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Interne Schulungsunterlage Impressum: Abteilung I/8 Schulpsychologie-Bildungsberatung Bundesministerium für Bildung und Frauen Minoritenplatz 5 1010 Wien
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Integration von schulpflichtigen Asylwerber/innen, anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten. Schulungsmappe für Schulpsychologie und Schulsozialarbeit
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Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an schulpflichtigen Asylwerber/innen, anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten werden im Bereich der Bildung in Zukunft mehr Pädagog/innen, Schulpsycholog/innen, Betreuer/innen sowie Klassengemeinschaften vor neuen Herausforderungen der Integration stehen.
Doch welche Herausforderungen treten aktuell auf bzw. sind in Zukunft zu erwarten? Wie begegnet man ihnen bestmöglich? Und welche vorhandenen Strukturen bzw. Abläufe können genutzt oder aber müssen entsprechend adaptiert werden?
Während über die Komplexität und Vielschichtigkeit des Integrationsprozess weitgehend Einigkeit besteht, greifen die Antworten auf die auftretenden Fragen oftmals zu kurz bzw. sind eindimensional. Im schrittweise verlaufenden Integrationsprozess, der unterschiedliche, aber stets miteinander verbundene rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Dimensionen aufweist, sind multidisziplinäre Lösungsansätze notwendig und maßgeblich für eine erfolgreiche Einbindung in die Gesellschaft.
Um den Herausforderungen im Integrationsprozess erfolgreich begegnen zu können, bedarf es der professionellen Begleitung der schulpflichtigen Zielgruppe sowie aller Beteiligten. Die Schulungsmappe „Integration von schulpflichtigen Asylwerber/innen, anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten Schulungsmappe für Schulpsychologie und Schulsozialarbeit“ bietet einleitend einen strukturierten Überblick zu relevanten Fakten und Wissen im Hinblick auf die Themenkomplexe Flucht, Asyl und Integration. Daran anknüpfend stellt es den in den Integrationsprozess involvierten Personen Handlungsmöglichkeiten für die Praxis vor, um auf die vielfältigen, sich gegenseitig beeinflussenden rechtlichen, wirtschaftlichen, kulturellen sowie sozialen Fragen angemessen reagieren zu können. Zu diesem Zweck sind in die Erstellung der Schulungsmappe Expert/innen aus den Fachbereichen Asyl- und Fremdenrecht, Schulrecht, Psychologie und Freizeitpädagogik eingebunden, welche die in Kapitel unterteilten Fragestellungen zielgruppengerecht aufbereiten. Sowohl Zahlen als auch rechtliche Vorschriften ändern sich laufend. Die Schulungsmappe kann daher nur einen ersten Überblick geben, aber keinesfalls individuelle rechtliche sowie psychologische Beratung ersetzen.
Dem vorangestellt wurden unter Einbindung von Schul- und Freizeitpädagog/innen, Expert/innen aus Betreuungs- und Unterbringungseinrichtungen sowie eventuell Vertreter/innen der Schulbehörden zielgruppenorientiert die Bedürfnisse und Fragestellungen erhoben. Darüber hinaus erfolgte eine Sammlung und Gliederung aller wichtiger Kontakte, Ansprechpartner/innen und weiterführender Informationen, die in Form eines benutzerfreundlichen Portals online zur Verfügung gestellt werden sollen.
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Inhalt 1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht ............................................................................... 8 1.1 Fluchtgründe und die Genfer Flüchtlingskonvention .................................................................... 8 1.2. Definition: Asylwerber/in, Migrant/in oder Flüchtling .................................................................. 10 1.3 Hintergründe und Zahlen ............................................................................................................ 10 1.3.1. Aktuelle Flüchtlingszahlen weltweit/europaweit/österreichweit ........................................... 10 1.3.2. Krisenregionen und Fluchtrouten......................................................................................... 12 1.3.3. Entwicklungen und Prognosen ............................................................................................ 13 2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr ............................................................................. 17 2.1 „Flüchtling“ und „Kriegsflüchtling“ ............................................................................................. 17 2.2 Asyl und subsidiärer Schutz – was bedeutet das? ..................................................................... 19 2.3 Das Asylverfahren........................................................................................................................ 20 2.4 Der Beginn des Asylverfahrens, Rechte von Asylwerbern im Verfahren .................................... 21 2.5 Die erste Phase des Asylverfahrens: Prüfung der Zuständigkeit ............................................... 23 2.6 Die zweite Phase des Asylverfahrens: inhaltliche Prüfung ......................................................... 26 2.7 Der Bescheid ............................................................................................................................... 28 2.8 Beschwerden ............................................................................................................................... 29 2.9 „Bleiberecht“, Integration und Mobilität....................................................................................... 30 3. Alltag und Strukturen ...................................................................................................................... 32 3.1 Die Grundversorgung .................................................................................................................. 32 3.2 Formen der Unterbringung und Versorgung während des Asylverfahrens ................................ 33 3.2.1 Vollversorgung ...................................................................................................................... 33 3.2.2 Selbstversorgung in organisierter Unterbringung ................................................................ 33 3.2.3 Selbstversorgung in Privatwohnung ..................................................................................... 34 3.2.4 Bestimmungen für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge ................................................. 34 3.3 Sonstige Informationen ................................................................................................................ 35 4. Trauma bei Kindern ......................................................................................................................... 39 4.1 Trauma ......................................................................................................................................... 39 4.1.1 Kriegserlebnisse bei Kindern................................................................................................ 39
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4.1.2 Mögliche Symptome bei Kindern.......................................................................................... 40 4.1.3 Trauma und Trauer ............................................................................................................... 42 4.1.4 Umgang mit traumatisierten Kindern .................................................................................... 42 4.1.5 Umgang mit dem Thema in der Klassengemeinschaft ........................................................ 43 4.2 Strategien, um mit der Herausforderung umzugehen ................................................................. 44 5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft ........................................ 45 5.1 Vorbereitende Maßnahmen ......................................................................................................... 45 5.2 Unterstützende Maßnahmen ....................................................................................................... 48 5.2.1 Erwachsenenbildung: Bildung für junge Flüchtlinge ............................................................ 51 5.2.2 Übergangsstufe an BMHS .................................................................................................... 52 5.2.3 Sprachförderkurse ................................................................................................................ 53 5.2.4 Initiative "Respekt und Zusammenleben" ............................................................................. 54 5.2.5 Mobile interkulturelle Teams (MIT) ........................................................................................ 55 6. Das Österreichische Schulwesen .................................................................................................. 58 6.1 Gesetze und Verordnungen ........................................................................................................ 61 7. Literatur, Links und hilfreiche Angebote von Vereinen, Organisationen und Privatinitiativen in Österreich ........................................................................................................................................ 63 8. Quellenverzeichnis .......................................................................................................................... 64
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
von 1967 wurde der Flüchtlingsschutz, der
1. Allgemeine Informationen
sich anfangs nur auf Flüchtlinge aus Europa
zum Thema Flucht
und auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg beschränkt hat, geografisch und zeitlich erweitert und auf alle Menschen ausgedehnt. Nach wie
1.1 Fluchtgründe und die Genfer
vor ist die Genfer Flüchtlingskonvention das
Flüchtlingskonvention
wichtigste internationale Dokument für den Flüchtlingsschutz.
Warum Menschen ihre Heimat verlassen und in einem anderen Land Zuflucht zu finden, kann unterschiedliche Gründe haben. Aus völkerrechtlicher Sicht wird aber zwischen jenen unterschieden, die vor Verfolgung flüchten mussten und jenen, die „freiwillig“ in ein anderes Land reisen.
Vorgeschichte Das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ – der eigentliche Titel der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – wurde nach dem 2. Weltkrieg für die über
UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) wurde von der UN Generalversammlung gegründet und nahm im Jänner 1951 seine Arbeit auf. Vorerst wurde er für nur drei Jahre ins Leben gerufen, um europäischen Flüchtlingen in Folge des 2. Weltkriegs zu helfen. Danach wurde das Mandat regelmäßig in 5- Jahres Abständen verlängert. Erst seit Dezember 2003 ist das Mandat unbefristet gültig. Er ist für den Schutz und die Unterstützung von Flüchtlingen in aller Welt zuständig, soll ihnen internationalen Rechtsschutz ermöglichen und für ihre Probleme dauerhaft Lösungen suchen. Dazu gehören die freiwillige Rückkehr, die Integration im Aufnahmeland oder die Neuansiedlung (auch Resettlement genannt) in einem Drittland. In zahlreichen Ländern betreibt der UNHCR humanitäre Hilfsprogramme für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Rückkehrer/innen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention In der Genfer Flüchtlingskonvention ist genau festgelegt, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollte. Aber sie definiert auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Land gegenüber erfüllen muss, das ihm Asyl gewährt. Sie schließt bestimmte Gruppen – wie z.B. Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus.
ganz Europa verstreuten Flüchtlinge am 28. Juli 1951 verabschiedet. Der Völkerbund, die Vorgängerorganisation
Insgesamt 147 Staaten sind bisher der Genfer
der Vereinten Nationen, hatte bereits Anfang
Flüchtlingskonvention und/oder dem Protokoll
des 20. Jahrhunderts damit begonnen, an
von 1967 beigetreten.
einer internationalen juristischen Grundlage zu arbeiten, die die Rechtsposition von Flüchtlingen sichern sollte. Mit dem Zusatzprotokoll
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
Staaten, die weder die Konvention noch das
bleiben darf, wird im Asylverfahren entschie-
Protokoll unterzeichnet haben, gewähren
den.
Flüchtlingen keinen adäquaten Aufenthaltssta-
Im Gegensatz zu Flüchtlingen werden Migran-
tus und auch keinen Schutz vor Zurückwei-
ten nicht verfolgt. Sie kommen, um ihr Leben
sung in Länder, in denen ihnen unmenschli-
zu verbessern, zu arbeiten oder aus familiären
che Behandlung droht. Dieses „Non-
Gründen.
refoulement-Gebot“ ist in Artikel 33 der Genfer
Aktuell stammt die größte Migrantengruppe in
Flüchtlingskonvention verankert. Sie werden
Österreich aus dem europäischen Raum, ge-
eher vorübergehend geduldet oder sind in
nauer gesagt aus Deutschland. Manche Mig-
geschlossenen Flüchtlingslagern unterge-
ranten flüchten auch vor extremer Armut und
bracht, wo sie oftmals Bedrohungen ihrer
Not. Diese Menschen sind aber nach den
grundlegenden Menschenrechte ausgesetzt
Gesetzen grundsätzlich keine Flüchtlinge.
sind. In vielen Fällen fehlt der Zugang zu wich-
Österreich und andere Länder können in Be-
tigen, in der Genfer Flüchtlingskonvention
zug auf Migranten weitgehend frei entschei-
festgelegten Rechten, wie beispielsweise zu
den, wie viele sie aufnehmen wollen.
medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen.
1.3 Hintergründe und Zahlen 1.3.1. Aktuelle Flüchtlingszahlen welt-
1.2. Definition: Asylwerber/in, Mig-
weit/europaweit/österreichweit
rant/in oder Flüchtling
Mit mehr als 60 Millionen Flüchtlingen erwarteDie Begriffe Flüchtling, Asylwerber/in und
te der UNHCR den weltweit höchsten jemals
Migrant/in werden im Alltag oft verwechselt,
erhobenen Wert an Flüchtlingen. Von insge-
obwohl sie sich hinsichtlich des Status, den
samt 169 Ländern, die aktuell Flüchtlinge be-
sie beschreiben, bedeutend voneinander un-
herbergen, ist die Türkei mit rund 1,84 Millio-
terscheiden.
nen das am häufigsten angesteuerte Zielland, gefolgt von Pakistan mit 1,5 Millionen und dem
Menschen, die in einem anderem Land Asyl
Libanon mit 1,2 Millionen Flüchtlingen2. Dabei
beantragen und deren Asylverfahren noch
sind mehr als die Hälfte aller Vertriebenen
nicht abgeschlossen ist, werden Asylwerber/in
weltweit Kinder und Jugendliche.
oder Asylsuchende genannt1. Ob ein/e Asyl-
Der Großteil der Menschen, die aus ihrer Hei-
werber/in in Österreich Asyl bekommt und
mat fliehen, sucht in den unmittelbaren Nach-
damit als anerkannter Flüchtling in Österreich 1
barstaaten ihres Heimatlandes Schutz. So flüchten die meisten Syrer/innen vor dem
Der Begriff „Asylant“ wird aufgrund der mittlerweile
immer stärker werdenden negativen Konnotation im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr verwendet.
Die Zahlen beziehen sich auf Schätzungen von Juni 2015.
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
Krieg in ihrem Land in Nachbarländer wie die
Mitgliedsstaaten gezählt.
Türkei, Jordanien oder den Libanon.
Auf der Suche nach Schutz in einem anderen EU-Land reisten rund 600.000 Schutzsuchen-
Setzt man die Zahlen mit der Bevölkerungs-
de im zweiten Halbjahr 2015 durch Österreich
zahl in Relation, so liegt der Libanon mit 209
und rund 90.000 stellten hier einen Asylan-
Flüchtlingen auf je 1.000 Einwohner/innen an
trag[1]. Die anfangs abnehmende Zahl der in
erster Stelle, gefolgt von Jordanien mit 90
Österreich gestellten Asylanträge im ersten
Flüchtlingen je 1.000 Einwohner/innen und
Halbjahr stieg seit März 2015 fortwährend an.
Nauru mit 51 Flüchtlingen je 1.000 EinwohWeitere Aufschlüsselungen zu den Antrags-
ner/innen.
steller/innen liegen derzeit bis Ende November Im ersten Halbjahr 2015 wurden weltweit
2015 vor. Rund ein Drittel der Antragstel-
993.600 Asylanträge registriert. Vergleicht
ler/innen war bis zu diesem Zeitpunkt weiblich.
man den gleichen Zeitraum im Jahr 2014 lässt
Seit Mai 2015 hat sich der Frauenanteil mit 34
sich ein Anstieg von 78 Prozent verzeichnen.
Prozent sogar verdoppelt.
Dabei wurden mit 159.900 Anträgen die meisten Asylanträge in Deutschland gestellt. Mit
Mit 29,8 Prozent wurde der Großteil der Asyl-
28.500 Anträgen lag Österreich weltweit auf
anträge in Österreich von Personen aus Syrien
Platz zehn.
gestellt, gefolgt von Afghanistan mit 24,1 Prozent und mit 16,3 Prozent von Flüchtlingen aus dem Irak.
Die statistische Datenbank Eurostat hat knapp 400.000 Erstasylanträge in den 28 EU-
Asylanträge weltweit, erste Hälfte 2015
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
Obwohl Syrien und Afghanistan die antrags-
der Flüchtlingshilfe der Caritas Österreich
stärksten Nationen darstellen, nahmen die
engagiert, 1.200 freiwillige Mitarbeiter der
Asylanträge von Personen aus dem Irak im
Arbeiter-Samariter-Bund und im Flüchtlings-
Jahr 2015 am stärksten zu. Im Vergleich zu
dienst der Diakonie arbeiten aktuell rund 530
292 Anträgen im Jänner hat sich die Anzahl
Ehrenamtliche tagtäglich mit.
der Anträge von Personen aus dem Irak im Der Solidarität wurden aber auch andere Zei-
September fast verzehnfacht.
chen gesetzt. Zwischen 20.000 Personen laut Eine geplante Novelle des Asylrechts er-
Polizei und 70.000 Personen nach Schätzun-
schwert den Familiennachzug (Novelle Stand
gen der Veranstalter nahmen im Oktober bei
März 2016 in Begutachtung). Wer demnach
der Demonstration „Flüchtlinge Willkommen“
kein Asyl, sondern lediglich subsidiären
in Wien teil. Abschluss fand die Veranstaltung
Schutz erhält, darf Angehörige erst nach drei
mit dem Solidaritätskonzert „Voices for Refu-
Jahren nach Österreich holen, wenn Unter-
gees“ am Heldenplatz wo sich über 100.000
kunft und Einkommen des Antragstellers
Personen am Heldenplatz versammelten.
nachweisbar für die zu erwartende Personenzahl angemessen sind.
1.3.2. Krisenregionen und Fluchtrouten
Die Erstversorgung der sich zum Großteil auf
Laut Schätzungen des UNHCR sollen seit
der Durchreise befundenen Personen konnte
Anfang 2015 über eine Million Menschen über
durch freiwillige Hilfe zivilgesellschaftlicher
das Mittelmeer in die EU gekommen sein.
Initiativen wie zum Beispiel „Train of Hope“,
Davon wurden 3.735 Personen als vermisst
die sowohl am West- wie auch am Haupt-
gemeldet.3
bahnhof aktiv wurden, sowie durch zahlreiche Sach- und Geldspenden getragen werden.
Seit dem Hochsommer 2015 erreichten un-
Unzählige freiwillige Helfer/innen wurden ko-
gleich viele Schutzsuchende Mitteleuropa
ordiniert, um möglichst rasch Hilfe leisten zu
über die sogenannte Balkanroute.
können. Der Organisation „Train of Hope“ wurde im Dezember 2015 für ihre Leistung der
Dabei handelt es sich bei einem Großteil der
Österreichische Menschenrechtspreis verlie-
Menschen um Binnenvertriebene, die einen
hen.
sicheren Ort innerhalb ihres Landes aufsuchen. Nur ein Drittel setzt den Fuß über die
Aber auch große Trägerorganisationen wie die
Grenze. 95% aller syrischen Kriegsflüchtlinge
Caritas, der Arbeiter Samariterbund und die
wurden in den Nachbarländern aufgenom-
Diakonie, können die hohe Hilfsbereitschaft
men. Zum Beispiel im Libanon, einem Land,
der Zivilgesellschaft bezeugen. Seit Juni 2015 Aktuelle Daten sind auf Englisch unter data.unhcr.org zu finden.
3
haben sich rund 14.300 neue Freiwillige bei
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
das nicht größer als Tirol ist. Neben 4,4 Millio-
im September eine Verfassungsänderung
nen Einheimischen leben hier aktuell über 1
beschlossen, die dem Bund ein Durchgriffs-
Million Flüchtlinge. Jeder zweite ist ein Kind.
recht bei der Flüchtlingsunterbringung ermög-
Umso wichtiger ist es in den rasch errichteten
licht. Mit dem Inkrafttreten des neuen Geset-
Flüchtlingscamps, neben Unterkunft, Essen
zes, nahm auch Christian Konrad, der von der
und medizinischer Versorgung auch Bildung
Bundesregierung bestellte Flüchtlingskoordi-
zu ermöglichen. Abgesehen davon bietet das
nator, seine Tätigkeit auf.
Leben in den Camps niemandem eine lang-
Der frühere Raiffeisen-Generalanwalt unter-
fristige Perspektive.
stützte die Regierung in Fragen rund um Koordination und Planung des Asylbereichs.
