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Knie, Andreas

Working Paper

Generierung und Härtung technischen Wissens: Die Entstehung der mechanischen Schreibmaschine WZB Discussion Paper, No. FS II 91-103 Provided in Cooperation with: WZB Berlin Social Science Center

Suggested Citation: Knie, Andreas (1991) : Generierung und Härtung technischen Wissens: Die Entstehung der mechanischen Schreibmaschine, WZB Discussion Paper, No. FS II 91-103

This Version is available at: http://hdl.handle.net/10419/77634

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WISSENSCHAFTSZENTRUM BERLIN FÜR SOZIALFORSCHUNG

FS 1191-103 'GENERIERUNG* UND 'HÄRTUNG' TECHNISCHEN WISSENS: Die Entstehung der mechanischen Schreibmaschine Andreas Knie

Forschungsschwerpunkt Technik Arbeit Umwelt

Zusammenfassung Vor dem Hintergrund neuerer Ansätze in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung unternimmt die Arbeit eine Exkursion in Entstehungszusammenhänge der mechanischen Schreibmaschine und versucht, einen Beitrag zur Klärung technischer Entstehungs- und Entwicklungsmuster zu liefern. Es wird argumentiert, daß die Schaffung und Sicherung eines maschinellen Gefüges mit einem stabilen reproduzierbaren Programmablauf im Mittelpunkt der technischen Arbeit steht und daß deshalb der Aufbau, die Pflege und Sicherung eines gemeinsamen Wissensbestandes mit anerkannt funktionstüchtigen Elementen dominiert. Dieser "herrschende Stand der Technik" definiert als gemeinhin anerkannte und "legitimierte" Wissensbestände die konstruktiven Räume für die technische Entwicklung. Speziell auf die Entstehungsmerkmale der mechanischen Schreibmaschine in den USA sowie der früheren deutschen Entwicklung eingehend wird die These vertreten, daß die Schreibmaschine in der Industrie eher als ein "ungeliebtes Kind" behandelt wurde. Nur aus kurzfristigen Diversifizierungsbetrebungen überhaupt in die Produktpalette der feinmechanischen Industrie aufgenommen, konstituierte sich gerade in diesem Milieu eine technische Realität, die als "herrschender Stand der Technik" auch für nachfolgenden Projekte die Entwicklungskorridore definierte.

Summary By applying new approaches ofsocialresearch on technology this paper contributes to a better understanding ofthe context andpattems ofthe socialshaping and development ofthe mechanical'typewriter. Itis argued that the focus oftechnicalconstructionis the creation andsecuring ofa mechanical System that offers a stable and reproducible program. This requires maintaining and securing a common pool of knowledge. This "state of the art" (technical Standard) as a commonly accepted and legitimized pool of knowledge defines the constructive Spaces for technical development. Considering in particular the characterstics ofthe social shaping ofthe typewriter in the U. S. as well as early developments in Germany, it is argued that the typewriter was more orless neglected by the fine mechanics industry. It became part of the line of products of this industry only because of short-term efforts towards diversification. Under these specific circumstances a technical reality was establishedanditdeterminedthe direction oftechnologicaldevelopment for subsequent projects.

Inhalt

1.

Fragestellung und Prämissen einer Technikgeneseforschung: Konstituierung eines "herrschenden Standes der Technik"

2.

"Mangelhafte Vielfalt": Die technische Entwicklung von Schreibapparaten im 1 9. Jahrhundert

3.

"Schließung" und "Konsolidierung" im Prozeß der technischen Neubildung: Die Schreibmaschine im Kontext amerikanischer Massenproduktion

4.

5,

6.

1J5

Entstehung, Expansion und Ausdifferenzierung der amerikanischen Schreibmaschinenindustrie

20

ökonomische und technische Konsolidierung der Schreibmaschinenbranche

25

"Überformung" nationaler Technikstile durch die Dominanz eines "herrschenden Standes der Technik". Die Einführung v der Schreibmaschine in Deutschland

30

7.

Konstruktive Vielfalt oder maschinelle Stabilität?

35

8.

Literatur

38

/. Fragestellung und Prämissen einer Technikgenese forschung: Zur Konstituierung eines 'herrschenden Standes der Technik"

Gemeinhin werden "technische Entwicklung" und "technischer Fortschritt" gleichgesetzt und gewöhnlich geht man davon aus, daß als Ergebnis von technischen Entwicklungsleistungen eine "bessere" Technik herauskommt, besser im Sinne von ständig funktions- und leistungsoptimierten Qualitäten zur Befriedigung der Bedürfnisse von Bedienern und Nutzern. Prüft man diese Annahme aber einmal am Beispiel der mechanischen Schreibmaschine, ein Gerät, das ja noch bis weit in die 70er Jahre zu den zentralen Elementen der Bürotechnik gehörte und uns bis heute noch in vielerlei privaten Nutzungsbereichen erhalten geblieben ist, dann zeigen sich einige Überraschungen, die das Verständnis von Triebkräften und Konstitutionsbedingungen der technischen Entwicklung verändern könnten. Bei einem Vergleich zwischen der soliden Ausführung einerTypenhebelmaschine heutiger Bauart mit den ersten, in einer Kleinserie fabrizierten und vertriebenen mechanischen Schreibapparaten, der Schreibkugel des dänischen Pastors Malling-Hansen aus den 70er Jahren des 1 9. Jahrhunderts, fällt bei den heutigen Maschinen die robuste und solide Ausführung ins Auge, die für eine unbedingte Gewährleistung des maschinellen Charakters des Gerätes sorgt: Sobald alle für die Funktionsfähigkeit notwendigen Teile beieinander und zusammengefügt sind, können sich Nutzer und Nutzerinnen darauf^verlassen, daß die Maschine exakt in der erwarteten Weise die gewünschten Funktionen ausführt, jederzeit, an jedem Ort und - in bestimmten Grenzen - beliebig oft. Auf diese unbedingte Funktionstüchtigkeit konnte sich Friedrich Nietzsche, einer der ersten und prominentesten Käufer der Schreibkugel, damals noch nicht verlassen. Mit auf die Reise nach Genua genommen, zeigten sich schon nach kurzer Zeit bei den geänderten externen Bedingungen Probleme im Routinebetrieb des Gerätes. "Das Wetter ist nämlich trüb und wolkig, also feucht", klagte Nietzsche, "da ist jedesmal der Farbstreifen auch feucht und klebrig, so daß jeder Buchstabe hängen bleibt, und die Schrift gar nicht zu sehen ist" (Nietzsche, zit. nach Kittler, 1986: 301). Die Funktionsfähigkeit wurde schließlich so stark beeinträchtigt, daß Nietzsche die Benutzung des Apparates ganz aufgab. Während aber die modernen Typenhebelmaschinen schwergängig sind, die Anordnung der Buchstaben und Zeichen auf dem Tastenfeld das Schreiben schon nach kurzer Zeit beschwerlich macht und nach längerer Zeit gar zur Qual werden läßt, ein Ausweichen auf ein anderes mechanisches Grundsystem mangels Alternativen (Typenrad- und Kugelkopfmaschinen sind ja nur in elektromechanischer Ausführung erhältlich) gar nicht möglich ist, konnten Nietzsche und seine Zeitgenossen noch aus einer großen Zahl sehr unterschiedlicher mechanischer Ausführungen und einer großen Bandbreite verschiedener Grundkonstruktionen zur Bewerkstel-

ligung des Druckvorgangs auswählen (vgl. Pfeiffer, 1 923: 90). Das Angebot reichte von Typenhebelmaschinen mit Segmentführung über Typenrad- bzw. Kugelkopfmaschinen bis zu "Schreibkugeln" und Stoßstangenmaschine sowie billigen "Eintastern". Neben der heute noch gültigen Universaltastatur erschienen Maschinen, die mit einer "Idealtastatur" angeboten wurden. Käufer um die Jahrhundertwende konnten sogar noch zwischen einem Griffbrett mit "Vollklaviatur", auf dem alle Groß- und Kleinbuchstaben über einzelne Tasten abgedruckt werden konnten, und einfacher oder gar zweifacher Umschaltung wählen (vgl. Müller, 1900: 5ff.). Eine Angebotsbreite von Konstruktionen, Mechanismen und Funktionsweisen, die sicherlich den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, die von professionellen Schreiberinnen oder gelegentlichen Freizeittipperinnen an die Maschinen gestellt wurden, mehr entgegen kam als die heutigen Standardausführungen, die für die unterschiedlichsten Verwendungszwecke nur noch ein einziges mechanisches Grundsystem, nämlich die in einem Segment gelagerten Typenhebel mit Vorderanschlag zur Verfügung stellen, gleich welcher Hersteller oder welches Herstellerland (vgl. Kunzmann, 1979: 169ff.).

