Zwei Welten prallen aufeinander

Zwei Welten prallen aufeinander Die Fahrt des Kolumbus schuf die Grundlagen für unsere globalisierte Gegenwart, wie auch immer man dazu stehen mag. Ko...
Author: Catrin Schmid
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Zwei Welten prallen aufeinander Die Fahrt des Kolumbus schuf die Grundlagen für unsere globalisierte Gegenwart, wie auch immer man dazu stehen mag. Kolumbus war ein typisches Kind seiner Zeit, und seine Idee war alles andere als originell. Die Hartnäckigkeit, ja Starrköpfigkeit, mit der er seine Reise vorbereitete und sein Vorhaben durchsetzte, ist jedoch bemerkenswert. Das gilt auch für die rasante Verbreitung der Neuigkeit in Europa und die Folgen, die diese Überfahrt sehr schnell nach sich zog.

Poker vor dem Weg nach Westen Kolumbus kam in den 1470er-Jahren wie viele Jahre zuvor sein Landsmann Usodimare nach Lissabon. Die These, dass er dabei von einem brennenden Schiff an Land schwamm, ist der Mythenbildung seines Sohnes Hernando geschuldet. Damit begann ein neuer und entscheidender Abschnitt in seinem jungen Leben. Lissabon war zu diesem Zeitpunkt das Zentrum der dynamischsten Seemacht und Treffpunkt von Seefahrern, Kartografen und Kosmografen aus ganz Europa, die über neueste geografische Kenntnisse verfügten. Auch ein Martin Behaim steuerte in diesen Jahren die Stadt am Tejo an, um dann im selben Jahr, in dem Kolumbus auf Guanahani landen sollte, seinen Globus fertig zu stellen. In Genua hatte man den Aufstieg Lissabons im fernen Westen nicht nur passiv beobachtet. Die umtriebigen Kaufleute merkten schnell, dass im Osten ein zunehmend schärferer Wind blies. Die islamische Expansion, die 1453 mit dem Fall Konstantinopels einen Höhepunkt erreichte, machte eine Umorientierung der Handelswege bitter nötig. Spätestens seit Mitte des 15. Jahrhunderts richteten die Händler auf der Suche nach Alternativen ihre Blicke immer stärker nach Westen. Kolumbus’ Bruder Bartolomeo hatte den Schritt dorthin gewagt und sich als Kartograf

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Ein Mann aus Genua um Kolumbus’ Herkunft ranken sich viele Mythen. Ob england, Frankreich, spanien oder Portugal – die Zahl der unfundierten Behauptungen ist groß, weil jede nation gern einen entdecker zum landsmann haben wollte.69 Historiker bezweifeln heute aber nicht mehr, dass Kolumbus um 1451 in ligurien geboren wurde. Der junge Cristoforo Colombo wuchs in der Hafenstadt genua auf, wo sein Vater Domenico bereits in der zweiten generation als Wollweber arbeitete und Mitglied in der Zunft der tuchmacher war. Wahrscheinlich lernte er ebenso wie seine drei Brüder lesen und schreiben in einer schule der Zunft, deren Handwerk er sich zunächst ebenfalls zu eigen machte. Als Jugendlicher entdeckte er seine neigung zur seefahrt, was in einer stadt wie genua nicht weiter erstaunlich war, hatte sie doch gemeinsam mit der rivalin Venedig jahrhundertelang große teile des Mittelmeerhandels kontrolliert. Hier waren schließlich die gebrüder Vivaldi zu ihrer reise in den Atlantik in see gestochen, und in Kolumbus’ Kindheit hatte ein genuese in Diensten Portugals, Antoniotto usodimare, die Kapverden entdeckt. eine seiner reisen führte Kolumbus wohl um 1474 nach Chios in der Ägäis, wo das hoch geschätzte Mastixharz zu bekommen war. er war als Kaufmann im Auftrag des Handelshauses Centurione unterwegs. Ob er in dieser Zeit tatsächlich schon ein schiff als Kapitän führte, wie er selbst angab, bleibt zweifelhaft.

Darstellung genuas in Hartmann schedels Weltchronik. genua war im 15. Jahrhundert eine bedeutende Handelsstadt. Den Verlust des Handels im östlichen Mittelmeer nach dem Fall Konstantinopels glichen die genueser Banken und Handelshäuser durch investitionen auf der iberischen Halbinsel aus.

