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Sensoren im Unterricht Raimund Girwidz Sensoren gehören zur Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler. Bewegungsmelder, Pulsuhr, Temperatursensoren im Fieberthermometer oder die Ladeanzeige auf Walkman-Batterien sind nur einige Anwendungen. Der Unterricht kann nicht nur die Physik des letzten Jahrtausends behandeln. Die Schulphysik muss auch einen subjektiven Erklärungswert für Sachverhalte aus der modernen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bekommen. Technische Sensoren begegnen uns überall. Temperatursensoren in Kühlschrank und Elektroherd, Drehzahlsensoren in ABSSystemen, als Abstandssensor bei der Einparkhilfe, bei automatischen Türöffnern, u. s. w. . Die Kontrolle von Maschinen in der Fertigungstechnik ist ein wichtiger Faktor für Qualität und Kosten in der Wirtschaft. Neben der Automatisierungstechnik ist vor allem noch der Bereich Sicherheit (z. B. Brandschutz, Personen- und Objektüberwachung) und Umweltschutz (z. B. Emissionskontrollen und Gewässerüberwachung) zu nennen. Allerdings beinhaltet das Thema Sensoren im Unterricht durchaus auch einige didaktische Herausforderungen, abgesehen von der Tatsache, dass wir selbst erst einmal entsprechende Sachinformationen finden müssen. Deshalb sollen diese Beiträge zunächst Grundinformationen liefern, dann Unterrichtsideen aufzeigen und vor allem konkrete Vorschläge anbieten. Nachfolgend wird zunächst der weit gefasste Begriff Sensor genauer charakterisiert. Es folgen didaktische Überlegungen zur Einbindung von Sensoranwendungen in den Unterricht. Der letzte Teil charakterisiert verschiedene methodische Schwerpunkte, die in den vorliegenden Beiträgen zur Sensorik aufgegriffen werden.

Zum Begriff Ein Sensorelement erfasst physikalische oder chemische Größen und erzeugt ein eindeutiges, meist elektrisch auswertbares Signal für die weitere Verarbeitung. Zusätzliche, oft synonym verwendete Begriffe sind Messfühler, Transducer, Aufnehmer oder Wandler. In vielen Fällen sind Sensoren mit elektronischen Schaltungen zur Auswertung und Weiterverarbeitung gekoppelt. Miniaturisierung und IC-Technik machen es immer schwieriger, die reinen Sensorelemente von Funktionsteilen zur Kompensation von Störgrößen, Fehlerkontrolle, Signalumformung, Digitalisierung und Datenaufnahme zu trennen. Man spricht dann oft von "intelligenten Sensoren".

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Bild: Infrarotdetektor im Rauchmelder Leider wird der Begriff Sensor nicht einheitlich verwendet. Im Sprachgebrauch bezeichnet er manchmal nur das Sensorelement, manchmal komplette Anwendungssysteme.

Weitere Charakterisierungen Passive Sensoren benötigen eine externe Energieversorgung. Aktive Sensoren erzeugen dagegen selbst ein elektrisches Ausgangssignal. Allerdings ist auch die Unterscheidung zwischen aktiven und passiven Sensoren nicht einheitlich. So verwendet Bosch die Begriffe genau in umgekehrter Bedeutung [1]. Aktive Sensoren nutzen verschiedene, physikalisch interessante Effekte, die jeweils mit einer Energieumwandlung verbunden sind. Wichtig sind: Elektrodynamischer Effekt: Der magnetische Fluss durch Leiterschleifen ändert sich und induziert eine Spannung. Piezoelektrischer Effekt: Krafteinwirkungen verändern die Gitterstruktur von piezoelektrischen Materialien, z. B. bei Quarzen oder Halbleitern mit Perovskite-Struktur. Damit werden Oberflächenladungen influenziert, d. h. es gibt Ladungsverschiebungen. Pyroelektrischer Effekt: Temperaturänderungen führen zu Änderungen in der mikroskopischen Struktur der Materialien und damit zu Ladungsverschiebungen, z. B. bei ferroelektischen Materialien. Fotoelektrischer Effekt: Elektromagnetische Strahlung erzeugt in einem Leiter oder Halbleiter freie Ladungsträger. Strahlungsenergie wird in elektrische Energie umgesetzt. Seebeck-Effekt: Elektronen von einem Material mit geringer Austrittsarbeit diffundieren in ein Material mit hoher Austrittsarbeit. Die entstehende Antidiffusionsspanung verhindert den weiteren Austausch. Die Kontaktspannung ist temperaturabhängig. Befinden sich zwei Kontaktstellen auf unterschiedlichen Temperaturen, können beträchtliche Ströme fließen. Thermische Energie wird in elektrische Energie umgewandelt. D:\archive\archiv2006\isb_sensoren\uebersicht_und_basisinfo.doc

