Debra Adelaide Das Beste am Leben
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Debra Adelaide
Das Beste am Leben Roman
Deutsch von Theda Krohm-Linke
Ihr persönliches, unverkäufliches Leseexemplar Missbrauch wird rechtlich verfolgt Gebunden ca. € 19,95 Erstverkaufstag: 26. 01. 2009 Wir bitten Sie, Rezensionen nicht vor dem Erstverkaufstag zu veröffentlichen. Ausstattung und Papier entsprechen nicht der Verkaufsauflage.
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Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »The Household Guide to Dying« bei Picador Australia, Sydney.
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100 Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier Super Snowbright liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.
1. Auflage Copyright © der Originalausgabe 2007 by Debra Adelaide Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Gemany ISBN 978-3-7645-0321-5 www.blanvalet.de
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Mit der Liebe der Erinnerung Adam Wilton und Alison McCallum gewidmet
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Tod, du bist erfolgreicher als Amerika, und wir erliegen dir, auch wenn wir es nicht wollen. John Forbes, Death, an Ode
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1. Kapitel
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n diesem Morgen ging ich zuerst zu den Hühnern. Ar chie hatte ihnen schon die Küchenabfälle gegeben, des halb lehnte ich mich über den Zaun und warf ihnen nur noch eine Handvoll Trockenfutter speziell für Legehennen hin. Wie immer pickten sie und kabbelten sie sich, als hätten sie noch nie zuvor Futter bekommen und würden auch für den Rest ihres Lebens nicht mehr gefüttert werden. Dann öffnete ich das Tor und ging zu den Legeboxen hinüber. Drei saubere Eier lagen da: zwei braune, ein weißes. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hätte ich genau sagen können, wel ches Huhn welches Ei gelegt hatte. Doch inzwischen konnte ich mich manchmal nicht einmal mehr an ihre Namen erin nern. Vorsichtig nahm ich die Eier heraus. Eines war noch warm. Und ganz plötzlich – ist Berührung nicht etwas Au ßergewöhnliches? – fiel mir wieder ein, dass die teefarbenen Eier von den braunen Hühnern waren und dass die Henne, die das kleinere weiße Ei gelegt hatte, Jane hieß. Ich hielt Janes Ei einen Moment lang an meine Wange, genoss seine Wärme und seine Vollkommenheit. Kurz frag te ich mich, ob wohl jemals ein Dichter darüber schreiben würde oder ob nur mir diese Erfahrung etwas bedeutete. Diese tröstliche Form, die erstaunliche Frische. Die Vor stellung, dass dieses Ei, so weiß und vollkommen in meiner Handfläche, neues Leben in sich barg und zum Hervorbrin
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gen dieses Lebens von der Welt nichts weiter als Wärme brauchte. Reif sein ist alles. Das hat ein Dichter einmal gesagt. Eliot, glaube ich. Oder Shakespeare. Vielleicht auch beide – ich weiß es nicht mehr. Mit den Eiern in der Tasche ging ich durch den Garten zu rück. Drinnen klingelte schon wieder das Telefon; trotzdem ließ ich mir Zeit. Nach fünfmal Klingeln hörte es auf. Das war in letzter Zeit häufiger passiert. Es hatte geregnet, die Luft war klar und frisch. Ich hör te das Klappern einer Gartenschere. Das war bestimmt Mr Lambert von nebenan, der seinen Rasen stutzte. Weder Tau noch Regen, noch nicht einmal ein Schneesturm – wenn es in diesen Breitengraden so etwas gäbe – hielten Mr Lambert je von seiner Lieblingsbeschäftigung ab, ganz so als könnte er in seinem fortgeschrittenen Alter