Geld oder Liebe: Begierde und Begehrlichkeiten

Februar / März 09 | #460 Das Kommunale Kino Wiens, Schwarzenbergplatz 7-8, 1030 Wien Christian Petzold Jerichow, ab 6. Februar 2009 Jeanne Balibar ...
Author: Nora Schulz
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Februar / März 09 | #460

Das Kommunale Kino Wiens, Schwarzenbergplatz 7-8, 1030 Wien

Christian Petzold Jerichow, ab 6. Februar 2009 Jeanne Balibar zu Gast im Stadtkino, am 15. Februar 2009

Geld oder Liebe: Begierde und Begehrlichkeiten Heimatlose am Rande von Deutschland, Film Noir - sandfarben und meerblau: Christian Petzolds jüngstes Meisterwerk „Jerichow“. VERENA LUEKEN

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evor wir das erste Bild vor Augen haben, hören wir die Totenglocken. Sie läuten, solange die Liste mit den Namen der Beteiligten läuft, gerade so, als sähen wir das Ende und den Abspann, nicht den Anfang und den Vorspann eines Films. Und tatsächlich beginnt Christian Petzolds Jerichow mit dem Ende einer Geschichte. Nach der Beerdigung seiner Mutter wird Thomas (Benno Fürmann) von seinem alten Freund Leon (André Hennicke) abgeholt, dem er Geld schuldet und der einen Schläger mitgebracht hat, es einzutreiben. Sie fahren zu dem Haus, das Thomas von seiner Mutter geerbt hat, einem baufälligen Gebäude am Friedrich-Engels-Damm 1, irgendwo im Nirgendwo der Prignitz. Er habe kein Geld, behauptet Thomas erst, doch Leon findet das Versteck mit einem Packen Banknoten, und sein Begleiter zieht Thomas den Totschläger über den Kopf. Nach einem Anfang wie einem Ende ist die Geschichte nach fünf Minuten eigentlich schon wieder vorbei.

Doch Thomas bekommt eine zweite Chance. Er erwacht, und es beginnt eine neue Geschichte. Und zwar eine, die wir im Kino schon mindestens viermal mit so unterschiedlichen Darstellern wie Michel Simon, John Garfield oder Jack Nicholson, Clara Calamari, Lana Turner und Jessica Lange gesehen haben, eine Geschichte, die es als Oper gibt und als Theaterstück und als allererstes und Quelle von alldem natürlich als Roman. James M. Cain hat ihn 1934 unter dem Titel „The Postman Always Rings Twice“ veröffentlicht, und wenn die Filme, die Pierre Chenal, Tay Garnett, Luchino Visconti und Bob Rafelson daraus gemacht haben, etwas miteinander verbindet, so ist es die hitzige Begierde, die die Aussicht auf viel Geld den Figuren durch die Adern jagt. Christian Petzold, der sein eigenes Drehbuch geschrieben hat, bezieht sich nicht direkt auf Cain, aber mindestens einmal (in einer hastigen Sexszene im Flur) direkt auf Rafelson. Fortsetzung auf Seite 2 »

Inhalt Zeitarbeit, ins Bild gesetzt Christian Petzold im Gespräch über Autos und andere Wunschmaschinen

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Menschen unter Druck Eine Passage durch die bisherigen Filme von Christian Petzold

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Keine Ausflüchte Der französische Film- und Bühnenstar Jeanne Balibar im Stadtkino Zulassungsnummer GZ 02Z031555 Verlagspostamt 1150 Wien / P.b.b.

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Christian Petzold: „Jerichow“

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StadtkinoZeitung zu dem anderen, der, als er über die Brücke gehen soll, ihn bereits verraten hat. Das ist von einer so tiefen Traurigkeit, dass all das, was im Folgenden geschieht, kaum noch zählt - bis ganz zum Schluss Laura ein einziges Wort sagt, das ihre Zukunft, mit oder ohne Thomas, der völligen Leere preisgibt: „Ali.“ Jerichow ist ein präzises Kammerspiel mit drei Figuren und einer Landschaft, wie man sie in Deutschland nur findet, wenn man ganz an den Rand fährt, dorthin, wo kaum noch jemand ist und wo die Ostsee so aussieht, als hätte kein Tourist je an ihrem Strand gesessen. Einsam sitzen Laura,Thomas und Ali dort. Ali ist sehr betrunken und tanzt, und Thomas sagt, „wie ein Grieche“. Dass der Türke ihm das verzeiht, ist ein Wunder, das weder Thomas noch Laura zu schätzen wissen. Dass Laura wiederum klaglos damit lebt, dass Ali ihr nachspioniert, sie verdächtigt und schlägt, ist ein Zeichen dafür, dass sie nichts mehr spürt. „Man kann sich nicht lieben ohne Geld“, sagt sie einmal, aber was wir sehen, ist, dass ihr das Geld längst den Weg zu jedem Gefühl verbaut hat. Nina Hoss weiß, dass sie das Scharnier ist in der Männerbeziehung, Objekt wie die Frauen im klassischen Kino, das die Männer zusammenführt. Und so spielt sie das auch, nicht als die, die treibt, sondern die alles geschehen lässt, als hätte sie keine Wahl. Das ist ihr großer Irrtum. • Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Christian Petzold Jerichow Deutschland 2008

