Ein Gang durch das AEntG

Grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland durch Unternehmen mittels Arbeitnehmerentsendung Ein Gang durc...
Author: Heike Schmitz
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Grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland durch Unternehmen mittels Arbeitnehmerentsendung

Ein Gang durch das AEntG 1. Einführung Arbeitnehmerfreizügigkeit ist EU-Grundfreiheit (Art. 45 ff. AEUV) -

beinhaltet zum einen ein Einreise-, Aufenthalts-, und Verbleiberecht im Beschäftigungsstaat zum anderen das allgemeine Gebot der Inländergleichbehandlung, insbesondere in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen

Erfordernis der weisungsabhängigen, unselbstständigen und entgeltlichen Beschäftigung. Arbeitnehmer aus anderen EU- Mitgliedstaaten haben unbeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Dies gilt seit dem 1. Mai 2011 auch für Unionsbürger aus den 2004 der Europäischen Union beigetretenen Mitgliedstaaten Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Estland, Lettland und Litauen.

2. AEntG - allgemein In Deutschland dient das AEntG der Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. Demnach müssen alle Arbeitgeber, die in Deutschland tätig werden, die Mindestarbeitsbedingungen einhalten, die nach §§ 3 ff. AEntG allgemeinverbindlich gemacht worden sind. Solche Arbeitsbedingungen sind unabhängig davon einzuhalten, ob Arbeitgeber ihren Sitz im Inland oder Ausland haben. Mit der Aufnahme einer Branche in das AEntG gelten dort nicht automatisch Mindestarbeitsbedingungen. Die Festsetzung verbindlicher Mindestarbeitsbedingungen nach dem AEntG erfolgt in einem gestuften Verfahren: Es bedarf (außer in der Pflegebranche, s. §§ 10 AEntG) eines Tarifvertrages, eines Antrags der Tarifvertragsparteien und eines Rechtsakts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Form einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG oder einer Rechtsverordnung nach § 7 AentG, mit dem die tarifvertraglichen Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrages verbindlich gemacht werden. Die Geltung von Mindestarbeitsbedingungen in den AEntG-Branchen ist an die Laufzeit der zugrunde liegenden Tarifverträge (bei Allgemeinverbindlicherklärungen) bzw. der jeweiligen Rechtsverordnung gebunden. Das beschriebene Verfahren muss deshalb in regelmäßigen Abständen neu durchlaufen werden, wenn die betreffenden Tarifverträge oder Rechtsverordnungen abgelaufen sind und neue Mindestarbeitsbedingungen in der jeweiligen Branche festgesetzt werden sollen. Mindestarbeitsbedingungen, die nach dem AEntG verbindlich sein können, sind nach § 5 Nr. 1 bis 3 AEntG Pflichten zur Zahlung von Mindestbruttolöhnen einschließlich der Überstundenzuschläge, die Gewährung von Urlaub sowie die Abführung von Urlaubskassenbeiträgen.

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Aktuell gelten folgende branchenbezogene Mindestarbeitsbedingungen: Arbeitsbedingungen nach Tarifverträgen und Rechtsverordnungen Mindestlohn

ÜberstundenUrlaubsdauer Urlaubsentgelt Urlaubsgeld Urlaubskasse zuschläge

ja

nein

nein

nein

nein

nein

und ja

nein

ja

ja

nein

nein

ja

ja

ja

ja

ja

Branche

Abfallwirtschaft AusWeiterbildungsleistungen

ja

Bauhauptgewerbe

Derzeit kein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag

Briefdienstleistungen Dachdeckerhandwerk Elektrohandwerke Garten-, LandschaftsSportplatzbau

ja

ja

ja

ja

ja

nein

ja

nein

nein

nein

nein

nein

ja

ja

ja

nein

nein

und nein

Gebäudereinigungsleistungen

ja

ja

ja

ja

nein

nein

Gerüstbauerhandwerk/gewerbe

ja

nein

ja

nein

nein

nein

ja

nein

nein

nein

nein

nein

Maler- und Lackiererhandwerk Montageleistungen Baustellen Pflegebranche Sicherheitsdienstleistungen SteinmetzSteinbildhauerhandwerk Zeitarbeitsbranche

auf Noch kein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag ja

nein

nein

nein

nein

nein

ja

nein

nein

nein

nein

nein

ja

ja

ja

ja

nein

nein

nein

nein

nein

nein

und ja ja

© Bundesministerium der Finanzen

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3. Aktuelle Mindestarbeitsbedingungen im Einzelnen Mindestlohn-Tarifverträge Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch Bau(haupt)gewerbe Dachdeckerhandwerk Elektrohandwerke Gebäudereinigung Gerüstbauerhandwerk Maler- und Lackiererhandwerk Sicherheitsdienstleistungen Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk

oder

Dritten

Buch

Daneben gibt eine Rechtsverordnung nach § 11 AEntG ein Mindestentgelt für die Pflegebranche vor. Eine Rechtsverordnung nach § 3a Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bestimmt für die Zeitarbeitsbranche ein Mindeststundenentgelt als Lohnuntergrenze für die Zeit der Überlassung und für Zeiten ohne Überlassung.