den Blick nur noch bo denwärts richten. Meinem Blick war Mr Lambert schon seit Jahren ausgewichen, fiel mir auf, und ich fragte mich, ob er wohl die Hoffnung hegte, in die Erde zurückzukehren, jetzt da er pensioniert war und nicht einmal mehr seine Enkelkin der zu Besuch kamen. Aber war das nicht vielmehr ein Blick in meine eigene Zukunft? Habe ich Zukunft gesagt? Ich wünschte mir wirklich, es gäbe ein passendes Wort dafür, denn Ironie wird dem Ganzen nicht einmal annähernd gerecht. Ich hatte entdeckt, dass Eliot völ lig richtiglag mit dem grausamsten Monat – nur war es für mich hier in Australien nicht der April, sondern der Oktober. Der Frühling verspottete mich geradezu mit seinen pracht vollen Hinweisen darauf, dass der Sommer bevorstand. Die Glyzinie draußen vor meinem Fenster hatte eine gar großar
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tige Schweinerei auf der Veranda angerichtet. Die ganze Ein fahrt war übersät mit papiernen Blüten. Sie klebten auf mei nem Auto wie Konfetti. Wenn ich an diesem Morgen damit hätte fahren müssen, wäre es fast schon ärgerlich gewesen, aber so konnte ich bewundern, wie die Blüten sich über der Windschutzscheibe verteilten. Das schäbige, alte Auto war strahlend aufgeputzt wie eine Braut. Und jetzt da die Sonne schien und der Wind warm war, konnte ich sogar die Glyzi nie riechen. Oder vielleicht war es auch der Jasmin, der am Vorderzaun wuchs, wohin ich von hier aus aber nicht sehen konnte. Mein Geruchssinn ließ langsam nach. Was hatte es nur mit diesen dunkelblauen und violetten Blumen auf sich? Ich erinnerte mich daran, dass auch Eliot (mein Highschool-Lehrer hatte immer mit großem Respekt von ihm gesprochen) eine Vorliebe für sie gehabt hatte – für Flieder und Hyazinthen, um genau zu sein. Bei mir war es immer die Glyzinie gewesen – und jetzt Iris. Archie hatte sie vor Jahren in einen alten Betonzuber gepflanzt, den er zu einem Teich umfunktioniert hatte, und mit den Jahren war sie immer üppiger geworden. Ich hatte sie in den letzten ein, zwei Wochen wieder und wieder betrachtet: die prächtigen, langen Speerblätter. Das sanfte Anschwellen der Knospen an den Stängeln. Als ich vom Hühnerstall zurückkam, stellte ich fest, dass die erste Blüte aufgegangen war. Der Stängel war umgeknickt – vielleicht war der Regen doch stärker gewesen als gedacht –, aber die Blüte selbst war unbeschädigt. Ich schnitt sie ab und stellte sie in eine Vase ans Küchenfenster. Sie war auf eine offen genitale Weise wunderschön. Dunkel violett mit einem gelben Streifen in jedem Blütenblatt. Und sie duftete nicht. Ich glaube, von Fliederduft würde mir mitt lerweile übel werden.
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Ich habe immer gedacht, dieser sanfte Übergang zwischen Winter und Sommer könnte gar nicht grausam sein. Aber nun sprang mich die Grausamkeit ebenso an wie die Dich ter, die auf der anderen Erdhalbkugel gelebt hatten. Frühling war für mich immer eine Zeit der Hoffnung gewesen. Vol ler inspirierender Lieder und erregender Handlungen. Voller Möglichkeiten, Erwartungen und Pläne. In der stillen Akzep tanz, dass der kapriziöse Herbst den erneuten Jahreszeitenrei gen eingeläutet hatte, tauchten die Menschen aus dem Winter auf und wussten, dass der Sommer nicht mehr weit war, wenn das Frühjahr erst einmal begonnen hatte. Jedes Frühjahr fin det in unserer Gemeinde ein Picknick im nahe gelegenen Park statt. Kindergeburtstage werden draußen gefeiert. Frühling ist die Zeit der Taten, des Saubermachens, der Revolution. Revolution. Ich denke jetzt viel über die präzise Bedeutung von Worten nach. Und darüber, wie sie klangen. Revolution klang für mich irgendwie nach Revulsion. Abscheu. Ableh nung. Heute früh hatte ich es noch nicht einmal über mich gebracht zu frühstücken. (Mein Frühstück bestand ohnehin nur aus einer halben Scheibe Toast ohne Butter; es kam gar nicht infrage, dass ich eines der Eier aus meiner Tasche aß.) In einem hatten die Dichter recht: Reif sein ist alles, aber ich würde Mister T. S. Eliot wenigstens gerne sagen, dass sein Frühling im Vergleich zu meinem auf ziemlich lasche Art grausam war. Geradezu lächerlich grausam. Grausamer als dies hier ging es nicht: die Jahreszeit der Erwartung, der Hoffnung, des Wachstums; die Jahreszeit der Zukunft, ob wohl es keine mehr gab. Er hatte wenigstens seine Handvoll Steine gehabt und seinen trockenen Staub, über die er sich freuen konnte. Frühling bedeutete jetzt Krise und Verfall. Es war Frühling
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gewesen, als ich mich der ersten Operation unterzogen hatte. Danach war mir gerade noch so viel Zeit geblieben, dass ich am Ende des Jahres meinen Weihnachtspflichten nachkom men konnte, statt im Bett dahinzusiechen, wie ich es lieber getan hätte. Und es war wieder Frühling gewesen, als ich entdeckte, dass die Operation den Krebs nicht aufgehalten hatte. Die Entfernung von weiteren Körperteilen und die in tensive Chemotherapie waren für mich weitere sechs Monate lang Scylla und Charybdis gewesen. Eigentlich wäre ich de rer angesichts lieber zurückgerudert und hätte aufgesteckt, aber Archie hatte mich gebeten, es weiter zu versuchen, mei ne Mutter hatte mich überredet, und meine beiden kleinen Töchter hatten wie lebende Vorwürfe vor mir gestanden. Also machte ich eben weiter. Und nachdem ich brustlos, le berlos, bis auf die Knochen abgemagert oder grotesk aufge schwemmt war, erwartete ich zumindest eine faire Chance. Und bis zur letzten Operation, als mein Körper zerschnitten, zersägt und aufgebrochen wurde (der Kopf dieses Mal), hatte ich mir sogar einen Funken Hoffnung bewahrt. Nur, jetzt war die grausamste Jahreszeit angebrochen, und ich war mir nicht mehr so sicher. Irgendetwas im Wind bedeutete mir, dass dies der letzte Frühling sein würde.
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2. Kapitel
Liebe Delia, können Sie einen Streit zwischen meiner Freundin und mir schlichten? (Wir spielen zusammen Golf.) Sie behauptet, man sollte nur mit einem Einkaufszettel einkaufen gehen. Ohne Einkaufszettel würde man Zeit verschwenden und mehr Geld ausgeben als nötig. Dabei achte ich beim Ein kaufen immer genau darauf, was ich brauche. Trotzdem stelle ich zu Hause manchmal fest, dass ich die Glühbirnen oder das Reismehl vergessen habe. Aber ihr passiert das auch. PS: Wir sind beide fünfundsechzig Jahre alt. Liebe Golferin, die unvergleichliche Mrs Isabella Beeton bestand darauf, dass die effiziente Hausfrau ihre Einkäufe nie ohne Ein kaufsliste tätigt. Angeblich verhindert eine Liste Impuls käufe und dass gewissenlose Verkäufer dem Kunden unerwünschte Waren aufzwingen. Aber das Leben ist kurz, und auch Spontaneität hat ihre guten Seiten. Zwar mögen Sie manchmal die Glühbirnen vergessen, aber dafür kaufen Sie bestimmt dunkle TimTams, wenn sie im Angebot sind, oder Fischkonserven, obwohl die in Ihrer Speisekammer bereits stapelweise liegen. Aber ich wette, Ihre Freundin macht das trotz Einkaufszettel ebenso.
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PS: Mrs Beeton ist mit achtundzwanzig Jahren gestor ben. Daran sollte Ihre Freundin mal denken, wenn sie das nächste Mal ihren Einkaufszettel schreibt.