Jeder und jede für sich, mit einem Bein im Grab: Benno Fürmann, Hilmi Sözer und Nina Hoss in „Jerichow“. » Fortsetzung von Seite 1

Und das Einzige, was wir bei ihm nicht sehen, ist die Leidenschaft. In der Geschichte vom jungen Mann, der einer schönen Frau den älteren Ehemann töten will, um mit ihr gemeinsam dessen Reichtum zu genießen (was in keinem der Fälle klappt), war sie immer Teil der Gier. Nicht bei Petzold. In seinem spröden Kino, das einsame Figuren in leeren Landschaften plaziert, bleiben Körper ohne Sinnlichkeit. Alles ist kontrolliert, die Schönheit wie die Gewalt - Petzolds formale Strenge ist auch hier wieder faszinierend. Wären da nicht die Darsteller, die bei Petzold immer besser sind als bei anderen Regisseuren, sähen wir überhaupt kein Leben. Und tatsächlich stehen die Menschen innerlich mit einem Bein im Grab. Das Geld spielt in jeder Szene mit, aber es befeuert die Figuren nicht. Es stürzt sie einfach nur ins Unglück. Es zerstört, was sein könnte, und das, was war. Zunächst einmal kettet es Laura (Nina Hoss) an Ali (Hilmi Sözer), die schöne, große, blonde Frau an den dicklichen älteren Mann türkischer Abstammung, der in der Prignitz

mit dem Betrieb von Imbissbuden reich geworden ist. Hilmi Sözer gibt ihm eine Verlorenheit, die nie sentimental wird, und eine selbstverständliche Besitzerattitüde, was seine Läden und seine Frau angeht. Einmal erzählt Laura, dass sie im Gefängnis saß und dass Ali, als sie heirateten, ihre mehr als hunderttau-

Das Geld spielt in jeder Szene mit, aber es befeuert die Figuren nicht. Es zerstört, was sein könnte, und das, was war. send Euro Schulden übernommen habe. Und dass diese wieder an sie zurückfallen würden, falls sie ihn verließe. Da hat sie ihn gerade betrogen und spricht zu dem Mann, mit dem sie hofft, Ali loszuwerden.

Das ist Thomas. Er trifft Ali, als dieser mit zu viel Alkohol im Blut seinen Wagen in der Nähe von Thomas‘ Haus in den Fluss lenkt. Er hilft Ali, fährt ihn nach Hause, und wenige Tage später, als Ali dann doch seinen Führerschein verliert, stellt Ali ihn an, um Waren zu seinen Imbissbuden auszufahren. Thomas ist ein schweigsamer Mann, er war als Soldat in Afghanistan, wurde unehrenhaft entlassen, und er hat einen soldatischen Körper, prall trainiert, der in der physischen Präsenz, die Benno Fürmann ihm gibt, kaum Regungen erkennen lässt. Als sein Blick zum ersten Mal auf Laura fällt, wissen wir, wie die Geschichte enden wird. Doch das, was Petzold uns erzählt, ist dann eben nicht die Geschichte zwischen Laura und Thomas, oder nur am Rande. Und insofern ist es ganz in Ordnung, dass die große Leidenschaft, die hinter ihren Mordplänen stehen soll, eigentlich nicht spürbar ist. Was wir sehen und spüren können, ist vielmehr das, was sich zwischen Thomas und Ali abspielt - eine Annäherung zwischen zwei Heimatlosen, zweien, die in einem Land leben, das von ihnen nichts wissen will, und von denen einer denkt, sein Geld könne vielleicht eine Brücke schlagen

Regie Christian Petzold Drehbuch Christian Petzold Kamera Hans Fromm Schnitt Bettina Böhler Musik Stefan Will Ton Dirk Jacob, Andreas Mücke-Niesytka Kostüme Anette Guther Casting Simone Bär Produzenten Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber Produktion Schramm Film Koerner & Weber Verleih Stadtkino Wien Länge 93 Minuten Technik 35mm / 1:1,85 / Farbe Darsteller Laura...................... Nina Hoss Thomas ................. Benno Fürmann Ali .......................... Hilmi Sözer Leon ...................... André M. Hennicke Kassiererin . ........... Maria Gruber Sachbearbeiterin.... Claudia Geisler Polizist ................... Knut Berger

Ab 6. Februar 2009 im Stadtkino 18:30 / 20:15 / 22:00 Uhr

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„Ein melancholisch und betörend schöner Blick auf die verlorene Jugend Amerikas.“