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Elektrochemischer Effekt: Chemische Prozesse führen im Gleichgewichtszustand zu unterschiedlichen Ionenkonzentrationen und damit zu einer Potentialdifferenz (gemäß der Nernst'schen Gleichung). Passive Sensoren benötigen eine externe Energiequelle. Beispiele sind "resistive Sensoren" wie Potentiometer, Dehnungsmessstreifen, Fotowiderstand, Widerstandsthermometer, Feldplatten, Gasdetektoren. Entscheidend sind Leitfähigkeitsänderungen, die über eine elektronische Schaltung erfasst werden. "Kapazitive Sensoren" nutzen Geometrieeffekte (insbesondere Abstandsänderungen), Kapazitätsänderungen durch Dielektrika oder Influenzeffekte. Eine Änderung ihrer Kapazität kann in Wechselstromkreisen, bzw. elektrischen Schwingkreisen ausgewertet werden (siehe auch [2].

Sensoren nutzen direkte und indirekte Verfahren zum Erfassen von Signalen. Bei direkten Verfahren erfolgt die Umsetzung unmittelbar in ein elektrisches Signal. Bei indirekten Verfahren führt erst eine Verkettung physikalischer Effekte auf das eigentliche Signal, wie beispielsweise bei einer Druckmessung mittels Dehnungsmessstreifen: Der Druck auf eine Fläche führt zu Kräften, die ein mechanisches Biegeelement verformen. Dehnung und Stauchung übertragen sich auf einen aufgeklebten Dehnungsmessstreifen. Aus seiner Verformung resultieren Widerstandsänderungen und veränderte Spannungsabfälle in einer Messschaltung. Qualitätskriterien für Sensoren sind kurze Messzeiten, geringer Leistungsbedarf, Stabilität, Zuverlässigkeit, lange Lebensdauer und Störsicherheit, z. B. gegenüber Temperatur, Strahlung und Erschütterung.

Einteilung nach didaktischen Aspekten Die Vielfalt erschwert eine vollständige Systematisierung von Sensoren. Aus didaktischer Sicht ist aber eine Einteilung nach physikalischen Grundlagen sinnvoll, beispielsweise in optische Sensoren, induktive Sensoren, Magnetfeldsensoren und weitere. Dies erleichtert eine schnelle Einordnung in klassische Lehrpläne, die sich an Fachinhalten ausrichten.

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Die Alternative orientiert sich an funktionellen Gesichtspunkten (z. B. Abstandssensoren, Sensorik zur Alltagsmedizin, Temperatursensoren, …). Dieser Ansatz hat einen engeren Anwendungsbezug. Allerdings sind dann bei ähnlicher Funktionalität und Zielsetzung verschiedene physikalische Grundlagen für das Verständnis relevant. Entfernungen können beispielsweise je nach Aufgabenstellung und Größenordnung mit Potentiometern, über eine Kapazitätsmessung, optisch nach dem Triangulationsverfahren, mittels Interferometer, über die Laufzeitmessung von Ultraschall, u. s. w. erfasst werden. Fachwissen muss hierbei situationsspezifisch in jeweilige Kontexte eingebracht und angewendet werden. Oft ist eine ganzheitliche, Fächer übergreifende Behandlung sinnvoll. Sie eröffnet neue Perspektiven, stellt aber gleichzeitig neue Anforderungen an ein Lehren und Lernen. Anwendungs- und themenbezogene Unterrichtseinheiten verlangen neue Unterrichtskonzeptionen, die nicht starr auf einer sequentiellen Stoffbehandlung aus Mechanik, ELehre, Optik, … basieren.

