Language in Cultural Contexts

Sprache in kulturellen Kontexten / Language in Cultural Contexts Band 1 Herausgegeben von Franz Lebsanft, Klaus P. Schneider und Claudia Wich-Reif ...
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Sprache in kulturellen Kontexten / Language in Cultural Contexts

Band 1

Herausgegeben von Franz Lebsanft, Klaus P. Schneider und Claudia Wich-Reif

Anna Karin / Silvia Ulivi / Claudia Wich-Reif (Hg.)

Regiolekt, Funktiolekt, Idiolekt: Die Stadt und ihre Sprachen Akten der 31. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung. Bonn, 29. September – 02. Oktober 2013

V& R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0298-4 ISBN 978-3-8470-0298-7 (E-Book) Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: ULB Bonn, M 2’ 318/25 Rara Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmBH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Claudia Wich-Reif (Bonn) Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Manfred Groten (Bonn) Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache im spätmittelalterlichen Köln. Rahmenbedingungen und Akteure . . . . . .

13

Thomas Klein (Bonn) und Robert Peters (Münster) Niederdeutsche Schreiber, Gottfried Hagen und die Anfänge der deutschsprachigen Urkunde in Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Georg Cornelissen (Bonn) Die Kölner Sprachgeschichte nach 1500 – Ergebnisse und Desiderate der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Arend Mihm (Duisburg) Druckersprachen, Stadtvarietäten und die Entstehung der Einheitssprache – Köln und Erfurt als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . .

85

Annika Woggan (Rostock) Dit is der lant friede – Zur Syntax frühneuzeitlicher Titelblätter aus Köln

117

Daniel Solling (Uppsala) Die Stellung des attributiven Genitivs im Lübischen Stadtrecht und in den Rüthener Statutarrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Nadine Wallmeier (Paderborn) Handlungsstrukturen in spätmittelalterlichen Stadtrechten . . . . . . . . 155

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Inhalt

Matthias Schulz (Würzburg) Stadtsprachen in historischen Bibliotheksbeständen. Stadtsprachliche Varietäten und Schreibsprachenwechsel in Greifswald im Spiegel der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Petra Kourukmas (Bonn) Amtssprache und Privatsprache in Nürnberg im 16. Jahrhundert: Die Partikel doch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Gisela Brandt (Berlin) Deutsche Zeitungen in Städten des Baltikums (eine textlinguistische Studie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Anna Just (Warschau) Städtische Korrespondenzen des 16. und 17. Jahrhunderts in Liegnitz . . 243

Claudia Wich-Reif (Bonn)

Vorwort

Nach der konstituierenden Tagung im Jahr 1983 und drei weiteren in den Jahren 1983, 1989 und 2002 fand vom 30. September bis zum 2. Oktober 2013 auch die 31. Jahrestagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung (HSSF) an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn statt. Einen Schwerpunkt der Tagung bildete die städtische Sprach- und Schriftgeschichte des rheinischen Sprachraums. Dafür konnten auch der Historiker Manfred Groten (Bonn) und Georg Cornelissen, Leiter der Abteilung Sprachforschung beim »Institut für rheinische Landeskunde und Regionalgeschichte« des Landschaftsverbandes Rheinland (Bonn) gewonnen werden. Beide stellten ihre Vorträge für die vorliegende Publikation zur Verfügung, zudem – zum Teil in erweiterter Form – Arend Mihm (Duisburg), Annika Woggan (Rostock), Daniel Solling (Uppsala), Nadine Wallmeier (Paderborn), Matthias Schulz (Würzburg), Petra Kourukmas (Bonn), Gisela Brandt (Berlin) und Anna Just (Warschau). Im Sinne der langjährigen Tradition des Arbeitskreises spiegelt auch der vorliegende Band das Ziel des internationalen Kontakts und Austausches insbesondere auch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs wider. Gerade die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zeigen in beeindruckender Weise, wie immer wieder neue Themen, Theorien und Methoden die Stadtsprachenforschung bereichern und lebendig halten, unter anderem durch die Anwendung von Theorien und Methoden, die im Rahmen aktueller varietätenlinguistischer und pragmalinguistischer Projekte im In- und Ausland entwickelt wurden.1 (Sprach-)Räumlich geht es um die Varietäten und Varianten im ripuarischen Köln (M. Groten, Th. Klein und R. Peters), unter dem Einfluss der Standardsprache um die Entwicklung hin zum Regiolekt und zum Regionalakzent, die sich unter dem Einfluss der Standardsprache vollzog (G. Cornelissen). In wei1 Vergleichbare Themen und Fragestellungen werden in den letzten Jahren auch in der romanistischen Sprachwissenschaft intensiv bearbeitet; vgl. z. B. Schrott / Völker 2005, Bianchi u. a. 2012 und auch die einschlägigen Beiträge in Ernst u. a. 2006.

