HISTORISCHES JAHRBUCH Im Auftrag

der Görres-Gesellschaft

herausgegeben LAETITIA BOEHM, RUDOLF

ODILO MORSEY,

von

ENGELS, ERWIN ISERLOH, KONRAD REPGEN

lOO.Jahrgang

1980 VERLAG

KARL ALBER

FREIBURG/MÜNCHEN

ISSN 0018-2621

DIE IM

ANGEBLICHE

LÜCKE

PREUSSISCHEN

DER

GESETZGEBUNG

VERFASSUNGSKONFLIKT:~ VON

WINFRIED

BECKER

Zwei Wochen nach der Verkündung der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 schrieb der Königsberger Demokrat Johann J acoby an eine Gesinnungsfreundin : ,.Die Verfassung ist kaum geboren und schon an der Wiege wird ihr das Grablied gesungen. Dahlmann nennt sie ein -Karrenhaus, das bei dem ersten Windstoß zusammenstürzt-, Gerlach begrüßt sie als einen -Bankrot« des Konstitutionalismus ... Und beide haben recht! Die unversöhnlichsten Gegensätze ... Steuerbewilligungsrecht und Forterhebung der Steuern ... , unveräußerliche Grundrechte und Belagerungszustand, Freiheit und Absolutismus wohnen in dengeschriebenen Paragraphen friedlich beieinander.« 1Und J acoby fährt fort, er finde wegen ihres zwitterhaften Charakters die Verfassung durc.h und durch revolutionär. Dem ritterlichen König sei gleich dem unglücklichen Odipus der Untergang gewiß, wohin er sich auch wende, ob zurück zum Absolutismus der Bajonette, der sich nicht halten lasse, oder nach vorn zur staatsbürgerlichen Freiheit, die mit dem Königtum auf die Dauer ebenfalls nicht harmoniere. Der Demokrat bedient sich eines konservativen Hauptarguments, ?~r Skepsis gegenüber der papierenen Verfassung. Er stimmt in seiner KntIk .. Es handelt sich um meine Bonner Antrittsvorlesung als Privatdozent, die zum Abschluß der Umhabilitation von Regensburg nach Bonn am 6. Februar 1980 gehalten wurde. t J. J acoby an Ottilie Meyerowitz, Königsberg 13. Februar 1850, in: Johann jacoby Briefwechsel, 2. Bd., 1850-1877, hrsg. von E. Silberner (Bonn 1978) 18. J. Jacoby (1805-1877), Arzt und Philosoph jüdischer Herkunft, war Mitglied des Vorparlaments der Berliner Nationalversammlung. des Frankfurter und Stuttgarter Rumpfparlaments, des preußischen Abgeordnetenhauses (1863-1866) und des norddeutschen, dann deutschen Reichstags, zuletzt als Mitglied der SDAP. Geprägt durch die Ideen der westeuropäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, war er weder dem »organischen« deutschen Staatsdenken zuzuordnen (R. Adam, Joh. Jacobys politischer Werdegang 1805-1840: HZ 143 [1931] 48-76) noch wegen seines späten Anschlusses an die Arbeiterbewegung, wo er eine -kleinbürgerlich-sozial.reformerische Position« vertreten habe (P. Schu pp a n , in: Biogr. Lexikon zur deutschen Geschichte [Berlin-Ost 21970] 330f.), als Vorläufer sozialrevolutionärer Erfüllung der deutschen Geschichte zu vereinnahmen. Darüber hinaus teilt er das Schicksal vieler Abgeordnetenkollegen seiner Zeit, zwar einen Platz in den ersten deutschen Parlamenten eingenommen zu haben, aber keinen entsprechenden Stellenwert in unserem Geschichtsbewußtsein zu besitzen. über ihn (mit Literatur) G. F ranz in: Biogr. Wörterbuch zurdeutschen Geschichte, 2. Bd. (München 21974) 1290f. und die Forschungen von E. Silberner; von letzterem die Kurzbiographie in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 19 (Berlin 1974) 254f.

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an dem Kompromißcharakter der Verfassung grundsätzlich mit einem Altliberalen und mit einem Konservativen überein. Die Bedenken dieser ' Repräsentanten dreier in Preußen vorherrschender politischen Grundströmungen, der Demokratie, des Altliberalismus, des Konservativismus, spiegeln ein Stück Geschichte der Verfassungsurkunde selbst. Diese war durch Oktroy und Revision hindurchgegangen, die wiedererstarkte Macht des Königtums hatte untilgbare Spuren in ihr hinterlassen, und doch war sie im Unterschied von dem noch landständisch geprägten Februarpatent von 1847, das immerhin erst drei Jahre zurücklag, das Ergebnis und einer der wenigen Erfolge der Erhebung von 1848 gewesen. Die Verfassungsurkunde von 1850 stellte in den Augen ihrer drei prominenten Kritiker kein.eswegs ein abstraktes Prinzip in durchsichtiger Reinheit auf, das bedmgungslose Akzeptierung gefordert hätte: Sie konnte als Garantie eines unaufhaltsamen Fortschreirens zu mehr bürgerlicher Freiheit ebenso aufgefaßt werden wie als letztes Zugeständnis an verwirrte konstitutionelle Zustände, die wieder in den stetigen Fluß eines organischen Staatslebens einmünden würden. Der Demokrat, der Altliberale, der Hochtory kritisierten die Verfassung nicht nur, sie verwoben Identifikation in ihre Kritik, indem sie zumindest Teile der Verfassungsbestimmungen als diensam für ihre Zwecke erachteten. So gegensätzlich ihre Interpretationen waren, sie bedeuteten den Anfang dessen, was in ihrer Zeit als unerläßliches Pendant zu dem Machen einer Konstitution betrachtet wurde, nämlich dies, daß die Menschen und die Institutionen in einem Staat sich in ihre Verfassung einleben müßten. Wenn diese Verfassung von demokratischer und von liberal-konservativer Seite jeweils im eigenen Sinn ausgelegt werden konnte, zeigte dies nicht, daß man sie als eine wirkliche Verfassung besaß, mit der die verschiedenen politischen Strömungen beginnen konnten zu leben, an die sie ihre Wünsche, Hoffnungen, Zukunftsaussichten und Zielvorstellungen herantragen konnten? Der übergang von der Revolution zur Verfassungsdiskussion bezeugte ~aß i!1Preußen ein politisches Leben, ein Prozeß .der Meinu~g~bildung Jenseits der unfruchtbaren Alternative von Ideologie und Administration in Gang gekommen war, daß das Nebeneinander von abstraktem Prinzipiendenken und obrigkeitlicher Verwaltungsarbeit einer wechselseitigen Vermittlung und Durchdringung und dem Austausch von Argumenten wich", 2 Der nahezu unvermittelte übergang von der stark juristisch geprägten Erörterung der Verfassungsprobleme in der Reichsgründungszeit zur Verfassungsgeschichte als Sozialgeschichte - programmatisch vertreten etwa durch E.- W. Bö c ken f ö rd e. Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts. in: Moderne deutsche Verfassungsgeschichte 1815-1918, hrsg. von E.-W. Böckenförde und R. Wahl (Köln 1972) 13, 19f. _ rührt u. a. daher, daß die gesellschaftsbezogene Reformleistung des konstitutionellen

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Aber muß man den Inhalt der angeführten zeitgenössischen Verfassungskritik nicht direkter, unproblematischer verstehen, und drängt sich dann nicht eine gegenteilige Meinung auf? War die Verfassung nicht tatsächlich aus unpassenden Versatzstücken des monarchischen und demokratischen Prinzips montiert? Denn offensichtlich bestand sie die erste ernsthafte Zerreißprobe nicht. Sie traf keine Vorsorge für den wahrhaft leicht denkbaren Fall, daß der König und die beiden Häuser des Landtags bei der Beschlußfassung über ein Gesetz divergierten. So war sie zumindest lückenhaft, weil der Vereinbarung unvereinbarer Gegensätze entsprungen, und der Verfassungskonflikt brachte nur die Probe aufs Exempel. Staatsbeamtenturns besonders beachtet wird, weil nach dem Scheitern der Revolution der notwendige gesellschaftliche Umbruch nur durch sie habe bewältigt werden können. Demgegenüber ist die Frage, ob sich nicht doch in der Nachwirkung des Vormärz und der Achtundvierziger-Revolution Neuansätze des politischen Denkens ergaben, in den Hintergrund gerückt oder sie wird wegen der Anpassung des liberalen Bürgertums an die Revolution von oben als entschieden betrachtet; vg!. z. B. M. Stürmer, Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871-1880. Cäsarismus oder Parlamentarismus (Düsseldorf 1974) 146 u.ö. Die Assimilationsthese ist nicht neu; schon die Geschichtsschreibung der wilhelminischen Zeit hatte, soweit sie sich als staatstragend begriff, den Liberalismus und die Demokratie stark voneinander abgesetzt, um den Weg ins Reich als auch von den maßgeblichen »parteipolitischen« Kräften getragen darzustellen und zu zeigen, wie diese Wandlung den Liberalismus um staatliches Verantwortungsbewußtsein bereichert habe. Vg!. M. Spahn, Zur Entstehung der nationalliberalen Partei: Zeitschrift für Politik 1 (1908) 346-470, hier370, 392: weg von Verfassungstheorie und doktrinärem Interesse an »verfassungsrechtlichen Einzelfragene hin zur gesamtstaatlichen Verantwortung und Machtbeteiligung. Diese These wurde dann wie die umfassendere, gar nicht immer von Historikern stammende (Troeltsch, Plessner) Vorstellung vom organischen Sonderweg der deutschen Geschichte von einem fortschrittlichen historischen Selbstverständnis ins Negative gewendet und die Entwicklung von 1848 bis 1914 in eine Düsternis getaucht, die nur von wenigen Lichtern erhellt war, etwa von dem Nachglanz des in den Konstitutionalismus eingemündeten aufgeklärten Absolutismus und seines um Gleichheit bemühten Reformbeamtenturns - Musterbeispiel Bismarcks gouvernementale Sozialpolitik. Unversehens erlangte so die Obrigkeit des Reichs von 1871 wieder positive Attribute, nachdem sie schon die historisch-politische Urteilsbildung bis zum Ersten Weltkrieg zu ihren Gunsren beeinflußt und verformt hatte. Vg!. H. B oldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie. Eine Auseinandersetzung mit Ernst Rudolf Huber, in: Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von E.-W. Böckenförde (Berlin 1975) 99 f. - Ansätze der fünfziger Jahre, nach Vorläufern einer parlamentarisch-demokratischen Verfassungsentwicklung im 19. Jahrhundert zu fragen, ohne deren auch die Gegenwart intentional umgreifende Resultante in die Zielvorstellung einer total emanzipierten Gleichheitsgesellschaft zu verlegen, sind demgegenüber weithin in Vergessenheit geraten. Es dürfte aber unbestreitbar sein, daß das Reich von 1871 eine erstaunliche Integrations. kraft entwickelte, die nicht nur von oben dekretiert sein konnte, und daß die Parlamentarisierung 1918/19 nicht vom Himmel gefallen ist; darüber zuletzt M. Ra uh , Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches (Düsseldorf 1977).