Es läßt sich also durchaus einmal spekulieren, daß mit der mittlerweile hundertjährigen Entwicklung von Schreibmaschinen der maschinelle Charakter dieser Geräte tatsächlich ausgebildet und gesichert werden konnte, die Maschinen also in der Regel absolut zeit- und ortsunabhängig arbeiten, daß dies aber nur um den Preis eines gegenüber früheren Entwicklungsetappen eingetretenen Verlustes an Komfort und Bediener- und Nutzerfreundlichkeit erreicht werden konnte. Möglicherweise wird im Konstruktions- und industriellen Fertigungsprozeß mehr an der Sicherung eines stabilen Maschinencharakters gedacht und gearbeitet als mit Bedürfnissen der Techniknutzerinnen operiert und vielleicht spielen im Prozeß der Generierung und Implementierung, des "Einschreibens" dieses Wissens in einen Funktionsmodus, andere Kriterien eine dominante und strukturbildende Rolle als die oft zitierte Bedienerfreundlichkeit. Ein Forschungsprojekt zur Rekonstruktion der technischen Entwicklung der mechanischen Schreibmaschinen kann daher - wenn man auf die Eingangsüberlegungen zurückkommt abweichend vom allgemein vorherrschenden Verständnis, durchaus einmal die Frage wagen, weshalb die mechanische Schreibmaschine nach so vielen Jahrzehnten der industriellen Ausreifung in einer für die Nutzer und Nutzerinnen so miserablen Qualität angeboten wird? Denn die anhaltend hohe Zahl berufsbedingter Krankheiten der Büroangestellten im Schreibdienst hat dieser mechanischen Schreibtechnik sehr häufig heftige Kritik und so manche bösen Verwünschungen eingebracht (vgl. Holtgrewe, 1 989: 98ff.). Und das. obwohl es an wissenschaftlichen Untersuchungen über eine ergonomisch optimale Gestaltung dieser Maschinen zu keiner Zeit gefehlt hat. Schon Baron von Drais, der sich in Deutschland auch um die Konstruktion und den Vertrieb von Schreibapparaten bemühte, verbreitete bereits 1 832 in weiser Voraussicht auf die

kommenden Probleme eine Anleitung zur "Massage der Hand- und Fingermuskeln" und empfahl darüber hinaus das "Einreiben der Hände mit Schweinefett und Weingeist" (zit. nach Martin, 1949: 478). Nach dem ersten Weltkrieg wurde auf Veranlassung des preußischen Handelsministeriums eine "planmäßige Durchforschung" der Schreibmaschine und ihrer Bedienung unter Zuhilfenahme der gerade entwickelten psychotechnischen Untersuchungsmethoden in die Wege geleitet (Menzel/Schilling, 1 920/21: 269ff.). Auf einem im Jahre 1 930 von den Berufsund Gewerkschaftsverbänden organisierten Kongreß "Hygiene im Büro" klagte man über die kraft- und nervenraubende Arbeit an der Schreibmaschine, die konkreten Vorschläge zur Milderung der gesundheitlichen Belastungen hatten schon kaum mehr die Schreibmaschine selbst im Blick, sondern zielten schwerpunktmäßig auf Randbedingungen und kompensatorische Maßnahmen: bessere Beleuchtung, richtiges Größenverhältnis von Tisch und Stuhl sowie Forderungen nach der Einrichtung von Mischarbeitsplätzen (zit. nach IG Metall, 1 984: 1 69ff.). Auch indem seit 1 974 eingerichteten und mittlerweile durch das Programm "Arbeit und Technik" abgelösten Forschungsprogramm "Humanisierung der Arbeitswelt" der Bundesregierung hatte die Schreibmaschine als Objekt wissenschaftlicher Forschungsbemühungen einen festen Platz. Die in der Mehrzahl arbeitswissenschaftlichen Untersuchungen konzentrierten sich auf die "Optimierung der energetischen Arbeit" und bezogen dementsprechend ihre Gestaltungsempfehlungen auf die verschiedenen Tastatur- und Tastenparameter wie Abmessungen und OberflächengestaltungsowieoptischeundakustischeSignalgebungen(Rohmert/Haider, 1 982: 22ff.). Gleich ist all diesen Maßnahmen jedenfalls, daß die Konzepte zur Minimierung gesundheitlicher Belastungen schon sehr früh in das Fahrwasser kompensatorischer Maßnahmen gerieten. Die weit zurückliegenden, aber offensichtlich tiefgreifenden Entscheidungen zum konstruktiven Aufbau der Geräte konnten und können durch solche Empfehlungen der Benutzeroberfläche nicht mehr beeinträchtigt werden. Möglicherweise stand und steht diesen Untersuchungen zum Belastungsabbau ein zu großer Respekt vor der "normativen Kraft der faktischen Technik" entgegen, die von der weit verbreiteten Ansicht getragen wird, daß sich die durchgesetzte und realisierte technische Linie oder Konstruktionsform als "richtige" Lösung aus einer Vielzahl von Irrwegen herausgeschält hat und daß in einem "naturgesetzlich kausal (gelenkten) Ablauf" optimale technische Lösungen produziert werden (Dessauer, 1 956: 1 45ff.). Nun ist immer schon - und in den letzten Jahren besonders - dieses teleologische Verständnis von einer eigengesetzlichen, exogenen Bestimmtheittechnischer Entwicklungsverläufe der Kritik ausgesetzt gewesen und wurde mehr und mehr durch das Postulat abgelöst, Technik doch vielmehr als einen sozialen Prozeß zu verstehen und die Entstehung und Konfiguration technischer Entwicklung wieder in die politischen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge zu reintegrieren (vgl. Dierkes, 1 987: 1 54ff.). Ist die Blickrichtung in diesem Sinne neu fixiert, kann mit modifizier-

ten Annahmen operiert und der Forschungsprozeß selbst programmatisch neu orierentiert werden. Bisher sind diese Vorhaben aber - zumindest was die empirischen Ergebnisse angeht - nur mit äußerst bescheidenen Erfolgen betrieben worden (vgl. die Ergebnisse der Sammelbände Hochgerner/Bamme, 1989 sowie Weingart, 1989). In diesem Kontext steht die folgende kleine Exkursion in die Geschichte der mechanischen Schreibmaschine. Es soll versucht werden, die These zu begründen und zu illustrieren, daß technische Geräte bereits im Entstehungsprozeß eine Art "Prägestempel" erhalten, bei dem grundlegende Merkmale irreversibel in die Gestaltung der Maschine eingeschrieben werden. Dieser Vorgang der Technikgenese wird als ein "Schließungs- und Konsolidierungsprozeß" beschrieben, der seinen "Abschluß" in der Aufnahme einer neuen Technik im bzw. - bei einem völlig neuen Verwendungsgebiet - als "herrschender Stand der Technik" findet. Der Begriff "Stand der Technik", der als Bezugspunkt von Gesetzestexten im Rahmen der staatlich beaufsichtigten technischen Regulierungspraxis bekannt ist, wird hier in einer etwas anderen Weise verwendet, um die für den Prozeß der technischen Neubildung dominanten Bezugspunkte der Wissensgeneration analytisch zu bestimmen und kategorial zu kennzeichnen. Die Ergebnisse technischer Arbeit sind durch das Angebot auf Realisierung eines vorhersagbaren Programmablaufes auf eine unbedingte innere Konsistenz angewiesen und lassen bei Konstrukteuren und Entwicklern deshalb auch ein größeres Bedürfnis nach stabilen Planungs- und Implementationsgrundlagen entstehen, was gerade von den sozialwissenschaftlichen Forschungsansätzen häufig nicht genügend beachtet wird (vgl. Lohmann, 1953: 601 ff.; Hellige, 1984: 276ff.; Pahl/Beitz, 1 986: 1 ff.). Die dem "Stand der Technik" zugemessene Bedeutung begründet sich aus dieser spezifischen Eigenart der technischen Arbeit, das Risiko nur mangelhaft ausgebildeter Funktionsmodi zu minimieren und durch den Rückgriff auf bewährte und als funktionstauglich anerkannte Wissenselemente - Konstruktionsprinzipien und Konstruktionselemente, Maß- und Kennzahlen - , die für komplexe Anforderungen notwendige konstruktive Sicherheit zu erlangen. Vermutlich liegt in diesen besonderen Bedingungen der Konstruktionsarbeit auch das Motiv für die in technischen Kontexten anzutreffende Suche nach allgemein verbindlichen Grundmerkmalen, die sich in späteren Entwicklungsphasen auch in einer sehr raschen Bereitschaft zu gemeinsamen und dann von allen Akteuren beachtete Konstruktionsentscheidungen wiederfinden läßt. Mit der Deklarierung "Stand der Technik" wird damit ein neues Verfahren oder Artefakt sozial und institutionell verankert, abgesichert und bildet selbst wieder den Ausgangspunkt für Neuentwicklungen. Damit aber diese kognitiven, sozialen und ökonomischen Vorteile entstehen, sich addieren und genutzt werden können, muß zunächst ein "Konsolidierungskonsens" in der Entwicklungsarbeit eingeleitet, organisatorisch betreut, aber auch von den Promotoren, Träger und

8 Akteuren (Industrie, Forschung, Professionseinrichtungen, Normverbände u.a.) machtpolitisch gesichert werden. Die in diesem Geneseprozeß durchgesetzten technischen Lösungsmuster sind daher auch keinesfalls automatisch die funktional "besten" Techniken oder gar die Geräte, die den großen Bedienungskomfort bieten, sondern die Konstruktionen, für die frühzeitig und dauerhaft ein "Konsolidierungskonsens" organisiert werden konnte, der die günstigsten kognitiven, sozialen und ökonomischen Bedingungen zum Ausdruck bringt.

2. "Mangelhafte Vielfalt': Die technische Entwicklungen von Schreibapparaten im 19. Jahrhundert

Dieser Abschnitt wird sich mit der Vorgeschichte der mechanischen Schreibmaschine beschäftigen, um zu erkunden, welche unterschiedlichen Ideen, Vorstellungen und Entwürfe aus der präindustriellen Phase für mechanische Schreibtechniken angeboten wurden. Denn Versuche, die manuelle Schriftproduktion zu mechanisieren, sind schon aus dem frühen 18. Jahrhundert nachgewiesen. Ein englischer Ingenieur ersuchte bereits 1 71 4 um ein Patent für einen Apparat nach, um "Buchstaben abzudrucken oder abzuschreiben, einzeln oder fortlaufend einen nach dem anderen wie in der Schrift, so daß jeglicher Text auf Papier oder Pergament so klar und deutlich abgeschrieben werden kann, daß man die Schrift von Druck nicht unterscheiden kann..." (zit. nach Martin, 1 949: 6). In der Mitte des 1 9. Jahrhunderts sind eine ganze Reihe von Apparaten und Geräten bekannt, die anfangs noch mit sehr unterschiedlichen Konstruktionen den Einsatz der Mechanik zur Texterstellung versuchten. Durch Besprechungen beispielsweise im deutsch-englischen Anzeiger "Mechanics Magazine" oder in "Dinglers Polytechnisches Journal" sowie durch Repräsentationen auf Gewerbeausstellungen erreichten diese Maschinen schon sehr früh einen hohen Bekanntheitsgrad, die eine zwar noch sehr kleine, aber international weitreichende "Fachöffentlichkeit" entstehen ließ. Bereits in der Mitte des 1 9. Jahrhunderts kann beobachtet werden, daß bei neuen Modellen die verschiedenen Erfinderund Bastler immer häufigertragende Konstruktionsprinzipien oder signifikante Merkmale von Vorgängerapparaten verwendeten (Hechler, 1 988:8). Während sich ursprünglich in den verschiedenen Geräten auch die unterschiedlichen Verwendungsabsichten der "Erfinder" widerspiegelten, beginnt in den 60er und 70er Jahren der langsam gebildete Wissensvorrat zu einem immer dominanteren Bezugspunkt in der Konstruktionsarbeit zu werden und dabei als Orientierungsgröße die ursprünglichen Motive "zu überformen": Zunächst werden der generelle Kenntnisstand und die vorhandenen Konstruktionen bilanziert und auf Verwendbarkeit geprüft und erst dann die spezifischen Anwendungsvorstellungen eingebracht.