1.3.3. Entwicklungen und Prognosen
Anfang November 2015 wurde ein Begutach-
Die stetig steigende Zahl der Personen, die
tungsentwurf vorgelegt, welcher den Beginn
nach Europa flüchten, veranlasste die öster-
der Verschärfungen im Asylgesetz vorgese-
reichische Politik mehrere Entscheidungen zu
hen hat. Konzepte wie „Asyl auf Zeit“ sowie
treffen, um die daraus resultierenden Heraus-
die Regelungen zur Verschärfung der Famili-
forderungen besser bewältigen zu können.
enzusammenführung wurden erstmals angesprochen und von Seiten der NGOs und UN-
Um die vorherrschenden Zustände im Erstauf-
HCR kritisiert.
nahmezentrum Traiskirchen zu verbessern, richtete die Bundesregierung die „Task Force
Eine weitere Entscheidung war der Ausbau
Asyl“ ein. Hauptaufgabe war die Entlastung
der Ressourcen des Österreichischen Integra-
der Erstaufnahmezentren durch eine gezielte
tionsfonds (ÖIF). Dieser verstärkte als eine der
Quartiersuche für sogenannte „Transitflücht-
ersten Anlaufstellen für anerkannte Flüchtlinge
linge“ wie auch für Asylwerber/Innen.
und subsidiär Schutzberechtigte die Beratung am Welcome Desk sowie das Angebot von
Der auf Länderebene geregelten verpflichten-
Sprachkursen. Mit dem Freiwilligen Projekt
den Quote zur Bereitstellung von Grundver-
„Treffpunkt Deutsch“ wurde ein weiteres An-
sorgungsplätzen kam der Großteil der Bun-
gebot geschaffen, bei dem Deutschkenntnisse
desländer nicht nach. Um diesem Problem zu
mit Hilfe von Freiwilligen vertieft werden kön-
begegnen, wurde von Seiten der Regierung
nen.
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
Im Rahmen des österreichischen Asylgipfels
Schätzungen des Bundesamts für Fremden-
Ende Jänner 2016 stellte die Bundesregierung
wesen und Asyl (BFA) Anfang 2016 zufolge
den Plan der „Obergrenzen“ für Asylanträge
rechnete man mit zwischen 100.000 und
vor. Dieser sieht vor, dass in den kommenden
120.000 gestellten Asylanträgen für das Jahr
vier Jahren die kalkulierte Anzahl von 127.500
2016 in Österreich.
Personen, inklusive Familiennachzug, in ÖsterVon Seiten des Europäischen Gerichtshofs,
reich einen Asylantrag stellen dürfen.
wurde bereits darauf verwiesen, dass OberFür das 2016 sind 37.000 Asylwerber/innen
grenzen nur schwer mit dem EU-Recht und
vorgesehen, 2017 sollen 35.000 Asylwer-
der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar
ber/innen in Österreich aufgenommen werden,
wären. Kritik kam auch von Seiten der UNHCR
2018 30.000 und 2019 25.000. Die vereinbarte
und NGOs, die sich mit der Flüchtlingsprob-
Gesamtanzahl von 127.500 Asylwerber/innen
lematik auseinander setzen.
entspricht somit 1,5 Prozent der österreichiWie die Obergrenzen durchgesetzt werden,
schen Gesamtbevölkerung.
blieb noch unklar. Gutachter prüfen jedoch, Nachdem im Jahr 2015 rund 90.000 Asylan-
welche juristischen Schritte im Falle einer
träge gestellt wurden, würden mit der Umset-
Überschreitung der Obergrenzen notwendig
zung der Obergrenze im Jahr 2016 die Anzahl
sind.
der Asylanträge mehr als halbiert werden.
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1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
Im Jahr 2015 kamen über eine Million Flücht-
kung der Grenzkontrollen zogen betroffene
linge über das Mittelmeer nach Europa. Laut
Länder der sogenannten Westbalkan-Route,
Angaben des UNHCR waren es Mitte Jänner
jene Route, die für Flüchtlinge den alternativen
2016 bereits 31.381 Flüchtlinge. Fast die Hälf-
Weg zur Mittelmeerroute darstellt, nach. Ser-
te sind Personen aus syrischen Kriegsgebie-
bien verkündete, ausschließlich Flüchtlinge
ten, gefolgt von weiteren 21 Prozent aus Af-
einreisen zu lassen, deren Ziel Österreich oder
ghanistan und neun Prozent der Flüchtlinge
Deutschland ist. Mazedonien machte die
kommen aus dem Irak. Im Jänner 2015 waren
Grenze zu Griechenland dicht.
es 5.550 Flüchtlinge, die Europa über die MitDen Aufzeichnungen des UNHCR zu Ankünf-
telmeerroute erreichten.
ten entlang der Westbalkan-Route zufolge gibt Innerhalb des Schengen-Raums hat sich ne-
es täglich tausende Einreisen in eines der
ben Ländern wie Deutschland, Schweden,
Länder.
Dänemark, Norwegen und Frankreich auch
Ziel der Einführung der Obergrenze ist die
Österreich dazu entscheiden, vorübergehen-
Senkung der Attraktivität Österreichs als Ziel-
de Grenzkontrollen wieder einzuführen.
land. Darüber hinaus möchte die Bundesregierung dadurch ihren Forderungen nach
Slowenien kündigte bereits vor dem Asylgipfel
rascheren Entscheidungen von Seiten der
an, im Falle eines Beschlusses der Obergren-
Europäischen Union sowie nach einer stärke-
zen in Österreich weniger Menschen von Kro-
ren Einbringung in Friedensverhandlungen
atien einreisen zu lassen bzw. selbst Ober-
und sofortiger Bereitstellung von Hilfe und
grenzen einzuführen. Auch Kroatien wolle sich
finanzieller Unterstützung für die Versorgung
an der Flüchtlingspolitik Österreichs orientie-
von Flüchtlingen in Krisengebieten Nachdruck
ren.
verleihen. Die EU-Außengrenzen sollen stärker kontrolliert und geschützt werden und die beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen
Nach dem Beschluss der massiven Verstär-
15
1. Allgemeine Informationen zum Thema Flucht
aus Italien und Griechenland solle umgesetzt werden.
16
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Die meisten Flüchtlinge (im Sinne der GFK)
2. Rechtsfragen zu Asyl
haben zwar bereits vor ihrer Flucht schon
Mag. Georg Bürstmayr
Verfolgung erlitten, es gibt aber auch Menschen, die ihr Heimatland aus ganz anderen Gründen verlassen haben (z.B. für ein Studi-
Mag. Georg Bürstmayr ist selbstständiger
um oder einen gewöhnlichen Auslandsbe-
Rechtsanwalt in Wien, spezialisiert auf Frem-
such) und dann im Ausland feststellen müs-
den- und Asylrecht, Strafrecht, Verfassungs-
sen, dass es nicht mehr möglich ist, ohne
und Verwaltungsrecht, Menschenrechts- und
Gefahr zurückkehren zu können, z.B., weil es
Grundrechtsschutz. Wir möchten darauf hin-
in ihrer Abwesenheit einen Regimewechsel,
weisen, dass sich die Vorschriften zu Asylver-
einen Putsch o.Ä. gegeben hat. (Für diese
fahren häufig ändern können und daher vom
Menschen wurde der Begriff „sur-place-
Autor für die Richtigkeit aller Angaben keine
Flüchtlinge“ geprägt).
Haftung übernommen werden kann.
Der sogenannte Flüchtlingsbegriff stellt nur auf
2.1 „Flüchtling“ und
die Verfolgungsgefahr im Heimatland ab. So-
„Kriegsflüchtling“
lange diese Verfolgungsgefahr also weiter besteht, bleibt ein Mensch Flüchtling selbst
Was ist ein Flüchtling?
wenn er zwischenzeitig in einem anderen
Als „Flüchtling“ bezeichnet die Genfer
Staat schon Zuflucht gefunden hat, also dort
Flüchtlingskonvention einen Menschen,
„sicher“ ist.
der sich • außerhalb seines Heimatlandes befin-
Die Flüchtlingseigenschaft endet, wenn eine
det und
ungefährdete Rückkehr in das Heimatland
• nicht in der Lage oder nicht gewillt ist,
wieder zumutbar ist. Das kann in manchen
wieder in das Heimatland zurückzu-
Fällen innerhalb weniger Wochen oder Monate
kehren (oder sich „des Schutzes die-
eintreten, in anderen Fällen erst nach Jahren
ses Landes zu bedienen“), weil er
oder gar Jahrzehnten.
• wohl begründete Furcht hat, aus Gründen
Was ist „Verfolgung“?
der Rasse
Unter „Verfolgung“ verstehen die EU-Staaten
der Religion
entweder eine wegen ihrer Art oder wegen
der Nationalität
ihrer Wiederholung schwerwiegende Verlet-
der Zugehörigkeit zu einer be-
zung von grundlegenden Menschenrechten
stimmten sozialen Gruppe, oder
(z.B.: Folter, unmenschliche Bestrafung, Skla-
der politischen Gesinnung ver-
verei) oder eine Kumulierung von unterschied-
folgt zu werden.
lichen Maßnahmen, die so schwerwiegend ist,
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2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr dass eine Person davon, in ähnlicher Weise
menschlichen oder erniedrigenden Strafe oder
wie oben beschrieben, betroffen ist.
Behandlung unterworfen zu werden, gefoltert
Das europäische Recht zählt in diesem Zu-
zu werden oder in eine Situation zu geraten,
sammenhang beispielsweise auf:
die einer solchen unmenschlichen oder er-
• Die Anwendung von physischer oder psy-
niedrigenden Behandlung gleichkommt, ha-
chischer Gewalt, einschließlich sexueller
ben die Staaten der EU seit vielen Jahren eine
Gewalt;
eigene Form des Schutzes vorgesehen – den „subsidiären Schutz“.
• diskriminierende Maßnahmen; • unverhältnismäßige oder diskriminierende
Wenn sie somit „nur“ vor den Folgen und Ge-
Strafverfolgung oder Bestrafung; • Verweigerung von Rechtsschutz;
fahren eines Krieges geflohen sind, kommt nur
• Handlungen, die an die Geschlechtszuge-
die Gewährung von subsidiärem Schutz in
hörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder ge-
Frage. Wenn im Heimatland aber zB der Staat
richtet sind.
seine Armee dazu einsetzt, Menschen gezielt
In der Regel geht die Gefahr einer Verfolgung
wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder
vom Staat (dem „Heimatland“) aus. Sie kann
ihrer (wenn auch nur angenommenen) politi-
aber auch durch Parteien oder Organisatio-
schen Gesinnung oder Religion zu töten, se-
nen, die diesen Staat oder einen wesentlichen
hen sich die davon betroffenen Menschen der
Teil desselben beherrschen, ausgehen, oder
Gefahr einer Verfolgung im Sinn der GFK aus-
von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat
gesetzt. Dann kann auch Menschen, die direkt
nicht in der Lage oder nicht willens ist, die
aus einem Kriegsgebiet geflohen sind, Asyl
dadurch Gefährdeten zu schützen.
gewährt werden. Gleiches gilt für Männer im wehrfähigen Alter, die vor dem Militärdienst
Was ist ein „Kriegsflüchtling“?
geflohen sind, wenn dieser Militärdienst
Der Begriff „Kriegsflüchtling“ stammt nicht aus
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
den Gesetzen, sondern aus der öffentlichen
Menschlichkeit oder andere Verbrechen um-
Diskussion. Darunter werden Menschen ver-
fassen würde. In diesem Fall nämlich wäre die
standen, die vor den Auswirkungen eines
(international durchaus übliche) Bestrafung
Krieges oder Bürgerkrieges aus ihrem Heimat-
wegen Desertion eine Verfolgungshandlung
land fliehen mussten. „Kriegsflüchtlinge“ wer-
im Sinn der GFK (aus diesem Grund wird ak-
den in aller Regel nicht im Sinn der GFK „ver-
tuell vielen syrischen Männern im wehrfähigen
folgt“ (obwohl das nicht ausgeschlossen ist).
Alter Asyl und nicht nur subsidiärer Schutz
Die Gefahren, die ihnen drohen, knüpfen in
gewährt).
aller Regel auch nicht an die in der GFK genannten Motive an. Für Menschen, die im Fall ihrer Rückkehr in ihr Heimatland befürchten müssen, einer un-
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2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr • das Recht auf freien Zugang zum Arbeits-
2.2 Asyl und subsidiärer Schutz –
markt;
was bedeutet das?
• das Recht auf Zugang zu Sozialleistungen Was bedeutet „Asyl“?
und
Asyl im engeren Sinn (das Gesetz spricht vom
• das Recht auf Ausstellung eines Fremden-
„Status des Asylberechtigten“) wird Flüchtlin-
passes.
gen im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt (sofern kein anderer europäischer
Der wesentliche Unterschied dieser beiden
Staat für die Prüfung des Asylantrages zu-
Formen des Schutzes liegt in der Frage, ob
ständig ist).
und wie bald ein Mensch, dem eine dieser
Asyl (in Österreich) bedeutet im Wesentlichen,
beiden Formen des Schutzes gewährt wurde,
dass einem Menschen folgende Rechte bis
die engsten Familienangehörigen (Ehefrauen
auf Weiteres (!) eingeräumt werden:
bzw. –männer, minderjährige Kinder oder – im
• das Recht auf Aufenthalt in Österreich;
Fall von noch minderjährigen Schutzberechtig-
• das Recht auf freien Zugang zum Arbeits-
ten – die eigenen Eltern) nachholen kann.
markt (das heißt, von freigewählten Arbeit-
Für Menschen, denen Asyl gewährt wurde,
gebern ohne jede weitere Bewilligung be-
besteht diese Möglichkeit sofort nach Einräu-
schäftigt zu werden);
mung dieses Schutzes. Menschen, denen
• das Recht auf Zugang zu Sozialleistungen
subsidiärer Schutz gewährt wurde, müssen
und
länger warten.
• das Recht auf Ausstellung eines sogenannten Flüchtlingspasses.
Was geschieht mit Familienmitgliedern in Österreich?
Was bedeutet „Subsidiärer Schutz“?
Wenn die engsten Familienmitglieder (Ehe-
Subsidiärer Schutz wird Menschen gewährt,
frauen bzw. –männer und minderjährige Kin-
die im Fall ihrer Rückkehr der konkreten Ge-
der) sich auch in Österreich aufhalten, erhält
fahr ausgesetzt wären, einer unmenschlichen
die ganze sogenannte „Kernfamilie“ densel-
Behandlung oder Bestrafung (oder dieser
ben Schutz. Es ist dann nicht notwendig zu
Behandlung / Bestrafung gleichzuhaltenden
prüfen, ob alle Mitglieder dieser Kernfamilie
Umständen) ausgesetzt zu sein (sofern kein
individuell genauso gefährdet sind oder nicht.
anderer europäischer Staat für die Prüfung
Achtung: bei Ehegatten/innen gilt das nur,
des Asylantrages zuständig ist).
wenn die Ehe schon im Heimatland bestanden
Subsidiärer Schutz (in Österreich) bedeutet im
hat, nicht aber, wenn erst in Österreich gehei-
Wesentlichen, dass einem Menschen folgende
ratet wurde.
Rechte bis auf Weiteres (!) eingeräumt werden: • das Recht auf Aufenthalt in Österreich;
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2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Kinder oder Jugendliche im Alter von 14 bis
2.3 Das Asylverfahren
18 Jahren können, wenn sie in Österreich gar
In einem Asylverfahren in Österreich wird ent-
keine Eltern oder sonstige gesetzliche Vertre-
schieden, ob
ter haben, selbst einen Asylantrag stellen. In
• Österreich überhaupt für die Prüfung
weiterer Folge werden sie von den „Jugend-
der Schutzbedürftigkeit eines Asyl-
wohlfahrtsträgern“ (Jugendämter) vertreten.
werbers zuständig ist;
Für Kinder unter 14 Jahre, die ohne ihre Eltern
• wenn ja, ob dieser Mensch wirklich
oder sonstige gesetzliche Vertreter nach Ös-
Schutz braucht;
terreich gekommen sind, muss das jeweilige
• wenn nein, ob dieser Mensch aus
Jugendamt einen Asylantrag einbringen.
anderen Gründen in Österreich bleiben darf/soll, oder
Wer vertritt ein Kind / einen Jugendlichen
• ob dieser Mensch in seinen Her-
im Asylverfahren?
kunftsstaat abgeschoben werden soll.
Ist mindestens ein Elternteil mit dem Kind nach Österreich gelangt, so ist es dieser El-
Wie beginnt ein Asylverfahren?
ternteil, der das Kind/den Jugendlichen ver-
Ein Asylverfahren beginnt dadurch, dass ein
tritt.
Mensch an der österreichischen Landesgrenze oder in Österreich selbst „vor einem Organ
Hat das Kind / der Jugendliche in Österreich
des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder ei-
keine Eltern, ist es die Person, der sonst die
ner Sicherheitsbehörde (sprich: bei der Poli-
Obsorge übertragen wurde (z.B.: nahe Ver-
zei) um Schutz vor Verfolgung ersucht. Die
wandte, oder aber Jugendämter). Für solche
Worte „Flüchtling“ oder „Asyl“ müssen dabei
Kinder / Jugendliche hat sich die Bezeichnung
genaugenommen nicht einmal verwendet
„Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge /
werden. Es genügt, wenn ein Mensch zu er-
UMF“ eingebürgert. Wurde für ein unbegleite-
kennen gibt, dass er - in Österreich (!) -
tes Kind / einen unbegleiteten Jugendlichen
Schutz oder Asyl will.
niemandem die Obsorge übertragen, werden diese Kinder und Jugendliche im Asylverfah-
Können Kinder und Jugendliche überhaupt
ren trotzdem automatisch von den Jugendäm-
einen Asylantrag stellen?
tern vertreten (nicht aber in allen anderen
Wenn Kinder oder Jugendliche von zumindest
Belangen, die sich in Österreich ergeben kön-
einem Elternteil begleitet werden, ist dieser
nen).
Elternteil zur Vertretung dieses Kindes oder Jugendlichen befugt und stellt den Antrag für sie.
20
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr 2.4 Der Beginn des Asylverfahrens,
Niederschrift zu unterschreiben. Mit dieser
Rechte von Asylwerbern im Verfah-
Unterschrift bestätigt ein Asylwerber, dass alles richtig protokolliert wurde (wenn Aussa-
ren
gen unvollständig oder falsch übersetzt bzw.
Wer entscheidet über einen Asylantrag?
protokolliert wurden, sollte die Niederschrift daher nicht unterschrieben werden).
Ein Asylantrag wird zwar bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde (sprich: bei der Polizei) eingebracht, in weiterer Folge entscheidet aber nicht die Polizei über diesen Antrag, sondern das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – kurz das BFA. Wird einem Asylantrag nicht zur Gänze stattgegeben (also: Asyl gewährt), kann der Asylwerber in weiterer Folge Beschwerde erheben. Über diese Beschwerde entscheidet dann das Bundesverwaltungsgericht – BVwG.