Überstundenzuschläge Die Überstundenzuschläge sind als Arbeitsbedingungen im Sinne von § 5 Nr. 1 ArbeitnehmerEntsendegesetz (AEntG) in den folgenden Branchen zu zahlen: Bauhauptgewerbe Dachdeckerhandwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Gebäudereinigung Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk Die Höhe der Überstundensätze ergibt sich aus dem jeweiligen Tarifvertrag.

Urlaubsdauer-Tarifverträge Der Urlaubsanspruch richtet sich nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage. Von diesem Anspruch darf auch durch Tarifvertrag nicht abgewichen werden. In den folgenden Branchen regeln nach den §§ 3 ff. Arbeitnehmer-Entsendegesetz Tarifverträge die Dauer des Anspruchs auf Erholungsurlaub zwingend: Bau(haupt)gewerbe Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen Sozialgesetzbuch Dachdeckerhandwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Gebäudereinigungsleistungen Gerüstbauhandwerk Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk 3

nach

dem

Zweiten

oder

Dritten

Buch

Die Höhe des Anspruchs auf Urlaub kann von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen. Für die Berechnung des Urlaubsanspruchs ist bei entsandten Arbeitnehmern nur der Teil maßgebend, der auf den Entsendezeitraum entfällt.

Urlaubsgeld-Tarifverträge In den folgenden Branchen haben Arbeitnehmer nach den §§ 3 ff. Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) Anspruch auf ein zusätzlich zum Urlaubsentgelt gezahltes Urlaubsgeld: Bau(haupt)gewerbe Dachdeckerhandwerk Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk Dieses zusätzlich gezahlte Urlaubsgeld ist als tarifvertragliche Arbeitsbedingung nach § 5 Nr. 2 AEntG zwingend zu gewähren. Es kann nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. Besteht kein tarifvertraglicher Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld, kann diese Leistung im Monat der Zuwendung auf den Mindestlohn angerechnet werden.

Urlaubsentgelt-Tarifverträge Das Urlaubsentgelt ist die Entgeltfortzahlung während des Erholungsurlaubs. Der Anspruch ergibt sich als allgemeiner Mindestanspruch aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Besondere tarifvertragliche Regelungen, die den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nach den §§ 3 ff. Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) vorgehen, gibt es in den folgenden Branchen: Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem 2. oder 3. Buch des Sozialgesetzbuches Bau(haupt)gewerbe Dachdeckerhandwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Gebäudereinigung Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk

Urlaubskassen-Tarifverträge Ein AEntG-relevantes Urlaubskassenverfahren gibt es derzeit nur im Bauhauptgewerbe. Das Urlaubskassenverfahren für das Bauhauptgewerbe wird von SOKA-BAU, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien, durchgeführt.

4. Begrifflichkeiten im Einzelnen Mindestlohn Bei der Berechnung des Mindestlohns gilt Folgendes: Vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen oder Zuschläge werden als Bestandteile des Mindestlohnes berücksichtigt, wenn ihre Zahlung nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Arbeitnehmer ein vom Tarifvertrag abweichendes Mehr an Arbeitsleistung erbringt oder Arbeit unter besonderen, erschwerten Bedingungen oder Belastungen erbringt. Keine Bestandteile des Mindestlohnes sind demnach: Zulagen für die Arbeit zu besonderen Zeiten (z.B. Nachtzuschläge, Sonn- und Feiertagszuschläge); 4

Zulagen für die Arbeit unter erschwerten oder gefährlichen Bedingungen (z.B. Schmutzzulagen, Gefahrenzulagen, Arbeit bei großer Hitze, in engen Schächten oder Tunneln, unter Tragen von Schutzkleidung); Akkordprämien (mehr Arbeit pro Zeiteinheit) und Qualitätsprämien (überdurchschnittliche qualitative Arbeitsergebnisse). Einmalleistungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Jahressondervergütung, Jubiläumsprämien können nur einmalig, nämlich zum Zeitpunkt der Auszahlung, als Teil des Mindestlohns berücksichtigt werden.

Urlaub, Urlaubsentgelt, Urlaubsgeld Ist die Dauer des Erholungsurlaubs sowie die Höhe des Urlaubsentgelts oder eines zusätzlichen Urlaubsgeldes durch allgemeinverbindliche Tarifverträge oder eine Rechtsverordnung nach § 7 AEntG geregelt, müssen Arbeitgeber sowie Verleiher auch diese Tarifnormen zwingend auf die Arbeitnehmer anwenden.