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niedergelassen. Damit war Bartolemeo direkt an den Quellen des Wissens und pflegte enge Kontakte zu den Männern, die mit eigenen Augen die Ferne gesehen und vermessen hatten. Auch sein Bruder Cristoforo erlernte das gefragte Handwerk des Kartenzeichnens. In Lissabon waren die Gebrüder Colombo – oder Colom, wie sie sich nun nannten – nicht allein, denn es gab dort eine große Kolonie von Florentinern und Genuesen. Die Coloms integrierten sich in das Netzwerk ihrer Landsleute, die als Händler über Vorposten in allen größeren Häfen der damals bekannten Welt verfügten.70 Von Lissabon aus fuhr Kolumbus erneut zur See. Wie viele Reisen er genau unternahm, wissen wir nicht. Gesichert ist, dass er wohl 1477 auf einem Schiff der Genueser nach England und Irland fuhr. Wahrscheinlich kam er dabei auch nach Bristol, der aufstrebenden Hafenstadt in Westengland, von wo aus ein anderer Genuese und Altersgenosse von Kolumbus, Giovanni Caboto oder John Cabot, einige Jahre später nach Neulissabon um 1500 in der „Crónica de Dom Afonso Henriques“ des Duarte galvão. Begünstigt durch die entwicklungen im Mittelmeerraum stieg lissabon im 15. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Handels- und seefahrerstädte europas auf.

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fundland aufbrechen wird. Später behauptete Kolumbus, er habe bei dieser Reise auch „Ultima Thule“ besucht, was manche Kolumbus-Forscher dazu verleitete, über seine Kenntnis von den Vínland-Fahrten der Wikinger oder gar über eine „Entdeckung vor der Entdeckung“ zu spekulieren.71 Wahrscheinlicher ist, dass Kolumbus und später sein Sohn Hernando diese Geschichte weitergaben, um damit seine Behauptung zu untermauern, alle zu seiner Zeit bekannten Meere befahren zu haben und somit bereits ein äußerst erfahrener Seefahrer gewesen zu sein, bevor er auf große Fahrt nach Westen ging.72 Demgegenüber entsprechen die Berichte über seine Seereisen an der Westküste Afrikas bis hin nach São Jorge da Mina in diesem Zeitraum wohl der Wahrheit. Der Umzug nach Lissabon war auch insofern eine wichtige Zäsur im Leben des Kolumbus, als er in dieser Stadt heiratete und eine Familie gründete. Seine Frau Filipa Mogniz entstammte dem verarmten Adel und war die Tochter des Bartolomé Perestrello, des Hauptmanns von Porto Santo auf Madeira. Kolumbus heiratete damit in die portugiesische Oberschicht und in das Seefahrermilieu ein. Ob er dadurch tatsächlich an geheime Archive und Seekarten seines bereits verstorbenen Schwiegervaters kam, darüber kann man nur spekulieren. Sicher ist, dass er durch seine Frau Zugang zum Hof erhielt – und das sollte für seine Pläne wichtig werden. Außerdem gebar sie ihm um 1480 seinen einzigen legitimen Sohn Diogo (oder Diego).73 Während der rund zehn Jahre in Lissabon reifte bei Kolumbus der Plan, Indien auf dem westlichen Seeweg zu erreichen. Er beschäftigte sich intensiv mit der Umsetzbarkeit der Idee in die Tat. Als Autodidakt saugte er nautische, kosmografische und kartografische Kenntnisse auf und lernte Fremdsprachen – Spanisch, Portugiesisch und Latein. Eine weitere heftig umstrittene Debatte in der Kolumbus-Forschung rankt sich um die Quellen für Kolumbus’ Projekt. Las der Genuese die Klassiker und, wenn ja, welche? Lauschte er den Entdeckungserzählungen anderer Seefahrer und ließ er sich davon überzeugen? Mit endgültiger Sicherheit lassen sich auch diese Fragen nicht beantworten. Im Wesentlichen dürfte Kolumbus aus folgenden Quellen geschöpft haben: Zum einen aus der Kosmografie des Aeneas Sylvius Piccolomini, des späteren Papstes Pius II., die unter dem Titel „Historia rerum ubique gestarum locorumque descriptio“ 1461 erschienen war, zum anderen aus dem Kompendium „Imago Mundi“ des

