Ebbe und Flut - Zwischen Sonne und Mond

Manuskript radioWissen Ebbe und Flut - Zwischen Sonne und Mond AUTOR: Helmut Stapel REDAKTION: Bernhard Kastner Sprecher Ebbe und Flut – die „Gezeite...
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Ebbe und Flut - Zwischen Sonne und Mond AUTOR: Helmut Stapel REDAKTION: Bernhard Kastner Sprecher Ebbe und Flut – die „Gezeiten“. Das Wort an sich sagt schon alles, denn: Ebbe und Flut kommen und gehen auf der gesamten Erde in einem ganz bestimmten Rhythmus, fast wie ein Pulsschlag des Planeten. Dabei sind die Gezeiten nicht etwa ein Selbstgänger und immer gleich stark. Im Gegenteil: Sie sind äußerst abhängig von der Schwerkraft. Viele Menschen denken, dass nur der Mond dabei der treibende Motor ist, der mit seiner Anziehungskraft einen Wasserberg über die Erde zieht – weit gefehlt, sagt Margret Grobe, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bremerhavener AlfredWegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: 01 - O-TON Margret Grobe Sonne und Mond "Ebbe und Flut wird hervorgerufen durch Sonne und Mond, nicht nur durch den Mond sondern auch durch die Sonne, denn wir bilden mit dem Mond einen gemeinsamen Schwerpunkt. Dieser Schwerpunkt liegt etwa 1.000 Kilometer unter der Erdoberfläche und dadurch, dass sich die Erde dreht, entwickelt sich eine Fliehkraft. Das kann man vergleichen mit einem Kettenkarussell. Wenn das Kettenkarussell steht, dann geht nichts nach außen. Und wenn sich das Kettenkarussell dreht, dann fliegen die Sitze nach außen.“ Sprecher So wie im Fall der Gezeiten das Wasser der Ozeane, das dadurch praktisch einen Wasserberg bildet. Allerdings: Mit Sonne und Mond ziehen in unterschiedlichen Positionen zusätzlich gleich zwei Schwerkraftkandidaten an der Erde und das hat eine logische Folge, sagt Margret Grobe: 02 - O-TON Margret Grobe Zwei Wassermassen ,,Da wir eben Sonne und Mond als Einfluss haben, haben wir nicht nur einen Flutberg, der sich quasi über unsere Erde bewegt, sondern zwei. Wir haben zwei Wassermassen, die sich regelmäßig durch den Einfluss von Sonne und Mond um unsere Erde bewegen.“ Sprecher Dabei ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut – der sogenannte „Tidenhub“ – an vielen Orten auf der Welt anders. Das hat einen einfachen Grund: 03 - O-Ton Margret Grobe Großer Unterschied zwischen Ebbe und Flut ,,Die Landmassen unserer Erde sind sehr unterschiedlich verteilt. Je nachdem, ob dieser Flutberg schnell durch zwei Landmassen hindurchpassieren kann, dann ist eben nicht so hohes Wasser oder langsam, wenn – zum Beispiel im Kanal Dover-Calais – wenn sich das Wasser staut, dann haben wir einen sehr viel höheren Wasseranstieg und damit einen großen Unterschied zwischen Ebbe und Flut.“

2 Sprecherin So, wie an der Küste von Wales, wo Fremdenführer Noel Clawson den extremen Unterschied zwischen den Gezeiten täglich erlebt: 04 - O-Ton Noel Clawson Tidal range ,Der Tidenhub im Kanal von Bristol ist der zweithöchste der Welt. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt hier bis zu 14,5 Meter. Das bedeutet für die Küstenlinie, dass das Wasser bis hoch an die Deiche heranreicht und wenn man nach sechs Stunden zurückkommt, ist das Wasser so weit weg, dass wir hier große Sandstrände haben.