Es mag aus heutiger Sicht vielleicht etwas überraschen, aber "ein Rückblick auf die Entstehung der Schreibmaschine zeigt die bemerkenswerte Tatsache, daß nicht allein zahlreiche Blinde als Erfinder brauchbarer Schreibmaschinen auftreten, sondern auch die Erfindung der Schreibmaschine in erster Linie dem Bestreben entsprungen ist, dem Blinden ein Hilfsmittel zum Schreiben zu bieten..." (Picht, 1 925: 1). Wenn auch diese Aussage von Oskar Picht, der als Leiter der Steglitzer Blindenschule gleichzeitig als "Erfinder" und Geschichtsschreiber in Sachen Schreibmaschine aktiv war, sicherlich nicht ganz zutreffend ist, sind im 1 9. Jahrhundert aber tatsächlich

10 eine Reihe von Blinden-Schreibapparaten vertreten, deren Konstruktionsmerkmale durch die Anordnung von Typenstangen einen ausgeprägten Sinn für gute Bedienung der Maschinen zeigten und die zumeist in enger Abstimmung mit den Nutzern entstanden. Viele dieser Apparate lieferten tatsächlich elementare Beiträge zur allgemeinen Konstruktionsentwicklung der Schreibmaschine. Aus dieser Konstruktionslinie entstammt beispielsweise der 1 833 von Xaver Progrin in Marseille entwickelte "Ktypograph", der bereits die Anordnung der Typenhebel zu einem Korb erkennen läßt, oder der "Raphigraph" des Franzosen Foucauld, dessen Maschine 1851 sogar mit der Medaille der Gesellschaft für Unterstützung industrieller Versuche ausgezeichnet wurde (Picht, 1925:1), während in Amerika CharlesThurber eine für Blinde und Krüppel konstruierte Maschine, den "Chirographer" (1 843), patentieren ließ (vgl. Abraham, 1 980, 430f.). Den kontruktiven Höhepunkt dieser Techniklinie bildete die bereits erwähnte "Schreibkugel" des Direktors einer Kopenhagener Taubstummenschule, Pastor Malling-Hansen. "An ihr erkennt man schon verschiedene, den modernen Schreibmaschinen eigene Einrichtungen, wie die KlaviaturderTasten, die selbsttätige Fortführung des Papierwagens, das Glockenzeichen am Zeilenschluß und das Farbband" (Picht, 1925:3).

Abb.1: Progin, 1833 "Plume ktypograhique", erstmals Typenhebel, Groß- und Kleinbuchstaben, geräuschloser Typenkorbrücktransport, gegen Notentypen austauschbare Schriftzeichen, Beschriftungsmöglichkeit eines gebundenen Buches durch diese Konstruktion

Abb.2:

Thurber, 1843 "Patent Printer" (Chirographer), erstmals Walze mit Skala und Papierführung, Typenstange mit Taste, Typenführung, Großbuchstaben, Bau mehrerer Modelle bis 1 845, letztes Modell zwei Knöpfe für jedes Schriftzeichen, Schreibfeder, senkrecht stehendes Papier, sichtbare Schrift

Abb.3: Foucauld, 1 843 •Raphigraphe", Blindenschreibmaschine, erstmals Leertaste, 10 Typenstangen, Buchstaben durch gleichzeitiges Drücken mehrerer Tasten und Weiterbewegung des Papiers, Schrift wahlweise durch Bleistift oder kugelförmige Prägung

Abb.4: Mailing Hansen, 1867 "Schreibkugel", von oben stoßende Typenstangen, Farbpapier (ab 1 878 Farbband), teilweise sichtbare Schrift, Leertaste, Zeilenschalttaste, Weiterbewegung des Papierträgers automatisch beim Schreibtastenanschlag, unbedeutender Serienbau Quelle: Morschheuser, 1987: 9f.; Kunzmann, 1979: 48-62

In einerzweiten Konstruktionslinielassen sich solche Apparate zusammenfassen, bei denen das erklärte Ziel es war, "die Mechanik zu Hilfe zu rufen für die ausgedehnte und wichtige Operation des Schreibens, den allgemeinen Gebrauch, mit der Hand die Buchstaben zu zeichnen, durch die Tätigkeit eines Mechanismus zu ersetzen, wobei die Buchstaben schon vollständig und gleichmäßig geformt sind, ferner mit allen 10 Fingern statt nur mit einer Hand zu arbeiten", wie schon 1855 der italienische Jurist, Philosoph, Historiker und eben "Erfinder" von Schreibmaschinen, Giuseppe Ravizza, formulierte (zit. nach Pfeiffer, 1923: 97). Als mögliche Verwendungsgebiete stellte sich der Erfinderkollege Ravizzas, der zuvor schon erwähnte Baron v. Drais, den Einsatz dieser Apparte zur schriftlichen Aufzeichnung von Parlamentsverhandlungen, als Hilfe für "schnelldenkende Schriftsteller" vor, aber ebenso gut geeignet, für Leute mit undeutlicher Handschrift (vgl. Martin, 1949: 16).

12 Bei der Frage nach dem grundlegenden Systementwurf wie denn ein solcher Apparat anzulegen sei. lieferte den "Erfindern" dieser Linie das Klavier, insbesondere die dort realisierte Hammertechnik, die konstruktiven Vorbilder. Fand man dort zwar die ersten Hilfestellungen für den Grundaufbau eines Schreibapparates, erschwerte auf der anderen Seite eine zu starke Orientierung an der Klavierkonstruktion die technische Weiterentwicklung, insbesondere die Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse der maschinellen Texterstellung. Erst als es gelang, sich von der zweireihigen "Klaviatur" zu "befreien" und zu einer kompakteren Gruppierung der Buchstaben auf einem Tastenfeld zugelangen, konnte der konstruktive Freiraum zur Anordnung der Typenhebel geschaffen werden, der dann auch die technischen Voraussetzungen für die erstrebte Schreibgeschwindigkeit lieferte. Diese Apparate ließen einen zum Teil sehr ausgeprägten Hang der "Erfinder" zur Detailarbeit erkennen, ohne daß aber ein geregelter Schreibbetrieb mit den Geräten möglich gewesen wäre. Die Ravizza-Modelle der 50er und 60er Jahre verfügten, ähnlich wie die Apparate des Südtiroler Tischlers Peter Mitterhofer, über eine alphabetisch geordnete Tastatur, eine kreisrunde Anordnung der Typen, die bereits mit konischen Zapfen in gabelförmigen Lagern ruhten und von unten nach oben zunächst durch das in einem Rahmen befestigte, später auf einer Walze gespannte Papier schlugen und durch ein federgezogenes Radschaltwerk gesteuert wurden. Das Ende der Zeile konnte durch akustische und bei Ravizza sogar zusätzlich durch optische Signale angezeigt werden. Zur Färbung der Typen verwendete man bereits ein Seidenband und über ein aufwendig konstruiertes Umschaltwerkließ sich ein zweiter Satz von Typenhebeln ansteuern, mit dem auch Kleinbuchstaben abgedruckt werden konnten. Mitterhofer versuchte sich sogar - noch bevor auch nur ein Gerät eine dauerhafte Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt hatte - an technischen Lösungen zur Realisierung proportionaler Schriftteilung (vgl. Beeching, 1 974: 1 8).

Abb.5: Ravizza, 1855 "Cembalo Scrivano

7

Abb.6: Mitterhofer, 1864 Modell'Wien';

Abb.7: Remington, 1 874 "Typewriter"

Quelle: Morschheuser, 1987: 10f,; Baggenstos, 1 977: 37; Kunzmann, 1979: 48-62

In einer dritten Gruppe können schließlich alle Versuche zur Konstruktion von Schreibapparaten zusammengefaßt werden, die sich nicht am Vorbild Klavier orientierten und eine ganz andere Richtung bei der Entwicklung des Abdruckmechanismus einzuschlagen versuchten. Um den bei der Unteraufschlagtechnik unausweichlichen Hebelkorb mit seinem komplizierten und unhandlichen Gestänge - jeder Buchstaben und jedes Zeichen bedeutete jeweils eine eigene Typenstange - zu vermeiden, kam man hier auf den Gedanken, alle Typen auf einen einzigen Körper zu konzentrieren, der als Rad oder Zylinder geformt war und der über den Tastendruck auf das richtige Zeichen eingestellt und zum Abdruck gebracht wurde (vgl. Burghagen, 1 898: 9f.). Der aus den USA stammende John Pratt ließ in den 60er Jahren in England eine Maschine patentieren, die als erstes Modell eine solche Typenzylinderkonstruktion zeigte. Die Tasten wirkten auf ein System von Rahmen, von denen je nach der zu drückenden Type einzelne beim Tiefgang des Tastenhebels mitgenommen wurden und hierdurch Antriebs- bzw. Federkraftauslösung und Sperrmechnanismus betätigten, die die Dreheinstellung und die axiale Verschiebung des Typenzylinders herbeiführten. Der Abdruck erfolgte hier durch einen federnden Hammer, der an der Rückseite des Apparates montiert war (vgl. Pfeiffer, 1 923: 1 03; Hoke, 1 984: 207f.).

14 Abb.8: Pratt, 1863 "Pterotype"

3. "Schließung" und "Konsolidierung" im Prozeß der technischen Neubildung: Die Schreibmaschine im Kontext amerikanischer Massenproduktion

In nahezu allen westlichen Ländern, die ander Schwelle zur Industrienation standen, werkelten und bastelten so zumeist Einzelpersonen an Vorrichtungen zur Mechanisierung der manuellen Schrifterzeugung, ohne daß aus den verschiedenen Projekten - obgleich zum Teil mit beachtlicherRafinesse getüftelt wurde - eine erste Serienfertigung mit verläßlicher, eben maschineller Qualität erreicht werden konnte. Aus einem dieser "Erfinder- und Bastlerzirkel" heraus konnte Anfang der 70er Jahren aber schließlich doch der Kontakt zur Industrie und der mühsame Obergang von der dilettantischen Einzelfertigung zur Fabrikation von Schreibmaschinen im industriellen Maßstab organisiert werden. Die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in Milwaukee in einer Werkstatt gemeinsamarbeitenden Christopher L. Sholes, Carlos Glidden, Samuel W. Soule unter der Mitarbeit des aus Deutschland ausgewanderten Turmuhrenbauers Matthias Schwalbach, später gesellten sich noch die umtriebigen Geschäftsleute Densmore und Yost hinzu, unterschieden sich von ihren Erfinderkollegen dabei keineswegs durch die Genialität der Ideen oder die Brillanz und Exaktheit der konstruktiven Umsetzung, sondern vor allen Dingen durch die Schaffung und Gewährleistung organisatorischer Voraussetzungen zur Generierung und maschinellen Stabilisierung technischen Wissens. Im Gegensatz zu den vielfach allein werkelnden oder nur mit sporadischen Arbeitskontakten befaßten Erfinderkollegen, hatte man sich hier zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden, die einen für die späteren Pionierjahre der industriellen Schreibmaschinenentwicklung sotypischen"Qualifikationsmix" zeigte: Technisch interessierte Laien, die bisher als Journalisten, Rechtsanwälte, Buchdrucker oder Geschäftsleute tätig waren, arbeiteten mit ausgebildeten Mechanikern in einer eingerichteten, aber sehr kleinen mechanischen Werkstatt zusammen. Die Milwaukee-Gruppe hatte sich bereits an den verschiedensten Projekten versucht, als im "Scientific American" - anläßlich einer Vorstellung des Apparates von Pratt - den Schreibmaschinen eine bedeutungsvolle Zukunft avisiert wurde (Current, 1954: 1 1). Nun waren Zeitungsberichte oder Notizen von gerade erfundenen Schreibmaschinen schon des öfteren Ausgangspunkt für Neuentwicklungen gewesen, ein entscheidender Unterschied in den Überlegungen der Milwaukee-Gruppe gegenüber ihren "Erfinder"-Kollegen, insbesondere den in Europa arbeitenden Kollegen, lag aber darin, die bisherigen Ideen, Überlegungen und Modelle konsequent nur in solche Konstruktionsvorschläge zu übersetzten, die von den technischen Voraussetzungen her Chancen für eine Serienherstellung boten. Die Typenradmaschine von Pratt fiel unter diesen Gesichtspunkten jedenfalls sofort durch, weil hinsichtlich einer möglichst schnell in die

16 Wege zu leitenden Industrieproduktion dieser Apparat der Milwaukee-Gruppe "unnötig komplex erschien" und man sich deshalb für die Typenhebeltechnik entschied, bei der die in einem Kreis angeordnete Typen über einen Zwischenhebel mit der Tastatur verbunden sind und die der Gruppe konstruktiv und fabrikatorisch besser beherrschbar schien (Current, 1 954: 1 1). Im Mittelpunkt der ersten Entwicklungsschritte stand daher nicht so sehr das Streben nach einer möglichst originellen oder besonders bedienerfreundlichen Maschine, sondern die technische Realisierung einer robusten, unkomplizierten Konstruktion, deren Funktionsfähigkeit stabilisiert werden konnte und die sich als Serienprodukt auch fabrizieren ließ. Grundsätze, die heute als typische Merkmale der amerikanischen Massenproduktion gelten (vgl. Hounshell, 1 984: 1 5ff .)• "When a manufacturer decided to make a product of a particular quality, he was forced to employ given techniques and certain general designs - he had no alternatives. This is not to imply that manufacturers did not develop new technology and new design, but many adopted and adapted existing technology. The mix of existing and new technology was determined by the mechanics inchargeofproduction,theagentsoftechnologicalchange"(Hoke, 1 984:1 0). Im konstruktiven Bereich drückte sich diese Haltung in resoluten "Schließungs- und Konsolidierungsentscheidungen" aus. Während in Europa beispielsweise Mitterhofer und Ravizza zur gleichen Zeit immer neue Detailrafinessen an ihren Modellen erprobten und immer neue Konstruktionsüberlegungen anstellten - offensichtlich auch als Kompensation für die harten und erfolglosen Verhandlungen mit Behörden und Industrie -, ohne die für ein maschinelles System notwendige innere Konsistenz als Voraussetzung für eine Reproduktion des Programmablaufs zu beachten, rückte die Milwaukee-Gruppe, trotz ihrer ebenfalls erfolglosen Bemühungen um industrielle Kooperationspartner, nicht von der Grundentscheidung für das Typenhebelsystem ab und arbeitete beharrlich auf dem eingeschlagenen Konstruktionpfad weiter. Ravizza experimentierte an der Entwicklung des überaus komplizierten Umschaltwerks von Groß- auf Kleinbuchstaben (Beeching, 1974: 1 4), Mitterhofer versah, offenbar aus Frust über die Ignoranz der österreichisch-ungarischen Behörden, seine Modelle mit immer aufwendigeren mechanischen Spielereien, die MilwaukeeGruppe aber entschied sich im Interesse eines einfachen Mechanismus, die Anzahl der Zeichen und Buchstaben auf die unbedingt notwendige Zahl von 24 zu reduzieren (Current, 1 954: 51). Als die ausgewählte Typenhebelkonstruktion in einem ersten Prototyp soweit realisiert werden konnte, nahm man Kontakt zu dem befreundeten Stenographenbüro "Walbridge, Allen & Weller" in St. Louis auf, um den Apparat von professionellen Schreibern einem ersten Test zu unterziehen. Der ja schon recht spartanisch augestattete Prototyp zeigte auch hinsichtlich der Stabilität erhebliche Mängel. Schon nach kurzer Betriebsdauer büßten die aus Holz gefertigten Elemente insbesondere an den Verbindungsgliedern rasch an Stabilität ein, so daß ein geordneter Schreibbetrieb nicht mehr möglich war (vgl. Weller, 1 91 8: 1 1 ff.).

17 Die Zusammenarbeit mit dem Stenographenbüro wurde aber nicht fortgesetzt. Die dort geäußerten Wünsche und Bedürfnisse drohten offenbar den auf der Basis konstruktiver Grundentscheidungen eingeleiteten Konsoiidierungsprozeß zu unterwandern, denn die Vorstellungen der Schreiber waren auf dieser technischen Grundlage nur zu einem Teil verwendbar und konnten auch nur in dem Maße realisiert werden wie sie die bereits getroffenen und auch nicht mehr zur Disposition stehenden Schließungsentscheidungen nicht tangierten (vgl. Current, 1 954: 51). Verhandlungen mit der Industrie (u.a. mit der Telegraphengesellschaft "Western Union") scheiterten auch hier immer wieder am mangelnden Interesse der Unternehmen und so sah man sich zu einer selbständigen Aufnahme einer eigenen industriellen Fertigung der Modelle gezwungen. Das in einer alten stillgelegten Wassermühle begonnene Projekt mußte aber nach kurzer Zeit wieder eingestellt werden, da weder die finanziellen noch die qualifikatorischen Ressourcen ausreichten, um eine gleichbleibende Qualität der Geräte zu erzeugen (Current, 1954: 60). Durch den Eintritt des Geschäftsmannes Yost konnten im Dezember 1872 schließlich doch noch recht erfolgversprechende Kontaktezumrenomierten Waffen-und Landmaschinenhersteller "E. Remington & Sons" geknüpft werden. Das traditionsreiche Unternehmen stand seit dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1865) unter dem Zwang, für die ausgelaufenen Waffengeschäfte neue Geschäftsfelder erschließen zu müssen. "The search of diversity carried them into many curious corners of Industry. They madeeverythingfromcotton ginstofireengines" (Hatch, 1956: 168). Bereits einige Jahre zuvor hatte man einen leitenden Konstrukteur der SingerGesellschaft abgeworben und im großen Stil die Produktion von Nähmaschinen begonnen, allerdings ohne über die organisatorischen Voraussetzungen eines dichten Verkaufs- und Servicenetzes zu verfügen. Auch später bei der Fertigung der Schreibmaschine sollte sich zeigen, daß die Vermarktung eines Massenartikels ganz andere unternehmerische Fähigkeiten und Voraussetzungen benötigte als beispielsweise die Pflege des von Remington vorzüglich beherrschten Behördengeschäftes. Das Lehrgeld, das Remington für den Einstieg in die Nähmaschinenproduktion zahlen mußte, fiel mit über einer Million Dollar Verlust allerdings sehr hoch aus, was auch für die später ins Programm genommene Schreibmaschinenfertigung die Grenzen sehr eng steckte (Hatch, 1956: 1 69f.). Das Verhältnis der Gesellschaft zum Projekt Schreibmaschine zeigte im übrigen bereits die Merkmale, wie sie später auch für das Entscheidungsverhalten anderer Unternehmen der Feinmechanik kennzeichnend sein sollte, die sich für die Fertigung von Schreibmaschinen entschieden: Das primäre Interesse der Unternehmen am Projekt Schreibmaschine galt einer erhofften Auslastung der Fertigungskapazitäten. Ein unternehmerisches Interesse an der Verbesserung des Produktes Schreibmaschine blieb zumeist den kurzfristigen Diversifizierungskalkülen untergeordnet und sollte sich auch später nur gelegentlich - und für die generelle technische Entwicklung eher folgenlos - einstellen. Remington verzichtete nach den vorliegenden Informationen offenbar ebenso auf eine Marktanalyse wie auf