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StadtkinoZeitung

Christian Petzold: „Jerichow“

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„Als Wunschmaschine ist das Auto erledigt“ Ein Gespräch mit Christian Petzold über Autofahren, Orte namens Neu Boston und die Darstellbarkeit von Zeitarbeit. CRISTINA NORD Cristina Nord Herr Petzold, welches Auto

fahren Sie? Christian Petzold Einen Mercedes. Der Wa-

gen ist dazu da, mit den Kindern am Wochenende mal rauszufahren. Eigentlich braucht man in Berlin kein Auto. Ich fahre 6.000, 7.000 Kilometer im Jahr. Das ist gar nichts. Nord Ich frage, weil Autos in allen Ihren Filmen eine große Rolle spielen - und in Jerichow sogar noch eine größere als gewohnt. Wie viel Prozent sind im Inneren eines Autos gefilmt? Petzold Fast die Hälfte. Das war ein Schock für Hans Fromm, den Kameramann. Als er das Drehbuch las, sagte er: „Das ist ja toll, aber das ist ja alles im Auto.“ Und da wir nicht auf Trailern, sondern wirklich beim Fahren drehen, sind die Positionen für die Kamera eingeschränkt. Ich kann diese jämmerliche Einstellung nicht leiden, wenn die Kamera durch die Windschutzscheibe ins Wageninnere guckt wie auf eine Bühne. Das hat nichts mit Autofahren zu tun, weil man weiß: Jetzt wird nicht wirklich gefahren, jetzt steht der Wagen irgendwo drauf, die Kamera ist vorne festgeschnallt, und der Wagen wird gezogen. Das wird schnell Theater. Nord Sie mögen es lieber, wenn die Kamera vom Rücksitz aus auf Fahrer oder Beifahrer schaut. Petzold Diese Position haben wie beim Dreh von Die innere Sicherheit entdeckt. Dabei ergibt sich ein seitliches Porträt des Schauspielers, leicht von hinten, so dass die Welt, durch die man sich bewegt, und die Figur gleichzeitig im Bild sind. Das gefällt mir. Nord Sie haben tatsächlich jede Szene im Auto und während der Fahrt gedreht? Petzold Ja, das hat etwas mit der Sprache und mit dem Sprachrhythmus zu tun. Sobald man eine theatralische, kulissenhafte, ungestörte Atmosphäre aufbaut, sprechen die Schauspieler auf eine Art und Weise, die ich nicht leiden kann. Wenn sie aber wirklich fahren müssen und zu zweit sind, dann schaffen sie es, eine eigene Gesprächsdynamik hervorzubringen. Eine Dynamik, die wirklich mit ihrer Umgebung zu tun hat. Ich kann ja zum Beispiel nicht richtig im Studio drehen, weil ich möchte, dass die Schauspieler ein Gefühl für den Ort bekommen, an dem wir drehen, einen Respekt - und sei‘s für ein Hotel oder eine Wiese. Die Welt muss für die Schauspieler sichtbar sein, nicht unbedingt so, dass sie ins Bild gesetzt wird, aber doch so, dass sie in der Wahrnehmung der Schauspieler da ist. Nord Was hat Sie am Schauplatz Prignitz gereizt? Petzold Die Gegend fing an mich zu interessieren, als ich Toter Mann dort drehte. Ich habe noch nie ein Land gesehen, das sich so sehr nach Amerika ausrichtet. Ich dachte immer, dass wir in Wuppertal, Düsseldorf, Solingen, dort, wo ich herkomme, in Nordrhein-Westfalen, dass wir das Los Angeles des kleinen Mannes sind. Ich habe mich in Los Angeles sehr wohl gefühlt, weil es mich ans Ruhrgebiet erinnert hat, ans Autofahren, an die Vernetzung. In Thomas Pynchons Buch „The Crying of Lot 49“ wird das wie ein Transistorradio beschrieben, wenn man von oben draufguckt. Das fand ich immer toll. Und als ich in die Prignitz kam, dachte ich: Das ist CormacMcCarthy-Land... Nord ... ein US-amerikanischer Schriftsteller, der unter anderem die Romane „All the Pretty Horses“ und „No Country for Old Men“ geschrieben hat... Petzold Als wir Yella dort drehten, sagte Hinnerk Schönemann, der Schauspieler, der aus der Gegend stammt, das Drehbuch liege ganz

Liebe zu „seitlichen Porträts“: Der deutsche Regisseur und Autor Christian Petzold. richtig damit, dass alle Range Rover fahren. Denn alle sind mit Pick-ups oder Geländewagen unterwegs, als wären sie weit im Norden, an der Grenze zu Kanada. Ich bin oft in Brandenburg, bei Bad Saarow und Fürstenwalde, und da gibt es die Orte Philadelphia und Neu Boston direkt nebeneinander. Ich habe immer gedacht, das habe etwas damit zu tun, dass die nach Amerika wollten, es aber nur bis Neu Boston geschafft haben. Nord Und stimmt das? Petzold Nach der Entdeckung Amerikas gab es eine große Kolonisationsbewegung aus Europa weg. Die Armen, die Söldner, die Leibeigenen, all die zerstörten, niedergemachten Existenzen, die hatten nun plötzlich eine Möglichkeit zur Flucht, ein gelobtes Land. Friedrich der Große hat die Flucht aufgehalten, indem er den Leuten so etwas wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angeboten hat. Er hat gesagt: Bitte geht nicht, sonst habe ich ja keine Untertanen mehr, ihr kriegt dafür einen Weiler, ein Dorf.