“ Sprecherin Wie sich im Wechselspiel der Tide die Meereslandschaft der Erde mehrmals täglich verändert, muss auch die Natur sich den Gezeiten anpassen. Extreme Lebensbedingungen, die ganz spezielle Lebensformen hervorbringen – so wie an der deutschen Nordseeküste, sagt Professor Karsten Reise, langjähriger Leiter der Wattenmeerstation Sylt: 05 - O-TON Karsten Reise El Dorado für die Natur ,,Sie müssen halt sehen, wie sie mit diesen Schwierigkeiten zurecht kommen, haben sich an diese Herausforderungen angepasst. Aber die, die das geschafft haben, die schaffen es dann eben auch, sehr umfangreiche Populationen auszubilden. Ich habe mal ausgerechnet – im ganzen Wattenmeer, da gibt es über zehn Milliarden Wattwürmer. Also, das sind schon gehörige Mengen, die da zusammenkommen und das ist dann attraktiv für die Fische der Nordsee und auch für die Vögel, die von weit herkommen. Also, das ist ein wirkliches El Dorado für die Natur.“ Sprecherin Ebbe und Flut sorgen also nicht nur für das Wechselspiel der Gezeiten an den Küsten, sondern auch für eine große Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Viele davon haben sich zu wahren Spezialisten entwickelt, die mit und von den Gezeiten leben, sagt Waltraud Menger, Leiterin das Nationalparkhauses Wattenmeer in Dorum an der deutschen Nordseeküste. 06 - O-TON Menger Miesmuschel ,,Nehmen wir zum Beispiel die Muscheln. Die Miesmuschel ist bei Wasserbedeckung aktiv und bei Ebbe schließt sie sich und ist inaktiv. Da geht dann der Herzschlag von rund 100 Schlägen pro Minute auf unter zehn Schläge pro Minute zurück- das ist quasi wie ein kleiner Mini-Winterschlaf. Wenn die jetzt aber immer Wasserbedeckung hätten, dann hätten sie auch keine Ruhephasen. Deswegen ist sie auf diesen Rhythmus angewiesen, weil sie darauf angepasst ist. Ihre Physiologie ist auf dieses Ruhen und Nichtruhen angewiesen – auf Ebbe und Flut.“ Sprecher Wobei es für die Miesmuschel und andere Meerestiere durchaus gesünder sein könnte, wenn sie das Meer dauerhaft als Schutz über sich stehen hätten – denn ist das Wasser erst einmal abgelaufen, ist der Tisch im Wattenmeer reich gedeckt: 07 - O-TON Menger „Ganz besonders wichtig ist die Ebbzeit für die meisten Watvögel. Die bleiben in der Nähe des Wassers- aber brauchen die freie Wattfläche, um an die Nahrung zu kommen. Das ist eben auch der Grund dafür, warum das Wattenmeer für die Zugvögel, für die Watvögel so besonders ist.“ Sprecher Nahrungsaufnahme im Rhythmus von Ebbe und Flut – davon sind viele Tiere auf der Welt abhängig – selbst, wenn sie es lieber nicht wären und noch nicht einmal auf dem

3 Meeresboden, sondern an Land zu Hause sind. Wie die Wildpferde im Norden von Wales, die regelmäßig vor der Flut auf kleine Hügel flüchten, um nicht zu ertrinken. Wildhüter Chris Dale arbeitet dort am Wales Coastal Path – dem Küstenwanderweg: 08 - O-TON Chris Dale Ponys ,,Es gibt hier eine Anzahl von Ponys, die seit Generationen in der Gegend leben. Sie haben gelernt, damit umzugehen, wenn die Tide kommt und die Wiesen überschwemmt, auf denen sie grasen. Sie wissen ganz einfach, wo sie vor der Flut sicher sind. Bei Flut sind die Tiere komplett von Wasser umgeben und bewegen sich nicht vom Fleck. Wenn dann die Ebbe kommt, machen sie einfach weiter, als wäre nichts geschehen.“ Sprecherin Für andere Lebensformen hingegen sind die Gezeiten kein Störfaktor, sondern lebenswichtig - wie zum Beispiel Korallen, sagt die Meeresbiologin Emilia Fulgido auf der Malediven-Insel Niyama: 09 - O-TON Emilia Corals and Tide Full Moon “Die Tide hat große Auswirkungen auf die Korallen, weil die Gezeiten starke Strömungen verursachen. In Vollmondnächten setzen die Korallen ein bis zweimal im Jahr alle zum selben Zeitpunkt ihre Eier und Spermien frei. Durch die starke Tide und Strömung kann sich der Korallennachwuchs dann sehr weit ausbreiten. Das ist sehr, sehr wichtig.“ Sprecherin Die Schnittstelle zwischen Meer und Land bilden die Küsten. Hier mussten vor allem die Menschen über Jahrtausende lernen, mit den Gezeiten zu leben – und obwohl bei Ebbe lediglich der blanke Meeresboden zu sehen ist, machen manche Menschen sich selbst das ablaufende Wasser zunutze - so wie Erhard Djuren. Der 70-jährige ist der letzte Reusenkrabbenfischer an der deutschen Nordseeküste. Er stellt weit draußen im Wattenmeer aus Weiden geflochtene Fangkörbe auf – so genannte Reusen: 10 - O-TON Djuren Fang ablaufend Wasser „Man fängt immer mit ablaufendem Wasser. Wenn das Wasser wegläuft, dann gehen ja die Fische, die Krabben und Stint und Butt und alles, was es hier so gibt, das geht ja mit ablaufendem Wasser wieder vom Watt runter. Das Watt guckt dann ja nachher raus, weil wir sechs Stunden auflaufendes Wasser und sechs Stunden ablaufendes Wasser haben – und dann bleibt der Fang in den Reusen hängen.“ Sprecherin Dabei das Faszinierende: Erhard Djuren fährt bei Ebbe mit einem selbst gebauten, großen Holzschlitten ins Wattenmeer raus, um den Fang aus seinen Reusen zu holen – aber nicht etwa mit Pferden im Gespann, auch wenn die Zugtiere in der Reusenkrabbenfischerei seit Generationen ebenfalls Vierbeiner sind. 11 - O-TON Djuren Hunde „Ja, das hier sind meine Watt-Hunde. Das ist Paul, das ist Lisa und das ist Rex. Hallo, na, wollen wir los? Na Paul, wollen wir los, ja? Ihr freut euch schon, nech? Ja, das ist so, wenn die den ganzen Tag im Stall sind, dann sind die froh, wenn die raus kommen – und dann laufen die auch ordentlich.“ Sprecherin Und das müssen die drei großen Mischlings-Hunde auch, wenn sie Erhard Djuren mit seinem Holzschlitten auf Kufen über das Schlick-Watt ziehen wollen. Los geht es direkt am Weserdeich. Das Wasser ist bis zum Horizont verschwunden.

4 12 - O-TON Djuren Ruck Zuck „Der Schlitten steht hier. Da kommen alle Hunde jetzt gleich vor. Ich muss den bloß gleich noch anspannen. Die Hunde laufen immer dieselbe Spur – hin und zurück. Können Sie sehen, die ist richtig ausgefahren. Das geht ruckzuck, denn bin ich da ... Das sind zweieinhalb Kilometer. Zehn Minuten eine Tour hin und zehn Minuten wieder zurück.“ Sprecherin Und schon geht es mit den drei Hunden im Gespann auf dem Schlitten los – bevor die Flut zurückkommt und das Wattenmeer wieder unter dem Wasser verschwindet. 13 - O-TON Djuren Abfahrt Schlitten „So Paul jetzt, ran hier, hüh, immer ran, los – to, to....“ Sprecher Während Erhard Djuren draußen im Watt seine Fangkörbe leert, sitzt im Hafen des Fischerdorfes Wremen der Krabbenfischer Olaf Schmidt im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen. Der Tidehub hier beträgt im Schnitt 3,50 Meter. Sein Kutter „Claudia“ liegt bei Ebbe im Schlick des Hafenbeckens. Erst wenn die Flut kommt, kann Olaf Schmidt mit seinem Schiff auslaufen – und die Flut zeigt ihm auch, wo er die besten Krabben fangen kann: 14 - O-TON Krabbe Wissen wo man fängt „Das weiß ich eigentlich schon von meinem Opa, zu welcher Zeit man wo sein muss. Man weiß zum Beispiel bei wenig Strömung – der Nipptide – wenn das Wasser, besonders klar ist, dass man dann weiter draußen am Tag kau Krabben fängt. Das Wasser muss – ja, wir sagen „muddelig“ dazu – oder sämig sein, schön braun. Damit die Krabben uns nicht sehen wahrscheinlich, oder wie auch immer. Krabben sind zum Glück nicht so erforscht, dass man noch immer ein bisschen „Nase“ braucht.“ Sprecher Ein bisschen Netze flicken, ein bisschen Rost klopfen und Farbe auf die Reling bringen – dann hat Olaf Schmidt die Wartezeit im Hafenbecken in Ruhe hinter sich gebracht. Die Flut ist da und die „Claudia“ hat wieder genügend Wasser unterm Kiel. Maschine an und los geht´s zum Krabbenfang raus auf die Außenweser: 15 - O-TON Krabbe Tschühüüß Sprecher Doch nicht nur kleine Schiffe wie der Wremer Krabbenkutter sind auf die Flut angewiesen. Ganz im Gegenteil: Besonders die riesigen Frachter in der Containerschifffahrt mit Längen von rund 400 Metern, bis zu 19.000 Containern an Bord und einem Tiefgang von mehr als 15 Metern brauchen die Flutwelle, um durch die Flüsse zu den Verladehäfen zu gelangen. Damit die Riesenfrachter unbeschadet durch die engen Flussläufe kommen, werden sie bei der Anfahrt von ortskundigen Lotsen übernommen. An der Weser ist Michael Maas einer davon. Er kennt den Fluss in- und auswendig - weiß, was bei welchem Wasserstand geht und was nicht. 16 - O-TON Lotse Maas Surfen Tidewelle ,,Also, wir können hier Schiffe bis 12,80 Meter Tiefgang tidenunabhängig rein- und rausfahren. Alles, was tiefer geht, da müssen wir mit der Tidenwelle rechnen. Da haben wir eine sogenannten Tidenfahrplan. Da können wir genau sehen, zu welcher Zeit der Wasserstand wie hoch ist, gleichen das parallel dazu mit Messinstrumenten – den Pegeln – hier an der Küste ab und dann wissen wir exakt, wo wir zu welcher Tidenzeiten fahren. Dann surfen wir praktisch – hört sich ein bisschen komisch an – aber wir surfen praktisch die große Schiffe auf der Tidenwelle rein, sobald wir genug Wasser haben und auch wieder raus.“

5 Sprecher Was sich anhört wie ein simpler technischer Vorgang ist tatsächlich aber in hohem Maß abhängig von der Natur – denn spielt etwa der Wind oder der Mondstand nicht mit, müssen die Lotsen und die Schiffskapitäne umdisponieren und es geht nichts mehr: 17 - O-TON Lotse Maas Mond Tide Schiff bleibt liegen „Das Problem ist, wenn wir süd-östliche Wetter- und Windlagen haben und Mittzeit – also zwischen Vollmond und Neumond – dann fallen die Tiden flacher aus und wenn der Wind dann noch das Wasser raus trägt, da müssen wir dann in unseren Tidenfahrplan gucken, ab wann die Tide wieder so hoch steht, dass wir wieder fahren können. Dann bleibt das Schiff solange liegen.“ Sprecherin Um die natürliche Höhe der Flutwelle und damit die mögliche Schiffbarkeit von Flüssen künstlich zu steigern, wurden Flüsse wie Weser oder Elbe bereits mehrfach ausgebaggert. Die Flut läuft dadurch aber auch weiter die Flüsse hinauf und das hat Auswirkungen auf die Natur. Zum Beispiel verschiebt sich die so genannte „Brackwassergrenze“ – also der Punkt im Fluss, an dem sich das Salzwasser des Meeres mit dem Süßwasser des Flusses vermischt – weiter den Fluss hinauf in Richtung Binnenland. Meerestiere, die sonst nicht soweit schwimmen würden, sind plötzlich da. So wie die Kegelrobbe. Sie frisst dann zum Beispiel in der Weser den Nachwuchs von Schweinswalen, die sich in den bisher sicheren Flussraum zur Aufzucht ihrer Jungen zurückziehen – und nicht mit diesen Räubern rechnen. Sprecher Das Wechselspiel von Ebbe und Flut – seit jeher leben die Menschen an den Küsten damit und versuchen sich vor Wasser, Wellen und auch Sturmfluten zu schützen – unter anderem mit Deichen. In Deutschland hat der Hochwasserschutz eine lange Geschichte und der Bau von Deichen wurde immer weiter perfektioniert, sagt Henry Behrends, Deichbauexperte der Bremischen Hafengesellschaft Bremenports: 18 - O-TON Behrends „Ein Deich ist ein technisches Bauwerk und es gehören natürlich einige Komponenten zum Deich: Eine Deichfuß-Sicherung, ein Treibselräumweg, ein Kronenweg, ein Deichverteidigungsweg, Entwässerungsanlagen – all das gehört zu einem klassischen Gründeich.“ Sprecher Also einem Deich, der mit Gras bepflanzt ist, damit die Erde darauf nicht von der Flut weggespült wird. Während die Begrünung von Deichen über die Jahrhunderte gleich geblieben ist, hat sich die Form extrem verändert. Früher waren Deiche in Deutschland sowohl wasserseitig als auch landseitig wesentlich steiler gebaut als heute – ein fataler Fehler, sagt Henry Behrends: 19 - O-TON Behrends Binnenböschung 1962 „Das hat man leidvoll erfahren müssen 1962 bei der großen Sturmflut, weil das über den Deich schlagende Wasser die binnenseitige Böschung zerschlagen hat und erst dadurch der eigentliche Deich komplett zerstört wurde. Heutzutage baut man die Binnenböschung wesentlich flacher, damit – falls tatsächlich mal Wasser noch über den Deich hinausläuft – dieses Wasser ruhig abfließen kann.“ Sprecherin „Land unter“ nach einer Sturmflut – damit das in Deutschland nicht mehr passiert, werden jährlich viele Millionen Euro in den Deichschutz investiert. Allein in Niedersachsen mit einer Deichlinie von rund 610 Kilometern waren es im Jahr 2015 rund 62 Millionen Euro. Das Bundesland Bremen hat bereits damit begonnen, die

6 Deichhöhen dem vorhergesagten Meeresspiegelanstieg durch den Klimawandel anzupassen. In Bremerhaven stehen inzwischen Deiche mit einer Höhe von 8,60 Metern. Auch anderswo auf der Welt wurde und wird viel Geld in den Hochwasserschutz investiert – zum Beispiel in England. Das Themse-Sperrwerk in London ging bereits 1984 in Betrieb, kostete 534 Millionen Pfund und hat eine Gesamtlänge von 520 Metern. Aktuell gebaut wird am MOSE-Sperrwerk in Venedig, um die alte Lagunenstadt vor den Fluten und damit vor dem Untergang zu schützen. 5,5 Milliarden Euro wird das Bauwerk voraussichtlich kosten. Es soll im nächsten Jahr in Betrieb gehen. Der Stahl für das Fluten-Bollwerk kommt zu einem großen Teil aus Bremerhaven von der Firma Unterweser Stahl- und Maschinenbau. Die Ausmaße stehen für die Mächtigkeit des Sperrwerks. Geschäftsführer Gerd Ordemann: 20 - O-TON Ordemann 30 Tonnen Rohr „Also, in diesem Fall waren das Rohre, die waren zwischen 1,20 Meter und 1,80 Meter im Durchmesser und 30 Meter lang. Ein Rohr wog dann knapp 30 Tonnen.“ Sprecherin Für den Bau der Sperrwerkskammern und Tore in Venedig haben die Bremerhavener insgesamt 30.000 Tonnen Stahl für Seitenwände geliefert und mehr als 1.200 der beschriebenen Rohre. Gerd Ordemann: 21- O-TON Ordemann Eigener Deich Wenn wir so große Projekte haben, die weiter weg gehen, dann müssen wir immer eine gewisse Menge sammeln. Das heißt, wir haben so 100 Rohre immer weggeschickt, damit das Schiff auch voll wird. Und dann war das natürlich ein Riesenberg. Wir haben das drei, vier Rohre hoch gestapelt bei uns. Also, da war keine Chance mehr, drüber zu gucken. Das war dann selbst schon ein eigener Deich.