliches Modell, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 13(4), 609–629 ROTHWEILER, M. & RUBERG, T. (2011), Der Erwerb des Deutschen bei Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren ; eine Expertise der Weiter‐ bildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). [Spra‐ che], München Momentan in Überarbeitung: TIETZE, W., VIERNICKEL, S. (Hrsg.), DITTRICH, I., GRENNER, K., GROOT‐WILKEN, B., SOMMERFELD, V. & HANISCH, A. (4. Aufl. 2013). Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog, Berlin
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KAPITEL III
CURRICULARE ÜBERLEGUNGEN FÜR BILINGUALE LEHRKOMPETENZEN
Überlegungen zum Aufbau eines interna‐ tionalen Bachelor‐Plus‐Studienganges „Bilinguale Bildung und Erziehung“ am Beispiel der Uludağ Universität Anastasia ŞENYILDIZ, Şeref KARA und Gülten GÜLER
Einleitung Sowohl in Deutschland als auch in der Türkei gibt es Bedarf an pädagogischen Fachkräften für bilinguale Kindertagesein‐ richtungen. Denn es ist klar, dass das von der Europäischen Union angestrebte Ziel der Mehrsprachigkeit, ausgedrückt durch die Formel 1+2 (eine Erstsprache plus zwei Fremdspra‐ chen), sich am besten durch eine früh einsetzende institutio‐ nelle Sprachförderung erreichen lässt. Die Forschung zu der sogenannten kritischen Phase zeigt, dass bestimmte Bereiche einer fremden Sprache im frühen Alter problemlos erworben werden können (Wild, 2014: 19ff). Die Vorteile, die durch die frühe Mehrsprachigkeit für das Individuum und die Gesell‐ schaft entstehen, sind enorm (Rehbein, 2014: 279ff.). Dabei gilt die Immersion – oft als das Eintauchen ins Sprachbad be‐ zeichnet – als besonders effektiv (Wode, 2009). Meist erfolgt sie nach dem Prinzip „eine Person – eine Sprache“. Umso erstaunlicher ist es, dass bisher kein einziger Studi‐ engang, weder in Deutschland noch in der Türkei, eine ent‐ 359
sprechende Ausbildung anbietet. Dabei könnten pädagogische Fachkräfte, versiert in der bilingualen Erziehung, in beiden Ländern von großem Nutzen sein. In Deutschland könnten sie einen wichtigen Beitrag zur Integration türkischsprachiger Migranten leisten und deren Kinder dabei fördern, sich beide Sprachen und Kulturen zu eigen zu machen: „Kinder aus Zuwandererfamilien sind zum Erhalt ihrer Erstsprache und zur Entwicklung ihrer Zweit‐/Drittsprache auf wohlwollende Unterstützung angewiesen“ (Apeltauer, 2013: 159). In der Türkei werden solche Fachkräfte zum einen in privaten bilin‐ gualen Kindergärten benötigt, die dem wachsenden Wunsch der Elternschaft nach einer frühen Fremdsprachenvermittlung nachzukommen versuchen (Şenyıldız, 2013: 206). Zum ande‐ ren wären (geplante) staatliche Förderprogramme, in deren Rahmen Pädagogen ins Ausland entsandt werden, ein mögli‐ cher Arbeitsbereich. Wie könnte eine entsprechende Hochschulausbildung aussehen? Wie kann eine internationale Akzeptanz eines sol‐ chen Ausbildungsprogramms erreicht werden?
Überlegungen zum Bachelor‐Studiengang „Bilinguale Bildung und Erziehung“ Schon seit einigen Jahren gibt es an der erziehungswissen‐ schaftlichen Fakultät der Uludağ Universität Überlegungen, die Aus‐ bzw. Fortbildung von Fachkräften für bilinguale Kindertagesstätten in Form eines Master‐ oder Zertifikatsstu‐ diums anzubieten. Ein Bachelor‐Studiengang würde jedoch erhebliche Vorteile bedeuten: - eine systematische Einbindung des Themenkomplexes „Bilingualismus“ in die Ausbildung, - die zur Verfügung stehende Zeit, 360
- Praktikumsmöglichkeiten in bilingualen Kindertages‐ stätten im In‐ und Ausland. Die für die Zulassung von Studienprogrammen zustän‐ dige Institution in der Türkei ist der Hochschulrat (türk.: YÖK – Yüksek Öğretim Kurulu). Alle erziehungswissenschaftlichen Fakultäten der Türkei obliegen einer starken Regelung seiner‐ seits. Er trifft Entscheidungen über die Zulassungsbedingun‐ gen für Studienanwärter, Studienordnungen und gibt landes‐ weit einheitliche Studien‐ und Seminarinhalte vor. Aus diesem Grund gibt es z. B. für pädagogische Studiengänge in der Tür‐ kei keine Akkreditierungsverfahren. Pragmatisch gesehen kann der neue Bachelor‐ Studiengang „Bilinguale Bildung und Erziehung“ auf der Grundlage des bereits bestehenden Studienganges „Frühpä‐ dagogik“ (türk.: Okul Öncesi Öğretmenliği) aufgebaut wer‐ den. Die Bezeichnung sollte dabei als Analogie zur (Zu‐ satz)Hochschulausbildung „Bilinguales Lehren und Lernen“ gesehen werden. Wichtig ist dabei Folgendes: Die notwendige Spezialisierung auf dem Gebiet der bilingualen Frühförderung soll über die zur Auswahl stehenden Wahlpflichtseminare erfolgen. Denn diese werden von den einzelnen Universitäten und nicht vom Hochschulrat vorgegeben. Wie es aussehen könnte, möchten wir im Folgenden am Beispiel der Uludağ Universität zeigen. Zunächst soll aber ein Überblick über den dort bestehenden Bachelor‐Studiengang „Frühpädagogik“ gegeben werden. Die Abteilung für Frühpädagogik der Uludağ Universität ist in die Abteilung für die Grundschulpädagogik der erzie‐ hungswissenschaftlichen Fakultät eingegliedert. Im Sommer‐ semester 2015 waren dort insgesamt 427 Bachelor‐Studierende eingeschrieben. Sie studieren über acht Semester und belegen 361
jedes Halbjahr Lehrveranstaltungen, die in ihrem Arbeitsauf‐ wand mit insgesamt 30 ECTS‐Punkten (European Credit Transfer System ‐Punkten) bewertet werden. Der Abschluss wird somit mit 240 ECTS‐Punkten erreicht. Die Lehrveranstaltungen lassen sich sechs Modulen zu‐ ordnen: - Modul „Allgemeines“: Dieses für alle Studierenden der Uludağ Universität verpflichtende Modul besteht aus acht Lehrveranstaltungen mit den Schwerpunkten türkische Sprache, Geschichte und Computer. - Modul „Fremdsprache“: Im ersten und zweiten Se‐ mester gibt es ein dreistündiges Fremdsprachensemi‐ nar (Englisch, Deutsch oder Französisch), das von al‐ len Studierenden belegt werden muss. - Modul „Erziehungswissenschaften“: Es umfasst zehn obligatorische Lehrveranstaltungen an der erzie‐ hungswissenschaftlichen Fakultät. Dazu gehören Er‐ ziehungsphilosophie, Erziehungspsychologie, Klas‐ senmanagement, Schulsystem und Schulverwaltung u. v. m. - Modul „Praktika“: Auch dieses Modul gibt es in allen Abteilungen der erziehungswissenschaftlichen Fakul‐ tät. Studierende der Frühpädagogik haben Praktika im zweiten, siebten und achten Semester in staatlichen und privaten Kindergärten und Vorschulen. Auf die Module „Frühpädagogik“ und „Wahlpflichtse‐ minare“ soll im Folgenden aufgrund ihrer Bedeutung für den geplanten Studiengang näher eingegangen werden. Das Modul „Frühpädagogik“ besteht aus 21 Lehrveran‐ staltungen: 362
Tabelle 1: Lehrveranstaltungen des Moduls „Frühpädagogik“ Lehrveranstaltung
Semester 1 Einführung in die Frühpäda‐ gogik Menschliche Anatomie und Physiologie Psychologie Semester 2 Mutter‐Kind‐Gesundheit und Erste Hilfe Semester 3 Frühkindliche Entwicklung I Kreativitätsförderung Semester 4 Frühkindliche Entwicklung II Mathematische Frühförde‐ rung Seelische Gesundheit Theaterpädagogik Semester 5 Körpererziehung und Spiel Musikalische Frühförderung I Forschungsmethoden Frühe Kunstförderung Semester 6 Materialentwicklung Musikalische Frühförderung II Statistik
ECTS (Uludağ Universität)
SWS Theorie (+ggf. Praxis)
5
3
6
3
5
2
9
3
5 5
3 3 + 2
5 5
3 3
3 3
3 2 + 2
3 3 3 3
2 + 2 1 2 2 + 2
4 3
2 2 + 2
3
2
363
Semester 7 Elternbildung Forschungsprojekt I Semester 8 Übergang Grundschule Forschungsprojekt II
4 4
2 1 + 2
5 6
2 1 + 2
Es sei noch einmal betont, dass die oben erwähnten Lehr‐ veranstaltungen, ihre Verteilung auf die einzelnen Semester und die Semesterwochenstunden seitens des Hochschulrates zentral vorgegeben werden. Auch der geplante Studiengang „Bilinguale Bildung und Erziehung“ müsste diese Lehrveran‐ staltungen beinhalten. Das Modul „Wahlpflichtseminare“ wird durch die Ver‐ ordnung des Hochschulrates von 2010 geregelt, in der der Anteil von Wahlpflichtseminaren für alle türkischen Universi‐ täten auf 25% des Lehrdeputats festgesetzt wird. Die Studie‐ nordnung der Uludağ Universität sieht im Bachelor‐ Studiengang „Frühpädagogik“ den folgenden ECTS‐Anteil mit der sich daraus ergebenden Anzahl von Wahlpflichtsemi‐ naren vor: Tabelle 2: Zahlen zum Modul „Wahlpflichtseminare“ Semester ECTS‐Punkte für Wahlpflichtseminare (Uludağ Universität) 1 ‐ 2 5 3 14 4 6 5 9 6 9 7 9 8 8
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Anzahl von Wahlpflichtseminaren (Uludağ Universität) ‐ 2 3 2 2 3 2 2
Insgesamt werden also innerhalb von sieben Semestern 16 Wahlpflichtseminare mit 60 ECTS‐Punkten belegt. Diese Seminare ließen sich nutzen, um Studieninhalte mit dem Schwerpunkt „Bilinguale Bildung und Erziehung“ zu vermit‐ teln. Mit anderen Worten: Die Spezialisierung könnte im Rahmen dieses Moduls erfolgen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des neuen Studiengan‐ ges sollte der Erwerb und die Weiterentwicklung von Deutschkenntnissen sein, die als eine Studienvoraussetzung zu definieren sind. Bei fehlenden Deutschkenntnissen ist die Vorbereitungsklasse, d. h. ein intensiver Sprachunterricht (24 Semesterwochenstunden) über zwei Semester, zu besuchen. Eine ähnliche Regelung gilt an der Uludağ Universität neben der Abteilung für die Fremdsprachenlehrerausbildung auch in der Archäologie‐Abteilung. Zu bedenken ist dabei, dass die Vorbereitungsklasse nur dann als eine Studienvoraussetzung gelten kann, wenn der Anteil an fremdsprachlichen Seminaren im Studiengang mindestens 30 % beträgt. Dies würde bedeu‐ ten, dass alle Wahlpflichtseminare auf Deutsch angeboten werden müssten. Hier könnte eine interdisziplinäre Koopera‐ tion mit der Abteilung für die Deutschlehrerausbildung ab‐ gewogen werden. Die Fortführung des Deutschunterrichts mit dem Ziel, ei‐ ne Weiterentwicklung der erworbenen Fremdsprachenkennt‐ nisse zu gewährleisten, soll im Fremdsprachen‐Modul im ersten und zweiten Semester erfolgen. Gleichzeitig kann dabei eine Sensibilisierung für den späteren Arbeitsbereich erfolgen, z. B. durch eine wohldurchdachte Auswahl von kindgerechten Themen, Textsorten und Materialien. Im weiteren Verlauf des Studiums bekommen die Studierenden die Möglichkeit, in deutschsprachigen Wahlpflichtseminaren ihre bestehenden 365
Sprachkompetenzen als Verschränkung von Fremdsprachen‐ lernen und Sachfachlernen (Content and Language Integrated Learning) zu erweitern. Es ist nicht die Aufgabe dieser Publikation, eine detail‐ lierte Ausarbeitung der Seminarbezeichnungen und ‐inhalte zu geben. Vielmehr sollte dies in Zusammenarbeit mit den beteiligten Hochschullehrenden geschehen. Dennoch möchten wir kurz skizzieren, welche Themen das Wahlpflichtmodul „Frühe bilinguale Bildung“ abdecken sollte: - Bilingualismus und Mehrsprachigkeit, - Immersion und Methoden der bilingualen Erziehung, - kindlicher Spracherwerb und Sprachgebrauch (mono‐ lingual und bilingual), - Sprachstandsfeststellung, - sprachliche Frühförderung, - Elternkooperation und ‐beratung, - professionelles Handeln, - interkulturelle Kommunikation. Fassen wir zusammen: Auf der Grundlage des vorhan‐ denen Bachelor‐Studienganges „Frühpädagogik“ der Uludağ Universität könnte der neue Bachelor‐Studiengang „Bilinguale Bildung und Erziehung“ durch eine entsprechende Gestaltung von Wahlpflichtseminaren eingerichtet werden.