18 eine Begutachtung anderer technischer Systeme, die möglicherweise ja auch für eine Fertigung in Frage gekommen wären. Nach dem eher mißglückten Einstieg in das Nähmaschinengeschäft war die Geschäftsführung vermutlich mehr an einer Begrenzung des geschäftlichen Risikos interessiert und froh darüber, daß man die Milwaukee-Gruppe zu einer Vorfinanzierung der Produktion in Höhe von $ 10000 sowie zur organisatorischen Abwicklung des Verkaufs der Maschinen verpflichten konnte. Aus der Milwaukee-Gruppe hatten sich nämlich unterdessen einige geschäftlich besonders ambitionierte Mitglieder zur Gründung der "The Typewriter Company" zusammengefunden, die sich auch in den Besitz der bisher erteilten Schutzrechte gebracht hatte. Die finanzielle Belastung, die mit der Kooperation der Firma Remington für das neue Unternehmen verbunden war, schien zwar hoch, dafür hatten man aber die Fortschreibung des geltenden Konsolidierungskonsens in Form derTypenhelbelkonstruktionen erreicht, deren Selektionskriterien nunmehr in einer industriellen Fertigung weiter "ausgehärtet" werden konnte(vgl. Current, 1 954: 65; 77ff.; Hoke 1 984: 21 3ff.). Unter der Regie des Leiters der Nähmaschinenabteilung - "who could not get away from environmental influence, made his product look like a sewing machine" (Hatch, 1956; 1 72)) - verliefen die noch notwendigen Entwicklungsarbeiten primär mit der Zielrichtung einer schnellen Sicherung der konstruktiven Stabilität der vorgegebenen Grundkonstruktion, was neben kleineren Detailverbesserungen, insbesondere durch die Verwendung metallischer Werkstoffe, gelang. Im April 1 874 konnten die ersten industriell und in einer größeren Serie hergestellten Schreibmaschinen angeboten werden, ohne daß bei den potentiellen Interessenten damit Begeisterungsstürme ausgelöst wurden. "Die großen (Handelshäuser) beanstandeten die Maschinenschrift für die Korrespondenz; - ein Geschäftsbrief dürfe nur mit der Hand geschrieben werden so lautete das einstimmige Urteil der maßgebenden Kreise. Auch die jungen Leute stemmten sich gegen die Einführung der Schreibmaschine, durch die sie ihre Existenz bedroht glaubten. Kleinere Geschäfte hatten des verhältnismäßig hohen Preises wegen keine Veranlassung, eine Maschine anzuschaffen..." (Burghagen, 1898: 13). öffentliche Verwaltungen kamen als Abnehmer ebenfalls noch kaum in Frage. Die überwiegende Mehrheit der Washingtoner Bürokratie verhielt sich gegenüber den neuen Geräten mehr als reserviert, interessierte Abteilungsleiter wurden an der Einführung der Schreibmaschine durch eine Verordnung gehindert, "die mit peinlicher Genauigkeit festlegte, was und wie alles in Dokumenten niedergeschrieben werden sollte" (Pirker, 1962: 32). Zu dieser ablehnenden Haltung gesellte sich noch die harte Kritik derjenigen, die sich tatsächlich für den Kauf der Maschine entschieden hatten. Im Verhältnis zu dem hohen Stückpreis von $ 1 25 konnten die Geräte dieser ersten Serie in puncto Komfort und Zuverlässigkeit überhaupt nicht befriedigen. Die Maschinen verfügten ja nur über eine Abdruckmöglichkeit von Großbuch-

19 Stäben, die im Vergleich zur Größe des ganzen Apparates auf dem Papier viel zu klein ausfielen, zumal auch die exakte Typenführung und Zeilengradheit noch sehr zu wünschen übrig ließ und der Betrieb der Maschinen überdies eine enorme Geräuschquelle darstellte. Die ursprünglich alphabetisch geordnete Tastatur hatte man aufgeben müssen, da sich bei etwas schnelleren Schreibversuchen die häufig benutzten Buchstaben immer wieder verhakten. Das nach einigen Umstellungen entstandene und noch bis heute gültige (!!!) "Qwerty"-System (benannt nach oberen sechs ersten Buchstaben der amerikanischen Tastatur) wirkte sich für eine höhere Schreibgeschwindigkeit aber auch nicht hilfreich aus (vgl. David, 1985: 332ff.) und verhinderten ebenfalls eine schnelle Verbreitung der Geräte.

4. Entstehung, Expansion und Ausdifferenzierung der amerikanischen Schreibmaschinenindustrie

Die mangelhaften Verkaufserfolge trugen dazu bei, daß sich die Remington Gesellschaft noch weniger um eine Produktpflege kümmerte und die Fertigung von Schreibmaschinen eher ein "ungeliebtes Kind" der Diversifizierungsüberlegungen blieb. Schon das Beispiel Nähmaschinen hatte ja deutlich gezeigt, daß sich solche neue Gerätetypen keineswegs von selbst verkauften, sondern nur durch die Zwischenschaltung von professionellen Verkaufsagenturen abzusetzen waren (vgl. Pirker, 1 962: 33). Obwohl zwischenzeitlich das angesehene Unternehmen "Fairbanks, Brown & Co" engagiert werden konnte, blieben die Verkaufszahlen bescheiden. Zwei Jahre nach Markteinführung arbeiteten in der kleinen Abteilung erst 30 Mitarbeiter, die bis dahin lediglich 550 Maschinen hergestellt hatten. Als sich Mitte der 80er Jahre die finanziellen Probleme der Gesellschaft zuspitzten, verkaufte die Geschäftsleitung kurzerhand die kleine Abteilung. Für$ 1 97000gingenalleAnlagen, Vorräteund Exklusivrechte an Wyckhoff, Seamens & Benedict, eine Firma von ehemaligen Angestellten der Remington, die unter dem neuen Namen Standard Remington Typewriter Company die Fertigung und den Vertrieb der Maschinen übernahmen (Hoke, 1 984: 220; Current, 1 954: 111; Hatch, 1 956: 1 75). Die ausgebliebenen Verkaufserfolge und die zum Teil heftige Käuferkritik der dargebotenen Qualität der Maschinen führte bei Konstrukteuren und Technikern keineswegszu Überlegungen, den Aufbau der Maschine grundlegend zu verändern. Die zwar noch mangelhafte, aber immerhin schon realisierte Typenhebel-Unteraufschlagtechnik wurde nicht aufgegeben, die bisherigen Schließungsentscheidungen nicht revidiert. Dererreichte Erkenntnisstand ermöglichte den Konstrukteuren vielmehr, auf einer schon strukturierten und übersichtlichen technischen Basis zu operieren und aufwendige konstruktive Grundentscheidungen zu vermeiden. Der geronnene Konsolidierungskonsens wurde also nicht aufgekündigt und die maschinelle Ausreifung der Unteraufschlagtechnik im Wert höher eingeschätzt als mögliche konstruktive Optionen, die mit einem Systemwechsel ja durchaus verbunden gewesen wären. Insbesondere existierten ja bereits sehr ausgereife Entwürfe, den großen Nachteil der Unteraufschlagtechnik, den "blinden" Anschlag, zu vermeiden. Über Fragen nach möglichen technischen Verbesserungen bei der freilich nicht mehr zur Disposition stehenden Grundkonstruktion kam es in der noch kleinen Gemeinde der Schreibmaschinenkonstrukteure allerdings zu unterschiedlichen Auffassungen. Bei der Suche nach den Möglichkeiten, wie denn neben den Großbuchstaben endlich auch die vielfach geforderten Kleinbuchstaben angeboten werden konnten, wurden auf der Basis des bisherigen Systems

21 unterschiedliche Wege verfolgt. Während Techniker von Remington an einer Umschaltvorrichtung arbeiteten, mit deren Hilfe die auf einem Typenhebel angebrachten Zeichen zum Abdruck gebracht werden konnten, entschieden sich einige noch aus der Milwaukee-Gruppe stammende Konstrukteure, die sowieso schon sehr problematische Zeilengradheit nicht durch komplizierte Umschaltungen noch weiter zu gefährden, sondern einfach alle Groß- und Kleinbuchstaben und Zeichen auf eigene Hebel zu setzen und als "Vollklaviatur" zur Verfügung zu stellen. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die technische Fortentwicklung der Geräte spitzte sich zu und führte schließlich zur Entstehung eines ersten Konkurrenzunternehmens: In Kooperation mit einem feinmechanischen Betrieb gründeten die Verfechter der "Vollklaviatur" 1879 die "Caligraph Patent Company", die spätere "American Writing Company". Die Möglichkeit, die in mittlerweile lOjähriger Erfahrung gewonnenen konstruktiven und fertigungstechnischen Erkenntnisse verwerten zu können und damit wenigstens die technischen Risiken für das neue Unternehmen weitgehend zu minimieren, wurden auch hier höher eingeschätzt als die Gelegenheit, durch neue konstruktive Angebote die.unhandliche Mechanik der Typenhebeltechnik zu ersetzen und auf eine bessere Markterschließung zu hoffen. Die eingeschlagene Strategie erlaubte es dem neuen Unternehmen, die "Caligraph" - so der Markenname - in gleicher technischer Grundkonstellation, aber nur für $ 60 Dollar und damit weit unter dem Preis der Remington anzubieten. Im Zeitraum von 1 881 bis 1 884 konnten damit auf Anhieb etwa 7000 Maschinen abgesetzt werden, während Marktführer Remington im gleichen Zeitraum etwa 1 1 000 Exemplare verkaufte (vgl. Current, 1954: 98ff.;104).