Urlaubskassenverfahren Ein nach dem AEntG zu beachtendes Urlaubskassenverfahren gibt es derzeit nur für das Bauhauptgewerbe. Der im Ausland ansässige Arbeitgeber ist gemäß § 5 Nr. 3 AEntG verpflichtet, wie der inländische Arbeitgeber Urlaubskassenbeiträge an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) abzuführen. Um eine Doppelbelastung des ausländischen Arbeitgebers zu vermeiden, gilt dies nicht, wenn er – auch während der Entsendung – seine Beiträge an eine Einrichtung in seinem Heimatstaat zahlt, die mit der ULAK vergleichbar ist. Das Urlaubskassenverfahren hat folgenden Hintergrund: Ein erheblicher Teil der im Baugewerbe beschäftigten Arbeitnehmer arbeiten nicht ganzjährig in demselben Baubetrieb. Ohne das Urlaubskassenverfahren könnten diese Arbeitnehmer keinen Anspruch auf zusammenhängenden Urlaub erwerben. Dieser entsteht nämlich erst nach einer Tätigkeit von sechs Monaten bei einem einzigen Arbeitgeber.

5. Allgemeine Arbeitsbedingungen Alle Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, müssen nach § 2 AEntG unabhängig von der Branche, in der sie tätig sind, die Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in Deutschland allgemein durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt und deshalb auch von inländischen Arbeitgebern einzuhalten sind. Im Einzelnen sind dies die Vorschriften über Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze, bezahlter Mindestjahresurlaub, Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen, 5. Sicherheit, Gesundheit und Hygiene am Arbeitsplatz, 6. Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen, 7. Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen. 1. 2. 3. 4.

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6. Betriebsbegriff des AEntG Ein Betrieb oder eine selbständige Betriebsabteilung fällt grundsätzlich dann in den Geltungsbereich eines nach dem AEntG allgemeinverbindlichen Tarifvertrags, wenn dort mehr als die Hälfte der kalenderjährlichen Gesamtarbeitszeit der Arbeitnehmer auf Tätigkeiten im Sinne des betreffenden Tarifvertrages entfällt. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst bzw. auf handelsrechtliche und gewerberechtliche Kriterien kommt es hingegen nicht an. Betrieb in diesem Sinne ist die organisatorische Einheit, in deren Rahmen ein Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln fortgesetzt bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Eine selbständige Betriebsabteilung liegt vor, wenn sie nach außen hin erkennbar deutlich in personeller, räumlicher und organisatorischer Hinsicht vom Gesamtbetrieb abgegrenzt ist. Bei Betrieben des Bauhauptgewerbes ist nach den Bestimmungen des Bundesrahmentarifvertrags eine selbständige Betriebsabteilung in diesem Sinne auch eine Gesamtheit der zu einer Baustelle entsandten Arbeiter. Ob der Arbeitgeber an seinem ausländischen Sitz arbeitszeitlich überwiegend andere Tätigkeiten als Bauleistungen ausübt, ist daher unerheblich.

7. Arbeitsortprinzip Nach § 8 Abs. 1 AEntG gilt das Arbeitsortprinzip. Danach gelten – wenn der Tarifvertrag nicht ohnehin bundesweit einheitliche Arbeitsbedingungen vorschreibt – die Arbeitsbedingungen der Arbeitsstelle. Nicht entscheidend ist der Sitz des Arbeitgebers. Das Arbeitsortsprinzip gilt gem. §§ 8 Abs. 1, 13 AEntG auch für die Pflegebranche. Die Pflicht zur Gewährung von Mindestarbeitsbedingungen nach dem AEntG gilt unter den Voraussetzungen der §§ 8 Abs. 3, 13 AEntG auch für Verleiher, die einem Entleiher einen oder mehrere Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen. Die Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung nach deutschem Verständnis hat Ihnen bereits der Kollege Georg Winkler dargestellt. Die Verleiher müssen ihren Arbeitnehmern die nach dem AEntG festgesetzten Mindestarbeitsbedingungen gewähren, wenn diese Arbeitnehmer vom Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt werden, die in den Anwendungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach §§ 4, 5 Nr. 1 bis 3 und § 6 AEntG oder einer Rechtsverordnung nach § 7 AEntG fallen. Das setzt voraus, dass der Betrieb des Entleihers vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfasst wird (BAG, Urteil vom 21.10.2009 zu Az. 5 AZR 951/08).

8. Klagerecht des Arbeitnehmers Gewährt ein Arbeitgeber nicht die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) zu gewährenden tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen oder die Arbeitsbedingungen aufgrund einer Verordnung für die Pflegebranche, kann der Arbeitnehmer seine Ansprüche auch gegen den Hauptunternehmer gerichtlich durchsetzen. Dazu kann er Klage vor dem Arbeitsgericht erheben.

Leipzig, 07.11.2013, Roland Gross+Alinde Hamacher

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