Überlegungen zu einem internationalen Bachelor‐Plus‐ Studiengang „Bilinguale Bildung und Erziehung“ Internationale Studienprogramme – etwa 200 an der Zahl – erfreuen sich in der Türkei einer großen Beliebtheit. Als Bei‐ spiel hierzu kann der internationale Bachelor‐Studiengang im Fach Soziale Arbeit zwischen der Hacettepe Universität und 366
der Alice Salomon Hochschule Berlin angeführt werden. Die dort verwendete Bezeichnung „das Bachelor‐Plus‐Programm” (türk.: Artı Lisans Programı) (Tomanbay, 2013: 449) wird auch von uns übernommen. Es handelt sich somit um ein neues Studienmodell, das zu den im türkischen Hochschulsystem bereits bestehenden Optionen (BA, BA + Nebenfach, BA + Hauptfach) hinzukommt. Gerade im Hinblick auf die Schwerpunktsetzung des ge‐ planten Bachelor‐Studienganges „Bilinguale Bildung und Er‐ ziehung“ scheint uns die Kooperation mit einer Hochschule in Deutschland notwendig zu sein. Denn die Unterzeichnung eines Partnerschaftsabkommens wird den Studierenden in beiden Ländern ermöglichen, zusätzlich zum Studium im eige‐ nen Land – und somit anders als bei Mobilitätsprogrammen wie ERASMUS+ – ein Semester lang an der jeweiligen Part‐ nerhochschule zu studieren. Die zu belegenden Lehrveranstal‐ tungen sind dabei von der jeweiligen empfangenden Hoch‐ schule zu bestimmen, so wie auch die Verteilung der 30 zu erwerbenden ECTS‐Punkte. Denkbar sind neben den vorge‐ schriebenen Lehrveranstaltungen, ein Orientierungsseminar, Wahlpflichtseminare und Sprachkurse (Deutsch bzw. Tür‐ kisch) (Tomanbay, 2013: 452). Im Laufe des Gesamtstudiums müssen also für den Erhalt des akademischen Grades 270 ECTS‐Punkte erreicht werden. Rechnet man die Vorberei‐ tungsklasse hinzu, dauert das Bachelor‐ Plus‐Programm ins‐ gesamt elf Semester. Dies übersteigt gemäß der türkischen Hochschulordnung die minimale Bachelor‐Studienzeit und müsste im Studienhandbuch des türkischen Hochschulrates gesondert ausgewiesen werden. 367
Ausblick Um den Bachelor‐Studiengang „Bilinguale Bildung und Er‐ ziehung“ einzurichten und ihm eine internationale Ausrich‐ tung zu verleihen, muss noch viel getan werden. Eine detail‐ lierte Ausarbeitung von Seminarinhalten für das Wahl‐ pflichtmodul wäre einer der nächsten Schritte. Neben dem akademischen Aspekt muss die Finanzierung des Programms gesichert werden, wie z.B. die Stipendienvergabe für das Aus‐ landssemester an der Partnerhochschule. Gefragt sind hier Institutionen wie der DAAD oder das türkische Ministerium für Auslandstürken und verwandte Gesellschaften. Die Verwirklichung des internationalen Bachelor‐Plus‐ Studienprogramms könnte eine neue Perspektive auch für die Ausbildung von Grundschul‐, Türkisch‐ und weiteren Fach‐ lehrkräften eröffnen. Das erworbene Fachwissen zum bilingu‐ alen Lehren und Lernen würde die Absolventen mit einer wichtigen Zusatzqualifikation ausstatten, die sie zu Kultur‐ und Sprachmittlern befähigt. Es läge nahe, solche Lehrkräfte im Rahmen des bereits existierenden staatlich geförderten Programms beim Entsenden ins Ausland zu bevorzugen. Dies würde eine wichtige Motivation bei der Wahl des Studiengan‐ ges bedeuten.
Literaturverzeichnis APELTAUER, E. (2013), Mehrsprachigkeit in und vor der Schule, EKİNCİ, Y., HOFFMAN, L., LEİMBRİNK, K., SELMANİ, L. (Hrsg.), Migration, Mehrsprachigkeit, Bildung. Tübingen, 153‐167 REHBEİN, J. (2013), Multilingualität in Bildungseinrichtungen: Ein Vorschlag für eine mehrsprachige Erziehung im deutsch‐ türkischen Vergleich, ESEN, E., BORDE, T. (Hrsg.), Deutschland
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und die Türkei Band II: Forschen, Lehren und Zusammenarbeiten in Gesellschaft, Gesundheit und Bildung. Ankara, 279‐297 ŞENYILDIZ, A. (2013), Mehrsprachigkeitskonzepte in Deutschland und in der Türkei am Beispiel von Deutsch in Kindertagesein‐ richtungen, EKİNCİ, Y., HOFFMAN, L., LEİMBRİNK, K., SELMANİ, L. (Hrsg.), Migration, Mehrsprachigkeit, Bildung. Tü‐ bingen, 203‐213 TOMANBAY, İ. (2013), Das letzte Glied einer Wandlung in den tür‐ kisch‐deutschen Studienaustauschprogrammen: Internationaler Bachelor‐Studiengang im Fach Soziale Arbeit, ESEN, E., BORDE, T. (Hrsg.), Deutschland und die Türkei Band II: Forschen, Lehren und Zusammenarbeiten in Gesellschaft, Gesundheit und Bil‐ dung. Ankara, 442‐463 WİLD, K. (2014), Aussprache und Musik: Eine empirische Längs‐ schnittstudie zum Wortakzenterwerb, Baltsmannweiler WODE, H. (2009), Praxis Frühkindliche Bildung / Frühes Fremdspra‐ chenlernen in bilingualen Kindergärten und Grundschulen, Braunschweig
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Die Bemühungen um eine Lehrpersonal‐ ausbildung für bilinguale Bildung in der Türkei Hatice BEKİR und Remzi AYDIN
Einführung Als eine typische Konsequenz der Globalisierung werden Individuen neben ihrer Muttersprache auch mit weiteren Sprachen und den Regeln dieser Sprachen konfrontiert. Bei der Untersuchung von Studien über den Erwerb von mehr als einer Sprache stellt man fest, dass der Begriff „Zweisprachig‐ keitʺ bzw. ʺMehrsprachigkeit“ bei den Disziplinen wie Sozio‐ logie, Psychologie, Anthropologie und Sprachwissenschaften behandelt und in jeder dieser Disziplinen aus unterschiedli‐ chen Blickwinkeln betrachtet wird. Jedes Land hat eine Amtssprache, die als Ausbildungs‐ sprache gilt, und die Staaten basieren ihre Ausbildungssyste‐ me auf ihren Amtssprachen. Die Individuen, die eine andere Sprache sprechen als die Amtssprachen der Staaten, erleben jedoch einige Probleme in der Bildung und Erziehung und im sozialen Leben. Von enormer Bedeutung ist dieses Problem insbesondere im frühkindlichen Leben (Nach UNICEF vom Alter 0‐8 (UNICEF, 2013)) der Kinder, die zwischen zwei Sprachen schwanken und keine dieser Sprachen wirklich be‐ herrschen. Studien zeigen, dass die Kinder, die in einem mul‐ 371
tikulturellen Umfeld leben, für eine gesunde Persönlichkeits‐ entwicklung sowohl die Muttersprache als auch die Amts‐ sprache gründlich lernen müssen. Die Ergebnisse der Studien über die schulischen Erfolge der zweisprachigen bzw. mehr‐ sprachigen Kinder zeigen, dass das Verstehen der Sprache der Mehrheitsgesellschaft bei dem Erwerb der Lese‐ und Schreib‐ kompetenzen, die im späteren Bildungsweg erforderlich sind, von großer Bedeutung ist. Die linguistische Analyse der ge‐ sprochenen Sprache (Semantik, Phonetik, Syntax, Morpholo‐ gie) ist ein wichtiger Faktor bei dem Erwerb der Lese‐ und Schreibkompetenzen, die eine wichtige Voraussetzung für den schulischen Erfolg darstellen (Temel et al., 2014; Yılmaz, 2014). Die Kinder brauchen deshalb neben einer guten Bildungsspra‐ che auch eine gut entwickelte Muttersprache, damit sie eine positive Persönlichkeit entwickeln, schulischen Erfolg erleben, die Werte der Mehrheitsgesellschaft respektieren, mit diesen im Einklang leben sowie wegen ihrer Herkunft nicht unter Umständen sogar psychisch erkranken. Der Erwerb der Muttersprache und Zweitsprache funkti‐ oniert bei Kleinkindern fast auf gleiche Weise. Da die Kinder, die in einer Gesellschaft aufwachsen, wo eine andere Sprache gesprochen wird als ihre Muttersprache, jedoch bei der Ein‐ schulung über unterschiedliche Kompetenzen in den jeweili‐ gen Sprachen verfügen, werden sie nicht dieselben Sprach‐ und Denkstufen erreichen wie die einsprachige Kinder (Temel ve Bekir, 2005). Es ist zwingend notwendig, dass die mutter‐ sprachliche Bildung, die eine bedeutende Rolle bei der Gestal‐ tung des gesellschaftlichen Lebens und Verhaltens und bei dem Erwerb der familiären kulturellen Werte spielt, in den Ländern der EG, wo die türkischen Migranten überwiegend leben, ab den ersten Bildungsjahren in den jeweiligen Bil‐ 372
dungsprogrammen Berücksichtigung findet. Die UNESCO betont in der Vereinbarung zur Bildung ausländischer Kinder (1954) die Notwendigkeit, dass für ausländische Kinder der Erwerb und die Entwicklung der Muttersprache ermöglicht werden muss. Die KMK beschloss am 14.05.1965, für die Gast‐ arbeiterkinder den Muttersprachenunterricht in die Schulpro‐ gramme aufzunehmen. Mit den Beschlüssen vom 14.‐15. Mai 1969 und 03. Dezember 1971 appellierte die KMK an die bil‐ dungspolitischen Entscheidungsträger der Länder, entspre‐ chende Maßnahmen für ausländische Kinder durchzuführen. Mit dem Beschluss vom 08. April 1976 empfahl die KMK, die vollständige Integration der ausländischen Kinder in das deutsche Schulsystem und gleichzeitig die Aufrechterhaltung ihrer sprachlichen, kulturellen und historischen Verbindungen zu ihren Heimatländern zu sichern. Weiterhin beschloss die KMK die türkische Sprache in die Bildungsprogramme aufzu‐ nehmen“ (KMK, zitiert nach Akpınar, 1979). Bis heute existieren zwischen der Türkischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland diverse Kulturabkom‐ men (Küçük, 2006). Das vom türkischen Bildungsministerium aufgestellte Bildungsprogramm „Türkische Sprache und Kul‐ tur für die im Ausland lebenden türkischen Kinder“ wurde ab dem Bildungsjahr 2009‐2010 durchgeführt und so für die im Ausland lebenden türkischen Kinder ein neues Verständnis gezeigt (Yılmaz, 2014). Die Lehrer spielen für die Effektivität dieses neuen Bildungsprozesses eine bedeutende Rolle (Aral et. al., 2003). In der Türkei existieren jedoch bisher keine Stu‐ diengänge, die Lehrer oder Erzieher für die zweisprachigen Kinder ausbilden. Dies beeinträchtigt sehr den Erwerb der türkischen Sprache als Muttersprache. Aus diesem Grund befassen wir uns in diesem Aufsatz mit der Lehrer‐ bzw. Er‐ 373
zieherausbildung für die zweisprachige Bildung und unter‐ breiten entsprechende Vorschläge.
Ausbildungsprogramme für Lehrer zweisprachiger Kinder Die deutschen Lehrer wurden in den 80er Jahren aufgefordert türkisch zu lernen, und es wurden Projekte geplant, bei denen etwa zehntausend deutsche Lehrer weitergebildet werden sollten, um türkische Kinder besser unterrichten zu können (Gözaydın, 2006). Brumlik (Brumlik, 2000) lehnt jedoch diese Forderung ab spricht sich gegen das Recht der Ausländer aus, ihre Muttersprachen in den öffentlichen Schulen zu verwen‐ den. Hopf (Hopf, 2005) hält die für das Erlernen der Mutter‐ sprache verwendete Zeit für eine verlorene Zeit; man solle diese Zeit besser für das Erlernen der deutschen Sprache ver‐ wenden. Nach Esser (Esser, 2006) wurden bisher keine positi‐ ven Auswirkungen der Zweisprachigkeit auf den schulischen Erfolg nachgewiesen. Seitdem wird dieses Thema in den Bun‐ desländern diskutiert. Dass die Lehrer, die zweisprachige Kinder unterrichten sollen, aus den Reihen der Fremdsprachenlehreranwärter in der Lehrerausbildung kommen sollten, scheint auf den ersten Blick eine kluge Lösung zu sein. Es wird z.B. von den Deutschlehreranwärtern in der Türkei erwartet, dass sie neben der Fremdsprache Deutsch auch ihre Muttersprache beherr‐ schen. Denn diese Studenten werden keine Integrationsprob‐ leme erleben, wenn sie in die BRD überwechseln, da sie keine Sprachprobleme haben werden (Coşkun, 1996). Es wäre je‐ doch angebracht, dass sie durch den türkischen Sprach‐ und Kulturunterricht unterstützt würden, und dass sie eine zusätz‐ liche Ausbildung für den Unterricht zweisprachiger Kinder 374
erhalten. Die Lehreranwärter, die Aufgaben bei der Bildung der zweisprachigen Kinder übernehmen sollten, wurden ins Ausland geschickt, nachdem sie dementsprechend fortgebil‐ det worden waren, sie wurden dann durch die türkischen Bildungsattachees in den entsprechenden Schulen eingesetzt und haben muttersprachlichen Unterricht erteilt (Küçük, 2006). Diese Bildungsmaßnahmen haben jedoch leider nicht das gewünschte Resultat erbracht. So betont Yıldız in seiner Arbeit (Yildiz, 2012), dass in der Bundesrepublik Deutschland jedes Bundesland sein eigenes System anwendet. Er führt weiterhin aus, dass der erwünschte Erfolg unter diesen Strukturen und Bedingungen nicht er‐ reicht werden konnte, obwohl den Kindern, die Türkisch als Muttersprache haben, und in einigen Bundesländern sogar den deutschen Kindern türkischer Sprachunterricht angeboten wurde.
375
Vorschläge für die Intensivierung der zweisprachigen Bildung : • Der Austausch der Türkischlehrer deutscher oder tür‐ kischer Herkunft sollte im Rahmen einer Planung so durchgeführt werden, dass sie keine Integrationsprob‐ leme erleben. Ihre Aufenthaltsdauer in den entspre‐ chenden Ländern sollte nicht unter 5 Jahre betragen, • Es ist vom Wissen und den Erfahrungen der Lehrer für Muttersprache zu profitieren, indem vorausgesetzt wird, dass die Zweisprachigkeit ein Element der mut‐ tersprachlichen Bildung ist und die Muttersprache die Grundlage der Sprachbeherrschung ist. • Angesichts der Befunde und Vorschläge in der Litera‐ tur sollte die Anzahl der Vorschullehrer mit Migrati‐ onshintergrund erhöht werden. Bei der zweisprachi‐ gen Frühbildung sollte also von den Absolventen des Studiengangs Zweisprachige Frühkindliche Bildung profitiert werden. Deshalb sollte der Aufbau des Stu‐ diengangs Zweisprachige Frühkindliche Bildung vo‐ rangetrieben werden. Entsprechende zweisprachige ʺEuropaschulenʺ können schulische Misserfolge von Kindern mit Migrationshintergrund verhindern.