In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde aus der Haushaltsführung fast schon eine Wissenschaft. Nicht dass ich in der Schule dieses Fach jemals belegt hätte; ich hat te die entsprechenden Inhalte bereits bei meiner Mutter und meiner Großmutter gelernt, und sie beide hatten an die Nach haltigkeit des alltäglichen häuslichen Trainings geglaubt. Und deshalb hatte meine Großmutter, die sich um mich kümmer te, als ich noch nicht zur Schule ging, mich lediglich in die richtige Richtung geschubst, und ich hatte begonnen, mit ihr zusammen zu schrubben, zu wischen, zu putzen und zu wienern. Als ich ein bisschen älter wurde, übernahm meine Mutter, Jean, das Ruder. Ihre Spezialität war das Kochen. Ohne dass es mir wie Unterricht vorkam, lernte ich schlagen, einrühren und dünsten (später braten). Jeans theoretischer Ansatz war, dass ich mir einfach alles abschauen, dass ich als weibliches Wesen all das sozusagen durch Osmose verinner lichen würde. Eine lächerliche Vorstellung, denken Sie jetzt vielleicht, aber es muss etwas dran gewesen sein an dieser Osmose-Theorie, denn ich lernte alles, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich konnte nähen, kochen, sauber machen und stricken. Als ich auf die Highschool kam und einen Kochkurs belegen musste, stellte ich fest, dass es für mich nichts mehr zu entdecken gab. Ein Fach wie Haushaltslehre kam mir so elementar vor, wie den Bus zu nehmen oder einen Brief auf zugeben. Tat das nicht jeder quasi intuitiv? Außerdem war ich in einem Alter, in dem ich Filme, Bücher und Musik interes
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santer fand und nicht viel Sinn in Mrs Lords strenger Küche oder Miss Grovers Handarbeitsunterricht sah. Dreißig Jahre später war es an der Zeit umzudenken. Wir Frauen zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wuss ten, dass wir irgendwo zwischen häuslicher Freiheit und Skla verei angesiedelt waren. Das Heim stand vor seiner Neudefi nition, das erklärten selbst die Theoretiker. Engel waren out, sie waren schon vor Jahren vertrieben worden. Jetzt konnte man eine Göttin sein, eine bildschöne Produzentin aufwen diger Mahlzeiten in prachtvollen Küchentempeln. Oder die häusliche Hure, die kühn Fertigrisotto und unnatürlich große Austern servierte und das Saubermachen anderen überließ. Ob nun Göttin oder Hure – beides war akzeptabel. Für Isabella Beeton hingegen war es bei häuslichem Ma nagement noch um martialische Disziplin und politische Stra tegien gegangen. Die Hausherrin war Kommandantin einer Armee und Leiterin eines Unternehmens zugleich. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert war Hausarbeit eine ökonomische Angelegenheit. Die Hausfrau war Dreh- und Angelpunkt ei ner autonomen unternehmerischen Einheit. Dann erst wurde es zur Wissenschaft, und alles, was im Haus passierte, lief in linearen Prozessen nach unbestechlicher Logik ab. Muffins zu backen, entsprach in etwa dem Destillieren eines chemi schen Gemischs. Wenn man Kindern nur das richtige Maß an Zuneigung und Strafe zukommen ließ, gediehen sie so erfolg reich wie ein Blech voller Scones, die bei 170 Grad fünfzehn Minuten lang im Ofen bleiben mussten. Allerdings bedeutete häusliche Wissenschaft noch lange nicht, dass die Hausfrau auch eine Wissenschaftlerin war. Dazu war sie immer noch viel zu sehr in der häuslichen Hierarchie verwurzelt. Doch auch dieser Zustand fand ein Ende, und Haus
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und Heim wurden zum schieren Tummelplatz für Theore tiker. Ebenso wie alles andere auch – vom Surfen bis hin zu Schlamm-Catchen – wurde selbst die Hausarbeit Objekt unterschiedlichster Theorien. Ich weiß zwar nicht, wie das entsprechende Fach in weiterführenden Schulen inzwischen heißt, aber ich wette, dass das Wort Haus darin nicht mehr vorkommt. Und zweifellos gibt es neuerdings Forschungs projekte und sogar Dissertationen über das Heim als Le bensraum und Abhandlungen über das Staubsaugen und die Multimodalität der Küchenmaschine. Obwohl … vielleicht auch nicht. Ist ja schließlich Frauen arbeit. Eines Morgens betrachtete ich nachdenklich eine Liste, die auf der Theke in der Küche gelegen hatte. Ich war immer noch zeitweilig ans Bett gefesselt – dasselbe Bett, das ich zwölf Jahre lang mit meinem Mann geteilt und in dem ich den zärtlichsten und erregendsten Sex meines Lebens gehabt hat te, wenn auch nicht annähernd genug, wie ich jetzt feststellte. In dem ich zwei Kinder empfangen und eines davon sogar geboren hatte. (Die andere wäre zwar auch fast dort zur Welt gekommen, hatte dann aber doch stur darauf bestanden, das Licht der Welt im Krankenhaus zu erblicken.) In dem ich unzählige Bücher gelesen hatte, viele davon exzellent, einige trivial, aber herzzerreißend. In dem ich jeden Sonntagmorgen zahllose Tassen Tee getrunken hatte, während ich mit einer Mischung aus Zynismus und Entzücken die Boulevardpresse durchblätterte. In dem ich mir über alles Mögliche Notizen gemacht und auch Listen geschrieben hatte. Listen waren eigentlich nie ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens gewesen, und sie waren es auch jetzt nicht.
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Nichts würde sich ändern, wenn ich nie wieder eine Liste schriebe, und ich vermutete, dass ich auch ohne sie Dinge bewerkstelligt bekäme. Aber die Liste, die ich an diesem Mor gen in der Hand hielt, die ich spät in der Nacht zuvor noch verfasst hatte, war nicht für mich bestimmt gewesen. Waschmaschine anstellen Hühner füttern Fische/Mäuse füttern (Futter steht am Teich bzw. Käfig) Mädchen wecken Pausenbrote schmieren (keine Erdnussbutter für E) Frühstück für die Mädchen (D keine Ovo aufs Müsli!!!) E an Hausaufgabenheft erinnern D muss Bücher in die Bücherei zurückbringen! Wäsche aufhängen Geschirrspülmaschine leer räumen/einräumen Mädchen müssen 30 min früher zur Schule (Chorprobe) und duschen (wenn mögl.) Kaffee kochen, trinken, solange er heiß ist ;-) Ich schrieb solche Listen erst seit etwa einem Jahr – seit mir klar geworden war, dass ich bestimmte Aufgaben delegieren musste, so lange bis die Dinge geklärt waren. Diesen Aus druck hatten wir gewählt, um eine Zukunft zu beschreiben, die uns wie ein Krokodilrachen angähnte: tief und erschre ckend. Sie zusammenzustellen, fiel mir schwer, weil Dinge da raufstanden, die ich jahrelang vollkommen intuitiv getan hat te. Was sollte ich unbedingt mit aufnehmen, was weglassen? Diese Liste hatte ich spät nachts strategisch günstig un
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ter die Pfeffermühle platziert. Als die Mädchen am nächsten Morgen hereingekommen waren, um mir einen Abschieds kuss zu geben, war ich zu erschöpft gewesen, um sagen zu können, ob ihre Haare richtig zusammengebunden und ihre Zähne geputzt waren. Ich murmelte Auf Wiedersehen und hob den Kopf, um mit den Lippen ihre Wangen zu streifen. Als ich später aufstand, lag eine Feder auf dem Blatt, eine dunkelbraune. Ich ging allerdings nicht davon aus, dass sie die Hühner mit in die Schule genommen hatten. Als ich mir die Liste noch einmal durchlas, dachte ich da rüber nach, wie Archie sich heute früh gefühlt haben mochte: War er beleidigt gewesen oder nachdenklich, verletzt oder dankbar? Ich fragte mich, ob ich darauf hätte bestehen sollen, dass die Mädchen ihre Schulun iformen anzogen oder dass er an ihre Mützen dachte. Warum fand ich das alles nur so wichtig? Ich warf die Liste in den Papierkorb. Archie hatte sie wahrscheinlich ohnehin nicht zur Kenntnis genommen. Im Allgemeinen wache ich früh auf, noch bevor es richtig hell wird. An solchen Tagen mache ich mir eine kleine Kanne Tee und gehe mit der Tasse in der Hand in den Garten. Ich setze mich in den Korbsessel unter die Strahlenaralie, trinke meinen Tee und höre dem Glucken der Hühner zu. Dieses Glucken habe ich immer schon als ungeheuer angenehm emp funden. Eines Tages, als es langsam heller wurde, pickten und gackerten die fünf sich ihren Weg aus dem Schuppen. Lizzie – Elizabeth –, das kleinste und schönste Huhn, war als Erste, als Vorhut sozusagen, draußen an der Sonne. Sie ist eine Light Sussex, deren schwarze Federn wie ein Spitzenschal über ih rem weißen Federkleid liegen, und wenn sie den anderen be fiehlt, den Stall zu verlassen, hat sie etwas Herrisches an sich. Als Letzte tauchte Kitty auf, dunkelbraun, fast schwarz an
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den Flügelspitzen. Soweit ich wusste, begrüßte Kitty den Tag stets auf die gleiche Weise: eine Pause an der Stalltür, Kratzen, ein rasches Ausstrecken eines Fußes oder auch des zweiten, einen Schritt zurück an die Tür, wieder ein paar Schritte vor, einen weiteren Rückzug, bevor sie schließlich auf das Fut tertablett auf der anderen Seite des Auslaufs zumarschierte. Auf halbem Weg dorthin wurde sie von Lizzie zurückgepickt, woraufhin das Ritual von vorn begann, bis schließlich eine von beiden einlenkte. Kitty hatte ich als Letzte gekauft, und obwohl sie nicht die Jüngste war, bestand das Geflügelproto koll wohl auf der Einhaltung dieser Rangordnung. Ich dachte daran, dass ich in einem anderen Leben wohl gerne Hühner erforscht hätte. Als ich an jenem Morgen dort saß und den letzten Schluck Tee über den Zaun schüttete (die Hühner kamen sofort angerannt; wie unverbesserlich neu gierig sie doch waren), wurde mir klar, wie wenig ich über sie wusste, obwohl sie schon einige Jahre lang zu unserem Haushalt zählten. Das Problem war, dass sie so einfach und gefügig waren und so wenig Pflege erforderten. Ich hatte, das sah ich jetzt, vieles für zu selbstverständlich gehalten. Be stimmte Aspekte würde ich wohl nie verstehen. Warum zum Beispiel legte Jane, eine Australorp mit prachtvollem schwar zem Gefieder, das in der Sonne glänzte und grün schimmerte, weiße Eier? Warum ließen sie sich zunehmend widerstrebend und ungern einfangen und anfassen, wo ich doch die meis ten von ihnen von Kükenbeinen an aufgezogen hatte? Frü her hatte Kitty zufrieden bei Daisy im Bett gekuschelt, sich aber immer nach fünf Minuten freigestrampelt. Ich merkte, dass sie nachts lieber auf der Hühnerstange saß, und musste Daisy irgendwann überreden, sie zu den anderen zurückzu bringen, und danach wurde Kitty krankhaft scheu. (Und wie
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es bei Kindern so ist, ließ Daisys heftiges Verlangen, mit dem Huhn im Arm zu schlafen, bald nach, und irgendeine andere tierische Vorliebe stellte sich ein. Zuerst Goldfische, und als sie schließlich akzeptierte, dass die sich nicht zum Kuscheln eigneten, die Mäuse: India, Africa und China. Vor ein paar Monaten hatte Daisy mir mit Nachdruck erklärt, dass ent weder sie oder China sterben würde, wenn sie die Maus nicht jeden Tag in der Tasche mit zur Schule nehmen dürfe.) Ich schmeckte die winzigsten Atome des Lebens in diesen wenigen ruhigen Minuten. Ich trank Tee und wartete bei den Hühnern, bis der Rest der Welt erwachte. Ich bot ihnen noch eine Handvoll Trockenfutter an. Kitty kam zum Zaun und pickte mir aus der Hand. Das sanfte Stoßen ihres Schnabels in meiner Handfläche. Das zufriedene Glucksen. Lizzie kam angeschossen und schubste sie beiseite. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, die Kleinste meiner Hühnerschar zu beschützen. Ich betrat den Stall. Trotz des Staubs, des stechenden Geruchs von Hühnerkot, der Überreste von Kno chen und Schalen und allem, was sie in ihrem endlos rastlo sen Scharren nach Leckereien zutage gefördert hatten, waren der Stall und der Freilauf ein angenehmer Ort. Dort erlebte ich zärtliche Momente, die ich nirgendwo anders fand. Die Lichtbänder, in denen goldener Staub wirbelte. Die Federn, die auf und nieder schwebten. Das Glucken, das zufrieden und ängstlich zugleich klang. Und über allem die erwartungs volle Stimmung, die jede einzelne Henne ausstrahlte, ganz gleich wie dumm sie war. Der reine Optimismus, der sie Tag für Tag ein Ei legen ließ, obwohl dieses Ei ihr Tag für Tag weggenommen wurde. Manche mögen das für blöd halten – ich fand es fast unerträglich großzügig. Eine Legehenne be sitzt so viel Integrität, so viel Hingabe und Konzentration auf