“ Sprecher Steigt der Meeresspiegel an und laufen die Fluten höher auf, hat das Auswirkungen an vielen Küsten auf der Welt – auch für die Wasser-Wildpferde von Wales, befürchtet Chris Dale: 22 - O-TON Wales Chris Dale Climate Change and Ponys „Die Ponys sind abhängig vom Marschland. Hier bekommen sie ihre Nahrung, hier grasen sie. Wenn der Meeresspiegel durch den Klimawandel ansteigt, könnte das für sie zu einer Gefahr werden. Es hängt sicherlich alles davon ab, wie schnell die Dinge passieren. Wenn es eine langsame Veränderung ist, können sich die Ponys einem steigenden Meeresspiegel hoffentlich anpassen, denn sie sind dort schon seit Hunderten von Jahren.“ Sprecher Und auch auf den Malediven hätte bereits ein geringfügig höher Meeresspiegel Folgen für die Natur, sagt Meeresbiologin Emilia Fulgido: 23 - O-TON Emilia Hermit Crab „Wir haben zwei verschiedene Arten von Einsiedlerkrebsen. Den WasserEinsiedlerkrebs, der Unterwasser lebt und den Strand-Einsiedlerkrebs. Durch einen Meeresspiegelanstieg könnten wir den Einsiedlerkrebs auf den Inseln verlieren, denn er braucht das Land. Er kann im Wasser nicht überleben.“ Sprecher Ob die Malediven insgesamt einen Meeresspiegelanstieg heil überstehen würden, ist dabei noch die Frage, denn die Inseln liegen teilweise weniger als einen Meter über dem jetzigen Meeresniveau. Und was im Indischen Ozean zum Problem werden könnte, gilt tatsächlich auch für das gesamte Wattenmeer, sagt Waltraud Menger vom Nationalparkhaus Niedersächsisches Wattenmeer:

7 24 O-TON „Wenn jetzt der Meeresspiegel steigt, dann geht das Wasser nicht mehr so weit zurück bei Ebbe. Das heißt, die gesamte Wattfläche wird kleiner. Dass hätte dann sehr große Auswirkungen auf die Vogelwelt, die nicht nur weniger Nahrung hat, an die sie rankommt, sondern sie hätten auch wesentlich weniger Zeit zu fressen. Im Extremfall würde das Watt fast ganz verschwinden.“ SprecherIn Steigen die Fluten in der Zukunft an, wird auch der Mensch damit umgehen müssen. Ob das in jedem Fall eine stärkere Sicherung der Küsten sein muss, ist für Professor Karsten Reise von der Wattenmeer-Station Sylt die Frage: 25 - O-TON Karsten Reise Häuser auf Pfählen „Man kann natürlich die Küste so bauen, dass auf keinen Fall da mal irgendwie Sturmflutwasser über den Deich rüberschwappen kann. Man kann aber auch seinen Häuser auf Pfähle setzen – vielleicht auch auf Hydraulik-Pfähle, dass man auf Knopfdruck bei Bedarf schnell hoch kann. Man kann Häuser auf Schwimmpontons setzen, dass sie auftreiben können, wenn denn mal zu viel Wasser von unten kommt. All das erfordert über lange Zeit viel Umstrukturierung, aber es nicht undenkbar. Es ist einfach möglich, so etwas zu tun.“ SprecherIn Das Fazit und die Empfehlung des Gezeiten-Experten: 26 - O-TON Karsten Reise Zukunft Beweglicher werden „Bisher haben wir nur immer in die eine Richtung gedacht. Da ist eine von Natur aus sehr veränderliche Küste und wir können besser an dieser Küste leben, wenn wir sie stabilisieren. Vielleicht war das ein historischer Irrtum. Vielleicht sollten wir uns umstellen und das meine ich auch in Bezug darauf, wie wir Menschen an dieser Küste in Zukunft leben können. Vielleicht müssen wir einfach lernen, beweglicher zu werden. STOPP