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BRUMLİK, M. (2000), Den Muttersprachlichen Unterricht ersatzlos streichen, Erziehung und Wissenschaft, Heft 2/2000, 21‐23 COŞKUN, H. (1996), Eğitim Teknolojisi ve Kültürlerarası Eğitim Bağlamında İlköğretim İkinci Sınıf Türkçe ve Almanca Ders Kitaplarının İçerik Sorunları, Türkiye ve Almanya’da ilköğretim ders kitapları, Ankara ESSER, H. (2006), Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten, Frankfurt/New York GÖZAYDIN, N. (2006), Almanya’da ve Güncel Alman Edebiyatında Türkler, Türk Dili, 651, 195‐202 HOPF, D. (2005), Zweisprachigkeit und Schulleistung bei Migrantenkindern, Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2/2005, 236‐251 KÜÇÜK, S. (2006), Kültürlerarası Konumda İki Dilli Öğrenciler İçin Öğretmen Yetiştirme ve Erasmus Programı, Afyon Kocatepe Üni‐ versitesi Sosyal Bilimler Dergisi, C. VIII, 231‐ 251 TEMEL, Z.F. & BEKİR ŞİMŞEK, H. (2005), Erken Çocukluk Döneminde İkinci Dil Kazanımı, Türk Dili, 640, S. 294‐298 TEMEL, Z.F., BEKİR, H. & YAZICI, Z. (2014), Erken çocuklukta dil edinimi, Ankara. UNICEF (2013), Yerel yönetimler, sivil toplum kuruluşları, kamu kuruluşları ve işveren kuruluşları için toplum temelli erken çocukluk hizmetleri sunumu kılavuzu, Ankara YILDIZ, C. (2012), Yurt Dışında Yaşayan Türk Çocuklarına Türkçe Öğretimi (Almanya Örneği), Ankara YILMAZ, M. Y. (2014), İki Dillilik Olgusu Almanya’daki Türklerin İki Dilli Eğitim Sorunu Turkish Studies International Periodical Forthe Languages, Literature and History of Turkish or Turkic 9/3 Winter
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Studiengang für die Ausbildung von Erziehern für bilinguale frühkindliche Bildung Hatice BEKİR
Einführung Die frühkindliche Phase ist die Zeit, in der Sprachen am ein‐ fachsten und effektivsten erworben werden. Die Sprachbil‐ dung in der Grundschule wird wohl niemals die Effektivität und Selbstverständlichkeit der frühkindlichen Sprachbildung erreichen. Entsprechende Studien zeigen, dass die Zweispra‐ chigkeit einer der wichtigsten Gründe für kulturelle Konflikte in den Kindergärten ist. Es wird darauf hingewie‐ sen, dass die kognitiven Fähigkeiten zweisprachi‐ ger Kinder darunter lei‐ den, wenn sie von ein‐ sprachigen Lehrern un‐ terrichtet werden. Die Lehrer haben bei der zweisprachigen Bildung eine bedeutende Rolle. Dass die Lehrer ihre Mut‐ tersprache oder eine 379
Zweitsprache bestens lesen und schreiben können, reicht für die Bildung der zweisprachigen Kinder leider nicht aus. Da sich in Deutschland die zweisprachigen Schulen (Eu‐ ropa‐Schulen) im Rahmen interkultureller Bildung weiter verbreiten, ist es von großer Bedeutung, dass die Anzahl der zweisprachigen Erzieher erhöht wird, damit Misserfolge und Integrationsprobleme der Kinder mit Migrationshintergrund vermieden werden können. Um also Misserfolge und Integra‐ tionsprobleme der Kinder mit Migrationshintergrund weitge‐ hend auszuschließen, muss ein Studiengang ʺZweisprachige Frühkindliche Bildungʺ eingerichtet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte zuerst ein Lehrplan für diesen Studiengang Zweisprachige Frühkindliche Bildung entwickelt werden.
Grundlegende Bestandteile des Bildungsprogramms Ein Bildungsprogramm hat vier grundlegende Bestandteile: Abbildung 1: Grundlegende Bestandteile des Bildungsprogramms
Die Zielbestimmung stellt einen der wichtigsten Bestand‐ teile der Programmentwicklungsarbeit in der Bildung dar. Das Ziel kann definiert werden als ein zu erreichender Punkt oder als ein Ergebnis, das erzielt werden soll. Ertürk (Ertürk, 1998) definiert das Ziel in der Bildung als „eine Eigenschaft, die ein Schüler durch geplante Erlebnisse und eigene Erfahrungen erreichen soll, und die auch als Verhaltensänderung oder Ver‐ 380
halten bezeichnet werden könnte“ (Özdemir, 2007). Den zwei‐ ten Bestandteil stellt der Inhalt dar, in dem die Gesamtheit der zielgerichteten Themen bewertet wird. Der dritte Bestandteil ist der Lern‐ und Lehrprozess. Im Lern‐ und Lehrprozess werden die Lern‐ und Lehrmodelle, die entsprechenden Stra‐ tegien, Methoden und Techniken ausgesucht, um die gesetz‐ ten Ziele zu erreichen. Die Leistungsmessung und ‐bewertung wird zur Feststellung eingesetzt, ob die festgesetzten Lernziele erreicht wurden. Die Leistungsmessung und ‐bewertung be‐ inhaltet auch die Qualitätskontrolle der eingesetzten Bil‐ dungsmaßnahmen (Demirel, 2010). Die dynamischen Beziehungen zwischen diesen vier Be‐ standteilen werden als Programmentwicklung definiert. Es wird betont, dass die Beziehungen zwischen diesen Bestand‐ teilen dynamisch sind, d.h. dass sie gegenseitige Auswirkun‐ gen haben, und dass dementsprechend eine Veränderung bei einem der Bestandteile des Systems das ganze Programm be‐ einflusst. Obwohl die Ziele der Programmentwicklung als Aus‐ gangspunk dienen, können sie im Durchführungsprozess von den anderen Bestandteilen beeinflusst werden Dieses gilt auch für die restlichen Bestandteile. Dabei beeinflussen die Bil‐ dungsphilosophien der Personen die Ziele, die Themenaus‐ wahl und insbesondere auch die Bildungsmethode.
Die Bildungsphilosophien Die Bildungsphilosophie versucht die Bildungsprobleme, die Bildung betreffende Begriffe, Auffassungen und Kriterien zu beschreiben (Ergün, 2009). Die Bildungsphilosophien, welche die Bildungsüberzeugungen bestimmen, indem sie die Bil‐ dungsziele beleuchten, d.h. die Rollen der Lehrer und Schüler, 381
und wie der Lern‐ und Lehrprozess und die Prüfungssituatio‐ nen aussehen sollen, sind: Perennialismus, Essentialismus, Progressivismus und Rekonstruktionismus (Demirel, 2010). Nachfolgend werden diese Bildungsphilosophien näher betrachtet. (Abbildung 2). Abbildung 2: Bildungsphilosophien
Der Perennialismus (lat. immerwährende Philosophie) er‐ fordert, dass die Individuen nach nicht veränderbaren ethi‐ schen Werten, universellen Kriterien und Traditionen ausge‐ bildet werden (Sönmez, 2005; Ergün, 2009). Bei der Lehre die‐ ser Werte ist einzig der Lehrer aktiv (Moss & Lee, 2010). In der Perennialismusbewegung ist die Schule eine gesellschaftliche Einrichtung, die speziell dafür gegründet ist, die geistigen Potenziale des Menschen zu entwickeln (Gutek, 1997). Die Aufgabe der Bildung ist es, den Menschen zu ermöglichen, dass sie ihre Intelligenz konsequent einsetzen und so die Wahrheit finden, sich an die universellen Wahrheiten anpas‐ sen und frei und glücklich werden (Başaran, 1978; Gutek, 1997). Nach dieser Auffassung sollte die Schule die Werte vermitteln, die das kulturelle Erbe darstellen (Demirel, 2010). Nach der Essentialismusbewegung soll das vorhandene Wissen den Kindern vermittelt werden, die ja ohne jegliches Wissen auf die Welt kommen, und es soll ihnen ermöglicht 382
werden, dass sie sich in die Gesellschaft integrieren und zu tugendhaften Individuen werden (Gutek, 1997; Toprakçı, 2002; Sönmez, 2005). Nach der Essentialismusbewegung ist der Lehrer diejenige Person, die Wissen vermittelt (Moss & Lee, 2010). Die Aufgabe der Schule ist es, das stetig wachsende Wissen der Gesellschaft den Schülern zu vermitteln, indem sie traditionelle Methoden anwendet, die eine geistige Disziplin erfordern (Varış, 1998). Der Progressivismus ist die Anwendung des Pragmatis‐ mus auf die Bildung und geht davon aus, dass sich alles stän‐ dig verändert. Anders als die genannten traditionellen Bewe‐ gungen bezweifelt der Progressivismus die Existenz universel‐ ler und unveränderlicher Wahrheiten. Da sämtliches Wissen durch die Erlebnisse der Individuen in einer interaktiven Be‐ ziehung mit ihrer Umwelt erworben wird, müssen sämtliche Betätigungsfelder des Lebens in den Bildungsprogrammen vertreten sein. Denn die Bildung ist das Leben. Im Klassen‐ raum sind die Schüler aktiv, und der Lehrer ist nur ein Weg‐ weiser. Die Bildungsatmosphäre muss demokratisch gestaltet werden, die Schüler dürfen nicht bestraft werden. Nach dem Rekonstruktionismus, der eigentlich eine Weiterentwicklung der letztgenannten Bewegung ist und ebenfalls auf dem Pragmatismus basiert, muss die Bildung die Gesellschaft neu konstruieren, um die kulturelle Krise des Zeitalters zu über‐ winden (Sönmez, 2005; Yayla, 2009). Damit die Schule dieses Ziel erreichen kann, muss sie die grundlegenden Werte der westlichen Zivilisationen unter Berücksichtigung der vorhan‐ denen wissenschaftlichen Erkenntnisse neu interpretieren (Toprakçı, 2002; Sönmez, 2005). Dem in Krisenzeiten entstan‐ denem Existentialismus zufolge ist der Mensch ein freies We‐ sen, und es muss alles abgelehnt werden, was die Freiheit des 383
Menschen behindert (Ergün, 2009). Im Sinne des Existentia‐ lismus muss die Bildung bei dem Lernenden ein intensives Bewusstsein und Sensibilisierung schaffen. Zudem soll sie auch Antworten geben, was für ein Leben der Mensch sich wünscht, und was für ein Mensch er sein möchte. Die Existentialismusbewegung behauptet, dass die Individuen ihre Erfahrungen und Erlebnissen als Grundlage nehmen sol‐ len, die es ermöglicht, ihr Leben von ihrem persönlichen Blickwinkel aus zu betrachten (Gutek, 1997).
Unterschiedliche Ansätze bei der Curriculumentwicklung Der Inhalt eines Curriculums besteht aus bestimmten Wis‐ senskategorien. Die systematische Betrachtung und Formulie‐ rung der Inhalte entsprechend der Lernkriterien erfordert die Nutzung der Wissenskategorien. Um das Wissen systematisch zu machen, müssen bestimmte Kriterien beachtet werden. Zu den grundlegenden Kriterien der Curriculumentwicklung zählt eine Betrachtungsweise, die vom Konkreten zum Abs‐ trakten, vom Einfachem zum Komplexen, vom Allgemeinen zum Speziellen oder vom Speziellen zum Allgemeinen, von der Gegenwart in die Vergangenheit, von Geschehnissen zu Begriffen und Verallgemeinerungen sowie von Nah zu Fern führt. Diese Kriterien können für alle Fächer gültig sein (De‐ mirel, 2010). Nach Demirel (Demirel, 2010) geht es bei dem Aufbau eines Curriculums um unterschiedliche Ansätze:
384
Abbildung 3: Unterschiedliche Ansätze bei der Curriculumentwicklung
Linearer Programmierungsansatz: Dieser Ansatz wird bei der Klassifikation der sukzessiven und verwandten The‐ men angewendet, die öfters Vorwissen erfordern. Spiralförmiger Programmierungsansatz: Dieser Ansatz wird insbesondere bei den Themen wie Spracherwerb einge‐ setzt, die in sich sukzessive Verhältnisse haben. Modularer Programmierungsansatz: Bei der Lehrplan‐ entwicklung werden die Themen in Gruppen klassifiziert. Diese Gruppen bzw. Module müssen nicht zwingend in Bezug zueinander stehen. Die Lernergebnisse sind festgelegt, und die Lernthemen werden in Module geteilt. Jedes Modul kann innerhalb eigener Grenzen linear, spiralförmig oder nach ei‐ nem anderen Ansatz entwickelt werden. Es ist nicht entschei‐ dend, dass die Module miteinander stufenweise verbunden sind. Wichtig ist, dass sämtliche Module in sich eine sinnvolle Einheit bilden. 385
Pyramidal‐ und Kernprogrammierungsansatz: Bei dem Pyramidalansatz geht es darum, in den ersten Jahren von breitgefächerten(allgemeinen) Themen auszugehen und in den Folgejahren diese Themen zu verengen und zu speziali‐ sieren. Bei dem Kernprogrammierungsansatz hingegen wer‐ den zuerst die gemeinsamen Themen behandelt. Später wer‐ den den Schülern Möglichkeiten angeboten, sich in den Gebie‐ ten zu spezialisieren, für die sie sich interessieren. Der grund‐ legende Unterschied des Kernprogrammierungsansatzes zum Pyramidalansatz ist, dass er mehr Spezialisierungsmöglichkei‐ ten anbietet. Die Kernthemen ermöglichen den Kindern, dieje‐ nigen Gebiete auszuwählen, für die sie sich interessieren. Themennetz‐projektzentrierter Programmierungsan‐ satz: Nach diesem Ansatz wird die Netzstruktur der Themen, ähnlich wie eine Landkarte, ausgedruckt und den Schülern ausgehändigt. Es wird den Schülern mitgeteilt, wann sie sich bei welchem Thema befinden sollten. Nach diesem Ansatz können die Schüler die Themeninhalte individuell oder als Gruppe selbst bestimmen. Die Themen können auch als kleine Projekte angelegt werden. Befragungszentrierter Programmierungsansatz: Die Curriculumentwicklung wird entsprechend der Fragen der Kinder durchgeführt. Dieser Ansatz wird mit der weltan‐ schaulichen Selbständigkeit der Schüler begründet. Bei stei‐ gendem Bildungstand werden die Inhalte begrenzter und die an die Spezialgebiete gerichteten Fragen bestimmter (Demirel, 2010).