Welche Rechte hat ein Asylwerber während des Verfahrens? Jeder Asylwerber hat das Recht, zu seinen Einvernahmen / Befragungen eine Vertrauensperson mitzunehmen. Diese Vertrauensperson darf sich aber in die Befragung nicht einmischen. Die Anwesenheit einer solchen Vertrauensperson ist erfahrungsgemäß aber für fast alle Asylwerber eine große Stütze.
Während der Befragung wird ein Protokoll („Niederschrift“) erstellt. Vor dem Ende der Befragung muss diese Niederschrift vom anwesenden Dolmetscher Wort für Wort rückübersetzt werden. Wenn der Asylwerber mit dieser Rückübersetzung einverstanden ist, wird er danach aufgefordert, jede Seite dieser
21 4
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr
22
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Über jedes Asylverfahren wird (so wie zu je-
worden ist, erhält er zunächst eine „Grüne
dem anderen Verwaltungsverfahren in Öster-
Karte“ im Scheckkartenformat. Auf dieser Kar-
reich auch) ein Behördenakt angelegt. Jeder
te befinden sich u.a. das Foto des Asylwer-
Asylwerber hat das Recht, entweder selbst in
bers, sein Name, sein Geburtsdatum und die
seinen Akt Einsicht zu nehmen (also: sich
sogenannte Geschäftszahl des Behördenak-
diesen Akt bei der Behörde anzusehen), oder
tes. Die Grüne Karte bedeutet, dass ein Asyl-
diese Akteneinsicht durch einen Vertreter vor-
werber seinen Antrag gestellt hat, dass aber
nehmen zu lassen. Für diese Akteneinsicht
noch geprüft wird, ob Österreich für die
können auch Personen bevollmächtigt wer-
Durchführung des Asylverfahrens zuständig
den, die sonst nicht von Berufswegen mit der
ist. Wer „nur“ eine Grüne Karte hat, kann da-
Vertretung zu tun haben.
her noch nicht sicher sein, dass er nicht nach den Regeln der Dublin-III-Verordnung noch in einen anderen EU-Staat zurücküberstellt wird.
Überall dort, wo sich zumindest ein funktionierendes Kopiergerät befindet, darf ein Asylwerber (oder sein Vertreter) sich auch Kopien
Hat das BFA keinen anderen zuständigen
von seinem Akt machen oder machen lassen.
Staat gefunden und ist Österreich deshalb für
Für alle Menschen, die Asylwerber beraten
die Durchführung des Asylverfahrens zustän-
oder (auch in einem späteren Verfahrenssta-
dig, gilt das Asylverfahren als „zugelassen“.
dium) vertreten, ist die Kenntnis vom Aktenin-
Der Asylwerber erhält dann eine Weiße Karte.
halt von großer Bedeutung. Die meisten Asyl-
Diese Karte bedeutet, dass der Asylwerber bis
werber bewahren so gut wie alle Schriftstücke
zum endgültigen („rechtskräftigen“) Abschluss
aus ihrem Asylverfahren – oft über Jahre – gut
des Verfahrens in Österreich vorläufig aufent-
auf. Wenn solche Schriftstücke aber trotzdem
haltsberechtigt ist.
verloren gehen, kann bei der Behörde telefonisch ein Termin zur Akteneinsicht und zur
2.5 Die erste Phase des Asylverfah-
Ausstellung von Kopien vereinbart werden.
rens: Prüfung der Zuständigkeit
Was bedeuten die „Verfahrenskarten“?
Wo und wie ist die Zuständigkeit Öster-
Zunächst prüft das BFA immer, ob Österreich
reichs geregelt?
für die Durchführung des Asylverfahrens (und
Die Regelungen zur Zuständigkeit der EU-
eine evtl. Schutzgewährung) überhaupt zu-
Staaten für Asylverfahren sind in der „Dublin-
ständig ist. Nur wenn diese Frage zu bejahen
III-Verordnung“ festgelegt. Diese europäische
ist, wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob
Verordnung ist in Österreich (und in den ande-
Schutzbedürftigkeit vorliegt.
ren EU-Staaten) unmittelbar anwendbar. Im Wesentlichen gilt: Der erste EU-Staat, den
Sobald ein Mensch in Österreich ein Asylan-
ein/e Flüchtende/r betreten hat, oder jener EU-
trag gestellt hat und zum ersten Mal befragt
Staat, der der/m Flüchtenden die Einreise in
23 4
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr das Gebiet der EU ermöglicht hat (z.B. durch
mit einer europäischen Zentral-Datei abgegli-
Ausstellung eines Visums) soll auch prüfen, ob
chen, um festzustellen, ob ein sogenannter
dieser Mensch Schutz braucht – und in die-
„Dublin-Treffer“ vorliegt (also: ob dieser
sem Fall diesen Schutz auch gewähren.
Mensch schon in einem anderen EU-Staat mit Foto und Fingerabdrücken erfasst bzw. regis-
Nach den Prinzipien der Dublin-III-Verordnung
triert worden ist). Liegt ein solcher „Dublin-
wäre daher für das Asylverfahren von Men-
Treffer“ vor, wird dieser Staat in aller Regel
schen, die nicht auf dem Luftweg direkt nach
aufgefordert, den Asylwerber zurück zu über-
Österreich gelangt sind, fast immer andere
nehmen.
EU-Staaten zuständig. Damit Österreich nach den Regeln der Dublin-III-Verordnung Asyl-
Zu Beginn eines Asylverfahrens werden alle
werber wieder in diese EU-Staaten rücküber-
Asylwerber deshalb genau zu ihrem soge-
stellen kann, muss aber bewiesen sein, dass
nannten Reiseweg befragt. Ergeben sich dar-
diese Menschen tatsächlich durch diese Staa-
aus konkrete Hinweise für das Durchqueren
ten gereist sind.
eines anderen EU-Staates, wird ein sogenanntes Konsultationsverfahren mit diesem EU-
Dieser Beweis wird entweder dadurch er-
Staat eingeleitet, um abzuklären, ob dieser
bracht, dass diese Menschen dort „registriert“
andere EU-Staat den Asylwerber wieder auf-
worden sind (also, dass ihnen Fingerabdrücke
nehmen und sein Ansuchen um Schutz prüfen
abgenommen und ein Foto von ihnen gemacht
muss.
wurde), oder dass es hinreichende andere Indizien dafür gibt, dass sie durch diesen
Was ist ein „sicherer Drittstaat“?
Staat gereist sein müssen (Bustickets, Stra-
Ein sogenannter „sicherer Drittstaat“ ist im
ßenbahnfahrscheine, Karten, Zeitungen, Bar-
Prinzip jeder Staat, der nicht zur EU gehört, in
geld aus diesem Staat etc.). Kann dieser
dem ein Asylwerber aber Schutz vor Verfol-
Nachweis aber nicht geführt werden, dann ist
gung finden kann oder schon gefunden hatte
es Österreich nicht möglich, einen Asylwerber
(das bedeutet, dass ihm ein Asylverfahren
in irgendeinen anderen EU-Staat „zurückzu-
offensteht und er während dieses Verfahrens
schicken“. In diesen Fällen muss Österreich
aufenthaltsberechtigt ist und Schutz vor Ab-
daher inhaltlich prüfen, ob Asylwerber/innen
schiebung in sein Heimatland hat). Nach dem
schutzbedürftig sind und ihnen in diesem Fall
österreichischen Asylgesetz könnte Österreich
auch Schutz in Österreich gewähren.
auch versuchen, Asylwerber in „sichere Drittstaaten“ zurück zu schicken. Für Flüchtende,
Jeder Asylwerber in Österreich muss deshalb
die z.B. auf der sogenannten „Balkanroute“
zunächst (elektronisch) seine Fingerabdrücke
nach Österreich gelangt sind, kämen in die-
abgeben und ein Foto von sich machen las-
sem Zusammenhang vor allem Mazedonien
sen. Diese Fingerabdrücke und Fotos werden
und Serbien in Frage. In den letzten Jahren
24
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr hat es aber praktisch keine Rücküberstellun-
• Wenn Österreich das erste Land ist, in dem
gen von Asylwerbern in diese Staaten gege-
UMF einen Asylantrag gestellt haben, ist
ben. Das liegt vor allem daran, dass eine Ver-
Österreich für ihr Verfahren zuständig.
pflichtung zur Rückübernahme solcher Asyl-
• Wenn sich Elternteile oder Geschwister von
werber/innen in aller Regel schwer nachzu-
unbegleiteten Minderjährigen in Österreich
weisen und vor allen Dingen kaum durchzu-
rechtmäßig aufhalten, dürfen sie als Asyl-
setzen ist.
werber/innen zunächst in Österreich bleiben. Sie werden nicht „automatisch“ in das
Aktuell sind sowohl die europäische Union als
erste EU-Land zurücküberstellt, das sie be-
auch mehrere EU-Mitgliedsstaaten bemüht,
treten haben.
mit Staaten Abkommen zu schließen, um eine
• Hat ein/e unbegleitete/r Minderjährige/r in
solche Rücküberstellung von Asylwer-
einem anderen EU-Staat Verwandte, die für
ber/innen zu ermöglichen. Ob und wann diese
ihn sorgen können, soll dieser EU-Staat für
Bemühungen erfolgreich sind, ist nicht abzu-
das Asylverfahren zuständig sein.
sehen.
Was geschieht, wenn kein anderer zustän-
Was geschieht mit den vielen Flücht-
diger Staat gefunden wird?
lingen, die im Herbst 2015 über Ungarn
Wenn nach der ersten Zuständigkeitsprüfung
nach Österreich gelangt sind?
für die Durchführung der Verfahren von Asyl-
Die Frage, ob nach den Regeln der Dub-
werber/innen kein anderer EU-Staat und kein
lin-III-Verordnung Asylwerber nach Un-
sicherer Drittstaat gefunden werden kann, ist
garn rücküberstellt werden dürfen, ist
Österreich zuständig. Dann tritt das BFA in
derzeit in Österreich sehr umstritten. Es
einer zweiten Verfahrensphase in die inhaltli-
gibt viele Hinweise darauf, dass das auf-
che Prüfung des Asylantrages ein.
grund einer Ausnahmebestimmung in der Dublin-III-Verordnung gar nicht mehr
Welche Regeln sieht die Dublin-III-
zulässig ist, weil das Asylverfahren in
Verordnung für Kinder und Jugendliche
Ungarn systemische Schwachstellen
vor?
aufweist, und zwar sowohl was das Ver-
Für sogenannte unbegleitete Minderjährige
fahren selbst als auch was die Unterbrin-
Flüchtlinge/UMF (also Menschen unter 18
gung und Behandlung von AsylwerbernI-
Jahren, für die niemand in Österreich die
nnen betrifft. Außerdem ist derzeit (zu
Obsorge ausübt bzw. ausüben kann) gibt es
Beginn des Jahres 2016) unklar, ob Un-
mehrere Ausnahmen, die verhindern sollen,
garn überhaupt gewillt ist, Asylwerber
dass sie zwischen verschiedenen EU-Staaten
aus Österreich zurück zu übernehmen.
hin- und hergeschickt werden:
25 4
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr 2.6 Die zweite Phase des Asylver-
schlüssig sind (bzw. bei mehreren Interviews,
fahrens: inhaltliche Prüfung
ob sie in etwa gleichlautend sind) und andererseits darauf, ob sie mit den allgemeinen
Muss ein Asylwerber beweisen, dass er in
Verhältnissen im Heimatland übereinstimmen.
Gefahr ist?
Häufig bedient sich das BFA zur Überprüfung
Ein/e Asylwerber/in muss nicht beweisen,
der Aussage von Asylwerbern auch einzelner
dass er Flüchtling ist oder im Fall seiner Rück-
Personen im Heimatland des Asylwerbers
kehr in sein Heimatland (in seinen Menschen-
(z.B. Mitarbeitern der österreichischen Bot-
rechten) gefährdet wäre. Das hat zwei Grün-
schaft in diesem Land, Vertrauensanwälte
de: Zum einen geht es in Asylverfahren wie
oder anderen vertrauenswürdigen Personen).
zuvor beschrieben, immer um die zukünftige Gefahr der Verfolgung, unmenschlicher Be-
Was ist „Rechtsberatung“?
handlung oder Zustände, die nie genau vor-
Schon seit mehreren Jahren wird Asylwer-
hergesagt oder bewiesen werden können.
bern/innen – insbesondere, wenn sie einen
Zum anderen stellen Staaten ihren Bürgern
sogenannten negativen Bescheid erhalten –
keine Bestätigungen darüber aus, dass sie sie
die Unterstützung durch Rechtsberater ange-
verfolgen, Eine Beweisführung im engeren
boten. Das sind Mitarbeiter/innen von NGOs,
Sinn ist meist also gar nicht möglich.
die einen Generalvertrag mit dem Innenministerium geschlossen haben und Asylwer-
Für die Gewährung von Asyl oder subsidiären
ber/innen z.B. bei der Verfassung einer Be-
Schutz genügt daher schon die sogenannte
schwerde gegen einen negativen Bescheid
Glaubhaftmachung der Schutzbedürftigkeit.
beraten. In der Praxis bedeutet das oft, dass
Das bedeutet, dass es insgesamt wahrschein-
diese NGOs bzw. deren Mitarbeiter/innen
licher sein muss, dass eine konkrete Gefähr-
solche Beschwerden nach einem Gespräch
dung besteht, als dass eine solche Gefahr
mit der/m Asylwerber/in verfassen (Beschwer-
eben nicht besteht, damit Schutz gewährt
den müssen in deutscher Sprache einge-
wird.
bracht werden). Asylwerber/innen müssen diesen Rechtsberatern nichts bezahlen, die
Das wichtigste Mittel, um diese Gefährdung zu
Unterstützung ist unentgeltlich.
beurteilen, ist die Aussage der/s Asylwerber/in/rs selbst. Bei der inhaltlichen Prüfung
Dürfen Asylwerber Anwälte nehmen?
eines Asylantrages wird daher zunächst ein
Selbstverständlich dürfen sich Asylwer-
Interview mit der/m Asylwerber/in und einer/m
ber/innen in allen Stadien des Verfahrens –
DolmetscherIn geführt. Oft werden sogar meh-
also schon von der Antragstellung an – auch
rere Interviews geführt. Die Aussagen des
durch frei gewählte Anwältinnen oder Anwälte
Asylwerbers in diesen Interviews werden dann
vertreten lassen. Anwaltliche Vertretung ist
einerseits darauf überprüft, ob sie in sich
aber nicht unentgeltlich, man sollte deshalb
26
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr immer zu Beginn eine genaue Honorarverein-
dieses Verfahren überhaupt noch anhängig,
barung treffen bzw. die möglichen Kosten
oder ist es schon erledigt?“ oder: „Gibt es
besprechen!
schon einen Termin für das nächste Interview?“ o.ä.), oder aber telefonisch einen Termin zur Akteneinsicht vereinbaren.
Über die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den Rechtsberatern werden Asylwerber/innen (auch) gleichzeitig mit der Zustellung eines
Wegen des Rechts auf Datenschutz einerseits
Bescheides informiert.
und wegen des Amtsgeheimnisses andererseits sind die Mitarbeiter/innen des BFA aber
Wie sieht die Befragung von minderjähri-
nicht verpflichtet, Informationen telefonisch zu
gen Asylwerbern/innen aus?
erteilen. Wenn telefonisch keine oder nicht
Zunächst hat jeder Asylwerber (ob volljährig
genügend Auskunft erlangt werden kann,
oder minderjährig) das Recht, einerseits ei-
kann / muss ein Termin für eine Akteneinsicht
ne(n) Vertreter/in zur Befragung mitzunehmen
vereinbart werden. Damit die Mitarbeiter/innen
(das können Mitarbeiter/innen von NGOs, oder
des BFA den entsprechenden Akt überhaupt
auch von Anwaltskanzleien etc. sein) und
auffinden können, benötigen sie entweder
außerdem eine sogenannte „Vertrauensper-
Namen und Geburtsdatum der/s Asylwer-
son“ (Vertrauenspersonen sind nicht Vertreter
bers/in oder die „Geschäftszahl“ seines Akts –
des Asylwerbers, sie begleiten diesen nur zu
beide finden sich u.a. auf der Grünen oder der
einem bestimmten Termin).
Weißen Karte.
Unbegleitete minderjährige Asylwerber haben
Wie lange dauert ein Asylverfahren?
außerdem das Recht, dass von Anfang an bei
Eigentlich ist im Gesetz vorgesehen, dass das
ihren Befragungen sogenannte Rechtsberater,
BFA innerhalb von maximal 6 Monaten über
später dann Mitarbeiter/innen der Jugendäm-
einen Asylantrag entscheiden müsste. Diesel-
ter, die ihre gesetzliche Vertretung übernom-
be Entscheidungsfrist gilt auch für das Bun-
men haben, anwesend sind. Sie dürfen also
desverwaltungsgericht – BVwG für den Fall
im Gegensatz zu volljährigen Asylwer-
einer Beschwerde.
bern/innen nicht alleine befragt werden. Das österreichische Asylsystem war aber bis Wie erhält man Informationen zum Stand
vor kurzem nur auf ca. 20.000 bis 25.000 Fälle
eines Asylverfahrens?
pro Jahr ausgelegt, im Jahr 2015 haben ca.