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Claudia Wich-Reif

teren Beiträgen wird das Westmitteldeutsche mit dem Ostmitteldeutschen (A. Mihm) oder einem weiter gefassten Raum (A. Woggan) kontrastiert. Ein Beitrag beschäftigt sich mit dem Schlesischen als ostmitteldeutscher Varietät (A. Just). Vier Beiträge behandeln den niederdeutschen Sprachraum (G. Brandt, M. Schulz, D. Solling, N. Wallmeier), ein Beitrag das Oberdeutsche (P. Kourukmas). Zeitlich werden mit unterschiedlichen Akzenten schwerpunktmäßig das Spätmittelalter (M. Groten, Th. Klein und R. Peters, D. Solling, N. Wallmeier) und die Frühe Neuzeit (G. Brandt, A. Just, P. Kourukmas, A. Woggan) behandelt. Zwei Beiträge bieten nicht nur Ausblicke, sondern sind periodenübergreifend angelegt (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit von M. Schulz, Frühe Neuzeit bis Gegenwart von G. Cornelissen). Eine Vielzahl der Aufsätze des vorliegenden Bandes beschäftigt sich mit systemlinguistischen Fragestellungen: Graphematik und Phonologie (Th. Klein und R. Peters, A. Mihm), Wortarten (P. Kourukmas), Syntax (D. Solling, N. Wallmeier, A. Woggan) und Text (G. Brandt, A. Just). Die Pragmatik wird sowohl aus historischer (M. Groten) als auch aus sprach- und kulturwissenschaftlicher Perspektive (A. Just, P. Kourukmas, M. Schulz, N. Wallmeier) behandelt. Soziolinguistische Aspekte sind mehr oder weniger in allen Beiträgen berührt. Literarische Texte sind gleichermaßen Untersuchungsgegenstand wie Sachtexte. Ein Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Rechtstexten (M. Groten, Th. Klein und R. Peters, D. Solling, N. Wallmeier). Die überwiegende Zahl der Beiträge sind in der Reihenfolge der Vorträge im Rahmen der Jahrestagung angeordnet, wo Raum und Zeit Orientierungspunkte waren. Ein weiterer, elfter Beitrag von Thomas Klein (Bonn) und Robert Peters (Münster) beruht auf einem Vortrag, den Thomas Klein auf der 22. Jahrestagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung 2004 in Münster hielt. Die ersten drei Beiträge sind mit der Stadtgeschichte Kölns befasst: Manfred Groten (Bonn) beleuchtet in seinem Aufsatz mit dem Titel »Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache im spätmittelalterlichen Köln. Rahmenbedingungen und Akteure« eine spezifische Ausformung von früher deutscher Schriftlichkeit in der Stadt Köln in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die bei Gottfried Hagen, Stadtschreiber und Verfasser der wohl ersten deutschen Reimchronik, ihren Ausgang nimmt. Damit einher gehen Fragen nach den Bedingungen, die eine Ablösung des Lateinischen durch das Deutsche begünstigten, der Ausbildung der Schreiber und deren Schulungsmaterialien sowie den sprachlichen Variationen und Varietäten, die sich in den überlieferten Texten zeigen. Thomas Klein und Robert Peters behandeln »Niederdeutsche Schreiber, Gottfried Hagen und die Anfänge der deutschsprachigen Urkunde in Köln«. Zeitlich konzentriert auf den Zeitraum zwischen 1251 bis 1263 betrachten

Vorwort

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sie die (Herkunft der) Schreiber der deutschsprachigen Urkunden – Konzepte und Reinschriften – und analysieren diese, zum Teil unter Hinzuziehung von morphologischen und lexikalischen Kriterien, graphematisch-phonologisch im Detail im Vergleich mit zeitgenössischen und späteren Textexemplaren weiterer Textsorten. Die Ergebnisse werden vor der Folie der Bedeutung Westfalens und des Niederrheins für Köln und unter Einbezug der Zusammenhänge zwischen Latein und Deutsch als Urkundensprachen bewertet. Georg Cornelissens Beitrag »Die Kölner Sprachgeschichte nach 1500 – Ergebnisse und Desiderate der Forschung« setzt mit dem Prozess des Sprachwechsels von Kölnisch als ripuarischer Schreibsprache zur neuhochdeutschen Schriftsprache im 16. Jahrhundert ein. Im Laufe des Beitrags verschiebt sich der Fokus von der Schriftlichkeit auf die Mündlichkeit und liegt schließlich auf dem kontinuierlich voranschreitenden Dialektab- bzw. -umbau sowie auf Klischees, die mit dem heutigen Kölschen und der Marke »Kölsch« verbunden sind. Im Beitrag von Arend Mihm, der von einem engen Zusammenhang zwischen historischen Schreibsprachen und der damaligen Mündlichkeit ausgeht, steht der Sprachwechsel vom Regiolekt zur Standardsprache im Vordergrund. Wie aus dem Titel »Druckersprachen, Stadtvarietäten und die Entstehung der Einheitssprache – Köln und Erfurt als Beispiel« hervorgeht, kontrastiert er je eine west- und ostmitteldeutsche Hauptstadt. Untersuchungsgrundlage ist Arnt Buschmanns Mirakel. Annika Woggan stellt mit ihrem Beitrag »Dit is der lant friede … Zur Syntax frühneuzeitlicher Titelblätter aus dem westmitteldeutschen Raum« einen Teilbereich des Rostocker Forschungsprojekts »Die Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts« vor. Anhand der zwölf im Gesamtkorpus enthaltenen Titelblätter aus dem Kölner Raum werden die syntaktischsemantischen Spezifika von Titelblättern im Wandel der Zeit vorgestellt, wobei den titelblatteröffnenden Ganzsätzen besonders viel Raum gegeben wird. Schließlich werden die Strukturen dieser zwölf Titelblätter mit denen des Gesamtkorpus verglichen. Die folgenden beiden Beiträge befassen sich mit niederdeutschen Texten des Stadtrechts: Daniel Solling (»Die Stellung des attributiven Genitivs im Lübischen Stadtrecht und in den Rüthener Statutarrechten«) untersucht anhand des Lübischen Stadtrechts und der Rüthener Statutarrechte die Zusammenhänge zwischen Syntax und Semantik bei der Stellung des attributiven Genitivs. Nadine Wallmeier (»Handlungsstrukturen in spätmittelalterlichen Stadtrechten«) nimmt Handlungsstrukturen als Ausgangspunkt, die sich aufgrund des Artikelaufbaus und der sprachlichen Formen für moderne Gesetzestexte feststellen lassen, um spätmittelalterliche Stadtrechtsaufzeichnungen aus Braunschweig, Stade, Goslar und Duisburg näher zu beleuchten. Sie schließt dabei einen Vergleich mit dem Landrechtsteil des Sachsenspiegels ein.

