Mathias Klammer
Ein guter Tag zum Fliegen. s o f n I Alle neuen zum man! Ro
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Kurzbeschreibung: Wie rettet man ein Leben, das nicht mehr zu retten ist? Wie konserviert man Erinnerungen, die für immer verloren scheinen? Mathias Klammer erzählt in seinem neuen Roman die Geschichte eines Einzelgängers. Eine Geschichte, die von Liebe, Tod und einer schweren Krankheit berichtet. Eine Geschichte, die Emotionen mit Mikrofonen einfängt und Realität und Fiktion ineinander verschmelzen lässt. Es ist eine Geschichte, in der es um alles geht: Um die letzte große Reise und das wunderbare Gefühl, irgendwann fliegen zu können.
Kurzbiographie: Mathias Klammer. 1988 in Osttirol geboren. Autor/Texter/Werber. Studium der Kommunikationswissenschaft & Philosophie. Mehrere Literaturstipendien und -preise. Zuletzt erschienen: „Nicht hier, nicht jetzt“ & „Der Minimalismus der Dinge“. www.em-ka.at
Cover:
Leseprobe: [Kommando zurück.] Früher haben wir uns immer mit Büchern beschäftigt. Mit Büchern aller Art. Haben Lexika durchforscht, Enzyklopädien gelesen, heilige Schriften entziffert. Große, dicht bedruckte Textabschnitte bestaunt, meist in Blocksatz gesetzt, minimalste Zwischenräume, typographische Wunderwerke. Wir haben Geschichten gelesen, uns vorgestellt, wie es wäre, ein heldenhafter Protagonist in einer dieser Erzählungen zu sein. Wir notierten uns Orte, Namen, Dinge, wünschten uns, dass uns unsere Phantasie nie verlassen möge. Bauten Wigwams und andere Behausungen, in denen wir uns sicher und behütet fühlten. Manchmal, wenn der Schnee im Herbst zu früh kam, der Nebel über den Bergen hing und uns schleichend auf den Köpfen herumtanzte, bis wir nur noch gebückt durchs Land ziehen konnten, beobachteten wir Egon durch das Wohnzimmerfenster. In dicke Daunenjacken gehüllt, hockten wir vor dem niedrigen Fenstersims und starrten auf den reglosen Hinterkopf unseres Vaters. Wir nahmen uns bei der Hand, so wie es sich für eingeschworene Krieger gehörte, die Wollkappen rutschten uns ins Gesicht, verdeckten das Blickfeld. In diesen Momenten dachten wir, nein, falsch… In diesen Momenten dachte ich immer, dass ich unsterblich sei. Unverletzlich und sonderbar. Ich weiß nicht, wie es dir dabei ergangen ist, wie du fühltest, während wir auf geheimer Mission waren, während wir unsere Fäuste gen Himmel reckten, um auch nur ansatzweise so zu sein, wie die Helden in den Bücherstapeln, die sich in Egons Arbeitszimmer türmten. Etwas ganz Besonderes steckt im geschriebenen Wort, hat uns Egon immer gepredigt, weißt du noch? Ich kann mich noch gut daran erinnern. Play, 2. Track. Achtung, Commander [Rauschen.], sind Sie bereit [Rauschen.]? Ich melde den Fall unseres Hoheitsgebietes. Der Wald, nordöstlich unserer Festung, ist überfüllt. Ich höre Motorengeräusche, Schüsse fallen, die dunklen Wolken direkt über uns verheißen nichts Gutes. Ich bin auf mich allein gestellt und werde versuchen, mich durch das Dickicht zu kämpfen. Berge, Wälder, Seen, alles liegt noch vor mir, doch ich habe Angst aufzubrechen, Commander, verstehen Sie das? Ich habe Angst, nach draußen zu gehen, in die wilde Freiheit, für die ich noch lange nicht bereit bin. Unsere Festung besteht aus Leinen, Stoff und Seilen. Sie ist unverwundbar, so wie wir. [Rauschen.] Pause. Jetzt weiß ich endlich, dass du genauso dachtest wie ich. In Liebe. Play. Ich konzentriere mich auf meinen Hörsinn. Spüre, wie sich unter meiner Haut etwas regt, bewegt. Wie sich die Größe meiner Poren verändert [Rauschen.], das Hautbild einen unglaublichen Entwicklungswandel vollzieht, mein Herzschlag aussetzt und die inneren Organe wüten. Bevor ich mich in die Wildnis stürzen kann, muss sich mein Organismus beruhigen. Mein Blutdruck muss gesenkt werden, das Cholesterin und der Zuckerspiegel sind zu hoch. Ein sechzigjähriger Mann im Körper eines jungen Soldaten [Rauschen.]. Wie sich das Ganze noch entwickeln wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich Angst habe, Commander, Angst um unser gemeinsames Leben, unsere Zukunft. Die Grenze ist gezogen, bis hierhin und nicht weiter. Ich höre, wie sie das Grenzgebiet erweitern. Sie sind nur noch wenige Kilometer von unserer Festung entfernt. Ich spüre, wie sie
die Linien überschreiten und Brücken bauen. Genietetes Fachwerk und gewalzte Stahlträger [Rauschen.], Rohre und Bleche ergeben Tragwerke, die uns überragen und besiegen werden. Die Schüsse werden lauter, sie kommen immer näher, Commander, ich kann nicht mehr fliehen, bin ein Gefangener meiner selbst. Ich notiere unsere Koordinaten [Rauschen.]. 46°58‘40“N 12°45‘37“E. Ich wiederhole: 46 Grad 58 Minuten 40 Sekunden Nord, 12 Grad 45 Minuten 37 Sekunden Ost. Commander, können Sie mich lokalisieren? Die Verbindung [Rauschen.] wird in Kürze abbrechen, zu nah sind die feindlichen Soldaten, zu schnell pirschen sie sich durch die kahlen, ausgebrannten Baumrinden des Waldes an uns heran. Ganz in der Nähe, auf einer großzügigen Lichtung, befindet sich ein rostiger, ausgehöhlter Flugzeugträger, der nur darauf wartet, wieder in Betrieb genommen zu werden. Vielleicht meine letzte Chance, Commander [Rauschen.]… Als das letzte Rauschen verklingt, stoppe ich die CD. Zu schwer wiegen die Erinnerungen. An unser Spiel, an unsere Phantasie, an unsere gemeinsame Zeit. Ich erinnere mich noch genau daran, als wäre es erst gestern gewesen. Wie wir in dem zerfledderten Wigwam saßen, unsere Gesichter mit Tarnfarbe bemalt, unsere Kleidung ein Sammelsurium aus schmutzigen Brauntönen. Wir hielten uns die Walkie-Talkies an den Mund, malten Bilder. Ich war der Jüngere, aber du nanntest mich Commander. Wir hatten unzählige Bücher in unserer Festung, in denen wir immer wieder schmökerten und lasen. Ein flachbrüstiger IBM-PC war unsere technische Zentrale, unser digitales Gehirn, das uns auf dem Laufenden hielt, das uns zeigte, was in unserer Welt in allen nur vorstellbaren Himmelsrichtungen passierte. Ich betätigte die Enigma, die verlassen auf dem feuchten Gras stand. Mithilfe dieser Rotor-Schlüsselmaschine konnte ich unseren Nachrichtenverkehr verschlüsseln. Polizei, Geheimdienste und das deutsche Militär setzten die Enigma während des Zweiten Weltkrieges für geheime Kommunikationsübermittlungen ein. Und jetzt wir. Das waren wir den Alliierten schuldig. Eine Breitenminute entspricht auf der Erdoberfläche einer Strecke von ca. 1,852 km und definiert die Länge einer Seemeile, entdeckte ich auf wikipedia und war stolz darauf. Für einen Moment breitete sich ein warmes Gefühl in mir aus. Erst als die lauten Rufe fremder Stimmen unüberhörbar laut wurden und die Maschinengewehre sich in die dicken Stoffmauern unserer Festung bohrten, sahen wir uns in die Augen. Ich drückte das Funkgerät an meine Lippen, betätigte die Enigma. Ein verzerrter Laut, ein penetrantes Piepen, dann Rattern. Ich befehle: Kommando zurück.
copyright Arne Müseler, 2014
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