Asylwerber/innen selbst oder ihre – bei der
90.000 Menschen in Österreich Asyl bean-
Behörde schon bekannten, also durch Voll-
tragt. Alleine aus dem Jahr 2015 waren zum
macht „ausgewiesenen“ – Vertreter/innen kön-
Jahreswechsel 2015/16 mehr als 60.000 Ver-
nen bei der BFA entweder telefonisch Aus-
fahren unerledigt.
kunft zum Verfahrensstand begehren (z.B.: „Ist
27 4
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Viele Asylwerber/innen – insbesondere jene
2.7 Der Bescheid
aus Syrien – erhalten immer noch relativ rasch
Über einen Asylantrag muss am Ende mit
(innerhalb weniger Wochen oder Monate)
Bescheid – also schriftlich! – entschieden
Asyl. In anderen Fällen kann es aber Monate
werden. Dieser Bescheid muss, sofern dem
dauern, bis überhaupt das erste Interview zu
BFA der Aufenthaltsort der/s Asylwerbers/in
den eigentlichen Fluchtgründen durchgeführt
bekannt ist, diesem persönlich zugestellt wer-
wird. Vereinzelt kann es sogar mehrere Jahre
den. Das kann entweder im Wege der Ausfol-
dauern, bis das BFA über einen Asylantrag
gung durch Polizeibeamte geschehen, oder
einen ersten Bescheid erlässt.
im Wege der Zustellung durch die Post. Achtung: Solche Bescheide sind persönlich aus-
Asylverfahren haben so gut wie immer mit der
zufolgen! Trifft die/der Mitarbeiter/in der Post
konkreten Situation in einem anderen Staat
den Adressaten nicht persönlich an, wird die-
(dem Heimatland) zu tun. Die Abweisung von
ser Bescheid beim nächsten Zustellpostamt
Asylanträgen muss ordentlich und sauber
hinterlegt und im Postkasten eine „Hinterle-
begründet sein. Das setzt voraus, dass nicht
gungsanzeige“ („gelber Zettel“) hinterlegt.
nur die allgemeine Situation im Heimatland
Fristen (insbesondere Beschwerdefristen), die
ermittelt wurde, sondern häufig auch, dass die
durch hinterlegte behördliche Schriftstücke
konkreten Angaben der/s Asylwerbers/in vor
ausgelöst werden, beginnen schon mit dem
Ort überprüft werden. Diese Überprüfungen
Tag der Hinterlegung zu laufen und nicht etwa
und die Notwendigkeit, so gut wie alles min-
erst mit dem Tag, an dem das Schriftstück
destens einmal, wenn nicht sogar mehrmals
tatsächlich abgeholt wurde.
zu übersetzen, führt auch in Zeiten, in denen in Österreich relativ wenig Asylanträge gestellt
Was steht alles in einem Asylbescheid?
werden, zu vergleichsweise langen Verfah-
Österreichische Asylbescheide enthalten fol-
rensdauern.
gende Merkmale bzw. Teile: • die Geschäftszahl (sie sollte, wenn irgend
Schließlich können beim BFA noch weitere
möglich, im Fall einer Beschwerde ange-
Faktoren wie Personalfluktuation, Kranken-
geben werden, damit klar ist, gegen wel-
stände, Schulungen von Mitarbeiter/innen
che Entscheidung genau Beschwerde ge-
u.v.m. dazu führen, dass auch ganz gleich
führt wird);
gelagerte Anträge in einem Fall rasch, im
• das Datum (auch das Datum sollte aus
zweiten Fall aber sehr langsam erledigt wer-
demselben Grund in einer Beschwerde
den.
angeführt werden); • den Titel „Bescheid“ (tatsächlich tragen alle Asylbescheide in Österreich auf der ersten Seite oben diesen Titel);
28
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Asylwerber/in in bestimmten Punkten ge-
• den „Spruch“ – das ist die eigentliche Entscheidung in ihrer Essenz, im Asylverfah-
glaubt, in anderen Punkten aber nicht ge-
ren muss der Spruch in eine der/m Asyl-
glaubt hat) und schließlich • die rechtliche Würdigung.
werber/in verständliche Sprache übersetzt sein; • die Begründung und
Welche Teile eines Asylbescheides sollte
• die Rechtsmittelbelehrung (also eine Infor-
ein/e Asylwerber/in unbedingt kennen?
mation darüber, wann und wo gegen die
Zunächst natürlich den „Spruch“, also die
Entscheidung Beschwerde erhoben wer-
Entscheidung im engeren Sinn – diese Ent-
den kann).
scheidung wird aber ohnehin in eine dem Asylwerber verständlichen Sprache übersetzt.
Wird dem Antrag einer/s Asylwerbers/in zur
Zum zweiten, die sogenannte Beweiswürdi-
Gänze stattgegeben (also: Asyl im engeren
gung, also jene Passage, in der die Behörde
Sinn gewährt), muss dieser Bescheid nicht
ausführt, warum sie der/m Asylwerber/in in
näher begründet werden (das ist übrigens
bestimmten Punkten geglaubt, in anderen
nicht nur in Asylverfahren so, sondern in allen
Punkten aber nicht geglaubt hat. Diese Pas-
Verwaltungsverfahren). Bescheide, mit denen
sage ist für das weitere Verfahren – falls
einer/m Asylwerber/in Asyl zuerkannt wird,
der/die Asylwerber/in nämlich eine Beschwer-
sind daher sehr kurz.
de einlegt – von zentraler Bedeutung. Der/die Asylwerber/in sollte sich daher jedenfalls die-
Wird auch nur ein Teil des Begehrens einer/s
sen Teil des Bescheides übersetzen lassen
Asylwerbers/in abgewiesen (zB.: kein Asyl
(während z.B. die rechtliche Würdigung für
gewährt, wohl aber subsidiärer Schutz), muss
Asylwerber/innen selbst zunächst nicht von
diese Abweisung aber ausführlich begründet
großer Bedeutung ist. Auch die umfangrei-
werden. Solche Bescheide haben oft 30 bis
chen Feststellungen zu allgemeinen Situatio-
40, manches Mal sogar um die 100 Seiten. Die
nen im Herkunftsland sind im Vergleich zur
Begründung derartiger Entscheidungen zer-
Beweiswürdigung von nachrangiger Bedeu-
fällt regelmäßig in folgende Teile:
tung).
• die Wiedergabe der Interviews der/s Asylwerbers/in;
2.8 Beschwerden
• die Feststellungen der Behörde zur Identi-
Spricht ein Asylbescheid eine „Zurückwei-
tät der/s Asylwerbers/in;
sung“ des Asylantrages und zugleich die
• die gesammelten Feststellungen der Behörde zu allgemeinen Situation im Heimat-
Rücküberstellung in einen anderen EU-Staat
land der/s Asylwerbers/in;
(gemäß der Dublin-III-Verordnung) aus, beträgt die Frist für eine Beschwerde eine Wo-
• die sogenannte Beweiswürdigung (also die
che ab Zustellung.
Begründung, warum die Behörde der/m
29 4
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Wird der Asylantrag „abgewiesen“ (das heißt:
2.9 „Bleiberecht“, Integration und
Österreich hat sich zwar als zuständig erach-
Mobilität
tet, das Asylverfahren zu führen, nimmt aber Muss ein Flüchtling Deutsch können oder
an, dass die betroffene Person keinen Schutz
sich integriert haben, um in Österreich
benötigt), beträgt die Beschwerdefrist zwei
bleiben zu dürfen?
Wochen ab Zustellung. Achtung: diese Fristen
Nein. Von der Frage der Schutzbedürftigkeit
beginnen schon mit einer Hinterlegung des
immer(!) strikt zu unterscheiden, ist die Frage
Bescheides und nicht erst mit seiner Abholung
der Integration – liegt Schutzbedürftigkeit (und
zu laufen.
die Zuständigkeit Österreichs für das Asylverfahren) vor, muss Österreich Schutz auch
Wird innerhalb dieser Frist eine Beschwerde
gewähren, egal, wie gut dieser Mensch
erhoben, muss in weiterer Folge das Bundes-
Deutsch kann oder sich sonst integriert hat.
verwaltungsgericht über diese Beschwerde
Liegt keine Schutzbedürftigkeit vor, führt auch
entscheiden.
eine sehr gut gelungene Integration nicht zur Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz
Eine Beschwerde gegen einen Asylbescheid
(kann aber unter gewissen Umständen zur
sollte am besten schriftlich, mit der Post per
Gewährung eines anderen Aufenthaltstitels –
eingeschriebenem Brief oder per Telefax
„Bleiberecht“ – führen).
(Sendebestätigung aufbewahren!) erhoben werden.
Allerdings: Wer schwere Straftaten („Verbrechen“ – das sind Straftaten, für die mehr als
Eine Beschwerde muss angeben, gegen wel-
drei Jahre Freiheitsstrafe angedroht sind) be-
chen Bescheid Beschwerde geführt wird (Ge-
gangen hat, kann als asyl- oder schutzunwür-
schäftszahl und Datum des Bescheides), wa-
dig angesehen werden. Menschen, denen im
rum man eine andere Entscheidung möchte
Heimatland Verfolgung im Sinn der GFK oder
und welche andere Entscheidung man möch-
schwere Menschenrechtsverletzungen dro-
te. Eine Beschwerde ist an die Behörde zu
hen, dürfen zwar selbst dann nicht ohne weite-
schicken, die den Bescheid erlassen hat (Na-
res dorthin abgeschoben werden, es kann
me und Adresse finden sich im Briefkopf des
aber sein, dass sie nur eine „Duldungskarte“
Bescheides. Da das Bundesamt für Fremden-
erhalten, die sie wesentlich schlechter stellt
wesen und Asyl – BFA zwar etliche Außenstel-
als Asylberechtigte oder subsidiär Schutzbe-
len hat, aber rechtlich nur eine Behörde ist,
rechtigte (vor allem: kein Zugang zum Ar-
macht es aber nichts, wenn man eine Be-
beitsmarkt!).
schwerde irrtümlich an eine andere Außenstelle des BFA geschickt hat als jene, von der der Bescheid kommt).
30
2. Rechtsfragen zu Asyl Mag. Georg Bürstmayr Was ist das „Bleiberecht“?
rer/innen u.a.m. sich auf Unterschriftenlisten,
„Bleiberecht“ ist eigentlich kein rechtlicher
Petitionen u.a. für ihr Bleiben aussprechen.
Begriff, sondern einer, der in der öffentlichen Dürfen sich Asylwerber in Österreich frei
Diskussion vor ca. 10 Jahren entstanden ist.
bewegen? Er beschreibt ein eigenes Aufenthaltsrecht,
Ja. Jedenfalls dann, sobald ihr Verfahren zu-
das nach langer Aufenthaltsdauer – zB be-
gelassen wurde („Weiße Karte“). Es ist daher
dingt durch ein über viele Jahre unerledigtes
möglich, Schüler/innen, die sich in einem
Asylverfahren – und entsprechender Integrati-
Asylverfahren befinden, innerhalb (!) Öster-
on Menschen auch dann verliehen werden
reichs auf Schulveranstaltungen aller Art mit-
kann, wenn sie Österreich eigentlich verlassen
zunehmen.
müssten (z.B. weil ihr Asylantrag zur Gänze Dürfen Asylwerber/innen sich in Europa frei
und endgültig abgewiesen wurde).
bewegen? Ab wann wird „Integration“ von Bedeutung
Nein. Selbst wenn Asylwerber/innen für die
für das „Bleiberecht“?
Dauer des Verfahrens in Österreich selbst
In der Regel erst ab einem Aufenthalt in Öster-
vorläufig aufenthaltsberechtigt sind, berechtigt
reich von rund fünf Jahren. Wer deutlich kür-
sie das nicht zum freien Grenzübertritt. Schü-
zer in Österreich gelebt hat, darf selbst bei
ler/innen, die sich noch im Asylverfahren be-
sehr guten Sprachkenntnissen und auch sonst
finden, können daher auf Schulveranstaltun-
hochgradiger Integration nicht damit rechnen,
gen, die einen Grenzübertritt notwendig ma-
dass ihm / ihr ein sogenanntes Bleiberecht
chen, nicht ohne Weiteres mitgenommen wer-
eingeräumt wird.
den. Sogar für die bloße Durchreise durch das Gebiet eines Nachbarstaates (z.B.: „Deut-
Das BFA ist aber angewiesen, bei allen Asyl-
sches Eck“) müsste vorher bei den Behörden
werbern immer nach Faktoren zu fragen, die
dieser Nachbarstaaten um entsprechende
dieses „Bleiberecht“ betreffen (FreundInnen in
Genehmigungen (Visum o.ä.) angesucht wer-
Österreich, Sprachkenntnisse, Kontakte, Mit-
den.
gliedschaft in Vereinen etc.). Wirklich bedeutsam werden diese Faktoren aber wie gesagt erst nach Jahren des Aufenthalts. Asylwerber/innen, die erst seit einigen Monaten in Österreich leben, ist daher in aller Regel nicht damit geholfen, wenn Mitschüler/innen, Leh-
31 4
3. Alltag und Strukturen
3. Alltag und Strukturen Seit Ende 2015 befinden sich rund 80.000 Personen in Österreich in der Grundversorgung. Wien und Niederösterreich sind derzeit die einzigen Bundesländer, die die Quoten erfüllen.
3.1 Die Grundversorgung Österreich ist verpflichtet
Leistungen innerhalb der Grundversorgung
• Asylwerber/innen während des Ver-
umfassen:
fahrens zur Feststellung der Flücht-
• Unterkunft und Verpflegung
lingseigenschaft (siehe Asylverfah-
• Krankenversicherung
ren),
• Bekleidungshilfe: max. € 150,– pro Jahr
• Asylberechtigten während der ersten
(meist in Form von Gutscheinen)
vier Monate nach Asylgewährung und
• Schulbedarf für Schüler/innen: max. €
• Personen, die aus rechtlichen und
200,– pro Schuljahr (meist in Form von
faktischen Gründen nicht abschiebbar
Gutscheinen)
sind
• Schulfahrtkosten
• wenn sie den Lebensbedarf für sich
• Information, Beratung und Betreuung
und ihre mit ihnen im gemeinsamen
• Übernahme der Fahrtkosten bei behördli-
Haushalt lebenden unterhaltberechtig-
chen Ladungen und Überstellungen
ten Angehörigen nicht oder nicht aus-
• Angebote zur Tagesstruktur
reichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen können und ihn auch
Die Kosten der Grundversorgung werden
nicht oder nicht ausreichend von an-
zwischen Bund und Ländern nach einem
deren Personen oder Einrichtungen
Schlüssel von 60:40 geteilt. Die Unterbringung
erhalten, eine angemessene Unter-
und Betreuung wird von den Ländern organi-
kunft und Betreuung bereitzustellen.
siert.
Seit 2004 existiert in Österreich ein flächendeckendes System der Flücht-
Das Bundesministerium für Inneres ist zustän-
lingsversorgung, die so genannte Grund-
dig für die Erstaufnahme der neuankommenden Asylwerber/innen und für die Abwicklung des Asylverfahrens.
32
3. Alltag und Strukturen
Die Versorgung der Asylwerber/innen nach
Die unterstützenden Maßnahmen der Grund-
erfolgter Erstabklärung und Zulassung zum
versorgung endet nach einer Übergangsfrist
Asylverfahren fällt in den Kompetenzbereich
von vier Monaten. Kann danach der Lebens-
der neun Bundesländer. In den Erstaufnahme-
unterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten
stellen (Traiskirchen und Thalham), die vom
werden, so kann beim zuständigen Sozialzent-
Bund betrieben werden, erfolgt eine Erstver-
rum Bedarfsorientierte Mindestsicherung
sorgung und medizinische Abklärung, welche
(BMS) beantragt werden.
ein Anamnesegespräch mit einem/r AllgemeinmedizinerIn sowie die Abklärung des
3.2.1 Vollversorgung
Impfstatus bzw. die Ergänzung von weiteren anbietet. Je nach Anamnese erfolgt auch eine
In der Vollversorgung werden Flüchtlinge in
Untersuchung zur Abklärung einer möglichen
einem sogenannten „Notquartier“ unterge-
Tuberkulose-Erkrankung entweder per Rönt-
bracht, in welchem ihnen neben der Unter-
gen oder Erregerkultur. Nach der Erstversor-
kunft auch die Verpflegung in Form von drei
gung und Zulassung zum Asylverfahren wer-
Mahlzeiten am Tag zur Verfügung gestellt
den die Flüchtlinge in den neun Bundeslän-
wird. Der Quartiersgeber erhält pro Flüchtling
dern untergebracht und versorgt.
einen Tagsatz von bis zu € 19 und stellt dafür Unterkunft und Verpflegung bereit. Die Flüchtlinge erhalten ein monatliches Taschengeld in
3.2 Formen der Unterbringung und
Höhe von € 40 pro Person.
Versorgung während des Asylverfahrens
3.2.2 Selbstversorgung in organisierter Unterbringung
Personen, die einen Anspruch auf Grundversorgungsleistungen haben, werden meist
Werden Flüchtlinge in einem Quartier unter-
organisierten Unterkünften zugewiesen.
gebracht, in dem sie sich selbst versorgen müssen, werden die Flüchtlinge nicht verkös-
Es gibt auch die Möglichkeit in privaten Wohn-
tigt sondern erhalten Verpflegungsgeld. Der
räumen unterzukommen.
Quartiersbetreiber erhält pro Flüchtling einen Tagsatz in Höhe von € 19, muss davon aber
Unterkunftgeber können private Betriebe, wie
den Flüchtlingen das Verpflegungsgeld, (je
Gasthäuser und Hotels oder NGOs wie Cari-
nach Bundesland zwischen € 5,50 bis max. €
tas, Diakonie, Volkshilfe oder Arbeitersamariter
7) ausbezahlen. Bei Minderjährigen sind es
Bund sein. Für die Unterbringung und Ver-
maximal € 121 monatlich.
pflegung in einer organisierten Unterkunft erhält der Unterkunftgeber pro Person und Tag maximal € 19,–.
33 4
3. Alltag und Strukturen
3.2.3 Selbstversorgung in
Für unbegleitete Minderjährige besteht im
Privatwohnung
Regelfall eine Beschwerdefrist von vier Wochen gegen die Entscheidungen des Bundes-
Neben der Unterbringung der Flüchtlinge in
amtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA).
einem organisierten Quartier gibt es noch die Möglichkeit, dass Flüchtlinge in eine Privat-
Nach der Zulassung zum Asylverfahren wer-
wohnung ziehen. Diese Möglichkeit ist vor
den UMF in sozialpädagogischen Einrichtun-
allem dann sinnvoll, wenn sich die Flüchtlinge
gen untergebracht, die von der Grundversor-
bereits seit längerer Zeit in Österreich aufhal-
gung finanziert werden. Die Jugendwohlfahrt
ten und abzusehen ist, dass ihnen Aufenthalt
engagiert sich nur teilweise. Die meisten Be-
gewährt wird. Der Mietzuschuss für eine Ein-
treuungsplätze werden von NGOs bereitge-
zelperson beträgt hier maximal € 120,– pro
stellt.
Monat, eine Familie erhält einen maximalen Zuschuss von € 240. Erwachsene erhalten ein
Die Standards in der Betreuung von UMF sind
Verpflegungsgeld von € 200, Minderjährige €
nicht einheitlich und liegen in den meisten
90 pro Monat, mit welchem die Miete, die Be-
Fällen weit unter den in der Jugendwohlfahrt
triebskosten, das Essen sowie alle sonstigen
üblichen Betreuungsstandards.
Ausgaben bezahlt werden sollen.
Die Tagsätze für UMF sind erheblich niedriger als jene in Einrichtungen der Kinder- und Ju-
3.2.4 Bestimmungen für Unbegleitete
gendhilfe: Während letztere erst bei € 120 pro
Minderjährige Flüchtlinge
Tag beginnen, liegen sie bei UMFBetreuungsstellen zwischen € 39 und € 77.