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Claudia Wich-Reif

Matthias Schulz skizziert mit seinem Beitrag »Stadtsprachen in historischen Bibliotheksbeständen: der Schreibsprachenwechsel in Greifswald im Spiegel der Bibliothek des geistlichen Ministeriums« die Möglichkeiten und Herausforderungen, die die Rekonstruktion sprachlichen Handelns in der Stadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit – bei einer heterogenen Überlieferungslage – bieten (u. a. die Ablösung der Handschrift durch den Druck und das Aufkommen hochdeutscher Schriftlichkeit im niederdeutschen Raum). Petra Kourukmas (»Amtssprache und Privatsprache in Nürnberg im 16. Jahrhundert: Die Partikel doch«) überprüft, ob die Partikel doch als Indikator fungieren kann, Amtssprache und Privatsprache in Nürnberg im 16. Jahrhundert als Nähebzw. Distanzsprache zu erfassen. Dafür wählt sie die Sprachhandlung der Aufforderung, die als Bitte interpretiert werden kann, aus zum Teil noch nicht edierten Briefen von Nürnberger Bürgern und Institutionen. Die zwei letzten Beiträge beschäftigen sich mit textlinguistisch-pragmatischen Fragestellungen: Gisela Brandt (»Deutsche Zeitungen in Städten des Baltikums (eine textlinguistische Studie)«) wählt die ersten deutschen Periodika aus Städten des Baltikums als Gegenstand einer textlinguistischen Analyse. Einerseits geht es um die Genese und Geschichte der Blätter, andererseits um die in ihnen enthaltenen Textsorten. Anna Just schließlich stellt die »Städtische Korrespondenzen des 16. und 17. Jahrhunderts in Liegnitz« im Kontext einer Sammelhandschrift mit dem Titel Schreiben und ReScripte von Frauen und PrinceSSinnen aus dem Liegnitz(er) FürSten HauSe (1546 – 1678) vor. In einem ersten Schritt werden Probleme und mögliche Prinzipien der Edition der Sammelhandschrift vorgestellt, im Anschluss werden Sender-Empfänger-Bezüge und in den Briefen angesprochene Themen behandelt. Für die finanzielle Unterstützung der Tagung sowie einen Druckkostenzuschuss zum vorliegenden Tagungsband bedanken wir uns herzlich bei der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR), für die Bereitstellung ihrer wunderbaren Räumlichkeiten bei der Katholischen Hochschulgemeinde Bonn (KHG), für die Unterstützung bei der Vorbereitung, beim Ablauf der Tagung, bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge des vorliegenden Bandes bei Brynia Becker, Thomas-Sebastian Bertram, Eva Büthe-Scheider, Elfie Döring, Elena Kohn und Charlotte Rein. Gleichermaßen herzlich danken wir auch den für die Drucklegung Verantwortlichen bei Bonn University Press. Bonn, im August 2014 Claudia Wich-Reif im Namen der Herausgeberinnen

Vorwort

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Literatur Bianchi, Patricia / De Blasi, Nicola / De Caprio, Chiara / Montuori, Francesco (Hgg.) (2012): La variazione nell’italiano e nella sua storia. Variet— e varianti linguistiche e testuali. Atti dell’XI Congresso SILFI, Societa` internazionale di linguistica e filologia italiana, Napoli, 5 – 7 ottobre 2010. 2 Bde. – Firenze: F. Cesati (Quaderni della Rassegna 75). Ernst, Gerhard / Gleßgen, Martin-Dietrich / Schmitt, Christian / Schweikhard, Wolfgang (Hgg.) (2006): Romanische Sprachgeschichte / Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen / Manuel international d’histoire linguistique de la Romania. New York: Mouton – de Gruyter. Teilbd. 2 (Handbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaften 23.2). Schrott, Angelika / Völker, Harald (Hgg.) (2005): Historische Pragmatik und historische Varietätenlinguistik in den romanischen Sprachen. – Göttingen: Göttinger Universitätsverlag.

Manfred Groten (Bonn)

Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache im spätmittelalterlichen Köln. Rahmenbedingungen und Akteure

1.

Einleitung

Die Kölner Bürger haben sich schon seit den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts der Schriftlichkeit bedient (vgl. Groten 1985). Das ist für deutsche Verhältnisse außerordentlich früh. Bis über die Mitte des 13. Jahrhunderts hinaus haben sie allerdings eisern an der lateinischen Sprache für ihre pragmatische Schriftlichkeit festgehalten. Die Idee, die Schreinskarte des Kirchspiels St. Laurenz auf Deutsch zu führen, wurde in den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts bald wieder aufgegeben.1 Angesichts der Tatsache, dass die Schreinsnotizen auf Verhandlungen basieren, die in einer hoch formalisierten deutschen Rechtsprache geführt wurden, von der wir in der im gefälschten Burggrafenschied überlieferten Ladungsformel ein Beispiel haben,2 muss dieses Scheitern einigermaßen verwundern. Es erklärt sich wohl aus der Aura der Selbstverständlichkeit, die die lateinische Schriftlichkeit umgab. Den Bürgern standen auch genügend lateinkundige Kleriker für ihre Zwecke zur Verfügung. Die »Erfindung« einer deutschen Schriftsprache in Köln war das Werk eines Mannes namens Gottfried, der sich selbst einmal als Meister Godefrit Hagene bezeichnet hat.3 Der hier verwendete Begriff »Erfindung«, der zunächst etwas befremden mag, lässt sich verteidigen. Gottfried hatte zwar kölnische Wurzeln, war aber vermutlich in Xanten aufgewachsen, wo sein Vater Kanoniker am Viktorstift war. Seine Muttersprache war demnach kein stadtkölnischer Dialekt. 1 Vgl. Hoeniger 1884 – 94: Bd. 1, 223 (L2I5), 236 – 237 (L3II2, 6), 238 – 239 (L3III2 – 8). Vgl. zu den Notizen Gärtner 1994, zur Kölner Schreibsprache des 12. Jahrhunderts allgemein Mihm 1999. 2 Druck: Beyerle 1913: 398 – 404, hier 400: Einin N. van N. clagin umbe die offene wu˚nde ove bliginde dait ove doitslag ove rouf ove schaig ove umbe noitzoch ove van wilgir noit dat si, den heisg ich her in einewerve, andirwerve, dirdewerve inde bannene mit minin banne her in dinc ce rehteme gerihte. Zur Echtheitskritik vgl. Groten 1982: 48 – 66. 3 Gärtner / Rapp / Welter 2008: 245 V. 6291. Zur Biographie Gottfrieds vgl. Groten 1997, dort weitere Literatur. Die Verwendung des Begriffs ›Schriftsprache‹ statt ›Schreibsprache‹ in diesem Beitrag folgt der in der Geschichtswissenschaft gebräuchlichen Terminologie.

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Manfred Groten

In seinen Texten findet man gelegentlich Spuren einer Sprache, die nicht dem kölnischen Sprachstand entspricht (Formen wie Guleke statt Guleche, sueken statt soichen, verbreke statt verbreiche).4 Gottfried hat also aus einer gesprochenen Sprache, die nicht die seine war, eine Schriftsprache geschaffen, die – natürlich mit jeweils zeittypischen Veränderungen5 – bis in das frühe 16. Jahrhundert die pragmatische Schriftlichkeit der Kölner Ratskanzlei geprägt hat. Man könnte ihn mit Stephan Habscheid (1997: 39 – 40) als determinanten Schreiber bezeichnen. Zu einer von Gottfried Hagen hergestellten Sühneurkunde vom 25. August 1263 ist ein in flüchtiger Konzeptschrift geschriebener Entwurf erhalten, dessen schmucklose Sprache den »Ausrutschern« in Gottfrieds Reinschriften sehr nahe steht.6 Mit paläographischen Methoden lässt sich mangels Vergleichsmaterials nicht beweisen, dass Gottfried den Entwurf in einer Sprache geschrieben hat, die ihm leicht von der Hand ging. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß. Die Sprachformen des Entwurfs weisen jedoch nicht in den niederrheinischen Raum um Xanten.7 Wenn Gottfried dort aufgewachsen sein sollte, was wir nicht sicher wissen, käme er als Schreiber des Entwurfs nicht in Frage. In jedem Fall zeigt der Vergleich von Entwurf und Reinschrift, wie artifiziell die kölnische Schriftsprache, um die es im Folgenden gehen soll, in ihrem Frühstadium war.