Einige Kriterien bei der Auswahl von Inhalten Der Inhalt, der in der Literatur als Umfang oder Thema defi‐ niert wird, sollte in erster Linie mit den Zielen im Einklang 386
stehen. Nachfolgend werden einige Kriterien und Fragen ge‐ nannt, die bei der Bestimmung des Lehrplaninhaltes befolgt bzw. beantwortet werden müssen. Abbildung 4: Kriterien bei der Curriculumentwicklung
Gesellschaftlicher Nutzen Was sollen unsere Kinder Lernen, damit sie einen Bei‐ trag zur Entwicklung unseres Landes leisten können? Womit sollen sie ausgestattet werden, damit sie die Stufen der modernen Zivilisation erreichen und mit ihr im Einklang leben? Über welche nationalen und internationalen Elemente sollte der Inhalt des Lehrplans verfügen? Individueller Nutzen Ist der Inhalt des Programms im Stande, die Entwick‐ lung und das Lernen des Individuums zu fördern? Was ist der Inhalt, der von allen Individuen gelernt werden sollte? Lernen und Lehren Hat der Inhalt für die Schüler überhaupt einen Sinn? Ist der Inhalt im Einklang mit den Interessen‐ und Be‐ darfskriterien? 387
Die Lehrmethoden Die qualitative Verbesserung des schulischen Erfolges ist das bedeutendste Ziel einer Umstrukturierung in der Bildung. Bei der Umstrukturierung ist es grundlegend, dass die Schüler ihren Geist einsetzen können. Es ist von Bedeutung, dass die Lehre einen ästhetischen, gesellschaftlichen und wissenschaft‐ lichen Wert hat. Nach dem Lernen interpretiert ein Individu‐ um seine Welt neu und definiert damit auch seine Position in der Welt neu (Özden, 2004). Für die Gestaltung der Bildungs‐ programme, Erstellung von Lehrmaterialien und Steuerung der Bildung ist ein Modell erforderlich, und dazu sollte von den Lern‐ und Lehrmethoden profitiert und diverse Lehrtech‐ niken angewandt werden. Die Lehrmethoden werden überwiegend wie in Abbildung 5 dargestellt. Abbildung 5: Lehrmethoden
388
Einige Lehrtechniken, die bei der Nutzung der oben in Abbildung 5 abgebildeten Lehrmethoden hilfreich sein kön‐ nen, werden unten angegeben. Abbildung 6: Lehrtechniken
Fortgeschrittene Organisatoren: Hier geht es darum, dass erfolgreiche Schüler den anderen Schülern helfen und eine Art Gruppenführung und ‐verantwortung übernehmen. Brainstorming: Diese Technik wird bei der Gewinnung neuer und hilfreicher Ideen und bei der Förderung des kreati‐ ven Denkens angewandt. Demonstration: Sie hilft den Schülern, die Dinge aus ei‐ ner unterschiedlichen Perspektive zu sehen; z.B. können Per‐ sonen aus bestimmten Berufen ihr Expertenwissen durch De‐ monstrationen vermitteln. Lehren durch Entdeckung: Durch diese Lehrmethode lernen Schüler, eigene Ergebnisse durch Experimentieren zu erarbeiten. Zudem werden ihre Kompetenzen bei der
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Hypothesenbildung, Forschung und Problemlösung gefördert sowie das selbstständige Lernen gefördert. Lehren durch Darbietung: Die Aufgabe der Lehrer ist es, den Lernstoff schülergerecht zu organisieren und strukturie‐ ren, entsprechende Materialien auszuwählen und anschlie‐ ßend den Lernstoff systematisch vom Allgemeinen zum Be‐ sonderen darzubieten. Kooperatives Lehren: Bei dieser Lerntechnik, deren Effi‐ zienz durch eine empirische Untersuchung von Gömleksiz (Gömleksiz, 1997) bewiesen wurde, werden die Schüler in der Klassenatmosphäre in kleine gemischte Gruppen aufgeteilt und sie helfen sich gegenseitig, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen oder ein wissenschaftliches Thema zu behandeln. Bei dieser Technik wird der Gruppenerfolg auf unterschiedli‐ che Weise belohnt. Befragungsmethode: Grundlegendes Ziel dieser Metho‐ de ist es, dass die Schüler fortgeschrittene Denkkompetenzen gewinnen. Der Inhalt bei dieser Methode ist nicht von Anfang an festgelegt. Die Curriculumentwicklung wird entsprechend den Bedürfnissen und Fragen der Schüler durchgeführt. Das Ziel des auf Befragung basierten Lernens ist, dass die Schüler verschiedene Wissensgebiete untersuchen, dazu Fähigkeiten und Haltungen entwickeln sowie dieses Wissen verallgemei‐ nern können, indem sie die beim Lernprozesse ihre Problem‐ lösungsfähigkeiten einsetzen (Yaşar und Duban, 2014). Da eine vergleichende Untersuchung der Lehrmethoden und ‐techniken das Thema einer gesonderten Untersuchung bilden kann, beschränken wir uns bei dieser Arbeit auf das Wissen, das uns einen Vergleich der Lehrpläne der Studien‐ gänge Frühkindliche Bildung in den zu untersuchenden Län‐
390
dern ermöglicht. Das Thema Evaluation können wir dennoch kurz angehen. Evaluation: Die Lern‐ und Lehrtechniken müssen evalu‐ iert werden. Über die Evaluation als eine Datenerhebung und Anwendung der Informationen bei den Bildungsentscheidun‐ gen muss festgestellt werden, wie erfolgreich die Lernziele erreicht wurden. Sowohl für die Entwicklung der Lehrpläne als auch für die Verbesserung der Lern‐ und Lehraktivitäten werden durch schriftliche und mündliche Prüfungen, Be‐ obachtung, Berichterstattung und Projektarbeiten Evaluatio‐ nen durchgeführt, die auf die Effektivität der Lehrpläne, die Lehraktivitäten und die Lernziele gerichtet sind (Karakaya, 2004).
Curriculumentwicklung für die Zweisprachige Frühkindliche Bildung Die einzelnen Schritte der Curriculumentwicklung werden in Abbildung 7 dargestellt. 391
Abbildung 7. Die einzelnen Schritte der Curriculumentwicklung für die Zweisprachige Frühkindliche Bildung
Frühkindliche Bildung in Deutschland und in der Türkei Die Lehrprogramme der Frühkindlichen Bildung in Deutsch‐ land und in der Türkei sind in Tabelle 1 angegeben. 392
Tabelle 1: Frühkindliche Bildung in Deutschland und in der Türkei
TÜRKEİ
DEUTSCHLAND
DIE ZUSTÄNDIGE BEHÖRDE
Das nationale und eklektische Programm des Bildungsministeri‐ ums muss eingehalten werden.
Es wird durch die Kirche oder die Kul‐ tusministerien der Länder organisiert. Es existiert kein na‐ tionales Programm. Es werden überwie‐ gend Frobel‐ und Montessoriansätze angewandt.
DER ZWECK
Das Ziel der Frühkind‐ lichen Bildung ist es, dass die Kinder sich körperlich, geistig und emotional entwickeln, gute Gewohnheiten gewinnen und auf die Schule vorbereitet werden, dass für die Kinder der bildungs‐ fernen Familien ein gemeinsames Erzie‐ hungsumfeld geschaf‐ fen wird und die Kin‐ der richtig und gut Türkisch sprechen können.
Die Frühkindliche Bildung versucht, die körperlichen, geistigen und sozia‐ len Kompetenzen der Kinder als Ge‐ samtheit zu betrach‐ ten und hilft den Kindern, sich zu vollständigen Per‐ sönlichkeiten zu entwickeln.
DIE DAUER
Die Frühkindliche Bildung umfasst die Kinder unter 72 Monaten und ist nicht verpflichtend. Die Frühkindlichen
Die Frühkindliche Bil‐ dung umfasst die Kinder unter 72 Monaten und ist nicht verpflichtend. Kindertagesstätten,
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Bildungseinrichtungen können als unabhängi‐ ge Kindertageseinrich‐ tungen oder in erfor‐ derlichen Gebieten in‐ nerhalb der Grund‐ schulen als Vorschul‐ klassen bzw. in den entsprechenden Bil‐ dungseinrichtungen als Anwendungsklassen eingerichtet werden.
DAS SCHULPFLICH T‐ ALTER
394
61‐66 Monate
die Kinder unter 3 Jahren aufnehmen Kindergärten, die Kinder von 3‐6 Jah‐ ren aufnehmen Kindergärten, die Kinder von 4 Mona‐ ten bis 6 Jahren auf‐ nehmen Vorschulklassen für 5 jährige Kinder in‐ nerhalb der Grund‐ schulen Familienpflegezen‐ tren für Kinder unter 3 Jahren Kindergartenerzie‐ hung (3‐6 Jahre) ist zwar freiwillig, je‐ doch ein in der Ver‐ fassung verankertes Recht. Es braucht kein bestimmtes Lernprogramm be‐ folgt zu werden. Für Kinder, die zwar 6 Jahre alt sind, aber die Basiskompeten‐ zen für die Einschu‐ lung nicht erreicht haben, gibt es ge‐ sonderte Vorschul‐ klassen.
72 Monate
Paradigmen der Lehrerausbildung Bei der Untersuchung der Lehrerausbildungsreformen in der Türkei unter Beachtung der Lehrerausbildungsparadigmen stellen wir fest, dass die Türkei von verschiedenen Paradig‐ men beeinflusst wurde. Während bei einigen Rekonstrukti‐ onsbemühungen „der Fachwissensansatz“ im Vordergrund stand, war bei den Anderen der „Anwendungsansatz“ aus‐ schlaggebend. Der Abbildung 8 kann entnommen werden, dass sich die Rekonstruktionsbemühungen des Lehrerausbildungssystems in der Türkei auf fünf Streitthemen fokussieren. Abbildung 8: Lehrerausbildungsparadigmen
Tabelle 2 zeigt die nationalen Ziele in der Lehrerausbil‐ dung in Deutschland und in der Türkei.
395
Tabelle 2: Die nationalen Ziele in der Lehrerausbildung Nationale Ziele in der Lehrerausbildung
Türkei Deutschland
Zweitsprachausbildung
‐
+
Zukunftsbildung
‐
+
Kultur
‐
+
Kreativität
+
‐
Nationalökonomie
+
‐
Vorbereitung auf Arbeitsleben
+
‐
Suche nach Exzellenz / Verbesserung der Standards +
+
Persönliche Entwicklung
+
+
Werte, Ethikregeln
+
+
Gesellschaftliche Entwicklung
+
+
Persönliche Eigenschaften
+
+
Chancengleichheit, Multikulturalität
+
+
Grundkompetenzen / Alphabetisierung
+
+
+
+
+
+
Wissenschaftliche Kompetenzen
und
technologische
Wissen, Kompetenzen, Erkenntnisse Landeskunde und Demokratie
+
+
Umwelt
+
+
Gesundheit
+
+
Lebenslange Bildung
+
+
Elternbeteiligung
+
+
Besondere Bildungsmöglichkeit
+
+
Quelle: (http://www.inca.org.uk/comparative_tables.html) Kilimci, 2006)
396
zitiert
nach
Die Rolle und Bedeutung der Lehrer in der Frühkindlichen Bildung Abbildung 9: Die Rolle und Bedeutung der Lehrer in der Frühkindlichen Bildung
Die Lehrerkompetenzen in der Frühkindlichen Bildung
397
Abbildung 10: Lehrerkompetenzen in der Frühkindlichen Bildung
Tabelle 3 zeigt einen Vergleich der Lehrerbildungspro‐ gramme für die Frühkindliche Bildung in Deutschland und in der Türkei nach ihren Strukturen, ihrer Dauer, den Modellen und Zugangsbedingungen.
398
4 Jahre
3 Jahre
Türkei
Deutsch‐ land
BILD‐ UNGS‐ DAUER
LAND
Fachoberschule
Universität / Erziehungswissen‐ schaftliche Fakultäten
BILDUNGSEIN‐ RICHTUNG
Verschachtelt
Verschachtelt
BILDUNGS‐ MODELL
Es wird von den Bewer‐ bern vorausgesetzt, dass sie die Sekundärstufe 1 mit der vorgeschriebe‐ nen Note absolviert haben und sich Berufs‐ eignungstests und spezi‐ ellen Auswahlkriterien unterziehen.
Hochschulzugangsprüfu ng
ZUGANSBEDING‐ UNGEN DES STUDIENGANGES
Tabelle 3: Vergleich der Lehrerausbildungsprogramme für die Frühkindliche Bildung in Deutschland und in der Türkei nach ihren Strukturen, ihrer Dauer, den Modellen und Zugangsbedingungen
Tabelle 4: Der Stand der Lehrerausbildung für Frühkindliche Erziehung in Deutschland und in der Türkei
400
Bildungsmodelle in der zweisprachigen Erziehung Die Schulen wenden heute unterschiedliche Bildungsmodelle in der zweisprachigen Erziehung an. In einem Land können mehrere dieser Modelle gleichzeitig angewandt oder auch für verschiedene Länder unterschiedliche Modelle zusammenge‐ setzt und entwickelt werden. Unterschiedliche Bildungsmodelle für zweisprachige Schüler wurden zuerst in den USA und Kanada konzipiert und angewandt und anschließend in Ländern mit hohem Migrantenanteil eingesetzt, wie in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden. Entsprechend diesen Untersuchungen, die die Bildung der zweisprachigen Schüler betreffen, gewannen die Metho‐ den der Submersion und Immersion die Vorherrschaft (Abbil‐ dung 11). Abbildung 11. Bildungsmodelle in der Bildung der zweisprachigen Schüler
Beim Immersionsmodell beherrschen die Migrantenkin‐ der die Schulsprache nicht. Die Muttersprache/Erstsprache wird in der Schule akzeptiert. Die Muttersprache wird als
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gleichwertig mit der Zweitsprache angesehen. Die Lehrer kennen sich mit der Sprache und Kultur der Kinder aus. Im Submersionsmodell ist die Bildungssprache die Amtssprache. Misserfolge in der Schule werden als kognitive Inkompetenzen interpretiert. Es werden Fördermaßnahmen getroffen. Die Lehrer kennen sich mit der Sprache und Kultur der Kinder nicht aus. Sprachbarrieren entstehen. Das Sprechen von anderen Sprachen außer der Schulsprache wird nicht gern gesehen. Man kann behaupten, dass das Immersionsmodell den schulischen Erfolg fördert, da es die Sprachen und Identitäten der Kinder nicht leugnet. Bei der Betrachtung der Bildungsmodelle in Deutschland, die für die türkischen Kinder angewendet werden, stellt man fest (abgesehen von den Unterschieden zwischen den Bundes‐ ländern), dass überwiegend der Submersion entsprechende Bildungsmodelle Anwendung finden. Immersionsmaßnahmen bei der zweisprachigen Bil‐ dung erfordern, verglichen mit der einsprachigen Bil‐ dung, ein arbeitsintensives Bildungsumfeld. Solche Bildungsmodelle können leicht Sparmaßnah‐ men zum Opfer fallen, und die ideologischen Ansätze, die eine Zweisprachigkeit als Bedrohung auffassen, behaupten zudem, dass Multikulturalität und Multisprachigkeit zum Verlust der gesellschaftlichen Werte führen könnten. Auch bei der Präsentation der Erfolge, die durch die Immersionsmaßnahmen erzielt werden, gibt es auf den wissenschaftlichen Plattformen Probleme. McQuillan&TSE stellen fest, dass 55% der Berichte in den Medien die negativen Effekte der zweisprachigen 402
Bildung betonen obwohl 87% der wissenschaftlichen Artikel positive Beiträge der zweisprachigen Bildung feststellen(McQuillan&TSE, 1996, zitiert nach Canbulat, 2012:1). An einem qualitativen Erzieherprogramm müssen die Fächer theoretische und praktische Maßnahmen bein‐ halten. Die Erzieheranwärter müssen in der Lage sein, sich an den Lehr‐ und Lernprozessen effektiv zu beteiligen. In dem Programm können neben den obligatorischen pädagogischen und kulturellen Fächern auch Wahlfä‐ cher angeboten werden. Es muss ein Programm angewandt werden, das auf individuellen, radikalen, flexiblen und diversifizierten Bildungsumgebungansätzen beruht, bei dem die The‐ orie und Praxis nicht in Konflikt geraten und der mul‐ tiple Evaluationsansatz rezipiert wird.