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Die »neue Ära« des liberalen Ministeriums unter Wilhelm I. hatte Befürchtungen bei den Konservativen geweckt, ohne die von liberaler Seite in sie gesetzten Hoffnungen auf innere Reformen und kräftiges nationales Auftreten nach außen auch nur entfernt erfüllen zu können. Wie ein Symbol für den erneuten Realitätsgewinn von Friedrich Julius Stahls rnonarchischer Staatslehre konnte es aufgefaßt werden, wenn Wilhelm 1. am 18. Oktober 1861 in Königsberg die preußische Krone vom Altar nahm und sich selbst aufs Haupt setzte. Die enttäuschten Hoffnungen der Liberalen stimulierten die Unzufriedenheit stärker, als wenn die Regierung in den eingefahrenen Gleisen der Reaktion weitergefahren wäre. In dem Punkt der Armeeorganisation war der König von vornherein kompromißlos gesinnt. Die Königstreue der Armee, die durch eine lange Dienstzeit einzuüben sei, war zur idee fixe bei ihm geworden 3• Um ihretwillen entließ er den tüchtigen Kriegsminister Bonin, der es nicht verschmäht hatte, sich auf Clausewitz zu berufen, und ersetzte ihn durch Albrecht von Roon. Als König von Preußen wollte er sich von einem konstitutionellen Kriegsminister nicht behofmeistern lassen wie einstmals der Merowinger Childerich von dem Hausmeier Pippin", Der Zeitpunkt für eine Verstärkung des Heeres war 1860 günstig gewählt, denn sie bestand zunächst nur in der Aufrechterhaltung der 1859 hergestellten Kriegsbereitschaft, und den Eintritt in den Italienischen Krieg hatten aus nationalen Gründen besonders liberale Stimmen gefordert. Am 15. Mai 1860 zog die Regierung ihre im Februar eingebrachte Wehrvorlage wegen des Widerspruchs der Budgetkommission zurück, die sich mit der Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit, der Schlechterstellung der Landwehr und den hohen Kosten für die neugebildeten Regimenter nicht abfinden wollte", Gleichzeitig gelang dem Ministerium ein wichtiger Schachzug: Es behandelte die Reorganisation als reine Verwaltungsfrage, indem es um Bewilligung der Mehrkosten in Form eines KreVgl. E. Marcks, Kaiser Wilhe1m I. (München u. Leipzig 81918) 149f., 168 ff. So Roon am 1. Dezember 1859 (ebd. 180). S F. Löwenthai, Der preußische Verfassungsstreit 1862-1866 (Staatswirtsch. Diss. München 1914) 40 ff.; wegen der Zahlenangaben zu den einzelnen Haushaltsjahren immer noch nützlich. Vg!. die Standardliteratur zum Verfassungskonflikt in den einschlägigen Handbüchern, an älteren, selbst schon historisch gewordenen Biegraphien mit solider Materialbasis: L. Pari si us, Leopold Freiherr von Hoverbeck. Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte, 2 Teile (Berlin 1897, 1898, 1900), bes. 211-2; Fr. Thorwart, Hermann Schulze-Delitzsch. Leben und Wirken (Berlin 1913); H. B. Oppenheim, Franz Leo Benedikt Waldeck, der Führer der preußischen Demokratie (Berlin 1873,11880); M. Philippson, Mu von Forckenbeck. Ein Lebensbild (Dresden u. Leipzig 1898); A. Bergengrün, Staatsminister August Freiherr von der Heydt (Leipzig 1908). Vg!. über die Vorgeschichte bis 1864 aus derSichtder Budgetkommission: Steno Berichte überdie Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863,4. Bd. (Anlagen), Nr. 64, S. 337ff. 3 4

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dits und damit im Rahmen einer Nachtragsgewährung zum Budget einkam. So ließ sich die faktische Durchführung der Reorganisation sichern; die dringende Pflicht, die neue Heeresorganisation durch Novellierung des Boyenschen Wehrgesetzes vom 3. September 1814 auch auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen, wurde vorläufig umgangen. In der Landtagssession von 1861 wurde die Regierung zwar aufgefordert, "ein neues Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst vorzulegen, aber das Abgeordnetenhaus bewilligte, nachdem es 1860 neun Millionen Taler Kreditaufnahme gewährt hatte, für das zweite Halbjahr 1861 erneut der Regierung einen Kredit von 4 Millionen Talern. Mit Hilfe dieses Provisoriums wurde die Neugestaltung der Armee definitiv durchgeführt, bevor eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Form eines neuen Wehrgesetzes oder des Budgetgesetzes dafür geschaffen war. Im Etat für 1862 wurden die Reorganisationskosten des Heeres erstmals ohne besondere Kenntlichmachung von der Regierung in den Posten des Militäretats eingesetzt. Das Abgeordnetenhaus wollte dieses Präjudiz nicht anerkennen, nahm die Mehrausgaben aus dem Militäretat heraus und verwies sie in ein Extraordinarium. Nach der Auflösung des Landtags im Frühjahr 1862 war der Linksliberalismus mit der Deutschen Fortschrittspartei und der Fraktion des linken Zentrums gewaltig gestärkt" ins Abgeordnetenhaus zurückgekehrt. Ein gemeinsamer Antrag der Abgeordneten Twesten, Stavenhagen und Sybel sah vor, gegen das Zugeständnis der zweijährigen Dienstzeit die Reorganisationskosten in einem Extraordinarium zum Budget von 1862 zu bewilligen und danach in dem verfassungsgemäß vorzeitig eingebrachten Etat für 1863 die neuen Kosten als ordentliche Ausgaben in den Militäretat zu stellen. Der amtierende Ministerpräsident von der Heydt und der Kriegsminister Roon signalisierten Kompromißbereitschaft auf der Grundlage des Vermittlungsantrags. Aber der König lehnte persönlich jede Debatte über die zweijährige Dienstzeit ab. Nach sieben erregten Sitzungen begann das Abgeordnetenhaus am 16. September mit der Streichung der ersten Posten der militärischen Mehrausgaben. Das Ministerium nimmt seinen Abschied, Bismarck ante portas, zum treuen Vasallendienst für seinen königlichen Lehnsherrn bereit, auch wenn die Revolution ihm dafür mit dem Laternenpfahl Latours winkt. Doch Bismarcks Appell an royalistische Emotionen und Wilhelms Vorliebe fürs Militär stehen noch im Vorfeld der Gefühle, Velleitäten und Absichtserklärungen. Erst ihre Regieführung des Konflikts, aber auch dessen Kommentierung und publizistische Absicherung seitens der Kreuzzei6 Die Wahlen vom 28. April und 6. Mai 1862 erbrachten: Konservative 13, Zentrum (Kath.) 31, Polen 23, Deutsche Fortschrittspartei 135,linkes Zentrum 96, Fraktion Grabow 65 (zerfiel dann in Fraktion der Konstitutionellen unter Vincke, freier parlamentarischer Verein unter Rönne, linkes Zentrum). "

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tungspartei lassen erkennen, daß sie der vom Abgeordnetenhaus aufgeworfenen Grundsatzfrage absichtsvoll eine Mischung aus Emotion, Pragmatismus und hartem politischem Kalkül entgegensetzten. Während die Abgeordneten sich sehr bald zur Verteidigung des bloßen Rechtsstandpunkts gezwungen sahen und die Hoffnung auf ein neues, womöglich freisinniges Ministerium begraben mußten 7, suchte die Regierung mit Hilfe ihrer Exekutivrechte die Weichen für die weitere innenpolitische Entwicklung neu zu stellen. Die von Bismarck anfangs gezeigte Kornprornißbereitschaft war taktisch kalkuliert", Sie sollte gleichsam in der Realität zeigen, wie sich angesichts einer ausstehenden letzten Kompetenzregelung durch die Verfassung Kompromisse erschöpfen, in Konflikte ausarten, die dann durch die Macht entschieden werden müssen. Bismarck hat unmittelbar nach Regierungsantritt und nochmals deutlicher am 27. Januar 1863 im Landtag ausgeführt: Können sich die drei Faktoren der Gesetzgebung nicht einigen, so ist »tabula rasa; die Verfassung biete keinen Ausweg ... « 9 •• Wird der Komprorniß dadurch vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre Ansichten mit doktrinärem Absolutismus durchführen will, so wird die Reihe der Kompromisse unterbrochen und an ihre Stelle treten Konflikte, und Konflikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben nicht einen Augenblick stillstehen kann.« 10 7 Karl Witt, Gründer des Königsberger Vereins für Verfassungsfreunde 1862, sah am 21. September 1862 die Regierung gestürzt und nach der unerbittlichen Gravitation auf dem Ruhepunkt eines Ministeriums Bockum-Dolffs anlangen. Dies war keine so radikale Forderung, sondern hätte in der Kontinuität der neuenÄra gelegen. V gl, Viktor v. U nru h an Joh. Jacoby, Berlin 6. Juli 1862: ,.Ohne Führung durch ein tüchtiges freisinniges Ministerium wird und muß jede Kammer aggressivoder zur Null werden«; abgedruckt bei Silberner, Jacoby (wie Anm. 1) 231. . 8 O. v. Bismarck an den Kronprinzen Friedrich, Berlin 13. Oktober 1862,29. Oktober 1862 und Bericht M. Dunckers an den Kronprinzen vorn 25. September 1862: Zuerst ,.Stillstand« des Kampfes, um eine das Ansehen der Krone beeinträchtigende Aussöhnung zu verhindern, nur unter dieser Voraussetzung Versöhnungsbereitschaft; zugleich wird der von der Regierung inszenierte Akt, die Wehrfrage zur Budgetfrage zu machen, als Anmaßung des Abgeordnetenhauses ausgegeben, welches ,.beanspruche, die Organisation der Armee . und der Verwaltung durch das Budget zu regeln und zu reformieren», und das so ,.der Souveränität der Krone widerspreche und die Abgeordneten zum Souverän mache«; vgl. Kaiser Friedrich Tagebücher von 1848-1866, hrsg. von H. O. Meisner (Leipzig 1929) 500-507, Nr. 9, 10, 7. 9 Ende September 1862 inderSitzungder Budgetkomrnission(O. v. Bismarck, Diegesammelten Werke, 10. Bd., [Berlin 21928] 140). 10 Ebd. 154, 153, vgl. 139: grenzenloser Mißbrauch möglich, die Krone könne sechzehnmal auflösen, das Abgeordnetenhaus 6, 16,60 Millionen streichen. Vgl. die von Bismarck lancierten Artikel ,.La crise actuelle en Prusse« vorn 28. November, vorn 4.17. De-