2.

Entstehungsbedingungen einer stadtkölnischen Schriftsprache

Um Missverständnissen vorzubeugen, ist vorweg darauf aufmerksam zu machen, dass es in Köln im Spätmittelalter durchaus verschiedene Formen deutscher Schriftlichkeit gegeben hat. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass in der Stadt für verschiedene Auftraggeber und vielleicht auch in privatem Rahmen geschrieben worden ist. Die Sprache, deren Erfindung im Folgenden dargestellt werden soll, kann man als Sprache der städtischen Kanzlei bezeichnen. Daneben sind vor allem auch in den Kirchspielen deutsche Texte entstanden (vgl. Buyken / Conrad 1936). Wenden wir uns zunächst der Ereignisgeschichte zu: Erzbischof Konrad von Hochstaden hatte im Jahre 1259 durch geschicktes Taktieren und beherztes 4 Groten 21998: 237. – Dornfeld 1912: 221 – 224 verortet diese Sprache im Nordwesten des ripuarischen Gebietes. 5 Zur Untersuchung einer Quelle aus der Zeit ab 1353, die allerdings nicht aus der Ratskanzlei stammt, vgl. Langenbucher 1970. 6 Druck: Schellenberger 1974: 128 – 130 (fehlerhaft), Groten 21998: 321 – 322. Zum Text vgl. Groten 21998: 236 – 237. 7 Für diesen Hinweis danke ich Thomas Klein.

Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache

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Handeln die bürgerliche Elite der »guten Leute« aus dem Kölner Stadtregiment verdrängt (Groten 21998: 180 – 206). Nach einer Revolte wurden die führenden Vertreter der Schöffengeschlechter aus Köln verbannt. Die Regierung der Stadt übernahmen neue Schöffen, die sich rasch als willfährige Kreaturen des Erzbischofs erwiesen. Bald sehnten sich die Kölner Bürger nach den guten alten Zeiten unter der Herrschaft der alten Geschlechter zurück. Engelbert von Valkenburg, der 1261 die Nachfolge Erzbischof Konrads antrat, hatte nicht das politische Gespür seines Vorgängers (vgl. Groten 21998: 257 – 269). Er versuchte seinen Machthunger in recht grobschlächtiger Weise zu befriedigen und brachte damit die gesamte Bevölkerung Kölns gegen sich auf. Am 8. Juni 1262 bemächtigten sich die Bürger der Tore und ließen die verbannten guten Leute in die Stadt ein. Die 1259 entmachteten Geschlechter übernahmen wieder das Stadtregiment. Erzbischof Engelbert hat sich mit seiner Niederlage nie abgefunden. In immer neuen Anläufen hat er versucht, die uneingeschränkte Herrschaft über Köln wiederzuerlangen. Der Starrsinn des Stadtherren zwang die Kölner Geschlechter, sich nach Bundesgenossen gegen Engelbert umzusehen. In dieser Situation tritt Magister Gottfried Hagen in das Licht der Geschichte. Der Magistergrad verweist auf die akademische Bildung des Klerikers Gottfried, die auch juristische Kenntnisse umfasste. Auf den 9. Juni 1262 ist die erste Urkunde datiert, die er für die Kölner Bürger geschrieben hat.8 Es handelt sich um einen Freundschaftsvertrag der Stadt mit dem Grafen von Berg, in dem dieser gegen Zahlung von 2.000 Mark zusicherte, dass von seinem Land aus kein Angriff auf Köln ausgehen werde. Die Urkunde hat Gottfried in deutscher Sprache verfasst. Es ist nicht die erste aus Köln überlieferte deutsche Urkunde. 1257 und 1258 hat ein der bürgerlichen Opposition gegen die herrschenden Geschlechter nahe stehender Schreiber zwei deutsche Urkunden geschrieben, eine weitere von 1258 stammt von der Hand eines Schreibers in erzbischöflichen Diensten.9 Gottfrieds Urkunden sollten aber im Gegensatz zu denen seiner Vorgänger stilbildend wirken. Sein Vertragstext vom 9. Juni 1262 wurde flankiert von zwei lateinischen Urkunden, die der 1258 kalt gestellte Stadtschreiber geschrieben hat, der im Zuge des Revirements von 1262 sein Amt wieder ausüben durfte.10 Gottfried wurde also 1262 keineswegs sofort zum Stadtschreiber ernannt, man hat ihn vielmehr ausschließlich mit der Herstellung deutscher Urkunden betraut. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts war die Befähigung zum Schreiben deutscher Urkunden noch nicht sehr verbreitet. Schreiben lernen hieß zu dieser 8 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 431 = Wilhelm 1932: Nr. 60. 9 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 387, 382, 381 = Wilhelm 1932: Nr. 37, 42, 43, Abbildung von Nr. 42 bei Schellenberger 1974: 184. Vgl. Groten 21998: 183 – 184. 10 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 432, 433.