Folgende Mindestkriterien für den Studiengang zweispra‐ chige Frühkindliche Erziehung sind für die berufliche Kompetenz und das gesellschaftliche Wohl enorm wichtig Der Bachelor‐Studiengang für Zweisprachige Früh‐ kindliche Bildung soll dahinzielen, den Studierenden einen schnellen und effektiven Spracherwerb zu er‐ möglichen. Die Errichtung der Klassen nach Sprachni‐ veau ist äußerst wichtig. Bei den zu errichtenden Sprachklassen sollte auch der Altersfaktor beachtet werden. Jede Altersgruppe hat unterschiedliche Interessen und Spracherwerbgeschwindigkeiten und verhält sich un‐
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terschiedlich in Bezug auf ihre Fähigkeit sich einzu‐ gliedern. Insbesondere in den Schulen, in denen mehrere Schul‐ sprachen existieren, ist es wichtig, dass die Lehrer über höhere Kompetenzen verfügen. Die Lehrer werden in den zweisprachigen Sprachpro‐ grammen von den Kindern als sprachliche Rollenmo‐ delle angenommen. Die Kinder können in der Klasse unterschiedliche Sprachen sprechen, die Lehrer sollten jedoch immer ihre eigene Muttersprache verwenden, d.h. der Tür‐ kischlehrer sprich immer türkisch und der Deutsch‐ lehrer immer deutsch. Kriterien für den Studiengang Zweisprachige Frühkindliche Bildung sowie Zulassungskriterien Dass Erzieher mit Migrationshintergrund für die Schulen gewonnen werden, ist sowohl für die Integra‐ tion als auch für den akademischen Erfolg sehr wich‐ tig. Diese Erzieher sind zwei‐ bzw. mehrsprachig und können durch ihren kulturellen Hintergrund mit den Familien und Schülern sehr gute Beziehungen aufbau‐ en und für die Schüler als Rollenmodelle funktionie‐ ren. So können diese Erzieher eine Brücke zwischen den Eltern und der Schule aufbauen, die Eltern mit Sprachproblemen an die Schule binden und den Schü‐ lern zeigen, dass auch sie durch Fleiß etwas erreichen können. Parallel zu den multikulturellen und mehrsprachigen Bildungsmodellen sollten die Existenz und die Ver‐
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mittlung der Minderheitensprachen neben den jeweils herrschenden Sprachen ermöglicht werden. Die Sprachen und Kulturen müssen als Quellen der Bereicherung betrachtet werden. Alle Länder sollten ihre Bildungssysteme und Bildungsprogramme nach Erfordernissen der Neuzeit reformieren. Bei dem Studiengang sollte ein Zusammenleben ge‐ fördert werden, das den inneren Frieden der Gesell‐ schaft schützt und mit der anerkannten Staatsform nicht in Konflikt gerät. Die Bewerber des Studiengangs Frühkindliche Bil‐ dung müssen die „Kriterien des Lehrerberufes“ erfül‐ len. Mit den Kriterien des Lehrerberufes sollten auch physische, soziale und psychologische Situation der Bewerber beachtet werden, und ihre Zulassung sollte nicht nur nach der zentralen Aufnahmeprüfung erfol‐ gen. Die Ziele des Studiengangs sollten auch Begriffe wie Multinationalität, Mehrstaatlichkeit /Weltbürgertum beinhalten. Bei den Entwicklungsprozessen der Bildungspro‐ gramme sollen nicht nur Bürokraten und Bildungsex‐ perten, sondern auch Eltern, Lehrer, Arbeitgeber, re‐ gionale Entscheidungsträger, zivile Gesellschaftsinsti‐ tutionen und Studenten beteiligt und eine Beteiligung der breiten gesellschaftlichen Schichten gefördert werden. Eine Ausbildung der Erzieher für Zweisprachige Frühkindliche Bildung mit Migrationshintergrund nur in Deutschland wird vermutlich nicht alle Probleme lösen. 405
Diese Lehrer sollten in Kooperation mit der Türkei ausgebildet werden. Damit von den türkischen Migrantenkindern in Deutschland bei der frühkindli‐ chen Bildung profitiert werden kann, sollten die Leh‐ rer die Hälfte ihres Studiums in der Türkei absolvie‐ ren. Die Ausbildung dieser Lehrer sollten durch das Fach ʺTürkische Sprache und Kulturʺ unterstützt, d.h. er‐ gänzt werden. Diese Lehrer sollten im Muttersprachenland mindes‐ tens 2 Jahre Erfahrung sammeln und an den speziell auf die zweisprachigen Kinder gerichteten innerbe‐ trieblichen Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Die Einrichtungen der Lehrerausbildung sollten transparent sein und die Einheit der Bildung und Kul‐ tur bewahren. Es sollte von den Studierenden gefordert werden, dass sie im Laufe des Studiums an Aktivitäten außer Fach‐ seminaren teilnehmen, Beobachtungen und For‐ schungen durchführen, Abschlussarbeiten schreiben und Praktiken machen. Sie sollten in diesem Zeitraum auch immer mehr Ver‐ antwortung für die Anwendungsaktivitäten, Beobach‐ tungen und die Lehranwendungen übernehmen. Zu‐ dem sollten die Anwendungsaktivitäten, Beobachtun‐ gen und die Lehranwendungen auf drei bis vier Se‐ mester verteilt werden, um den Studierenden An‐ wendungskompetenzen zu vermitteln. Die Absolventen des Studienganges sollten sich im Bereich der frühkindlichen Bildungspädagogik, des Fachwissens über frühkindliche Bildung und des All‐ 406
gemeinwissens ausreichend Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen angeeignet haben. Das letzte Jahr des Studiums sollte außer einigen Fachseminaren der Abschlussarbeit der Praxisphase vorbehalten sein. Die Praxisphase ist an deutschen und türkischen frühkindlichen Erziehungseinrichtungen unter Auf‐ sicht der Lehrkörper und der Maßnahmenkoordinato‐ ren sowie in Zusammenarbeit mit Mentoren durchzu‐ führen (laut Duden bedeutet Mentor: Erfahrener Pä‐ dagoge, der Studierende und Lehramtskandidaten während ihres Schulpraktikums betreut). Die Lernergebnisse für die Absolventen des Studienganges Zweisprachige Frühkindliche Bildung Die Absolventen des Studienganges Zweisprachige Frühkindliche Bildung sollen die Entwicklungseigenschaften insbesondere der zweisprachigen Kinder definieren können. die Kinder evaluieren können, um die Ernsthaftigkeit der Probleme festzustellen, die den Kinder passieren und so ihren Erfolg und ihre Integrationsfähigkeit verhindern können. bei der Bestimmung von Inkompetenzen der Kinder (Defizite in den Bereichen Lern‐, Seh‐ und Hörvermö‐ gen) beratend zur Seite stehen können. die für die Kinder geeignetsten Fördermaßnahmen (Sprech‐ und Sprachdienste, Beratung, berufliche The‐ rapiedienste) feststellen können. die für die Kinder geeignetsten Anpassungen (Verän‐ derungen oder Techniken, die das Lernen der Schüler
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unterstützen) feststellen können, wie z.B. zusätzliche Zeit, Beispiele und Unterstützung etc. für Kinder. physische Maßnahmen, die die Kinder benötigen können, feststellen und durchführen können. Die Module der zweisprachigen Lehrerausbildung sollen, wie unten in Abbildung 11 aufgeführt, nach Fachwissen, pä‐ dagogischem Wissen und Allgemeinwissen gestaltet werden. Abbildung 11: Module
Fazit Die Themen werden im modularen Ansatz in Gruppen klassi‐ fiziert. Diese Gruppen oder Module müssen nicht zwingend in Bezug zueinander stehen. Die Lernergebnisse sind festgelegt. Die Lernthemen werden in Module geteilt. Jedes Modul kann innerhalb eigener Grenzen linear, spiralförmig oder nach ei‐ nem anderen Ansatz entwickelt werden. Es ist nicht entschei‐ dend, dass die Module miteinander stufenweise verbunden sind. Wichtig ist, dass sämtliche Module in sich eine sinnvolle Einheit bilden. 408
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Ein neuer Studiengang zur Qualifikation für die Arbeit in bilingualen Kindertagesstätten Peter DOYÉ
Einleitung Die bilinguale Vorschulerziehung ist im Aufwind. Immer mehr Eltern wünschen sich eine mehrsprachige Erziehung in vorschulischen Einrichtungen. Immer mehr Kommunen er‐ kennen die Vorteile einer gemeinsamen Erziehung von immi‐ grierten und einheimischen Kindern. Doch die Praxis kommt nicht nach. Dass es vielerorts – nicht nur in Deutschland – zu wenig bilinguale Kindertages‐ stätten gibt, hat vor allem zwei Gründe: - Es mangelt an ausgearbeiteten Methoden und geeig‐ neten Medien für die frühkindliche mehrsprachige Bildung. - Es fehlen genügend vorgebildete Erzieherinnen und Erzieher. Das erstgenannte Hindernis wird zurzeit ausgeräumt. Ein Beispiel: Der Olms‐Verlag in Hildesheim veröffentlicht Pra‐ xismaterialien für die bilinguale Vorschulerziehung mit me‐ thodischen Anleitungen in (bisher) sieben Sprachen. Aber der Mangel an für die spezielle und komplexe Auf‐ gabe der Erziehung in mehrsprachigen Institutionen ausgebil‐
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deten Personen ist nach wie vor groß. Er könnte behoben wer‐ den durch ein In‐service Training von bereits in monolingualen Kindergärten tätigen Personen. Besser geeignet wäre aber ein grundständiges Studium an einer Hochschule, das die wich‐ tigsten, für die Arbeit in den bilingualen Einrichtungen rele‐ vanten Bereiche abdeckt. Ein Vorschlag für ein Curriculum dieser Art ist der folgende:
Curriculum Erzieherinnen und Erzieher, die in bilingualen Kindergärten arbeiten, bedürfen einer speziellen, über die Basisqualifikation hinausgehenden Kompetenz. Das hier vorgeschlagene Curri‐ culum enthält die wichtigsten Bestandteile eines Studiengan‐ ges für den Erwerb einer solchen Kompetenz. Es erstreckt sich über vier Bereiche: Die Didaktik der bilingualen Vorschuler‐ ziehung und die sie stützenden Grundwissenschaften Päda‐ gogik, Sprachwissenschaft und Psychologie.
1. Pädagogische Fundierung1 Bilinguale Kindergärten stellen eine neue und zeitgemäße Form vorschulischer Erziehung dar. Ungeachtet ihrer speziel‐ len Ausrichtung haben sie die gleichen Grundfunktionen aller vorschulischen Einrichtungen und müssen dem Bildungsauf‐ trag dieser Institutionen gerecht werden. Dazu gehören neben dem Erwerb fundamentaler Sach‐ kompetenzen vor allem das soziale und das sprachliche Ler‐ nen. Auf ihnen können das interkulturelle und das zweit‐ sprachliche Lernen dann aufbauen. 1
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Fried und Roux, 2006; Fthenakis et al., 1985
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Die Erzieherinnen und Erzieher in den bilingualen Kin‐ dertagesstätten müssen sich ihrer komplexen Aufgabe sehr bewusst sein. Das schließt ein, dass sie erkannt haben, welche Bedeutung der gesellschaftlich notwendig gewordene Wandel in der Konzeption der Funktionen der Vorschuleinrichtungen für ihre Arbeit hat. Wenn die Institutionen nicht mehr nur Betreuungsaufgaben erfüllen sollen, sondern einen Bildungs‐ auftrag erhalten, müssen sie sich umorientieren. Sie müssen prinzipiell von den individuellen Voraussetzungen jedes ein‐ zelnen Kindes ausgehen und sie zu den gesellschaftlichen Erwartungen in Form von Haltungen und Kompetenzen in Beziehung setzen. Ausgangspunkt aller pädagogischen Überlegungen ist ein bestimmtes Bild vom Menschen als einem kreativen und autonomen Wesen. Kinder werden von Natur aus als lernbe‐ reite und wissbegierige Akteure angesehen, deren Selbststän‐ digkeit und Kreativität es zu fördern gilt. Die frühe Kindheit spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sie schafft die Basis für alle weiteren Entwicklungen. Für die praktische Arbeit gelten einige wichtige Voraus‐ setzungen: Deren erste ist die Freiheit von Furcht und Bedro‐ hung. Kleine Kinder können sich nur in einer Atmosphäre der Geborgenheit entfalten. Unnötiger Zwang und Druck behin‐ dern das Lernen und erzeugen frühe Frustration. Deshalb sind Ermunterung und Lob sehr wichtig. Eine zweite Voraussetzung ist die positive Beziehung zwischen der Erzieherin und den Kindern. Bettina King hat sie „a trusting bond“ genannt. „There has to be a trusting bond between teacher and child. This bond is a mutual construct. The children must have the confidence that the teacher will always act with the intention of helping them and that they 413
can rely on her. On the other hand the children must know that the teacher relies on them and that they should act ac‐ cording to this expectation“ (Doyé & King, 2010: 15). Die dritte Voraussetzung besteht in der gesellschaftlichen Verankerung der Kindergartenarbeit. Das betrifft vor allem die Zusammenarbeit mit den Eltern. Diese müssen begreifen, dass sie nicht einfach ihr Kind an der Pforte zur Tagesstätte abge‐ ben und der Verantwortung der Erzieherin überlassen kön‐ nen; und umgekehrt muss die Erzieherin die Rolle der Eltern respektieren. Beide müssen „am gleichen Strang ziehen“. Aber die Notwendigkeit zur gesellschaftlichen Einbindung reicht weiter. Nirgendwo in Europa hat diese Notwendigkeit stärke‐ ren Ausdruck gefunden als in der Pädagogik von Reggio Emi‐ lia. In ihr trägt die Gesamtheit der Kommune – vom Bürger‐ meister bis zum Hausmeister – die Verantwortung für das, was im Kindergarten geschieht.