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Bismarck deckte damit nicht einen Strukturdefekt der Verfassung auf, sondern beschrieb seine eigene Marschroute. Er hatte von vornherein kein wirkliches Interesse an dem Zustandekommen eines Budlietgesetzes, das die Krone zu einem echten Komprorniß gezwungen hätte 1. Er bestärkte durch sein persönliches Auftreten das Herrenhaus in dem ungewöhnlichen Vorgehen, den vom Abgeordnetenhaus für 1862 festgestellten und revidierten Etat en bloc zu verwerfen 12. Das Herrenhaus ging noch weiter, erwog gegen den klaren Wortlaut des Art. 62/3 der Verfassung, zu den Einzelposten der Budgetvorlage Stellung zu nehmen, und nahm schließlich sogar die Regierungsvorlage des 62er Etats an. Art. 62/3 war auf den ersten Blick nicht völlig eindeutig formuliert, indem er vorsah, daß Staatshaushalts-Etats zunächst dem Hause der Abgeordneten vorgelegt werden und im ganzen von dem Herrenhaus angenommen oder abgelehnt werden müßten. Aber nach der Geschäftsordnung der Häuser, nach dem üblichen Gesetzgebungsverfahren und der Intention der Verfassungsgeber stand fest, daß das Herrenhaus den Etat nur in der vom Abgeordnetenhaus festgestellten Form in Beratung zu ziehen hatte; erst durch die Zuleitung des in der zweiten Kammer durchberatenen Etats wurde es mit der Gesetzesvorlage des Staatshaushalts wirklich befaßt, nicht aber schon dadurch, daß die Regierung ihren Etat-Entwurf dem Landtag bekanntgab 13. Durch die Annahme des Etat-Entwurfs der Regierung mußte zember 1862 im Journal des Debars, gedruckt im Bismarck- Jahrbuch, 1. Bd., hrsg. von H. Kohl (Berlin 1894) 32ff., 40-45, 16ff.: s, unten Anm. 19. 11 Vg!. Bergengrün (wie Anm. 5) 283f., 30lff.; Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach, hrsg. von H. Diwald, 2 Teile (Göttingen 1970) 1140 (H. v. Kleist-Retzow an L. v. Gerlach, Berlin 16. Mai 1863). Nach Parisius 2/1, S. 79 war auch Roon am 19. September noch überzeugt, nur in übereinstimmung mit dem Landtag regieren zu können(dazu Diwald, L. v. Gerlach, Teil2, 1113 Nr. 516, S. 1114 Nr. 518). 12 Am 10. Oktober 1862 (Bismarck, Werke, 10. Bd., 143f.); vg!. die Ausführungen des Abgeordneten Frese vom 3. Dezember 1863 in der Debatte über das Budget für 1864 (Sten. Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863, 1. Bd., 285ff.), daß die Theorie des Ministeriums Bismarck 1862 nicht in der Feststellung einer Lücke der Verfassung, sondern darin bestanden habe, ein ihm nicht genehmes Budgetgesetz nicht zustandekommen zu lassen. Friedrich von Gerlach lobte am 19. September 1862 die ,.bewunderungswürdige prinzipielle Haltung der Gegner« (wegen mangelnder Rückendekkung des Antrags Stavenhagen im Abgeordnetenhaus), die anscheinend der Regierung wieder ,.den rechten Weg aus dem Konzessionsgeleise« heraus gewiesen habe (Diwald, L. v. Gerlach, Teil2, [wie Anm. 11] 1114). 13 Vg!. Ed, Lasker, Zur Verfassungsgeschichte Preußens (Leipzig 1874) (Die Krisis in Preußen) 304-312, (Das Herrenhaus) 284-296 unter Auswertung der Stenogr. Berichte und konservativer Stimmen: vg!. die Motive der König!. Botschaft vom 7. Januar 1850, zu VII: ,.Sobald die erste Kammer nach den unter VIII. folgenden Vorschlägen aufhört, eine reine Wahl-Kammer zu sein, so folgt daraus von selbst, daß der zweiten Kammer, wie es in denje-

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das Herrenhaus der unerträglichen Situation zu entrinnen suchen, daß es als Sympathisant der Krongewalt mit dem geradezu revolutionären Akt der Verweigerung des gesamten Jahreshaushalts belastet war. Denn das Abgeordnetenhaus hatte das Budget nur verringert; es hatte bereits in den Revisionsverhandlungen von 1849 das Budgetverweigerungsrecht nur aus Gründen der reinen Theorie reklamiert, im übrigen aber seine staatsrechtliche Verantwortlichkeit betont, die es ihm verbiete, den Staat seiner Subsistenzmittel in Gestalt des Jahresetats zu berauben. Gerade in ihrer lakonischen Kürze war die Verfassungsurkunde in dem Punkt, der die Vereinbarung der beiden Kammern über der:tHaushalt zum Gegenstand hatte, unmißverständlich formuliert: Ve~elgerte das Adelshaus den Budgetentwurf der Abgeordneten, so steigerte es das Budgetrecht aufs äußerste zur revolutionären Obstruktion; das aber war mit seiner Zusammensetzung und seinem konservativen Selbstverständnis schlechterdings unvereinbar, so daß ihm letztlich nur die Annahme des Etats blieb, die wiederum das Budgetrecht - wesentlich eindeutiger als in den vormärzliehen Verfassungen der süd- und mitteldeutschen Bundesstaaten - in das Befinden der eigentlichen Volksvertretung legen mußte 14. Tatsächlich läßt sich ~ie deJ? Herrenhaus laut Art. 6.2/3 positiv .eingeräumt~ Verwerfungsmöglichkeit des Gesamtbudgets, nicht etwa einzelner Teile desselben, zwingend nur als ein formalrechtlicher Vorbehalt interpretieren, der aus Gründen der Konsistenz der Verfassungsurkunde dem Herrenhaus zugestanden werden mußte, um seinen sonstigen Charakter als selbständiger Gesetzgebungsfaktor nicht in Zweifel zu ziehen. Wenn Bismarck sich dann in staatsrechtlicher Absicht auf dieses VOn ihm persönlich soufflierte Verfahren des Herrenhauses berief, um das Etatrecht des Abgeordnetenhauses ins Zwielicht zu ziehen, so läßt sich dies nicht als staatsmännischer Rückzug aus einer notwendig parteiischen Verfassungsinterpretation, als neutral rechtspositivistischer ,.Ausbruche aus dem Parteienstreit der Verfassungsauslegung oder als verantwortungsbewußter Mittelweg zwischen den Demokraten und den zum Staatsnigen Staaten, wo die constitutionelle Staatsform dauernden Bestand gewonnen hat, überall der Fall ist, ein überwiegender Einfluß auf Finanzfragen eingeräumt werde« (Sren, Berichte über die Verhandlungen der 30. Mai 1849 einberufenen 2. Kammer, 4. Bd. [Berlin 1850]2159, vg!. den Bericht der Revisionskommission, 25. Januar 1850, ebd. 2073); ebenso L. von Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd.I/l [Leipzig 41881] 594- 599; A. Pia te, Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, ihre Geschichte und ihre Anwendung [Berlin 21904] 47f., 210f. [Geschäftsordnung des Hauses der Abgeordneten §S IS, Anm. 3a, e, f, g; 73, Anm. 4]. 14 Am ehesten vergleichbar die Verfassung des Königreichs Sachsen § 103: Die Anträge und Gründe der Stände »werden auf das reiflichste erwogen, auch so weit es nur immer mit dem Staatswohle vereinbar ist, jederzeit berücksichtigt werden«; vg!. E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichre, 1. Bd. (Stuttgart 21961) 239.

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streich geneigten Ultras deuten 1S • Bismarck deckte ein nicht verfassungskonformes Handeln mit seiner Regierungsautorität. Er kämpfte für das Budgetrecht der Krone und bediente sich des Tricks, die offene Front zwischen Volksvertretung und Königtum in dieser Frage zu verwischen, indem er die Geschlossenheit der konstitutionellen Seite nicht zugab und das Herrenhaus als konstitutionellen Kronenwachter l" ins Treffen schickte. Wenn Bismarck plötzlich höchst anerkennende Worte für das zwischen den Kammern bestehende konstitutionelle Gleichgewicht fand, so widersprach er damit seinen früheren Äußerungen, in denen er den Konstitutionalismus als unnützes Fremdwort für unklare politische Zustände bezeichnet hatte!". Gegen den Wortlaut der Verfassung zog Bismarck sogleich nach Amtsantritt den ausnahmsweise rechtzeitig eingebrachten Etat für 1863 zurück und gewann dadurch den doppelten Vorteil, diesen Etat gar nicht erst dem Befinden der Volksvertretung aussetzen zu müssen und die Resolution Forckenbeck, die auf Wiedervorlage dieses Etats noch im Jahr 1862 beharrte P, im Herrenhaus sogleich als mangelnde Vermittlungsbereitschaft ausgeben zu können. Roon lieferte für diesen Streich die merkwürdige Begründung, daß die Regierung die Garantie für eine rechtzeitige Entschließung des Abgeordnetenhauses über den Etat für 1863 nicht übernehmen könne 19. Wenn der Etat aber erst zurückgezogen war, wurde er doch gewiß nicht zeitiger beraten. Von vornherein ging es der Krone nicht um die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Gesetzgebungsfaktoren, aus dem das Abgeordnetenhaus, sich absolutistisch gebärdend, ausgebrochen sei. Bismarck will seinem König das Bewußtsein vermitteln, daß dieser wirklich regiere, wäh15 So Boldt (wie Anm. 2) 82-85, 93. Mehrals die konservativen Ultras, die keineakzeptable personelle Alternative für den Vorsitz des Ministeriums boten, dürfte Bismarck etwa Männer wie von der Heydt gefürchtet haben, die ressortmäßigen Sachverstand mit liberaler Herkunft und in der Reaktionszeit erprobter monarchischer Solidarität verbanden; vgl. Philipps on, Forckenbeck (wie Anm. 5) 115 und entsprechende überlegungen Karl Twestens. 16 Zur konformen Haltungdes Herrenhauses vgl, Hansv. Kleist-Retzow an Ludw. v. Gerlach, Berlin 19. September 1862 (Diwald, L. v. Gerlach, Teil 2, [wie Anm. 11] 1115, ebd. Nr. 520 S. 1117f.). 17 Am 24. September 1849 (Bismarck, Werke 10. Bd. 42£.), vgl. Tagebuch Ludw. v. Gerlachs v. 11. November 1862 (Diwald, L. v. Gerlach, Teil l , [wie Anm. 11] 437). 18 Begründet als ..Mahnung, daß die Regierung das thue, was ihr möglich sei, was in ihrer Macht stehe«, den Etat rechtzeitig einzubringen; vgl. H. Kohl, Die politischen Reden des Fürsten Bismarck, 2. Bd. 1862-1865 (Stuttgart 1892) 20, 33. 19 Vgl. die zweite Variante der Sternzeitung (14. August 1862) über die Lückentheorie: erhebliche Zweifel, ob die Forderung der Verfassung, das Etatgesetz rechtzeitig zu verabschieden, erfüllbar sei; H. Sc h u Ith e ss, Europäischer Geschichtskalender 3 (1862) 137 f. ; s. unten Anm. 27.