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französischen Kardinals Pierre d’Ailly von 1410, der die geografischen Informationen seiner Zeit bündelt. Die Belege aus altgriechischen Klassikern wie insbesondere aus der „Naturalis Historiae“ von Plinius d. Ä., die Kolumbus in seinen Briefen nennt, lassen sich auf diese beiden Schriften zurückführen.74 In der Schrift d’Aillys finden sich Hinweise auf die verschiedenen klimatischen Zonen der Erde, auf das irdische Paradies, das sich an deren höchstem Punkt befinde, auf die Monster und Amazonen, die man in den unbekannten Gefilden zu erwarten habe, und nicht zuletzt auch auf die „Wilden, die Menschenfleisch essen“75. Daneben gilt Marco Polos Reisebericht als wichtige Quelle für Kolumbus’ Idee einer Entdeckungsfahrt in westliche Richtung. Das erhaltene und von Kolumbus mit Anmerkungen versehene Exemplar dieser Schrift – eine Ausgabe von 1485 – bekam er wahrscheinlich erst 1497 vom englischen Kaufmann John Day.76 Auch ist ungewiss, ob Kolumbus den Bericht Mandevilles selbst studierte. Unzweifelhaft waren Polos und Mandevilles Berichte weit verbreitete Bestseller des 14. und 15. Jahrhunderts. Daher kannte er den Inhalt dieser Werke und war auch mit den exotischen Ortsnamen vertraut, die in beiden Berichten eine Rolle spielen. Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren potenziellen Quelle: So ging man lange Zeit davon aus, dass Kolumbus zumindest einmal direkt mit Toscanelli korrespondiert habe, ja dass der Humanist ihn persönlich in seinem Vorhaben bestärkt habe, die Reise auf dem westlichen Seeweg zu versuchen. Kolumbus’ Sohn Hernando und Las Casas berichten davon, und ein Brief Toscanellis an Kolumbus von ca. 1480/82 ist erhalten, an dessen Echtheit es allerdings Zweifel gibt. In diesem Schreiben heißt es: ■■■ Von

deinem mutigen und großartigen Plan, auf dem Westwege, den die dir übermittelte Karte anzeigt, zu den Ostländern zu segeln, nahm ich Kenntnis. Besser hätte er sich noch anhand einer runden Kugel klar machen lassen. Es freut mich, dass du mich recht verstanden hast. Der geschilderte Weg ist nicht nur möglich, sondern wahr und sicher. Unzweifelhaft ist die Reise ehrenvoll und vermag unberechenbaren Gewinn und höchsten Ruhm in der ganzen Christenheit zu bringen. […] Eine derartige Reise führt zu mächtigen Königreichen, berühmten Städten und Provinzen, die alles im Überfluss besitzen, was wir benötigen, auch alle Arten von Gewürzen in reicher Fülle sowie Edelsteine in großer Menge aufweisen.77 ■

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Wie die Korrespondenz im Einzelnen verlief, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Entscheidend ist, dass Kolumbus den Inhalt des Schreibens von Toscanelli an den portugiesischen Hof von 1474 zweifellos kannte.78 Neben diesen gesicherten und ungesicherten Textgrundlagen für sein Wissen wird Kolumbus selbstverständlich auch den vielen Kartografen und erfahrenen Seeleuten aufmerksam zugehört haben, die man in Lissabon zu jener Zeit antraf. Ob es den geheimnisvollen Lotsen aus Andalusien, den Fernández de Oviedo erwähnt und der dem Genuesen von einer Reise zu Inseln mit nackten Eingeborenen erzählt haben soll, wirklich gegeben hat, ist nicht mehr verifizierbar.79 Immerhin war diese Geschichte schon zu Kolumbus’ Lebzeiten in Umlauf. Da es unzweifelhaft bereits Versuche gegeben hatte, die mythischen Inseln im Westen zu finden, schwirrten wohl zahllose Gerüchte durch die Gassen Lissabons. Vieles davon war Seemannsgarn, doch einige wahre Informationen und Beobachtungen waren bestimmt darunter. Es spricht einiges dafür, den Berichten von fremdartigem Treibgut – kunstvoll bearbeitete Hölzer und Bambusstangen, exotisch aussehende Leichen zweier Männer, angetriebene Boote mit abnehmbaren Hütten darauf – Glauben zu schenken, denn Kolumbus wiederholt sie in seinem Bordbuch.80 Eine weitere wichtige Quelle für das Wissen des Genuesen waren die auf den See- und Weltkarten seiner Zeit verzeichneten Kenntnisse und Vermutungen über die Länder im Atlantik. Zu diesen Karten hatte er durch das Handwerk seines Bruders Bartolomeo direkten Zugang. Eine nahm er auf die Reise von 1492 mit. Das große Reich Cathay, die „zahllosen Inseln“, oder Cipangu konnte Kolumbus also erwarten, weil sie selbstverständlich auf allen besseren Karten jener Zeit wie auch auf dem Behaim-Globus von 1492 verzeichnet waren.81 Kolumbus’ Wissen, aber auch seine Irrtümer sind größtenteils auf diese vielfältigen Quellen zurückzuführen, die er seinen Bedürfnissen entsprechend selektiv auswertete und interpretierte. So war er fest davon überzeugt, dass die auf dem Weg gen Westen zu erwartende heiße Zone, die Tropen, bewohnbar und befahrbar sei. Davon hatte er sich auf seiner Reise an die Guineaküste selbst überzeugen können. Er berief sich wie viele seiner Zeitgenossen auf Plinius d. Ä., wenn er davon ausging, dass eine Seereise zwischen Europa und Asien auf dem Westweg innerhalb