Neue Anforderungsprofile Die technischen Details sind oft komplex. Der Unterricht kann nicht auf alle Details eingehen. Schwerpunktsetzung wird nötig. Dazu gehört auch eine Untergliederung der Geräte in Funktionsmodule. Dabei sind verschiedene Einheiten wie z. B. eine Verstärkerschaltung oder die Auswerteelektronik als abgeschlossene Module zu betrachten, die nicht weiter analysiert werden. (Dies kann ggf. später und auf einem höheren Leistungsniveau erfolgen.) Modulare Betrachtungsweisen werden in unserer technisierten Welt mit fortschreitenden Entwicklungen immer wichtiger. Hilfreich kann das Konzept der "didaktischen Rekonstruktion" sein. (Hierzu ist auch in dem Beitrag zur Infrarot-Sensorik ein Beispiel zu finden). Es gilt, die elementaren Gehalte herauszuarbeiten und dann, orientiert an der Erfahrungswelt und dem Vorwissen der Schülerinnen und Schüler, Sinn- und Verständniseinheiten aufzubauen. Diese müssen und können nicht mit ausgereiften fachlich-technischen Details identisch sein und können durchaus auch ein Denken in Modulen einschließen. Letztlich sind damit auch zwei grundsätzlich verschiedene Einsatzmöglichkeiten im Unterricht zu unterschieden: Sensoren als physikalische Inhalt und Sensoren als Bausteine für physikalisch-technische Anwendungen.

Perspektiven für den Unterricht Sensoren bieten einen Zugang zu "lebendiger Physik" bei der Geräte und experimentelle Anordnungen auf verschiedene Aktionen und äußere Einflüsse reagieren (und z. B. einen Alarm auslösen oder Prozesse steuern). Außerdem bekommt die Physik einen zusätzlichen Erklärungswert für die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Bewegungsmelder, Körperfettwaagen oder Metalldetektoren aus der Sicherheitstechnik sind nur drei

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Beispiele hierzu. "Lebendige Physik" und "subjektiver Erklärungswert von Physikunterricht" waren zwei wichtige Leitideen, die uns zum Thema Sensorik geführt haben. Reizvoll und im ersten Augenblick erstaunlich ist, dass verschiedene Sensoren völlig berührungslos arbeiten. Dazu gehören beispielsweise induktive Sensoren oder Strahlungsthermometer. Dies ist nicht nur technisch interessant, sondern auch ein guter phänomenologischer Anknüpfungspunkt im Unterricht. Mit Sensoren lässt sich die Physik in Anwendungen verankern. Es erschließen sich vielfältige Möglichkeiten für Alltags- und Technikbezüge. Fächer übergreifendes Lernen, speziell mit Anknüpfungen an Technik, Biophysik und Medizin bietet sich an. Physikalisches Wissen bleibt nicht nur auf die theoretische Ebene bezogen, sondern gewinnt einen Praxisbezug. Gleichzeitig werden physikalische Grundlagen bei der Behandlung der praxisbezogenen Beispiele vertieft. Hier sind die Beiträge zum Herzkreislaufsystem, zur Fettmessung und zu Beschleunigungssensoren zu nennen. Auch zum entdeckenden Lernen und analytischen Denken bieten Anwendungen aus der Sensorik Perspektiven: Zum einen können in Experimenten grundlegende Zusammenhänge aufgedeckt werden. (Beispielsweise kann ein Messen des eigenen Körperwiderstandes mit einem Multimeter auf das Prinzip des Lügendetektors hinführen.) Zum anderen lassen sich Anwendungen untersuchen und analysieren, die dem Schüler aus dem Alltag vertraut sind. (Ein einfacher Wasseralarmsensor, der Überschwemmungen durch eine auslaufende Waschmaschine anzeigt, lässt sich zerlegen und analysieren). Hier ist auf die Beiträge zu "Widerstandssensoren" und zu "induktiven Sensoren" hinzuweisen. Eigenes Konstruieren und Entwickeln unterstützt aktiv anwendbares Wissen (in Abgrenzung zum "trägen Wissen", das zwar abstrakt vorliegt, aber nicht in Anwendungen verfügbar ist). Viele Beispiele aus der Sensorik lassen sich gut in einfache Konstruktionsaufgaben einbinden. Ideen dazu sind in den Beiträgen zu "Motorsensoren" und "Sensoren für Schaltvorgänge" zu finden. Anhand von Sensoren lassen sich grundlegende Fragen und Probleme des Messens realitätsnah aufgreifen und behandeln. Kenngrößen wie Messbereich, Auflösung, Messgenauigkeit gehören direkt zur Sensorik. Absolute und relative Fehler, Nullpunktsfehler (Offsetfehler), Verstärkungsfehler, Linearitätsfehler und Hysteresefehler sind weitere Kennwerte, die behandelt werden können. Ein tieferes Verständnis sollte sich nicht nur auf ein Wissen über Funktionsprinzipien stützen, sondern auch ein Bewusstsein über Grenzen und Aussagewert von Messungen umfassen. Ein Beispiel hierzu ist die "Sensorik zu Körperfettmessung". Die Funktion von Sensoren lässt sich in Anwendungen erleben. Dies kann zu weitergehenden Fragestellungen und im Sinne eines naturwissenschaftlichen Arbeitens zur Entwicklung neuer Experimente und Tests führen. Hier ist auch der Beitrag zu "Dehnungsmessstreifen und Crashtests" zu nennen.