Im Asylverfahren sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, kurz UMF, alle Personen unter
Während der Dauer des Asylverfahrens wer-
18 Jahren, bei denen kein Elternteil oder
den die Minderjährigen im Rahmen der
kein/e sonstiger Obsorgeberechtigte/r anwe-
Grundversorgung in einer Betreuungsstelle
send ist. Für diese Kinder und Jugendlichen
oder in einer Einrichtung der Kinder- und Ju-
bestehen Sonderbestimmungen.
gendhilfe, untergebracht und betreut. In Österreich gibt es derzeit rund fünfzig Stellen, die
Im Zulassungsverfahren werden unbegleitete
ihren Schwerpunkt auf die Betreuung von
Minderjährige von Rechtsberater/innen in den
UMF, haben. Sozialpädagog/innen und Sozi-
Erstaufnahmestellen vor der Behörde vertre-
alarbeiter/innen sorgen für einen geregelten
ten. Wird das Asylverfahren zugelassen, ist
Tagesablauf und kümmern sich darum, dass
der gesetzliche Vertreter die jeweilige Kinder-
die Jugendlichen die Sprache lernen, die
und Jugendhilfe des Bundeslandes, in dem
Schule besuchen oder eine Ausbildung erhal-
das Kind bzw. der Jugendliche untergebracht
ten. Da einige UMF in ihrer Heimat keine oder
ist.
nur schlechte Schulbildung erhalten haben,
34
3. Alltag und Strukturen
sind die Möglichkeiten in Richtung Bildung oft
Notwendige zusätzliche Betreuungs- und
sehr begrenzt.
Behandlungsangebote? Für Flüchtlinge mit psychischen Erkrankun-
Auch mangelnde Deutschkenntnisse erschwe-
gen, mit Traumata oder für Folterüberlebende
ren die Aufnahme in eine Schule. UMF besit-
besteht in jedem Bundesland ein spezielles
zen jedoch das Recht auf Schulbildung.
Therapieangebot. Berücksichtigung finden bei entsprechenden ärztlichen Befunden körperli-
Der direkte Einstieg in die Berufswelt ist in
che Erkrankungen, die einen erhöhten Betreu-
Österreich für unbegleitete Minderjährige nicht
ungsbedarf verursachen. Weiters muss ent-
möglich. Da Lehrstellen bewilligungspflichtig
sprechende Unterbringung und Betreuung
sind, ist eine Lehre für UMF daher meist nur in
von besonders verletzlichen Personen, bei-
so genannten Mangelberufen eine Option.
spielsweise von alleinstehenden Müttern, Schwangeren oder Gebrechlichen gegeben sein.
3.3 Sonstige Informationen Ein Quartierwechsel oder eine Abmeldung
Erhalten die Asylwerber/innen
sind nur mit Zustimmung des jeweils zustän-
Deutschkurse?
digen Landesflüchtlingsbüros möglich. Hält
Das ist von Bundesland zu Bundesland unter-
sich ein/e Asylwerber/in nicht am zugewiese-
schiedlich. Erwachsene Flüchtlinge erhalten,
nen Wohnort auf, wird die Grundversorgung
wenn überhaupt, meist nur sehr wenige Stun-
beendet.
den, die von den Unterkunftgebern von den €
35 4
3. Alltag und Strukturen
10,– Freizeitgeld pro Person und Monat finan-
Schulungsmaßnahmen und erhalten Unter-
ziert werden. Besser ist die Situation dort, wo
stützung bei der Anerkennung ihrer Berufs-
NGOs oder private Initiativen Deutschkurse
qualifikation. Startwohnungen für anerkannte
organisieren bzw. finanzieren. In Tirol organi-
Flüchtlinge wären hier eine wichtige Maßnah-
siert die für die Betreuung zuständige Soziale
me, um den Flüchtlingen auch nach der Aner-
Dienste GmbH Deutschkurse in den Quartie-
kennung zu menschenwürdigen Wohnverhält-
ren und ermöglicht den Flüchtlingen auch
nissen zu verhelfen. Wichtig wäre auch ein
Prüfungen bis zu A2 Niveau.
System für die soziale und berufliche Integration um anerkannten Flüchtlingen und sub-
Dürfen Asylwerber/innen arbeiten?
sidiär Schutzberechtigten ein eigenständiges
Asylwerber/innen dürfen grundsätzlich keiner
Leben zu ermöglichen.
normalen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Erlaubt sind nur Saisonbeschäftigung und
Wie kann man sich die Unterbringung einer
Erntearbeit. Eine weitere Möglichkeit ist die so
Familie in einem Grundversorgungsquartier
genannte gemeinnützige Beschäftigung, die
vorstellen?
mit einem geringen Anerkennungsbeitrag (€
Eine durchschnittlich vier bis fünf köpfige Fa-
3,– bis € 5,– pro Stunde) abgegolten wird. Die
milie lebt in einem ca.15 bis 20 m2 Zimmer mit
gemeinnützige Arbeit bietet bei richtiger Ab-
Stockbetten, einem Kühlschrank, einem Kas-
wicklung vor allem den Vorteil, dass die Asyl-
ten und einem Tisch. Pro Stockwerk gibt es
werber/innen Kontakte zur Bevölkerung knüp-
Sanitäranlagen sowie eine Gemeinschaftskü-
fen können, was wiederum die Integration
che, die von etwa 25 bis 30 Personen genutzt
erleichtert.
werden. Aufgrund von Platzmangel werden Mahlzeiten im Zimmer verzehrt. Ebenso dient
Was passiert, wenn ein Asylbescheid da
der private Raum zum Lernen und Hausauf-
ist?
gaben machen. Rückzugsmöglichkeiten gibt
Bekommt ein Flüchtling Asyl oder subsidiären
es kaum.
Schutz, erhält die betroffene Person unbe-
Gemeinschaftsräume wie Spielzimmer oder
schränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach
Seminarräume können nur unter Aufsicht ge-
längstens vier Monaten muss sie ihr Grund-
nutzt werden.
versorgungsquartier verlassen. Die Asylberechtigten haben meist kein Geld, um die ver-
Wie lange leben Asylwerber/innen in einem
langten Kautionen für Wohnungen zu bezah-
Grundversorgungsquartier?
len, sie können oft noch nicht gut Deutsch,
Einige sind erst ein paar Wochen in Öster-
sind nicht mobil, da sie sich kein Auto leisten
reich, wenn sie z.B. direkt aus Traiskirchen
können und finden dementsprechend schwer
kommen, andere wiederum ein paar Jahre.
einen Job. Ausreichende Deutschkenntnisse
Wie lange Asylwerber/innen in einem Quartier
vorausgesetzt, haben sie Zugang zu AMS-
wohnen, ist von unterschiedlichen Faktoren
36
3. Alltag und Strukturen
abhängig und reicht von einigen Wochen
Betten ausgestattet, manche haben ein eige-
manchmal sogar über mehrere Jahre.
nes Bad mit WC. Es gibt eine Küche und einen gemeinsamen Aufenthaltsraum.
Wie funktioniert das Zusammenleben?
sechs Betreuer/innen sind für eine WG zu-
Viele unterschiedliche Menschen mit unter-
ständig. Rund um die Uhr ist ein/e Dienstbe-
schiedlichsten Hintergründen wohnen ge-
treuer/in für die Jugendlichen da.
meinsam auf engstem Raum. Wie in jeder Wohngemeinschaft kommt es dabei zu Her-
Worin bestehen die Unterschiede zwischen
ausforderungen. Oft sind es Missverständnis-
begleiteten Minderjährigen und unbegleite-
se, unterschiedliche Lebensstile, die aufei-
ten Minderjährigen?
nandertreffen, oder das Gefühl zu kurz zu
Der große Unterschied besteht in der Unter-
kommen, wenn die Ressourcen knapp sind.
bringung. Unbegleiteten Jugendlichen steht mehr Privatsphäre zu. Außerdem gibt es im
Wie nehmen Kinder die Wohnsituation
Jugendbereich andere Tagesätze, was sich
wahr?
positiv auf einen höheren Betreuungsschlüssel
Kinder gehen ganz individuell mit der Wohnsi-
auswirkt.
tuation um. Auf der einen Seite sind immer andere Kinder zum Spielen da. Außerdem
Wer sind die Bezugspersonen des begleite-
besteht die die Möglichkeit, durch Angebote
ten Minderjährigen? Wie sieht die Betreu-
wie z.B. Nachhilfe betreut zu lernen. In einer
ung aus?
privaten Unterkunft wäre dies schwierig zu
Jede Person und jede Familie hat eine/n Be-
organisieren.
treuer/in. Diese/r unterstützt im Alltag und koordiniert oder organisiert alternative Unter-
Auf der anderen Seite benötigen Kinder auch
stützungsangebote. Bindungen entstehen,
den Raum, sich individuell auszudrücken und
Beobachtungen werden angesprochen, Emp-
zu entfalten und natürlich auch Rückzugsmög-
fehlungen gegeben – die Entscheidung trifft
lichkeiten. Der Platzmangel macht sich bei
die jeweilige Person aber immer selbst. Be-
Kindern besonders durch die Stimmung und
zugspersonen der Kinder sind die Eltern.
Anspannungen bemerkbar. Die meisten Eltern kümmern sich um ihre KinWie kann man sich die Unterbringung eines
der. Viele versuchen ihre Kinder zu unterstüt-
UMFs vorstellen?
zen, sind aber überfordert. In vielen Belangen
Unbegleitete Minderjährige werden in Wohn-
können sie auch keine Hilfe sein, weil ihnen
gemeinschaften zu maximal 15 Personen un-
selbst das Wissen fehlt. Umso mehr sind die
tergebracht. Manchmal befinden sich drei
Kinder und Jugendlichen auf Unterstützung
solcher Wohngemeinschaften in einem Haus.
und Förderung außerhalb der Familie ange-
Die meisten Zimmer sind mit 1-2, maximal 3
wiesen.
37 4
3. Alltag und Strukturen
Eine interessante Rolle kommt hierbei auch
treten und sich auszutauschen – beide Seiten
den Freiwilligen zu, die sich langfristig regel-
erhalten dadurch wertvolle Informationen.
mäßig einer Aufgabe mit den Kindern oder Jugendlichen widmen. Neben der Rolle als
Integration findet statt, wenn Flüchtlinge auf
Vertrauensperson haben sie vor allem eine
Österreicher/innen treffen. Das bedeutet In-
große Vorbildwirkung.
tegration findet vor allem in den Schulen statt. Auch 16 und 17-jährige wollen zur Schule
An wen wenden sich Lehrer/innen?
gehen. Das ist für sie viel interessanter, als ein
Ansprechperson für Lehrer/innen sind in erster
Deutsch-Kurs – wo sie wieder nur auf Flücht-
Linie die Eltern. Bei der Übersetzung und Er-
linge treffen und hat einen sehr hohen Stel-
klärung von Nachrichten im Mitteilungsheft
lenwert. Häufig gelingt es den Bezugsbetreu-
können die Betreuer/innen helfen. Ob die
er/innen Schulen zu finden, die sich bereit
Nachrichten nun gelesen werden oder ob
erklären, einen oder mehrere junge Flüchtlinge
Eltern am Elternabend teilnehmen, können die
aufzunehmen.
Betreuer/innen nicht beeinflussen. Ebenso unterstützen sie bei diversen Besor-
Was könnte für die Kinder schwierig sein?
gungen wie z.B. Einkaufslisten für den Schul-
Was können Lehrer/innen bedenken?
anfang.
Stellt die Volljährigkeit im Schulkontext ein
Wenn die Kommunikation mit den Eltern nicht
Problem dar?
funktioniert, besteht immer die Möglichkeit
Die Entscheidung, ob ein/e Schüler/in trotz
sich an den/ die Betreuer/in zu wenden.
Volljährigkeit an der Schule bleiben darf obliegt der Schule. Ebenso wie die Entscheidung
Wer sind die Bezugspersonen des begleite-
eine/n Schüler/in nach der Schulpflicht aufzu-
ten Minderjährigen? Wie sieht die Betreu-
nehmen. Das einzige, was sich bei Volljährig-
ung aus?
keit ändert, sind Wohnen und Zuständigkeit.
Jeder Jugendliche hat einen Bezugsbetreuer. Dieser führt z.B. das Erstgespräch und Entwicklungsgespräche, in denen es um Perspektiven und Bildung geht.
Im Zentrum steht besonders bei unbegleiteten Minderjährigen die Bindungsarbeit. Wie eng diese Bindung letztendlich ist, hängt von der Persönlichkeit und den Bedürfnissen des Jugendlichen ab. Ein wichtiger Punkt in der Betreuung ist es auch mit den Lehrer/innen in Verbindung zu
38
4. Trauma bei Kindern
Wenn die Medizin von einem Trauma spricht,
4. Trauma bei Kindern
bezeichnet sie eine Verletzung oder Schädigung des Körpers. Die psychologische ÜberDie Einschulung von schulpflichtigen Flücht-
setzung beschreibt die Auseinandersetzung
lingskindern stellt Pädagogen/innen nicht nur
mit einer Situation, in der sich ein Mensch so
vor sprachliche Herausforderungen. Oft müs-
schutzlos fühlt, dass weder Flucht noch Ver-
sen die Kinder neben dem Spracherwerb, und
teidigung möglich sind bzw. nicht zu einem
dem Einfinden in eine neue Klassengemein-
Rückgang der Bedrohung führen.
schaft auch traumatische Erfahrungen verarbeiten, was unter anderem Auswirkungen auf
Dieser traumatische Zustand geht mit ein-
ihre Konzentration und die Schulleistungen hat
schneidender Angst und Hilflosigkeit einher
und den Alltag in der Schule erschweren
und kann zu einer Minderung des Selbst- und
kann.
Weltverständnisses, in Folge zu psychischen Erkrankungen führen. Trotzdem gilt, dass nicht
Zuwendung von Seiten der Pädago-
jeder Mensch nach einer traumatischen Situa-
gen/innen ohne den Schüler/innen dabei zu
tion auch eine psychische Erkrankung entwi-
viel Sonderbehandlung zukommen zu las-
ckelt. Das bedeutet also, dass ein schlimmes
sen, Aufklärung und eine schnellstmögli-
Ereignis potentiell traumatisierend sein kann,
che Einbindung in die Klassengemein-
aber es nicht zwangsläufig sein muss.
schaft kann den Kindern dabei helfen, sich Orientierung zu verschaffen und sich sicher
Im Krieg oder unter politisch unterdrückenden
zu fühlen.
Verhältnissen entstandene Traumata wirken weit über die Dauer des unmittelbar lebensbedrohlichen Ereignisses hinaus. Aus psycho-
4.1 Trauma
logischer Sicht bedeutet eine Traumatisierung Ein psychisches Trauma ist die Verlet-
einen tiefen, alles verändernden Einschnitt.
zung der Seele durch ein belastendes
Das gewohnte Leben, Wertvorstellungen und
Ereignis oder eine Situation außerge-
Lebenseinstellungen werden ab dem Zeit-
wöhnlicher Bedrohung oder katastropha-
punkt der Traumatisierung in Frage gestellt.
len Ausmaßes (kurz oder lang anhaltend), das/die bei nahezu jedem Menschen
4.1.1 Kriegserlebnisse bei Kindern
eine tiefgreifende Verzweiflung hervorru-
• Tod der Eltern oder naher Verwandter,
fen würde. (ICD 10- Weltgesundheitsorganisation
Zeuge oder Zeugin von Ermordung,
1994)
zum Morden gezwungen werden, Folter Erschießung, Vergewaltigung, • Bombardierung, Raketenbeschuss, Granaten, Explosionen, 39
4
4. Trauma bei Kindern
Es wird versucht, Situationen, Orte, Ge-
• Armut, Hunger, Deprivation und Un-
spräche oder Gedanken aktiv zu vermei-
terernährung
den, die an das traumatisierende Ereignis
• Flucht, Verlust von Haus und Heimat,
erinnern, da das Wiedererlebte sehr belas-
langfristige Trennung von den Eltern,
tend ist.
Kidnapping, gehören für Kinder in
• Andauernde Erregtheit:
Kriegsgebieten zum Alltag
Kinder sind körperlich angespannt, reizbar, ungeduldig und haben häufig Wutausbrüche.
Kriegserlebnisse können bei Kindern und Jugendlichen sowohl mentale als auch körper-
Traumatische Erlebnisse können Kinder und
liche Folgen haben, weil diese Ereignisse
Jugendliche auch reifen lassen. So kann es
außerhalb der normalen Lebenserfahrung
vorkommen, dass sie früher als Gleichaltrige
eines jungen Menschen liegen und sie sie
lernen Verantwortung zu übernehmen. Der
dadurch vollkommen unvorhersehbar treffen.
Verlust der gewohnten Umgebung erfordert
Es kommt zu einem gewaltsamen Bruch in
eine Suche nach neuen Beziehungen, Freun-
einer besonders sensiblen Lebensphase, in
den und nach Menschen, die sie annehmen,
der die Entwicklung der eigenen Identität, in
wie sie sind. Die Erfahrung von Anerkennung
der Beziehung zu Gleichaltrigen aus dem
ermuntert Kinder und Jugendliche offen, neu-
Umfeld immer mehr an Bedeutung gewinnen.
gierig und sensibel zu sein. Hingegen kann es
Dabei spielen nicht nur die eigenen Verluste,
bei weiteren Verlusten, Stress und Unsicher-
sondern auch das Ungleichgewicht der psy-
heiten durch z.B. Ablehnung zu einer Verstär-
chischen Struktur der Eltern eine wesentliche
kung der Traumatisierung kommen.
Rolle.
Traumata können also ganz unterschiedliche
Eine häufige psychische Erkrankung, die nach
Auswirkungen haben. Wesentlich bei der Be-
solchen Ereignissen diagnostiziert wird, ist die
schreibung der Folgen ist, immer die subjekti-
Posttraumatische Belastungsstörung.
ven Faktoren eines Kindes und Jugendlichen und die objektiven Faktoren der erlebten Si-
Die Posttraumatische Belastungsstörung um-
tuation zu berücksichtigen.
fasst folgende Kernsymptome: • Das Wiedererleben des traumatischen Ereignisses:
4.1.2 Mögliche Symptome bei Kindern
Erinnerungen an ein Ereignis drängen im-
Kinder, die Fluchterfahrung gemacht haben,
mer wieder hervor und belasten.
unterscheiden sich in ihrer Vielfalt an Fähigkei-
• Das Vermeiden von Situationen, die an
ten, Bedürfnissen und Persönlichkeiten nicht
das ursprüngliche traumatische Ereignis
von anderen Kindern. Symptome wie Angst,
erinnern:
40
4. Trauma bei Kindern
Aggression, depressive Verstimmung oder
nen. Es können einige wenige oder mehrere
psychosomatische Erkrankungen entsprechen
Anzeichen gleichzeitig hervortreten.
zwar denen österreichischer Kinder, sollten aber im Zusammenhang mit der Flucht gese-
Die therapeutische Betreuung von Flüchtlings-
hen werden.
kindern ist häufig zufällig und abhängig vom Engagement von Kindergärtner/innen, Leh-
Faktoren wie die traumatischen Erfahrungen
rer/innen, Sozialarbeiter/innen, Ärzt/innen,
der Flucht, die Traumatisierung der eigenen
Therapeut/innen und der Eltern.
Eltern, der unsichere Rechtsstatus, häufiger Orts- und damit verbundener Schulwechsel
Symptome von Trauma in vier Ebenen:
erhöhen das Ausmaß der Belastung. Hinzu
Gefühlsebene: Traurigkeit, Schuld,
kommt die finanzielle Not und die beengten
Angst, Gefühle der Verlassenheit, Hilflo-
Wohnverhältnisse sowie die Folgen von Migra-
sigkeit, Leere, Taubheit, Wut, Lustlosig-
tion bzw. Flucht, wie zum Beispiel das Gefühl
keit, Sorge oder gedrückte Stimmung
fremd zu sein, Herausforderungen im Sprach-
Gedankenebene: Zwangsgedanken,
erwerb und kulturelle Differenzen.
Verwirrung, „Neben-sich-stehen“, Kon-
Oft müssen sie ihre eigenen Bedürfnisse zu-
zentrationsprobleme, Halluzinationen,
rückstellen und Aufgaben übernehmen, die
Kontrollverlust, kurze Gedächtnisstörun-
nicht altersgerecht sind, wie zum Beispiel die
gen, filmartige Rückblenden an das Er-
Verantwortung für Geschwister oder Vermitt-
lebnis
lerrollen zur Außenwelt zu übernehmen. Wäh-
Körperebene: Übelkeit, Engegefühle,
rend der Pubertät sind Betroffene besonders
Übersensibilität der Sinne, Atemlosigkeit,
verletzlich, weil die Eltern oftmals selbst psy-
Energiemangel, Müdigkeit, Zittern, Herz-
chisch schwer belastet sind und ihre Sicher-
rasen, Schwindel, Kopfschmerzen, Appe-
heit gebende Rolle nicht immer erfüllen kön-
titverlust
nen.
Verhaltensebene: Schlafstörungen, Albträume, Essstörungen, sozialer Rückzug,
Anzeichen wie Konzentrationsstörungen, Ab-
Weinen, Desorientierung, Hektik, Aggres-
wesenheitszustände, Isolation, Müdigkeit auf-
sivität, psychomotorische Hemmung,
grund von Schlafstörungen, depressive Symp-
Stottern,Klammern, Schreckhaftigkeit,
tome, aber auch aggressives Verhalten, las-
Impulsivität, Gleichgültigkeit, Teilnahms-
sen auf den ersten Blick eine Traumatisierung
losigkeit, Vermeidung von Erinnerungen
nicht gleich als solche erkennen. Symptome
an das Trauma
können stark oder schwach, unmittelbar nach dem Ereignis auftreten, aber auch bis zu mehrere Wochen und sogar Jahre später begin-
41 4
4. Trauma bei Kindern
wachseneres, hat noch keine stabilen Formen
4.1.3 Trauma und Trauer
angenommen.
Obwohl es im Allgemeinen durchaus versuche gibt, Trauer in Phasen einzuteilen, muss man
Während der Pubertät wird der Tod generell
sich immer vor Augen halten, dass jeder
als etwas Sinnloses und Ungerechtes erachtet
Mensch auf individuelle und einzigartige Wei-
und religiöse bzw. kulturelle Bräuche sind in
se trauert. Im Vergleich zu Erwachsenen kann
diesem Alter oft nicht angenommen. Oftmals
der Prozess des Trauerns bei Kindern schnel-
können Sinnkrisen auftreten. Hier wird die
ler abgeschlossen und zwischen den einzel-
Unterstützung von Gleichaltrigen hilfreicher
nen Trauerphasen mehr Raum für Erholung
erlebt als die von vertrauten Erwachsenen.
notwendig sein.
Im Begriff Trauer lassen sich unterschiedliche
4.1.4 Umgang mit traumatisierten Kin-
Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung,
dern
Angst, Schuldgefühle aber auch Wut, Einsam-
Traumatisierte Kinder und Jugendliche brau-
keit und Sehnsucht zusammenfassen. Je nach
chen Integration, Stabilisierung, Sicherheit und
Herkunft und Tradition gibt es unterschiedli-
Unterstützung bei der Bearbeitung des Erleb-
che Tabus und Formen des Umgangs mit
ten. Als Lehrkraft kann man sich bei der Ver-
Trauer.
mittlung von Angeboten einbringen, für die Verarbeitung eines Traumas sollte man aber
Auch wenn Reaktionsformen auf den ersten
unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch
Blick ähnlich wirken, sich sogar eine Vermi-
nehmen.
schung von Gefühlsausdrücken zeigt, ist es wesentlich, in der Arbeit mit traumatisierten
Auch wenn manche Flüchtlinge im Herkunfts-
Kindern immer das Bewusstsein für den Un-
land nur wenige Schuljahre absolvieren konn-
terschied zwischen Trauma und Trauer zu
ten: Schule kennen sie alle. Es ist etwas Ver-
halten.
trautes, wenn auch die Form und der Umgang oftmals erklärungsbedürftig sind.
Die Posttraumatische Belastungsstörung kann z.B. Einfluss auf den Trauerprozess haben, in
Die Schule kann und muss den Kindern und
dem dieser erschwert bzw. vollkommen be-
Jugendlichen Sicherheit geben. Kinder kön-
hindert wird. Unterstützende Wirkung erfährt
nen in der Schule andere soziale Erfahrungen
das Kind nur, wenn der Schmerz und das
machen als in den Flüchtlingsunterkünften, sie
Traurigsein zugelassen werden können.
können Stabilisierung, Orientierung und Integration erfahren.
Einen Verlust zu verarbeiten ist besonders für Jugendliche schwierig. Das alte Gerüst der Kindheit hält nicht mehr und ein neues, er42
4. Trauma bei Kindern
Lehrer/innen haben eine große Bedeutung,
4.1.5 Umgang mit dem Thema in der
weil sie einen Bezugspunkt darstellen, an dem
Klassengemeinschaft
sich das Kind zuerst einmal orientieren kann.
Die Klassengemeinschaft sollte auf die Mög-
Sie tragen durch ihr Auftreten und ihre päda-
lichkeit vorbereitet werden, dass unter den
gogische Kompetenz maßgeblich dazu bei,
neuen Klassenkolleg/innen, Kinder oder Ju-
dass das Kind sich sicher und frei fühlt.
gendliche mit traumatischen Erfahrungen sind. Schüler/innen fällt es leichter zu verstehen, wie
Kinder und Jugendliche mit traumatischen
Traumata entstehen können, wenn man das
Erfahrungen brauchen viel Verständnis, Ge-
Thema aus dem Erfahrungsbereichen der
duld und Strukturen, die ihnen Sicherheit ge-
eigenen Lebensrealität erarbeitet, wie z.B.
ben. Lehrer/innen ermöglichen ihnen im
Anhand von Unfällen oder Naturkatastrophen.
Schulalltag eine Stabilisierung, wenn es ihnen
Dadurch ist es leichter nachzuvollziehen, wie
gelingt, im Blick auf das Verhalten der Kinder
jeder Mensch ein Trauma entwickeln kann, wie
und Jugendlichen bereits Kontinuität oder
wichtig ein „normaler“ Alltag ist und wie die
kleinste Fortschritte zu würdigen.
Schule dabei helfen kann, den neuen Kol-
Was kann helfen:
leg/innen dies zu ermöglichen.
• Fördern des Vertrauens zu den eigenen Fähigkeiten und in die Klassen-
Sowohl der Einzelne als auch die Klassen
gemeinschaft
brauchen Unterstützung im Umgang mit dem
• Gespräche und Nähe anbieten ohne
Thema sowie Sicherheit und Aufmerksamkeit.
sie einzufordern, Trost und Rückzug
Dies wird durch das Bewusstsein um die be-
ermöglichen ohne alleine zu lassen
sondere Situation und das Informieren über
• Alltagsrituale und Struktur durch wie-
den weiteren Verlauf und Umgang mit Ereig-
derkehrende Abläufe einführen
nissen vermittelt. Schüler/innen sollten wis-
• Grenzen aufzeigen
sen, dass Lehrer/innen für sie da sind.
• Selbstwert stärken • Erfolgserlebnisse ermöglichen • Klare und verständliche Regeln mit bekannten Konsequenzen für die ganze Klassengemeinschaft • Keine Duldung von Gewalt
43 4
4. Trauma bei Kindern
• Auf sich achten
•
Auszeiten- Ausgleich In der
Gerade als Bezugsperson muss man
Freizeit bewusst einen Ausgleich
auf sich selbst zu achten lernen und
zu schaffen, der nichts mit der
rechtzeitig auf erste Anzeichen für zu
Arbeit oder dem Thema zu tun
starke „Berührung“ oder Überforde-
hat.
rung reagieren.
•
Mögliche Indizien, an denen man an
Aktivitäten, die einem Freude berei-
sich selbst erkennen könnte, wann es
ten können dabei helfen, die Energie-
zu viel ist, könnten Nervosität, Ag-
reserven aufzutanken.
Kraft schöpfen
gression und Angespanntheit sein. Bereits kleine Aufgaben bzw. Dinge
Ein Leistungsabfall kann eine natürliche Fol-
empfindet man als mühsam.
gereaktion sein und sollte nicht überbewertet
• Mit Kolleg/innen sprechen
werden. Die Schüler/innen sollten genügend
Eine wesentliche Ressource kann ein
Zeit bekommen, um wieder zu sich zu finden.
Gespräch mit KollegInnen über belas-
Es ist in Ordnung, wenn sie in diesem Zeit-
tende Erfahrungen, Gespräche etc.
raum abwesend wirken oder reizbarer sind.
sein. Ein unmittelbarer Austausch mit
Wichtig ist hierbei, dass das Verhalten auf-
KollegInnen, bei dem das Erzählte
merksam und über einen längeren Zeitraum
nicht zwangsläufig wiedergegeben
beobachtet wird.
werden muss, hilft dabei, zum Ausdruck zu bringen, dass etwas an-
Eindrücke über das Verhalten und Leistungen
strengend oder belastend war.
sollten regelmäßig mit den Eltern und Kol-
• Abgrenzen – Privates und Berufli-
leg/innen besprochen werden, um gegebe-
ches trennen
nenfalls weitere Unterstützung zu suchen.
Rituale, die dabei helfen nach der Arbeit erfolgreich zu entspannen, kön-
4.2 Strategien, um mit der Heraus-
nen ganz individuell ausfallen. Insbesondere nach Tagen, in denen man
forderung umzugehen
starken Belastungen ausgesetzt war,
Ein zentrales Thema bildet die Frage nach den
könnte es hilfreich sein, nicht direkt
individuellen Strategien und Ressourcen, um
nach Hause zu gehen, sondern z.B.
mit beruflichen Belastungen, insbesondere
ein Stück zu Fuß zu gehen, um wieder
durch die Konfrontation mit Traumata der
zur Ruhe zu kommen und das Erlebte
Schüler/innen umgehen zu können.
gedanklich nicht mit nach Hause zu nehmen.
44
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
dungsministerium verschiedene Maßnahmen
5. Auseinandersetzung mit der
wie Sprachförderkurse, Alphabetisierung,
Thematik in der Klassenge-
muttersprachlicher Unterricht, Erwachsenen-
meinschaft
bildung und psychosozialer Unterstützung. Anregungen und methodische Anleitungen, wie man die Klassengemeinschaft auf den
Ist Österreich ein Einwanderungsland? Brau-
oder die neue/n Schüler/in vorbereitet, werden
chen wir Zuwanderung oder kommen zu viele
hier erläutert. Themen wie Migration, Asyl,
Asylwerber/innen zu uns? Wie gehen wir damit
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Unter-
um? Und wie kann Integration gelingen?
richt zu behandeln und bestehende Strukturen zu nutzen, um Integration ohne großen Auf-
Der Umgang mit Migrant/innen und vor allem
wand im Klassenzimmer lebbar zu machen,
mit Asylwerber/innen wird in Österreich immer
soll wichtiger Bestandteil bei der Aufbereitung
wieder heiß diskutiert. Das Thema „Integrati-
dieser Thematik in einer Klassengemeinschaft
on“ ist ein Dauerbrenner in der politischen
sein.
Auseinandersetzung und in den Medien. Spätestens seit den Entwicklungen in den vergan-
Weiterführende Informationen zur Thematik
genen Jahren kann der Eindruck entstehen,
befinden sich in der Sammlung an Link- und
dass sich die Gesellschaft in zwei Lager spal-
Literaturtipps am Ende dieser Unterlage, so-
tet. Die einen, denen die Gesetzgebung und
wie laufend ergänzt auf der Website
Handhabung nicht restriktiv genug ist, und die
www.schulpsychologie.at/asylsuchende.
anderen, die die Willkommenskultur forcieren und gegen Abschiebungen demonstrieren.
5.1 Vorbereitende Maßnahmen
Auch Kinder und Jugendliche beschäftigen
Die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft
sich mit der Thematik, bekommen sie doch
macht die Förderung entsprechender Kompe-
täglich die unterschiedlichen Meinungen,
tenzen, mit dieser umgehen zu können, immer
Ängste und Argumentationen zu Hause, auf
notwendiger. Bildungseinrichtungen wie auch
der Straße oder im Internet mit.
Jugendorganisationen spielen hierbei eine entscheidende Rolle.
Nicht erst seit dem Schulstart im September 2015 sind auch Kinder in Klassen, die aus
Sie haben die Möglichkeit und Aufgabe, Kin-
Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afgha-
dern und Jugendlichen den richtigen Umgang
nistan oder dem Irak nach Österreich geflüch-
mit Fremdheit und Differenz zu vermitteln. Ziel
tet sind – seither jedoch vermehrt. Um die
soll es sein, Vielfalt als etwas Positives zu er-
Schulen bei der Eingliederung der Flücht-
kennen und diese schätzen zu lernen.
lingskinder zu unterstützen, setzt das Bil-
45
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Zielsetzung
Wissensvermittlung Wissen bedeutet, ein Thema kompetent zu
Die Ziele der Auseinandersetzung mit
vermitteln, sich mit unterschiedlichen Stand-
Flucht und Asyl im Unterricht sollen drei
punkten auseinandersetzen und Vorurteilen,
Aspekte umfassen:
die häufig auf Unwissenheit beruhen, begeg-
• die Erzeugung eines Perspektiven-
nen zu können. Um das Thema Flucht und
wechsels bzw. von Empathie
Asyl im Unterricht zu behandeln, ist es für
• Wissensvermittlung
Lehrer/innen unausweichlich, sich Wissen
• das Aufzeigen von Handlungsmög-
anzueignen.
lichkeiten.
Möglichkeiten der Behandlung des Themas Perspektivenwechsel bzw. Empathie:
Flucht und Asyl im Unterricht
Die Perspektive soll auf die Ursachen für
Je nach Schulart eignen sich unterschiedliche
Flucht gelenkt werden und so das Verständnis
Schulstunden oder Unterrichtsfächer, sinnvoll
für die Beweggründe von Flüchtlingen geför-
auch fächerübergreifend, Asyl und Flucht als
dert werden. Dies kann sich über Themenbe-
Unterrichtsthema zu behandeln. Dabei sollten
reiche der Fluchthintergründe wie zum Bei-
Ziele klar abgegrenzt und passende Metho-
spiel Fluchtursachen und Fluchtwege bis hin
den genutzt werden.
zur Auseinandersetzung mit der Lebenssituation von Asylwerber/innen in Europa und Ös-
Besonders gut eignen sich Projekttage oder
terreich erstrecken. Ziel ist, dass die Schü-
Projektwochen für den Beginn der Auseinan-
ler/innen eine neue Perspektive kennen lernen,
dersetzung mit dem Thema.
indem sie über den eigenen Tellerrand blicken
Je nachdem welche Unterrichtsfächer als
und andere Lebensgeschichten und Le-
passend erachtet werden, kann im jeweiligen
benshintergründe kennenlernen. Im besten
Unterricht die Arbeit fortgesetzt werden. Ganz
Fall schaffen es die Schüler/innen, sich in die
wesentlich dabei ist, dass sich Lehrer/innen im
Situation von Flüchtlingen bzw. Asylwer-
Vorfeld mit dem Thema Flucht und Asyl be-
ber/innen hineinzuversetzen und so Empathie
schäftigen und sensibilisiert werden. Idealer-
zu entwickeln.
weise sollten sie zunächst selbst an Weiterbildungen bzw. Workshops teilnehmen, um nicht
Methoden-Beispiele:
unbeabsichtigt selbst Vorurteile wiederzuge-
• Die Auseinandersetzung mit der Lebenssi-
ben.
tuation von Asylwerber/innen im Vergleich
Erst dann sollten Schüler/innen sowie Eltern
zu der eigenen. Beispielsweise durch das
als Zielgruppe definiert werden.
Abkleben und fiktiven Einrichten mit not-
46
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
wendigen Wohngegenständen von 6qm
Wissensvermittlung:
Wohnfläche.
„Wissen schafft Brücken“ – ein Bild, das in vielen Themenbereichen Anwendung findet -
• Selbstreflexionsübung: Warum würdest du auswandern? Und dann vertiefend: Warum
so auch im Themenbereich von Flucht und
würdest du flüchten?
Asyl. Wissen schafft den Raum zur Auseinandersetzung mit anderen Menschen und deren
Literatur-Beispiele:
Geschichte. Es schafft einen Rahmen, der
• Aliyahs Flucht oder Die gefährliche Reise in
lehrreich ist und Neugierde wecken kann. Das
ein neues Leben von Güner Yasemin Balci,
Ziel der Wissensvermittlung im Unterricht kann
Bonn 2015
darin bestehen, die im ersten Schritt gemach-
• Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia.
ten Erfahrungen zu vertiefen, Gedanken und
Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
Gefühle zu dem Thema gemeinsam zu reflektieren, in einen Kontext setzen und Vorurteile
• Schiffbruch von Wolfgang Grenz / Julian
zu entkräften.
Lehmann / Stefan Keßler, Bonn 2015 • Zuhause kann überall sein von Irena Ko-
Workshops:
bald, 2015
• Altersgerechte Workshops zu Themen wie
• Nuri und der Geschichtenteppich von An-
Migration, Flucht und Asyl, Identität und
drea Karimé
Vorurteile zum Beispiel durch Vereine und Film- Beispiele:
Organisationen oder lokale Initiativen, die
• Kusturica, Nina [Regie]: Little Alien Wien:
sich im Bereich von Flucht und Asyl engagieren
Mobilefilm Produktion, 2010. - 94 Min. Do-
• Argumentationstrainings um Vorurteilen
kumentarfilm
entgegen zu wirken
• Riahi, Arash T. [Regie]: Ein Augenblick Freiheit Wien: Hoanzl, 2012. - 107 Min.
Theoretische Auseinandersetzungen:
Spielfilm • Anna, Amal & Anousheh: Mädchen zwi-
• Auseinandersetzung mit den weltweiten
schen Rollenmustern und Selbstbestim-
Fluchtbewegungen im Verhältnis zu den
mung Bern: Filme für eine
Asylanträgen in der EU und/oder in Öster-
Welt|Bildungsstelle der AG Hilfswerke,
reich • Auseinandersetzung mit der Entstehung
2007. - 160 Min. Spielfilm, Dokumentarfilm
und Entwicklung des Grundrechts auf Asyl
• BAOBAB – Globales Lernen: anderswo daheim: Chancen und Herausforderungen
durch die Auseinandersetzung mit der Ver-
der multikulturellen Gesellschaft. 9 Filme
folgung während des Nationalsozialismus
und Begleitmaterial für Unterricht und Bil-
• Auseinandersetzung mit der europäischen
dung Wien: BAOBAB - Globales Lernen,
Migrationspolitk und den dazugehörigen
2013. - 127 Min.
Maßnahmen wie: FRONTEX, Dublin-III-
47
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Verordnung, Grenzzäune und –anlagen,
Aktionen mit Asylwerber/innen:
den Bedingungen in anderen EU-Staaten
• gemeinsames Kochen oder Musizieren
wie zum Beispiel Griechenland und Itialien
• Umsetzung eines gemeinsamen Projektes, wie z.B.die Neugestaltung des Schulhofes
Handlungsmöglichkeiten:
oder eines Gemeinschaftsraumes in einer
Ein nächster Schritt ist die aktive Arbeit in den
Einrichtung
Schulen, die auch über den Schulalltag hinausgehen kann. Der theoretische Zugang zu
Unterstützung von Asylsuchenden:
dem Thema ermöglicht den Schüler/innen,
• Bildungspatenschaften
sich Basiswissen anzueignen und eine Vor-
• Deutschkurse
stellung von der Lebenswelt von Asylwer-
• Schüler/innentandems
ber/innen zu bekommen. Wichtig ist aber
• Vermittlung zu Vereinen
auch, den Schüler/innen zu ermöglichen, aktiv mit dem Thema umzugehen. So können sie
5.2 Unterstützende Maßnahmen
sich zum Beispiel im Sinne einer demokratischen Schule, einbringen, Einfluss nehmen
Der erste Schultag ist für jede/n Schüler/in mit
und Erfahrungen sammeln.
Aufregung und Unsicherheiten verbunden. Für Flüchtlingsfamilien ist der erste Schultag eine
Die Methodik
ganz besondere Herausforderung und auch
Die Methoden unterscheiden sich hinsichtlich
oft mit Ängsten und Unsicherheit verbunden.
des Aktivitätsgrades und sollten abhängig von der Unterrichtssituation zum Einsatz kommen.
Diesen Unsicherheiten und Ängsten kann man
Dabei müssen die Ziele der Erzeugung von
meistens mit kurzen, aber klaren Informationen
Empathie und der Wissensvermittlung nicht
begegnen. Klassenlehrer/innen können sich
zwangsläufig voneinander getrennt sein.
als Ansprechpartner/in vorstellen und den Ablauf des ersten Schultages erklären.
Handlungsmöglichkeiten Aktionen für Asylwerber/innen:
Sprache
• Umsetzung einer Benefizveranstaltung an
Je schneller ein/e Schüler/in die Sprache er-
der Schule, wie z.B. ein Schulkonzert zu-
lernt, umso leichter kann man ihn/sie in den
gunsten einer Flüchtlingseinrichtung
regulären Unterricht einbeziehen. Wesentlich
• Sammelaktionen um den Bedarf einer Ein-
ist hierbei bestimmt der gezielte Sprach- und
richtung zu decken oder eine Familie zu
Förderunterricht. Vor allem aber lernen Kinder
unterstützen
den regelmäßigen Umgang mit der Sprache, wenn sie Gelegenheit zum richtigen Sprechen
• Projekte zum Thema organisieren, Nach-
und Hören haben.
barschaft oder Gemeinde einladen um Bewusstsein zu schaffen
48
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Wie schnell der/die Schüler/in die Sprache
Konzentrationsstörungen bei (Flücht-
erlernt, hat im Wesentlichen damit zu tun, ob
lings)kindern kommen. Dadurch kann es
er/sie unbelastet ist, wie komplex der Wort-
manchmal länger dauern, bis die Sprache
schatz sein muss und ob es täglich genügend
erlernt wird. Das ist nicht ungewöhnlich und ist
Möglichkeit gibt, fehlerfreies Deutsch zu hö-
keinesfalls ein Zeichen von geringer Intelli-
ren.
genz. Klassengemeinschaft, Anerkennung und
Zu empfehlen wäre das Einführen eines Pa-
Wertschätzung
tenschafts- bzw. Buddysystem innerhalb der
Jegliche Aktivitäten, bei denen Sprache eine
Klasse oder der Schule. Wenn möglich, über-
wesentliche Rolle spielt, bieten dem/der Schü-
nimmt die Patenschaft für eine/n neue Schü-
ler/in die Chance, Anerkennung von ihren
ler/in ohne Sprachkenntnisse eine Schülerin
Mitschüler/innen zu bekommen und sich zu
oder ein Schüler aus demselben Herkunfts-
integrieren.
land oder mit derselben Muttersprache. Der/Die Schüler/in kann eventuell Übersetzen
Alle Gruppen- und Ballspiele eignen sich,
und bei der Grammatik helfen.
auch ohne Worte in Kontakt zu kommen. Ein-
Auch eine gemeinsame Fremdsprache wie
fache Karten- oder Brettspiele sind leicht zu
z.B. Englisch kann herangezogen werden.
lernen, und fördern die Gemeinschaft. Auch kreative Aktivitäten wie Malen oder Basteln
Auch dann, wenn sich niemand findet, der
geben dem/ der Schüler/in die Möglichkeit
sich mit dem/der neuen Schüler/in verständi-
Gefühle auszudrücken. Vielleicht hat er/sie in
gen kann, können zuverlässige, empathische
seiner/ihrer Heimat auch ein Musikinstrument
Schüler/innen diese wichtige Aufgabe über-
erlernt und es besteht die Möglichkeit, dieses
nehmen. Die Patenschaften sollten so lange
weiter zu spielen. Wenn sich herausfinden
bestehen, bis sich die Schülerin oder der
lässt, was dem Kind vertraut ist, kann man
Schüler in wenigen Worten auf Deutsch ver-
daran anknüpfen. Altbekanntes gibt Sicher-
ständigen kann.
heit.
Flüchtlingskinder brauchen und wollen keine Sonderbehandlung, aber eine sensible Be-
Klare Worte
handlung. Anerkennung von Mitschüler/innen
Jedes Land hat seine unausgesprochenen
und Freundschaften haben eine große Bedeu-
Regeln, die man beigebracht bekommt und
tung, denn Kinder, die soziale Einbindung
verinnerlicht. Menschen aus anderen Kulturen,
erfahren, tun sich auch mit anderen schuli-
die andere Regeln gelernt haben, müssen
schen Anforderungen leichter.
sich erst an das neue Umfeld gewöhnen. Anstands- und Höflichkeitsregeln können in
Zur Erinnerung: Als Folge eines möglichen
fremden Kulturen anders ausfallen. Was in
Traumas und/oder von Trauer kann es zu
49
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Österreich ein Zeichen des Respekts ist, kann
ihrem alltäglichen Umfeld vielleicht ganz neue
anderer Orts als unhöflich gelten. Zu Erklären
Einblicke eröffnet.
warum man will, dass der/die Schüler/in dieses oder jenes tun soll, hilft dem/der Schüler/in
Kommunikation mit Betreuer/innen
dabei zu verstehen und die Dinge richtig ein-
Eltern können aufgrund der neuen Anforde-
zuordnen. Klare Worte unterstützen dabei, die
rungen verunsichert sein, was sich manchmal
unterschiedliche Regeln des Respekts schnel-
auch in Form einer Abwehrhaltung ausdrü-
ler zu lernen und zu begreifen.
cken kann. Je nach Herkunftsland fällt es manchen Eltern schwer, das österreichische
Erzählungen
Schulsystem mit seinen vielen Freiheiten und
Gerade in Volkschulen erzählen Schüler/innen
einer anderen Form der Disziplin und Regeln
nach Feiertagen oder Ferien von kleinen Er-
zu verstehen. Wenn die direkte oder indirekte
eignissen, Festen, Geburtstagsgeschenken
Kommunikation mit den Eltern nicht funktio-
oder dem Urlaub. Aber Achtung: Nicht jedes
niert, besteht immer die Möglichkeit mit Be-
Kind kann toll feiern, bekommt Geschenke
treuer/innen aus z.B. Grundversorgungsein-
oder kann in den Urlaub fahren. Nichts zu
richtungen Kontakt aufzunehmen.
berichten, ist dann besonders schwer. „Erweiterte Fragestellungen“, schaffen allen Kindern
Materielle Unterstützung
den Raum von Erlebtem erzählen zu können.
Da die Mittel für Freizeitgestaltung in der
Zum Beispiel: „Wer möchte von seinem lus-
Grundversorgung ungleich niedrig sind, ist die
tigsten Erlebnis aus den Ferien berichten?“
Teilnahme an Schulausflügen oft sehr schwer. Eventuell besteht die Möglichkeit über den
Elternarbeit
Elternverein Schüler/innen zu fördern und
Wenn es der Rahmen erlaubt, kann das Mit-
dadurch die Teilnahme zu ermöglichen. Gera-
einbeziehen der Eltern in die Klasse eine gro-
de wenn es um größere Veranstaltungen wie
ße Hilfe und Unterstützung sein. Viele Eltern
Schulwochen geht, haben Schüler/innen ein
sind unsicher, ob und wie sie auf Flüchtlings-
Bewusstsein für ihre finanzielle Situation und
familien zugehen können. Sprachbarrieren
sprechen aus Scham nicht mit ihren Eltern
spielen hier eine große Rolle. Für beide Seiten
bzw. Betreuer/innen darüber.
kann es eine Erleichterung sein, wenn die
Auch hier besteht die Möglichkeit mit Betreu-
Kontakte über die Schule vermittelt werden.
er/innen in Kontakt zu treten und gemeinsam
Das kann ohne viel Aufwand z.B. über einen
eine Lösung zu finden.
Elternabend geschehen. Von positiver Interaktion zwischen den österreichischen Familien
Initiativen des Bundesministeriums für Bildung
und Familien aus anderen Ländern profitieren
und Frauen:
vor allem die Kinder, weil durch diesen Kon-
Das Bundesministerium für Bildung und Frau-
takt eine Freizeitvielfalt angeboten wird, die in
en (BMBF) hat zur Unterstützung von Flücht-
50
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
lingskindern und –jugendlichen mehrere Maß-
tiert: Sprachkompetenz in Deutsch (Spre-
nahmen gesetzt. Eine davon ist die Erweite-
chen, Lesen, Schreiben), Rechnen und
rung der psychosozialen Unterstützung an
IKT, Lernkompetenz
und für Schulen mit „Mobilen interkulturellen
•
Teams“. Diese multiprofessionellen Teams aus
Anschlussmöglichkeiten in das österreichische Bildungssystem und den Arbeits-
PsychologInnen, SchulSozialarbeiter/innen
markt (Information und grundlegende Ori-
und PädagogInnen helfen Schulen dabei, die
entierung sowie Nahtstellenbetreuung zur
Aufgabe der Integration bestmöglich zu be-
Weitervermittlung in aufnehmende Stellen)
werkstelligen. Sie werden direkt vor Ort an den
•
Schulen tätig und sind sowohl Kooperations-
Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe
Zielgruppe
partner als auch Vermittler von Hilfestellungen.
Asylwerbende Flüchtlinge im Alter von 15 bis 19 Jahren mit Basisbildungsbedarf (50 %
Weitere Initiativen des BMBF sind: •
•
Erwachsenenbildung: Bildung für jun-
Mädchenanteil), die weder eine Schule besu-
ge Flüchtlinge
chen, noch in AMS Maßnahmen oder in Län-
Lehrgang „Übergangsstufe an BMHS
derinitiativen aufgenommen werden.
für Flüchtlinge“ •
Sprachförderkurse
•
Mobile interkulturelle Teams (MIT)
Darstellung der Bildungsmaßnahmen
Diese Initiativen werden nun im Einzelnen kurz vorgestellt.
5.2.1 Erwachsenenbildung: Bildung für junge Flüchtlinge Basisbildungsmaßnahmen für 1200 Teilnehmer/innen im Jahr 2016 in allen Bundesländern
Ziele •
• Schematische Darstellung des Bildungs-
Schaffung eines Basisbildungsangebots für asylwerbende 15- bis 19-jährige Flücht-
angebotes in der Initiative Erwachsenen-
linge, das sich an den Programmdetails
bildung
der Initiative Erwachsenenbildung orien-
51
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
•
•
Regionale Vernetzung aller Stakeholder,
Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten
Bewusstseinsbildung, Qualitätssicherung
dar.
Einbeziehung von Ehrenamtlichen zur
Der Lehrgang ist ein Bildungsangebot im
Unterstützung der Flüchtlinge: Workshops
Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des
für Ehrenamtliche, begleitende Austausch-
Bundes. Träger ist das Bundesministerium für
und Reflexionsgruppen
Bildung und Frauen. Er wird an den Schulen
Informationen:
von den Lehrer/innen vor Ort nach einem vor-
Zentrale Beratungsstelle Basisbildung
gegebenen Curriculum unterrichtet. Die Grup-
www.basisbildung-alphabetisierung.at
pengröße beträgt zwischen 15 und 20 Ju-
bildungsentwicklung.com/projekte-2/zentrale-
gendlichen.
beratungsstelle-basisbildung/
Es sind 31 Unterrichtsstunden pro Woche
Alfatelefon 0800 244 800
vorgesehen. Hauptaugenmerk liegt auf dem
[email protected]
Erlernen der deutschen Sprache, einer Wiederholung der Allgemeinbildung und einer fachlichen Orientierung: ein Drittel der Stun-
5.2.2 Übergangsstufe an BMHS
den entfällt so auf Deutsch als Fremdsprache.
Vierzig berufsbildende mittlere und höhere
Neben Englisch stehen auch Persönlichkeits-
Schulen, verteilt über ganz Österreich, führen
bildung, Geschichte und Geografie sowie
seit Dezember 2015 ein bis zwei Lehrgänge
Mathematik und Scientific Basics (Naturwis-
(Stand Februar 2016) zur „Übergangsstufe für
senschaften) auf dem Lehrplan. Die Jugendli-
Flüchtlinge“. Es ist ein Angebot für asylwer-
chen sollten in ihrem Heimatland Grundkennt-
bende Jugendliche mit einem Pflichtschulab-
nisse der englischen Sprache erworben ha-
schluss, das vorerst bis Juni/Juli 2016 be-
ben, um dem Unterricht in den Unterrichtsge-
grenzt finanziert wird.
genstände teilweise auch in englischer Sprache folgen zu können. Um eine Orientierung in
Dieser Lehrgang soll nicht mehr schulpflichti-
Richtung Berufsausbildung zu geben, wird
gen Flüchtlingen, die zwischen 16 Jahren bis
auch alternativ je nach berufsbildender Schu-
24 Jahren alt sind, ermöglichen, mit einem
le, an der der Lehrgang der Übergangsstufe
Übergangsjahr in eine berufsbildende mittlere
angesiedelt ist, fachpraktischer Unterricht
oder höhere Schulstufe oder eine duale Lehr-
angeboten: Werkstätte und Produktionstech-
ausbildung einsteigen zu können. Ziel ist es,
nik, kaufmännisches Praktikum, gastronomi-
damit eine Berufsbildung zu ermöglichen und
sches Praktikum oder Computerpraktikum.
Arbeitsmarktfähigkeit zu gewährleisten. Gleichzeitig stellt dieses Angebot den Beginn
Der Lehrgang „Übergangsstufe für Flüchtlin-
einer Inklusionsstrategie und Schulpolitik für
ge“ ist in das schulische Geschehen des jeweiligen Schulstandortes eingebettet, findet
52
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
parallel zum Vormittags- oder Nachmittagsun-
§ 8 e Abs. 1 SchOG) teilzunehmen. Selbstver-
terricht statt und lässt auch zu, dass Teilneh-
ständlich können auch außerordentliche Quer-
mer/innen des Lehrganges – je nach ihren
einsteiger/innen, die erst im Lauf des Schul-
sprachlichen Kenntnissen der deutschen
jahres in eine österreichische Schule eintreten,
Sprache - , an einzelnen Unterrichtsstunden
einem Sprachförderkurs zugeteilt werden.
des regulären Schulbetriebs teilzunehmen, um eine bestmögliche Integration am Standort zu
Für das Schuljahr 2015/16 gelten folgenden
erreichen.
Bestimmungen: Sprachförderkurse haben die Aufgabe, „Schü-
Trotzdem die Teilnehmer/innen dieses Lehr-
lern von Volksschulen, Hauptschulen, Neuen
ganges schulrechtlich nicht den Status von
Mittelschulen, Polytechnischen Schulen sowie
Schüler/innen haben, besteht die Möglichkeit
der Unterstufe der allgemein bildenden höhe-
der Schülerfreifahrt (Fahrtkosten werden aus
ren Schulen, die gemäß § 4 Abs. 2 lit. a des
der Grundversorgung getragen, siehe Verein-
Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 472/1986,
barung BGB. Nr. 80/2004). Schulbestätigun-
wegen mangelnder Kenntnis der Unterrichts-
gen für Asylwerber/innen werden von der
sprache als außerordentliche Schüler aufge-
Schule ausgestellt.
nommen wurden, jene Sprachkenntnisse zu vermitteln, die sie befähigen, dem Unterricht
Der Lehrgang schließt mit einer Lehrgangsbe-
der betreffenden Schulstufe zu folgen. Sie
stätigung ab. Mit einer positiven Absolvierung
dauern ein oder höchstens zwei Unter-
aller Unterrichtsgegenstände ist die Aufnahme
richtsjahre und können nach Erreichen der
in eine berufsbildende mittlere oder höhere
erforderlichen Sprachkompetenz durch ein-
Schule bzw. der Einstieg in das duale System
zelne Schüler auch nach kürzerer Dauer be-
möglich.
endet werden.“ (§ 8 e Abs. 1 SchOG) Lehrplangrundlage sind der Lehrplan-Zusatz
5.2.3 Sprachförderkurse
„Deutsch für Schüler/innen und Schüler mit
Da davon auszugehen ist, dass Flüchtlings-
nichtdeutscher Muttersprache“ (Volksschulen)
kinder und -jugendliche in ihrem Herkunfts-
bzw. die „Besonderen didaktischen Grund-
land keinen Kontakt mit der deutschen Spra-
sätze, wenn Deutsch Zweitsprache ist“
che hatten, sind sie grundsätzlich als außer-
(Hauptschulen/Neue Mittelschulen, Polytech-
ordentliche Schüler/innen aufzunehmen. So-
nische Schulen und AHS-Unterstufe) (vgl.
fern sie eine allgemein bildende Pflichtschule
Abschnitt II, Kapitel 1: Deutsch als Zweit-
oder die AHS-Unterstufe besuchen, haben sie
sprache).
die Möglichkeit, während der Dauer des außerordentlichen Status (maximal zwei Jahre)
Nach § 8 e Abs. 2 finden Sprachförderkurse
an einem Sprachförderkurs (vgl.
im Ausmaß von elf Wochenstunden anstelle
53
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
der für die jeweilige Schulart vorgesehenen
von acht Teilnehmer/innen zu führen, wobei
Pflichtgegenstände statt. Sie können an öffent-
auch Schüler/innen mehrerer Klassen oder
lichen Pflichtschulen jedenfalls ab einer Min-
Schulstufen zusammengefasst werden können
destzahl von acht Schüler/innen eingerichtet
(vgl. § 4a Eröffnungs- und Teilungszahlenver-
werden, und zwar im Falle von unterrichts-
ordnung).
parallelen Kursen auch schulstufen-, schuloder schulartenübergreifend (vgl. § 8 e Abs. 3
5.2.4 Initiative "Respekt und Zusam-
SchOG). Eine integrative Führung dieser Kur-
menleben"
se bzw. eine Kombination aus unterrichtsparalleler und integrativer Führung ist möglich
Respekt, Zusammenleben und Gleichstellung
(vgl. § 8 e Abs. 2 SchOG).
von Frauen und Männern, das sind die Ziele der Initiative.
Allgemein bildende Pflichtschulen: „Über die Einrichtung von Sprachförderkursen
Als Reaktion auf aktuelle gesellschaftliche
entscheidet die nach dem Ausführungsgesetz
Herausforderungen bietet das Bundesministe-
zuständige Behörde. Für Sprachförderkurse
rium für Bildung und Frauen auch 2016 kos-
sind die erforderlichen Lehrer zu bestellen.“
tenlose Schulworkshops für alle Schultypen
(§ 8 e Abs. 3 SchOG) Bei der eben zitierten
(VS, Sek I, Sek II, Berufsschule) zu den The-
Passage handelt es sich um eine Grundsatz-
men Respekt, Zusammenleben und Gleich-
bestimmung. Es wird daher auf die ent-
stellung von Frauen und Männern an (Erlass
sprechenden Landesausführungsgesetze ver-
des BMBF | OTS Meldung).
wiesen. Die erforderlichen Personalressourcen werden den Ländern vom BMBF zugeteilt und
Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule ist
sind ausschließlich für Sprachförderkurse zu
mit der Koordination der Workshops beauf-
verwenden.
tragt, die zum Ziel haben, Respekt und Klassengemeinschaft zu stärken, Vorurteile und
Allgemein bildende höhere Schulen (Unter-
Stereotypen anzusprechen, sensiblen
stufe):
Sprachgebrauch zu fördern, Geschlechterrol-
Das BMBF stellt jenen Schulen, die Bedarf
len zu thematisieren sowie Aspekte eines gu-
anmelden, die erforderlichen Personalres-
ten, konstruktiven Zusammenlebens im Sinne
sourcen für die Abhaltung von Sprachförder-
demokratischer Prinzipien in einer vielfältigen
kursen zur Verfügung (vgl. GZ 680/0003-
Gesellschaft zu bearbeiten.
III/6/2015). Pro Schulstandort sind maximal zwei WorkPraxisschulen an den Pädagogischen
shops möglich. Informationen zu den einzel-
Hochschulen:
nen Workshops und zur Anmeldung sind zu
Sprachförderkurse sind bei einer Mindestzahl
54
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
finden unter www.politik-
-
Moderation von Konfliktgesprächen
lernen.at/workshopreihe2016
-
Beratung für und Hilfestellung bei der Installierung von Sprachstartkursen
-
5.2.5 Mobile interkulturelle Teams (MIT)
Kontaktherstellung zu außerschulischen Unterstützungsstrukturen und Hilfsorga-
Ziele
nisationen
• Konstruktive Integration von Flüchtlingskin-
• Regionale Vernetzung aller Stakeholder,
dern an den Österreichischen Schulen
Bewusstseinsbildung, Qualitätssicherung
• Gezielte Unterstützung der Schulen sowie
• Kommunikation mit Flüchtlingsfamilien,
des Lehrpersonals bei der Aufnahme und
Hilfe bei der Gestaltung von Elternaben-
Integration von Flüchtlingskindern und -
den, Information von Eltern in Österreich
jugendlichen in die Schul- und Klassenge-
lebender Kinder
meinschaft • Beratung der Eltern und Unterstützung des
Anforderungsprofil für Mitarbeiter/innen der
familiären Umfelds der Flüchtlingskinder
mobilen interkulturellen Teams
• Prävention von Ausgrenzung und (ethni-
Erforderliche Kompetenzen:
schen) Konflikten
• Grundberuf aus den Bereichen: Pädago-
• Sicherstellung einer adäquaten (Deutsch-
gik, Sozialarbeit, Psychologie –
)Förderung für Flüchtlingskinder in den
Zusatzqualifikationen für die spezifische
Schulen
Tätigkeit sind von Vorteil
• Unterstützung bzw. Ergänzung der Schul-
• Mehrsprachigkeit: Deutsch + Englisch +
psychologie sowie anderer schulischer Un-
möglichst eine weitere zielgruppenrelevan-
terstützungssysteme
te Sprache ( z.B. Arabisch, Farsi, Kurdisch, Somali, Türkisch, Französisch)
Maßnahmen
• Erfahrungen in Teamarbeit, Beratungser-
• Präventionsarbeit mit den Schüler/innen,
fahrung, kommunikative und interkulturelle
psychologische, sozialpädagogische und
Kompetenz
soziale Einzelfallhilfe sowie Krisenintervention
Organisatorische Verankerung
• Beratung bzw. sozialarbeiterische und
• Zentrale Steuerung durch das BMBF, enge
sozialpädagogische Unterstützung von
Abstimmung mit der Beauftragten der Frau
Lehrkräften
Bundesministerin für Flüchtlingskinder in
• Unterstützung der Schulleitungen und der
der Schule und der Organisation von
Schulaufsicht: -
Sprachstartkursen
Beratung bei der Gestaltung von Kom-
• Die mobilen Teams sind der Abt. I/9 Schul-
munikationsprozessen (z.B. Eltern-
psychologie-Bildungsberatung im BMBF
abende, Konferenzen)
unterstellt (Dienstaufsicht) und werden den 55
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Beratungsstellen bei den LSR/SSR zugeordnet (Fachaufsicht). • Die Mitarbeiter/innen der mobilen Teams werden beim Verein ÖZPGS (Österreichisches Zentrum für psychologische Gesundheitsförderung im Schulbereich) angestellt.
56
5. Auseinandersetzung mit der Thematik in der Klassengemeinschaft
Konkrete Aufgabenfelder
57
6. Das Österreichische Schulwesen
Der Schulbesuch an öffentlichen Schulen
6. Das Österreichische Schul-
kostet nichts. Aber es gibt auch Privatschu-
wesen
len, für die man bezahlen muss.
Einen guten Überblick über das Österreichi-
Sie müssen Ihr Kind an der Schule an Ih-
sche Schulwesen bieten die Broschüren „Bil-
rem Wohnort anmelden. Gehen Sie ge-
dungswege“ und die kompaktere Version
meinsam mit Ihrem Kind zur Schülerein-
„Willkommen in der österreichischen Schule!“.
schreibung und nehmen Sie einen Dol-
Beide Broschüren wurden vom BMBF in un-
metsch mit, wenn Sie selbst noch nicht gut
terschiedlichen Sprachen herausgegeben und
Deutsch können. Beim Erstgespräch an
sind zum Download zu finden unter
der Schule kann man Ihnen auch sagen,
www.bmbf.gv.at/schulen/bw/ueberblick/
welche Dokumente Sie vorlegen müssen.
bildungswege.html www.bmbf.gv.at/schulen/bw/ueberblick/
Ihr Kind erhält einen Stundenplan, wo ge-
bildungswegekompakt.html
nau steht, wie lange der Unterricht an je-
Die kompakte Version kann hier ungekürzt
dem Tag dauert. Wenn Ihr Kind einmal
wiedergegeben werden:
krank ist, müssen Sie das der Schule melden. Sie können persönlich vorbeischauen, anrufen (lassen) oder ein E-Mail schicken.
„Willkommen in der österreichischen Schule!“ Liebe Eltern! Liebe Erziehungsberechtig-
Am Ende eines Semesters bekommen alle
te!
Schüler/innen eine Schulnachricht, am En-
Sie sind erst seit kurzer Zeit in Österreich.
de des Schuljahres ein Zeugnis. Die Leis-
Vieles ist neu für Sie – auch das österrei-
tungen der Schüler/innen werden mit Noten
chische Schulsystem. Das Bildungsminis-
von 1 bis 5 beurteilt. 1 ist die beste Note, 5
terium teilt Ihnen daher ein paar grundsätz-
die schlechteste. Kinder, die noch nicht gut
liche Informationen zum Schulbesuch in
Deutsch können, werden nicht benotet.
Österreich mit. Die Lehrkräfte an der Schu2) Wer hilft meinem Kind beim Deutsch-
le Ihres Kindes beantworten gerne Ihre
lernen?
Fragen und können Sie beraten.
Ihr Kind wird seinem Alter entsprechend 1) Darf mein Kind in die Schule gehen?
einer Klasse zugeteilt. Kinder mit unter-
Alle Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren,
schiedlichen Muttersprachen werden ge-
die in Österreich leben, müssen die Schule
meinsam unterrichtet.
besuchen, d. h. sie sind schulpflichtig. Das gilt auch für Kinder von Asylwerber/innen
Schulpflichtige Kinder, die noch nicht oder
und Flüchtlingen.
nur wenig Deutsch können, werden als so
58
6. Das Österreichische Schulwesen
genannte außerordentliche Schüler/innen in
4) Welche Schule kommt für mein Kind
die Schule aufgenommen. Sie haben zwei
in Frage?
Jahre Zeit, sich Grundkenntnisse der deut-
Schulpflichtige Kinder
schen Sprache anzueignen. In dieser Zeit bekommen sie auch noch keine Noten,
Volksschule (VS)
können aber trotzdem in die nächste
6 bis 10 Jahre
Schulstufe aufsteigen.
1. bis 4. Schuljahr
Außerordentliche Schüler/innen können an
Kinder von 6 bis 10 Jahren besuchen 4
einem sogenannten Sprachförderkurs teil-
Jahre lang die Volksschule. Wenn ein
nehmen. Sie erhalten dann intensiven
sechsjähriges Kind noch nicht schulreif ist,
Deutschunterricht – entweder in einer
wird es in die Vorschulstufe aufgenommen.
Kleingruppe oder in der Klasse durch eine
Es hat dann ein Jahr länger Zeit, sich an
2. Lehrkraft.
die Anforderungen der Schule zu gewöhnen.
Viele Schulen bieten auch muttersprachli-
chen Unterricht an. Dafür müssen Sie ihr
Neue Mittelschule (NMS)
Kind anmelden. Der Unterricht findet meis-
Allgemeinbildende höhere Schule (AHS)
tens in einer Doppelstunde am Nachmittag
– Unterstufe
statt. Fragen Sie, ob es an der Schule Ihres
10 bis 14 Jahre
Kindes oder in einer Nachbarschule Unter-
5. bis 8. Schuljahr
richt in seiner Muttersprache gibt. Nach der Volksschule besuchen die Kinder 4 Jahre lang die NMS oder die Unterstufe
3) Müssen wir die Schulbücher selbst
der AHS. Wer erst im Alter von 10 oder
kaufen? Nein, denn alle Schüler/innen erhalten im
mehr Jahren nach Österreich kommt, wird
Rahmen der Schulbuchaktion kostenlose
sofort dem Alter entsprechend in die NMS
Schulbücher für alle Gegenstände. Zwei-
oder in die AHS-Unterstufe aufgenommen.
sprachige Kinder können auch Bücher für Deutsch als Zweitsprache und zweispra-
Die NMS muss alle Schüler/innen aufneh-
chige Wörterbücher bekommen. Wenn Ihr
men, aber die AHS kann Bewerber/innen
Kind am muttersprachlichen Unterricht teil-
auch ablehnen.
nimmt, erhält es ebenfalls ein passendes Wer die NMS oder die AHS-Unterstufe
Schulbuch.
nach 4 Jahren erfolgreich abgeschlossen hat, kann die Schullaufbahn an einer wei-
59
6. Das Österreichische Schulwesen
terführenden mittleren oder höheren Schule
ruf ausbilden lassen. Sie müssen einen Be-
fortsetzen.
trieb finden, der sie als Lehrling anstellt, und gleichzeitig die Berufsschule besu-
Polytechnische Schule (PTS)
chen. Diese dauert genauso lange wie das
14 bis 15 Jahre
Lehrverhältnis (2 bis 4 Jahre). In der Be-
9. Schuljahr
rufsschule werden die im Betrieb erworbenen praktischen Fähigkeiten durch theore-
Wer keine weiterführende Schule besucht,
tische Kenntnisse ergänzt. Die Lehrab-
erfüllt die Schulpflicht an der PTS oder an
schlussprüfung berechtigt zur Ausübung
einer einjährigen Haushaltungsschule. In
des erlernten Berufs. In Österreich gibt es
diesem letzten verpflichtenden Schuljahr
ca. 200 Lehrberufe.
werden die Schüler/innen auf das BerufsJugendliche Asylwerber/innen können eine
leben vorbereitet.
Lehrstelle nur in einem sogenannten ManSonderpädagogik
gelberuf antreten. Darunter versteht man
6 bis 15 Jahre
Berufe, für die dringend Arbeitskräfte be-
1. bis 9. Schuljahr
nötigt werden.
Auf schulpflichtige Kinder mit sonderpäda-
Weiterführende Schulen
gogischem Förderbedarf (z. B. blinde oder
Weiterführende Schulen müssen Bewer-
gehörlose Kinder) wird Rücksicht genom-
ber/innen nicht aufnehmen. Über die Auf-
men. Sie können eine Sonderschule besu-
nahme entscheidet der/die SchulleiterIn. Es
chen oder – je nach Alter – die Volksschu-
ist daher für nicht mehr schulpflichtige Ju-
le, die Neue Mittelschule, die Unterstufe
gendliche oft nicht leicht, ihre Ausbildung
der allgemeinbildenden höheren Schule
aus dem Herkunftsland fortzusetzen, vor al-
oder die Polytechnische Schule oder die
lem wenn sie noch nicht Deutsch können.
einjährige Haushaltungsschule.
Aber grundsätzlich ist es möglich, auch an weiterführenden Schulen als außerordentliche/r SchülerIn aufgenommen zu werden.
Folgende Möglichkeiten gibt es nach der
Wenn Sie Zeugnisse aus dem Herkunfts-
Pflichtschule:
land haben, bringen Sie diese bei der Einschreibung mit.
Berufsschule ab 15 Jahren
Nach Abschluss der Schulpflicht (9 Jahre) können sich junge Menschen für einen Be-
60
Allgemeinbildende höhere Schule (AHS)
Diplomprüfung ab. Diese Prüfung berech-
– Oberstufe
tigt zum Studium an Universitäten, Fach-
14 bis 18 Jahre
hochschulen und Pädagogischen Hochschulen.
Nach der NMS oder der AHS-Unterstufe können Jugendliche ihre Schullaufbahn an der AHS-Oberstufe fortsetzen. Die AHS
6.1 Gesetze und Verordnungen
vermittelt eine gute Allgemeinbildung. Sie
Die Gesetze und Verordnung zur Regelung
dauert 4 Jahre und endet mit der Reifeprü-
der Österreichischen Schule und der Unter-
fung (Matura). Die Matura berechtigt zum
richtspflicht finden Sie im Rechtsinformations-
Studium an Universitäten, Fachhochschu-
system des Bundes (RIS) unter
len oder Pädagogischen Hochschulen.
www.ris.bka.gv.at. Einschlägige Texte sind auch auf der Homepage der Schulpsycholo-
Berufsbildende Schulen
gie unter
Es gibt verschiedene Schularten, z. B. im
www.schulpsychologie.at/asylsuchende zu
kaufmännischen, technischen, touristi-
finden. Dabei handelt es sich um:
schen oder sozialen Bereich. • Schulorganisationsgesetz. Dieses Gesetz Berufsbildende mittlere Schulen (BMS)
regelt die Organisation und den Aufbau
14 bis 17 (18) Jahre
des österreichischen Schulwesens. • Verordnung des Bundesministers für Unter-
Berufsbildende mittlere Schulen (oder
richt und Kunst vom 24. Juni 1974 betref-
Fachschulen) vermitteln berufliche Qualifi-
fend die Schulordnung StF: BGBl. Nr.
kationen und Allgemeinbildung. Sie dauern
373/1974. Diese Verordnung regelt das
3 oder 4 Jahre und enden mit einer Ab-
Verhalten in der Schule.
schlussprüfung. Danach kann man ins Be-
• Schulpflichtgesetz. Dieses Gesetz regelt
rufsleben eintreten oder sich in einem Auf-
die Unterrichtspflicht.
baulehrgang auf den Abschluss einer be-
• Bundes-Schulaufsichtsgesetz. Dieses Ge-
rufsbildenden höheren Schule vorbereiten.
setz regelt die Zuständigkeit der Behörden für die Verwaltung und die Aufsicht des
Berufsbildende höhere Schulen (BHS)
Bundes auf dem Gebiete des Schulwesens
14 bis 19 Jahre
(Schulbehörden des Bundes) sowie die Organisation der Schulbehörden des Bun-
Berufsbildende höhere Schule vermitteln
des in den Ländern.
eine höhere berufliche Ausbildung und ei-
• Leistungsbeurteilungsverordnung. Diese
ne fundierte Allgemeinbildung. Sie dauern
Verordnung regelt die Leistungsfeststel-
5 Jahre und schließen mit der Reife- und
61
• Erlass zur Aufnahme von nicht-
lung und damit die Beurteilung und Benotung von Schüler/innen.
schulpflichtigen Jugendlichen als außeror-
• Aufsichtserlass. Dieser Erlass regelt die
dentliche Schüler/innen an allgemein bildenden Pflichtschulen.
Aufsichtspflicht von Schule bzw. Lehrkräf-
• Erlass zur Schülerfreifahrt für Asylwer-
ten. • Schulunterrichtsgesetz. Dieses Gesetz
ber/innen. • Erlass zur Regelung der Betreuung von
regelt die Voraussetzungen zur Aufnahme von Schüler/innen an Schulen sowie die
Flüchtlingskindern durch schulfremde Per-
Gestaltung des Unterrichts.
sonen; Haftung
62
7. Literatur, Links und hilfreiche Angebote von Vereinen, Organisationen und Privatinitiativen in Österreich Die Liste mit diesen Hinweisen wird laufend
7. Literatur, Links und hilfrei-
aktualisiert und ist zu finden unter
che Angebote von Vereinen,
www.schulpsychologie.at/asylsuchende
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