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rend seine Vorgänger den Monarchen hin- und hergezerrt hätten 20. Wenn er nach eigenem Bekenntnis auch die Torheiten seines Herrn nach außen vertreten will, so zielt dies gegen die liberalen Kreise um den Kronprinzen und gegen die Diskussion über die parlamentarische Ministerverantwortlichkeit. In der Presse wird die Formel Königsheer contra Parlamentsheer variiert, der königliche Oberbefehl wird als verfassungsmäßiges Reservat interpretiert, gegen das die Mitbestimmung des Parlaments bei der Armeereorganisation verstößt und einen Eingriff in die Substanz der Exekutive darstellt21• Die Beschwörung der unmittelbar bevorstehenden »souveränen Alleinherrschaft« 22 des Parlaments ist geeignet, das alte Mißtrauen gegenüber den instabilen und käuflichen Parlamentsmehrheiten aufzurühren. Besser läßt man anstelle des entmachteten Königs eine Mätresse regieren, meint Adolph von Kleist, denn sie ist, anders als eine .konstitutionelle Volksvertretung«, wenigstens vergänglich 23 • Die InterlO Tagebuch Ludw. v. Gerlachs vom 25. Oktober 1863 (Di wald, L. v. Gerlach, Teil I, [wie Anm. 11] 445). . II Vg!. Wahlaufruf Jacob v. Gerlachs, Landrats von Gardelegen. vom 13. November 1861 (ebd. TeiI2,1090f.), Schulthess (wie Anm. 19)3,171. DerStreithätteschwerlichso erbittert sein können, wenn sozusagen typologisch die Wehrverfassung aufgrund des königlichen Oberbefehls als lOextrakonstitutionelles Reservate festgestanden hätte; so E.-W. Böckenförde, DerdeutscheTypder konstitutionellenMonarchieim 19. Jahrhunden, in: Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, hrsg. von W. Conze (Stuttgart 1967) 70-92,80. Bis 1865 wurdevon der Regierung die Wehrvorlage immerhin fünfmal erfolglos eingebracht. Man wird eher sagen müssen, der Verfassungskonflikt habe die Extrakonstitutionalität der Heeresverfassung gefördert, statt daß diese für ein Regierungssystem Konstitutionalismus sui generis von vornherein typisch gewesen sei. II Bismarck am27. Januar 1863 (H. Kohl [wieAnm. 18] 2, 80): dieSouveränitätjedes der drei Gesetzgebungsfaktoren ,.in der Theorie unbegrenzte. Hätte diese Verfassungsinterpretation das Richtige getroffen, so wäre die Verfassungsurkunde nichts anderes als der Sprengsatz des Staates gewesen und der Konstitutionalismus die Revolution in Permanenzdas hat Bismarck z. B. in seinen Wahlrechtserwägungen ja auch offen ausgesprochen, um die Stabilitätsgewährung allein durch die Monarchie zu begründen, und hat damit jene typisch deutsche konstitutionelle Theorie geschaffen, die von E. R. Hub e r zur in sich geschlossenen Gestalt historischer Realität erhoben worden ist. Bismarck huldigte hier einem rigoristischen Ausschließlichkeitsdenken, es fehlte ihm an Kooperationsbereitschaft. Die Fortschrittspartei plante den Umsturz nicht, den das Ministerium beschwor, um die Konterrevolution zu rechtfertigen. Vg!. Silberner, Jacoby (wie Anm. 1) S. 233 Nr. 269, S. 259 Nr. 301 und Fanny Lewaids Wutausbrüche über die selbstgefälligen, ideenlosen, im Innersten konservativen, nach diplomatischer Klugheit und nationaler Solidarität strebenden Abgeordneten der Fortschrirtspartei: ..Topfflicker, die mit rostigem Draht und schmierigem Lehm etwas zusammenbasteln, was keinen Tag ordentlichen Gebrauchs aushält« (ebd. S. 234 Nr. 270, S. 258 Nr. 299) ebenso Adolf Stahr: ,.Der Feuerstrahl der Tyrannei schlägt auf Holz bei ihnen, nicht auf funkelsprühenden Steine (ebd. S. 258 Nr. 299, Anm.). 23 Tagebuch Ludw. v. Gerlachs vom 29. Dezember 1862 (Diwald, L. v. Gerlach, Teil2,438).

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.pretation der Verfassung zugunsten des Königtums wird durch den angeblich drohenden Staatsstreich des Abgeordnetenhauses legitimiert, das Vorgehen der Krone erhält so den Anschein einer unumgänglichen Notwendigkeit: Die Abgeordneten wollen nichts anderes als die Kronrechte abschaffen, diese aber sind älter als die Verfassung und reichen weiter, als die Verfassung sie zugesteht ", Ähnlich dieser neo-konservativen Doktrin hatte schon der Staatsrechtler Theodor Reinkingk im 17. Jahrhundert gelehrt, daß die Majestätsrechte des Kaisers nur in Teilbereichen einer Einschränkung durch die Wahlkapitulationen unterworfen seien. Aber anders als der alte Reichsjurist suchte die Kreuzzeitungspartei eine Konstitution zurückzudrängen, wenn sie die Restauration der monarchischen, friderizianischen Tradition predigte und von ihr die Rettung aus der Krise der Gegenwart und vor der heraufziehenden Anarchie des gesellschaftsauflösenden Liberalismus erwartete ". Die Verfassung galt einer solchen Anschauung letztlich nicht mehr als lückenhaft, sondern als überhaupt suspensionsbedürftig. Ludwig von Gerlach hat sich deshalb nicht gescheut, ihre organische Umbildung zu verlangen, »sine lege«, nicht scontra legern« zu regieren: Man solle sich auf den Weg »solider reformierender Legislarion« begeben, um sich vor der Revolution rein zu bewahren und ihr durch einen offenen Staatsstreich nicht das Zugeständnis zu machen, die Konservativen würden wie die Demokraten eine »revolutionäre Kodifikation« ins Leben rufen 26. Gerlach hat zwar daran ge-

24 Vg!. Ludw. v. Gerlachs Artikel in der Kreuzzeitung ,.Die Selbständigkeit des preußischen Königtums« (10. Juni 1862), ,.Die Krisis Preußens im September 1862« (8.19. September 1862): Wenn das Königtum verschwindet, hat die Armee nichts mehr zu verteidigen (Diwald, L. v. Gerlach, Teill,431-433); Krone ist die Gleichberechtigung gegenAbsolutismus sichernde umgreifende neutrale Instanz, sie allein kann trotz Beschränkung »Hingebung- fordern (H. Kohl [wie Anm. 18] 2, 59f.; Diwald, 1. v. Gerlach, Teil2, 987f.). 25 ,.Die Krisis ist eine gewaltige, und es kann ja nicht anders sein, sie betrifft die höchsten Dinge, unsere Monarchie selbst« (Hans v. Kleist-Retzow an Ludw. v. Gerlach, Berlin 22. September 1862 (Diwald, 1. v. Gerlach, Teil2, 1117). 26 Oktroy etwa eines neuen Wahlgesetzes und Staatsstreich zu vermeiden, .Regieren mit Menschen Hauptsache- (Ludw. v. Gerlach 28. März 1864), faktischer Erfolg, "daß wir durch das erfolgreiche Regieren wider die Mehrheit des Unterhauses in einer organischen und erfolgreichen Fortbildung der Verfassung sind« (Ludw. v. Gerlach 20. August 1864), Bismarck ist »aufzuklären über den Gegensatz revolutionärer Kodifikation und solider reformierender Legislation- (Ludw. v. Gerlach 25. Oktober 1863), Verfassung ist nicht die Verfassungsurkunde und diese nicht das "politische Universum- (Ludw. v, Gerlach 20. September 1862), die verblendeten Demokraten betäuben sich mit dem Geschrei ,.groß ist die Verfassungsurkunde« (Friedr. v. Gerlach 22. September 1862), Friedr. v. Gerlach gegenüber dem Geh. Rat Hahn: ,.daß die Regierung auch gar nicht in einen Not-, sondern in einen Glücksstand käme, nun an die Häuser beim Budget nicht gebunden zu sein innerhalb der bestehenden Einnahmen, zumal die Finanzlage die Bestreitung ihrer Bedürfnisse auch ohne

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zweifelt, ob der »Utilitarier« Bismarck seine tiefen Sorgen richtig begreife, aber der Ministerpräsident handelte ganz in seinem Sinne. Er zog die geräuschlose Schließung des Abgeordnetenhauses dem unnützen Lärm der Landtagsauflösung und der Neuwahlen vor. Damit sollte das Präjudiz umgangen werden, daß der König beständig an den Urwähler als letzte Instanz im Staate appellieren mußte ". Dieser Weg der Ausschaltung war eleganter als das In Gerlachs Kreisen ebenfalls erörterte bonapartistische Vabanquespiel, den Parlamentarismus durch die Ermüdung des Wählervolks ad absurdum zu führen 28. Die friedliche Konkurrenz der legislativen Gewalten, die die Verfassung vorgesehen hat, wird so zugespitzt zum Dualismus unversöhnlicher Gegensätze/", Die Vertreter der Krongewalt betrachten die innerstaatliche Entwicklung letztlich vorwiegend unter dem Aspekt des Macht-Transfers. Die Kammer hat die Macht rauben wollen und die Krone muß sie zurückgewinnen; diese Verengung der Perspektive unterscheidet die Neo-Konservativen um Gerlach, Manteuffel und Kleist-Retzow von dem altständischen Konservativismus der Quitzows und der Kämpfer gegen Napoleon. Sie verlegen den Kern des Staates in dessen Machtzentrum, und dieses hat auch eine gesellschaftliche Funktion. Die Auftritte der Minister im Parlament und die Aktivitäten der Opposition werden nach der Elle des junkerliehen Ehrenkodex gemessen. Gegen die Redefreiheit der liberalen Federfuchser, die mit der Waffe nicht umzugehen verstehen, wird das Duell als Druckmittel eingesetzt. Gleichzeitig erklärt sich die Krone zur berufenen Sachwalterin des allgemeinen Staatsinteresses und der kategorischen Pflichten der Staatserhalneue Bewilligungen zuließe« (5. September 1862) (Diwald, L. v. Gerlach, Teil I, ', wenn die Vorschriften über die Gesetzgebung überhaupt nur formal gemeint gewesen wären oder wenn die Gesetzesinitiative sonst ausschließlich bei der Volksvertretung gelegen hätte. Es wäre ein Widerspruch in sich gewesen, wenn die Verfassungsurkunde das Gesetzgebungsverfahren für das Budget vorgeschrieben hätte und gleichzeitig den Ausweg eröffnet 31 P. Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der Preußischen Verfassungs-Urkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes: Zeitschriftfür Gesetzgebung u, Rechtspflege in Preußen" (1870) 625-707 (Neudr. 1971); E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789,3. Bd. (Stuttgart 1963) 333 ff. (Widerlegung durch Boldt [wie Anm. 2] 85ff.). 33 30. September 1862 vor der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses (H. Kohl, [wie Anm. 18] Bd. 2, 30). 34 Laband (wie Anm. 32) 628ff.

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hätte, daß der Staatshaushalt, weil nun einmal überhaupt ein Haushalt für den Staat notwendig sei, auch ohne gesetzliche Feststellung geführt werden dürfel5• Das Vorhandensein eines Haushalts wurde dabei vorausgesetzt; die Verfassung brauchte schließlich nicht eigens zu konstatieren, daß der Staat eine materielle Grundlage habe, sonst hätte sie noch auf der Stufe der landrechtliehen Codices mit ihren Abgaberegelungen gestanden. Aus der Kombination der beiden entscheidenden Artikel ergibt sich weiterhin, daß das Budgetgesetz als ein besonders bedeutsames Gesetz betrachtet wurde, für das die übereinstimmungsklausel des Art. 62 nicht mehr beliebig ausgelegt werden konnte in dem Sinne, daß, wenn es an übereinstimmung fehle, dann eben kein Gesetz zustandekomme. Hier liegt keineswegs eine unheilbare Schwäche des konstitutionellen Staatsrechts vor. Denn wenn der Art. 99 zwingend vorschreibt, daß alle Einnahmen und Ausgaben jährlich durch Gesetz festgelegt werden und wenn der Staatshaushalt der materielle Lebensinhalt des Staates ist, dann ist das Gesetz, das ihn festlegt, auch absolut notwendig, und es ist in diesem besonderen Fall, ich zitiere wörtlich, »die übereinstimmung des Königs und beider Häuser erforderliche, wobei der Nachdruck auf »erforderlich .. liegt. Das Haushaltsgesetz ist das einzige Gesetz, für das die Verfassungsurkunde eine bestimmte, regelmäßig wiederkehrende Frist vorsieht, innerhalb deren es zustandekommen muß36. über den Haushalt muß jedes Jahr ein Gesetz sein, komme was auch immer. Dies läßt sich nur so verstehen, daß die Verfassung in dieser essentiellen und existentiellen Frage der Staatserhaltung den drei Gesetzgebungsfaktoren die Pflicht zur Einigung 35 Die entsprechenden Verfassungsbestimmungen der anderen großen deutschen Bundesstaaten sahen allenfalls Fristen vor, die erlaubten, die Festsetzung des Staatshaushalts in dringenden Fällen hinauszuschieben: Bayer. Verfassungvon 1818 VII § 3-15,5 (E. R. Huber, Dokumente[wie Anm. 14] Bd. 1,151£.), Baden 1818 § 62f. (ebd. 165), Württemberg 1819 § 114 (ebd. 183), Kurfürstentum Hessen 1831 § 147 (ebd. 221 f.), Sachsen § 103 (ebd. 239 f.); die sächsische und die württembergische Verfassung trafen nur Vorsorge für den Fall der Uneinigkeit der beiden Kammern, betonten aber auch hier die Vereinbarungspflicht und banden eine eventuelle Ablehnung des Haushalts an Stimmenmehrheit der vereinigten Kammern (Württemberg § 181) oder bei erfolgloser Vereinigung in einer Deputation an Zweidrittelmehrheit mindestens einer Kammer (Sachsen § 103, 131, 128). 36 Forckenbeck machte ausdrücklich den Unterschied zwischen Gesetzen allgemein, die zustandekommen könnten, und dem Etatgesetz, das zustandekommen müsse: "Der Artikel 99 der Verfassungsurkunde ist nach dem klaren Wortlaut und nach dem innern Zusammenhange der Verfassung der Grundstein unserer Verfassung, und wenn der Herr Ministerpräsident von der beklagenswerthen Freiheit gesprochen hat, welche die Staatsregierung nach der Verwerfung des Etats erhielte, nämlich von der Freiheit, ohne einen Etat weiter zu regieren, so ist das der Form nach wenig Anderes und der Wahrheit nach nichts Anderes als der Absolutismus, den wir seit der beschworenen Verfassung seit zwölf Jahren in Preußen für immerzu Grabegetragen habene; Philippson, Forckenbeck (wie Anm. 5) 102;vgl. Oppenheimer, Waldeck (wie Anm. 5) 150f.