2. Psychologische Grundlagen2 Für Erzieherinnen und Erzieher in bilingualen Einrichtungen ist es unerlässlich, die Kernkonzeptionen der Lernpsychologie, der Entwicklungspsychologie, der Sprachpsychologie und der Sozialpsychologie zu kennen.
2.1 Lernpsychologie Die Lernpsychologie ist zentraler Bestandteil der pädagogi‐ schen Psychologie und liefert wertvolle Unterstützung beim Fällen didaktischer Entscheidungen. Sie gewährt den nötigen Überblick über die verschiedenen Arten des Lernens und die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Lernen. 2
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Edelmann, 2000; Hörmann1987
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So ist es z.B. für Lehrer und Erzieherinnen wichtig zu wissen, dass Kinder den Wortschatz einer Sprache in erster Linie über assoziatives Lernen erwerben werden, die Gram‐ matik aber durch strukturierendes Regellernen. Wenn sie die Bedingungen und Formen dieser beiden Lernarten kennen, sind sie gut vorbereitet, die entsprechenden Lernprozesse zu initiieren und zu steuern. Gleiches gilt für die Rolle des Ge‐ dächtnisses und der Motivation sowie die Beziehung von Kognition und Emotion beim Sprachenlernen.
2.2 Entwicklungspsychologie Die Entwicklungspsychologie ist vor allem hilfreich bei dem pädagogischen Bemühen um Kindgemäßheit. Als diejenige Disziplin, die sich primär mit den Veränderungen des Verhal‐ tens und den ihm zu Grunde liegenden Verhaltensdispositio‐ nen in der menschlichen Entwicklung befasst, kann sie Hilfe‐ stellung leisten bei der Entscheidung über eine günstige Plat‐ zierung des Fremdsprachenlernens und seine altersgemäße Gestaltung. Viele Entwicklungspsychologen vertreten die Auf‐ fassung, dass Kinder im Vorschulalter besonders günstige kognitive und emotionale Voraussetzungen für das Sprachen‐ lernen besitzen.
2.3 Sprachpsychologie und Sozialpsychologie Ähnliche Hilfe wie die beiden beschriebenen Disziplinen bie‐ ten die Sprachpsychologie, die sich mit den psychologischen Gesetzmäßigkeiten des sprachlichen Geschehens befasst, und die Sozialpsychologie, die sich mit menschlichem Verhalten unter dem Aspekt seiner sozialen Gebundenheit beschäftigt.
415
3. Sprachwissenschaftliche Grundlagen Zur Vermittlung sprachlicher Kompetenzen in der Erstsprache sowie der Partnersprache benötigen die Erzieherinnen und Erzieher klare Vorstellungen vom Wesen und den Funktionen menschlicher Sprache allgemein, von der Art und Weise, in der Menschen sich Sprache aneignen und von den spezifi‐ schen Merkmalen der beiden Einzelsprachen.
3.1 Allgemeine Sprachtheorie3 Sie liefert das Grundwissen für das Verständnis der Rolle der Sprache im Leben des Menschen und in speziellen Lernsitua‐ tionen, z.B. dem Sprachenlernen. Ihre wichtigsten Aussagen sind die folgenden: Sprache ist ein System von konventionellen Zeichen, das dem Menschen zur Erfassung und Darstellung der Welt, zum Ausdruck von Gedanken und Gefühlen und zur Kommunika‐ tion mit anderen Menschen dient. Mit ihrer Hilfe kann er sich die Welt zu eigen machen, seine Gedanken und Gefühle aus‐ drücken und mit anderen Personen Kontakte aufbauen. Platon beschrieb die Sprache als ein Werkzeug, ein Organ, mit wel‐ chem „einer dem anderen etwas mitteilt über die Dinge“. Büh‐ ler entwarf auf dieser Grundlage sein bekanntes Organonmodell, das die drei folgenden fundamentalen Funk‐ tionen der menschlichen Sprache enthält: Darstellung, Aus‐ druck und Appell.
3
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Bühler, 1982; Ullmann, 1987
416
Abbildung 1: Organonmodell
Quelle: Bühler, 1982
Im Mittelpunkt dieses Modells steht das Zeichen (Z). Ein Zeichen ist eine Einheit aus Form und Inhalt. Wörter sind sprachliche Zeichen. Ihre Form kann lautlicher oder graphi‐ scher Natur sein; sie können in gesprochener oder geschriebe‐ ner Gestalt auftreten. Ihre Inhalte sind Begriffe, Ideen, Kon‐ zepte. Das sprachliche Zeichen hat eine Ausdrucksseite und eine konzeptionelle Inhaltsseite, die untrennbar miteinander verbunden sind. Das Zeichensystem ist untergliedert. Man unterscheidet drei Subsysteme: das phonologische, das lexikalische und das syntaktische. Die drei entsprechenden Teildisziplinen der Sprachwissenschaft sind die Phonologie, die Lexik und die Syntax. Sie befassen sich mit dem Inventar der Phoneme (Lau‐ te), den Lexemen (Wörter) und den Satzstrukturen (Sätze) der einzelnen Sprachen. Die drei Subsysteme interagieren äußerst effizient, was letztlich der Grund für das sogenannte „Wunder der Sprache“ 417
ist. Gemeint ist die erstaunliche Tatsache, dass Menschen mit einer begrenzten Zahl von lautlichen Einheiten ihre gesamte Umwelt in Sprache fassen können. Abbildung 2:
Phonologie Phoneminventar, Phonemkombinatorik im Rahmen des Morphems Morphologie/Lexikologie Morpheminventar, Morphemkombinatorik im Rahmen des Wortes Syntax Wortkombinatorik im Rah‐ men des Satzes Ausdruckseite
Wortsemantik Bedeutung der sprachli‐ chen Zeichen (Morphem, Wort) Satzsemantik Bedeutung des Zeichen‐ kombinationen im Satz Inhaltsseite
Quelle: Ulmann, Grundzüge der Semantik, 1967
3.2 Spracherwerbstheorie4 Zu wissen, wie sich Kinder eine Sprache aneignen, ist von großer Bedeutung für Personen, die sie dabei unterstützen wollen; also Eltern und Erzieher. Wichtig ist dabei, den Unter‐ schied zwischen Erstspracherwerb und dem Erwerb weiterer Sprachen zu kennen. In der Regel eignen sich Kinder im Laufe ihrer ersten Le‐ bensjahre die Sprache ihrer Umwelt an. Das geschieht auf ʹnatürlichemʹ Wege, d.h. weitgehend ungesteuert und nicht 4
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Everett, 2012; Dalgalian, 2000
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von Lehrpersonen systematisch geplant. Aufgrund welcher Faktoren der Erstspracherwerb funktioniert, darüber gibt es verschiedene, divergierende Theorien. Die beiden wichtigsten sind die nativistische und die empiristische. Die Nativisten nehmen an, dass der Erwerb vor allem auf Grund eines ange‐ borenen Mechanismus (language acquisition device) ge‐ schieht, während die Empiristen davon ausgehen, dass haupt‐ sächlich die Umwelt und die Bezugspersonen die entschei‐ denden Wirkfaktoren darstellen. Wie sich Kinder eine Zweitsprache – hier Partnersprache – aneignen, hängt von dem Zeitpunkt des Erwerbs und von der Entscheidung ab, ob dies nach dem Erlernen der Erstspra‐ che oder parallel dazu geschieht. Der Zweitsprachenerwerbsprozess kann ähnlich und das heißt auch ähnlich erfolgreich verlaufen, wenn er früh und nahe am Erstsprachenerwerbsprozess einsetzt. Dies ist eine der wichtigsten Argumente für das Partnersprachenlernen in der Vorschule. Dazu müssen aber zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Kinder müssen vor die Notwendigkeit gestellt werden, die zweite Sprache zu lernen, und sie müssen genügend Gelegen‐ heit bekommen, sich im Verstehen und Gebrauch dieser Spra‐ che zu üben.
3.3 Linguistik der Einzelsprachen Über die Kenntnis der wichtigsten sprachtheoretischen und spracherwerbstheoretischen Konzepte hinaus müssen die Erzieherinnen und Erzieher in bilingualen Kindergärten klare Vorstellungen von der Struktur und den linguistischen Merk‐ malen der beiden assoziierten Sprachen erwerben. Sie sollten diese Sprachen nicht nur praktisch gut beherrschen, sondern 419
auch die relevanten phonologischen, lexikalischen und syntak‐ tischen Eigenschaften kennen und sie zum Zwecke der Lerner‐ leichterung zu kontrastieren wissen. Mit anderen Worten: Grundkenntnisse in Germanistik, Romanistik, Slawistik usw. je nach der praktizierten Sprach‐ kombination sind erforderlich.
4. Didaktik der bilingualen Vorschulerziehung Sie bildet das Kernstück der Weiterbildung der Erzieherinnen und Erziehung in bilingualen Kindertagesstätten und erstreckt sich auf die Intentionen, Inhalte, Methoden und Medien dieser Erziehung.
4.1 Intentionen5 Es gilt zu unterscheiden zwischen den Funktionen, die der bilingualen Vorschulerziehung generell zugewiesen werden und den Zielen der konkreten didaktischen Maßnahmen. Die Träger der bilingualen Einrichtungen setzen in Ab‐ stimmung mit den zuständigen staatlichen Institutionen fest, welche Funktionen die Kindergärten übernehmen sollen. Auf diesem Gebiet gibt es eine weitgehende Übereinstimmung in Theorie und Praxis. Im Prinzip wird die finalità überall gleich gesehen: Die Vorschulerziehung soll hauptsächlich der Entfal‐ tung der Anlagen des Kindes und der Schaffung von Grund‐ lagen für seine Bildung dienen. Hinzukommen die beiden sozialen Funktionen der temporären Freistellung der Eltern und der Kompensation von sozial bedingten Nachteilen. Theoretiker der bilingualen Vorschulerziehung haben ihr in neuerer Zeit eine weitere Funktion zugewiesen: Sie solle 5
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Doyé, 2009; Searle, 1994
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einen Beitrag leisten zur Integration ausländischer Kinder in die deutsche Mehrheitsgesellschaft und speziell zu ihrer Befä‐ higung zur Partizipation am deutschen Bildungssystem die‐ nen. Besonders Kinder aus immigrierten Familien mit wenig Deutsch‐Kenntnissen können auf diese Weise schulfähig ge‐ macht werden. Über diese generelle Zweckbestimmung hinaus gibt es auf den zentralen Gebieten der Erziehung konkrete Ziele des sprachlichen und interkulturellen Lernens. Sie werden meist in Form von Kompetenzen gefasst, z.B. als die Fähigkeit, mit anderssprachigen Menschen zu kommunizieren. Die optimale Grundlage hierfür liefert die Pragmatik, welche die kommu‐ nikative Kompetenz als Fähigkeit zum Vollzug sprachlicher Akte konzipiert (z.B. Searle).