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von vierzig Tagen machbar sei und dass man vor Erreichen der Küste auf viele Inseln treffen würde, die wie Cipangu teilweise schon namentlich bekannt waren. Bei antiken Autoritäten konnte man lesen, dass Europa und Afrika zusammen ein Drittel des Globus bedeckten und dass Asien größer war als diese beiden Kontinente zusammen. Daraus leitete Kolumbus – und nicht nur er – ab, dass die Entfernung von der Iberischen Halbinsel nach Asien weniger als ein Drittel des Erdumfangs betrage. Das apokryphe Buch Esra des Alten Testaments bestärkte ihn in dieser Annahme, da sich darin die Aussage findet, dass es auf der Erde sechsmal mehr Land als Wasser gebe. Der entscheidende Fehler des Kolumbus war indessen die falsche Berechnung des Erdumfangs. Das war auch auf die unterschiedlichen Maßstäbe zurückzuführen, die seine Quellen benutzten. Abgesehen davon, dass die Schätzungen der antiken Autoritäten sehr stark voneinander abwichen, machte es auch einen großen Unterschied, ob man in römischen oder arabischen Meilen rechnete.82 Kurz, Kolumbus’ Kenntnisstand war in mancherlei Hinsicht durchaus auf der Höhe seiner Zeit, doch er unterschied sich in drei wesentlichen Punkten von dem, was die damaligen Gelehrten als geografische Erkenntnisse anerkannten. Erstens unterschätzte er den Erdumfang, zweitens überschätzte er die Ausdehnung der eurasischen Landmasse, und drittens war er der Überzeugung, dass Japan und andere bewohnte Inseln viel weiter östlich der chinesischen Küste zu finden sein mussten, als bis dahin vermutet. Wahrscheinlich reifte Kolumbus’ Plan zur Westfahrt während der Jahre in Portugal. 1483 oder 1484 unterbreitete er dem portugiesischen König João II. sein Projekt. In den in den Quellen dazu kursierenden Versionen heißt es, dass er dann entweder aus Ärger über die Ablehnung seitens der königlichen Berater, die die Junta dos Mathematicos bildeten, oder aus Groll über das Handeln des Königs, der hinter seinem Rücken einen anderen mit der Reise beauftragte, das Land verließ. Sollte die erste Version der Wahrheit entsprechen, so könnte Kolumbus’ Rechenfehler ebenso der Grund der Ablehnung gewesen sein wie die Tatsache, dass die Krone angesichts der Fortschritte der portugiesischen Fahrten in den Süden vom Seeweg um Afrika überzeugt war und kein zusätzliches Westfahrtprojekt für nötig befand. Möglich ist auch, dass Kolumbus’ Frau inzwischen gestorben war und dass dies zu seiner Entscheidung beitrug.

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Toscanellis Weltkarte Irland 55 Brazil

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Cambaluc

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Oceanus Orientalis Indiae

Quinsay 40 30

I N DIA

MA NG I

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Madeira Antilia

Zaiton

CIAM PA

Cipango

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Azores

Gomera Ferro

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Canaros

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C. Verde

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Oceanus Indiae Superioris

0 170

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St. Brandan Insel 110

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Tr o p i c u s C a n c e r

90

80

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Sierra Leone 10

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Java major

20

Tr o p i c u s C a p r i c o r n

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Candyn

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Java minor

Anguana 45

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Kolumbus geografische Vorstellungen basierten wesentlich auf toscanelli, dessen Weltkarte von 1474 rekonstruiert wurde.