Jetzt taucht der ganze Amerika-Traum wieder auf. Aber so, als ob das alles unter einer Zeitglocke existiert hätte. Nord Und das hieß dann Neu Boston? Petzold Genau, und es steckt noch ganz

tief im Land drin, dass man vor vielen Generationen eigentlich weg wollte. Jetzt ist die Mauer gefallen, jetzt tauchen die Namen und die Pick-ups und der ganze Amerika-Traum wieder auf. Aber so, als ob das alles unter einer Zeitglocke existiert hätte. Denn weder Amerika noch das Auto stehen heute noch für den Mythos der Befreiung und des Individualismus. Ich mochte Death Proof von Tarantino sehr; dass der Film keinen Erfolg hatte, liegt sicher

daran, dass das Auto als Wunsch- und Traummaschine erledigt ist. Nord Was unterscheidet denn eine Dialogszene von Ali und Thomas im Auto von einer, die in einem Zimmer stattfindet? Petzold Früher, wenn ich mit einer Mitfahrgelegenheit unterwegs war, habe ich es oft erlebt, dass man sich nach 200 Kilometern Fahrt die privatesten Dinge erzählte. Man ist im Auto isoliert, wie in einem Käfig, man bildet eine verschworene Gemeinschaft. Zugleich sitzt man sich nicht gegenüber, man guckt sich nicht an; das Weggucken ist die normale Kopfbewegung, und dadurch wird das Anschauen zum Ereignis. Das Auto ist ein reicher Ort, nur nicht für die Kamera. Das gefällt mir, denn mir gefallen alle Formen von Einschränkung. Nord Das passt zu meinem Eindruck, dass Sie von Film zu Film sparsamer vorgehen. Warum? Petzold Mit Harun Farocki zusammen habe ich jetzt schon zehn Drehbücher geschrieben. Er ist der Anhänger des Überflüssigen, er möchte immer verschwenden, hier noch eine Nebenszene, dort noch eine Erläuterung. Ich dagegen bin der Protestant in unserer Beziehung, ich liebe Ellipsen, solange sie eine Erdung in der Geschichte haben und kein Selbstzweck sind. Wenn man fernsieht, ist man von Bildern umgeben, die nichts mehr ins Bild setzen. Eine Dokumentation im öffentlichrechtlichen Fernsehen über Zeitarbeiter schafft es nicht, ins Bild zu setzen, was das heißt, Zeitarbeit. Stattdessen hat man nur Interviewszenen mit Leuten zu Hause. Nord Aber es gibt ja Bilder für Zeitarbeit der Gurkenflieger in „Jerichow“ ist doch ein gutes Beispiel, diese Mischung aus Traktor und Flugzeug, die bei der Gurkenernte zum Einsatz kommt. Petzold Ja, weil der Gurkenflieger ein Bild liefert. Der Gurkenflieger steht für eine der letzten Formen der Ausbeutung. Eine Maschine würde viel mehr Geld kosten, und es ist billiger, wenn junge Polen und Ukrainer auf dem Gurkenflieger liegen. Das erzählt noch mal, was Kapitalismus in seiner Reinform war. Aber die Dinger verschwinden, die Gurken werden inzwischen in der

Türkei angebaut. Als wir gedreht haben, waren alle schockiert - aber nicht darüber, dass so etwas in Deutschland noch möglich ist, sondern darüber, dass das Ding wie ein Flugzeug aussieht. Ich habe an North by Northwest von Hitchcock gedacht. Die Leute waren Studenten, in den Pausen hörten sie klassische Musik. Das passte nicht zu den Bildern von Ausbeuter-Arbeit, die wir im Kopf hatten. Beim Drehen kamen plötzlich Tiefflieger und durchbrachen direkt über uns die Schallmauer. Es gab einen unfassbaren Knall... Nord ... den man im Film hört, oder? Petzold Ja, und auch an den Gesichtern sieht. Die gucken, als wär‘s der 14. Knall an diesem Tag. Offenbar ist es ein Gebiet, in dem die Bundeswehr die Schallmauer sehr oft durchbricht. Diese Verbindung von den Düsenjägern, dem Gurkenflieger, den Soldaten, den Bauern ließ mich wild assoziieren.Vielleicht war‘s gaga, aber ich dachte: Irgendwie sind die Soldaten immer das Elend der Bauern. Und diese Soldaten da oben - da hatte ich das Gefühl, dass sie extra an der Stelle die Schallmauer durchbrechen, wo der Gurkenflieger ist. So zeigen sie denen auf dem Boden: Ihr seid gar keine Flieger. Nord Wie war denn der Dreh dieser Szene? Petzold Ich hatte Angst, dort zu drehen, weil es oft unangenehm ist, wenn man mit seinem Maskenmobil und seinen geduschten Menschen an so einen Ort kommt. Man hat schnell eine Atmosphäre, in der man sich eigentlich schämen müsste. Aber Benno ist für eine halbe Schicht komplett mitgefahren. Die fahren ja die Garben entlang.Wenn einer nicht gut pflückt, wird er entlassen. Seine Garbe muss dann nachbearbeitet werden.Wir hatten ein bisschen Geld bezahlt, und einer der Polen sollte hinterhergehen, um Bennos Gurken zu pflücken. Benno hat gesagt: „Nee, hier geht keiner hinterher“. Der hat geackert und war hinterher fertig. Er wusste natürlich: Die Arbeiter neben ihm wissen, dass er 2.000 Euro Gage am Tag bekommt, umgerechnet für jede Gurke 2,50 Euro und sie 0,04 Cent.Trotzdem haben die anderen gemerkt, dass er arbeiten wollte. •

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Christian Petzold: „Jerichow“

StadtkinoZeitung

Immer droht die Implosion Filme machen mit einem Wissen, das nichts Sichtbares, sondern Spürbares produziert: Eine Passage durch die bisherigen Arbeiten von Christian Petzold. EKKEHARD KNÖRER

N

och wartet der jüngere deutsche Autorenfilm auf seinen großen internationalen Durchbruch. Es gibt erste Retrospektiven, von London bis Sao Paolo, aber für die breitere Öffentlichkeit ist selbst Christian Petzold, der wohl prominenteste Vertreter der mittleren Generation, noch kein vertrautes Gesicht. Die Zeichen mehren sich, dass sich das ändert. Mit Jerichow war in Venedig erstmals einer der Filme eines Regisseurs der sogenannten „Berliner Schule“ im Wettbewerb eines der Großfestivals außerhalb der Berlinale zu sehen. Auch in Deutschland ist Petzolds Stellung inzwischen durchaus privilegiert. Während seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter wie Angela Schanelec und Thomas Arslan oder, in der Nachfolgegeneration, Chistoph Hochhäusler und Ulrich Köhler große Schwierigkeiten haben, ihre Filme finanziert zu bekommen, dreht Petzold inzwischen mit großer Regelmäßigkeit fürs Kino, wenngleich mit vergleichsweise nach wie vor sehr bescheidenen Budgets. Mit Schanelec und Arslan hat Petzold in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren an der Berliner Filmhochschule dffb studiert, die als die intellektuellste deutsche Filmakademie galt und seit der Berufung Hartmut Bitomskys zu ihrem Rektor im Jahr 2006 auch wieder gilt. Nebenbei schrieb Petzold Filmkritiken. Macher und zugleich Denker ist er bis heute – so sehr, dass alle Kritiker (und gelegentlich auch die Filme) einiges damit zu tun haben, neben seinen hoch eloquenten und elaborierten Analysen der eigenen Werke zu bestehen. Nachzulesen sind sie in unzähligen Interviews, die mehr als eine Nebensache sind, eher schon als fortlaufender Selbstkommentar Bestandteil des Werks. Als wichtigen Lehrer an der Hochschule nennt Petzold oft Hartmut Bitomsky, von den Erfahrungen, die er als Assistent bei dessen Essayfilmen gemacht hat, zehrt er bis heute. Genannt sei nur Der VW-Komplex (1990), weil sich von hier aus Petzolds geradezu obsessive Beschäftigung mit dem Auto als beweglichem Dingsymbol für Ökonomie und Psychologie unserer Gegenwart gut verfolgen lässt. Die andere wichtige Figur aus seiner Studienzeit ist der Dokumentarist und Essayfilmer Harun Farocki, der von Petzolds erstem Film an als dramaturgischer Berater an allen Projekten beteiligt ist. Ein dritter, seltener genannter wichtiger Einfluss ist Dominik Graf, der bedeutendste Genre-Regisseur im deutschen Nachkriegskino. Mit Graf - und Christoph Hochhäusler - plant Petzold unter dem Titel Spreewald gerade eine ambitionierte Trilogie für das deutsche Fernsehen. Was Petzold mit Graf (und auch Farocki) verbindet, ist eine große Liebe zur und genaue Kenntnis der klassischen Kriminalliteratur. Es ist in der Regel nicht das, was an Christian Petzolds Filmen zuerst auffällt, aber fast immer lassen sie sich auch als Variationen auf Versatzstücke und Muster der Kriminal-, jedenfalls der Genreliteratur lesen. Schon die frühen Fernsehfilme Cuba Libre (1996) - eine Rachegeschichte - und Die Beischlafdiebin (1998) - Porträt einer Trickbetrügerin - machen das deutlich. Und auch Die innere Sicherheit (2000), Christian Petzolds erster fürs Kino entstandener und sein bis heute beim Publikum erfolgreichster Film, basiert auf Genre-Strukturen. Die Beobachtung einer Kleinfamilie unter Hochdruck entwirft ein fortgesetztes Flucht-Szenario, denn es handelt sich bei den Eltern, die mit ihrer Teenager-Tochter (Julia Hummer) ruhelos durch Europa vagabundieren, um von der Polizei gesuchte Ex-Terroristen. Noch die alltäglichsten Beobachtungen sind darum im Blick der Kamera, der sich ganz mit der begründeten Paranoia der Protagonisten identifiziert, unter Dauerspannung gesetzt.

„Jerichow“ (2008)

„Yella“ (2007)

„Gespenster“ (2005) Bei aller viel gerühmten Klarheit und Nüchternheit stehen Christian Petzolds Filme stets unter Strom, die Figuren sind unter Druck. Diese Spannung ist nie rein äußerlich, alles ist nach innen gekehrt. Nichts explodiert bei Petzold, dessen Filme so unendlich kontrolliert wirken - was dafür immerzu droht, ist die Implosion, ein wortloser Zusammenbruch und Zusammensturz der Handlung, der Figuren und ihrer Psyche. Alle Psychologisierung im Sinne einer platten Erklärung der Charaktere verabscheut Petzold dabei wie alle anderen der „Berliner Schule“ zugerechneten Filmemacher. Zu den Eigentümlichkeiten seiner Vorbereitung gehört es jedoch, dass er für jede einzelne Figur eine komplette Vorgeschichte entwirft, von der im Film selbst nichts - oder nur ahnungsweise etwas - vermittelt wird. Die Darsteller aber bekommen diese Biografien zu lesen. Ein

Verfahren der Infizierung: Die Körper der Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen, was sie wissen, ohne es ausdrücklich zu sagen. Ein Wissen, das nicht Sichtbares, sondern Spürbares produziert. Toter Mann (2001, wieder fürs Fernsehen entstanden) sendet schon mit dem Titel Krimi-Signale. Es handelt sich um eine RacheGeschichte, deren Ausmaße und Hintergründe sich erst nach und nach enthüllen. Erstmals spielt hier die Schauspielerin Nina Hoss die Hauptrolle. Sie wird fortan zur Darstellerin, die man fest mit Petzold assoziiert, seine „Femme Fatale“ für alle Fälle, mit wechselnden Haarfarben und in wechselnden Konstellationen. Nicht nur in Wolfsburg (2003), Yella (2007) und nun im jüngsten Film Jerichow ist die Schauspielerin wieder zu sehen. Auch in seiner ersten Arbeit für die Bühne, der Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Der ein-

same Weg“ am Deutschen Theater in Berlin (Uraufführung im März diesen Jahres) ist sie mit von der Partie. Was Petzold an ihren Darstellungen fasziniert, darf man mutmaßen, ist die Unlesbarkeit, die sie auch nach erfolgter Infektion mit unsichtbar bleibenden Vorgeschichten wahrt. Immer ist sie bei Petzold eine Sphinx und spielt sozusagen hieroglyphisch: Etwas wird sichtbar, man spürt den Implosionsdruck, unter dem sie steht, aber nie lässt sich das Rätsel, das sie darstellt, wirklich auflösen. In Wolfsburg ist sie eine Mutter, die nach dem Unfalltod ihres Sohnes beinahe zusammenbricht. Der Todesfahrer (gespielt von Benno Fürmann) nähert sich ihr, um - ohne die Tat einzugestehen - wiedergutzumachen, was er getan hat. Nina Hoss erwacht vom Opfer zur Ahnenden und zur Wissenden. Einen ähnlichen Prozess durchlebt sie in der gespenstischen Geschichte, die Petzold in Yella erzählt. Aus dem Osten Deutschlands bricht sie, schon nicht mehr ganz sie selbst, auf in die Welt neoliberaler Geschäfte und lernt, welchen Preis es hat, bei solchen Geschäften erfolgreich zu sein. Ausdrücklicher als in den Filmen zuvor ist die Referenz auf Genre-Werke markiert. Nicht zuletzt ist Yella“ auch der Versuch, die beiden wichtigsten Einflusslinien Petzolds beinahe gewaltsam zusammenzuführen: Die Geschäftswelt ist unverkennbar nach dem Dokumentarfilm Nicht ohne Risiko von Harun Farocki, der Irrealis der Rahmenhandlung nach dem HorrorKlassiker Carnival of Souls modelliert. Der Film als ganzer wird so - auch - zur offenen, auf ein Gelingen oder Scheitern nicht festzulegenden Reflexion über, was passiert, wenn diese einander so fernen Einflusslinien konvergieren. Ähnlich verfährt auf den ersten Blick auch Jerichow, der jüngste Film. Die Blaupause ist eine der berühmtesten Dreiecksgeschichten der Kriminalliteratur, nämlich James M. Cains mehrfach verfilmter Roman „Wenn der Postmann zweimal klingelt“. Die Vorlage verortet Petzold jedoch überaus konkret in einer Zeit (der Gegenwart), einem Ort namens Jerichow (in der Prignitz im Nordosten Deutschlands) und einer ökonomischen Situation - der auf Dauer gestellten Krise in weiten Teilen der ländlichen Gebiete der ehemaligen DDR. Die Begehren, die zirkulieren, und die Abhängigkeiten, die zwischen den drei Figuren entstehen, sind so fest in der Wirklichkeit verankert, dass es auf das Verweisspiel zur Vorlage, anders als in Yella, gerade nicht mehr ankommt. Jerichow erzählt von Thomas (Benno Fürmann), dem AfghanistanKämpfer, der ein neues Leben beginnen will. Das scheitert desaströs, dafür begegnet er dem Imbissbuden-Unternehmer Ali (Hilmi Sözer) und dessen per Ehevertrag an ihn geketteten Ehefrau Laura (Nina Hoss). „Es gibt keine Liebe ohne Geld“, ein Satz, den Laura sagt, ist ein Schlüssel zu diesem Film, in dem das Geld omnipräsent ist - als Beute, als Kredit, als Schuld, als Versicherung. Man muss Lauras Satz nicht für bare Münze nehmen, denn im Grunde spielt Jerichow das Verhältnis von Geld und Liebe als eines durch, an dem selbst alles immerzu Wechsel ist. Aus dem ökonomischen Realen der geschichtlichen Situation, den vom Genre gestreuten Erwartungen, der Liebe und der Gier entwirft Petzold Teufelskreise, aus denen ein Ausbruch nur mit Hilfe von Verrat und Gewalt möglich scheint. Am Ende dieser Erzählung voller Abgründigkeiten wird dann aber kaum zu sagen sein, ob die vielen Rechnungen des Films aufgehen oder nicht. Wieder einmal erweist sich Petzold als Meister des verstörenden Endes. Die geschürzten Knoten werden durchaus gelöst. Es bleibt nur, der Lösung zum Trotz, die Befriedigung einfach aus. •

FILM IST.

a girl & a gun Filmdrama von Gustav Deutsch Musik von Christian Fennesz, Martin Siewert, Burkhard Stangl, Olga Neuwirth, soap & skin, u. a.

ab 27. 2. im Votivkino

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Stadtkino meets TQW

StadtkinoZeitung

Freiheiten in einem persönlichen Bildungsroman Eine Matinee in Kooperation mit dem Tanzquartier Wien: Jeanne Balibar präsentiert am 15. Februar im Stadtkino Jacques Rivettes „Ne touchez pas la hache“. BERT REBHANDL

I

n der französischen Kultur gibt es eine enge Verbindung zwischen Intellekt und Attraktion. Schönheit ist eine Frage des Geists, wer „l’esprit“ hat, zieht die Blicke auf sich. In Filmen von Jacques Rivette, Olivier Assayas oder Arnaud Desplechin geht es häufig um die Frage, ob und wie Klugheit neben der Schönheit bestehen kann und ob Reflexion nicht doch am Ende zu einer Falle werden kann, die hässlich (und einsam) macht. In Va savoir (2001) von Jacques Rivette wird dieses Problem in einem der dafür privilegierten Milieus durchgespielt: auf dem Theater. Eine italienische Truppe ist in Paris, um ein Stück von Pirandello zur Aufführung zu bringen. Der Impresario Ugo ist zugleich der Star, an seiner Seite ist die junge Schauspielerin Camille, gespielt von Jeanne Balibar. Beide haben für die Zeit ihres Aufenthalts ein Vorhaben, das sie voreinander geheim halten. Ugo möchte ein verschollenes Stück von Goldoni finden. Camille möchte Pierre wiedersehen, einen Professor der Philosophie, den sie einst verlassen hat. In einer für Jacques Rivette typischen Weise entfaltet sich Va savoir als eine komplexe Choreographie von Enttäuschungen, an deren Ende ein neues Verhältnis zu den Fiktionen steht, mit denen man sich umgibt – Theaterstücke, Komplimente, Selbstbilder. Für Jeanne Balibar war dieser Film von großer Bedeutung. Sie trat hier zum ersten Mal prononciert aus der großen Schar brillanter französischer Schauspielerinnen heraus und ganz nach vorn. Sie übernahm eine Hauptrolle, nachdem es zuvor lange so erschienen war, als wäre sie eine Figur für größere Ensembles. Ihre Schönheit ist nicht so klassisch wie die von Emmanuelle Béart, sie hat nicht den exotischen Flair von Emmanuelle Devos, und ihre erotische Ausstrahlung ist weniger offensichtlich als die von Virginie Ledoyen. Deswegen hat sie eine Weile eher den Typus der besten Freundin gespielt, allerdings schon in den neunziger Jahren in wegweisenden Filmen wie Comment je me suis disputé… (ma vie sexuelle) von Arnaud Desplechin oder Fin août, début Septembre von Olivier Assayas. Mit Va savoir rückte sie ins Zentrum, und füllte

Experimente, Brüche, Selbstpreisgaben: Jeanne Balibar, Schauspielerin. dieses mit großer Leichtigkeit. Dabei wurde auch ein Zug an ihr deutlich, der sie von den großen Diven unterscheidet: Sie hat einen ausgeprägt ironischen Zug, den sie vor allem in Trennungsszenen zeigt. Sie macht dann fast schmerzhaft deutlich, wie gefährlich die Fähigkeit zur (Selbst-)Distanz sein kann, vor allem in Verbindung mit den narzisstischen Figuren, mit denen sie es so häufig zu tun hat. Die Verbindung zwischen Intellekt und Attraktion hat Jeanne Balibars Weg in die Kunst von Beginn an geprägt. Sie ist die Tochter des Philosophen Etienne Balibar, ihre Mutter Francoise ist Naturwissenschaftlerin. Zum Schauspiel kam sie nach einer gründlichen geisteswissenschaftlichen Ausbildung an ei-

ner der französischen Elitehochschulen. Der Entschluss fiel nach allen Berichten plötzlich und intuitiv, eine Kehrtwendung im Leben, die allerdings weit in die Kindheit zurückreicht, denn schon in ganz jungen Jahren wollte sie Tänzerin werden. Nach einer formellen Schauspielausbildung wurde sie Ensemblemitglied der Comédie francaise. 1992 tauchte sie in in Arnaud Desplechins La Sentinelle zum ersten Mal in einem Film auf, noch ohne Namensnennung. Die Karriere von Jeanne Balibar ist charakterisiert durch Experimente und Brüche, durch Annäherungen an den Klassizismus ebenso wie durch unvermutete Selbstpreisgaben (ihre Trennung von dem Schauspielerkollegen Mathieu Amalric, mit dem sie zwei

Kinder hat, ist in einigen Filmen nachzuspüren). Wenn sie in dem Stück La danseuse malade mit dem Choreographen Bors Charmatz auf die Bühne treten und eine Performance frei nach den Texten des japanischen Schriftstellers Tatsumi Hijikata (1928-1986) geben wird, dann darf man den Worten der Veranstalter durchaus glauben, die nämlich „Verrücktheiten“ ankündigen. Jeanne Balibar kann sich diese inzwischen leisten, sie genießt alle künstlerischen Freiheiten, die in ihrem persönlichen Bildungsroman angelegt waren. So konnte sie auch in Jacques Rivettes Film Ne touchez pas la hache (den sie für eine Stadtkino-Matinee ausgesucht hat) eine klassische Rolle aus der französischen Literatur übernehmen: die Herzogin von Langeais aus einer Geschichte von Balzac erlebt mit dem hochdekorierten General de Montriveau (Guillaume Depardieu) alle Stadien der Verführung zwischen zwei kultivierten, zuerst einmal vornehmlich auf Selbstgenuss bedachten Menschen. Sie kokettiert, provoziert, weist zurück, wird dann aber auch zurückgewiesen, zieht sich zurück, verzehrt sich, und all dies erfährt sie in vergleichbarer Weise von ihrem Geliebten, von dem sie in erster Linie das Prinzip des ständigen Aufschubs trennt. Liebe ist eine Passion, das Glück hat seine eigene Zeitrechnung. Vielleicht liegt in dieser Dialektik des Raffinements, die das französische Kino zu einem Markenzeichen gemacht hat, ein Moment der Provokation, dem Jeanne Balibar sich auf der Tanzbühne stellen möchte - in einer Situation, in der es keine Ausflüchte gibt. • Jeanne Balibar ist am 15. Februar um 11:00

Uhr im Stadtkino zu Gast: Im Rahmen einer Matinee wird sie Ne touchez pas la hache von Jacques Rivette präsentieren und nachher für eine Publikumsdiskussion zur Verfügung stehen. Ausserdem tritt Jeanne Balibar im Rahmen des Tanzquartier-Schwerpunkts „Island: From a piece...“ in Boris Charmatz’ Stück „La danseuse malade“ auf: 14./15. Februar, Museumsquartier, Halle G, jeweils um 20.30 Uhr. In Kooperation mit:

good night, and good luck. Ein Film von

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