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ihr Leben. Und dann das Ei selbst, das manchmal im Dreck liegt, manchmal mit Hühnerkot verkrustet ist, manchmal so sauber und makellos wie ein frisches Stück Seife. Aber im Innern ist es mehr als vollständig. Es ist bis zum Rand gefüllt mit Möglichkeiten. An jenem Morgen dachte ich, dass ich öfter die Gelegenheit hätte wahrnehmen und dieser Ecke des Gartens mehr Beach tung hätte schenken sollen, diesem gewöhnlichen Aspekt des Gartenlebens. Doch dafür war es jetzt zu spät. Zu früh hingegen war es, Estelle und Daisy zu wecken. Dennoch zog mich ihr Schlafzimmer magisch an. Im Schlaf wirkten ihre Körper viel weicher und zarter, als wenn sie wach waren. Ein oder zwei Minuten lang sog ich ihre Un schuld und Reinheit in mich auf. Dann setzte ich die Hühner vorsichtig neben sie. Estelle legte automatisch ihren Arm um Lizzie, und Daisy setzte sich abrupt auf, als sie Kittys warmes Kitzeln an ihrer Wange spürte. Was ist los?, fragte sie. Es war erst kurz nach sechs, aber meine Töchter würden noch viel Schlimmeres bewältigen müssen, als früh geweckt zu werden. Ich muss euch etwas Wichtiges zeigen, sagte ich. Sie drückten ihre Hühner an sich und folgten mir in die Küche, wo ich ihnen einen Kakao machte und sie auf ihre Hocker einander gegenüber an die Küchentheke setzte. Die Hühner blieben brav auf ihrem Schoß hocken und gluckten leise. Ich setzte den Wasserkessel auf, nahm die Teedose vom Regal und legte los. Es wird sich euch nicht einfach so nebenbei erschließen, perfekten Tee zu kochen, sagte ich. Mrs Beeton behauptet zwar, dass es nicht besonders schwierig sei, guten Tee zu
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zubereiten. Wenn das Wasser kocht und man an duftenden Blättern nicht spart, wird das Getränk beinahe zwangsläufig gelingen. Wer ist Mrs Beeton?, fragte Daisy. Egal, sagte Estelle, die spürte, wie bedeutend dieser Mo ment war. Während ich den Tee zubereitete, erklärte ich ihnen den gesamten Vorgang, auf das einundzwanzigste Jahrhundert zugeschnitten, wobei ich auch die lokalen Rahmenbedingun gen berücksichtigte. Ich verwendete die kleine braune Kan ne, die perfekt für zwei Tassen Irish Breakfast Tea war, und die weißen Tassen. Ich erläuterte ihnen, dass sie eines Tages womöglich damit konfrontiert würden, ob man die Kanne anwärmen, die Milch zuerst oder später hineingeben und ob man eine Metall- oder eine Porzellankanne benutzen sollte, was die Puristen in Lager Swift’scher Ausmaße spaltete. Swift’scher? Was bedeutet das?, fragte Estelle. Jonathan Swift hat Gullivers Reisen geschrieben, weißt du noch? Sie nickte. Wir hatten das Buch vor zwei Jahren, als sie neun war, zusammen gelesen. Er hat über Leute mit hohen und mit niedrigen Absätzen geschrieben, sagte ich. Und das hatte damit zu tun, an wel chem Ende man sein gekochtes Ei aufschlägt. Oder irgend etwas in der Art. Macht euch darüber jetzt keine Gedanken. Mit Eiern beschäftigen wir uns später. Die Kanne müssten sie nur an einem wirklich eiskalten Tag anwärmen, fuhr ich fort. Das stellte kein echtes Prob lem dar, vor allem nicht angesichts der globalen Erwärmung. Auch könnten sie die Faustregel vergessen, dass man einen Teelöffel pro Person und noch einen für die Kanne hinein