Sein Sohn Hernando wird später schreiben, dass der Vater insgeheim aufbrach, was auf Schulden hindeuten könnte.83 Fest steht, dass Kolumbus um die Jahreswende 1485/86 nach Spanien kam und seinen kleinen Sohn Diego dabei hatte. Wahrscheinlich wollte er zunächst eine in Huelva oder Sevilla lebende Schwägerin aufsuchen. Die im Kolumbus-Mythos fest verankerte Episode seines Besuchs im Franziskanerkloster Santa María de la Rábida nahe der Stadt Palos de la Frontera, wo er angeblich seinen kleinen Sohn in die Obhut der Minoriten gab, ist in der Forschung umstritten. Kolumbus warb sodann um die Gunst der einflussreichen Herzöge von Medina-Sidonia und von Medinaceli. Letzterer interessierte sich für das Projekt der Westfahrt und verschaffte Kolumbus Zugang zum Hof.84 1486 erhielt er wohl erstmals eine Audienz beim spanischen Königspaar, das zu diesem Zeitpunkt in Córdoba residierte. Angesichts der finanziellen Dimension des Projekts konnte sich die Krone, die ihn durchaus freundlich und wohlwollend empfing, nicht zur sofortigen Umsetzung

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entschließen, denn die Reconquista war noch in vollem Gange. Doch wollten die Könige den Genuesen auch nicht abweisen, denn der kam geradewegs von den portugiesischen Rivalen und konnte auf Grund seines Wissens eventuell wertvoll sein. Außerdem hatte er in Medinaceli und anderen gewichtige Fürsprecher. Daher bot es sich an, eine Expertenkommission aus Theologen und Kosmografen einzuberufen, die den Fall einer genauen Untersuchung unterziehen sollte. Vorsitzender war der Humanist Hernando de Talavera, Beichtvater der Königin und später erster Bischof von Granada. Man kann das Verhalten der Krone in diesem Zusammenhang so deuten, dass man durchaus Interesse an dem Projekt hatte, jedoch schlicht Zeit gewinnen wollte, da die finanziellen Voraussetzungen für die Realisierung noch nicht gegeben waren.85 In der Folgezeit trat die Junta mehrmals zusammen, um Kolumbus anzuhören, dessen Lebensunterhalt unter anderem durch Zuwendungen seitens der Krone sichergestellt war. Auch das deutet auf eine bewusste Verzögerungstaktik hin. Daher konnten sich die Gelehrten zunächst zu keiner Entscheidung durchringen. Zu den Befürwortern des Projekts zählten einflussreiche Männer bei Hofe, darunter der Schatzmeister Luis de Santángel, der Hoflehrer von Prinz Juan und spätere Bischof Diego de Deza, der aragonesische Kämmerer Juan Cabrero sowie die Franziskaner Juan Pérez und Antonio de Marchena. Sie vermittelten Kolumbus den Eindruck, dass er die Hoffnung nicht aufgeben sollte. Dass sich gerade Das Kloster santa María de la rábida spielt eine zentrale rolle im Kolumbus-Mythos.

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diese Männer für sein Anliegen interessierten, verwundert kaum: Die Finanzmagnaten erkannten den enormen materiellen Gewinn, der im Erfolgsfall winkte. Die Franziskaner dagegen hofften auf neue Missionsgebiete im Westen, da ihnen Asien verschlossen war.86 Dennoch blieben die Bedenken gegen den Plan groß, und überhaupt gestalteten sich die Verhandlungen schwierig. Kolumbus musste 1488 und 1489 wiederholt dem Hof hinterherreisen, der die Kämpfe gegen die Mauren in Málaga und Baza fortsetzte. Seinen Hauptwohnsitz nahm er wohl in Sevilla, doch in Córdoba lernte er eine vermögende junge Frau kennen, Beatriz Enríquez de Arana, mit der er dann einen illegitimen Sohn, Hernando, den der Katholischen späteren Geschichtsschreiber, hatte, der wahr- Madonna Könige von Fernando gallego (1490–95). scheinlich 1488 geboren wurde.

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