Digitale Kultur und Kommunikation

Digitale Kultur und Kommunikation Band 5 Herausgegeben von K.-U. Hugger, Köln, Deutschland A. Tillmann, Köln, Deutschland T. Hug, Innsbruck, Österreic...
Author: Caroline Beck
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Digitale Kultur und Kommunikation Band 5 Herausgegeben von K.-U. Hugger, Köln, Deutschland A. Tillmann, Köln, Deutschland T. Hug, Innsbruck, Österreich

Ein wesentliches Kennzeichen gegenwärtiger Gesellschaft ist das Ineinandergreifen von digitalem Medienwandel und fortdauernden sozialen, kulturellen und kommunikativen Transformationsprozessen. Die Buchreiche „Digitale Kultur und Kommunikation“ beleuchtet diesen Wandel aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Anhand ausgewählter interdisziplinärer theoretischer und empirischer Beiträge beschäftigt sich die Reihe mit der Frage, wie sich digitale Kultur und Kommunikation heute darstellt und welche Folgen daraus für die Individuen, das zwischenmenschliche Zusammenleben und die Gesellschaft erwachsen. Herausgegeben von Kai-Uwe Hugger Humanwissenschaftliche Fakultät Köln, Deutschland Angela Tillmann Fakultät für Angewandte  Sozialwissenschaften Köln, Deutschland Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/10740

Theo Hug Universität Innsbruck Institut für Psychosoziale Intervention   und Kommunikationsforschung Innsbruck, Österreich

Kathrin Oester • Bernadette Brunner

Von Kings und Losern Eine Performance-Ethnografie mit Schülerinnen und Schülern im transnationalisierten Stadtteil Bern West

Kathrin Oester Pädagogische Hochschule Bern Bern Schweiz

Bernadette Brunner Universität Basel Basel Schweiz

Digitale Kultur und Kommunikation ISBN 978-3-658-09338-9          ISBN 978-3-658-09339-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-09339-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Stefanie Laux Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)

Vorwort

Wie stellen Jugendliche als Ethnografinnen und Ethnografen ihre transnationalisierte Lebenswelt dar? Welche Themen greifen sie auf und welches Publikum sprechen sie mit ihren filmischen Produktionen an? In welchem Verhältnis steht ihre Selbstdarstellung zu den Fremddarstellungen in der (medialen) Öffentlichkeit, und welchen Einblick geben sie uns in einen Stadtteil, der zwar klischeebehaftet, jedoch nur mangelhaft erforscht ist? Inspiriert von den performance-ethnographischen Filmen, die der französische Ethnologe Jean Rouch in Westafrika an der Schwelle zur Unabhängigkeit in den 1950er- und 1960er-Jahren drehte, thematisiert die vorliegende Studie eine vergleichbare Zeitenwende – jene der Transnationalisierung der sozialen Welt. Wie die jungen Westafrikaner, die in Rouchs Filmen Einblick in ihren Alltag, in ihre Träume, Frustrationen und Hoffnungen geben und dabei die Unzulänglichkeiten des kolonialen Blicks entlarven, lassen auch die Jugendlichen Bern Wests das Publikum an ihrem Alltag teilhaben: Deutend stellen sie die eigenen Erfahrungen in filmischen Bildern den Klischees sowohl der Multikulti-Idylle wie den Darstellungen sozialer Brennpunkte in ‚migrationsbelasteten‘ Quartieren entgegen. Die Darstellungen der Jugendlichen entsprechen in Vielem nicht der nationalstaatlichen Perspektive auf Migrantinnen und Migranten, die je nach Wirtschaftslage, Herkunftsland oder Einkommen willkommen oder unwillkommen sind. Sie zeigen dagegen, wie abseits von der großen Öffentlichkeit in einer der „zahlreichen Mikro-Öffentlichkeiten heutiger Städte“ (Terkessidis 2010, S. 216) Migrantinnen und Migranten zusammen mit den Einheimischen ihren Alltag reorganisieren. Solche Prozesse der Reorganisation stehen in der vorliegenden Publikation zu Bern West zur Debatte: Wie andere europäische Städte hat sich auch die scheinbar stabile schweizerische Bundeshauptstadt in den vergangenen Dekaden stark flexibilisiert, ethno-national diversifiziert und entlang sozialer Milieus segregiert. Mit einem Ausländeranteil von rund 31 % gehört der Westen der Stadt – hier kurz Bern West genannt – zu jenen Stadtteilen, die in der Öffentlichkeit immer wieder V

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Vorwort

mit dem Label des ‚Ausländerghettos‘ stigmatisiert werden. Gehen wir statt vom statistisch erfassten Ausländeranteil vom Migrationshintergrund von Kindern und Jugendlichen oder von den in der Schweiz geschlossenen binationalen Ehen aus, akzentuiert sich das Bild zusätzlich und die Zahlen legen nahe, dass gesamtschweizerisch in Zukunft weit mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben wird (vgl. dazu die Angaben in 1.1, Fußnote 2). Von der Bevölkerungsentwicklung her bildet der ethno-national vielfältige Stadtteil Bern West folglich keine Ausnahme von der Regel, vielmehr reflektiert Bern West die ‚neue Normalität‘ einer globalisierten Gesellschaft. Es geht also in Bezug auf Migrantinnen und Migranten längst nicht mehr um die Integration einer Minderheit in eine Mehrheit und um Assimilation, sondern um die Normalisierung (trans-) migrantischer Lebensstile als Teil einer immer mobileren Gesellschaft. In der vorliegenden Studie beschreibt eine junge Generation von Zugewanderten und Einheimischen mittels filmischer Bilder und Gesprächen ihre Lebensentwürfe. Sie sind von Mobilität ebenso geprägt wie von Ortsgebundenheit und vom Verlangen nach Zugehörigkeit. Die Jugendlichen schildern die Dynamiken von Inklusion und Exklusion im Stadtteil, ihre vielfältigen Vernetzungsmöglichkeiten in unterschiedlichen ethno-nationalen Diaspora-Gemeinschaften und den täglichen Kampf um Anerkennung in einer Gesellschaft, die von Jugendlichen mit Migrationshintergrund nach wie vor die kulturelle Assimilation verlangt. Mehr als vieles andere beschäftigen die Jugendlichen aber die Barrieren in einem defizitorientierten, früh selektionierenden Bildungssystem, das viele von ihnen bereits in jungen Jahren zu Bildungsverlierern macht. In den filmischen Selbstdarstellungen und in den Gesprächen mit den Jugendlichen entsteht ein schillerndes Bild von „Kings“ und „Losern“, „Tussis“ und „Urschweizern“, „Sunshinekids“ und „Radioschweizern“, „Halbalbanern“ und „Vorurteilsschweizern“, das nur schwer unter einen (theoretischen) Hut zu bringen ist. Wir danken allen Jugendlichen, aber auch den Schulen und Lehrpersonen, die unserem Vorhaben mit großer Offenheit und Vertrauen begegnet sind und sich als Forschungspartnerinnen und -partner zur Verfügung stellten. Aus Anonymitätsgründen müssen wir darauf verzichten, ihre Namen zu nennen. Judith Hangartner, Angela Stienen, Nathalie Gasser, Nicola Jucker, Simone Haug und Heinz Nigg sind wir zu großem Dank für das sorgfältige Gegenlesen des Manuskripts in unterschiedlichen Stadien verpflichtet. Ohne ihre konstruktive Kritik wäre die vorliegende Publikation kaum zu einem Ende gelangt. Boris Boller danken wir für das sorgfältige Lektorat und der PHBern für die finanzielle, die technische und ideelle Unterstützung des Projekts. Bern, März 2015 

Kathrin Oester Bernadette Brunner

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung – Jugendliche im transnationalisierten Sozialraum Bern West .�������������������������������������������������������������������������������������������������   1 Kathrin Oester 1.1 Forschungsfrage �������������������������������������������������������������������������������   1 1.2 Transnationalisierungsprozesse – theoretisch-konzeptueller Hintergrund ���������������������������������������������������������������������������������������   5 1.2.1 Transnationalisierung ‚von unten‘ .���������������������������������������   8 1.3 Peer-Communitys als transnationalisierte soziale Welten .��������������� 12 1.3.1 Zur Herstellung des Lokalen und Globalen – Zugehörigkeits- und Abgrenzungsdynamiken ��������������������� 12 1.3.2 Die Klasse als transnationalisierte soziale Welt ������������������� 14 1.4 Bern West – ein ‚von unten‘ transnationalisierter Sozialraum ��������� 17 1.4.1 Das Migranten-Ghetto-Dispositiv .��������������������������������������� 21 1.5 Inhaltsübersicht ��������������������������������������������������������������������������������� 29 Literatur ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 31 2 Performance-Ethnografie – methodologischer und epistemologischer Rahmen .��������������������������������������������������������������������� 37 Kathrin Oester 2.1 Datenerhebung und Untersuchungsdesign ��������������������������������������� 38 2.1.1 Performance-Ethnografie als Forschungspartnerschaft und medienpädagogisches Lernarrangement ����������������������� 41 2.1.2 Die reziproke anthropologie partagée vor dem Hintergrund tausch- und medientheoretischer Ansätze .������� 52 2.2 Die Datenauswertung ����������������������������������������������������������������������� 60

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Inhaltsverzeichnis

2.2.1 Tauschbeziehungen und die Relationalität von Identifikation und Abgrenzung �������������������������������������������    61 2.2.2 Die Auswertung codisch heterogener Datensets – Wort, Bild und Ton �������������������������������������������������������������    71 Literatur ���������������������������������������������������������������������������������������������������    79 3  Zugehörigkeitsordnungen in Bern West .���������������������������������������������    85 Bernadette Brunner 3.1 Vom System geschaffene Zugehörigkeitsordnungen – die Tauschbeziehung zwischen Schule und Lernenden .�����������������������    87 3.1.1 Der Bildungsraum Bern West – residentielle Segregation, schulische Selektion und die Konstruktion von Zugehörigkeiten .�����������������������������������    89 3.1.2 Identifikations- und Abgrenzungsdynamiken in den drei untersuchten Klassen .�������������������������������������������������    96 3.1.3 Vom System geschaffene Zugehörigkeitsordnungen – Fazit .�����������������������������������������������������������������������������������  146 3.2 Unter Peers geschaffene Zugehörigkeitsordnungen – der Tauschakt der Repräsentation ���������������������������������������������������������  154 3.2.1 Ethnofiction im Klassenzimmer – die Workshops �������������  155 3.2.2 Lebenswelt in Bild und Ton – die Videoanalyse .���������������  162 3.2.3 Diskurse in Aktion – die sieben Identifikationsmodi ���������  164 3.2.4 Performance von Zugehörigkeitsordnungen – Fazit aus der Videoanalyse .���������������������������������������������������������������  256 3.3 Lebensentwürfe im transnationalisierten Raum – eine Typologie .���������������������������������������������������������������������������������������  260 3.3.1 Der transnationalisierte Raum als Möglichkeitsraum .�������  261 3.3.2 Der transnationalisierte Raum als Ort jugendlicher ‚Risikolust‘ �������������������������������������������������������������������������  273 3.3.3 Der transnationalisierte Raum als Ort der Selbstethnisierung .�������������������������������������������������������������  289 3.3.4 Der transnationalisierte Raum als Sprungbrett .�����������������  299 3.3.5 Der transnationalisierte Raum als Durchgangsort .�������������  308 Literatur ���������������������������������������������������������������������������������������������������  316 4 Schlussbetrachtung .�������������������������������������������������������������������������������  325 Kathrin Oester und Bernadette Brunner 4.1 Methodisches Vorgehen .�����������������������������������������������������������������  326 4.2 Identifikation mit der Lokalität �������������������������������������������������������  327

Inhaltsverzeichnis

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4.3 Schule, Bildung und Chancengleichheit ����������������������������������������� 329 4.4 Transnationalität und ethno-nationale Zugehörigkeit ��������������������� 332 4.5 Sozioökonomische Belastungen, Generationenkonflikte und Peer-Beziehungen .������������������������������������������������������������������� 335 Literatur ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 337

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1  Stadtteile und statistische Bezirke der Stadt Bern (Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Statistik Stadt Bern) ������������� 19 Abb. 3.1  Zusammensetzung der drei untersuchten Klassen nach staatsbürgerlichem Status und Migrationshintergrund ����������������� 99 Abb. 3.2  „Hier, wo die Bäume so schön blühen“: Standbild aus einem Jumpcuts-Video ����������������������������������������������������������������������������� 105 Abb. 3.3  Aus einer Übung zum Thema ‚Identität‘: „Die Religion und die Herkunft von den Kollegen sind mir nicht wichtig. Es ist gut, wenn sie nett sind und [man] mit ihnen Spaß hat.“ ���������������  116 Abb. 3.4  „Meine Spuren im Quartier“: Aus einer Übung zum Thema ‚Raum‘. ����������������������������������������������������������������������������� 156 Abb. 3.5  Vermittlung bildsprachlicher Grundlagen: Einstellungsgrössen gezeichnet von einem Jugendlichen ��������������������������������������������� 158 Abb. 3.6  Die mittlerweile passwortgeschützte Jumpcuts-Homepage ��������� 162 Abb. 3.7  Kritisch distanzierte Haltung gegenüber der eigenen Lebenswelt: Standbild aus einem Jumpcuts-Video ����������������������� 166 Abb. 3.8  „Die schönen Seiten von 3027“: Standbild aus …. 3027 Bern West… Ghetto Ja oder Nein? �������������������������������������������������������� 169 Abb. 3.9  Szenen häuslicher Gewalt: Standbilder aus einem Jumpcuts-Video ����������������������������������������������������������������������������� 185 Abb. 3.10  Aufwachsen im sozioökonomisch belasteten Stadtteil: Ausschnitt aus einer Übung zum Thema „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“ ��������������������������������������������������������������������� 195 Abb. 3.11  Inszenierung von Mädchenfreundschaften als Beziehung unter Gleichen: Standbild aus einem Jumpcuts-Video ����������������� 198 Abb. 3.12  „Wir sind immer für einander da und hören uns immer zu, egal was passiert

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