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SWR2 Wissen Zwei Mal Zypern Eine Insel ringt um Vereinigung Von Leila Knüppel und Manfred Götzke Sendung: Montag, 20. März 2017, 08.30 Uhr Redaktion: Charlotte Grieser Regie: Tobias Krebs Produktion: SWR 2017

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MANUSKRIPT AT 01 Funkverkehr: Durchsage: "Passenger Violation in the Buffer Zone." Sprecherin: UN-Soldat Adam Cail (Sieh Aussprache-Audio) gibt durch: Eindringling in der Pufferzone, 30 bis 38 Jahre alt, Camouflage-Jacke, bewaffnet. AT 02: Funkverkehr AT 03: Auto Leerlauf Sprecherin: Der junge Reservesoldat hat das Fernglas gezückt, die Karte des Einsatzgebiets liegt auf seinem Schoß. Sein Kamerad Robert Tomissen hat ihren weißen UN-Jeep angehalten. Sie warten auf weitere Befehle. Die Soldaten sind auf Patrouille in der sogenannten Pufferzone: Zutritt nur für UNSoldaten. Sie teilt die Insel Zypern seit über 40 Jahren in den türkisch-zyprischen Norden und den griechisch-zyprischen Süden. Ansage: „Zwei Mal Zypern - Eine Insel ringt um die Vereinigung“. Eine Sendung von Leila Knüppel und Manfred Götzke. AT 04: O-Ton Funkverkehr Beobachten Sie weiter (engl.) Übersetzer: Beobachten Sie weiter aus sicherem Abstand und bestätigen Sie, ob er wirklich die Pufferzone verlässt. Sprecherin: Was heikel klingt, ist nur ein Rollenspiel; inszeniert, für die Journalisten aus Deutschland. Damit überhaupt irgendetwas passiert, auf der Patrouille. In Wirklichkeit ist weit und breit kein Bewaffneter zu sehen, nur ein weites Geröllfeld. AT 05: Anfahren AT 06: Sehr relaxed Sprecherin: Es sei hier ziemlich entspannt, sagt Cail. Er und Tomissen sind bewaffnet, sie tragen schusssichere Westen, als wären sie unterwegs im Kriegsgebiet. Dabei werden sie auch heute nur auf wilde Esel oder Mufflons treffen. Wenn überhaupt. OT 07: Cail (engl.) / Übersetzer: Wir sind hier seit zwei Monaten: kein Vorfall. 2

Sprecherin: Die Pufferzone – in der Jagen strengstens verboten ist: An manchen Stellen in der zyprischen Hauptstadt Nikosia ist sie so schmal, dass sich türkische und griechischzyprische Soldaten in die Augen schauen können. Hier, im Norden der Hauptstadt, ist sie ein sieben Kilometer breiter Streifen Niemandsland. Das Mandat der UN-Truppen heißt: Abstand schaffen, die Konfliktparteien auf Distanz halten, erzählt Major Robert Szakson. Seit 1964 sind die Blauhelme auf der Insel: Es ist der längste UN-Einsatz überhaupt. OT 08: Robert Szakson (engl.) / Übersetzer: Als Soldaten sind wir dafür verantwortlich, beide Seiten zu beobachten: die zyprische Nationalgarde auf der einen Seite - und die türkisch-zyprische und türkische Armee auf der anderen Seite. Wir müssen auf beiden Seiten überprüfen, ob der Status quo bewahrt wird. Sprecherin: In einer Gegend, die mal ein reicher Vorort von Nikosia war, passiert der Jeep Villen, die vor 40 Jahren hochmodern waren. Flache Dächer, geschwungene Terrassen. Jetzt sind die Scheiben geborsten, die Fassaden übersät mit Einschusslöchern. Hier standen sich 1974 türkische und griechisch-zyprische Soldaten gegenüber. Damals eskalierte ein Konflikt, der sich seit Jahrzehnten anbahnte. Bereits als Zypern noch britische Kolonie war, in den 1950ern, forderten die griechischen Zyprer einen Anschluss der Insel an Griechenland, die so genannte Enosis. Die türkischzyprische Minderheit favorisierte dagegen einen Verbleib der Briten und eine Teilung der Insel. Schon damals kam es zu Unruhen zwischen den beiden Volksgruppen. Die Spannungen blieben – auch nach 1961, als die Briten von der Insel abzogen und die Republik Zypern gegründet wurde. 1974 schließlich putschten Anhänger des griechischen Einheitsgedankens gegen die Regierung der Republik Zypern und begingen Massaker an der türkisch-zyprischen Minderheit. Daraufhin marschierten Truppen aus der Türkei in den Nordteil der Insel ein und blieben. Tausende Soldaten und Zivilisten kamen bei den Kämpfen um, bis heute gelten Hunderte als vermisst. Heute stehen die Vereinten Nationen zwischen den Fronten: sie konnten nicht verhindern, dass die Insel geteilt wurde. In Nordzypern, das nur von der Türkei anerkannt wird. Und in die Republik Zypern im Süden, Mitglied der Europäischen Union. AT 09: Blick über Güzelyurt Sprecherin: Jenseits der Pufferzone, im Norden Zyperns: Mustafa Caluda hat sich auf das kleine Mäuerchen einer Aussichtsplattform gesetzt, blickt hinab ins Tal. Grüne Orangenhaine, Zypressen, die Häuser des kleinen Ortes Güzelyurt. 3

OT 10: Mustafa Caluda (türk.) / Übersetzer: All meine Erinnerungen sind mit diesem Ort verbunden. Ich liebe Güzelyurt. AT 11: Schritte übers Gelände Sprecherin: Anders als weite Teile der Insel, ist das Land hier keine Wüste aus Geröll und Steinen. Diese Gegend in Nordzypern ist eine der fruchtbarsten der Insel, erzählt der Student. Deshalb sind die Besitzverhältnisse in dieser Region eines der zentralen Probleme bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung: Ohne Lösung für Güzelyurt, keine Lösung des Zypern-Konflikts. Auch in der jüngsten Verhandlungsrunde im Januar haben die Führer der beiden Volksgruppen Nikos Anastasiadis und Mustafa Akinci keine Lösung für die 12.000Einwohner-Stadt finden können. OT 12: Mustafa Caluda (türk.) / Übersetzer: Wir haben seit 42 Jahren auf diesem Land gelebt, hier investiert, Arbeit hineingesteckt, in Schulen und Unis, in die Zitronenplantagen, die man hier sieht. Es ist unsere Heimat. AT 13: Schritte über Gelände Sprecherin: Der schmächtige 20-Jährige ist sichtlich stolz auf Güzelyurt. Er ist hier geboren und aufgewachsen. Anders als seine Eltern, türkische Zyprioten, die im Süden der Insel lebten. Nach der Teilung der Insel kam seine Familie hierher. Sie zogen in die verlassenen Häuser griechisch-zyprischer Familien, die geflohen waren. Nun fordern die alten Besitzer, Güzelyurt müsse bei einer Wiedervereinigung zurückgegeben werden. OT 14: Mustafa Caluda (türk.) / Übersetzer: Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen. Das ist meine Heimat. Ich werde diesen Ort nie aufgeben und weggehen. Und ich möchte auch nicht, dass er von den Griechen verwaltet wird. Sprecherin: Aus Protest hat der Student vor einigen Monaten die Initiative „We don’t give an Inch“ gegründet – Wir geben keinen Zentimeter zurück. Nun ist er auf der ganzen Insel bekannt, gilt als radikaler Gegner der Wiedervereinigung, als Hardliner. OT 15: Mustafa Caluda (türk.) / Übersetzer: Ich bin der Sprecher der Initiative. Mehr als 30 Organisationen sind ihr beigetreten. Wir sind nicht nur in Güzelyurt aktiv, sondern überall in Nordzypern. Wir kämpfen dafür, dass kein Land an die griechischen Zyprioten abgetreten wird. AT 16: Café 4

Sprecherin: Zurück aufs Land seiner Eltern im Süden der Insel zu ziehen, zu den griechischen Zyprern, das käme für ihn nie infrage. OT 17: Mustafa Caluda (türk.) / Übersetzer: Ich möchte, dass die Landfrage über Ausgleichszahlungen geregelt wird. Ich möchte, dass meine Familie ihr Eigentum im Süden der Insel verkaufen kann. Und genau das sollte auch in Güzelyurt passieren. Wir sollten die Häuser der griechischen Zyprioten hier kaufen können, um sie zu behalten. AT 18: reingehen Sprecherin: Güzelyurt, diesen Namen würde Charalambos Pittas nie in den Mund nehmen. Morphou heißt seine Heimatstadt, und zwar schon seit Jahrhunderten, egal wie die Zyperntürken sie jetzt nennen. Pittas ist Bürgermeister von Morphou. Sein Büro liegt allerdings 80 Kilometer von dort entfernt, genau am anderen Ende der Insel, in der Küstenstadt Limassol. AT 19: Büro: this is my office Sprecherin: Der 69-Jährige im perfekt sitzenden Zweireiher empfängt im obersten Stockwerk der ehemaligen „Bank von Morphou“. Die Bank ist im Exil, genau wie Pittas. Ein ExilBürgermeister. Ohne Stadt, ohne Rathaus, ohne Verwaltung. Schon seit Jahren hält er hier in seinem alten Büro die Ratssitzungen ab. Auf den Konferenztisch hat er einen Wimpel gestellt, mit dem Wappen von Morphou. Es ist ein Dauer-Provisorium. Zwölf solcher Exil-Gemeinden gibt es auf der Insel. OT 20: Pittas (griechisch) / Übersetzer: Es ist nicht einfach, Bürgermeister einer besetzten Stadt zu sein. Wir haben zwar kein Stadtgebiet mehr, aber es gibt immer noch 14.000 Bürger von Morphou. Die sind überall auf der Insel verteilt, viele leben auch im Ausland. Sprecherin: Pittas‘ Stimme wird noch leiser, fast etwas brüchig, als er über die Nacht spricht, in der er sein geliebtes Städtchen verlassen musste, damals im August 1974. Als die türkische Armee die Stadt einnahm. Er wurde als junger Reservist der zyprischen Nationalgarde an die Front vor der Stadt abkommandiert. OT 21: Pittas (griechisch) / Übersetzer: Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen. Mein bester Freund wurde von der türkischen Armee erschossen, er stand nur ein paar Meter neben mir. Es war schrecklich, deine Freunde tot zu sehen, dann dieser Geruch der Leichen, von Menschen, die du kennst. Ich bin dann von der Front abgehauen, um meine Familie aus der Stadt zu retten. Morphou war wie tot, aber meine Familie hat auf mich gewartet. Ich habe meine Frau, meine Schwiegereltern und unser Baby geschnappt, sie ins Auto gepackt. Ein paar Stunden später wurde Morphou eingenommen. 5

Sprecherin: Fast 43 Jahre ist das nun her. Während Pittas sich erinnert, schaut er sein Gegenüber aus weit aufgerissenen Augen an, lässt seinen Blick nicht von ihm. So als suche er Hilfe; als wäre er noch immer auf der Flucht, und die Bank, die dicken Ledersessel, sein teurer Anzug nur Fiktion. OT 22: Pittas (griechisch) / Übersetzer: Flüchtling, das ist ein verfluchtes Wort für uns. Flüchtling, im eigenen Land. Du siehst hinter der Grenzlinie dein eigenes Haus, dein ganzes Leben, aber du kannst da nicht hin. Es ist einfach weg. Sprecherin: Fast verzweifelt versucht er nun, seine Heimat hier in Limassol irgendwie am Leben zu halten – und klar zu machen: Wir sind noch da, und wir wollen zurück. Pittas hat schon lange einen konkreten Plan für die Übernahme der echten Stadt Morphou in der Schublade - für den Tag X nach der Wiedervereinigung. OT 23: Pittas (griechisch) / Übersetzer: Wir werden Morphou niemals aufgeben, das ist unsere rote Linie. Die Region ist so wichtig für die Wirtschaft des Landes – außerdem haben in Morphou nur Zyperngriechen gewohnt. 35.000 Leute. Die Zyperntürken können vielleicht mit uns zusammen in der Stadt leben, wenn sie das wollen, aber die ganzen Siedler aus Anatolien, die jetzt in Morphou sind, müssen weg. AT 24: Café, Tasse hinstellen etc. AT 25: Konditor "Versuchen Sie dies auch – Vielen Dank!“ Sprecherin: Theodoros Dissios stellt ein Blätterteigteilchen, gefüllt mit Sahne, Nüssen und Vanillecreme auf das Café-Tischchen. AT 26: Probieren: "Sehr gut, sehr, sehr, sehr gut." Sprecherin: Er betreibt in der Fußgängerzone der Altstadt, direkt an dem Grenzübergang in Nikosia eine Konditorei, in der Gebäck nach altem griechischem Rezept hergestellt wird. Vor zwei Jahren hat er das Gebäude angemietet, das bereits seit 1974 leer stand. OT 27: Dissios (deutsch): Niemand wollte genau an der Grenze ein Café aufmachen. Ich hab gesagt, okay, ich nehme das Risiko auf mich. Und das Gute an diesem Café, es kommen ganz viele griechische Zyprer und türkische Zyprer. Sprecherin: Als er hierher kam, war das Konditorei-Gebäude noch eine Ruine, erzählt der Bäckermeister. Nun ist die üppig verzierte Fassade saniert und weiß gestrichen. Der 6

Blick fällt auf eine Mauer aus alten Ölfässern mit „Stacheldraht-Topping“: der Grenzzaun, direkt am Rande der Terrasse. Hinter dem Zaun geht die Reihenhaus-Zeile, in der die Konditorei untergebracht ist, weiter. Grau, verfallen ragt sie hinein in die Pufferzone, die nur UN-Soldaten betreten dürfen. Eigentlich. AT 28/29: "Kommen Sie rein!" Sprecherin: Konditor Dissios führt durch das Café, die Backstube, er öffnet eine eiserne Tür. AT 28/29: Tür öffnen Sprecherin: Dahinter verfallene leere Räume, hohe Decken, abgeblätterter Putz. Und dann stehen die Besucher wieder auf der Straße. Diesmal hinter den mit Stacheldraht verzierten Ölfässern. Mitten in der Pufferzone. OT 30: Dissios (deutsch): Reporter: "Sie dürfen in der Pufferzone einfach so rumlaufen?" Dissios: "Ja, ist okay, weil ich habe eine Genehmigung von der UN gekriegt. Ist kein Problem." AT 31: Pufferzone Sprecherin: Hier liegt die Straße leer, an den Wänden stapeln sich Kartons und Zementsäcke, unter den Füßen Glas und Bauschutt. Ruinen im Niemandsland. Dissios hat sie trotzdem angemietet. Die ganze Ladenzeile. Er ist schließlich ein Unternehmer mit Weitblick. OT 32: Dissios (deutsch): Diese zwei als Konditorei, Bäckerei mit Holzbackofen, die anderen drei als griechische Taverne. Und eine als Gelaterie, aber mit altem griechischen Eis. Sprecherin: Sollte es zu einer Wiedervereinigung kommen, hat Dissios mehrere Geschäfte in Bestlage. Doch auch für den Fall, dass es keine Einigung gibt, hat er einen Plan: Er möchte Durchbrüche von Laden zu Laden machen, sodass die gesamte Reihenhauszeile zu einem einzigen großen Gebäude wird. OT 33: Dissios (deutsch): Und draußen bleibt Pufferzone, die Leute können ins Gebäude kommen, und von die Fenster in die Pufferzone gucken. Gibt es auch, diese Lösung. AT 34: Café 7

Sprecherin: Eis essen, mitten in der Pufferzone. Das könnte eine Touristenattraktion werden, die bald in jedem Zypern-Reiseführer steht. Zurück auf der Terrasse sitzt Hubert Faustmann an einem der Konditorei-Tische. Der deutschsprachige Zypern-Experte lehrt an der Universität von Nikosia und leitet die Friedrich-Ebert-Stiftung auf Zypern. Braungebrannt, mit grau meliertem Haar und modischem Hemd ist der Deutsche von den lockeren Zyprioten an den Nebentischen nicht zu unterscheiden. Seit über 20 Jahren wohnt er schon hier auf der Insel – und hat so gut wie allen deutschen Medien bereits das vertrackte Zypern-Problem erläutert. OT 35: Hubert Faustmann (deutsch): Reporter: „Sie beobachten den Zypern-Konflikt seit Jahren.“ Faustmann: „Man muss leider schon Jahrzehnte sagen.“ Sprecherin: Aktuell ist er wieder ein gefragter Mann – schließlich verhandeln die beiden Chefs der Volksgruppen wieder. Und Journalisten aus aller Welt schreiben: die Zyprer waren einer Wiedervereinigung nie näher als jetzt. OT 36: Hubert Faustmann (deutsch): Wenn man es zynisch sehen will, ist es Teil des normalen Zypernproblem-Zyklus’. Irgendwann gibt es eine hoffnungsvolle Initiative, alles euphorisch, haufenweise Ausländer, die glauben, aha, jetzt wird es gelöst. Und umso länger die Verhandlung geht, desto mehr geht die Luft raus. Man nennt Zypern nicht ohne Grund den Friedhof der Diplomaten. Sprecherin: Ganz so abgebrüht ist Faustmann aber dann doch nicht, als dass er ein Scheitern der Gespräche prognostiziert. Für ihn sehen die Verhandlungen viel Erfolg versprechender aus, als beim letzten großen Wiedervereinigungsversuch: Dem Annan-Plan, der 2004 erfolgreich verhandelt wurde, bei den Volksabstimmungen dann aber überraschend am Nein der griechischen Zyprer scheiterte. OT 37: Hubert Faustmann (deutsch): Umgekehrt ist man selbst immer wieder hoffnungsvoll, gerade weil es nochmal eine Dynamik 2014 bekommen hat, weil wir zwei moderate Volksgruppenführer hatten. Das war so gut wie nie der Fall. Wenn es jetzt nicht reicht, ist es schwer, sich vorzustellen, was eigentlich noch günstiger sein soll. Das wäre schon extrem negativ für die zukünftige Entwicklung der Insel. AT 38: Kuchen bringen Sprecherin: Dissios bringt noch einen weiteren Kuchen. Und Faustmann erzählt von Gesprächen mit griechischen Zyprioten, die damals dem Annan-Plan nicht zugestimmt haben. Keine Hardcore-Fanatiker, sagt er, sondern ganz normale Zyprer. Schließlich gäbe 8

es genug Argumente, einer Wiedervereinigung zumindest kritisch gegenüberzustehen. OT 39: Hubert Faustmann (deutsch): Viele sagen, wir haben einen relativ gut funktionierenden Südteil der Insel. Uns geht es gut, wir sind politisch stabil und müssten das eintauschen gegen ein politisch unsicheres, instabileres Gemeinwesen. Und dann gibt es Leute, die einfach davon profitieren, dass die Insel geteilt ist. Das geht von Hoteliers in Paphos, die Angst haben, dass ihnen die Gäste wegbleiben, wenn der Norden als Wettbewerber auf den Markt tritt, bis hin zu einer Zypern-Problem-Industrie, einer politischen Kaste, die seit Jahrzehnten nichts anders machen, als sich mit dem Zypernkonflikt zu beschäftigen. Wovon ich auch Teil bin. Sprecherin: Faustmann grinst ein wenig. Und trinkt einen letzten Schluck seines Cafés. OT 40: Hubert Faustmann (deutsch): Im Norden sieht es ganz anders aus, der sich ja noch einem Wirtschaftsembargo ausgesetzt sieht, das dadurch zustande kam, dass sie einseitig die Unabhängigkeit ausgerufen haben, die nicht anerkannt wurde. Und dadurch gibt es alle möglichen Handelshemmnisse für den Norden. Auch was die Touristen angeht, mit der Anreise. Der Norden leidet massiv unter der Teilung. Der Süden im Prinzip nicht. Sprecherin: Eine Wiedervereinigung mit all den Aufbauhilfen könnte also für den Süden teuer werden. Selbst wenn Ökonomen einen Wirtschaftsboom nach einer Wiedervereinigung voraussagen. Und auch politisch sehen sich manche griechischen Zyprer im Falle einer Wiedervereinigung auf der Verliererseite: Denn sie müssten Macht und Land voraussichtlich 50 zu 50 teilen; mit einer Minderheit, die gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht. OT 41: Hubert Faustmann (deutsch): Es ist schwierig, einen Kompromiss zu verkaufen, der einer Minderheit sehr weitgehende Rechte einräumt, der einer Türkei irgendwelche Mitspracherechte auf der Insel einräumen wird, was ein absolutes No-Go für die griechischen Zyprer ist. Leute, die langfristig denken, müssen aber sagen: Die Türkei übernimmt den Norden seit Jahren systematisch: wirtschaftlich, sozial und politisch. Das Ganze wird eine türkische Provinz werden. Den Preis, den ich für eine Nichtlösung zahle, zahle ich in 20, 30 Jahren, den Preis, den ich für eine Lösung zahlen muss, kommt schnell und könnte teuer werden. Sprecherin: Ob mit oder ohne Wiedervereinigung, für ihn gebe es jedenfalls auch in den kommenden Jahren genug zu tun. Zypern-Experte bleibt ein krisensicherer Job, leider. AT 42: Durchgehen 9

Regie: AT 43 Hotel Sprecherin: Okan Dagli steuert den besten Platz für das Geisterstadt-Spotting an. Ein Luxushotel am Strand der türkisch-zyprischen Stadt Famagusta, direkt am Rand der Sperrzone. Zielsicher schreitet der 52-jährige Aktivist durch das Foyer in Richtung Terrasse, setzt sich an einen der Kunstrattantische, bestellt Cappuccino. Gleich neben der Terrasse erstreckt sich die Bucht von Famagusta. Hotelburgen, acht Kilometer weit, direkt am Wasser. Die Nachmittagssonne glitzert auf dem Meer und hüllt den Strand in orange-goldenes Licht. Aus der Ferne betrachtet ein ganz normales Postkartenpanorama. Doch das Leben der einst wichtigsten Touristenhochburg Zyperns ist seit mehr als 40 Jahren erstarrt. Die Hotels – nur noch Gerippe. Eine tote Stadt mit 14.000 Hotelbetten, in der Sperrzone zwischen Süden und Norden der Insel. Ein Trauerspiel, findet Dagli. OT 44: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Jeder zweite Zypern-Tourist kam damals hierher, nach Famagusta. Außerdem hatte die Stadt den größten Hafen der Insel. Der wird heute wegen des Embargos kaum mehr angefahren. Famagusta war DER Wirtschaftsstandort Zyperns - die Hälfte aller Umsätze wurde hier erwirtschaftet. Das ist alles zusammengebrochen. Sprecherin: Als die türkische Armee 1974 den Nordteil der Insel besetzte, erklärte sie das Touristen-Viertel von Famagusta, Varosha, umgehend zur Sperrzone – als Faustpfand bei Verhandlungen mit der griechischer Seite. Die meisten Hotels und Geschäfte waren in der Hand griechischer Zyprer. Seit 15 Jahren kämpft Dagli für die Öffnung des Touristenviertels. Gemeinsam mit türkischen und griechischen Freunden hat er die „Famagusta Initiative“ gegründet. Sie wollen wenigstens eine Zypernlösung light für ihre Stadt, ihre Region. Wenn es schon keine Gesamtlösung für Zypern gibt, dann wenigstens eine kleine Öffnung in Varosha. OT 45: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Wir wollen, dass Famagusta wieder eine lebendige Stadt wird, eine Stadt für beide Volksgruppen. Wir hoffen, dass das multikulturelle Famagusta wieder auflebt, wenn Varosha geöffnet wird. Das wäre auch für den Tourismus gut. Hier gäbe es ja ein unglaubliches touristisches Potenzial, wenn die Hotels am Strand wieder öffnen könnten. Sprecherin: Der Cappuccino ist ausgetrunken, Dagli setzt sich seine Sonnenbrille auf und geht zu seinem Mercedes. AT 46: losfahren Regie: AT 47 a losfahren, alternativ AT 47 b Autofahren 10

Sprecherin: Er will seinen Gästen das ganze Ausmaß der „Amputation“ Famagustas zeigen. Langsam fährt er an den dicken Festungsmauern der Altstadt vorbei: In die pittoresken Altstadtgassen kommen heute nur noch Tagestouristen, schließlich fehlen Strand und Hotels. Und Flugverbindungen nach Nordzypern gibt es nur via Türkei. Selbst einen Welterbe-Status für das historische Zentrum kann die Stadt nicht beantragen – schließlich wird der Norden der Insel nur von der Türkei anerkannt – von den Vereinten Nationen nicht. OT 48: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Wir sind sehr stark von der Türkei und ihrer Wirtschaft abhängig. Unsere Währung zum Beispiel ist die türkische Lira. Die ist jetzt wegen der Krise im Keller. Und weil wir so viel importieren müssen, ist für uns alles extrem teuer geworden. Sprecherin: Dagli biegt ab, in ein Wohngebiet. Unerwartet stehen wir vor dem Zaun: Stacheldraht und Ölfässer, Häuserfronten mit zugemauerten Fenstern, aus manchen Dächern ragen Bäume. OT 49: Okan Dagli (engl.). / Übersetzer: Ich war einmal drin in der Sperrzone, als Wehrdienstleistender. In den 90ern war das, 30 Jahre nach der Schließung. Ich war geschockt. In meinen Erinnerungen war alles noch so lebendig, Menschen überall auf den Straßen, auf den Märkten. Jetzt war da überall Tod, Kollaps, Zerstörung. Ich bin dann raus aus der Zone. Ich will da nie wieder hin. Sprecherin: In die verlassenen Häuser am Rande der Mauer sind neue Siedler aus der Türkei gezogen, auch auf den einstigen Orangen-Plantagen Famagustas wird eifrig gebaut. Eine neue Moschee reckt ihre weißen Minarette in den Himmel. Überall in Nordzypern werden sie mit Geld aus der Türkei errichtet. Dabei sind die türkischen Zyprer gar nicht besonders religiös, sie gehen lieber an den Strand und in die Bar als in die Moschee. Doch mittlerweile leben 100.000 Siedler aus Anatolien auf der Insel – außerdem 40.000 türkische Soldaten. Die 150.000 Zyperntürken könnten also bald eine Minderheit sein. OT 50: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Früher haben sich die Siedler angepasst. Sie wurden wie wir: lockere Insulaner. Aber seit die türkische Regierung fundamentalistisch-islamische Ideen vertritt, exportieren sie ihre Ideen auch hierher. Die Zugezogenen schicken ihre Kinder jetzt auf islamische Schulen. Wenn wir nicht bald eine Lösung finden, dann wird der fundamentalistische Islam Nordzypern für immer verändern. Sprecherin: Wir biegen in eine Straße ein: Früher die Hauptverkehrsader Richtung Süden, nun ein heruntergekommener Feldweg. Die Schlaglöcher sind groß wie Teller, zehn, 20 Zentimeter tief. Nach einem Kilometer endet die Straße an einem Checkpoint: Zutritt ausschließlich für türkisches Militär. Dahinter beginnt der griechische Teil der Insel. 11

OT 51: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Einen Kilometer hinter der Grenze liegt das griechisch-zyprische Derynia. Wäre sie offen, könnten wir einfach mal schnell rüberfahren. AT 52: draußen vor der Grenze Sprecherin: Jahrelang hat er mit seinen griechischen Freunden für die Öffnung der Straße gekämpft – für einen direkten Weg von Famagusta in den Süden. Im vergangenen Jahr hatte die Politik auf beiden Seiten grünes Licht gegeben, die EU Geld für die Sanierung der Straße zugesichert. Unter einer Bedingung: Der Grenzzaun, der sich kilometerweit entlang der Straße zieht, hätte verschoben werden müssen; um zwei Meter, für die Verbreiterung der Straße. OT 53: Okan Dagli (engl.) / Übersetzer: Erst hat die türkische Armee zugestimmt. Aber dann haben sie sich umentschieden. Der Zaun soll bleiben, außer UN oder EU geben der Armee Geld für einen neuen Zaun. Aber die EU zahlt doch nicht für den Zaun. Die will ja, dass der ganz verschwindet. Sprecherin: All die Friedensplanungen, all die Zeit, das Geld. Umsonst, wegen zwei Metern Straßengraben und eines alten Stacheldrahtzauns.

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