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geben sollte. Es hing vielmehr alles davon ab, wie stark man seinen Tee mochte, und wie sie ja wussten, hatte ich meinen zufällig gerne ziemlich schwach (sie nickten, ja, das wussten sie), wohingegen andere, vor allem diejenigen, die Tee mit Milch tranken (Jean, ihre Großmutter, zum Beispiel), ihn lie ber stark mochten. Als der Tee fertig und in die Tassen eingeschenkt war, schob ich ihn unter ihre Nasen und forderte sie auf, tief einzuatmen. Ich wusste, dass sie ihn nicht würden trinken wollen. Sie schnüffelten und nickten, als ich sie fragte, ob sie das mal zige Aroma riechen könnten. Meiner Meinung nach, fügte ich hinzu, ist Irish Breakfast immer noch der beste Tee, um den Tag zu beginnen. Wenn man gerade keinen im Haus hat, tut es auch eine Assam-Sor te. Billy-Teebeutel könnt ihr allerdings vergessen, die sind heutzutage bei Weitem nicht mehr so gut wie früher. Dann schüttete ich alles weg und begann von vorn, damit sie es sich auch bestimmt merkten. Sie schlürften ihren Kakao und sahen mir zu, bis ihre Aufmerksamkeit nachließ und sie mit ihren Hühnern wieder ins Bett gingen. Mittlerweile konzentrierte ich mich nur noch auf kleine, aber wichtige Dinge, und meine Töchter ließen mich gewäh ren. Noch vor einem Jahr hätten sie aufbegehrt und sich ge wehrt. Sich geweigert, den Sinn und Zweck des Teekochens zu sehen, wo doch sowieso nur uralte Leute Tee tranken. Inzwi schen waren sie toleranter gegenüber meinen exzentrischen Forderungen. Manchmal musterten sie mich stirnrunzelnd, als fragten sie sich, ob das wirklich ich war, die ihnen diese nächtlichen Lektionen erteilte. Aber wenigstens habe ich mei nen Töchtern beigebracht, wie man eine perfekte Tasse Tee zubereitet, dachte ich. Sonst würden sie womöglich durchs
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Leben gehen und denken, Tee käme nunmehr ausschließlich aus Teebeuteln. Allerdings konnte ich mir selbst nicht wirk lich erklären, warum ich das für schlecht hielt. Wieder allein in der Küche, hob ich die Tasse an die Lippen, aber der perfekte Tee war inzwischen bitter geworden, und meine Kehle zog sich zusammen. Ich ging wieder ins Bett, wo Archie gerade wach wurde.
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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Debra Adelaide Das Beste am Leben Roman DEUTSCHE ERSTAUSGABE Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-7645-0321-5 Blanvalet Erscheinungstermin: Januar 2009
Eine Liebeserklärung an das Leben – Abschiednehmen heißt: das Leben bis zum letzten Atemzug zu lieben! Wie gehe ich mit der Gewissheit um, dass ich in wenigen Monaten nicht mehr für meine Familie sorgen kann? Delia, Anfang vierzig, Gattin eines liebevollen Ehemanns und Mutter zweier bezaubernder kleiner Töchter, mit leichtem Hang zum Über-Organisieren, beschließt die Diagnose »Krebs, nicht mehr therapiefähig« auf ihre ganz eigene Weise anzugehen: professionell sozusagen – denn Delia ist die wortwitzige Verfasserin sagenhaft erfolgreicher Haushaltsratgeber. Sie schreibt eine »Anleitung zum richtigen Sterben «, denn mehr als alles andere liegt es Delia am Herzen, ihre Familie auf die Zeit vorzubereiten, wenn sie nicht mehr für sie da sein wird. Von der Frage, wie man das perfekte Frühstücksei kocht, bis zum Geheimrezept für die Hochzeitstorte ihrer Tochter (gerade mal acht geworden). Doch Delia weiß, dass es da auch noch eine letzte Sache gibt, die sie nicht vom Schreibtisch aus erledigen kann. Sie muss sich aufmachen, die losen Enden ihres Lebens zu verknüpfen, und sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen …