Die Urschöpfung op. 81

Martin-Aike Almstedt Die Urschöpfung op. 81 Ein Mythos der Menschwerdung Intermedialwerk in 21 Szenen für eine Tänzerin, einen Schauspieler und 30...
Author: Hedwig Tiedeman
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Martin-Aike Almstedt

Die Urschöpfung op. 81

Ein Mythos der Menschwerdung

Intermedialwerk in 21 Szenen

für eine Tänzerin, einen Schauspieler und 30 Landschaften aus 12 lichtvariablen Großbildtransparenten, Tonvogelpfeifen, Oboenmundstücke, polynesische Muschelhörner, Vokalgeräusche, Orgelportativ, Ur-Orgel, Shrutibox, Clavichord, Polychorde, Renaissancelaute, indische Tampura, Schlagkrotophon, Knochenspiel, Nagelspiel, Betstahphon, Kuhglocken, chinesische Glocken, Röhrenglocken, Triangeln, Tempelblocks, Holztrommeln, woodblocks, historische Trommeln und Kleinpauken, afrikanische Darabukkas, Stahltrommel, Gueros, Kürbisrasseln, Ratsche, gläsernes Rillenbrett, 16 asiatische und europäische Tempel-, Buckel- und Flachgongs, chinesische Becken, Streichbalalaika, Streichbecken, Streichkrotophon und Mehrkanal-Tonträger

Die Urschöpfung Intermedialwerk (musikalische Komposition, Text, Bildund Bühnengestaltung, Licht- und Bewegungskonzept): Martin-Aike Almstedt (Der Text bezieht sich auf die biblische Schöpfungsgeschichte) Choreographie: Sonja Seng, Martin-Aike Almstedt

Ausführende Tanz: Sonja Seng Licht: Nori Faber Gesamtleitung und musikalische Ausführung: Martin-Aike Almstedt Schauspiel: Hartmut Büscher Klangregelung: Felix Büscher

Bühne und Licht Den Bau der Rahmenelemente für die Großbildtransparente übernahmen Josef Perusko und Manfred Apel. Für die Farbgestaltung der Rahmen sorgte Nori Faber. Den Aufbau der Lichttechnik übernahm die Firma „part-music“ in Göttingen/Sebexen.

Maske Sonja Seng, Nori Faber und Martin-Aike Almstedt

Instrumente und Zuspielbänder Das Nagelspiel, die Krotophone, das Betstaphon, das Knochenspiel, die Polychorde und die Ur-Orgel wurden von Martin-Aike Almstedt konzipiert und von Ingo Kötter, Göttingen, gebaut, von dem auch die große Rahmentrommel stammt. Die Streichbalalaika wurde ursprünglich von Max Roth, Göttingen, gebaut und von Roberto Kremer, Azoren, nach Angaben von Martin-Aike Almstedt verändert. Das Orgelportativ stammt von Sascha Theo Faber, Hann. Münden. Die historische Großtrommel baute Kaspar Harbeke, Bad Zwesten. Die 10-saitige Renaissancelaute ist eine Spezialanfertigung von Armin Gropp, Markneukirchen. Das Clavichord war ursprünglich ein Torso unbekannter Herkunft und wurde von Gerd Kühbauch, Göttingen, restauriert. Die Flachgongs sind gegossene Instrumente aus China und Korea, sowie kaltgewalzte der Firmen Ufip, Italien und Paiste, Deutschland. Die historischen Trommeln und Kleinpauken stellte die oberpfälzische Firma Lefima her. Shrutibox und Tampura kommen aus Indien. Die Körper der Muschelhörner sind indonesischer Herkunft, die der Darabukkas entstammen einer auf Instrumente spezialisierten Töpferei in Bad Nauheim. Die Konzeption und Vollendung dieser Instrumente besorgte Martin-Aike Almstedt. Die Mehrkanal-Zuspielbänder wurden von Martin-Aike Almstedt und WolfDietmar Traeger eingespielt und von Hartmut Büscher auf Mini-CD abgemischt.

Beginn des Textes im Intermedialwerk:

Adam: Tor dem vor Eden Garten zum Cherubim die Schwert mit bloßem hauendem bewahren den Baum zu Lebens des Baum den Erde ringsum Erde ward genommen der von Adam ihm aus und Schweiße im im Kummer Feindschaft in gebärend Schmerz voll und Tod verfallen Zurück zurück kriecht zum Tor das auf dem Bauche Worten von schwer Bildern von schwer Früchte des Baumes aß dem von Erdenbaumes sie des Erkenntnis der Baum des Weiß und ist gut was böse was richtig was falsch was

Verstehe wie das Auseinandergetragene im Sinn zusammengeht die gegenstrebige Vereinigung wie bei Bogen und Leier Heraklit

Gedanken zum Intermedialwerk „Die Urschöpfung“

Zum Sujet Das Sujet des Intermedialwerks „Die Urschöpfung“ ist der Sündenfallmythos des Alten Testaments. Dabei zielt die Entfaltung dieser Thematik von vornherein auf die tief in diesem Mythos liegende Frage, wie es möglich ist, den Weg in das Paradies zurückzufinden. Dementsprechend bot es sich an, die Geschichte in retrograder, also rückläufiger Form zu erzählen. Die Geschichte beginnt auf dem Felde vor dem Paradies und endet im Paradies, also, christlich ausgedrückt, in einem gottgefälligen Hier und Jetzt, das sich aus den Gesetzen des Lebens, dieses schützend, achtend und pflegend, gestaltet. Zur Konzeption Dieses Sujet mitsamt seinen gefühls- und empfindungsmäßigen Implikationen in einem geeigneten künstlerischen Material wiederzufinden und dieses eigengesetzlich so zu entfalten, daß es in einem anderen Wirklichkeitsbereich, eben dem der Kunst als Interpretiertes wiedererscheint, war das Ziel der künstlerischen Arbeit. Um dieses zu erreichen, ging ich von einer intermedialen Materialanlage, bestehend aus den Ebenen Musik, Bild, Licht, Tanz und Schauspiel, aus. Das aus solchem Material entfaltbare Intermedialwerk hat sein Besonderes in der Gleichwertigkeit der einzelnen zu ihm gehörenden Medien, zwischen denen es changiert. Dabei ist der Wechsel in der Dominanz der Medien im Sinne einer sich zur Gesamtaussage formenden Ergänzung wesentlich. Das heißt unter anderem: Was der Text nicht ausspricht, wird von der Musik gesagt. Was Text und Musik nicht sagen, wird im Bild geäußert, was das Bild aussagt, nimmt der Tanz auf usw. Insofern ist es nicht Tanztheater, in welchem in fixer Ordnung der Medienhierarchie der Tanz im Vordergrund steht und Bühnenbild, Licht, Musik usw. den Hintergrund abgeben. Ebensowenig ist es mit der Oper zu vergleichen, in der die musikalisch interpretierte Handlung unveränderbar das Wesentliche ausmacht. Durch seine Bewegung zwischen den Medien erfordert das Intermedialwerk eine Rezeption, die manchmal Denken in musikalischen Gestaltverläufen, manchmal Denken in Farben und Formen, manchmal assoziatives Denken in den Worten des Textes und manchmal Denken in Bewegungsabläufen und Körperspannungen des Tanzes ist. Das Werk spricht so den Rezipienten umfassend, sozusagen ganzheitlich, an. Zum Wesentlichen des Inhalts Durch seine besondere unverwechselbare Form hat das Intermedialwerk notwendig auch andere Inhalte. Für die in konventionellen Formen transportierten Aussagen ist es daher kaum geeignet. Zum Beispiel lassen sich action, sex and crime usw. schwer nur aus ihm entwickeln. Das hängt mit den Zeiten zusammen, in denen die Medien sich präsentieren müssen, um rezipierbar zu sein. Die mit der Form gegebenen Inhalte des Intermedialwerks sind andere. Sie zeichnen sich in der Regel durch innere Sammlung und Zentriertheit aus. Im Intermedialwerk „Die Urschöpfung“ reflektiert die Form das Sujet des Sündenfallmythos und ermöglicht, daß sich im kunstspezifischen Nach-Denken der Form Inhalt als Klarwerdung insbesondere auf der Ebene der Empfindungen und Gefühle ergibt, ja, der gesamte Prozess des Kunsterlebens gelegentlich transzendiert und „religio“, das „Tor des Paradieses“, im ursprünglichen Sinne des Wortes aufscheint (vgl. Adams Anfangsworte).

Zu den einzelnen Kunstebenen des Werkes. Zur Musik Wie im Ganzen, so trägt sich auch in der Musik Intermedialität zu, und zwar insofern, als die Musik zwischen dem live- und dem Tonbandpart changiert. Im Tonbandpart ist eine Musikschicht aufgehoben, die mehr oder minder wirklichkeitsnah ist: Geräusche, Stimmen, Klänge aus der Umwelt tauchen in dieser Werkschicht in mehr oder weniger bearbeiteter Form auf. Die live-Ebene ergänzt die Tonbandebene, überführt sie sowohl in abstraktere wie auch komplexere Regionen und läßt so intermediale Formbildungen entstehen. Solcher Anlage entspricht die Instrumentation des Werkes. Sie reicht vom einfachen Tierknochen über die russische Streichbalalaika bis zum vollentwickelten Kulturinstrument, zum Beispiel der Renaissance-Laute. Dabei bezieht die Instrumentation auch außereuropäische, nämlich afrikanische, südamerikanische, indische, chinesische, indonesische, koreanische und ,japanische Instrumente mit ein. Damit rekrutiert sich das Instrumentarium nicht nur aus den verschiedensten musikgeschichtlichen Epochen, beginnend mit der Neandertalzeit und endend in der Gegenwart, sondern auch aus dem internationalen Spektrum. Unter anderem durch ihr überzeitliches interkulturelles Moment hilft die Musik, den Inhalt des Werkes zu entfalten. Die Eigenschaft des Interkulturellen schlägt sich außerdem im von mir wiederentdeckten Polychord nieder, und zwar insofern, als das Instrument einerseits auf eine japanische Tonleiter eingestimmt ist und andererseits den Ganztonmodus aufweist. Außerdem ist die Spieltechnik, die ich für das Polychord entwickelte, eine Mischung aus koreanischer Keyagum-Technik und europäischer Lauten- bzw. Gitarrentechnik. Zum Bild Die Bildebene besteht aus einem großen Bildtransparent, in zweifacher Ausführung und zwölffacher Teilung in Einzelelemente. Diese sind zu einer Bilderlandschaft geordnet. Die Malerei hat in der japanischen Ki-Malerei, unter anderem im ShoDo, ihre Hauptwurzel, geht aber insofern weit darüber hinaus, als sie sich zu einer Art abstraktem Naturalismus entwickeln ließ, dessen besondere Eigenart sich neben dem Ki-Strich in der Übergangszone zwischen deutbarer Gestalt und deren Auflösung erfüllt. Die Bilder atmen Natur, Ur-Kraft und Metamorphose. Damit verhilft auch die Malerei zur Begegnung mit Ursprünglichem, läßt das Sujet des Mythos sich so auch auf ihrer Ebene entfalten und trägt zum Inhalt des Ganzen bei. Zum Licht Zur Ebene der Malerei gehört auch des weiteren die Lichtgestaltung. Es ist eine bekannte Tatsache, daß Bilder in unterschiedlichem Licht höchst unterschiedlich aussehen und wirken. Das gilt in ganz besonderem Maße für Transparente. Diesem Umstand verdankt sich die bildnerische Kompositionsebene der Lichtgestaltung, die technisch mit 53 separat schalt- und dimmbaren Einzelscheinwerfern ermöglicht wird. Durch die Lichtebene erschließt sich dem Bildbereich eine große Vielfalt an Farben, Formen und Wirkungen, die sich im Werk im Rahmen von 21 Grundeinstellungen entfalten. Assoziationen an einen lebendigen Garten Eden können so entstehen. Zum Tanz Es ist verständlich, daß sich in das Gesamtkonzept kein vorfindlicher Tanzstil, etwa Jazzdance, Ballett usw. einfügen ließ. Vielmehr mußten die Bewegungsformen der Figur der Eva aus dem Sujet des Mythos entfaltet werden. Dabei standen vor allem

Pate der Yogatanz Indiens und das No-Theater Japans. Das aber nun nicht im eklektischen Sinne, sondern vielmehr - entsprechend den anderen Ebenen des Werkes im Sinne der Geistigkeit jener Kunst- (und Lebens-) formen. Zusammen mit den entsprechenden europäischen Bedingungen und Einflüssen ließ sich auf dieser Grundlage ein Pendant dazu erschaffen, das vor allem durch gelegentlich beinahe zeitlos anmutende Langsamkeit und Ruhe der Entfaltung des Inhalts dient. Zum Schauspiel Die Figur des Adam wurde aus dem Sprachtypus des Schauspiels entfaltet. Insbesondere das japanische No-Theater war hier eine der Inspirationsquellen. Die Form der Rede Adams entspricht sowohl dieser Figur als auch den intermedialen Gesetzen insgesamt vor allem dadurch, daß der Text frei von syntaktischer Konvention ist. Er gibt damit freier, aber nicht beliebiger Assoziation Raum und fördert so zusammen mit dem Bewegungsverlauf im Schauspiel, zeitlos Archetypisches und damit die Entfaltung des Inhalts. Zur äußeren Rahmenhandlung Auch in der äußeren Rahmenhandlung erscheint das Sujet als interpretiertes wieder. Das betrifft insbesondere den interaktionellen Prozess zwischen Adam und Eva. Adam ist ein Mensch, der wie Eva vor dem Paradies auf dem Felde schmachtend nach Erlösung sucht. Im Gegensatz zu ihr, die den Weg ins Paradies mit allem körperlichen, geistigen und seelischen Einsatz sucht, bleibt Adam zunächst „im Kopf“. In völliger Isolation von Eva kommentiert er die Geschichte der Rückkehr. Erst nachdem Eva eine starke innere Entwicklung durchgemacht hat und auf Grund ihrer neugefundenen Freiheit auf Adam zugehen kann, ist es ihm möglich, aus seinem vergleichsweise unbewegten, fast starren Dasein für Augenblicke herauszutreten und Eva direkt - wenngleich noch verdreht - anzusprechen („mmin nov rim ned Lefpa“...). Danach ist Adam bereit, eine ähnliche Entwicklung zu vollziehen wie Eva. Das allerdings wirft ihn zunächst wieder ganz auf sich selbst zurück, und er ist wiederum erzählender Kommentator, wenngleich - und das macht den entscheidenden Unterschied - mit neuer Perspektive. Martin-Aike Almstedt

Den Bodenstein Sieht man sich bewegen Dort im Quellwasser Soseki

Zur Entstehung des Intermedialwerkes „Die Urschöpfung“ 1975 begann ich Naturgeräusche und -klänge in meine Musik einzubeziehen, zum Beispiel Tierstimmen, das Rauschen des Wassers oder der Bäume, Schlammgeräusche usw., aber auch Geräusche und Klänge, die normalerweise unhörbar sind, wie zum Beispiel die Wachstumsgeräusche des Baumes (denen ich mit dem Stethoskop auf die Spur kam), der Herzschlag, Blutfließgeräusche usw. Über Jahre hinweg nahm ich diese Geräusche und Klänge mit dem Tonbandgerät auf. Es entstand eine Sammlung von einigen Hundert kleinen Tonbändern mit Naturgeräuschen und Naturklängen. Da derartige Geräusche und Klänge denen von Kulturinstrumenten nicht integrierbar sind, wurde es nötig, Instrumente zu entwickeln und zu bauen, bzw. bauen zu lassen, deren Klänge eine vermittelnde Funktion haben, das heißt, die die klangliche Lücke zum Beispiel zwischen einem Tierknochen und einer Renaissance-Laute schließen können. Es entstanden zwölf Spezialinstrumente, die zum Teil sehr ursprünglicher Natur sind und mindestens bis in die Zeit des Neandertalers zurückdatiert werden können. Zum anderen Teil sind diese Instrumente Wiederentdeckungen aus geschichtlicher Zeit, zum Beispiel das Polychord, die Streichbalalaika, Urformen von Rohrblattinstrumenten usw. Eine weitere musikalische Materialebene ergab sich mit den Klängen noch heute bekannter Kulturinstrumente, zum Beispiel denen des Clavichords, der RenaissanceLaute, des Portativs, der Tampura usw. nebst den Klängen und Geräuschen diverser Percussionsinstrumente, insbesondere chinesischer Flachgongs und japanischer Großtrommeln. Die Werke, die auf dieser Materialgrundlage entstanden, bestehen immer aus einem Mehrkanal-Tonbandpart (heutzutage einer Mini-CD), der oftmals von einem Musiker eigens eingespielt werden muß, und einem live-part. Das Hauptwerk, das in den siebziger Jahren aus dieser Konzeption hervorging, ist „Frühleben“, das ich dem Andenken der Urmenschen widmete. Bereits dieses Werk wurde für live-Ensemble, Tonbandpart und Tanz geschrieben, wobei ich den Tanz als eine Art „Urtanz“ konzipierte. Über viele Jahre wandte ich mich im folgenden anderen Konzeptionen und Projekten zu: Es entstanden Werke für fast alle Gattungen bis hin zum abendfüllenden Orchesterstück. Jedoch ließ mich die Idee der „Naturmusik“ nie los und gewann über Jahre eine immer deutlicher werdende Gestalt. Auch die Idee des „Urtanzes“ reifte im Stillen weiter. Dadurch ergab sich unter anderem, daß ich zunehmend Ähnlichkeiten zwischen ihm und dem afrikanischen Tanz, dem Yogatanz, den Bewegungsabläufen im japanischen No-Theater und in den Bewegungen von Kindern entdeckte. Diese Entdeckung entwickelte sich im Folgenden zu einer starken Inspirationsquelle für meine Tanzvorstellungen. Nicht zuletzt durch meine Beschäftigung mit dem Yoga wurde mir nach und nach auch das Prinzip derartiger Tanz- und Bewegungsformen klar. Es besteht, kurz gesagt, in der ganzheitlichen, also unzerstückt fließenden Bewegung, in der Balance, Gewicht und Mitte konstituierend sind. Aber auch ein ganz anderer Zweig meiner künstlerischen Tätigkeit begann sich wieder stärker in den Vordergrund zu drängen: Meine auf dem japanischen Ki-Prinzip fußende abstrakte Naturmalerei, in der ich mir mehr und mehr auch die großen Formate zuzutrauen begann.

Als der Sündenfallmythos mich unter der Perspektive der Befreiung vom Ersatzleben unserer Zeit zu interessieren begann, entstand der Wunsch, diese Thematik in einem Intermedialwerk zu entfalten. Nachdem mir das Konzept des Textes im Werk nach Form und Inhalt klar geworden war, waren die Voraussetzungen für die Komposition des Ganzen erfüllt. Unter Rückgriff auf meine weiteren Konzepte der Naturmusik, des Urtanzes und der abstrakten Naturmalerei entstand dann das Intermedialwerk „Die Urschöpfung“. Es zeigte sich, daß der Aufführung dieses Werkes gewaltige Schwierigkeiten entgegenstanden. Auf künstlerischer Ebene lag das größte Problem im Tanz. Obwohl ich eine klare Vision des Tanzes der Eva hatte und einen überzeugenden Entwurf vorlegen konnte, war es über Jahre nicht möglich, eine Tänzerin zu finden, die bereit und fähig war, mit mir zusammen auf der Grundlage von Balance, Gewicht und Mitte, die Figur der Eva tänzerisch zu kreieren. Ein glücklicher Umstand ermöglichte die Begegnung mit der Tänzerin Sonja Seng. Sie zeigte sich sofort meinen Vorstellungen gegenüber aufgeschlossen und brachte auch von ihrer Ausbildung her die nötigen Voraussetzungen für eine gemeinsame kreative Arbeit mit, die sich dann im intendierten Sinne auf das Beste entwickelte. Eine andere große Schwierigkeit bestand in der Finanzierung der Ausstattung des Werkes. Dieses Problem konnte glücklicherweise aufgrund der Einladung von Kantor Arwed Henking und Pastor Tiedemann (Jacobikriche Göttingen) durch die finanzielle Unterstützung seitens der Hanns-Lilje-Stiftung, des Landesmusikrates Niedersachsen, vor allem aber durch Frau Ulla S. Fleck (USA) gelöst werden. Von vornherein höchst erfreulich gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Harmut Büscher (Schauspiel) und Felix Büscher (Klangregelung). Ganz besonders gilt das auch für die Zusammenarbeit mit Nori Faber, die nicht nur die künstlerische Lichtgestaltung übernahm, sondern auch in den Bereichen Management, Öffentlichkeitsarbeit und technische Assistenz unermüdlich tätig war. Auch die Zusammenarbeit mit Markus Jacob (Lichttechnik) und Manfred Apel (Bühnentechnik) erwies sich als äußerst produktiv. Allen Genannten und auch den vielen anderen, die am Gelingen der Aufführung des Intermedialwerks teilhatten, sei an dieser Stelle noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön gesagt. Martin-Aike Almstedt

Zum Tanz Der Tanz im Intermedialwerk „Die Urschöpfung“ entwickelte sich auf der Grundlage bestimmter Körperempfindungen, die vor allem durch diverse Atemtechniken des Yoga hervorgearbeitet wurden. Es handelt sich um Balance, Gewicht und Körpermitte. Solange diese Empfindungen im Tanz eine Rolle spielen, ist die Bewegung fließend, harmonisch und ganzheitlich. In der tänzerischen Darstellung der Eva bleibt es jedoch nicht dabei. Immer wieder insbesondere in der Anfangssequenz - kommt es zu einer Infragestellung dieser Bewegungsform. Prozesse des Zerbrechens der Bewegung bis in kleinste Einzelelemente hinein sowie Bilder erstarrter Fragmentation entwickeln sich aus dem harmonischen Tanzgeschehen. Dabei reißt jedoch niemals der Kontakt zu den Grundempfindungen der Balance, des Gewichts und der Körpermitte vollständig ab. Insgesamt kann gesagt werden, daß sich der Tanz in der Dimension „ganz / zerbrochen“ hin und her bewegt, wobei erstere einen deutlichen Schwerpunkt bildet. Auch auf tieferer Ebene erweist sich der Tanz so als in das Kunstganze integriert. Die Quelle nämlich, aus der Balance, Gewicht und Körpermitte entstehen, ist zu-

gleich auch die der anderen Werkebenen: vertiefte, gelegentlich sogar reine Wahrnehmung. Das ist der grundlegende „Verflechtungsort“ des musikalischen, bildnerischen, tänzerischen und schauspielerischen Geschehens (und letztlich wohl auch die Basis für die Kommunikation mit dem Publikum). Sonja Seng

Gedanken zur Kunstrezeption Kunst ist Sprache. Die Musik ist eine Sprache in musikalischen Gestalten, die sich in einer bestimmten vorgegebenen Abfolge präsentieren. Die Malerei ist eine Sprache in Bildgestalten, deren Präsentationsmodus dem Rezepienten freigestellt ist. Dem entsprechend verhält es sich mit den anderen Künsten. Kunst ist Sprache insofern als sie wie Umgangssprache und andere Wortsprachen gedacht, gefühlt und empfunden wird und darüberhinaus kommunikationsfähig ist. Diese Auffassung gilt, solange Denken das Herstellen von Identität ist, also das Herstellen von Einunddemselben in Verschiedenem. Denken in dieser von seiten heutiger Logik gegebenen allgemeinen Definition ist also wie in den Wortsprachen wesentlich auch in der Kunst. Aber auch zwischen den Denkformen in der Kunst und denen der Wortsprachen gibt es Ähnlichkeiten. Auf den ersten Blick mögen zwar Welten zum Beispiel zwischen einer musikalischen Schlußformel und einem Syllogismus liegen, schaut man jedoch genauer hin, so drängt sich die Hypothese auf, daß die Logik der Kunst keineswegs etwas grundsätzlich anderes ist als die der Wortsprachen. Noch deutlicher aber erscheinen Ähnlichkeiten zwischen den Denkmethoden in Kunst- und Wortsprachen. Die Kunst nämlich weist in der Regel deutlich die auch in Wortsprachen vorkommende Denkmethode der Dialektik auf. Bevor nach weiteren Erscheinungen des Denkens in der Kunst und in den Wortsprachen gefragt werden kann, erscheint es nötig, zunächst die Frage nach den Inhalten des kunstimmanenten Denkens zu stellen. Die Form der Kunst aus Einunddemselben in Verschiedenem, oder anders gesagt, ihr dialektisches Identitäts-Diversitätsgeflecht, ist es offensichtlich, an welcher bzw. welchem Aussage sich kristallisiert. Was ist nun diese Aussage, dieser Inhalt, dieses Was der Kunst? Das kunstspezifische Nach-Denken der Form ist verbunden mit Empfindungen, etwa körperlichen Spannungsprozessen, und den damit verbundenen Gefühlen. Das ist der Inhalt. Die Möglichkeiten diesbezüglich sind Legion, je nachdem in welchen Auflösungs-, Verdichtungs-, Mutations- usw. prozessen Einunddasselbe - ein Motiv zum Beispiel oder eine Superformel wie bei Stockhausen usw. sich befindet. Warum kommt es im kunstspezifischen Nach-Denken zu derartigen empfindungsund gefühlsmäßigen Erscheinungen? Meines Erachtens, weil Kunst in der Spezifität ihrer Identitäts- bzw. Diversitätsverläufe tägliche Empirie in sich trägt. So bringen zum Beispiel die Werke des mittleren Reger Konvulsivisches, Kampf usw. im Rezipienten hervor, hingegen die von Mozart, Francesco Malipiero, Olivier Messiaen usw. eher Befreiung von Derartigem. Es wird deutlich: Kunst ist Sprache, in der in spezifischer und unersetzbarer Weise Wirklichkeitserfassung bzw. Wirklichkeitsschöpfung geschieht. Gehen wir dem noch weiter nach. Mit der Frage nach den Inhalten stoßen wir auf weitere Merkmale des Denkens, die sowohl für Kunst- wie für Wortsprachen verbindlich sind. Es handelt sich um die Dimension „konkret/abstrakt“. Hochabstraktes musikalisches Denken zum Beispiel findet sich in Werken Anton Weberns. Das Gegenteil also stark konkretes musikalisches Denken ist zum Beispiel in „Pacific 231“ von Arthur Honegger gegeben. Ist bei Webern wenig Alltagserfahrung erlebbar, so bei Honegger ganz plastisch des Anfahren eines Zuges. Gelegentlich werden diese Extreme sogar noch übersteigert, was dann allerdings in der Regel zu einem Verlassen des Kunstrahmens und damit zu der einen oder anderen Art von Kitsch führt. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel eine musikfremde Computermatrix, die des Zufalls etwa,

Generator musikalischer oder bildnerischer Gestalt war oder umgekehrt ein Stück nur aus unbearbeiteten oder uninterpretierten Umweltklängen besteht. Wir haben nach dem Denken in der Kunst und in den Wortsprachen gefragt und dabei festgestellt, daß es in jeweils spezifischer Weise logisch, dialektisch, abstrakt bzw. konkret ist, je nach Gegebenheit des Identitäts-Diversitätsgeflechtes eines Werkes bzw. eines Textes. Ich will noch eine weitere in unserem Zusammenhang wichtige Eigenschaft des Denkens nennen: Es ist das das einfache bzw. komplexe Denken, das im Zusammenhang mit den Wortsprachen bekannt ist und in spezifischer Weise auch gegenüber entsprechend gestalteten Identitäts-Diversitätsverläufen der künstlerischen Form nötig wird. So ist zum Beispiel gegenüber den Gnossiennes von Eric Satie eher einfaches musikalisches Denken gefordert, hingegen ist das Orchesterwerk „The fourth of July“ von Charles Ives ohne komplexes Denken nicht verstehbar. Das Identitäts-Diversitätsgeflecht der Kunst fordert immer mehrere Denkeigenschaften zugleich, zum Beispiel kunstspezifisch logisches, dialektisches, abstraktes und komplexes Denken usw. Es wird ahnbar, welch’ hohes Maß an kunstspezifischer Denk- und damit Empfindungs- und Gefühlsleistung angemessene Rezeption der Kunst verlangt (und auch welche kulturelle Katastrophe hinter dem zutreffenden Satz: „Früher rasierte man sich, wenn man Beethoven hören wollte, heute hört man Beethoven beim Rasieren.“ steht). Und es wird ahnbar, daß angemessene Rezeption um so schwieriger stattfinden kann, je komplexer, vor allem aber je unbekannter, weil neuer, ein künstlerisches Identitäts-Diversitätsgeflecht ist. Ganz besonders auffallend aber dürfte es sein, wenn verschiedene Künste, wie das in einem Intermedialwerk der Fall ist, zusammen kommen und gleichzeitig medienspezifisches Denken in den verschiedenen Formen, bzw. ein Hin- und Herspringen zwischen medienspezifischen Denkweisen fordern. Was Kunst jedoch auch immer vom Rezipienten an kunstspezifischer Denk-, Empfindungs- und Gefühlsleistung verlangen mag, sie erschließt sich nur in eben diesem Denken und jedenfalls nicht im Wortdenken über Kunst. Die Fähigkeit, Einunddasselbe in Verschiedenem empfindend und fühlend nachzudenken, Form und damit Inhalt also angemessen zu rezipieren, entwickelt sich in purem Hören und Sehen, das wieder und wieder in völliger Abwesenheit vom Wortdenken stattfindet. Wortsprachen können bestenfalls eine Brücke zur angemessenen Rezeption bauen. Letztlich ist solcher Brückenbau auch die Absicht dieser Ausführungen. Indem sie die Kunst als autonome Sprache, in der spezifisch Wirkliches sich zuträgt, verstehbarer machen und zeigen, daß Rezeption im kunstspezifischen Denken der Form ansetzen muß, helfen sie dem Rezipienten, diesbezüglich von Wortsprachen abzusehen, sich dem puren Hören und Sehen aufzuschließen und dem Kunsterleben hinzugeben. Dann besteht in der Begegnung auch und gerade mit der Kunst der Gegenwart die Möglichkeit, Un-Erhörtes und Un-Ersehenes zu erfahren, ja, zu sein. Martin-Aike Almstedt

Biographische Notizen Martin-Aike Almstedt

• Komponist, Multiinstrumentalist, Intermedialkünstler, KiYo-Lehrer • Studium: Komposition (Hannover), Musikwissenschaft und Philosophie (Göttingen) • Weitere Studien u.a. bei Kh. Stockhausen u.G. Ligeti (Komposition) A. u. A. Kontarsky (Klavier) H. Jendis u. L. Doormann (Orgel) W. Gerwig (Laute) E. Karkoschka (Notationskunde) Chr. Caskel (Percussion) • Seit 1970 intensiver Kontakt zur philippinischen, japanischen, indischen und koreanischen Kultur. Studium: Yoga und energetische Körperarbeit Beschäftigung mit Zen-Malerei.

• Entwicklung einer eigenen musikalischen Sprache, die ihre Wurzeln sowohl in Eu• • •

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ropa als auch in Asien hat und strukturell auf der Grundlage des harmonikalen Prinzips steht. Entwicklung einer eigenen Bildsprache auf der Grundlage der Zen-Malerei Entwicklung des energetischen Yoga, KiYo Konzerte in Europa, den USA, Japan und Israel Solokonzerte insbesondere mit Kompositionen für Flügel, Orgel, Gongs, Trommeln sowie Polychord, Clavichord,10-saitige Gitarre und Renaissance-Laute. Seit 1994 Einzelausstellungen (Bilder, intermediale Szenarien) in Bonn, Minden, Museum Schloß Burgk a.d. Saale, Göttingen, Hann. Münden Veröffentlichung von Partituren (bis 1996 neunzig Werke aller Gattungen), Büchern, LP’s, CD’s, MC’s (zu beziehen über Kulturmanagement Nori Faber, Uhleneike 21, 34346 Hann. Münden) Internationale Preise und Stipendien Lehrtätigkeit als Dozent bzw. Gastdozent und Seminarleiter für Klavier, Orgel, Gitarre und Tonsatz an verschiedenen Hochschulen sowie für KiYo und Philosophie u. a. an der VHS Göttingen Vertreter der Gesellschaft für Neue Musik im Landesmusikrat Niedersachsen Mitglied im VDMK

Sonja Seng studierte 3 Jahre an Anna Halprins Tamalpa Dance Institute in San Francisco, USA, an dem sie später auch als Gastdozentin tätig war. Sie tanzte nach ihrer Ausbildung mehrere Jahre mit dem Internationalen Tanzensemble Rags-e Hilal ( künstl. Leitung Helene Eriksen) und später im MAMU Dance Theater (künstl. Leitung Tadashi Endo). „In meiner tänzerischen Arbeit basiert die Formgebung auf dem inneren Erleben in der Auseinandersetzung mit der äußeren Umgebung, wie zum Beispiel anderen künstlerischen Medien.“ Eigene Arbeiten: u.a. „She Trilogy“, San Francisco, USA, 1994 „Pressing the Surface“, NOH Space Theater, S.F., USA, 1995 Co-Produktionen: u.a. „prayers for the millennium“ mit Russel Walder (CA) Multimediakünstler und Musiker und Christoph Schütz (D) Tänzer, S. F., USA, 1995 „Performance-Installationsprojekt“ im Rahmen der World Conference of Transpersonal Psychology mit Caroline of Cabal (NZ) Bühnen- und Kostümbildnerin und Christoph Schütz Santa Clara, USA, 1995 Performance Projekt „Bild-Bau-Stelle“ zum Festival Theater der Welt mit Caroline of Cabal und Christoph Schütz, Dresden, 1996 Ausdrücklicher Dank gilt der Tanzpionierin Anna Halprin, die mich mit ihrer Lebensphilosophie und dem Konzept des „LIFE-ART-PROCESS“ maßgeblich beeinflußt und unterstützt hat.

Nori Faber • Tätigkeit als Galeristin in Fulda und Göttingen • Zusammenarbeit mit Wolf-Dietmar Traeger im Bereich Lesung und Neue Musik • Langjährige Mitarbeiterin von Martin-Aike Almstedt als Lichtgestalterin (Intermedialwerke), Registrantin (Orgelkonzerte), Einführungssprecherin bei Vernissagen sowie als technische Mitarbeiterin und Organisatorin.

Hartmut Büscher • • • •

Studium der Klassischen Philologie, Pädagogik und Geschichte Lehrer an der Integrierten Gesamtschule (IGS) in Göttingen Mitglied verschiedener Chöre, Auftritte als Sprecher Mehrjährige Zusammenarbeit mit Martin-Aike Almstedt sowohl im editorischen Bereich (Partiturdruck und CD-Herstellung auf Computerbasis) als auch im Bereich der Erschließung und Entwicklung rationeller Kompositionsabläufe unter Anwendung moderner Computertechniken.

Herausgeberin, Entwurf und Herstellung:

Kulturmanagement Nori Faber, Hann. Münden

Alle Rechte an den Texten liegen bei M.-A. Almstedt, die der Ausstattung bei Nori Faber.

Martin-Aike Almstedt

Die Urschöpfung Intermedialwerk in 21 Szenen