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auferlegt. Die Verfassung war gar nicht so dualistisch, wie Ernst Rudolf Huber annimmt, um die jeweilige Präponderanz eines monarchischen Entscheidungsträgers innerhalb eines besonderen deutschen Staatsrechts einführen zu können. Im Etatgesetz ist vielmehr die Einheit der Staatsgewalt alljährlich erneut anzustreben und herzustellen. Es kann nicht eine der Staatsgewalten sich zum Surrogat dieser dynamischen Einheit aufschwingen. Ein Gemeinwesen lebt, so läßt sich zwanglos interpretieren, von der zum Zwecke seiner Existenz stets erneuerten Gemeinsamkeit seiner Angehörigen, sonst zerfällt es oder wird eine Zwangsanstalt. Gar nichts anderes meinten zwei Staatstheoretiker verschiedener Herkunft, Friedrich Ancillorr'" und Georg Gottfried Gervinus ". Der vormärzliche Konservative faßte die Staatssouveränität- sie ist dort geteilt, wo die Völker einen höheren Begriff ihrer Freiheit und Würde erwarben - nach Analogie einer Intelligenz, Freiheit und allgemeinen Willen umfassenden moralischen Person auf, der Liberale verlegte mehr abstrakt die Einheit von Volk und Fürst in die allgemeine Bildung und deren Artikulation in der Stimme der Zeit. Beide dachten den Staat zum Zwecke seiner Handlungsfähigkeit ebenfalls einheitlich, aber seine Einheitlichkeit war das Produkt seiner inneren Strebungen und Parteien und wurde nicht durch ein bestimmendes Machtzentrum von vornherein einseitig vorgegeben, erst im Zusammenwirken seiner repräsentativen Kräfte stellte sich die Einheit her. Hat man diesen Hintergrund im Auge, so war Preußen 1862 ein staatliches Gemeinwesen in der Form eines von Jahr zu Jahr die Einheit der Willensbildung vorschreibenden Verfassungsstaats, der allerdings von dem monarchischen Prinzip und den vor 1850 erlassenen Gesetzen auf eine kaum klar zu definierende Weise umgriffen blieb. Konstituierend für den Verfassungsstaat war eben dies, daß die Staatsfinanzen keine bloßen Verwaltungsangelegenheiten mehr waren, sondern daß über sie die Volksvertretung mitbefand. Nachdem der Absolutismus das Steuer- und Finanzwesen der Mitkompetenz der Stände entzogen und seiner Zentralverwaltung eingegliedert hatte, machte Art. 99 der Verfassungsurkunde diesen Prozeß gewissermaßen wieder rückgängig. Allerdings wurde das absolutisrische Erbteil der Universalität des Etats, die etwa im Vergleich zu der belgisehen Verfassung von 1831 sehr weitgehend war, beibehalten, und es war 37 über Souveränität und Staatsverfassungen. Ein Versuch zur Berichtigung einiger politischer Grundbegriffe (Berlin 21816) 14ff., 31, 38-40, 51, 99. 38 Die Preußische Verfassung und das Patent vom 3. Februar 1847 (Mannheim 1847) 8 ff.. 49,69-72, 126; die prinzipielle Verschiedenheit von Absolutismus und Konstitutionalismus hat am konkreten Beispiel (Hardenberg) begriffsklar herausgearbeitet E. W. Zeed en, Hardenberg und der Gedanke der Volksvertretung in Preußen 1807-1812 (Berlin 1940, Neudr. 1965) 157ff.

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an die Stelle der Stände die ganz anders legitimierte einheitliche Volksvertretung gerückt. Der Gesetzentwurf der Regierung vom 17. Dezember 1863, der bei Nicht-übereinstimmung der drei Gesetzgebungsfaktoren die Fortführung der Verwaltung auf der Grundlage des zuletzt gesetzlich festgestellten Etats vorsah, hätte den Art. 99 illusorisch gemacht. Er war nichts anderes als ein zentraler Angriff auf das nachabsolutistische konstitutionelle Haushaltsrecht der V erfassungsurkunde l". Er hätte keine Lücke der Verfassung gefüllt, sondern die Verfassung durchlöchert. Das Abgeordnetenhaus hätte sich selbst entbehrlich gemacht, wenn es ihm zugestimmt hätte. ' Was bedeutet es für die politische Kernfrage des Verfassungskonflikts, die Möglichkeit einer Parlamentarisierung, wenn sich nachweisen läßt, daß die gezähmte Revolution von 1848 und dievormärzliche Verfassungstheorie geeignete Interpretationsmuster für die Verfassungsurkunde hergeben? Der vormoderne Charakter dieses Konflikts scheint doch dann gerade offenbar zu werden. Denn dem unbekümmert Handelnden gehört die Geschichte, so könnte man einwenden, gegenüber dem harten Machtwillen Bismarcks hätte doch nur ein kämpferischer Parlamentarismus, begabt mit kraftvollen Führern und vor Revolution und Steuerverweigerung nicht zurückschreckend, eine ebenbürtige Alternative bilden können. Die Einhaltung der Verfassung, die Abkapselung ihrer Idealität vor der Realität des politischen Lebens, hätte sie die Parlamentarisierung im Wege einer offenen Machterweiterung des Abgeordnetenhauses nicht ebenso ausgeschlossen wie die erneuerte Dominanz des monarchischen Prinzips? Standen nicht nur zwei einander adäquate Orientierungsrnarken, Bismarck oder Lassalle, am Scheideweg der Entwicklung? Lassalle beeindruckte die radikalen Demokraten vom Schlag der Fanny Lewald mit seiner kategorischen Forderung, auf die Schließung des Abgeordnetenhauses mit dessen Selbstauflösung zu antworten 40, bis die Regierung von ihrer verfassungsbrüchigen Ausgabenleistung ablasse: den Daumen aufs Auge und das Knie auf die Brust, dann hätte das Abgeordnetenhaus im Bunde mit den Produktivkräften des aufgehenden Industriezeitalters die auf fiskalisches Beutelschneiderturn reduzierte Reaktion hinweggefegt. Wenn aus der Verfassungsurkunde und aus dem Handeln des Abgeordnetenhauses nun doch einige Voraussetzungen für eine historisch mögli39 Vg!. Rönne (wie Anm. 13) 623ff.; die Trennung in einen »ordentlichen«, d. h. gesetzlich bereits festgelegten und deshalb unproblematisch weiterzuleistenden, und einen außerordentlichen Ausgabenfonds hatte die Verfassung eben nicht vorgesehen. 40 Vor allem in seinem zweiten Vortrag über Verfassungswesen, ,.Was nun?«, erstmals am 19. November 1862 in einem Berliner liberalen Bezirksverein verlesen. Vg!. Löwenthai (wie Anm. 5) 194-197; Silberner, Jacoby (wie Anm. 1) Nr, 296£., S. 254-257.

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ehe, durch die Entschiedenheit der politischen Gegenkräfte aber unter- \ bundene Parlamentarisierung erschlossen werden sollen, so gilt es von gängigen Konfliktmustern und dezisionistischen Betrachtungsweisen Abstand zu nehmen. Wenn Ernst Rudolf Huber den Parlamentarismus dem Monarchismus kontradiktorisch gegenüberstellte und beide zugleich pa- . rallelisierte, jener wie dieser ein die Lücke der Verfassung allein und ausschließlich potentiell ausfüllender Machtkern, so verfuhr er als Historiker im Grunde nicht anders als die Politiker Roon und Bismarck, wenn sie die Einzelsouveränität von Volksvertretung und Krone zugespitzt hatten, um die Basis für das Eingreifen der letzten, der notstandsbedingten Souveränität, der sich angeblich zur neutralen Instanz aufschwingenden Krone zu gewinnen: Auch das Wesen des Parlamentarismus bestünde danach in . der Souveränität des Notstands, das heißt des Burgfriedens im Kriege, und sein historisches Recht läge nur darin, sich in einer solchen Situation staatsbeherrschend zur Geltung zu bringen. Aber mit dem Parlamentarismus, ob er in der Form der parlamentarischen Monarchie oder der Demokratie auftritt, ist die Idee des Rechtsstaats verknüpft, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Vorstellung einer Rechts- und Wohlfahrtsgleichheit von Staatsuntertanen, die es erlaubt hat, den Rechtsstaatsgedanken auch mit dem aufgeklärten Absolutismus in Verbindung zu bringen. Ihrer historischen Idee nach waren die Parlamente und ihre ständischen Vorläufer nicht eigentlich Kampfrnittel, sondern Partner im Ausgleich der politischen Kräfte; und darum, weil dem Parlament sogar zugetraut wurde, selbst der Ort dieses Ausgleichs der politischen Kräfte und gesellschaftlichen Interessen zu sein 41, konnte in der Demokratie die Parlamentssouveränität proklamiert werden, ohne daß sie als Gegensatz zur Rechtsstaatlichkeit empfunden wurde. Für den parlamentarisch regierten Staat gelten Gewaltenteilung, Kompromißfindung, Überordnung des Rechts über die Macht als konstituierend; nur unter Wahrung dieser Prinzipien und Spielregeln darf das Parlament Machtzentrum eines Staats werden wollen. Darum hat das Abgeordnetenhaus Grundpflichten wahrgenommen und sich zu Grundwerten bekannt, als es die idealen Güter einer mit Gewaltenteilung verbundenen politischen Kultur nicht nur dem Ministerium, sondern auch sich selbst vorhielt, als es Verständigungsbereitschaft zeigte, die strategische Planung und den konsequenten Machtwillen seines Widerparts vermissen ließ und als es 41

Daß mit dem parlamentarischen Revisionsanspruch ein neuer ..Subjektivismus« u~d

..Skeptizismus- einhergehe (der als Ersatz für das schwindende Vertrauen in den Ordnungsgaranten Regierung dann die umgreifende, allen zugängliche Vernunft bei dem parlamentarisch gefundenen allgemeinen Willen voraussetzen mußte), kritisierte Rei eh ens p e rg e r in einer Rede vom 19. Januar 1864 (Sten. Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863, 2. Bd., 780£.).

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Lassalles Aufruf zur Obstruktion nicht aufnahm, obwohl dieser noch radikaldemokratisch verstanden werden konnte und noch kein Aufruf zum Sozialismus der reinen Lehre war. Der Konstitutionalismus des preußischen Abgeordnetenhauses war insoweit nicht der Parlamentarismus einer grauen Vorzeit, in den ein übertriebener Historismus oder ein politologischer Normativismus'f ihn zu eilfertig verpuppen möchte. Um aber nun dem berechtigten Einwand zu begegnen, zuviel Montesquieu sei in jedem Fall zu wenig Rousseau gewesen, müssen wir etwas weiter ausholen. Die Gewaltenteilung war nur ein Aspekt des konstitutionellen Parlamentarismus. Die Staatstheorie des frühen 19. Jahrhunderts hatte den Staat auf eine ganz neue Stufe der Wertigkeit gehoben, hatte die Gesellschaft näher an ihn herangerückt, aber nicht in Form einer gesteigerten Nutznießung vom Staat, sondern in Gestalt der politischen Teilhabe an seinem Wirken und an seinen Zielen. Der Staat kommt um diese Zeit, mit Hegel zu sprechen, zu einem neuen Bewußtsein seiner selbst, ablesbar an der Blüte der konstitutionellen Theorie, der auch die konservativen Kritiker ihren Tribut zollen. Die Freiheit des Einzelnen wird in ein weites neues Legitimationsgeflecht staatlichen Handelns einbezogen, in dem Konsenstheorie mit Machtanspruch, historisches Bewußtsein mit aufgeklärtem Naturrechtsdenken, Volksherrschaft mit wahrem Königtum verbunden gedacht sind, und deshalb vereinbart sich diese Freiheit des Einzelnen zwanglos mit dem Wunsch nach machtvoller Staatseinheit. Der Einzelne konnte frei sein und werden, indem er nach Teilhabe an dem Ganzen, an dessen Entwicklung, Zielen, Zwecken strebte. Vor diesem Hintergrund können der theoretische Anspruch und das Handeln des Abgeordnetenhauses in ihren parlamentarischen Entwicklungsmöglichkeiten neu gesehen werden. Das Recht des Hauses, an der Festlegung des Haushalts maßgeblich mitzuwirken, war nach dem Geist und der Genese der Verfassungsurkunde unzweifelhaft. Denn ihr lag die belgische Verfassung von 1831 zugrunde+', und diese wiederum wurzelte in ihren französischen Vorgängerinnen. Der ihnen gemeinsame Aus42 Vg!. die Kritik von A. Hess, Das Parlament, das Bismarck widerstrebte. Zur Politik und sozialen Zusammensetzung des preußischen Abgeordnetenhauses der Konfliktszeit (1862-1866), (Köln und Opladen 1964) 37-50, dagegen etwa die Reden der Abgeordneten Schulze und Jung am 11. Januar 1864 (Sten. Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863, 2. Bd., 615ff.). 43 Vg!. J. Gillissen, Die belgisehe Verfassungvon 1831-ihr Ursprungundihr Einfluß, in: Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, hrsg. von W. Conze (Stuttgart 1967) 38-69, 67f.; die juristische Preisschrift von R. Smend, Die Preussische Verfassungsurkunde im Vergleich mit der Belgisehen (Göttingen 1904) 6 ff., 25ff. ist einseitig und betont teilweise kasuistisch die Ungebrochenheit des monarchischen Prinzips in Preußen.

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gangspunkt war die Constituante von 1791, und diese hatte erstmals in Anlehnung an die Theorie der Volkssouveränität die Festlegung der Einnahmen, Steuern und Ausgaben ausdrücklich dem Gesetz der Nationalversammlung vorbehalten. Die belgisehe Verfassung hatte diese monistische Bestimmung durch das Zweikammerprinzip gemildert, sie hatte ihr System der checks and balances auch gegen die diktatorische Volkssouveränität richten wollen+", aber die erste Abstimmung über den Haushalt hatte sie doch der Volkskammer belassen 45. Dieser Passus ging in die preußische Verfassung ein, und deshalb lag es sicherlich nicht im Willen ihrer Gründer, die zweifellos beabsichtigte Zurückdrängung der übernommenen demokratischen Errungenschaften durch die preußischen Instirutionen bis zur direkten Aufhebung des auf die gesetzlichen Befugnisse der französischen Nationalversammlung zurückverweisenden Budgetrechts gehen zu lassen 46. Selbstverständlich war das Etatgesetz nicht, wie Paul Laband gemeint hat, ein verhüllter Verwaltungsakt. In der Erörterung seiner Grenzen hat auch der Rückgriff auf das monarchische Prinzip des Deutschen Bundes nichts zu suchen'"; und gar Max Fleischmanns

44 Vg!. die Beiträgevon Wyvekens (19. Dezember 1830) u~d von de Theux de Mey~ landt (13. Dezember 1830) in der belgischen Nationalversammlung über die Notwendigkeit einer 1. Kammer, die sich den »innovations trop brusques« ebenso entgegensetzen werde wie dem Absolutismus eines sich mit dem Volkshaus verbrüdernden Königs - wobei das preußische Herrenhaus von diesem wahren Konservativismus her nicht zu interpretieren ist (Emile H uyttens, Discussions du Congres National de Belgique 1830-1831, T. 1-5' [BrüsseI1844-1845] Teil 1,498£., 433-439,408). 45 Vg!. aus dem Rapport de Theux de Meylandts über den Titel der Finanzen: ,.La constitution d'un peuple libre doit done le preserver d'impörs arbitraires et assurer I'emploi fidele de ceux qui sont legalerneut per~us, tel est l'objet principal des dispositions de ce titre« (E. Huyttens [wie Anm. 44] 4, Nr. 61 S. 104£.). . 46 Vg!. etwa Schwerins Umschreibung der Gewaltenteilungin Preußen (24. September 1849): Wer der Krone gibt, muß dem Volk geben, das in der konstitutionellen Monarchie zum Subjekt von Rechten geworden ist, die wiederum einer gesetzlichen Festlegung durch Zuweisung des Budgetrechts an die Volksvertretung bedürfen. Die konstitutionelle Monarchie ruht auf drei unerläßlichen Grundpfeilern: "Es ist erstens das unbedingte und unumschränkte Recht der Krone zur Exekutive, es ist ferner die unbedingte und unbeschränkte Teilung des Rechts der Legislative zwischen der Krone und der Volksvertretung, und drittens ist es das unbedingte und unverschränkte Recht der Bewilligung von Steuern von Seiten derVolksvertretung.c (Sten. Berichte überdie Verhandlungen der 30. Mai 1849 einberufenen2. Kammer,1. Bd. [Berlin 1849] 379-422, hier 396) In logischer Folgerichtigkeitsieht R. Gneist, Gesetz und Budget. Constitutionelle Streitfragen aus der preußischen Ministerkrisis vom März 1878 (Berlin 1879) 142 im Art. 99 das Budgetrecht sogar verwirklicht. 47 Huber, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 32) Bd. 3,343; schon Reichensperger erklärte am 19. Januar 1864, daß eine Bundeskompetenz in der Budgetfrage des Landes nicht mehr in Betracht komme.

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Auffassung, daß die Sanktion, d. h. die formelle Festlegung und Verkündung des Gesetzestexts dem König eine Vorzugsstellung bei jedem Gesetzgebungsakt verschafft habe48, ist gänzlich abwegig. Vielmehr war es von einer in der Literatur bisher verkannten staatsrechtlichen Bedeutung, daß sich die Abgeordneten bei der zeitgenössischen Interpretation der Verfassung ausdrücklich auf die westeuropäischen Vorbilder und auf das englische Regierungssystem beriefen. Das preußische Abgeordnetenhaus beanspruchte nun weder während der Revisionsdiskussion von 1849 noch in den Jahren des Verfassungskonflikts, eine vollständige Budgetverweigerung nach dem Vorbild der altständischen Steuerverweigerung konkret auszuüben. Dieser taktisch gemeinten maximalistischen Auslegung seiner Rechte seitens der Konservativen setzte es das Bekenntnis zum staatserhaltenden Patriotismus entgegen: seine Rechte für und nicht gegen den Staat geltend zu machen+", Die Budgetverweigerung wurde als Druckmittel auf dem Höhepunkt des Konflikts erwogen, aber im ganzen hat das Haus den Vorwurf des Ausverkaufs der Staatsmacht. der ihm erstmals massiv von Bismarcks Regierungsbank, dann auch von alten Freunden aus dem liberalen Baden entgegenschallte, nicht verdient. Auch bei der Budgetberatung wollten die Abgeordneten sich grundsätzlich mit dem Besten des Staates identifizieren und die Einheit des Staates mitverwirklichen. Beispielsweise hat das Abgeordnetenhaus nicht in extensiver Interpretation des Artikels 99 der Regierung das Recht bestritten! gemäß des.ursprünglich nur als Uber8ang~bestimmung gedachten Artikels 109 die Steuern fortzuerheben" . Die Abgeordneten beschränkten sich selbst auf das Recht, einen Teil der Ausgaben und nur dieser ablehnen zu dürfen, sofern die Gegenseite die Weiterverhandlung über den Etat bzw. die mit diesem in Zusammenhang gebrachten Fragen verweigerte. Nach wie vor wollten sie, wie Eduard Las-

48 M. Fleischmann, Der WegderGesetzgebungin Preußen (Breslau 1898) 77; die gleiche Tendenz bei E. Hub rich, Das monarchische Prinzip in Preußen: Zeitschriftf. Politik 1 (1908) 193-218 unter Bezug auf die ungebrochene Bedeutungvon § 1 II 13 des Allgemeinen Landrechts. . 49 v. Beckerath qualifizierte eine ,.gänzliche Steuerverweigerung- als »Hochverrat« und folgerte gerade aus der zugestandenen Gleichberechtigung der Volksvertretung, ,.daß sie fühlt, von welcher unermeßlichen Verantwortlichkeit alle ihre Schritte begleitet sind. Sie wird gerade in dem Bewußtsein einer großen Berechtigung zugleich die Aufforderung zur Mäßigung und Selbstbeschränkung finden.« (24. September 1849, Steno Berichte über die Verhandlungen der 30. Mai 1849 einberufenen 2. Kammer 1849,1. Bd., 389f.) Das Abgeordnetenhaus hat im Konflikt auch zur Steuerverweigerung nicht aufgerufen. 50 An. 109: »Die bestehenden Steuern und Abgaben werden Iorterhoben«, wurde 1849 von der 2. Kammer abgelehnt; daß die Krone ihn dann doch in der Verfassung beließ, hat das Haus also akzeptiert.