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Manfred Groten

Zeit in der Regel noch lateinisch schreiben lernen, ein komplexer Vorgang angesichts der Schreibpraxis mit Ligaturen und einer Kombination von verschiedenen Kürzungssystemen. Varianz galt als Ausweis der Kunstfertigkeit eines Schreibers. Eine entsprechende deutsche Praxis musste erst entwickelt und von einem Meister an Schüler weitergegeben werden. Mit der Sprache korrespondierte eine je eigene Federführung. Gottfried Hagens deutsche und lateinische Schrift weist bei gleichem Duktus deutlich erkennbare Unterschiede auf.11 Wo er seine deutsche Schreibkompetenz mit ihren typischen Graphien erworben hat, ist nicht bekannt. Bei den beiden Schreibern der deutschen Urkunden von 1257/ 58 ist er, wie ein Vergleich mit deren Texten zeigt, nicht in die Lehre gegangen. Ebenso wenig wissen wir, in welchem Zeitraum und in welcher Intensität er den Kölner Dialekt sprechen gelernt hat. Unter dem Datum des 16. Juni 1262 schrieb Gottfried Hagen die erste Sühneurkunde zwischen den Kölner Bürgern und Erzbischof Engelbert.12 Anschließend entwickelte er ein Konzept für den Aufbau eines Netzwerks von Bündnissen zwischen Köln und den Grafen und Herren des Umlandes, das bis in die Neuzeit hinein ein zentraler Baustein in der Sicherheitsarchitektur der Stadt Köln bleiben sollte (vgl. Domsta 1973; Groten 21998: 233 – 236). Am 7. Mai 1263 erklärte Graf Wilhelm von Jülich, dass er und seine Nachkommen gegen die Zahlung einer Jahresrente die Rechte und Pflichten eines Kölner Bürgers übernehmen würden.13 Die rheinischen Grafen und Herren auf das Bürgerethos zu verpflichten, war ein Geniestreich Gottfrieds, dessen Hintergründe hier nicht erörtern werden können.14 Nach dem Muster des Jülicher Außen- oder Edelbürgervertrags wurden in der Folgezeit weitere Verträge geschlossen.15 Alle hat Gottfried Hagen geschrieben und wohl auch federführend ausgehandelt. Insgesamt schrieb er von 1262 bis 1264 19 deutsche Vertrags- und Sühneurkunden. Die Frage, die sich hier aufdrängt, lautet natürlich: Warum wichen die Kölner Verantwortlichen 1262 von ihrer althergebrachten Praxis ab, ihre Rechtsgeschäfte in lateinischer Sprache aufzeichnen zu lassen? Die plausibelste Erklärung ist die, dass die Verwendung der deutschen Sprache ein Entgegenkommen gegenüber den adligen Vertragspartnern darstellen sollte, denen die deutsche Sprache wohl lieber war als die lateinische. Der Sprachwechsel wäre also als Aneignung einer volkssprachlichen Adelskultur zu verstehen. Diese Interpretation geht sicherlich nicht fehl, es muss aber noch ein weiterer Aspekt be11 Abbildungen bei Groten 21998 am Schluss des Bandes und Groten 1997: 50, 51. 12 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 434 = Wilhelm 1932: Nr. 61. 13 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 449 = Wilhelm 1932: Nr. 69, Abbildung bei Schellenberger 1974: 185. 14 Vgl. hierzu Groten 21998: 233 – 236. 15 Vgl. Ennen / Eckertz 1863: Nr. 450, 456, 457, 459, 470, 471 = Wilhelm 1932: Nr. 70, 71, 72, 74, 85, 86, Abbildung von Nr. 74 bei Schellenberger 1974: 186.

Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache

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rücksichtigt werden. Auch die Geschlechter, die sich nach 1262 anschickten, die Macht in der Stadt Köln zu übernehmen, allen voran das Geschlecht der Overstolz, schätzten die ritterliche Kultur des Adels (vgl. Groten 21998: 152). Das zeigen nicht nur die noch erhaltenen Fresken mit ritterlichen Kampfszenen aus dem Kölner Overstolzenhaus, auch das Buch von der Stadt Köln, das Gottfried Hagen in der Sprache gedichtet hat, die er für seine Urkunden entwickelt hatte, steht in der Tradition der epischen Verklärung des Rittertums. Gottfried Hagens Reimchronik,16 auf deren Inhalt hier nicht näher eingegangen werden kann, hat für die Etablierung einer Schriftsprache in Köln vielleicht noch größere Bedeutung gehabt als seine Urkunden. In diesem Werk, das im Wesentlichen im Jahre 1270 entstanden ist, wurden erstmals die städtischen Gründungsmythen erzählt und die Grundlagen der bürgerlichen Lebensordnung exemplarisch aufgezeigt (vgl. Groten 21998: 246 – 257). Gottfried hat die Dichtung für die bürgerliche Elite der Overstolz und ihrer Bundesgenossen verfasst, die 1268 nach dem Sieg über das Geschlecht von der Mühlengasse die Macht in der Stadt an sich reißen konnten (vgl. Groten 21998: 291 – 301). Die Rezeptionsgeschichte der Reimchronik liefert Indizien für die Annahme, dass das Werk in der städtischen Kanzlei aufbewahrt wurde. Es diente nicht nur zur Unterhaltung und Erbauung der Ratsherren, sondern auch als Arsenal zur Verteidigung der städtischen Freiheiten. Fassen wir an diesem Punkt zusammen: Man kann in Köln die Entstehung einer Schriftsprache, die sowohl für Zwecke der pragmatischen Schriftlichkeit des Rates als auch für literarische Texte verwendet werden konnte, mit einer konkreten Person in Verbindung bringen, mit Magister Gottfried genannt Hagen.

3.

Rahmenbedingungen der Tradierung der stadtkölnischen Schriftsprache

Nun ist noch zu zeigen, wie die Tradierung dieser Schriftsprache vonstatten gegangen ist. Dafür müssen wir unser Augenmerk auf die Kanzlei des Kölner Rates richten. Der Begriff Kanzlei ist in Misskredit geraten, weil er für viele Mediävisten einen zu stark institutionellen Anstrich hat. Dennoch erweist er sich als brauchbar, wenn man ihn nicht zu eng definiert: Eine Kanzlei besteht da, wo von der Intention her auf Dauer, nicht auf das Wirken einer einzelnen Person beschränkt, pragmatische Schriftlichkeit stattfindet (vgl. Groten 2010: 231 f.).