Im Rahmen der Markterschließung, bei der Agenturen die Geräte langsam im ganzen Land bekannt zu machen versuchten, stießen insbesondere die zur Verkaufsförderung organisierten Schnellschreibwettbewerbe in der Öffentlichkeit auf Interesse. Die ersten Schreiberinnen hatten sich mittlerweile mit dervon Remington angebotenen "Qwerty"-Tastatur (andere Modelle gab es in den ersten Jahren auch gar nicht) arrangiert und tatsächlich selbst für diese unzweckmäßige Anordnung Methoden und Techniken für ein schnelleres Schreiben entwickelt. Mrs. Longley entwarf 1 882 zum ersten Male einen systematischen Lehrplan für die "ten-fingers-don'twatch-your-hands" - Methode, mitder Frank McGurrin die ersten Wettbewerbe gewonnen hatte (vgl. Bliven, 1 954: 1 21 ff.; Martin, 1 949: 547: 530ff.; Stümpel, 1985: 75ff.; Beeching, 1 974: 40ff.). Langsam steigende Verkaufszahlen, der Einstieg eines renomierten Unternehmens wie Remington und eine nach wie vor sehr optimistisch gestimmte technische Fachpresse, die nicht müde wurde, auf eine baldige Expansion des Schreibmaschinenmarktes aufmerksam zu machen, hatte in den 80er Jahren mehr und mehr auch andere Erfinder und Bastler ermutigt, ihre bisher in Heimarbeit gefertigten Modelle und Apparate auf dem neuen Markt anzubieten. Es

22 entstanden eine Reihe von kleineren Firmen, bei denen die "Laien-Erfinder" meist mit einer kleinen feinmechanischen Werkstatt sowie e..iem Sponsor kooperierten und dabei unabhängig von der Remington-Konstruktionslinie sehr verschiedene Grundsysteme zu realisieren versuchten. Mit der "Hall" erschien eine billige "Eintastermaschine" für den Hausgebrauch, bei der zwar noch einige manuelle Zwischenschritte zu betätigen waren, die aber billig und robust gebaut werden konnte. Mit der "Crandall" sowie der "Hammond" tauchten erste Maschinen auf dem Markt auf, die mit einer sinnreichen Typenrad- bzw. Typenzylinderkonstruktion ausgerüstet waren. Entgegen den "blinden" Unteraufschlagmaschinen hatte man hier bereits eine relativ gute Sicht auf das Geschriebene, zudem verfügten die Geräte über einen weicheren Anschlag. Da bei diesen Konstruktion auch nicht mit den mechanischen Restriktionen der Typenhebeltechnik gekämpft werden mußte, konnten hier erste Überlegungen für eine den Bedürfnissen der Schreiberinnen angepaßte "Idealtastatur" entwickelt werden.

Abb.9.

"Crandell"

'Hammond

Quelle: Richards, 1 964: 4f.

Dieser schreibtechnische Komfort mußte allerdings mit Mängeln im maschinellen Charakter der Geräte bezahlt werden, der sich schon nach kurzer Betriebsdauer in einem sehr uneinheitlichen Schriftbild ausdrückte. Diese Konstruktionen, bei denen ja völlig neue Wege eingeschlagen worden waren und bei denen nicht auf den konsolidierten Erfahrungsbestand der Typenhebeltechnik und auch nicht auf eingefahrene Fabrikationsroutinen zurückgegriffen werden konnte. zogen daher gegenüber den "ausgreiften", aber von der Grundkonstruktion nur suboptimalen Remington- oder Caligraph Maschinen in der Käufergunst den kürzeren. "Die Crandall hatte auf dem Markt keinen großen Erfolg, sie galt aber schon damals wegen ihrer Schönheit und eigenwilligen Technik als interessant" (Krummeich, 1985: 14). Vermutlich waren aber bereits zu dieser Zeit Käufer und Nutzer der Maschinen in der überwiegenden Mehrzahl nicht identisch (vgl. Specht. 1 896: 282), und es ist zu vermuten, daß die Bürovorsteher mehr an dauerhaft funk-

23 tionstüchtigen und robusten Geräten interessiert waren als sich an Experimenten zur Ausreif ung von neuen Bürotechniken zu beteiligen, die zwar bedienerfreundlich, aber eben auch reparaturanfälliger waren. Auch die "Idealtastatur", die verschiedene Hersteller am Markt anboten, kam daherzu spät, weil sich die Schreiberinnen bereits 1 888 auf einem Kongreß darauf verständigt hatten, lieber an der komplizierten Remington-Tastatur festzuhalten als sich immer wieder auf neue Anordnungen der Buchstaben und Zeichen einstellen zu müßen. Jedenfalls verschwanden die angebotenen "Idealtastaturen", die ja auch noch sehr unterschiedlich ausgefallen waren. sehr bald wieder nach der Markteinführung und wurden durch das als "Universaltastatur" bezeichnete Remington- Keyboard ersetzt (Pfeiffer, 1923: 123; Martin, 1 949: 51 6f.). Obwohl in den 80er und auch noch zu Beginn der 90er Jahre am amerikanischen Schreibmaschinenmarkt dieunterschiedlichstenSystemeund Konstruktionsausführungen vertretenwaren, die die bisherigen Erfinderarbeiten in ihrer nahezu ganzen technischen Breite repräsentierten, konnte man dennoch kaum von einem Wettbewerb der verschiedenen technischen Grundsysteme reden. Denn vielmehr noch als die technische Qualität der Maschinen entschieden Cleverness, Geschick und Manipulationskünste der Verkaufsagenturen über die Höhe der verkauften Maschinen. Mark Twain, dessen "Life on the Mississipi" (1 883) das angeblich erste in getippter Form beim Verleger abgegebene Buchmanuskript gewesen sein soll, beschwerte sich beispielsweise darüber, daß man ihn beim Kauf seiner Remington durch völlig falsche Angaben zur Schreibgeschwindigkeit hereingelegt habe. Ihm sei auch erst später aufgefallen, daß die zu Demonstrationszwecken im Verkaufsraum tippende Schreiberin zwar über eine beachtliche Fingerfertigkeit im Umgang mit dem neuen Gerät verfügte, allerdings dabei immer den gleichen Satz geschrieben habe. Für Ungeübte ging das Schreiben aber nur sehr langsam voran und war zudem noch mit sehr viel Mühe verbunden (vgl. Bliven, 1 954: 60/61,111 ff.; Pirker, 1962:38). Wenngleich der fast zehn Jahre konkurrenzlose Remington- Standard in seiner faktischen Realität - trotz aller technischen Unzulänglichkeiten - zum dominanten Orientierungspunkt der weiteren Entwicklungen wurde, entstand in den 80er Jahren noch kein allgemein verbindlicher "herrschender Stand der Technik" für Schreibmaschinen. Noch gab es ja verschiedene technische Grundsysteme, die von Unternehmen mit dem Ziel einer möglichst weiten Verbreitung vermarktet wurden. In dieser Unübersichtlichkeit war bei Herstellern und Nutzerinnen kein gemeinsames Verständnis über eine genaue Zuordnung der verschiedenen Systeme auf die einzelnen Marktsegmente und Verwendungsgebiete entwickelt, auch existierten über die verschiedenen institutionellen Kontexte hinaus noch keine überbetrieblichen Regel- und Ausbildungswerke, die den bisherigen Wissensbestand bündeln, strukturieren und damit auch formal festschreiben konnten.

24 Im Jahre 1890 erschien die noch junge amerikanische Schreibmaschinenindustrie erstmals unter 'Typewriter and Supplies" in der amtlichen Statistik und soll demnach bereits aus 30 eingetragenen Unternehmen mit 1 735 Arbeitskräften bestanden haben, die zusammen einen Produktionswert von $ 3,6 Mio. erreichten (zit. nach Current, 1 954: 11 2).

5. ökonomische und technische Konsolidierung der Schreibmaschinenbranche

Die größere Vielfalt an technischen Systemen, Fertigungs- und Vertriebsunternehmen war jedoch keineswegs Hand in Hand mit einer im gleichen Maße steigenden Nachfrage nach Schreibmaschinen gegangen und so geriet die Branche bereits nach kurzer Zeit in eine erste Überproduktionskrise, die sich insbesondere in einem drastischen Preisverfall und einem anschließenden "Krieg der Handelshäuser" ausdrückte (vgl. Pirker, 1 963: 36). Erste Initiativen zur Einleitung der unternehmerischen und technischen Konsolidierung der Branche entstanden Ende 1 892. Hier sollte sich zeigen, daß unter restriktiven Rahmenbedingungen auch die konstruktiven Schließungsprozesse rigider organisiert wurden. Die größeren Schreibmaschinenunternehmen, alles Produzenten von Typenhebelmaschinen, schlössen sich 1893 zur "Union Typewriter Company of America" zusammen. An diesem ersten Kartell der noch jungen Schreibmaschinenindustrie ist weniger das Bemühen um Preisstabilität bemerkenswert als vielmehr die Tatsache, daß unter der Führung der "Standard Remington" der bisher ja bereits weit verbreitete "faktische Stand" der Typenhebelmaschinen im Ergebnis zum industrieweiten Standard und damit zum "herrschenden Stand der Technik" konstituiert wurde. Die Konzentration auf einen Konstruktionstyp, der dank der im Kartell versammelten ökonomischen Macht als universeller Konstruktionstyp ausgewiesen, abgeschirmt und gesichert werden konnte, nahm den in großer Zahl noch existierenden unabhängigen Technikern und Projektzusammenhängen die Chance, mit Vorschlägen zurtechnischen Neuentwicklung der Maschinen auf Resonanz zu stoßen. Den nicht im Kartell eingebundenen Firmen fehlte es andererseits an genügend ökonomischen Ressourcen sowie einem im Vergleich zur Typenhebeltechnik ähnlich gut konsolidierten Erkenntnisstand, um sich auf den ja bereits besetzten und zudem noch sehr schmalen Marktsegmenten gegen die Maschinen des Kartells durchzusetzen. Verschiedene technische Initiativen, darunter Angebote zur Lösung des Geräuschproblems, wurden vom Kartell zugunsten von Investitionen in gemeinsame Fabbrikanlagen, die zur Minimierung der Fertigungskosten dienten, abgelehnt (vgl. Beeching, 1974: 26; Martin, 1 949: 466). Einer dieser unabhängigen Konstrukteure, Franz X. Wagner, der schon mit mehreren Firmen an der weiteren konstruktiven Ausreifung und maschinellen Stabilisierung der Typenhebeltechnik zusammengearbeitet hatte, scheiterte mit seinem Anliegen, durch die Verwendung eines neuartigen Zwischengelenks die bisher im Kreis angeordneten und von unten nach oben unter die Walze anschlagenden Typenhebel, diesen "blinden" Mechanismus, insofern zu modifizieren, als die Typenhebel - in einem Halbkreis angeordnet - von unten nach vorn ("front strike") an die Walze anschlagen konnten und damit den Blick auf das gerade Geschriebene ermöglichten.