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ker es unmißverständlich ausdrückte, den Etat vereinbart wissen'", sie hatten in der Mehrzahl keine doktrinär klar umrissene parlamentarische Aspiration. Es wäre auch falsch, ihr Handeln nach Analogie eines sich ständisch ausgrenzenden Institurionenpartikularisrnus zu begreifen. Sie verstanden ihre Institution vielmehr als eine tragende Säule des Staatsganzen. Wenn Rudolf Gneist in überzogener liberaler Selbstkritik und in Verleugnung der einstmals von ihm selbst verfolgten Ziele den kleinkarierten Parteigeist und die Gasthofrhetorik deutscher Volksvertreter geißelte und gegenüber der großzügigen Budgetbewilligungsbereitschaft des englischen Parlaments abwertete+", so legte er selbst ungewollt Zeugnis für das Streben des Liberalismus ab, das Parlament als Bundesgenossen der Regierung in den Dienst der Staatszwecke zu stellen. Das reine parlamentarische Budgetrecht der Volksvertretung war also weder in der Verfassung garantiert noch wurde es ungeteilt erstrebt. Gerade deswegen aber hätte die Ubereinstimmungsklausel eine auf die Einführung des budgetrechtlichen Parlamentarismus zielende Dynamik entfaltet, wäre man ihr verfassungskonform gefolgt. Es fehlten bewußt Vorschriften darüber, wie im Konfliktfall die Konformität der Gesetzgeber zu erreichen sei. Dies kann, wie schon Ludwig von Rönne bemerkteS3, nur so gedeutet werden, daß die Verfassungsurkunde in einem solchen Fall an die gängigen konstitutionellen Auskunftsmittel dachte. Diese waren politische Mittel: nämlich Auflösung des Landtags oder Wechsel des Ministeriums. Der Auflösung setzte die Befristung des Etats, der ausdrücklich nur als Jahresetat konzipiert war, recht enge Grenzen. Da die Auflösung 51 Kernsatz: ,.Es kann •.• keine verfassungsmäßige Regierung ein Jahr lang existieren, ohne ein Etatgesetz zur Vereinbarung gebracht zu haben«: E. La s k er, Zur Verfassungsgeschichte Preußens (wie Anm. 13) (Fragen des Staatsrechts) 358, falsch angezogen bei H uber, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 32) Bd. 3, 337. 51 Vg!. Gneist, Gesetz und Budget (wie Anm. 46) 142f£., 164-166. Als Abgeordneter hatte er die arithrnetische Lösung vorgeschlagen, daß der Abzug von den Militärausgaben als das Minus, in dem alle Gesetzgebungsfaktoren einig seien, zu gewähren sei (19. Januar 1864, Steno Berichte überdie Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863, 2. Bd., 778). 53 Rönne (wie Anm. 13) 633-643, 642, in Auseinandersetzung mit Laband, den er zurückweist. Laband wäre vermutlich selbst erstaunt darüber, daß seine Lehrmeinung, die zu seiner Zeit alles andere als die communis opinio doctorum war, heute das Feld behauptet hat (vg!. Laband [wie Anm. 32] 700, Anm. 47). Ludwig von Rönne (1804-1891), aus brernisehern Ritterschaftsadel, mußte 1868 seine Karriere als Vizepräsident am Appellationsgericht Glogau abbrechen, war bereits 1849 Abgeordneter des ,.Iinken Centrums- geworden; ergab mitH. Simon in 16 Bänden ,.Die Verfassung und Verwaltung des Preußischen Staates« heraus. Bedeutend ist neben seinem Kommentar zur Verfassungsurkunde vor allem das Zij seiner Zeit hochgeschätzte ,.Staatsrecht der Preußischen Monarchies ('1856, 1863; 4 von ihm besorgte Auflagen). Den Einklang seines Verfassungsdenkens mit seiner politischen Arbeit in der konstitutionellen Partei muß man wohl heute anders bewerten als E. La n ds b erg in: ADB 55 (1912) 879-883.

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1862 im Verein mit Neuwahlen schon praktiziert worden war, blieb danach als zweite Möglichkeit nur der Wechsel des Ministeriums. Er erfolgte auch, jedoch nicht im Sinne der Verfassung, wonach er darauf hätte abzielen müssen, die gestörte Gemeinsamkeit zwischen der Krone und dem Landtag wiederherzustellen. Die Krone benutzte vielmehr den Ministerwechsel, um verfassungswidrig den Intentionen der Volksvertretung entgegenzuwirken. Das Verfassungsrecht fand in dieser Stunde keine politische Exekutive. Auf zweierlei Weise wäre der Konflikt verfassungskonform beizulegen gewesen: Zum einen dadurch, daß das Parlament der Krone zugestimmt hätte oder die Krone dem Parlament. Die Identifikation des Parlaments mit dem König als einem stärkeren Partner war nach dessen Bestätigung durch Neuwahlen nicht mehr zu erwarten. Zweitens blieb es möglich, im Interesse der Staatseinheit den Komprorniß bis zur letzten Kasuistik zu erproben. Dieses Ringen mußte, um verfassungskonform zu sein, ebenfalls nur wieder vor der Grenze einer rechtzeitigen Etat-Verabschiedung haltmachen, aber bis dahin bot sich genug Gelegenheit zum Erweis guter Nerven und politischer Kraft. Die durchaus verfassungswidrige Praxis, den Haushalt zu spät in der winterlichen Sitzungspe- . riode einzubringen S4, die in das neue Etatjahr hineinreichte, hat dem im September antretenden Ministerium Bismarck den ersten Geländegewinn verschafft. Durch das Vorprellen in der Wehrfrage, die seit den Befreiungskriegen eine Gewissensfrage der konstitutionellen Partei war und nun noch mit dem Kardinalproblem der Staatsfinanzen verbunden wurde, entzog die Krone dem Abgeordnetenhaus die Möglichkeit, sich mit einem von dem königlichen Ministerium richtig aufgefaßten Staatszweck zu identifizieren. Der Anspruch des Landtags, das Staatswohl zu interpretieren, stieß mit dem konkurrierenden Anspruch der bisher staatstragenden Schichten, der Hohenzollern und weiter Teile des ostelbischen Adels, zusammen. Die parlamentarische Ministerverantwortlichkeit konnte so nicht auf politische Weise in gleitendem Übergang erreicht werden, nämlich als natürliche Folge und Umkehrung einer aus »Patriotismus .. ss zuvor von der Rönne (wie Anm. 13) 623, 632-636. Vg!. Motive zu den durch König!. Botschaft vom 7. Januar 1850 vorgeschlagenen Abänderungen der Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848, zu VII: »Eine nähere Feststellung- der Befugnisse der 1. Kammer wird sich aus der Behandlung der Budgetfragen selbst ableiten lassen. ,.In dieser Beziehung ist demnach die weitere Entwicklung der Verfassung der Zukunft vorzubehalten und anzunehmen, daß einerseits die zweite Kammer durch die ihr im Artikel98 eingeräumte wichtige, mirtelst der gegenwärtig vorgeschlagenen Änderung noch verstärkte Befugniß befriedigt, andererseits die Regierung durch den Patriotismus dieser Kammer vor dem Lande schädlichen Verlegenheiten bewahrt sein werde.« (Sten. Berichte überdie Verhandlungender 30. Mai 1849 einberufenen 2. Kammer,4. Bd., S. 2159) 54 55

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Volksvertretung gesuchten Übereinstimmung mit einem seinerseits einigungsbereiten Ministerium. Statt mit dem Parlament identifizierte sich die Regierung mit der Verwaltung."; als deren Domäne sie in Verkennung der verfassungsrechtlichen Entwicklung die Staatsfinanzen ausgab; sie zernierte dort ein Regierungsreservat, wo nach dem Willen der Verfassungsurkunde das politische Leben pulsieren sollte. In der Wirklichkeit hatte Preußen die innere Einheit des Staates noch nicht gewonnen, die die konstitutionelle Theorie vorspiegelte. Im Unterschied zu dem englischen Parlament repräsentierte das preußische Volkshaus auch nicht einen national geprägten Gesamtstaat; durch die Reichseinigung von oben fielen Patriotismus und Parlamentarismus erneut auseinander '". Es charakterisierte die in das Kaiserreich übertragene Spannung, daß laut Reichsverfassung der Militäretat der uneingeschränkten Festlegung durch den gesetzlichen Haushaltsetat entzogen und aufgrund der festgesetzten Friedenspräsenzstärke zunächst ein Pauschbetrag fürdenUnterhalt des Reichsheeres angesetzt wurde58• War die hier zurückrevidierte Haushaltsregelung der preußischen Verfassung aber nicht in einem übertragenen Sinne von vornherein lückenhaft, weil es keine politischen Kräfte gab, die sie zu nutzen verstanden hätten? Die Nationalliberalen, an die hier zunächst zu denken ist, wurden nicht nur durch ihre sozialständischen Vorstellungen, das Streben nach besitzbür~erlicher Privilegienwahrung, den unlösbaren Zielkonflikt zwischen nationaler Orientierung und Verfassungstreue zur Sezession und Assimilation getrieben'", Sie waren mit der unguten, höchst realen Situation konfrontiert, daß dem gefestigten Ministerium Bismarck mit der Op56 Rö n n e (wie Anm. 13) 639 f.; 1849 wurde aufVorschlag der Kommission zur Revision der Verfassung der Titel VIII ..Von der Finanz-Verwaltung«, geändert in ..Von den Finanzen« (Sten. Berichte überdieVerhandlungender30. Mai 184geinberufenen2. Kammer, 1. Bd., S. 379); dies trug der konstitutionellen Theorie Rechnung, daß im Budget ,.der wahre nervus rerum gerundarum in Beziehung auf die gesammte Staatsmaschine und deren regelmäßige Bewegung- liege (vg!. Art ... Budget- in: Staats-Lexikon, hrsg. von C. v. Rotteck und C. W elcker, 3. Bd. [Altona o, J.] 60). 57 Vgl. den sarkastischen Kommentar von Ja cob y (an Wilhe1m Löwe, Königsberg 13. April 1866; Silberner, Jacoby [wie Anm. 1] 368): ..Allah ist groß und Junker Bismarck sein Parlamentsmacher«, 58 Vg!. Verfassung des Norddeutschen Bundes (16. April 1867) Art. 60,62,69,71 (H uber, Dokumente [wie Anm. 14] Bd. 2, 237, 239). 59 Spahn, Entstehung der nationalliberalen Partei (wie Anm. 2) 400 (Motive Karl Twestens), 458 H., 462. Die neuere Literatut geht zu amithetisch von der Konstanz des Gegensatzes bürgerliche Klassenlage- Arbeiterbewegung aus; vg!. T. Offermann, Arbeiterbewegung und liberales Bürgertum in Deutschland 1850-1863 (Bonn 1979); G. Fesser, Linksliberalismus und Arbeiterbewegung. Die Stellung der deutschen Fortschrittspartei zur Arbeiterbewegung 1861-1866 (Berlin [Ost] 1976).

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position des Konfliktparlaments nicht mehr zu begegnen war60• Das In{lemnitätsersuchen der Regierung, brüsk mit einer Pauschalforderung auf 154 Millionen Taler statt mit der korrekten Haushaltsvorlage für das Jahr 1866 verbunden, weckte Furcht vor Diktatur und stellte im Gegenzug zur Indemnitätserteilung die politische Freiheit nicht wieder her'". Durch das Bekenntnis zu einem neuen, mehr weltanschaulichen Liberalismus dispensierten sich die Nationalliberalen von der seit Lassalles Auftreten un{lankbaren Pflicht, die reale Regierungsübernahme durch den dritten Stand zu erkämpfen. In zweierlei Hinsicht zog ihre Wendung positive Grundlinien aus, die während der Konfliktzeit sichtbar geworden waren, bog diese aber ins Negative um. In den Konfliktjahren waren die Fraktionen des Landtags politischer, parteibewußter und auch koalitionsbewußter geworden. Die »katholische Fraktion« hatte im Blick auf ihre Bismarck abgeneigten rheinischen Wähler die weltanschaulichen Differenzen mit der Fortschrittspartei zurückgesrellt'P, und selbst die rechte Seite des Hauses hatte sich zu einer Grundidee des Parlamentarismus bekannt, wenn Ludwig von Gerlach die Gewinnung konservativer Mehrheiten zu den ,.praktischen Hauptsachen- zählte und seine lethargischen Gesinnungsgenossen in den Ideenkampf mit den Demokraten führen wollte'", Und zweitens versprach am ehesten die Wiederaufnahme des nur vorder60 VieleBelegebeiJ. Heyderhoff-P. Wentzcke (Hrsg.),DeutscherLiberalismusim Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, 1. Bd. 1859-1870 (Bonn und Leipzig 1925); vg!. Wilh. Wehrenpfennig an Ludw. Häusser, Berlin 8. Dezember 1864:" Welch eine Wandlung zwischen dem Fürstentag und heute! .•. Diese Erfolge und Siege werden unsere konstitutionelle Entwicklung vielleicht auf viele Jahre zusammendrücken.« (ebd. 233) Vgl. Nr. 174 S. 227f., Nr.l77f. S.229f., Nr. 160 S. 211, Nr. 208 S. 264, Nr. 205 S. 260, Nr. 231 S. 291f.; wichtig der Einfluß Hermann Baumgartens Nr. 259 S. 338f., Nr. 263 S. 341f., Nrr, 296ff. S. 379ff. 61 Steno Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1866, 1. Bd., 102ff., 183, 186f., 207. Die Indemnität wurde erteilt für die von der Regierung seit Beginn des Jahrs 1862 ohne gesetzlich festgestellten Haushaltsetat geführte Verwaltung, vorbehaltlich der Beschlußfassung zur Entlastung der Staatsregierung nach Vorlegung der J ahresrechnungen. Nach dem Zusatz des Abgeordnetenhauses sollte es rücksichtlich der Verantwortlichkeit der Regierung so gehalten werden, als ob die Verwaltung in dieser Zeit aufgrund gesetzlicher Etats geführt worden wäre. VgI. die zum Protokoll gegebenen Einwände des Abgeordneten Franz Bresgen (Adenau-Ahrweiler). 62 Vg!. Eugene N. Anderson, The Prussian Election Statistics 1862 and 1863 (Nebraska 1954) 15ff., 98ff. 63 Ludw. von Gerlach zu Moritz Blankenburg 20. August 1864 (Diwald, L. v. Gerlach, Teill, 459). Vg!. ebd. 769, Diwald, L. v. Gerlach, Teil2, Nr. 50S S. 1102, Roons Forderung nach sentschiedeneir) Parthei-Unterstützungin seiner am 10. November 1861 dem König überreichten Denkschrift ,.Die politischen Partheien in Preussen und das Ministerium« (Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Kriegsministers Grafen von Roon, 2. Bd. [Berlin 1905] 52).

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grundig opportunistischen regierungsfreundlichen Mittelkurses, den zuerst die Altliberalen erprobt hatten, einen Machtgewinn der kleinen Schritte'", Die mit Jacoby in '(er~i?dung stehenden De~okrateI?- bi~ligten Max von Forckenbecks prinzipienschwachen Weg, die reaktionären Wehrvorlagen zu amendieren, statt sie sogleich zu verwerfen 65. Nicht ohne taktisch-politische Untertöne warnte Peter Reichensperger das Abgeordnetenhaus vor rein verbalem Doktrinarismus und verwies auf den alten Juristenspruch, ein billiger Vergleich sei besser als ein fetter Prozeß und steter Tropfen höhle den Stein66• Schließlich bildete der vielbelächelte Doktrinarismus der Fortschrittspartei doch die notwendige Ergänzung zur Vermittlungstaktik mancher ihrer Führer und zu deren Selbstpräsentation als Mitte um fast jeden Preis. Die Waldeck und Schulze, Jacoby und Hoverbeck standen noch in der Tradition der abstrakten Naturrechtsdoktrin der Aufklärung67 und kannten in ihrem Rechtsempfinden keinen Komprorniß. Das Festhalten am Recht ist aber für jede Staatsführung unerläßlich, und so hätte der sogenannte Radikalismus der Demokraten gerade staatstragend werden können, weil er Schutz vor der vom Hofliberalismus ventilierten Gefahr einer cäsaristisch-absolutistischen Pervertierung direkter Parlamentsherrschaft geboten und auswärtige Machtpolitik an innenpolitische Zustimmung gebunden hätte. Die vor 130 Jahren erlassene preußische Verfassungsurkunde wußte etwas Zeitloses vielleicht auch für unseren Staat: Daß die Kraft der politischen Gemeinschaft in ihrer Einheit bestehe, die aber in Freiheit zu verwirklichen und nur solange erreichbar ist, wie die politischen Strebungen 64 Bei Hermann Baumgarten (an Heinr. v. Sybel, Karlsruhe 1. Mai 1863, H~yderhoff-Wentzcke [wie Anm. 60] Bd. 1, 149) etwa schlug gerade die Bereitschaft, gegen Bismarck ..in geschlossenen Massen. zu stürmen, 1866 in bedingungslose Akklamation um. Zu den Erwägungen über eine Mittelpartei vgl, ebd. Nr. 66 S. 105,87 S. 130 (1862/1863); ähnliche Überlegungen Mu: Dunckers bei H. O. Meisner, Der preußische Kronprinz im Verfassungskampf 1863 (Berlin 1931) Dok. Nr. 30 S. 93. Vg!. L. Dehio, DieTaktik der Opposition während des Konflikts: HZ 140 (1929) 279-347, 340f., im Vordergrund steht bei Dehio allerdings noch das Verhältnis zwischen dem ..Radikalismus. und den Erfordernissen einer national angespannten Außenpolitik. 65 Vg!. Herrn. Büttner an Joh. Jacoby, Elbing 22. April 1863, ebenso Raphael J. Kosch an Jacoby, Berlin 24. April 1863 (Silberner, Jacoby [wie Anm. 1] 261f£.). 66 Steno Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1863,2. Bd., 622£. 67 So L. Dehio, Benedikt Waldeck: HZ 136 (1927) 25-57, 53f.;die politischen Vorstellungen der deutschen Fortschrittspartei in Beziehung zum politischen Liberalismus umfassend herausgearbeitet von H. A. Winkler, Preußischer Liberalismus und deutschl·r Nationalstaat. Studien zur Geschichte der deutschen Fortschrittspartei 1861-1866 (Tübingen 1964). '

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und sozialen Interessen in der Übereinkunft und Selbstbeschränkung ihr Bestes suchen. Die Verfassung richtete keine unübersteigbaren Schranken zwischen Konstitutionalismus und Parlamentarismus auf, weil sie die Zuordnung der Gesetzgebungsfaktoren, die Form ihrer in der zentralen Frage der Staatsfinanzen jeweils zu erreichenden übereinstimmung nicht fixiert, sondern der weiteren Entwicklung des Verfassungsverständnisses überlassen hatte. In ihrer bedachten Kompromißnatur, in der empirischen Zusammenfügung von Gedankenreihen verschiedener Herkunft war sie historisch gewachsen und idealistisch zugleich. Dennoch trifft auch das Negative der eingangs angeführten Urteile über sie zu. Die Verfassung von 1850 war nicht naturrechtlich abstrakt, nicht französisch prinzipiell genug, um dem Machtwillen der erstarkten staatsabsolutistischen Partei Paroli bieten zu können. Saß die Revolution nicht auf der Seite dieser Gegenkräfte, wenn die geduldig vereinbarte Verfassung ein Produkt der jüngeren preußischen Geschichte war und eben deshalb auch für die Entwicklung, für eine zukünftige Parlamentarisierung offenstand? Jedenfalls könnte dies der Demokrat Jacoby gemeint haben, wenn er im Rückblick auf den Konflikt die »ewigen Grundsätze des Rechts, der Sittlichkeit und der Freiheit« verspielt wähnte68 und sich damit optimistisch doch wieder zu dem beständig Gültigen bekannte.

68

In der Adreßdebatte am 23. August 1866 (Silberner,

Jacoby [wie Anm. 1] 391).

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Budgetrecht Erz. V~a ... mg 1791 Tit. 3 chap. 3 See. 1 Art. I La Constitution delegue exclusivernent au corps legislatif • .• 2. De fixer les depenses publiques 3. D'etablir les contributions publiques, d' en determiner la nature, la quotite, la duree et la mode de perception 4. De faire la repartition de la contribution directe entre les departements du royaume, de surveiller I'emploi de tous les revenus publics et de s'en faire rendre compte. Sec. 3 Art. 8 Die Einrichtung, Verschiebung, Erhebung öffentlicher Steuern betreffenden .decrets du corps legislatifc tragen Namen und Titel von Gesetzen; sie bedürfen keiner Bestätigung außer für Strafverfügungen, die nicht Geldstrafen zum Inhalt haben.

Erz. Charte 1814 Art.48 Aucun impör ne peut etre etabli ni perPl, s'i1 n'a ete consenri par les deux chambres et sanctionne par le Roi (= Art. 40 von 1830) Acte additionnel 18H Art. 35: keine Steuer, keine Anleihe, kein Kredit, keine Domänenveräußerung ohne Gesetz Art.49 L'impöt Ioneier n'est consenti que par un an. (:: Art. 411830). Indirekte Steuern können für einige Jahre bewilligt werden. Acte additionnel 18H Art. 34: Bei Auflösung der Volkskammer werden die in der letzten Session beschlossenen Auflagen bis zur neuen Vereinigung der Kammer fortgeleistet . .Art. 17 La loi de l'impör ..• doit etre addressee (voue) d'abord a (par) la chambre des deputes (:: Art. 15 1830) Acte additionnel 1815 Art. 36, 37: Allgemeiner Staatshaushalt und Rechnungslegung zuerst an die Volkskammer zu bringen wie jedes Finanzgesetz

Be/g. V~assung 1831 Art.115 Chaque annee les chambres arretent la loi des comptes et votent le budget. Toutes les recettes et depenses de I'f:tat doivent eire portees au budget et dans les comptes. Greift ein Art. 26 Art.110 Jede Steuer zugunseen des Staates kann nur durch Gesetz erhoben' werden. Art.27 , •• toute loi, relative aux recettes ou aux depenses de I'f:tat ou au contingent de I'armee, doit d'abord etre votee par la chambre des representants.

Preuß· V~assung 1850 Art.99 I Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für' jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaus_ halts-Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt. Greift ein Art. 62 Art. 100 Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, soweit sie in den Staatshaushalts-Etat aufgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden. Art. 109 Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben (entsprechen_ de, der Verfassung nicht zuwiderlaufende Bestimmungen bleiben bis zur gesetzlichen Abänderung in Kraft) Art.62/3 FinanzgesetzEntwürfe und Staatshaushalts-Etats werden zuerst dem Hause der Abgeordneten vorgelegt; letztere werden von dem Herrenhause im ganzen angenommen oder abgelehnt.

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Lücke der Gesetzgebung

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Gesetzgebung Frz, Verfassung 1791

Frz. Charte 1814

Belg. Verfassung

Tit. 3 chap. 3 Sec. I Art. t La constitution delegue exclusivement au corps legislatif .•• 1. De proposer et decreter les lois Sec.3 Art. I Les decrets du corps Iegislatif ,sont presentes au roi, qui peut leur refuser son consentement Art. 2: Suspensives Veto des Königs. Wird in den zwei unmittelbar auf einen Beschluß der gesetzgebenden Versammlung folgenden Legislaturperioden der gleiche Beschluß nochmals vorgelegt, so wird das der Bestätigung durch den König für gleich erachtet.

Art. 15 La puissance legislative s'exerce collecrivement par le roi, la chambre des pairs et la chambre des deputes des departernents (= Art. 14 1830)

1831 Art.26 Le pouvoir legislatif s' exerce collectivement par le roi, la chambre des representants et le senat,

Preuß. Verfassung 1850 Art.62 Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und die zwei Häuser des Landtags ausgeübt. Die Übereinstimmung des Königs und beider Häuser ist zu jedem Gesetze erforderlich.