16 Edition Gärtner / Rapp / Welter 2008. Dort XXXI f. zu den älteren Ausgaben.

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Manfred Groten

Wie sahen die Verhältnisse in Köln konkret aus? Schon seit dem frühen 13. Jahrhundert gab es einen fest angestellten Stadtschreiber (vgl. Groten 21998: 55 – 57). In der Regel konnte dieser Mann die anfallenden Aufgaben alleine bewältigen, manchmal blieb sogar noch Zeit für Nebentätigkeiten. Wenn dem Stadtschreiber jedoch aus diesem oder jenem Grund die Geschäfte über den Kopf wuchsen, wurden zusätzliche Schreiber, sozusagen auf Werksvertragsbasis, herangezogen. Gottfried Hagen haben wir schon in dieser Rolle kennen gelernt. Am besten sind wir über die Anfertigung des sog. Weißen Buches im Jahre 1326 unterrichtet (vgl. Groten 2005). Verantwortlich für die Herstellung dieses Kopiars war der overste scriver der Stadt, meister Arnolt. Zur Bewältigung der außergewöhnlichen Arbeitsbelastung zog der Stadtschreiber acht Helfer hinzu. Es handelte sich um zwei als kaiserliche Notare (tabellien) bezeichnete Männer, nämlich Magister Wichart und Johann Kusian, weiterhin um Nikolaus von Ahrweiler, Johann von Kerpen, Winand von Barrenstein und den Stadtboten Alexander, die ebenfalls Notare genannt werden, sowie schließlich um den früheren Boten Christian und seinen Sohn, den Stadtboten Peter. Von den Hilfsschreibern standen nur die beiden Boten mit fester Besoldung in Höhe eines halben Sekretärsgehalts in städtischen Diensten.17 Bei den übrigen handelt es sich um Männer, die eine Schulausbildung durchlaufen hatten und anschließend ihren Lebensunterhalt als Schreiber verdienten. Sie besaßen wohl die niederen Weihen, hatten aber keine kirchlichen Pfründen erwerben können. Zwei von ihnen waren förmlich zu öffentlichen Notaren ernannt worden. Offenbar suchten Männer mit einem solchen Bildungshintergrund Kontakt zur städtischen Kanzlei. Durch Hilfstätigkeiten lernten sie die Kanzleigebräuche kennen und qualifizierten sich damit für größere Aufgaben. Sie tauchen als Schreiber bei den städtischen Gerichten und in der im 14. Jahrhundert zunehmend schriftlich geführten Finanzverwaltung auf.18 Für junge Kleriker hatte die Kanzlei die Funktion einer Weiterbildungsstätte (vgl. Groten 2010: 219 – 223). Die informelle Ausbildungstätigkeit dürften die Stadtschreiber gerne ausgeübt haben, konnten sie doch mit ihrer Hilfe einen Kreis von Schreibkundigen um sich versammeln, aus dem bei Bedarf Hilfskräfte rekrutiert werden konnten. Man kann sich einen solchen Kreis als Klientelverband mit dem Stadtschreiber als Patron vorstellen. Unter den Nachfolgern Gottfried Hagens blieb die Dominanz der lateinischen Urkundensprache weiter erhalten.19 In geringer Zahl wurden aber auch weiterhin deutsche Urkunden ausgefertigt. Bei den regelmäßig anfallenden Erneue17 Vgl. Stein 1893: 14 (1321 Stadtschreiber 60 Mark pro Jahr, die Boten Alexander und Christian 30 Mark, Peter als »Lehrling« 15 Mark). 18 Zur Finanzverwaltung vgl. Knipping 1897. 19 Vgl. zur Verwendung der lateinischen und der deutschen Sprache Hoffmann 1980.

Erfindung und Tradierung einer städtischen Schriftsprache

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rungen der Edelbürgerverträge beim Wechsel von einer Generation zur nächsten wurden jeweils Gottfrieds Texte als Vorlagen verwendet, so in den Jahren 1289, 1293 und 1299.20 Diese Praxis deutet darauf hin, dass Gottfrieds Urkunden im Rahmen der Ausbildung junger Kleriker in der Kanzlei als Schulungsmaterial verwendet wurden. Auf diese Weise erhielt die von ihm verwendete Sprachform eine gewisse Vorbildfunktion, die ihre Tradierung bewirkte. Heinrich, der Nachfolger Gottfried Hagens als Stadtschreiber, begründete in seiner Amtszeit (bis 1321) eine Dokumentation der Tätigkeit des Kölner Rates, der zur führenden Institution des Stadtregiments aufgestiegen war.21 Im Auftrag des Rates kam es im Laufe des 14. Jahrhunderts zu einer deutlichen Ausweitung der pragmatischen Schriftlichkeit, auch in deutscher Sprache. Das zeigt das 1321 angelegte erste Eidbuch des Rates.22 In diesem Buch wurden Ratsbeschlüsse und Eide gesammelt, zu deren Beachtung sich die jeweils neu eintretenden Ratsherren eidlich zu verpflichten hatten. Knapp die Hälfte der erhaltenen Einträge ist in deutscher Sprache verfasst. Die weitere Intensivierung der deutschen Schreibtätigkeit lässt sich im ersten erhaltenen Briefkopienbuch des Rates verfolgen, das 1367 einsetzt (vgl. Keller 1882). Nicht nur Gottfried Hagens Urkunden haben Schule gemacht, auch seine Dichtung geriet in der städtischen Kanzlei nicht in Vergessenheit. Nach der Beseitigung der von März 1370 bis November 1371 währenden Weberherrschaft, die das Regierungsmonopol der Geschlechter beseitigte, fügte ein wenig begnadeter Autor die Geschichte dieser für das Kölner Patriziat traumatischen Umsturzperiode als neues Kapitel an Gottfrieds Buch von der Stadt Köln an (vgl. Militzer 1980: 151 – 182). Walter Stein hat sich dafür ausgesprochen, den Verfasser mit dem in der Finanzverwaltung tätigen Schreiber Heinrich von Lintorf zu identifizieren (vgl. Stein 1899). Die kleine Reimchronik von der Weberschlacht wäre dann in der Kanzlei als Auftragsarbeit des Rates nach dem Vorbild von Gottfrieds Buch von der Stadt Köln verfasst worden.23 Die beiden Dichtungen sind gemeinsam in einer aus dem Kölner Stift Herrenleichnam stammenden Frankfurter Handschrift aus der Zeit um 1440 überliefert (Frankfurt, Stadt- und Universitätsbibliothek, Ms. Germ. 88 26).24 Die 480 Verse der »Weberschlacht«, zu denen sich noch 40 aus der Koelhoffschen Chronik rekonstruieren lassen, folgen eng, an einer Stelle sogar fast wörtlich, der patrizier-

20 Vgl. Ennen 1867: Nr. 335, 387, 480 = Wilhelm / Newald 1943: Nr. 1076, Wilhelm / Newald / de Boor / Haacke 1957: Nr. 1758, Wilhelm / Newald / de Boor / Haacke 1963: Nr. 3470. 21 Vgl. Groten 2001: 552. – Zu Heinrich vgl. Stein 1893: CXVIII f. 22 Vgl. Edition Stein 1893: 3 – 24. Zur Einordnung in die Entwicklung des Schriftwesens vgl. Groten 2001: 553 – 554. 23 Vgl. Edition Cardauns / Schröder 1875a. Vgl. Honemann 1999. 24 Handschriftenbeschreibung bei Gärtner / Rapp / Welter 2008: XXVIII.