26

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Abb. 10:

Wagner/Underwood

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Remington-Standard

Quelle: Richards, 1964: 15

Nachdem Wagner der Schließungs- und Konsolidierungspolitik des Kartells "zum Opfer" gefallen war, gründete er mit seinem Sohn eine eigene kleine Fabrik, die aber bald darauf schon vor der Pleite stand (Morschheuser, 1987: 43ff.). Die Nachwelt hätte sicherlich kaum mehr etwas von dieser Konstruktion gehört, die heute das Universalsystem für alle mechanischen Schreibmaschinen darstellt, wenn der Tinten-, Kohlepapier- und Farbbandhersteller Underwood nicht zur gleichen Zeit vor einer Reformierung der Produktpolitik geständen hätte, weil - so munkelt die Geschichtsschreibung - einige der großen Schreibmaschinenunternehmen des Kartells zur Fertigung eigener Farbbänder übergegangen waren und Underwood deshalb zur Sicherung der Absatzmärkte die Herstellung von Schreibmaschinen überdachte (vgl. Martin. 1 949: 1 57f .)• Die Zusammenarbeit des großen und finanzkräftigen Unternehmens Underwood mit dem bis dahin unabhängigen Wagner, der als ausgebildeter Feinmechaniker über einen guten Ruf in der Branche verfügte, schuf.die Voraussetzung dafür, daß mit einem neuem Modell ("Underwood") die vom Kartell gepflegten Wissensbestände in erhebliche Legitimationsprobleme gerieten. Denn an der Benutzeroberfläche mußten die neuen Maschinen als grundlegende Reform im Sinne eines verbesserten Komforts gelten, wobei die konstruktiven, fertigungstechnischen und fabrikorganisatorischen Erfahrungen der Typenhebelmaschinen weiter fortgeschrieben werden konnten und damit trotz umfangreicher Neuerungen die Gewähr dafür

27 boten, daß die Stabilisierung des maschinellen Charakters der neuen Geräte in kurzer Entwicklungszeit geschaffen werden konnte. Diese Verbesserung des Bedienungskomfort innerhalb der herrschenden Konstruktionslinie, die auch nur mit einer erweiterten mechanischen Verkettung erreicht werden konnte, mußte freilich mit einem erhöhten Kraftaufwand beim Schreiben bezahlt werden und diente in erster Linie einer möglichen Steigerung der Schreibgeschwindigkeit (vgl. Pfeiffer, 1921: 1 83ff.). Der tatsächlich eingetretene große Erfolg des Modells resultierte aber auch aus einer zum Erscheinungstermin der Maschinen Ende der 90er Jahre wieder deutlich entspannteren Lage am Schreibmaschinenmarkt. Dem "Union Typewriter"-Kartell gelang es jedenfalls nach der Jahrhundertwende nicht mehr, den bisher rigiden Kurs fortzusetzen, da die "Underwood" gegenüber den konventionellen Typenhebelmaschinen einen zu attraktiven Wissensvorsprung repräsentierte und die bisherigen technischen Mängel der "blinden" Konstruktionen aufdeckte, ohne daß Nachteile in der Stabilität der Maschinen zu befürchten waren. Als schließlich 1 908 selbst "Standard Remington", nachdem man freilich erst den leitenden Konstrukteur hatte zwangspensionieren müssen, mit einer sichtbar schreibenden Konstruktion am Markt erschien, waren die Typenhebelmaschinen mit Segmentlagerung und Vorderanschlag damit zum "herrschenden Stand der Technik" für Standardmaschinen geworden (vgl. Engler, 1969: 24ff; Martin, 1949: 464). Andere Systeme konnten allerdings in ökonomisch unbedeutenderen Marktnischen noch einige Jahrzehnte überleben. Beispielsweise erfreute sich eine Typenzylindermaschine der Marke "Blickensderfer" großer Beliebtheit als leichte und praktische Reiseschreibmaschine. Und selbst die etwas umständlich funktionierenden "Eintastermaschinen" die AEG konnte unter dem Markennamen "Mignon" ein solches Geräte mit großem Erfolg verkaufen - sollten auch noch nach der Jahrhundertwende vorwiegend in privaten Nutzungsbereichen erhalten bleiben. "In der Hauptsache hatte die Maschine wohl ihre definitive Form schon erhalten, doch in den Details gab es noch sehr viel zu verbessern. Bisher waren nur die Ideen der Erfinder und die technische Forderung der Fabrikanten zu Worte gekommen. Jetzt galt es, auch noch die in der Praxis gemachten Erfahrungen zu berücksichtigen", kommentierte einer der ersten Schreibmaschinenpromotoren in Deutschland die Situation um die Jahrhundertwende (Burghagen, 1 898: 1 3). Obwohl durch das Wagner- Getriebe der Underwood-Maschinen nun zwar wenigstens die Sichtbarkeit der Texte möglich war, galt die technische Qualität der Geräte bei den Zeitgenossen weiterhin als unbefriedigend.

Wie weit der von Underwood fortgeschriebene und erweiterte Technikstandard aber schon nach kurzer Zeiteinen branchenweiten "gehärteten" Konsolidierungskonsens für Standardmaschinen repräsentierte, sollte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen, als erneut im Rahmen einer

28 Unternehmensgründung finanzielle Möglichkeiten mit unkonventionellen Ideen und qualitativen Ansprüchen verbunden werden konnten. E.B.Hess, .rühererTextilkaufmann, aber durchaus mit Hang zur Technik und Besitzer einer kleinen Werkstatt, "was not an engineer, and some of his favorite ideas were enough to drive engineers mad, but he was fortunate in having as a colleague, a small, quiet, disciplined, conservative technican, Lewis C. Meyers" (Bliven, 1 954: 90). Diese Zusammenarbeit wurde kurze Zeit später durch den als Börsenspekulanten, Multimillionär und Sponsor mehrerer waghalsiger Industrieprojekte bekannten W.C. Ryan im wahrsten Sinne des Wortes bereichert, der dem kleinen Unternehmen, der 1 904 gegründeten Royal Typewriter Company, eine von finanziellen Sorgen befreite Startphase ermöglichte. Hess und Meyers diagnostizierten vor der Aufnahme der Entwicklungsarbeiten noch erhebliche konstruktive Mängel des "herrschenden Standes der Technik". Trotz Segmentführung blieb auch das Schriftbild der Underwood immernoch unregelmäßig. Die Sichtbarkeit des Geschriebenen wurde zudem durch eine Reihe von Bügeln, Bändern und Federn beeinträchtigt, der gesamte Aufbau des Gerätes erschien unnötig kompliziert und verteuerte die Fertigung und Reparatur. Doch der schwerwiegendste Vorwurf galt dem nach wie vor sehr schwergängigen Anschlag der Maschinen (vgl. Bliven, 1 954: 90). (Zur Orientierung: Selbst bei der Verwendung moderner mechanischer Schreibgeräte mußte in einem 8-Stunden-Tag noch ein Kraftaufwand von 951, vergleichbar mit dem eines Betonfacharbeiters, bewerkstelligt werden (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz, 1986: 1 8).) Im Verlauf der Entwicklungsarbeit zog das Unternehmen aus dieser kritischen Bilanz über den Stand der Schreibmaschinentechnik aber eine bemerkenswert moderate Konsequenz: Bei der Projektierung neuer Maschinentypen knüpfte man keineswegs an Konstruktionsformen wie den Typenzylinder- oder Typenradmechanismen an, die eine bessere Gewähr für die Umsetzung konstruktiver Lösungen eines leichtgängigen Anschlags boten, sondern erkannte den von Underwood aufgenommenen, modifizierten und nun branchenweit gültigen Konsolidierungskonsens der Typenhebelmaschinen als Grundsystem an und schrieb damit freilich die bisher keineswegsalsbenutzerfreundlich auf gefallenen Schließungsentscheidungenfort. Selbst für die finanziell gut ausgestattete "Royal Typewriter Company" stellte sich offenbar nicht mehr die Frage, mit welchen technischen Konzepten die Bedürfnisse zu befriedigen waren, sondern wie der erreichte Wissensstand auf die gestiegenen Anforderungen umzubiegen war. Die neuen Geräte, die im Design wesentlich flacher ausfielen und im heutigen Sinne modern wirkten, wurden deshalb ebenfalls mit Typenhebeln und Vorderanschlag geliefert, wobei auf der Basis des Wagner'schen Gelenkhebels ein besonderer Mechanismus dafür sorgte, daß sich beim Tastendruck der Typenhebel beschleunigte und einen etwas leichteren Anschlag ermöglichte (vgl. Martin, 1949: 213).

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Abb. 11: Abdruckmechanismus eines Modells der "Royal Typewriter" Quelle: Martin, 1949: 213 Dieses Operieren mit den Elementen des gesicherten "herrschenden Standes derTechnik" verschaffte dem Unternehmen durch den gefahrlosen Rückgriff auf Konstruktionsmerkmale, die bereits mit "Funktionstauglichkeitsgarantie" versehen waren, eine Ausgangslage, von der aus die Royal Typewriter Company in kurzer Zeit neben Underwood zur führenden Schreibmaschinenfabrik der USA aufsteigen konnte. Offenbar erwies sich schon wenige Jahre nach der Jahrhundertwende die Verfolgung von Konstruktionen abseits des gesicherten und bewährten Erfahrungsbestandes - gemessen an den "sicheren", aber eben auch qualitativ bedenklichen Angeboten des "herrschenden Standes" - als ein unkalkulierbares Risiko. Bereits zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Branche als soweit formiert und hinsichtlich technischer Grundsatzentscheidung als versiegelt dar, daß auch die Zulieferindustrie die Selektionsmuster des herrschenden Standes in ihre Erzeugnisse hatte einfließen lassen. Qualifizierte Konstrukteure, Techniker und Monteure, die ein neues Unternehmen wie die Royal Typewriter Company ja erst rekrutieren mußte, repräsentierten in ihrem Wissen und mit ihren Fähigkeiten selbstverständlich ebenfalls den "herrschenden Stand derTechnik" und steckten für unkonventionelle technische Entwicklungsrichtungen sicherlich enge Grenzen (vgl. Bliven, 1954: 92f.). Eine formal ausgewiesene und fest institutionalisierte Interessenvertretung der Techniker, die sich "quer" zu den Unternehmen als Profession definierte und möglicherweise eigene Vorstellungen von technischen Standards entwickeln konnte, existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Eine Verwissenschaftlichung der Konstruktionsarbeit, wie sie auf anderen technischen Feldern um diese Zeit zu bobachten war, setzte bei der Schreibmaschine ebenfalls sehr viel später ein. In Deutschland konnte 1 9 28 der erste Lehrauftrag für feinmechanische Technik an einer Hochschule vergeben werden (vgl. Petzold, 1 985: 1 72), und es blieb noch lange Zeit "unter der Würde eines Ingenieurs", die Professionsinteressen mit Näh- oder Schreibmaschinen zu verbinden (vgl. Reindl, 1930: 157).

6. "Oberformung'nationaler Technikstile durch die Dominanz eines "herrschenden Standes der Technik". Die Einführung der Schreibmaschine in Deutschland

Obwohl an der industriellen Vorgeschichte der Schreibmaschinenentwicklung ja auch Europäer mitdurchweg weiterführenden Beiträgen beteiligt waren, begann die industrielle Entwicklung der Geräte in Europa erst knapp 20 Jahre später als in den USA. "Die führende Rolle der Vereinigten Staaten" - so notierte Theo Pirker - "ist dabei keineswegs selbstverständlich". Mit Hinweis auf einen zu vermutenden Zusammenhang zwischen feinmechanischer Technik und der Büromaschinenentwicklung nahm Pirker an, daß die Buromaschineri gerade in solchen Industrieländern zuerst hätten erfunden und entwickelt werden müßen, in denen alte handwerkliche Traditionen der Feinmechanik bestanden wie beispielsweise in den europäischen Industriestaaten (Pirker, 1962: 8). In Deutschland wurden auch tatsächlich immer wieder Patente für die verschiedensten konstruktiven Ausführungen eingereicht und erteilt. Bereits 1882 stellte der Nähmaschinenproduzent Guhl & Harbeck in Hamburg ein kleines Gerät, die "Hammonia" vor, mit der immerhin nach mehreren umständlichen Handgriffen der Abdruck von Buchstaben möglich wurde (vgl. Martin, 1949: 84). Eine nennenswerte industrielle Produktion setzte in den 80er Jahren aber nicht ein. Die ersten Schreibmaschinen, die Ende der 80er Jahre in deutschen Kontoren auftauchten, waren daher amerikanische Geräte der Marken Remington oder Caligraph. Geschäftsleute und Stenotypisten, die sich im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit einige Zeit in den USA aufgehalten hatten, brachten diese zumeist mit und gründeten in Deutschland erste Verkaufs- und Vertriebsstellen. Obwohl schon 1897 durch eine Verfügung des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe die Schreibmaschinenschrift im Verkehr mit der Regierung offiziell zugelassen wurde (vgl. Kittler, 1986: 31 8), blieben auch in Deutschland die Verkaufserfolge für Schreibmaschinen zunächst aus; neu gegründete Verkaufsagenturen konnten sich beispielsweise nur durch die Ausweitung zum Schreibbüro oder den Verkauf amerikanischer Büromöbel finanziell über Wasser halten (vgl. Martin, 1949: 432).

Für die technische Entwicklung sollte dieser spätere Beginn der Fertigung in Deutschland sowie dieTatsache, daß es fast ausschließlich etablierte Nähmaschinen- und Fahrradfabriken waren, die aus Diversifizierungsgründen in die Fertigung einstiegen, insofern prägend sein, als der bereits in den USA konstituierte "Stand der Technik" dabei den deutschen Unternehmen durch Lizenzkauf einen ökonomisch attraktiven Einstieg ermöglichte und in den elementaren Grundlinien übernommen wurde. Ohne aufwendige eigene Forschungen konnten die vorhandenen-und zumeist nicht ausgelasteten - Fertigungskapazitäten auf das neue Produkt umgestellt werden, von dem man allgemein steigende Verkaufszahlen erwartete. "Wer (aber) ohne einschlägige

31 Ressourcen ganzneu begann, mußte hohe Eintrittsgelder bezahlen" (Fachgemeinschaft, 1 984: 23). Nur ein einziges Unternehmen (Mercedes AG), das eigens zur Fertigung von Schreib- und später auch Rechenmaschinen gegründet worden war, überlebte diese ersten Jahre. Dieser Import der amerikanischen Schließungs- und Konsolidierungsentscheidungen sollte somit auch in Deutschland in kürzester Zeit einen so stabilen "Stand der Technik" begründen, daß allen Forderungen um die Entwicklung "deutscher Produkte" zum Trotz, der Versuch zur Begründung eines nationalen Technikstils durch die Anerkennung des in der amerikanischen Entwicklung bereits konsolidierten Wissenstandes überformt wurde. Die in Berlin ansässige Nähmaschinenfabrik Frister & Rossmann entschied sich als erstes deutsches Unternehmen schon 1 893 zur Aufnahme einer industriellen Schreibmaschinenfertigung und erwarb hierfür die Lizenzen für den Nachbau der "Caligraph". Da von dieser Typenhebelmaschine zunächst nur jährlich 500 Geräte abgesetzt werden konnte, blieb das Engagement der Firmenleitung für eine Produktpflege sehr begrenzt und für eine technische Weiterentwicklung "fehlte der Mut" (Martin, 1 949: 503/504; 426). Einer großen Krise im Fahrradgeschäft ist es in erster Linie zuzuschreiben, daß neben Frister & Rossmann um die Jahrhundertwende weitere etablierte Unternehmen der Feinwerkbranche die Produktion von Schreibmaschinen aufnahmen: Schlechtes Wetter in den Sommern 1 898 und 1 899 (Fahrradfahren war zu dieser Zeit sehr starken Modeeinflüssen ausgesetzt, der Absatz damit entsprechend "wetterfühlig") bei einem gleichzeitig einsetzenden Massenimport amerikanischer Billig-Fahrräder - hier machte sich die neue Massenproduktionsweise erstmals preislich bemerkbar, führte daher zu einer Überproduktionskrise (vgl. Schneider, 1923: 194ff.). Firmen wie die Wanderer Werke AG in Schönau, die Stoewer AG in Stettin, die Adlerwerke in Frankfurt oder Seidel & Naumann in Dresden entschieden sich zur Aufnahme der Schreibmaschinenfabrikation, um vorhandene Fertigungskapazitäten auslasten und den Rückgang des Fahrradgeschäfts kompensieren zu können. Der Auswahlprozeß, welches Industrieprodukt denn für eine Diversifizierung in Frage kommen könnte, wurde offensichtlich auch hier - ähnlich wie schon bei Remington & Sons nicht mit größter Sorgfalt betrieben und entsprang mehr kurzfristigen Kalkülen. PaulVollraht, der für die Schreibmaschinen verantwortliche Konstrukteur bei Seidel & Naumann, wußte hierüber folgendes zu berichten: "Naumann ließ mich eines Tages im Oktober 1 899 rufen und sagte zu mir: Vollrath, wir werden jetzt auch Schreibmaschinen bauen. Hier ist das Modell, danach sollten unsere Maschinen gebaut werden. Nun treffen Sie alle Vorbereitungen, damit die Sache in Schwung kommt" (zit. nach Martin, 1 949: 560). Ein Firmenchronist der Stoewer AG zeigte sich über den dortigen, wohl ebenso schnellen Entscheidungsprozeß sehr überrascht und konnte "sich eigentlich nicht vorstellen", daß die Vorbereitung und gar Aufnahme der Fabrikation der Schreibmaschine tatsächlich "ohne gründliche Marktanalyse und Kostenkalkulation erfolgte" (Mai, 1989:6).

32 Als in den USA der Underwood-Ständard als 'herrschender Stand derTechnik" etabliert wurde, orientierten sich auch in Deutschland alle Einsteiger sehr schnell an diesem Typ und sorgten für eine schnelle Verbreitung dieser Maschine in Deutschland. Nur die Frankfurter Adlerwerke übernahmen mit der Linzenzfür ein Stoßstangenprinzip eine nicht im "herrschenden Stand" verankerte Konstruktionsweise und konnten dank ihrer ökonomischen Potenz die mit diesem System ausgerüsteten Maschinen bis in die 30er Jahre hinein am Markt anbieten. "Hätten die Adlerwerke um die Jahrundertwende der Entwicklung der Adler-Schreibmaschine das gleiche Interesse entgegengebrächt wie zum Beispiel ihren Adler-Automöbilen", dann - so der Schreibmaschinenhistoriker Martin - hätte sich von hier aus ein Stand der Technik ausbreiten können, der sich dauerhafter gefestigt haben würde. "Vielleicht wäre auch schon die geräuschlose Schreibmaschine mit dem elastischen Anschlag, wie er den Schwinghebelmaschineh eigen ist, gefunden worden. Hätte mit dieser konstruktiven Entwicklung auch die gleiche Propaganda und Aufklärung für die Adler-Maschinen eingesetzt, wie das später für die Underwood geschah, wer weiß, ob nicht die Adler- oder überhaupt die Stoßstangen-Maschinen die führenden Schreibmaschinen in Europa geworden und geblieben wären. Wenn sie sich keiner noch größeren Verbreitung erfreuen, so ist dies zum Teil auch ein unberechtigtes Vorurteil oder überhaupt auf die Tatsache zurückzuführen, daß sie heute im Vergleich zu den Schwinghebelmaschinen als Außenseiter betrachtet werden..." (Martin, 1949: 523).

Abb. 1 2: Stoßstangenprinzip Quelle: Müller, 1900:63. Der ökonomische Erfolg dieser schnellen Übernahme amerikanischer Baumuster durch die gut organisierte feinmechanische Industrie konnte sich durchaus sehen lassen; Bis zum Ersten Weltkrieg umfaßte die deutsche Gesamtproduktion bereits eine halbe Millionen Maschinen. Im Außenhandel mit Schreibmaschinen - zumeist mit osteuropäischen Staaten - konnte schön ab 1906 eine positive Bilanz verbucht werden, einzelne Unternehmen wie die Wanderer Werke erreichten Exportanteile von über 50 % (vgl. Schneider, 1923: 209; Kunzmann, 1979: 141). Die Qualität der Maschinen hielt mit diesen Erfolgen allerdings nicht Schritt. Grundlegende Veränderungen wurden in den Konstruktionsabteilungen nicht mehr angestrebt. In den einschlägi-

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