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Selbstverständlich setzen sich im Schulalltag diese Perspektiven nicht automatisch um, wenn man nur einen Sensor auf den Tisch legt. Es verlangt immer ein breites Methodenrepertoire, die richtigen Ideen anzustoßen und lernwirksame Aktivitäten zu organisieren. Auch bleibt ein experimenteller Unterricht immer aufwändiger als "Kreidephysik". Aber die Anwendungen aus der Sensorik bieten zumindest einige "Werkzeuge", um im Unterricht den methodischen Dreiklang zu realisieren: "Erleben – Verstehen – Anwenden".

Überblick über die weiteren Beiträge Das Themengebiet ist komplex und hier kann nur exemplarisch eine beschränkte Auswahl von Anwendungen aufgezeigt werden. Die Beiträge versuchen das Themengebiet in verschiedenen Dimensionen abzudecken. Die Behandlung von Sensoren lässt sich stark auf physikalische Fachinhalte beziehen, oder aber mit Fächer übergreifenden Inhalten verknüpfen. Eine weitere Dimension ist die Unterscheidung zwischen dem Erarbeiten von Grundlagen oder von Anwendungsbezügen. Die folgende Tabelle gibt eine grafische Übersicht über die Schwerpunkte in den verschiedenen Beiträgen. Grundlagen erarbeiten

fachspezifisch

Anwenden

* Widerstände als Sensoren

* Infrarotsensoren

* Induktive Sensoren

* Crashtest mit DMS * Motorsensoren * Sensoren für Schalter

Sensoren im Unterricht Fächer übergreifend

* Sensorik zum Herzkreislaufsystem * Beschleunigungssensoren * Körperfettmessung

Vielleicht geht es Ihnen so wie uns: Bei vielen Geräten und Anwendungen wussten wir zunächst nicht wie sie funktionierten. Jeder Beitrag informiert deshalb auch in knapper Form über die physikalischen Grundlagen.

Literatur

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[1] Bosch GmbH (Hrsg.) (2001): Sensoren im Kraftfahrzeug, Stuttgart: Bosch [2] Hering et al., 2005. Taschenbuch der Mechatronik. Leipzig: Carl Hanser.

Dank: Die Unterrichtsvorschläge werden in den Projekten "Physik im Kontext" (www.physik-im-kontext.de) und im Projekt "LINK" (www.l-i-n-k.de, gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung) getestet und weiterentwickelt.

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