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freundlichen Darstellungsweise Gottfrieds.25 Somit zeigt der Text, dass Gottfrieds Werk noch nach einem Jahrhundert in Gattung und Sprache stilbildend für die städtische Erinnerungskultur war. Die Rezeption der Dichtungen im Kölner Stift Herrenleichnam um 1440 und ihre Einarbeitung in die Koelhoffsche Chronik von 1499 sind sogar Zeugnisse für ihr Fortleben nach dem Umsturz von 1396. Dabei hatte Gerlach vom Hauwe 1396 eine neue Form der offiziösen Geschichtsschreibung eingeführt.26 Der gebürtige Kölner wurde 1389 an der Universität seiner Heimatstadt immatrikuliert. Seit dem 1. Oktober 1395 führte er die Schreinsbücher, und zwar im Gegensatz zu seinen lateinisch schreibenden Vorgängern von Anfang an auf Deutsch. Nach dem Sturz der Geschlechterherrschaft 1396 war er für die Endredaktion des Verbundbriefs zuständig (vgl. Keussen 1888). Damit schuf er einen grundlegenden Verfassungstext, der bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit in Geltung bleiben sollte. Zur Rechtfertigung des Umsturzes von 1396 schrieb er den Prosabericht »Das neue Buch«.27 Dieser Text, der nie über das Entwurfsstadium hinausgekommen ist, markiert einen Bruch mit der von Gottfried Hagen begründeten epischen Inszenierung der städtischen Erinnerungskultur. Gerhard selbst verstrickte sich 1399 in Intrigen mit den entmachteten Geschlechtern und wurde hingerichtet. Das 15. Jahrhundert war die Blütezeit der Kölner Kanzleisprache. Die gesamte innerstädtische Schriftlichkeit wurde in Deutsch abgewickelt. In der Korrespondenz mit außerstädtischen Partnern kamen auch die lateinische Sprache und an die Sprachformen der Adressaten angepasste Varietäten des Deutschen zum Einsatz (vgl. Möller 1998). Die im 15. Jahrhundert in der Kölner Kanzlei verwendeten Sprachformen weisen allerdings eine größere Variationsbreite auf als im 14. Jahrhundert. Das hängt wohl damit zusammen, dass im 15. Jahrhundert neue Lernorte für deutsche Schriftkompetenz entstanden waren. Es handelt sich um die städtischen Pfarrschulen, die zwar grundsätzlich Latein als Unterrichtssprache beibehielten, den Schülern daneben aber auch häufig deutsches Schreiben beibrachten (vgl. Herborn 2006). Neben den Pfarrschulen dürfte es auch eher kurzlebige Privatschulen gegeben haben. In diesen Schulen gelernte deutsche Schreibfertigkeiten finden sich nicht nur in an den Rat gerichteten Suppliken von Bürgern, sondern auch in den Testamenten von in Köln wirkenden Notaren, ja hin und wieder sogar bei Schreibern der städtischen Verwaltung.

25 Cardauns / Schröder 1875a: 250 (dat Coellen die gude stat / mit sulchen raitzluden wart besat, V. 277 f.) nach Gärtner / Rapp / Welter 2008: 46 (dat van Coelne die hilge stat / mit sulchen eselen was besat, V. 1254 f.). 26 Zur Person Stein 1893: CXXVIII f. 27 Edition Cardauns / Schröder 1875b. – Vgl. Beckers 1987.

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Zu berücksichtigen ist auch die 1388 gegründete Kölner Universität, die Studenten aus dem gesamten Nordwesten des Reiches anzog. Der Kölner Rat berief Absolventen und Lehrende der Universität in seine Dienste. Mehrere Sekretäre und fast alle Rechtsberater wurden über die Universität rekrutiert.28 Die nicht aus Köln stammenden Akademiker passten ihre außerhalb Kölns erworbenen deutschen Schreibgewohnheiten nicht unbedingt an den Kölner Kanzleistandard an. Ein prominentes Beispiel für die konsequente Verwendung von Formen, die von der Kanzleitradition deutlich abweichen, liefert aber auch der von 1523 bis 1543 als städtischer Kanzler fungierende Peter Bellinghausen.29 Er war gebürtiger Kölner, wurde 1509 in Köln immatrikuliert und erwarb nach einem Studium des römischen Rechts 1518 den Doktortitel. Anschließend lehrte er bis zu seinem Tod in der juristischen Fakultät der Kölner Universität. Seine eigenwillige Orthographie hat mehrere Editoren aus der Bahn geworfen. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verlor die ripuarische Schriftsprache überhaupt ihre dominante Stellung in Köln. Hermann Weinsberg notierte 1584: Ja, die wort, so man spricht, lauten nit, wie vormails. Itz ist in Coln ein ander pronunciation und maneir zu reden, dan vor sesszich jaren, die littern werden versatzst, das e in a verwandelt, oberlendische oder nederlendische wort instat der alter colnischer sprachen, latinische wort instat der deutzen gebraucht. (Lau 1897: 232 f.)

Die wachsende Toleranz gegenüber Standardabweichungen ermöglichte eine weiträumige Rekrutierung des Kanzleipersonals. Der Kölner Sekretär Antonius Heresbach (Hirtzbach) (1544 – 67) stammte aus Boppard (vgl. Groten 1989: XXVI f.), sein Kollege Laurenz Weber vom Hagen (1547 – 94) aus Sachsen (vgl. ebd. XXXI). Konsequenz der neuen Entwicklung war, dass die stadtkölnische Kanzlei ihre Funktion als Ausbildungsstätte weitgehend verloren haben muss. Ihr Personal kam schon im 15. Jahrhundert in der Regel mit ausreichender deutscher Schreibkompetenz in den Dienst. Die weitere Ausbildung konnte sich auf die Einweisung in die konkreten Kanzleigewohnheiten beschränken. Damit brach die Tradition ab, die das Werk Gottfried Hagens begründet hatte.

28 Zahlreiche Belege in der Liste der kölnischen Räte und Schreiber bei Stein 1893: CXVIII – CLXXIX. Vgl. Nr. 34 – 36, 39, 41, 42, 44, 46, 48, 51 – 61, 63, 66, 67 – 69, 71, 75, 77. 29 Schriftprobe bei Groten 1989: XXXII, zur Person dort XXIII, XXV.

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Manfred Groten

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Thomas Klein (Bonn) und Robert Peters (Münster)

Niederdeutsche Schreiber, Gottfried Hagen und die Anfänge der deutschsprachigen Urkunde in Köln1

1.

Die ersten deutschsprachigen Urkunden in Köln

Die Anfänge der volkssprachigen Urkunde im Rheinland sind eng verbunden mit dem Kölner Stadtschreiber Gottfried Hagen (ca. 1230 – 1299), der im Zeitraum von 1262 bis 1274 mit wenigstens 23 Urkunden (Habscheid 1997: 252 – 254) den Großteil der bis dahin im Rheinland entstandenen deutschen Urkunden geschrieben hat. Größere Bedeutung hat Gottfried Hagen freilich als Verfasser der 1270 entstandenen Reimchronik der Stadt Köln, der wohl ersten deutschen Stadtchronik.2 Gottfried Hagen war jedoch nicht der erste, der in und im Umkreis von Köln deutschsprachige Urkunden schrieb. Vor seiner ersten Urkunde vom 9. Juni 1262 sind seit 1251 im ripuarischen Rheinland bereits 17 deutsche Urkundenausfertigungen entstanden,3 davon sicher oder vermutlich zehn in Köln oder von Kölner Schreibern. Sechs dieser Urkunden stammen von einem unbekannten Schreiber, der im Folgenden mit Kurt Gärtner und Günter Holtus (1997: 80 ff.) als »Kölner Notar ›NN II‹« bezeichnet sei. Nach Manfred Groten (1998: 183 f.) arbeitete dieser Schreiber für die Gemeinde, während der mit einer Ausnahme nur lateinisch schreibende Stadtschreiber im Zeitraum von 1258 und 1262 »ganz in den Hintergrund« rückt (ebd.: 184). Ihm tritt dann 1262 Gottfried Hagen zunächst offenbar als Spezialist für deutschsprachige Urkunden zur Seite (ebd.: 232). Dass er in dieser Funktion den Gemeindeschreiber (NN II) ablöste, sieht Groten in der politischen Entwicklung in Köln begründet: Mit der Resti1 Dieser Aufsatz beruht auf einem Vortrag von Thomas Klein auf der Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung 2004 in Münster. Von Robert Peters stammt die Einordnung der niederdeutschen Sprachmerkmale anhand des Materials und der Karten des »Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA)« (vgl. dazu Fischer / Peters 2004; Peters / Fischer 2007). 2 Ausgabe: Gärtner / Rapp / Welter 2008; vgl. Dornfeld 1912; Beckers, VL. 3, 384 – 387; Wenzel 1977; Groten 2003. 3 Vgl. Gärtner / Holtus 1997: 80 – 83.

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Thomas Klein und Robert Peters

tution der Geschlechterherrschaft habe Schreiber II seinen Posten verloren. »An seine Stelle trat Gottfried, der demnach seine Beschäftigung den wieder an die Macht gelangten ›guten Leuten‹ verdankte. Von dieser Ausgangslage her ist die Parteinahme Gottfried Hagens für die Geschlechter verständlich.«4 Jedenfalls gebührt Schreiber II das Verdienst, »in der Stadt Köln […] die deutsche Sprache in die Urkunden eingeführt« zu haben (ebd.). Umso mehr muss es überraschen, dass NN II seiner Sprache zufolge nicht Kölner, sondern – wie weiter unten zu zeigen sein wird – niederdeutscher Herkunft war. Seine Schreibsprache weicht daher in verschiedenen Punkten sehr deutlich von jenem geregelten Schriftripuarisch ab, das die Urkunden Gottfried Hagens oder auch die des Kölner Domsubkustos Lambert kennzeichnet, der für Mechthild von Sayn tätig war (Bohn 2002: 440 ff.). Dies könnte ein weiterer Grund dafür gewesen sein, dass NN II Mitte 1262 von Gottfried Hagen als Schreiber deutschsprachiger Urkunden abgelöst wird. Danach ist er nur noch einmal tätig geworden: Am 1. Juni 1263 schrieb er in Bonn das Vidimus (U1) der von Gottfried Hagen geschriebenen Urkunde CAO 61. Thomas Bohn und Andrea Rapp (1995b: 254) vermuten daher, dass NN II nach dem Ende seiner Tätigkeit in Köln 1262 »(als Kanoniker?) an die erzbischöfliche ›Residenz‹ nach Bonn« gegangen sei. Hans Fuhrmann5 erwägt stattdessen, die sonst dem städtischen Schreiber II zugeschriebenen Urkunden, darunter CAO 37, CAO 42 A, CAO 59 und U1 (Düsseldorf, HSA, Kurköln 103), dem erzbischöflichen Schreiber CI zuzuweisen, von dem zahlreiche lateinische Urkunden des Erzbischofs Konrad von Hochstaden aus den Jahren 1246 bis 1260 stammen. Allerdings macht Fuhrmann selbst erhebliche Einschränkungen: Zum einen lasse sich »die Frage nach der Zugehörigkeit der Hand CI […] nicht lösen. Es kann sich sowohl um einen erzbischöflichen, stadtkölnischen oder auch keinem von beiden zugehörigen Schreiber gehandelt haben.« (Fuhrmann 2000: 104) Zum anderen habe er unter CI eine Gruppe paläographisch sehr ähnlicher Urkunden zusammengefasst, bei deren Abgrenzung »keine letzte Sicherheit« zu erlangen sei (ebd.: 105). Zumindest für die NN II zugewiesenen deutschsprachigen Urkunden wird die Zugehörigkeit zu ein und derselben Hand jedoch auch durch den Sprachstand mit seiner partiell niederdeutschen Färbung bestätigt. NN II ist nicht der einzige niederdeutsche Schreiber, der an der Frühphase der deutschen Urkunde in Köln bis 1263 beteiligt war. Auch bei den Schreibern CAO 56, Bl. 2 und CAO 75K lässt sich dies eindeutig nachweisen, bei dem Schreiber von CAO 62 hinreichend wahrscheinlich machen, und zwei weitere stehen zumindest in Verdacht, nicht-kölnischer, vermutlich niederdeutscher Herkunft zu sein (CAO 44 und 47). Der Fall CAO 75K ist dabei von zusätzlichem Interesse, da 4 Groten 1998: 232; ähnlich Bohn / Rapp 1995b: 254. 5 Fuhrmann 2000: 103 ff. u. Anm. 216 – 218.

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