4.2 Inhalte6 Die Inhalte des Lernens und Lehrens in den Kindertagesstät‐ ten sind nach sogenannten Bildungsbereichen und deren kon‐ kreten Komponenten gegliedert. Die Bildungsbereiche ergeben sich aus den Funktionen und Zielen der Vorschulerziehung. In deutschen amtlichen Richtlinien ist bezeichnenderweise nie von Sachgebieten oder gar Fächern die Rede, ebenso wie entsprechende italienische Dokumente den Ausdruck campi di esperienza dem Terminus aree disciplinari vorziehen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um Bereiche handelt, die sich aufgrund ihrer Relevanz für die Bildung der Kinder ergeben, nicht aus sachlogischen Reflexionen. Die Kinder müssen in bestimmten Lebensbereichen bestehen können, und die Pädagogen müs‐ 6
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Gervilla, 2006; Schlösser, 2001
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sen sich bemühen, ihnen die dafür nötige Grundbildung zu vermitteln. Jeder der vorgesehenen Bildungsbereiche manifestiert sich in Gestalt von Themen, die für die Erfüllung der sich er‐ gebenden Aufgaben wichtig sind. Sie leiten sich in der Regel aus der aktuellen oder prognostizierten Relevanz für das Le‐ ben der Kinder ab. Typische Themen sind: Identität, Familie, Ernährung, Kleidung, Wohnen, Tiere und Pflanzen, soziale Beziehungen, Spiel und Sport, Arbeit, Kommunikation und Verkehr. Im Hinblick auf die bilinguale Zielsetzung ist es wichtig, dass beide jeweils vertretenen Sprachen und Kulturen in glei‐ chem Maße gepflegt werden. Die genannten Themen werden in beiden Sprachen behandelt und durch Beispiele aus beiden Kulturen belegt. Dafür ist es hilfreich, dass in jeder Gruppe je eine Erzieherin als Vertreterin ihrer nativen Kultur tätig ist. Sie spricht mit den Kindern ausschließlich in ihrer Herkunftsspra‐ che. 4.3 Methodische Organisation7 Auch auf diesem Gebiet bietet sich eine Gliederung in zwei Kategorien an. Man kann differenzieren zwischen den gene‐ rellen und den spezifischen Strategien des Lehrens und Ler‐ nens. Diese Unterscheidung nehmen denn auch viele Theore‐ tiker in den nationalen Didaktiken vor‐ Sie unterscheiden: „approach and method“, „approccio e procedimento“, „estrategia y método“. In die erste Kategorie fallen die Prinzipien der methodi‐ schen Organisation, die in der Regel auf einer bestimmten 7
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Apeltauer, 1997; Doyé, 2014
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Sicht des Menschen, seiner Bedürfnisse und Antriebe und seiner Art zu lernen beruhen. Nach diesen richten sich dann die Prinzipien der Organisation der pädagogischen Einfluss‐ nahme. In die zweite Kategorie fallen die konkreten Maßnah‐ men innerhalb dieser Organisation, in unserem Falle die Ver‐ fahren der Vermittlung von Sprache und Kultur. Es gibt eine Reihe von Prinzipien, die aller Erziehung in den vorschulischen Einrichtungen zugrunde liegen. Sie leiten sich aus den Vorstellungen von den Vorzügen verschiedener Formen menschlichen Lernens ab und der Absicht, diese durch methodische Maßnahmen zu unterstützen. Die Lehrenden sehen den Sinn und Wert z.B. des spieleri‐ schen Lernens, des active learning, des apprendizaje vivencial ein und machen die Unterstützung dieser Formen des Lernens zu Prinzipien ihrer methodischen Aktivitäten. Die einzelnen Verfahren der sprachlichen und interkultu‐ rellen Erziehung ergeben sich aus den Prinzipien. Zur sprach‐ lichen Schulung der Vorschulkinder eignen sich viele der Ver‐ fahren, die auch im schulischen Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden. Die Wortschatzvermittlung und die pho‐ netische Schulung können – in altersgemäßer Form – ähnlich verlaufen wie in der Grundschule. Zur interkulturellen Erziehung gehören alle jene konkre‐ ten Maßnahmen zum Aufbau von Solidarität und Toleranz und zur Vermeidung von Stereotypen und Vorurteilen, die sich auf höheren Altersstufen bewährt haben und hier nur in eine den jüngeren Kindern angemessene Form gebracht wer‐ den müssen. Hinzu kommen kindergartenspezifische Verfahren des ganzheitlichen Lernens, der partiellen Immersion, des Lernens im Tandem und des Sprachvergleichs. 423
4.4 Medien8 Als Medien werden alle Materialien und Vorrichtungen be‐ zeichnet, die der Übermittlung der Lerngegenstände an die Kinder dienen. Für die vorschulische Erziehung liegt die Be‐ deutung der Medien auf der Hand ‐ prinzipiell und erst recht im Falle der bilingualen Erziehung. Sprachenlernen und ‐ lehren ist auf die angemessene Verwendung geeigneter Medi‐ en geradezu angewiesen. Aber auch das soziale und beson‐ ders das interkulturelle Lernen kommen im Kindergarten ohne die Stützung durch adäquaten Medieneinsatz nicht aus. Es gibt eine Fülle von Medien, die hier aufzulisten schier unmöglich ist. Vom Baukasten bis zum Bilderbuch, vom Puz‐ zle bis zum Computer kommen zahlreiche Medien in Frage. Eine besondere Rolle spielen in den bilingualen Kitas die Kinderbücher aus den Ländern der Zielsprache und ‐kultur: hauptsächlich Bilderbücher, (Vor‐)Lesebücher, Bücher mit Bildgeschichten, Bücher mit Liedern und Reimen. Für solche Bücher gibt es hilfreiche Quellen wie die Real Books der engli‐ schen Pädagogin Opal Dunn, die italienischen Edizioni EL und die Praxismaterialien des Olms Verlages (Hildesheim). Erkennen müssen Erzieherinnen in bilingualen Kinder‐ gärten aber auch die Gefahr der Überbewertung von Medien. Diese dürfen nicht den gesamten Ablauf kindlichen Lernens präjudizieren und der Kreativität im Wege stehen.
8
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Goethe‐Institut Ungarn, 2009; Doyé, 2013
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5. Interkulturelle Erziehung9 Durch die permanente Konfrontation der beiden Partnerspra‐ chen und ‐kulturen und deren konsequente Gleichstellung besitzt die bilinguale Vorschulerziehung gute Möglichkeiten zu interkultureller Erziehung. Die Annahme, dass interkultu‐ relle Erziehung erst auf späteren Bildungsstufen einsetzen könne, hat sich als falsch erwiesen. Neuere Erfahrungen in progressiven Kindertagesstätten haben gezeigt, dass die Grundlagen zu solcher Erziehung sehr wohl schon auf dieser frühen Stufe gelegt werden können. Der tägliche Umgang mit Objekten und die Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen sind geeignet, Kenntnisse und Einsichten zu erwerben, welche bei behutsamer Lenkung zu der erstrebten Offenheit und Toleranz gegenüber dem Fremden führen können. Unter dem Aspekt der interkulturellen Erziehung ist bei der Auswahl der Materialien darauf zu achten, dass sie au‐ thentische Produkte der jeweiligen Kultur sind und nur im Ausnahmefall speziell für das Sprachenlernen aufbereitete Materialien aufgenommen werden.
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9
Empfohlende Literatur zu diesem Kapitel, Nieke, 1994; Riccò et al., 1996
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Anlage: Struktur des Studiums
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VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN Prof. Dr. Orhan AĞIRDAĞ Prof. Orhan Ağırdağ ist 1984 geboren. Er schloss das Master‐Studium 2007 an der Universität Leuven im Studiengang Soziologie. Er pro‐ movierte zwischen 2008‐2011 an der Universität Gent über Erzie‐ hungssoziologie. Zwischen 2012‐2013 war er in den USA in UCLA als Fulbright Fellow tätig. Er habilitierte 2014 an der Universität Amster‐ dam im Bereich der Erziehungswissenschaften und erhielt 2015 seine Professur an der Universität Leuven, wo er noch tätig ist. Seine For‐ schungsschwerpunkte liegen in den Bereichen soziale und ethnische Ungerechtigkeit bei der Bildung sowie der zweisprachigen Bildung und Lehrerausbildung. Seine Forschungen wurden mit dem Charles‐ Ullens‐Preis der König‐Baudouin‐Stiftung, dem P&V Stiftungspreis, dem Promotionspreis der niederländischen und belgischen Bildungs‐ forschungen und dem Frans‐Van‐ Cauwelaert‐Preis, eines der presti‐ geträchtigsten Preise Belgiens, geehrt. Seine wissenschaftlichen Ar‐ beiten wurden in mehr als zehn Sammelbüchern und 20 Fachzeit‐ schriften veröffentlicht.
[email protected] Dr. Mehmet ALPBEK Dr. Mehmet Alpbek kam 1969 nach Berlin, wo er 1977 das Gymnasi‐ um und 1983 Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin abschloss. Seine Promotionsarbeit schrieb er 1997 an der Humboldt Universität zu Berlin. Er führte in Organisationen wie Arbeiterwohl‐ fahrt, Arbeitskreis Neue Erziehung, Türkischer Elternverein Berlin‐
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Brandenburg und Türkische Gemeinschaft Berlin Brandenburg El‐ ternarbeit durch. Seit 2013 ist er Bundesgeschäftsführer der Föderati‐ on Türkischer Elternvereine in Deutschland e.V. und leitet das Projekt „Strukturelle Förderung“. Er hat diverse Artikel veröffentlicht.
[email protected] Remzi AYDIN Er ist 1988 in Kayseri geboren. Nach der Grundschule in Kayseri hat er die Kayseri Anadolu Berufsschule für Hotellerie und Tourismus‐ wesen als Jahrgangsbester abgeschlossen. Er begann 2009 sein Studi‐ um an der Kunstgewerbefakultät der Universität Gazi im Studien‐ gang Lehramt Familie‐ und Verbraucherwissenschaften. Mit einem Stipendium der Türkischen Bildungsstiftung schloss er sein Studium im Januar 2013 ab. Seine Arbeiten über Kindesentwicklung, Wahr‐ nehmung der Kinder, Frauen und der Älteren in der Familie, Kindes‐ und Frauenmissbrauch wurden in nationalen und internationalen Zeitschriften, Kongressschriften und Sammelbüchern veröffentlicht. Er befindet sich z.Z. im Master‐Studium an der Universität Ankara im Institut für Gesundheitswissenschaften über Kindesentwicklung und Interdisziplinäre Familienberatung.
[email protected] Doç. Dr. Hatice BEKIR Hatice BEKIR hat das Bachelor‐Studium 1988 an der Universität An‐ kara und ihr Master‐Studium 1993 an der Universität Gazi abge‐ schlossen, wo sie auch in 2004 promovierte. 2006 erhielt sie einen Lehrauftrag im Fachbereich Kindesentwicklung und Zwischen‐ menschliche Beziehungen. 2013 habilitierte sie im Bereich Kindes‐ entwicklung. Sie ist z.Z. Dozentin an der Universität Gazi im Fachbe‐ reich Erziehungswissenschaften, Studiengang Vorschulerziehung. Sie hat diverse Veröffentlichungen über Kindesentwicklung und ‐ Erziehung, Sprachentwicklung, Zweisprachigkeit, Kommunikation in der Familie und zwischenmenschliche Beziehungen.
[email protected]
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Janina BISCHOFF Janina Bischoff (*1988) studiert ihren Master in Sozialwissenschaft an der Ruhr‐Universität in Bochum und hat 2014 ein halbjähriges Prak‐ tikum am Zentrum für Europäische Studien der Akdeniz Universität (AKVAM) in Antalya absolviert. Sie hat in Schweden und Polen u.a. Internationale Migration studiert und konnte durch ihre ehemalige Arbeit am Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung besonders zur Projektarbeit in Antalya beitragen. Janina.bischoff@ruhr‐uni‐bochum.de Assoc. Prof. Mehmet CANBULAT Mehmet Canbulat ist 1965 in Samsun geboren. Er studierte Erzie‐ hungswissenschaften an der Universität Ondokuz Mayis. In die aka‐ demische Laufbahn stieg er 1993 an der Universität Abant Izzet Bay‐ sal ein und studierte mit einem Stipendium des YÖK (Hochschulrat) an der Freien Universität zu Berlin, schloss dort sein Master‐Studium in Allgemeinen Sprachwissenschaften und promovierte anschlie‐ ßend. 2002 erhielt er einen Lehrauftrag an der Erziehungswissen‐ schaftlichen Fakultät der Abant Izzet Baysal Universität. Zwischen 2008 – 2009 arbeitete er an der Universität Bonn im Institut Orientali‐ sche und Asiatische Sprachen im Fachbereich Türkische Übersetzun‐ gen und habilitierte 2012 in Sprachwissenschaften. Seit 2013 lehrt er an der Universität Akdeniz im Fachbereich Erziehungswissenschaf‐ ten im Studiengang Türkisch. Er hat in Themenschwerpunkten wie Sprachanwendung von sozialen Gruppen, Sprachenerwerb in Migra‐ tionsatmosphäre, Sozialisation und Zweisprachigkeit mehrere wis‐ senschaftliche Arbeiten abgefasst.
[email protected] Meryem D. ÇELIKKOL Meryem D. Çelikkol ist in Hamburg geboren und lebte nach dem Abitur 2 Jahre in Izmir. Zum Studium (Turkologie und Phonetik) kehrte sie nach Hamburg zurück. In der Zeit arbeitete sie bei Prof. Dr. Jochen Rehbein im Projekt „Die Entwicklung narrativer Diskursfä‐ higkeiten im Deutschen und Türkischen in Familie und Schule
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(ENDFAS)ʺ mit. Seit Abschluss des Studiums ist sie als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache in der Erwachsenenbildung tätig und engagiert sich aktiv in der Migrationsarbeit. Seit November 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg im BMBF‐Projekt „Sprachförderung im Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit (MuM‐Multi)“, das von Prof. Dr. Jochen Rehbein und Prof. Dr. Angelika Redder in Hamburg und dem Verbundpartner Prof. Dr. Susanne Prediger (TU Dortmund) geleitet wird. Meryem.celikkol@uni‐hamburg.de Prof. Dr. Peter DOYÉ Prof. Dr. Peter Doyé ist emeritus an der Technischen Universität Braunschweig. Dort bildete er 30 Jahre lang Englischlehrer aus, von denen heute viele im Fremdsprachenunterricht der Bundesrepublik Deutschland tätig sind. An 20 Goethe‐Instituten in Asien, Afrika und Europa hat Doyé Seminare, hauptsächlich zum Thema Deutsch im Unterricht als Fremdsprache, durchgeführt und für den Europarat zahlreiche Workshops zu fremdsprachendidaktischen Kernfragen organisiert. Seit seiner Emeritierung ist Peter Doyé hauptsächlich als Berater des Council of Europe und als Evaluator von Lingua‐ Projekten der EU tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die interkul‐ turelle und die mehrsprachige Erziehung. Seine gegenwärtige Arbeit verdichtet sich auf die Interkomprehension und die bilinguale Vor‐ schulerziehung. Prof. Doyé hat über fremdsprachendidaktische The‐ men 70 Artikel und 12 Bücher veröffentlicht. Er ist Träger des Bun‐ desverdienstkreuzes.
[email protected] Beyhan ERTANIR, M.Sc. Beyhan Ertanır untersucht im Rahmen ihrer Dissertation an der Uni‐ versität Heidelberg die sozio‐emotionale und sprachliche Entwick‐ lung von mehrsprachigen Kindern. Seit Oktober 2014 ist sie als wis‐ senschaftliche Mitarbeiterin in dem BMBF‐Projekt „Effekte einer aktiven Integration von Mehrsprachigkeit in Kindertagesstätten“ an
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der Professur für Entwicklungspsychologie (Sprachentwicklung) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg tätig. Ihren Bachelor in Psy‐ chologie schloss sie 2011 an der Georg‐August‐Universität Göttingen und ihren Master in Psychologie an der Friedrich‐Schiller‐ Universität Jena ab. Zu ihren weiteren Forschungsinteressen gehören das Selbstkonzept von mehrsprachigen Kindern, die migrationsbe‐ dingte Akkulturation sowie Inter‐ und Intragruppenprozesse. ertanir@ph‐heidelberg.de Prof. Dr. Erol ESEN Prof. Dr. Erol Esen studierte an der Friedrich Wilhelms‐Universität Bonn Politikwissenschaften, Soziologie und Entwicklungspolitik. Als Stipendiat der Friedrich‐Ebert‐Stiftung schloss er dort seine Promoti‐ on über EU‐Türkei‐Beziehungen in 1990 ab und wechselte nach Ber‐ lin. Als freier Referent konzipierte und führte Esen im Auftrage ver‐ schiedener Bildungsträger Seminare und Bildungsveranstaltungen, insbesondere in den neuen Bundesländern durch. 1995‐1998 leitete er die Landesarbeitsgemeinsaft Arbeit und Leben Brandenburg in Pots‐ dam. Anschließend entwickelte er Konzepte, leitete u.a. EU‐ geförderte Projekte und führte Arbeitsteams im Aufgabenbereich zu interkulturellen Dienstleistungen und der europäischen Integration. Seit 2000 ist er an der Akdeniz Universität, am Fachbereich für Öf‐ fentliche Verwaltung als Dozent tätig. Seit 2014 ist er Professor für Verwaltungswissenschaften und leitet den Fachbereich für Öffentli‐ che Verwaltung an der Akdeniz Universität. Seine Forschungs‐ schwerpunkte sind europäische Integration, deutsch‐türkische Zu‐ sammenarbeit, Kommunalverwaltungen sowie transnationale und transkulturelle Prozesse. Herr Prof. Esen gründete 2003 das „Zent‐ rum für Europäische Studien an der Akdeniz Universität (AKVAM) und leitet dieses bis heute.
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Dr. Natalia GAGARINA PD Dr. habil. Natalia Gagarina vertritt z.Zt. die Professur für Psycho‐ linguistik an der Humboldt‐Universität zu Berlin, Institut für die deutsche Sprache und Literatur. Sie koordiniert den Programmbe‐ reich zur Mehrsprachigkeit am Zentrum für Allgemeine Sprachwis‐ senschaft in Berlin (ZAS) und leitet den Berliner Interdisziplinären Verbund für Mehrsprachigkeit. In ihren Forschungsprojekten, finan‐ ziert durch BMBF, DFG, EU und GIF, erforscht sie die (un)auffällige (mehrsprachige) Sprachentwicklung sowie Möglichkeiten der Sprachdiagnostik und ‐förderung. Sie ist Autorin und (Mit‐ )Herausgeberin von einigen Büchern zum Spracherwerb, des Sprachförderprogramms für russisch‐ deutsche bilinguale Kinder FREPY, sowie Erstautorin von MAIN: Multilingual Assessment In‐ strument for Narratives (LITMUS), das in 28 Sprachen adaptiert ist.
[email protected]‐berlin.de Prof. Dr. Gülten GÜLER Prof. Güler, 1985‐1990 yılları arasında İstanbul Üniversitesi’nde Almanca didaktiği okudu. 1995 yılında yabancı dil olarak Almanca öğretmeni eğitimi dersleri metodolojisi için konsept hazırlanması konusunda doktorasını vermiştir. 1990 yılından beri Bursa Uludağ Üniversitesi Almanca Öğretmenliği Bölümü öğretim üyesidir. Temel araştırma konuları, yabancı dil olarak Almanca metodolojisi, dil pratiği, yabancı dil edinimi, içerik geliştirme, öğrenme otonomisi ve öğrenme stratejileridir. İkinci yabancı dil olarak Almanca, Almanca dersinde içerik sunma sorunsalı, sosyal bilgiler, edebiyat didaktiği ve yabancı dil öğrenme stratejileri konularında çalışmaları ve yayınları vardır. 2003 yılından bu yana Bursa Uludağ Üniversitesi Almanca Öğretmenliği Bölümü başkanıdır.
[email protected] Prof. Dr. Şeref KARA Prof. Dr. Şeref KARA, studierte sowohl in der Türkei als auch in Frankreich. Er ist z.Z. an der Universität Uludağ im Fachbereich
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Erziehungswissenschaften im Studiengang Fremdsprachen tätig. Seine Abhandlungen und Bücher über Sprachwissenschaften, Fremd‐ sprachenlehre, Sprachenerwerb bei den Kindern, Sprache und Kultur, Semiotik und Diskursanalyse wurden im In‐ und Ausland veröffent‐ licht. Dr. Kara ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
[email protected] Annegret KIESCHNICK, M.A. Annegret Kieschnick ist Referentin für „Pädagogik und Qualitäts‐ entwicklung“ der FRÖBEL Management GmbH. Sie ist Erziehungs‐ wissenschaftlerin. Sie studierte 2004 ‐ 2010 an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaft mit Abschluss der Masterarbeit zum Thema „Förderung von literacy‐Kompetenzen im Kindergarten“. Seit 2011 ist sie in der pädagogischen Abteilung der FRÖBEL‐Gruppe beschäftigt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind alltagsintegrierte Sprach‐ förderung, bilinguale Erziehung sowie die literacy‐Förderung in FRÖBEL‐Krippen, ‐Kindergärten und ‐Horten. kieschnick@froebel‐gruppe.de Dr. Almut KÜPPERS Dr. Almut Küppers studierte in Deutschland und in Groß Britannien. Sie war als Ausbilderin und Forscherin in vielen Stufen der Bildung in Deutschland, den USA und der Türkei tätig. Ihre Aufgaben‐ schwerpunkte sind Fremdsprachenerwerb und Lehrmethoden. Sie ist z.Z. Gastdozentin im Istanbul Politikzentrum der Universität Sabancı. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mehrsprachigkeit und Multikulturalität, zweisprachige Bildung, Migrantensprachen, inter‐ kulturelle und transkulturelle Bildung / interkulturelle Neuigkeiten, Ausbildung der Fremdsprachenlehrer ‐ Lehrerberuf, kulturelle For‐ schungen–Lehrerausbildung in Groß Britannien ‐ PGCE/ Sprachassis‐ tenten, Lesen und Literacy‐Bildung in Fremdsprachen; Kinderlitera‐ tur und Drama in der Bildung.
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Antje SKERRA Antje Skerra ist Logopädin und Dipl. Patholinguistin (Universität Potsdam). Von 2007‐2010 war sie Mitarbeiterin im Studiengang „Kli‐ nische Linguistik“ unter Prof. C. Kauschke an der Universität Mar‐ burg. Von Januar 2011 bis Mai 2014 erhielt sie ein Promotionsstipen‐ dium am ZAS in Berlin und war Mitarbeiterin in COST Action IS0804 ‐ Language Impairment in a Multilingual Society: Linguistic Pattern and the Road to Assessment. Für das Wintersemester 2014/2015 übernahm sie einen Lehrauftrag an der Alice‐Salomon‐Hochschule im Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter zum Thema Mehrsprachigkeit. 2008 erhielt Antje Skerra den dbl (Deutscher Bun‐ desverband für Logopädie e.V.) Forschungspreis für ihre Diplomar‐ beit „Fast Mapping‐Leistungen bei Kindern mit einer seman‐ tisch‐lexikalischen Störung“. Nebenberuflich ist sie seit 2006 durch‐ gehend Fortbildungsbeauftragte für Sprachtherapeut/innen und Erzieher/innen für verschiedene Anbieter.
[email protected] Ahmet Başar ŞEN Ahmet Başar Şen, Konsul erster Klasse, ist 1967 in Ezine geboren. Er ist Absolvent des Istanbul Kabataş Knabengymnasiums (1984) und der Universität Ankara, Fachbereich Politikwissenschaften, Internati‐ onale Beziehungen (1988). Sein Master‐Studium hat er an der Univer‐ sität Istanbul am Institut für Sozialwissenschaften über die Rechts‐ struktur der Europäischen Union (1989‐1990) und an der Universität Stuttgart in den Studiengängen Politische Wissenschaften und Ger‐ manistik (1991‐1996) abgeschlossen. Seine berufliche Laufbahn im Außenministerium begann 1996 in der Abteilung Internationale Wirtschaftliche Organisationen des Direktoriums für Multilaterale Wirtschaftsbeziehungen als Beamtenanwärter. Danach war er im Direktorium Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen (1998‐2000) an der Berliner Botschaft der Türkischen Republik (2000‐2003), der Botschaft der Türkischen Republik in Minsk (2003‐2005), erneut im Direktori‐ um Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen (2005‐2006) und beim Gene‐ ralkonsulat der Türkischen Republik in New York (2006‐2010) tätig. Zuletzt war er Abteilungsleiter im Direktorium Mittlerer Osten und
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Süd‐Asien des Außenministeriums (2010‐2012) und am 15. Novem‐ ber 2012 wurde er zum Generalkonsul in Berlin berufen.
[email protected] Dr. Ülker ŞEN Sie studierte an der Universität Cumhuriyet im Fachbereich Erzie‐ hungswissenschaften auf Lehramt mit dem Berufsziel Grundschul‐ lehrer (2003). Seit 2003 ist sie an der Universität Cumhuriyet im Fachbereich Erziehungswissenschaften als wissenschaftliche Mitar‐ beiterin tätig. Ihr Masterstudium schloss sie 2007 an der Universität Gazi im Institut der Erziehungswissenschaften ab. Der Titel ihrer Abschlussarbeite lautet „Eine Untersuchung über die Wertlehre durch 100 Standartwerke“, die 2005 durch das Erziehungsministeri‐ um empfohlen wurden. 2001 erhielt sie mit ihrer Arbeit „Einstellung zu der türkischen Sprache und Schreibkompetenzen bei den in Belgi‐ en lebenden türkischen Kindern“ die Promotion. Sie lehrt z.Z. an der Universität Gazi im Fachbereich Erziehungswissenschaften im Studi‐ engang Türkisch und unterrichtet insbesondere in Masterprogram‐ men über Türkischlehre für die im Ausland lebenden türkischen Kinder. Sie hat mehrere nationale und internationale Veröffentli‐ chungen wie z.B. das Buch „Türkischlehre für die im Ausland leben‐ den türkischen Kinder und Materialgestaltung (Beispiel Belgien).
[email protected] Assoc. Prof. Dr. Anastasia ŞENYILDIZ Prof. Şenyıldız ist seit 2013 Dozentin in der Abteilung der Deutsch‐ lehrerausbildung der Uludağ Universität beschäftigt. Sie studierte Deutsch als Fremdsprache in Gorno‐Altaysk (Russland), Kassel und Flensburg. Sie promovierte bei Prof. Dr. Ernst Apeltauer über den Zweitspracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund und war 2004‐2010 Lehrbeauftragte in der Abteilung Deutsch als fremde Spra‐ che der Universität Flensburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Vermittlung der deutschen Sprache als Zweit‐ und Fremdsprache, Deutschlehrerausbildung.
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Anahita TAHERI Anahita Taheri ist Kindheitspädagogin mit dem Schwerpunkt früh‐ kindlicher mehrsprachiger Bildung. Sie absolvierte ihr Masterstudi‐ um in Intercultural Education an der Freien Universität Berlin und setze sich in diesem Zusammenhang mit machtkritischen und diskrimineriungssensiblen Konzepten in der pädagogischen Arbeit auseinander. Derzeit ist sie am Institut für den Situationsansatz (ISTA) für das Pilotprojekt „Dialog Schaffen“ angestellt, bei dem sie ein Konzept für Fortbildungen zur Förderung von Erzieher/innen und Elternpartnerschaft entwickelt und durchführt. Sie arbeitet zu‐ dem als Lehrbeauftragte zum Thema Diversitätsbewusstsein in der Arbeit mit Geflüchteten an der Evangelischen Hochschule Berlin.
[email protected] Prof. Dr. Ali UÇAR Prof. Uçar ist in Malatya geboren. Nach seinem Studium der Pädago‐ gik, Psychologie, Rechts‐und Politikwissenschaften arbeitete er in einem entlegenen ostanatolischen kurdischen Dorf als Lehrer. Als erster türkischer Lehrer in Deutschland war er in Berlin/Kreuzberg tätig (1969). Prof. Uçar schloss 1974 seine Promotion zum Dr. rer. pol. mit dem Thema „Soziale Situation der türkischen Arbeitsmigranten“ an der Freien Universität Berlin ab. 1994 machte er seine Habilitation in Erziehungswissenschaften/Interkulturelle Erziehung über das Thema „ Ausländische Kinder in der deutschen Sonderschule“ an der Technischen Universität Berlin. Nach schulpsychologischer Tätigkeit in Berlin und Dozent der freien Lehrerfortbildung lehrt er an der Technischen Universität Berlin Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Erziehung. Zahlreiche Veröffentlichun‐ gen zu den Themen: Herkunftsländer und Herkunftskultur der Ar‐ beitsmigranten, Ausländerpolitik, Ausländerrecht, Interkulturelle Bildung und Erziehung, psycho‐soziale Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund u.a.. Für mehr s.: http:/ www.evin‐ev.de/.
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Prof. Dr. Susanne VIERNICKEL Prof. Dr. Susanne Viernickel ist Diplom‐Pädagogin und seit 2007 Profes‐ sorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Alice Salomon Hoch‐ schule Berlin. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind frühe Bildungsprozesse, Qualität, Qualitätsentwicklung und integrierte Bildungs‐ und Gesundheitsförderung in Institutionen der Kindheitspädagogik sowie Professionalisierung kindheitspädagogischer Fachkräfte. Susanne Viernickel hat langjährige Erfahrung in der Leitung und Durchführung von Forschungs‐ und Praxisprojekten im Bereich frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung. viernickel@ash‐berlin.eu Bilge YÖRENÇ Bilge Yörenç beendete ihr Studium im Jahre 1990 an der Universität Hamburg mit den Fächern Deutsch und Geschichte und dem Schwerpunkt Lehramt auf Grund und Mittelstufe. Sie arbeitete an der Universität Hamburg als Lehrbeauftragte im Bereich Zusatzaus‐ bildung von Lehrer/innen für Schüler/innen mit unterschiedlichen Muttersprachen. Sie arbeitet seit 1999 als Dozentin im Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Sie war an der Entwicklung und Umsetzung des Hamburger Verfahrens zur Analyse des Sprachstandes von 5 Jährigen (HAVAS‐5) und des Hamburger Sprachförderkonzepts beteiligt und bildet Sprachlernbe‐ rater/innen sowie mehrsprachige HAVAS‐ Überprüfer/innen aus. Zu ihren Aufgabenschwerpunkten zählt die Arbeit in bilingualen Klas‐ sen, an deren Weiterentwicklung sie auf der Sekundarstufe I als Fort‐ bildnerin mitgearbeitet hat, sowie die Fortbildung von herkunfts‐ sprachlichen Lehrkräften. Mit Lehrkräften führt sie seit mehreren Jahren Diversity‐ Trainings zur Sprachensensibilisierung durch. Sie arbeitet als Koordinatorin an der Stadtteilschule am Hafen, die als einzige Schule in Hamburg zweisprachigen Unterricht mit den Spra‐ chen Deutsch/ Portugiesisch und Deutsch/ Türkisch anbietet. Sie hat zahlreiche Artikel zum Themenschwerpunkt ʺ Zweisprachiges Ler‐ nen am Herkunftssprachen‐Unterricht und Förderung der Mehrspra‐ chigkeit“ veröffentlicht.
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