Der Naturforscher Eduard ENSLIN ( )

Der Naturforscher Eduard ENSLIN (1879-1970) Manfred KRAUS und Stephan M. BLANK Zusammenfassung Leben und Werk des Naturforschers und Augenarztes Dr....
Author: Monica Otto
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Der Naturforscher Eduard ENSLIN (1879-1970) Manfred KRAUS und Stephan M. BLANK

Zusammenfassung

Leben und Werk des Naturforschers und Augenarztes Dr. Eduard ENSLIN, der vor allem aufgrund seiner Forschungen über die Hymenopteren bekannt ist, wird dargestellt. Ein Teil seiner entomologischen Sammlung, die zahlreiche Typen neu beschriebener Taxa enthält, befindet sich in der Zoologischen Staatssammlung München, kleinere Teile werden beim Erstautor aufbewahrt. In einer Bibliographie werden 133 Publikationen von ENSLIN zusammengefaßt, die einen Zugang zu seinen bedeutenden naturwissenschaftlichen Ergebnissen ermöglicht. Publikationen, die Originalbeschreibungen neuer Taxa enthalten, wurden soweit möglich exakt datiert. Abstract

A biography and an outline of the scientific work of Dr. Eduard ENSLIN, late ophthalmist and scientist in natural history, is presented. He is well-known for his research in Hymenoptera. The greater part of his entomological collections, which contain numerous types of taxa described as new, is housed at the Zoologische Staatssammlung Munich. Some minor parts are in the hands of M. KRAUS (Nürnberg). A bibliography of his 133 publications allows easy access to his important scientific contributions. Publications containing original descriptions of new taxa are dated as exactly as possible.

Eduard ENSLINS Leben und Werk werden hier annähernd 30 Jahre nach seinem Tode nachgezeichnet. Da ENSLIN die letzten zehn Jahre sehr zurückgezogen lebte, und viele seiner entomologischen Freunde bereits selbst verstorben waren, ist dies bislang nicht geschehen. Mit Ausnahme eines kurzen Beitrages von H. BISCHOFF (Mitt. Dt. Ent. Ges. 18[5]: 70-71, 1959) zum 80. Geburtstag von ENSLIN wurde bislang keine zusammenfassende Würdigung veröffentlicht. Deshalb soll hier eine möglichst detaillierte Darstellung erfolgen, so gut dies aus eigener Erinnerung und durch hilfreiche Unterstützung letzter Zeitzeugen möglich ist (zusammengestellt von M. KRAUS). Ebenso mangelte es bisher an einer Bibliographie seiner Arbeiten, die am Ende aufgelistet sind (zusammengestellt von M. KRAUS und S. M. BLANK).

Biographie Als Sohn des Kaufmanns Georg Heinrich ENSLIN (*6.6.1851; in der Schülerliste von 1891/92 und später ist der Beruf des Vaters mit „Bureauchef ' angegeben) und seiner Frau Luise Margarete Magdalena (*5.9.1851, geb. STICH) wurde Eduard ENSLIN am 4.10.1879 in Nürnberg geboren. Sein Vater war Sohn des Kaufmanns Heinrich ENSLIN und dessen Frau Johanna Eva Friedericke (geb. RITTER), seine Mutter war die Tochter des Buchdruckereibesitzers Johann Lorenz STICH und dessen Frau Anna Luise Franziska (geb. MÜLLER). Eduard ENSLIN wuchs in der Oberen Feldgasse 5 (heute Feldgasse) auf. Er besuchte von 1888 bis 1897 das Alte Humanistische Gymnasium in Nürnberg und studierte von 1897 bis 1902 in Erlangen, Greifswald und München Medizin. 1902 bestand er das Rigorosum „summa cum laude" und erhielt in Erlangen die Approbation. In Erlangen war er Mitglied der Burschenschaft „Bubenruthia", an deren Stiftungsfesten er noch im hohen Alter teilnahm. Die Weiterbildung zum Augenarzt erfolgte an Kliniken in Erlangen, München und Stuttgart. 1906 eröffnete er eine Augenklinik in Fürth, Friedrichstraße 7, die er erst 1950 in jüngere Hände legte. Am 27.2.1913 hat sich der „Spezialarzt" Dr. ENSLIN (Eintrag im Stadtarchiv Nürnberg) in Fürth niedergelassen und dort das Bürgen'echt erhalten. Bereits am 22.12.1924 wurde er zum Sanitätsrat ernannt.

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Seine Liebe zur Natur wurde bereits von seinem Elternhaus begründet und von dort gefördert (BISCHOFF 1959). Schon als Schüler war er Mitglied der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg (NHG) und Gründungsmitglied der Naturwissenschaftlichen Vereinigung Fürth i. B., die sich später zugute hielten, einen so renommierten Entomologen als Ehrenmitglied zu besitzen. Der Deutschen Entomologischen Gesellschaft gehörte er seit 1908 an, die ihn 1929 zum Ehrenmitglied ernannte. Die bedeutendste Würdigung widerfuhr ENSLIN jedoch in Form der Verleihung der Ehrendoktorwürde der naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen am 4.11.1943, dem 200. Geburtstag der Universität: „Dem Augenarzt Sanitätsrat Dr. med. Eduard ENSLIN in Fürth in Bayern, dem hervorragenden Kenner der Blattwespen und solitären Bienen, der als verdienstvoller Zoologe die fränkische Heimat sorgfältig durchforscht hat - Ehrenhalber - Grad und Würde eines Doktors der Naturwissenschaften" (Ehrenpromotionsakten, Universitätsbibliothek Erlangen). Die Gutachten für die Ernennung zum Dr. phil. nat. h. c. verfaßten Prof. Dr. STAMMER (Erlangen) als Antragsteller, Prof. Dr. BUCHNER (Leipzig), Prof. Dr. BISCHOFF und Dr. HEDICKE (Berlin). Die beiden letztgenannten kannten ENSLIN schon über 20 Jahre persönlich und waren mit ihm gemeinsam im Fränkischen Jura, im Maintal und in Ungarn auf Exkursion gegangen. Beide verwiesen nicht nur auf seine bahnbrechenden Arbeiten über Sy mphyten, die über Jahrzehnte richtungsweisend wurden, sondern hoben auch seine außergewöhnliche Vielseitigkeit auf dem Gebiet der Biologie hervor. Beide bedauerten, daß er seine Forschertätigkeit aus beruflichen Gründen nicht mehr so intensiv fortgesetzt hat. HEDICKE beschreibt „Bewunderung und Erstaunen [...] über seine geologischen, paläontologischen, floristischen und zoologischen Kenntnisse" und erwähnt noch eine weitere Facette: „Es gibt für ENSLIN keine größere Freude, als Jungen die Augen für die unermeßliche Vielfalt der fränkischen Natur zu öffnen". An der Übergabe der Promotionsurkunde nahm ENSLIN jedoch nicht teil. In seinem Brief (1.11.1943) an die Naturwissenschaftliche Fakultät schreibt er, daß „meine bescheidenen Veröffentlichungen eigentlich einer so hohen Auszeichnung nicht würdig sind." Zur Feier könne er leider nicht kommen, „weil ich zu den schüchternen Personen gehöre, denen eine Ehrung ihrer Person peinlich ist, so daß ich schon aus diesem Grunde ganz froh bin, daß die äußeren Umstände es nicht gestatten, Fürth zu verlassen." Als Grund gibt er dann an, für jenen Tag keinen Praxisvertreter zu bekommen. ENSLIN besaß den Blick für das Wesentliche und ein sicheres taxonomisches Gespür. Diese Gabe und sein phänomenales Wissen machten ihn auch zu einem geschätzten Exkursionsleiter. Regelmäßig lud er Entomologen aus Erlangen, Fürth, Nürnberg und gelegentlich auch weiter gereiste Gäste zu einem Kolloquium zu sich nach Hause ein, um anhand seiner Sammlung und Bibliothek aktuelle Themen der Entomologie zu besprechen. In einem Brief an LINSENMAIER (22.01.1949) schrieb er: „Vorigen Sonntag war bei mir entomologisches Colloquium, zu dem ich alle Monate einmal einige Herren einlade, wobei wir meist tiergeographische Fragen besprechen. Es sind dies immer sehr anregende Stunden, finden jedoch nur im Winter statt, im Februar wird es das letzte Mal sein." Gelegentlich umfaßte der Kreis zehn Personen (Brief an W. FORSTER, 27.01.1947). In seinen regelmäßigen Vorträgen berichtete er den Further Bürgern spannend über seine Reisen, den „Urvogel Archaeopteryx", „RÖSEL VON ROSENHOF, der Altmeister der deutschen Entomologen", „Die Verwandlung des Kohlweißlings (Pierris brassicae L.)" und „Unsere Wasserwanzen (Rhynchota)". Noch 1957 im Alter von 78 Jahren trug er „Über unsere Heuschrecken" vor. Dann beklagte er sich jedoch in einem Brief an LINSENMAIER (9.9.1957), daß er, früher ein leidlich guter Redner, sich nun Notizen machen müßte und daß das Gedächtnis nachließe. Zu solchen öffentlichen Auftritten kam eine umfangreiche Gutachtertätigkeit vor allem über schädliche Insekten für Institute im In- und Ausland hinzu.

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Wie auch andere, damals junge Entomologen, habe ich ENSLIN als einen körperlich eher zarten, geistig jedoch überragenden Mann in Erinnerung, der immer in sehr vornehmer, dabei jedoch äußerst liebenswürdiger Zurückhaltung auftrat. Allein schon dadurch machte er auf wißbegierige junge Entomologen - und nicht nur auf diese - großen Eindruck. Sprichwörtlich waren seine Pünktlichkeit und sein präziser Tagesfahrplan. Beide machten es erst möglich, daß er neben seinem vollen Engagement als Augenarzt so erfolgreich wissenschaftlich tätig sein konnte. Ich erinnere mich noch der ersten Vorstellung zusammen mit meinem Studienkollegen Herbert LORENZ beim „Herrn Sanitätsrat". Da seine Pünktlichkeit bekannt war, trafen wir schon einige Zeit vor dem festgesetzten Termin (14.00 Uhr) in der Friedrichstraße ein. Um nicht zu spät zu kommen, klingelten wir fünf Minuten vorher an der Wohnungstüre, die von seiner Haushälterin Frau Marie WERNER geöffnet wurde. Hinter ihr erschien bereits ENSLIN, um nach der Vorstellung mit einem Blick auf seine Uhr zu bemerken, daß wir fünf Minuten zu früh da wären. In Erinnerung ist mir auch noch die große Glasplatte auf dem Schreibtisch, unter der der Tagesfahrplan festgehalten war. Und natürlich auch der Graupapagei Jako. Gewaltigen Eindruck machte auf uns damals seine große Fachbibliothek mit kostbaren alten Werken, z. B. RÖSEL VON ROSENHOF und die große Sonderdrucksammlung. Für eine Würdigung dieser genialen, bescheidenen und hilfsbereiten Persönlichkeit ist der 210 Briefe und viele Postkarten umfassende Briefwechsel (1948-1964) mit Walter LINSENMAIER von unschätzbarem Wert. LINSENMAIER beschreibt die Persönlichkeit von ENSLIN so treffend, daß sein Brief (6.1.1998) hier wörtlich zitiert werden soll: „Dr. ENSLIN hat wenig von sich gesprochen oder gar geschrieben und bemühte sich dementsprechend in seinen Briefen viel mehr um meine Anliegen. Wie ich sehe, würde aus ihnen viel mehr eine zwischenzeitliche Biographie von mir und meiner Familie, als eine solche von ihm resultieren. Im Juni 1948 suchte ich im Wallis einen , selbst gefundenen' (der Dr. ENSLIN freilich seit Jahrzehnten bekannt war), hervon-agenden, heute übrigens zerstörten Hymenopterenbiotop auf, und versuchte mich wieder zu verdrücken, als schon einer da war, ein kleiner älterer Mann mit weißer Bäckermütze. Der aber hatte mich zu meinem Leidwesen schon bemerkt, kam mir nach und stellte sich als Dr. ENSLIN aus Fürth vor. Als er meinen Namen hörte, zeigte er sich hoch erfreut, als er ein Bewunderer mein Illustrationen war. Wir wurden sozusagen vom Platz weg Freunde und waren noch manche Jahre regelmäßig zusammen im Wallis, wo zuweilen, wenn wir weiter auseinander standen, sein bayerischer Jodel von den Hängen hallte. Residiert wurde stets im Hotel Terminus in Sierre. Wie in allem war Dr. ENSLIN auch im Insektensammeln höchst bescheiden, dessen Resultate jeweils abends gespießt, vorgezeigt und kommentiert wurden, ein paar wenige Stücke nur und keine Blattwespen, die er auch am liebsten nicht mehr zur Determination bekommen wollte. Dr. ENSLIN scherzte gerne und geblieben ist mir der Scherz vom Patienten, welcher nach einer Operation auf ENSLINS Frage nach seiner Sehfähigkeit meinte, vorher den größten Ochsen nicht mehr gesehen zu haben. Alle Vorteile schienen mir ungerechterweise immer bei ihm zu liegen, seines universellen Wissens wegen, wogegen ich mir geradezu hilflos vorkam. Nicht nur, daß er mir damals schon am dritten Tag unserer Bekanntschaft seine Goldwespensammlung anerbot, schanzte er mir in den folgenden Jahren eine Menge Literatur zu, später sogar noch alle 6 Bände der Insektenbelustigungen von RÖSEL. Dr. ENSLIN war schon zu früh sehr darauf bedacht, bei nachlassenden geistigen Fähigkeiten rechtzeitig aufzuhören und zählte diverse unrühmliche Beispiele alternder Kollegen auf." Seine Warmherzigkeit und praktizierte Nächstenliebe geht auch daraus hervor, daß er ihm aus der Schweiz zugesandte Hilfssendungen anderen Menschen zukommen ließ. Zum Beispiel: „Die aus den Sendungen zusammengestellten Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke sind großenteils schon verteilt. Leider kann ich solche nicht nach der Ostzone schicken, von der wir mehr und mehr abgeschnürt werden [...]". Seine Bescheidenheit ging so weit, daß er zu einem

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von LINSENMAIER 1949 angekündigten Besuch bemerkt, er möge doch weder eine Zeichnung noch ein Bild der von ihm außerordentlich hoch geschätzten Kunst mitbringen, da er dafür keinen würdigen Platz hätte. „Vielmehr bitte ich um e i n Stück Toilettenseife der Marke ,Lux\ mit dem ich wieder jemand eine Freude machen kann." Eduard ENSLIN reiste für die Zeit der zwanziger bis vierziger Jahre erstaunlich viel und weit. Wie er selbst einmal an LINSENMAIER schrieb, arbeitete er in seiner Augenklinik sehr hart und brauchte dann einen Ausgleich. Neben mitteleuropäischen Exkursionszielen, die er teilweise über Jahrzehnte beibehielt, galt sein Interesse vor allem der Flora und Fauna mediterraner Länder, des pannonischen Raumes und des Balkans. Zu seinen Lieblingsorten zählte das Wallis, in das er seit 1924 regelmäßig fuhr. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er dort zwischen 1948 und 1957 regelmäßig anzutreffen. Nur 1949 erhielt er von den Amerikanern keine rechtzeitige Reisegenehmigung. Noch länger reicht seine Vorliebe für Südtirol und vor allem die Umgebung von Bozen zurück, die über Jahrzehnte von 1914 bis 1959 zu verfolgen ist. Von 1911 bis 1959 besuchte er fast jährlich Oberstdorf und sammelte dort fast ausschließlich in den Bergen. Die Dalmatische Küste hatte es ihm 1926 und 1955 angetan, Istrien besuchte er 1927. Zwei der wissenschaftlich erfolgreichsten Exkursionen führten ihn 1927 und 1934 nach Palästina und Ägypten. 1929 bereist er sogar Indien. Die Westtürkei besuchte er 1933 und 1939. In Griechenland war er mit Ausnahme von 1937 zwischen 1933 und 1939 jährlich. Bereits 1928 war er in Korfu, das er zusammen mit Rhodos auch 1934 und 1935 aufsuchte. Obwohl er immer von Ungarn wegen des ungewöhnlichen Reichtums an Hymenopteren schwärmte und dieses Land relativ leicht erreichbar war, bereiste er es nur dreimal, 1922, 1923 und 1925. Auch Sizilien hatte es ihm angetan, das er zwischen 1928 und 1939 fünfmal und dann noch einmal 1954 im Alter von 75 Jahren besuchte. Nach seinen eigenen Worten führte die permanente Überanstrengung der Augen dazu, daß er im Alter auf einem Auge nur noch Schatten wahrnehmen konnte. Möglicherweise führte auch die jahrzehntelange Einwirkung der Naphthalindämpfe in seiner Sammlung zum Abbau seiner Sehkraft. In den letzten 20 Lebensjahren machte ihm zunehmend ein Herzfehler Beschwerden. Gegenüber seinem langjährigen Freund LINSENMAIER kündigte er am 27.12.1959 den schon lange gehegten Entschluß an, womöglich im Laufe des nächsten Jahres in ein Altersheim zu gehen: „Daß ich 1960 in die Schweiz komme, ist ganz unwahrscheinlich. Ich habe gegenwärtig gar keine Reiselust mehr, auch ein Zeichen fortschreitenden Alters, das die Initiative lähmt". Am 1.7.1960 übersiedelte er von der Friedrichstraße 7 in das Feierabendhaus Rummelsberg. Im Brief an LINSENMEIER (13.10.1962) kommt eine weitere Facette seines ungewöhnlich breiten Wissens zum Vorschein: „Hier (in Rummelsberg) haben die Leute allmählich herausgekriegt, daß ich Pilzexperte bin, und jeden Tag muß ich Ausbeuten durchsehen. Das Leben hier hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt." Am 16.12.1963 schreibt er: „Mein Organismus ist halt aufgebraucht und das Beste wäre, wenn ich von dieser Welt scheiden würde, die mir nichts mehr bieten kann. Meine Hauptfreude ist jetzt die Vogelwelt, die sich vor meinen Fenstern herumtreibt." Der letzte Brief an LINSENMAIER datiert vom 27.12.1964. In den folgenden Jahren besuchte K. GAUCKLER noch gelegentlich hat seinen alten Freund in Rummelsberg. Dort verstarb Eduard ENSLIN am 26.12.1970. Die Feuerbestattung fand am 30.12.1970 im Krematorium des Westfriedhofes in Nürnberg statt. Nach Ablauf einer zehnjährigen Ruhefrist wurde die Urne am 29.7.1981 im Sammelgrab des Westfriedhofes beigesetzt.

Wissenschaftliche Arbeiten Eduard ENSLIN war sicherlich einer der umfassendst gebildeten nebenberuflichen (!) Naturforscher seiner Zeit. Anhand der Publikationsliste läßt sich nachvollziehen, welche Forschungs-

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gebiete innerhalb bestimmter Zeitabschnitte im Vordergrund standen. Diese umfassen neben entomologischen Themen, für deren Bearbeitung ENSLIN heute wohl am bekanntesten sein dürfte, auch zahlreiche andere naturwissenschaftliche Fachgebiete. Zu Beginn befaßte sich ENSLIN intensiv mit der Höhlenfauna des Fränkischen Jura (1906), die auch geologische Studien notwendig machte. 1907 erschien eine „Geologie der Fränkischen Schweiz". In diesen Zeitraum fallen auch seine Untersuchungen über Strudelwürmer (Planarien). Dieses Thema griff er 1922 noch einmal auf. Mit umfassenden geologischen Kenntnissen ausgerüstet, beschrieb er treffend die Pflanzenwelt und das Tierleben der Frankenalb (1919). Hier waren bereits seine hervorragenden botanischen und faunistischen Kenntnisse sichtbar, die später von BISCHOFF und HEDICKE SO ausdrücklich erwähnt wurden. Ein Angebot des Deutschen Entomologischen Institutes, die Bibliothek des 1906 verstorbenen F. W. KONOW anzukaufen, gab den Ausschlag für ENSLIN, sich fortan den Pflanzenwespen zuzuwenden. Er erkannte offenbar sofort, daß die Systematik der Blattwespen trotz der vielen wertvollen Arbeiten von KONOW noch sehr im argen lag. Bereits 1909 veröffentlichte er seine ersten systematisch-taxonomischen Arbeiten über Blattwespen Europas (Dolerus PANZER) bzw. der Paläarktis (Loderus KONOW). 1910 folgten Revisionen der Gattungen Rhogogaster KONOW, Macrophya DAHLBOM und Allantus JURINE [= Tenthredo LlNNÉ], die eine wichtige Grundlage für die monographische Bearbeitung der Pflanzenwespen bildeten. Diese erschien als „Tenthredinoidea Mitteleuropas" zwischen 1912 und 1918. „Der Enslin" blieb über mehrere Jahrzehnte das Standardwerk für die Symphyten Europas. Er geht häufig über die geographischen Grenzen Mitteleuropas hinaus und berücksichtigt nordeuropäische ebenso wie mediterrane, kontinentale und pannonische Arten. Als teilweiser Vorläufer erschien 1914 „Die Blatt- und Holzwespen" in SCHRÖDERS „Die Insekten Mitteleuropas". Die Bearbeitungen einzelner Gattungen wurden 1920 mit Tenthredo LINNÉ und Rhadinoceraea KONOW fortgesetzt. Als ausgezeichnetem Experten wurden ihm viele Expeditionsausbeuten aus Zentralafrika, Kamerun, Ostafrika, Formosa, Java, Sibirien, Kamtschatka und dem Kaukasus zur Bearbeitung vorgelegt, die in entsprechenden Veröffentlichungen mündeten. ENSLIN züchtete erfolgreich zahlreiche Pflanzenwespen aus ihren Larven, von denen damals viele unbekannt waren. Bis 1921 erschienen neben dem Hauptwerk über 50 Arbeiten, die sich mit Systematik, Taxonomie, Faunistik und Biologie von Pflanzenwespen befassen, die entweder Vorarbeiten oder spätere Ergänzungen zu den „Tenthredinoidea Mitteleuropas" sind. Mit Beginn der zwanziger Jahre standen die aculeaten Hymenopteren im Vordergrund von ENSLINS Forschungen. Über Pflanzenwespen publizierte er ab dann nur noch vereinzelt. Im Beitrag „Über Bienen und Wespen aus Nordbayern" (1922) schrieb er, daß er „in den letzten Jahren neben dem Studium der Tenthrediniden auch den aculeaten Hymenopteren [dieser] Gegend etwas mehr Aufmerksamkeit zugewendet und dabei manche Funde gemacht hat, die allgemeines zoogeographisches Interesse haben dürften". Bereits 1919 war „Aus dem Leben der Goldwespen" erschienen, dem bis 1950 noch weitere Beiträge über Goldwespen folgten. Die intensive Auseinandersetzung mit dieser Hymenopterenfamilie war offenbar mitentscheidend, weshalb seine erste Begegnung mit LlNSENMAlER spontan zu einer tiefen und langjährigen Freundschaft führen sollte. ENSLIN war ein begnadeter Züchter, der sich zunehmend der Biologie, dem Nestbaus und den Parasiten der Aculeaten zuwandte. 1920 untersuchte er Osmia xanthomelaena KIRBY und veröffentlichte zwischen 1922 und 1933 zahlreiche interessante, akribisch erarbeitete Details über Bienen und Faltenwespen. Das Züchten blieb bis ins hohe Alter eine Leidenschaft. Besuchern, die im Spätwinter oder Frühjahr zu ihm kamen, führte er seine Zuchten vor, die er in der Glasveranda und zwischen den Doppelfenstern seiner Wohnung überwinterte, und demonstrierte die gerade geschlüpften Imagines. Wenn möglich, setzte er die

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geschlüpften Tiere einige Tage später am Herkunftsort der Stengel wieder aus. Seine letzte wissenschaftliche Veröffentlichung erschien 1952 über alpine Hummeln. Schon BISCHOFF bemerkte, daß man von ENSLINS Vielseitigkeit erst dann eine Vorstellung bekäme, wenn man ihn als beobachtenden Sammler selbst kennengelernt hat. Beim Lesen seiner kurzweiligen Exkursions- und Reiseberichte (1921, 1927, 1929) wird deutlich, welche phänomentale Artenkenntnis ENSLIN besaß. Sie erstreckten sich beileibe nicht nur auf Hymenopteren. Er kannte sich bestens bei Käfern und Wanzen aus und war auch bei Heuschrecken und Libellen sattelfest. Sein weites entomologisches Spektrum wird auch daraus ersichtlich, daß er über den Baumweißling (1907), Ginsterzikaden und deren Beziehung zu den Ameisen (1911), die Larve einer Höhlenfliege (1906), die Wanderheuschrecke (1918) und Schnarrheuschrecken (1921) geschrieben hat. Von jeher interessierten ihn weniger die rein faunistischen Daten als vielmehr tiergeographische Zusammenhänge und Fragen. Vor diesem Hintergrund sind auch seine nicht emotionsfreien Auseinandersetzungen mit W. SCHUSTER über die Herkunft der nacheiszeitlichen Fauna zu verstehen (1921). ENSLIN verfaßte auch eine Reihe allgemeiner Abhandlungen mit lokalem Inhalt. Humanistisch gebildet vollzieht er 1927 den „Ausflug auf den Moritzberg im 17. Jahrhundert" nach, den Moritz HOFFMANN, Professor für Anatomie und Botanik der Universität Altdorf bei Nürnberg 1694 in lateinischer Sprache verfaßte hatte. Bei einem Vergleich derselben Wegstrecke mußte er feststellen, daß viele der bei HOFFMANN angeführten Pflanzenarten inzwischen selten geworden oder selbst aus der weiteren Umgebung ganz verschwunden waren.

Sammlung ENSLINS Sammlung umfaßt wohl mehr als 8.000 Arten. Den Kenner verrät dabei die Zahl der gesammelten Individuen: Auch bei häufigen Arten sind dies jeweils nur wenige Tiere. Mit Ausnahme der gezüchteten Tiere sind seltene Arten hierdurch überrepräsentiert. Die Sammlung ist eine Fundgrube für Faunisten und Tiergeographen. Sie bietet aber für die einzelnen Arten wenig Vergleichsmöglichkeiten mit ihrer aktuellen Häufigkeit. Hierzu eignen sich „Staubsaugeraufsammlungen" wie etwa die von STRITT (Karlsruhe) und SCHNEID (Bamberg) viel besser, weil in deren Sammlungen ehemals häufige Arten auch entsprechend zahlreich vertreten sind. Wie mir von LINSENMAIER noch einmal bestätigt wurde, war ENSLIN - wie in allem - auch im Insektensammeln höchst bescheiden. Im Wallis hatte er keine Blattwespen mehr gesammelt. In Oberstdorf nahm er sie zumindest noch bis 1958 mit. Seine Spezialsammlung der Pflanzenwespen umfaßt nicht nur in Europa vorkommende Arten, sondern enthält durch Expeditionsausbeuten und durch Tausch auch Material aus außereuropäischen Gebieten. In ihr befindet sich die Mehrzahl des Typenmaterials, das Enslin bei der Beschreibung neuer Taxa vorgelegen hatte (weitere Typen z. B. in St. Petersburg / Ural-Ausbeute von KOUZNETZOV). Diese Sammlung gab ENSLIN um 1925 an die Zoologische Staatssammlung München (ZSM) ab. Ein Briefwechsel darüber ist nicht mehr vorhanden. Sie muß jedoch zu der Zeit erfolgt sein, als ENSLIN sich fast ausschließlich den aculeaten Hymenopteren zuwandte. ENSLINS Sammlung bildet in der ZSM neben den Kollektionen von FÖRSTER, HARTIG und KRIECHBAUMER den Grundstock für eine der bedeutendsten Hymenopterensammlungen der Welt. Später baute sich ENSLIN eine Zweitsammlung für die Pflanzenwespen auf. Seine übrigen Sammlungen bestehen unter anderem aus einer großen Caraiws-Sammlung und einer Käfersammlung, die die meisten europäischen Cerambycidae und Chrysomelidae enthält. Nach dem Zweiten Weltkrieg flössen die Hymenopteren und Käfer der Sammelreisen von SEIDENSTÜCKER durch den Orient ein. In einem Brief an VON ROSEN (25.1.1943) erwähnte ENSLIN, daß seine

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Sammlung nach München kommen würde. Auch 1956 hatte er noch fest vor, „meine Sammlung dem Staatsmuseum in München bald zu übergeben (Brief an LINSEMMAIER, 5.4.1956). Tatsächlich übergab er sie 1958 an GAUCKLER. LlNSENMAlER (11.5.1958) schrieb er, „daß die Sammlung in wenigen Tagen nach Nürnberg überführt [wird]. Ich schenke sie Prof. Dr. K. GAUCKLER, mit dem mich eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet. Ich glaube, daß meine Sammlung bei ihm in guten Händen ist." An KÜHLHORN schreibt ENSLIN lapidar (31.1.1959): „Daß ich meine übrige Sammlung (mit Ausnahme der Chrysididen) Prof. GAUCKLER geschenkt habe, war hauptsächlich Bequemlichkeit, weil sich der Transport leichter bewerkstelligen ließ, außerdem auch die Freundschaft mit diesem Herrn." GAUCKLER vertraute mir noch zu Lebzeiten die Sammlung zur späteren Weiterleitung an die ZSM an. Somit wird diese wertvolle Insektensammlung dort eines Tages komplett aufbewahrt werden. Die Dublettensammlung der Käfer, sowie die der Diptera, Heteroptera, Homoptera und Saltatoria übergab ich bereits 1998 der ZSM. Die Chrysididae schenkte ENSLIN in Laufe der Jahre LlNSENMAlER. In einem Brief an diesen schrieb er (3.2.1960): „Euer geplanter Besuch wird für mich ein Fest sein. Daß Du dann meine restlichen Chrysididen mitnehmen willst, ist für mich eine große Erleichterung". Über das Münchener Antiquariat DULTZ verkaufte ENSLIN 1959 seine Bibliothek. Der Verbleib der umfangreichen Sonderdrucksammlung ist heute unbekannt. Von seinen wertvollen Büchern konnte ich einige erwerben. Nach der Promotion schenkte mir ENSLIN sein Handexemplar der „Tenthredinoidea Mitteleuropas", das durch seine zahlreichen handschriftlichen Notizen einen hohen wissenschaftlichen Wert besitzt.

Bibliographie E. ENSLIN bearbeitete ein breites naturwissenschaftliches Themenspektrum. Seine Publikationen erschienen auch in nicht reinen Fachzeitschriften. In einem Zeitungsartikel zu seinem 75. Geburtstag wurde eine Zahl von 4 Büchern und 120 größeren und kleineren Beiträgen genannt. In seinem Lebenslauf für das Stadtarchiv Fürth erwähnte ENSLIN neben einigen medizinischen über 100 naturwissenschaftliche Beiträge. Erstere wurden hier nicht berücksichtigt. Der hier zusammengestellten Bibliographie lag unter anderem ENSLINS eigene Publikationsliste zugrunde, die er anläßlich seiner Ehrenpromotion angefertigt hatte. Fast alle Publikationen wurden im Original eingesehen. Für die Veröffentlichungen, die Beschreibungen neuer Taxa enthalten, werden in eckigen Klammern zusätzlich möglichst genaue Publikationsdaten angegeben. In Fußnoten werden ggf. die Daten und abweichende Paginierungen diskutiert. ENSLIN, E. 1906: Dendrocoelum cavaticum FRIES. —Jh. Ver. vaterl. Naturkd. Württ., Stuttgart 62: 312-360 1906: Die Höhlenfauna des fränkischen Jura. — Abh. nat.-hist. Ges. Nürnberg 16(1): 295-361' 1906: Die Lebensweise der Larve von Macrocera fasciata MEIG. — Z. wiss. Insektenbiol., Husutn 2(8): 251-253 1907: Aporia crataegi L. — Eilt. Wochenbl. 24(49): ? 1907: Die Verbreitung der Planarien im Gebiet der Wiesent. — Jahresmitt. nat.-hist. Ges. Nürnberg 1: 7-8 1907: Geologie der Fränkischen Schweiz. In: BRUCKNER, K.: Führer durch die Fränkische und Hersbrucker Schweiz. — Wunsiedel, pp. 241-264 1909: Fleisch fressende Blattwespen. — Z. wiss. Insektenbiol.. Husum 5(10): 197-198 1909: Systematische Bearbeitung der europäischen Arten des Tenthredinidengenus Dolerus JUR. (Hym.). — Dt. ent. Z., Berlin [1909](4): 487-501 [1.7.19091 1909: dito. — Dt. ent. Z., Berlin [1909](5): 595-608 [1.9.1909] 1909: Systematische Bearbeitung der paläarktischen Arten des Tenthrediniden-Genus Loderus KNW. (Hym.). — Dt. ent. Z., Berlin [1909](6): 788-793 [1.11.1909]

Auch als 67seitiger Sonderdruck ausgegeben.

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M. KRAUS & S. M. BLANK: Der Naturforscher Eduard ENSLIN

Die Tenthredinoidea Mitteleuropas von

Dr. I']. Enslin, Kiirth in Bayern.

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