Debra Adelaide Das Beste am Leben

Debra Adelaide Das Beste am Leben Adelaide_CS3.indd 1 25.07.2008 11:30:23 Adelaide_CS3.indd 2 25.07.2008 11:30:23 Debra Adelaide Das Beste am ...
Author: Sofia Bergmann
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Debra Adelaide

Das Beste am Leben Ro­man

Deutsch von Theda Krohm-Linke

Ihr persönliches, unverkäufliches Leseexemplar Missbrauch wird rechtlich verfolgt Gebunden ca. € 19,95 Erstverkaufstag: 26. 01. 2009 Wir bitten Sie, Rezensionen nicht vor dem Erstverkaufstag zu veröffentlichen. Ausstattung und Papier entsprechen nicht der Verkaufsauflage.

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Die Ori­gi­nal­aus­ga­be er­schien 2008 un­ter dem Ti­tel »The House­hold Guide to Dy­ing« bei Pic­ador Austr­alia, Syd­ney.

Ver­lags­grup­pe Ran­dom House FSC-DEU-0100 Das für die­ses Buch ver­wen­dete FSC-zer­tifi­zier­te Pa­pier Super Snowbright lie­fert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.

1. Auf­la­ge Co­py­right © der Ori­gi­nal­aus­ga­be 2007 by De­bra Ade­la­i­de Co­py­right © der deutsch­spra­chi­gen Aus­ga­be 2009 by Blan­va­let Ver­lag in der Ver­lags­grup­pe Ran­dom House GmbH, Mün­chen Satz: Buch-Werk­statt GmbH, Bad Aib­ling Druck und Bin­dung: GGP Me­dia GmbH, Pöß­neck Prin­ted in Gem­any ISBN 978-3-7645-0321-5 www.blan­va­let.de

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Mit der Lie­be der Er­in­ne­rung Adam Wil­ton und Ali­son McCal­lum ge­wid­met

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Tod, du bist er­folg­rei­cher als Ame­ri­ka, und wir er­lie­gen dir, auch wenn wir es nicht wol­len. John Forbes, Death, an Ode

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1. Kapitel

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n die­sem Mor­gen ging ich zu­erst zu den Hüh­nern. Ar­ chie hat­te ih­nen schon die Kü­chen­ab­fäl­le ge­ge­ben, des­ halb lehn­te ich mich über den Zaun und warf ih­nen nur noch eine Hand­voll Tro­cken­fut­ter spe­zi­ell für Le­ge­hen­nen hin. Wie im­mer pick­ten sie und kab­bel­ten sie sich, als hät­ten sie noch nie zu­vor Fut­ter be­kom­men und wür­den auch für den Rest ih­res Le­bens nicht mehr ge­füt­tert wer­den. Dann öff­ne­te ich das Tor und ging zu den Le­ge­bo­xen hi­nü­ber. Drei sau­be­re Eier la­gen da: zwei brau­ne, ein wei­ßes. Vor noch gar nicht all­zu lan­ger Zeit hät­te ich ge­nau sa­gen kön­nen, wel­ ches Huhn wel­ches Ei ge­legt hat­te. Doch in­zwi­schen konn­te ich mich manch­mal nicht ein­mal mehr an ihre Na­men er­in­ nern. Vor­sich­tig nahm ich die Eier he­raus. Ei­nes war noch warm. Und ganz plötz­lich – ist Be­rüh­rung nicht et­was Au­ ßer­gewöhn­li­ches? – fiel mir wie­der ein, dass die tee­far­be­nen Eier von den brau­nen Hüh­nern wa­ren und dass die Hen­ne, die das klei­ne­re wei­ße Ei ge­legt hat­te, Jane hieß. Ich hielt Ja­nes Ei ei­nen Mo­ment lang an mei­ne Wan­ge, ge­noss sei­ne Wär­me und sei­ne Voll­kom­men­heit. Kurz frag­ te ich mich, ob wohl je­mals ein Dich­ter da­rü­ber schrei­ben wür­de oder ob nur mir die­se Er­fah­rung et­was be­deu­te­te. Die­se tröst­li­che Form, die er­staun­li­che Fri­sche. Die Vor­ stel­lung, dass die­ses Ei, so weiß und voll­kom­men in mei­ner Hand­flä­che, neu­es Le­ben in sich barg und zum Her­vor­brin­

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gen die­ses Le­bens von der Welt nichts wei­ter als Wär­me brauch­te. Reif sein ist al­les. Das hat ein Dich­ter ein­mal ge­sagt. ­Eli­ot, glau­be ich. Oder Shakes­peare. Viel­leicht auch bei­de – ich weiß es nicht mehr. Mit den Ei­ern in der Ta­sche ging ich durch den Gar­ten zu­ rück. Drin­nen klin­gel­te schon wie­der das Te­le­fon; trotzdem ließ ich mir Zeit. Nach fünf­mal Klin­geln hör­te es auf. Das war in letz­ter Zeit häu­fi­ger pas­siert. Es hat­te ge­reg­net, die Luft war klar und frisch. Ich hör­ te das Klap­pern ei­ner Gar­ten­sche­re. Das war be­stimmt Mr Lam­bert von ne­ben­an, der sei­nen Ra­sen stutz­te. We­der Tau noch Re­gen, noch nicht ein­mal ein Schnee­sturm – wenn es in die­sen Brei­ten­gra­den so et­was gäbe – hiel­ten Mr Lam­bert je von sei­ner Lieb­lings­be­schäf­ti­gung ab, ganz so als könn­te er in sei­nem fort­ge­schrit­te­nen Al­ter den Blick nur noch bo­ den­wärts rich­ten. Mei­nem Blick war Mr Lam­bert schon seit Jah­ren aus­ge­wi­chen, fiel mir auf, und ich frag­te mich, ob er wohl die Hoff­nung heg­te, in die Erde zu­rück­zu­keh­ren, jetzt da er pen­si­o­niert war und nicht ein­mal mehr sei­ne En­kel­kin­ der zu Be­such ka­men. Aber war das nicht viel­mehr ein Blick in mei­ne ei­ge­ne Zu­kunft? Habe ich Zu­kunft ge­sagt? Ich wünsch­te mir wirk­lich, es gäbe ein pas­sen­des Wort da­für, denn Iro­nie wird dem Gan­zen nicht ein­mal an­nä­hernd ge­recht. Ich hat­te ent­deckt, dass Eli­ot völ­ lig rich­tiglag mit dem grau­sams­ten Mo­nat – nur war es für mich hier in Australien nicht der Ap­ril, son­dern der Ok­to­ber. Der Früh­ling ver­spot­te­te mich ge­ra­de­zu mit sei­nen pracht­ vol­len Hin­wei­sen da­rauf, dass der Som­mer be­vor­stand. Die Gly­zi­nie drau­ßen vor mei­nem Fens­ter hat­te eine gar groß­ar­

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ti­ge Schwei­ne­rei auf der Ve­ran­da an­ge­rich­tet. Die gan­ze Ein­ fahrt war über­sät mit pa­pier­nen Blü­ten. Sie kleb­ten auf mei­ nem Auto wie Kon­fet­ti. Wenn ich an diesem Mor­gen da­mit hät­te fah­ren müs­sen, wäre es fast schon är­ger­lich ge­we­sen, aber so konn­te ich be­wun­dern, wie die Blü­ten sich über der Wind­schutz­schei­be ver­teil­ten. Das schä­bi­ge, alte Auto war strah­lend auf­ge­putzt wie eine Braut. Und jetzt da die Son­ne schien und der Wind warm war, konn­te ich so­gar die Gly­zi­ nie rie­chen. Oder viel­leicht war es auch der Jas­min, der am Vor­der­zaun wuchs, wo­hin ich von hier aus aber nicht se­hen konn­te. Mein Ge­ruchs­sinn ließ lang­sam nach. Was hat­te es nur mit die­sen dun­kel­blau­en und vi­o­let­ten Blu­men auf sich? Ich er­in­ner­te mich da­ran, dass auch Eli­ot (mein High­school-Leh­rer hat­te im­mer mit gro­ßem Res­pekt von ihm ge­spro­chen) eine Vor­lie­be für sie ge­habt hat­te – für Flie­der und Hy­a­zin­then, um ge­nau zu sein. Bei mir war es im­mer die Gly­zi­nie ge­we­sen – und jetzt Iris. Arc­hie hat­te sie vor Jah­ren in ei­nen al­ten Be­ton­zu­ber ge­pflanzt, den er zu ei­nem Teich um­funk­ti­o­niert hat­te, und mit den Jah­ren war sie im­mer üp­pi­ger ge­wor­den. Ich hat­te sie in den letz­ten ein, zwei Wo­chen wie­der und wie­der be­trach­tet: die präch­ti­gen, lan­gen Speer­blät­ter. Das sanf­te An­schwel­len der Knos­pen an den Stän­geln. Als ich vom Hüh­ner­stall zu­rück­kam, stell­te ich fest, dass die ers­te Blü­te auf­ge­gan­gen war. Der Stän­gel war um­ge­knickt – viel­leicht war der Re­gen doch stär­ker ge­we­sen als ge­dacht –, aber die Blü­te selbst war un­be­schä­digt. Ich schnitt sie ab und stell­te sie in eine Vase ans Kü­chen­fens­ter. Sie war auf eine of­fen ge­ni­ta­le Wei­se wun­der­schön. Dun­kel­ vi­o­lett mit ei­nem gel­ben Strei­fen in je­dem Blü­ten­blatt. Und sie duf­te­te nicht. Ich glau­be, von Flie­der­duft wür­de mir mitt­ ler­wei­le übel wer­den.

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Ich habe im­mer ge­dacht, die­ser sanf­te Über­gang zwi­schen Win­ter und Som­mer könn­te gar nicht grau­sam sein. Aber nun sprang mich die Grau­sam­keit eben­so an wie die Dich­ ter, die auf der an­de­ren Erd­halb­ku­gel ge­lebt hat­ten. Früh­ling war für mich im­mer eine Zeit der Hoff­nung ge­we­sen. Vol­ ler ­ins­pi­rie­ren­der Lie­der und er­re­gen­der Hand­lun­gen. Vol­ler Mög­lich­kei­ten, Er­war­tun­gen und Plä­ne. In der stil­len Ak­zep­ tanz, dass der kap­ri­ziö­se Herbst den er­neu­ten Jah­res­zei­ten­rei­ gen ein­ge­läu­tet hat­te, tauch­ten die Men­schen aus dem Win­ter auf und wuss­ten, dass der Som­mer nicht mehr weit war, wenn das Früh­jahr erst ein­mal be­gon­nen hat­te. Je­des Früh­jahr fin­ det in un­se­rer Ge­mein­de ein Pick­nick im na­he ­ge­le­ge­nen Park statt. Kin­der­ge­burts­ta­ge wer­den drau­ßen ge­fei­ert. Früh­ling ist die Zeit der Ta­ten, des Sau­ber­ma­chens, der Re­vo­lu­ti­on. Re­vo­lu­ti­on. Ich den­ke jetzt viel über die prä­zi­se Be­deu­tung von Wor­ten nach. Und da­rü­ber, wie sie klan­gen. Re­vo­lu­ti­on klang für mich ir­gend­wie nach Rev­uls­ion. Ab­scheu. Ab­leh­ nung. Heu­te früh hat­te ich es noch nicht ein­mal über mich ge­bracht zu früh­stü­cken. (Mein Früh­stück be­stand oh­ne­hin nur aus ei­ner hal­ben Schei­be Toast ohne But­ter; es kam gar nicht in­fra­ge, dass ich ei­nes der Eier aus mei­ner Ta­sche aß.) In ei­nem hat­ten die Dich­ter recht: Reif sein ist al­les, aber ich wür­de Mis­ter T.  S. Eli­ot we­nigs­tens ger­ne sa­gen, dass sein Früh­ling im Ver­gleich zu mei­nem auf ziem­lich lasche Art grau­sam war. Ge­ra­de­zu lä­cher­lich grau­sam. Grau­sa­mer als dies hier ging es nicht: die Jah­res­zeit der Er­war­tung, der Hoff­nung, des Wachs­tums; die Jah­res­zeit der Zu­kunft, ob­ wohl es kei­ne mehr gab. Er hat­te we­nigs­tens sei­ne Hand­voll Stei­ne ge­habt und sei­nen tro­cke­nen Staub, über die er sich freu­en konn­te. Früh­ling be­deu­te­te jetzt Kri­se und Ver­fall. Es war Früh­ling

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ge­we­sen, als ich mich der ers­ten Ope­ra­ti­on un­ter­zo­gen hat­te. Da­nach war mir ge­ra­de noch so viel Zeit ge­blie­ben, dass ich am Ende des Jah­res mei­nen Weih­nachts­pflich­ten nach­kom­ men konn­te, statt im Bett da­hin­zu­sie­chen, wie ich es lie­ber ge­tan hät­te. Und es war wie­der Früh­ling ge­we­sen, als ich ent­deck­te, dass die Ope­ra­ti­on den Krebs nicht auf­gehal­ten hat­te. Die Ent­fer­nung von wei­te­ren Kör­per­tei­len und die in­ ten­si­ve Che­mo­the­ra­pie wa­ren für mich wei­te­re sechs Mo­na­te lang Scyl­la und Char­yb­dis ge­we­sen. Ei­gent­lich wäre ich de­ rer an­ge­sichts lie­ber zu­rück­ge­ru­dert und hät­te auf­ge­steckt, aber Arc­hie hat­te mich ge­be­ten, es wei­ter zu ver­su­chen, mei­ ne Mut­ter hat­te mich über­re­det, und mei­ne bei­den klei­nen Töch­ter hat­ten wie le­ben­de Vor­wür­fe vor mir ge­stan­den. Also mach­te ich eben wei­ter. Und nach­dem ich brust­los, le­ ber­los, bis auf die Kno­chen ab­ge­ma­gert oder gro­tesk auf­ge­ schwemmt war, er­war­te­te ich zu­min­dest eine fai­re Chan­ce. Und bis zur letz­ten Ope­ra­ti­on, als mein Kör­per zer­schnit­ten, zer­sägt und auf­ge­bro­chen wur­de (der Kopf die­ses Mal), hat­te ich mir so­gar ei­nen Fun­ken Hoff­nung be­wahrt. Nur, jetzt war die grau­sams­te Jah­res­zeit an­ge­bro­chen, und ich war mir nicht mehr so si­cher. Ir­gend­et­was im Wind be­deu­te­te mir, dass dies der letz­te Früh­ling sein wür­de.

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2. Kapitel

Lie­be De­lia, kön­nen Sie ei­nen Streit zwi­schen mei­ner Freun­din und mir schlich­ten? (Wir spie­len zu­sam­men Golf.) Sie be­haup­tet, man soll­te nur mit ei­nem Ein­kaufs­zet­tel ein­kau­fen ge­hen. Ohne Ein­kaufs­zet­tel wür­de man Zeit ver­schwen­den und mehr Geld aus­ge­ben als nö­tig. Da­bei ach­te ich beim Ein­ kau­fen im­mer ge­nau da­rauf, was ich brau­che. Trotz­dem stel­le ich zu Hau­se manch­mal fest, dass ich die Glüh­bir­nen oder das Reis­mehl ver­ges­sen habe. Aber ihr pas­siert das auch. PS: Wir sind bei­de fün­fund­sech­zig Jah­re alt. Lie­be Gol­fe­rin, die un­ver­gleich­li­che Mrs Isa­bel­la Bee­ton be­stand ­da­rauf, dass die ef­fi­zi­en­te Haus­frau ihre Ein­käu­fe nie ohne Ein­ kaufs­­lis­te tä­tigt. An­geb­lich ver­hin­de­rt eine Lis­te Im­puls­ käu­fe und dass ge­wis­sen­lo­se Ver­käu­fer dem Kun­den un­­erwünsch­te Wa­ren auf­zwin­gen. Aber das Le­ben ist kurz, und auch Spon­ta­ne­i­tät hat ihre gu­ten Sei­ten. Zwar mö­gen Sie manch­mal die Glüh­bir­nen ver­ges­sen, aber da­für kau­fen Sie be­stimmt dunk­le TimT­ams, wenn sie im An­ge­bot sind, oder Fisch­kon­ser­ven, ob­wohl die in Ih­rer Spei­se­kam­mer be­reits sta­pel­wei­se liegen. Aber ich wet­te, Ihre Freun­din macht das trotz Ein­kaufs­zet­tel eben­so.

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PS: Mrs Bee­ton ist mit acht­und­zwan­zig Jah­ren ge­stor­ ben. Da­ran soll­te Ihre Freun­din mal den­ken, wenn sie das nächs­te Mal ih­ren Ein­kaufs­zet­tel schreibt.

In den Sieb­zi­ger­jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts wur­de aus der Haus­halts­füh­rung fast schon eine Wis­sen­schaft. Nicht dass ich in der Schu­le die­ses Fach je­mals be­legt hät­te; ich hat­ te die ent­spre­chen­den In­hal­te be­reits bei mei­ner Mut­ter und mei­ner Groß­mut­ter ge­lernt, und sie bei­de hat­ten an die Nach­ hal­tig­keit des all­täg­li­chen häus­li­chen Trai­nings ge­glaubt. Und des­halb hat­te mei­ne Groß­mut­ter, die sich um mich küm­mer­ te, als ich noch nicht zur Schu­le ging, mich le­dig­lich in die rich­ti­ge Rich­tung ge­schubst, und ich hat­te be­gon­nen, mit ihr zu­sam­men zu schrub­ben, zu wi­schen, zu put­zen und zu wie­nern. Als ich ein biss­chen äl­ter wur­de, über­nahm mei­ne Mut­ter, Jean, das Ru­der. Ihre Spe­zi­a­li­tät war das Ko­chen. Ohne dass es mir wie Un­ter­richt vor­kam, lern­te ich schla­gen, ein­rüh­ren und düns­ten (spä­ter bra­ten). Jeans the­o­re­ti­scher An­satz war, dass ich mir ein­fach al­les ab­schau­en, dass ich als weib­li­ches We­sen all das so­zu­sa­gen durch Os­mo­se ver­in­ner­ li­chen wür­de. Eine lä­cher­li­che Vor­stel­lung, den­ken Sie jetzt viel­leicht, aber es muss et­was dran ge­we­sen sein an die­ser Os­mo­se-The­o­rie, denn ich lern­te al­les, ohne mit der Wim­per zu zu­cken. Ich konn­te nä­hen, ko­chen, sau­ber­ ma­chen und stri­cken. Als ich auf die High­school kam und ei­nen Koch­kurs be­le­gen muss­te, stell­te ich fest, dass es für mich nichts mehr zu ent­de­cken gab. Ein Fach wie Haus­halts­leh­re kam mir so ele­men­tar vor, wie den Bus zu neh­men oder ei­nen Brief auf­ zu­ge­ben. Tat das nicht je­der qua­si in­tu­i­tiv? Au­ßer­dem war ich in ei­nem Al­ter, in dem ich Fil­me, Bü­cher und Mu­sik in­te­res­

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san­ter fand und nicht viel Sinn in Mrs Lords stren­ger Kü­che oder Miss Gro­vers Hand­ar­beits­un­ter­richt sah. Drei­ßig Jah­re spä­ter war es an der Zeit um­zu­den­ken. Wir Frau­en zu Be­ginn des ein­und­zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts wuss­ ten, dass wir ir­gend­wo zwi­schen häus­li­cher Frei­heit und Skla­ ve­rei an­ge­sie­delt wa­ren. Das Heim stand vor sei­ner Neu­de­fi­ ni­ti­on, das er­klär­ten selbst die The­o­re­ti­ker. En­gel wa­ren out, sie wa­ren schon vor Jah­ren ver­trie­ben wor­den. Jetzt konn­te man eine Göt­tin sein, eine bild­schö­ne Pro­du­zen­tin auf­wen­ di­ger Mahl­zei­ten in pracht­vol­len Kü­chen­tem­peln. Oder die häus­li­che Hure, die kühn Fer­tig­ri­sot­to und un­na­tür­lich gro­ße Aus­tern ser­vier­te und das Sau­ber­ma­chen an­de­ren über­ließ. Ob nun Göt­tin oder Hure – bei­des war ak­zep­ta­bel. Für Isa­bel­la Bee­ton hin­ge­gen war es bei häus­li­chem Ma­ nage­ment noch um mar­ti­al­i­sche Dis­zip­lin und po­li­ti­sche Stra­ te­gi­en ge­gan­gen. Die Haus­her­rin war Kom­man­dan­tin ei­ner Ar­mee und Lei­te­rin ei­nes Un­ter­neh­mens zu­gleich. Im frü­hen zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert war Haus­ar­beit eine öko­no­mi­sche An­ge­le­gen­heit. Die Haus­frau war Dreh- und An­gel­punkt ei­ ner au­to­no­men un­ter­neh­me­ri­schen Ein­heit. Dann erst wur­de es zur Wis­sen­schaft, und al­les, was im Haus pas­sier­te, lief in li­ne­a­ren Pro­zes­sen nach un­be­stech­li­cher Lo­gik ab. Muf­fins zu ba­cken, ent­sprach in etwa dem Des­til­lie­ren ei­nes che­mi­ schen Gemischs. Wenn man Kin­dern nur das rich­ti­ge Maß an Zu­nei­gung und Stra­fe zu­kom­men ließ, ge­die­hen sie so er­folg­ reich wie ein Blech vol­ler Sco­nes, die bei 170 Grad fünf­zehn Mi­nu­ten lang im Ofen blei­ben muss­ten. Al­ler­dings be­deu­te­te häus­li­che Wis­sen­schaft noch lan­ge nicht, dass die Haus­frau auch eine Wis­sen­schaft­le­rin war. Dazu war sie im­mer noch viel zu sehr in der häus­li­chen Hie­rar­chie ver­wur­zelt. Doch auch die­ser Zu­stand fand ein Ende, und Haus

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und Heim wur­den zum schie­ren Tum­mel­platz für The­o­re­ ti­ker. Eben­so wie al­les an­de­re auch – vom Sur­fen bis hin zu Schlamm-Cat­chen – wur­de selbst die Haus­ar­beit Ob­jekt un­ter­schied­lichs­ter The­o­ri­en. Ich weiß zwar nicht, wie das ent­spre­chen­de Fach in wei­ter­füh­ren­den Schu­len in­zwi­schen heißt, aber ich wet­te, dass das Wort Haus da­rin nicht mehr vor­kommt. Und zwei­fel­los gibt es neu­er­dings For­schungs­ pro­jek­te und so­gar Dis­ser­ta­ti­o­nen über das Heim als Le­ bens­raum und Ab­hand­lun­gen über das Staub­sau­gen und die Multi­mo­da­li­tät der Kü­chen­ma­schi­ne. Ob­wohl … viel­leicht auch nicht. Ist ja schließ­lich Frau­en­ ar­beit. Ei­nes Mor­gens be­trach­te­te ich nach­denk­lich eine Lis­te, die auf der The­ke in der Kü­che ge­le­gen hat­te. Ich war im­mer noch zeit­wei­lig ans Bett ge­fes­selt – das­sel­be Bett, das ich zwölf Jah­re lang mit mei­nem Mann ge­teilt und in dem ich den zärt­lichs­ten und er­re­gends­ten Sex mei­nes Le­bens ge­habt hat­ te, wenn auch nicht an­nä­hernd ge­nug, wie ich jetzt fest­stell­te. In dem ich zwei Kin­der emp­fan­gen und ei­nes da­von so­gar ge­bo­ren hat­te. (Die an­de­re wäre zwar auch fast dort zur Welt ge­kom­men, hat­te dann aber doch stur da­rauf be­stan­den, das Licht der Welt im Kran­ken­haus zu er­bli­cken.) In dem ich un­zäh­li­ge Bü­cher ge­le­sen hat­te, vie­le da­von ex­zel­lent, ei­ni­ge tri­vi­al, aber herz­zer­rei­ßend. In dem ich je­den Sonn­tag­mor­gen zahl­lo­se Tas­sen Tee ge­trun­ken hat­te, wäh­rend ich mit ei­ner Mi­schung aus Zy­nis­mus und Ent­zü­cken die Bou­le­vard­pres­se durch­blät­ter­te. In dem ich mir über al­les Mög­li­che No­ti­zen ge­macht und auch Lis­ten ge­schrie­ben hat­te. Lis­ten wa­ren ei­gent­lich nie ein we­sent­li­cher Be­stand­teil mei­nes Le­bens ge­we­sen, und sie wa­ren es auch jetzt nicht.

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Nichts wür­de sich än­dern, wenn ich nie wie­der eine Lis­te schrie­be, und ich ver­mu­te­te, dass ich auch ohne sie Din­ge be­werk­stel­ligt be­kä­me. Aber die Lis­te, die ich an die­sem Mor­ gen in der Hand hielt, die ich spät in der Nacht zu­vor noch ver­fasst hat­te, war nicht für mich be­stimmt ge­we­sen. Wasch­ma­schi­ne an­stel­len Hüh­ner füt­tern Fi­sche/Mäu­se füt­tern (Fut­ter steht am Teich bzw. Kä­fig) Mäd­chen we­cken Pau­sen­bro­te schmie­ren (kei­ne Erd­nuss­but­ter für E) Früh­stück für die Mäd­chen (D kei­ne Ovo aufs Müs­li!!!) E an Haus­auf­ga­ben­heft er­in­nern D muss Bü­cher in die Bü­che­rei zu­rück­brin­gen! Wä­sche auf­hän­gen Ge­schirr­spül­ma­schi­ne leer ­räu­men/ein­räu­men Mäd­chen müs­sen 30 min frü­her zur Schu­le (Chor­pro­be) und du­schen (wenn mögl.) Kaf­fee ko­chen, trin­ken, so­lan­ge er heiß ist ;-) Ich schrieb sol­che Lis­ten erst seit etwa ei­nem Jahr – seit mir klar ge­wor­den war, dass ich be­stimm­te Auf­ga­ben de­le­gie­ren muss­te, so ­lan­ge bis die Din­ge ge­klärt wa­ren. Die­sen Aus­ druck hat­ten wir ge­wählt, um eine Zu­kunft zu be­schrei­ben, die uns wie ein Kro­ko­dil­ra­chen an­gähn­te: tief und er­schre­ ckend. Sie zu­sam­men­zu­stel­len, fiel mir schwer, weil Din­ge da­ raufstan­den, die ich jah­re­lang voll­kom­men in­tu­i­tiv ge­tan hat­ te. Was soll­te ich un­be­dingt mit auf­neh­men, was weg­las­sen? Die­se Lis­te hat­te ich spät nachts stra­te­gisch güns­tig un­

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ter die Pfef­fer­müh­le plat­ziert. Als die Mäd­chen am nächs­ten Mor­gen he­rein­ge­kom­men wa­ren, um mir ei­nen Ab­schieds­ kuss zu ge­ben, war ich zu er­schöpft ge­we­sen, um sa­gen zu kön­nen, ob ihre Haa­re rich­tig zu­sam­men­ge­bun­den und ihre Zäh­ne ge­putzt wa­ren. Ich mur­mel­te Auf Wie­der­se­hen und hob den Kopf, um mit den Lip­pen ihre Wan­gen zu strei­fen. Als ich spä­ter auf­stand, lag eine Fe­der auf dem Blatt, eine dun­kel­brau­ne. Ich ging al­ler­dings nicht da­von aus, dass sie die Hüh­ner mit in die Schu­le ge­nom­men hat­ten. Als ich mir die Lis­te noch ein­mal durch­las, dach­te ich da­ rü­ber nach, wie Arc­hie sich heu­te früh ge­fühlt ha­ben moch­te: War er be­lei­digt ge­we­sen oder nach­denk­lich, ver­letzt oder dank­bar? Ich frag­te mich, ob ich da­rauf hät­te be­ste­hen sol­len, dass die Mäd­chen ihre Schul­un ­ i­for­men an­zo­gen oder dass er an ihre Müt­zen dach­te. Wa­rum fand ich das al­les nur so wich­tig? Ich warf die Lis­te in den Pa­pier­korb. Arc­hie hat­te sie wahr­schein­lich oh­ne­hin nicht zur Kennt­nis ge­nom­men. Im All­ge­mei­nen wa­che ich früh auf, noch be­vor es rich­tig hell wird. An sol­chen Ta­gen ma­che ich mir eine klei­ne Kan­ne Tee und gehe mit der Tas­se in der Hand in den Gar­ten. Ich set­ze mich in den Korb­ses­sel un­ter die Strah­len­a­ra­lie, trin­ke mei­nen Tee und höre dem Glu­cken der Hüh­ner zu. Die­ses Glu­cken habe ich im­mer schon als un­ge­heu­er an­ge­nehm emp­ fun­den. Ei­nes Ta­ges, als es lang­sam hel­ler wur­de, pick­ten und ga­cker­ten die fünf sich ih­ren Weg aus dem Schup­pen. Liz­zie – Eli­za­beth –, das kleins­te und schöns­te Huhn, war als Ers­te, als Vor­hut so­zu­sa­gen, drau­ßen an der Son­ne. Sie ist eine Light Sus­sex, de­ren schwar­ze Fe­dern wie ein Spit­zen­schal über ih­ rem wei­ßen Fe­der­kleid lie­gen, und wenn sie den an­de­ren be­ fiehlt, den Stall zu ver­las­sen, hat sie et­was Her­ri­sches an sich. Als Letz­te tauch­te Kitty auf, dun­kel­braun, fast schwarz an

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den Flü­gel­spit­zen. So­weit ich wuss­te, be­grüß­te Kitty den Tag stets auf die glei­che Wei­se: eine Pau­se an der Stall­tür, Krat­zen, ein ra­sches Aus­stre­cken ei­nes Fu­ßes oder auch des zwei­ten, ei­nen Schritt zu­rück an die Tür, wie­der ein paar Schrit­te vor, ei­nen wei­te­ren Rück­zug, be­vor sie schließ­lich auf das Fut­ ter­tab­lett auf der an­de­ren Sei­te des Aus­laufs zu­mar­schier­te. Auf hal­bem Weg dort­hin wur­de sie von Liz­zie zu­rück­ge­pickt, wo­rauf­hin das Ri­tu­al von vor­n be­gann, bis schließ­lich eine von bei­den ein­lenk­te. Kitty hat­te ich als Letz­te ge­kauft, und ob­wohl sie nicht die Jüngs­te war, be­stand das Ge­flü­gel­pro­to­ koll wohl auf der Ein­hal­tung die­ser Rang­ord­nung. Ich dach­te da­ran, dass ich in ei­nem an­de­ren Le­ben wohl ger­ne Hüh­ner er­forscht hät­te. Als ich an je­nem Mor­gen dort saß und den letz­ten Schluck Tee über den Zaun schüt­te­te (die Hüh­ner ka­men so­fort an­ge­rannt; wie un­ver­bes­ser­lich neu­ gie­rig sie doch wa­ren), wur­de mir klar, wie we­nig ich über sie wuss­te, ob­wohl sie schon ei­ni­ge Jah­re lang zu un­se­rem Haus­halt zähl­ten. Das Prob­lem war, dass sie so ein­fach und ge­fü­gig wa­ren und so we­nig Pfle­ge er­for­der­ten. Ich hat­te, das sah ich jetzt, vie­les für zu selbst­ver­ständ­lich ge­hal­ten. Be­ stimm­te As­pek­te wür­de ich wohl nie ver­ste­hen. Wa­rum zum Bei­spiel leg­te Jane, eine Au­stra­lorp mit pracht­vol­lem schwar­ zem Ge­fie­der, das in der Son­ne glänz­te und grün schim­mer­te, wei­ße Eier? Wa­rum lie­ßen sie sich zu­neh­mend wi­der­stre­bend und un­gern ein­fan­gen und an­fas­sen, wo ich doch die meis­ ten von ih­nen von Kü­ken­bei­nen an auf­ge­zo­gen hat­te? Frü­ her hat­te Kitty zu­frie­den bei Dai­sy im Bett ge­ku­schelt, sich aber im­mer nach fünf Mi­nu­ten frei­ge­stram­pelt. Ich merk­te, dass sie nachts lie­ber auf der Hüh­ner­stan­ge saß, und muss­te Dai­sy ir­gend­wann über­re­den, sie zu den an­de­ren zu­rück­zu­ brin­gen, und da­nach wur­de Kitty krank­haft scheu. (Und wie

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es bei Kin­dern so ist, ließ Dai­sys hef­ti­ges Ver­lan­gen, mit dem Huhn im Arm zu schla­fen, bald nach, und ir­gend­ei­ne an­de­re tie­ri­sche Vor­lie­be stell­te sich ein. Zu­erst Gold­fi­sche, und als sie schließ­lich ak­zep­tier­te, dass die sich nicht zum Ku­scheln eig­ne­ten, die Mäu­se: In­dia, Afri­ca und Chi­na. Vor ein paar Mo­na­ten hat­te Dai­sy mir mit Nach­druck er­klärt, dass ent­ we­der sie oder Chi­na ster­ben wür­de, wenn sie die Maus nicht je­den Tag in der Ta­sche mit zur Schu­le neh­men dür­fe.) Ich schmeck­te die win­zig­sten Ato­me des Le­bens in die­sen we­ni­gen ru­hi­gen Mi­nu­ten. Ich trank Tee und war­te­te bei den Hüh­nern, bis der Rest der Welt er­wach­te. Ich bot ih­nen noch eine Hand­voll Tro­cken­fut­ter an. Kitty kam zum Zaun und pic­kte mir aus der Hand. Das sanf­te Sto­ßen ih­res Schna­bels in mei­ner Hand­flä­che. Das zu­frie­de­ne Gluck­sen. Liz­zie kam an­ge­schos­sen und schubs­te sie bei­sei­te. Plötz­lich hat­te ich das drin­gen­de Be­dürf­nis, die Kleins­te mei­ner Hüh­ner­schar zu be­schüt­zen. Ich be­trat den Stall. Trotz des Staubs, des ste­chen­den Ge­ruchs von Hüh­ner­kot, der Über­res­te von Kno­ chen und Scha­len und al­lem, was sie in ih­rem end­los rast­lo­ sen Schar­ren nach Le­cke­rei­en zu­ta­ge ge­för­dert hat­ten, wa­ren der Stall und der Frei­lauf ein an­ge­neh­mer Ort. Dort er­leb­te ich zärt­li­che Mo­men­te, die ich nir­gend­wo an­ders fand. Die Licht­bän­der, in de­nen gol­de­ner Staub wir­bel­te. Die Fe­dern, die auf und nie­der schweb­ten. Das Glu­cken, das zu­frie­den und ängst­lich zu­gleich klang. Und über al­lem die er­war­tungs­ vol­le Stim­mung, die jede ein­zel­ne Hen­ne aus­strahl­te, ganz gleich wie dumm sie war. Der rei­ne Op­ti­mis­mus, der sie Tag für Tag ein Ei le­gen ließ, ob­wohl die­ses Ei ihr Tag für Tag weg­ge­nom­men wur­de. Man­che mö­gen das für blöd hal­ten – ich fand es fast un­er­träg­lich groß­zü­gig. Eine Le­ge­hen­ne be­ sitzt so viel In­teg­ri­tät, so viel Hin­ga­be und Kon­zent­ra­ti­on auf

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ihr Le­ben. Und dann das Ei sel­bst, das manch­mal im Dreck liegt, manch­mal mit Hüh­ner­kot ver­krus­tet ist, manch­mal so sau­ber und ma­kel­los wie ein fri­sches Stück Sei­fe. Aber im In­nern ist es mehr als voll­stän­dig. Es ist bis zum Rand ge­füllt mit Mög­lich­kei­ten. An je­nem Mor­gen dach­te ich, dass ich öf­ter die Ge­le­gen­heit hät­te wahr­neh­men und die­ser Ecke des Gar­tens mehr Be­ach­ tung hät­te schen­ken sol­len, die­sem ge­wöhn­li­chen As­pekt des Gar­ten­le­bens. Doch da­für war es jetzt zu spät. Zu früh hin­ge­gen war es, Estel­le und Dai­sy zu we­cken. Den­noch zog mich ihr Schlaf­zim­mer ma­gisch an. Im Schlaf wirk­ten ihre Kör­per viel wei­cher und zar­ter, als wenn sie wach wa­ren. Ein oder zwei Mi­nu­ten lang sog ich ihre Un­ schuld und Rein­heit in mich auf. Dann setz­te ich die Hüh­ner vor­sich­tig ne­ben sie. Estel­le leg­te au­to­ma­tisch ih­ren Arm um Liz­zie, und Dai­sy setz­te sich ab­rupt auf, als sie Kitt­ys war­mes Kit­zeln an ih­rer Wan­ge spür­te. Was ist los?, frag­te sie. Es war erst kurz nach sechs, aber mei­ne Töch­ter wür­den noch viel Schlim­me­res be­wäl­ti­gen müs­sen, als früh ge­weckt zu wer­den. Ich muss euch et­was Wich­ti­ges zei­gen, sag­te ich. Sie drück­ten ihre Hüh­ner an sich und folg­ten mir in die Kü­che, wo ich ih­nen ei­nen Ka­kao mach­te und sie auf ihre Ho­cker ei­nan­der ge­gen­ü­ber an die Kü­chen­the­ke setz­te. Die Hüh­ner blie­ben brav auf ih­rem Schoß ho­cken und gluck­ten lei­se. Ich setz­te den Was­ser­kes­sel auf, nahm die Tee­do­se vom Regal und leg­te los. Es wird sich euch nicht ein­fach so ne­ben­bei er­schlie­ßen, per­fek­ten Tee zu ko­chen, sag­te ich. Mrs Bee­ton be­haup­tet zwar, dass es nicht be­son­ders schwie­rig sei, gu­ten Tee zu­

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zu­be­rei­ten. Wenn das Was­ser kocht und man an duf­ten­den Blät­tern nicht spart, wird das Ge­tränk bei­na­he zwangs­läu­fig ge­lin­gen. Wer ist Mrs Bee­ton?, frag­te Dai­sy. Egal, sag­te Estel­le, die spür­te, wie be­deu­tend die­ser Mo­ ment war. Wäh­rend ich den Tee zu­be­rei­te­te, er­klär­te ich ih­nen den ge­sam­ten Vor­gang, auf das ein­und­zwan­zigs­te Jahr­hun­dert zu­ge­schnit­ten, wo­bei ich auch die lo­ka­len Rah­men­be­din­gun­ gen be­rück­sich­tig­te. Ich ver­wen­de­te die klei­ne brau­ne Kan­ ne, die per­fekt für zwei Tas­sen Irish Break­fast Tea war, und die wei­ßen Tas­sen. Ich er­läu­ter­te ih­nen, dass sie ei­nes Ta­ges wo­mög­lich da­mit kon­fron­tiert wür­den, ob man die Kan­ne an­wär­men, die Milch zu­erst oder spä­ter hin­ein­ge­ben und ob man eine Me­tall- oder eine Por­zel­lan­kan­ne be­nut­zen soll­te, was die Puri­sten in La­ger Swift’scher Aus­ma­ße spal­te­te. Swift’scher? Was be­deu­tet das?, frag­te Estel­le. Jona­than Swift hat Gulli­vers Rei­sen ge­schrie­ben, weißt du noch? Sie nick­te. Wir hat­ten das Buch vor zwei Jah­ren, als sie neun war, zu­sam­men ge­le­sen. Er hat über Leu­te mit ho­hen und mit nied­ri­gen Ab­sät­zen ge­schrie­ben, sag­te ich. Und das hat­te da­mit zu tun, an wel­ chem Ende man sein ge­koch­tes Ei auf­schlägt. Oder ir­gend­ et­was in der Art. Macht euch da­rü­ber jetzt kei­ne Ge­dan­ken. Mit Ei­ern be­schäf­ti­gen wir uns spä­ter. Die Kan­ne müss­ten sie nur an ei­nem wirk­lich eis­kal­ten Tag an­wär­men, fuhr ich fort. Das stell­te kein ech­tes Prob­ lem dar, vor al­lem nicht an­ge­sichts der glo­ba­len Er­wär­mung. Auch könn­ten sie die Faust­re­gel ver­ges­sen, dass man ei­nen Tee­löf­fel pro Per­son und noch ei­nen für die Kan­ne hin­ein­

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ge­ben soll­te. Es hing viel­mehr al­les da­von ab, wie stark man sei­nen Tee moch­te, und wie sie ja wuss­ten, hat­te ich mei­nen zu­fäl­lig ger­ne ziem­lich schwach (sie nick­ten, ja, das wuss­ten sie), wo­hin­ge­gen an­de­re, vor al­lem die­je­ni­gen, die Tee mit Milch tran­ken (Jean, ihre Groß­mut­ter, zum Bei­spiel), ihn lie­ ber stark moch­ten. Als der Tee fer­tig und in die Tas­sen ein­ge­schenkt war, schob ich ihn un­ter ihre Na­sen und for­der­te sie auf, tief ein­zu­atmen. Ich wuss­te, dass sie ihn nicht wür­den trin­ken wol­len. Sie schnüf­fel­ten und nick­ten, als ich sie frag­te, ob sie das mal­ zige Aro­ma rie­chen könn­ten. Mei­ner Mei­nung nach, füg­te ich hin­zu, ist Irish Break­fast im­mer noch der bes­te Tee, um den Tag zu be­gin­nen. Wenn man ge­ra­de kei­nen im Haus hat, tut es auch eine As­sam-Sor­ te. Billy-Tee­beu­tel könnt ihr al­ler­dings ver­ges­sen, die sind heut­zu­ta­ge bei Wei­tem nicht mehr so gut wie frü­her. Dann schüt­te­te ich al­les weg und be­gann von vor­n, da­mit sie es sich auch be­stimmt merk­ten. Sie schlürf­ten ih­ren Ka­kao und sa­hen mir zu, bis ihre Auf­merk­sam­keit nach­ließ und sie mit ih­ren Hüh­nern wie­der ins Bett gin­gen. Mitt­ler­wei­le kon­zent­rier­te ich mich nur noch auf klei­ne, aber wich­ti­ge Din­ge, und mei­ne Töch­ter lie­ßen mich ge­wäh­ ren. Noch vor ei­nem Jahr hät­ten sie auf­be­gehrt und sich ge­ wehrt. Sich ge­wei­gert, den Sinn und Zweck des Tee­ko­chens zu se­hen, wo doch so­wie­so nur ur­al­te Leu­te Tee tran­ken. In­zwi­ schen wa­ren sie to­le­ran­ter ge­gen­ü­ber mei­nen ex­zentri­schen For­de­run­gen. Manch­mal mus­ter­ten sie mich stirn­runzelnd, als frag­ten sie sich, ob das wirk­lich ich war, die ih­nen die­se nächt­li­chen Lek­ti­o­nen er­teil­te. Aber we­nigs­tens habe ich mei­ nen Töch­tern bei­ge­bracht, wie man eine per­fek­te Tas­se Tee zu­be­rei­tet, dach­te ich. Sonst wür­den sie womöglich durchs

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Le­ben ge­hen und den­ken, Tee käme nun­mehr aus­schließ­lich aus Tee­beu­teln. Al­ler­dings konn­te ich mir sel­bst nicht wirk­ lich er­klä­ren, wa­rum ich das für schlecht hielt. Wie­der al­lei­n in der Kü­che, hob ich die Tas­se an die Lip­pen, aber der per­fek­te Tee war in­zwi­schen bit­ter ge­wor­den, und mei­ne Keh­le zog sich zu­sam­men. Ich ging wie­der ins Bett, wo Arc­hie ge­ra­de wach wur­de.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Debra Adelaide Das Beste am Leben Roman DEUTSCHE ERSTAUSGABE Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten, 13,5 x 21,5 cm

ISBN: 978-3-7645-0321-5 Blanvalet Erscheinungstermin: Januar 2009

Eine Liebeserklärung an das Leben – Abschiednehmen heißt: das Leben bis zum letzten Atemzug zu lieben! Wie gehe ich mit der Gewissheit um, dass ich in wenigen Monaten nicht mehr für meine Familie sorgen kann? Delia, Anfang vierzig, Gattin eines liebevollen Ehemanns und Mutter zweier bezaubernder kleiner Töchter, mit leichtem Hang zum Über-Organisieren, beschließt die Diagnose »Krebs, nicht mehr therapiefähig« auf ihre ganz eigene Weise anzugehen: professionell sozusagen – denn Delia ist die wortwitzige Verfasserin sagenhaft erfolgreicher Haushaltsratgeber. Sie schreibt eine »Anleitung zum richtigen Sterben «, denn mehr als alles andere liegt es Delia am Herzen, ihre Familie auf die Zeit vorzubereiten, wenn sie nicht mehr für sie da sein wird. Von der Frage, wie man das perfekte Frühstücksei kocht, bis zum Geheimrezept für die Hochzeitstorte ihrer Tochter (gerade mal acht geworden). Doch Delia weiß, dass es da auch noch eine letzte Sache gibt, die sie nicht vom Schreibtisch aus erledigen kann. Sie muss sich aufmachen, die losen Enden ihres Lebens zu verknüpfen, und sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen …