Baldur Wie alles begann

Baldur – Wie alles begann Es war ein regnerischer Novembermorgen und ich spürte die Kälte des herannahenden Winters in meinem Zimmer. Müde von der kur...
Author: Adam Gärtner
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Baldur – Wie alles begann Es war ein regnerischer Novembermorgen und ich spürte die Kälte des herannahenden Winters in meinem Zimmer. Müde von der kurzen Nacht, quälte ich mich aus dem warmen, gemütlichen Bett und trat an das Fenster. Ich bemerkte, dass es einen Spalt offen stand, was die enorme Kälte in meinem Zimmer erklärte. Schlaftrunken schleppte ich mich die alten knirschenden Holztreppen hinunter in die Küche. Kaum dort angekommen sah ich, dass ich wieder einmal der Letzte war, der sich zum Frühstückstisch gesellte. Meine Mutter hatte das Frühstück bereits vorbereitet und saß mit meinem Vater und meinem älteren Bruder Landogar zusammen am großen Holztisch. Ich nahm meinen gewohnten Platz ein, schnitt mir eine Scheibe Brot ab und nahm mir ein saftiges Stück Speck. Als ich genüsslich zu essen begann, blickte mich mein Vater an und sprach:„Baldur, ich hoffe, du bist ausgeschlafen. Heute wartet viel Arbeit auf uns.“ Ich erwiderte:„Vater, du weißt doch, dass Lugh heute Geburtstag hat und ich zusammen mit den anderen nach Constantia reite.“ Er

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murmelte etwas Unverständliches, von wegen „du und deine Freunde“, vor sich hin. Ich schenkte dem aber wenig Beachtung und verschlang mein Frühstück. Ich eilte schnell wieder hoch auf mein Zimmer, um mein Gewand zusammenzusuchen. Hastig schlüpfte ich in meine Leinenhose und zog mir rasch mein Unterhemd an. Anschließend warf ich noch meinen Kittel um und schnappte meinen Umhang. Ich stürmte zurück in die Küche, um meinen Bruder um sein Pferd zu bitten. Dieser willigte ein. Vor der Tür wartete bereits mein bester Freund, Morag, auf mich. Er begrüßte mich und meckerte herum, dass ich schon wieder spät dran sei. Grinsend ging ich zum Stall und sattelte Landogars Pferd. Stürmisch galoppierten wir zum Marktplatz hinab, wo uns unsere beiden anderen Freunde, Branos und Lugh, bereits erwarteten. „Ich hab’s dir doch gesagt, Morag. Er hat’ mal wieder verpennt“, schallte es über den Platz, als wir angeritten kamen. Die Leute am Markt drehten sich alle nach Lugh um, der mit einem Stück Holz schnitzend, gelangweilt am Brunnen saß. Dass Lugh am Marktplatz herumschrie und mit seiner Stimme sogar die Händler übertönte, war keine Seltenheit, da er ein ziemlich loses Mundwerk hatte. Morag und ich stiegen ab, banden unsere Pferde an der großen alten Eiche in der Mitte des Platzes fest und gesellten uns zu unseren beiden Freunden am Brunnen. Branos, der immer alles im Vorhinein wissen wollte, begann, unseren Tag zu planen: „Jetzt reiten wir erst’mal nach Constantia und werden kräftig reinhauen.“ „Du und dein Reinhauen, Branos, immer nur Essen im Kopf. Lass uns erst ’mal eine Runde hier am Marktplatz drehen“, sagte ich. Die anderen stimmten mir zu und wir begannen unseren Rundgang. Auf den Ständen gab es großteils Fisch, ein wenig Fleisch und auch der alte Schmied bot seine Werkzeuge und Waffen an seinem kleinen Marktstand in der Ecke feil. Morag drängte sich zu den Schwertern durch und betrachtete die edlen Klingen mit großer Bewunderung. Lugh nahm eines in die Hand und fuchtelte wild damit herum. Morag griff ebenfalls zu und begann grinsend ein Duell. „Auf Leben und Tod“, rief ich den beiden lachend zu. Wieder blickte der gesamte Marktplatz nur auf uns. Branos nutzte die Gelegenheit und ließ ein paar Würste vom Fleischstand nebenan verschwinden. „He! Was soll das, ihr Bengel“, schrie der alte Schmied uns an. „Legt die Schwerter wieder zurück, das ist kein Spielzeug für euch!“ Wir ergriffen schlagartig die Flucht. Blitzschnell banden wir unsere Pferde los und ritten, wie die Wilden, in Richtung Constantia. Wir galoppierten bis auf den Hügel vor unserem Dorf, als plötzlich Branos rief, dass wir anhalten sollten. Er griff in seine Tasche und sagte: „Seht ’mal, was ich hier habe“, zog ein paar Würste heraus und fuchtelte mit diesen herum. Wir brachen sofort in heiteres Gelächter Markus Mayer & Wolfgang Beck

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aus. Er warf jedem von uns ein Paar zu und sprang von seinem Pferd. Gemütlich setzen wir uns ins Gras, um unsere Beute zu verspeisen. Auf dem Hügel hatten wir eine wunderschöne Aussicht auf das Meer und unseren kleinen Küstenort Aletum. Nach einer Weile beschlossen wir, unseren Weg fortzusetzen. Um die Mittagszeit erblickten wir endlich die Mauern der Garnisonsstadt Constantia. Als wir durch das große, hölzerne Eingangstor ritten, bemerkten wir, dass an diesem Tag erstaunlich wenig Soldaten in der Stadt waren. Wir ritten die Hauptstraße entlang und blieben wie gewohnt stehen, denn vor uns befand sich ein steinernes Gebäude mit der Aufschrift „Zum wilden Henker“. Wir betraten unser Stammlokal und begrüßten die Wirtin mit einem lauten „Schenk schon mal Bier ein, Siné.“ Normalerweise war es schwer, einen Platz im Lokal zu ergattern, da immer alles voll mit Soldaten war. Doch heute saßen nur einige wenige auf den Holzbänken des „Wilden Henkers“. Und auch am Tresen war nichts los, nur die üblichen Saufbolde. Wir setzten uns an einen Platz in der Nähe des Kamins. Nach einiger Zeit wackelte Siné mit vier vollen Krügen Bier an unseren Tisch. Sie war auch nicht mehr die Jüngste. Dreißig Jahre harte Arbeit im „Wilden Henker“ hatten ihre Spuren hinterlassen. Jeder von uns schnappte sich sofort ein Bier und es wurde laut gelacht, der Geburtstag unseres Freundes besungen und kräftig angestoßen. Das Bier schmeckte wieder einmal wunderbar. Es war das Beste weit und breit. Nacheinander flossen die Krüge und die Stimmung wurde ausgelassen. Jetzt ging es wieder mit den Erzählungen los. Das kam immer, wenn alle schon ein bisschen angetrunken waren. Teils erzählten wir alte Geschichten, teils einfach irgendwelche erfundenen, um denjenigen, der sie erzählte, mutig oder einfach nur besser dastehen zu lassen. Die Zeit verging, und wir mussten uns bald auf den Heimweg machen, wenn wir Aletum noch vor Einbrechen der Dunkelheit erreichen wollten. Wir beschlossen, dass dieses Bier das letze für heute sein sollte und machten uns bereit zu gehen. Der Bierpreis war wieder einmal ein bisschen gestiegen, fiel mir auf, aber da es ja ein besonderer Anlass war, war uns das ziemlich egal. Wir machten unsere Pferde los und spazierten langsam die Hauptstraße entlang. Branos, der ein bisschen zu viel erwischt hatte, war heute das Schlusslicht. Es war sehr still, da fast niemand auf den Straßen unterwegs war, und wir gerade auch nicht sprachen. Das war unser Glück, denn nur, weil es so still war, hörte ich diesen leisen dumpfen Schlag. Anfangs dachte ich, dass es nur Einbildung gewesen war, doch als ich mich dann umdrehte, folgte uns Branos Pferd nurmehr alleine. Bevor ich überhaupt noch nachdenken konnte, platze es schon aus mir heraus:„ Wo ist Branos?!“ Die anderen drehten sich um und Markus Mayer & Wolfgang Beck

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bemerkten ebenfalls, dass er nicht mehr da war. Alle waren ratlos und ziemlich aufgebracht, doch dann sah ich in meinen Augenwinkeln diese dunkle Seitengasse, an der wir vor kurzem vorbeigekommen waren. Ich galoppierte schnurstracks in die Gasse hinein, die anderen folgten mir sofort. Da sah ich, wie sich gerade jemand an Branos’s Sachen bereichern wollte, der reglos am Boden lag. Morag, der Stärkste in der Runde, sprang sofort von seinem Pferd und stürmte auf den Mann zu. Ein fester Faustschlag ins Gesicht und der Räuber war bewusstlos. Es war ein lauter „Knacks“ zu hören und aus der Nase des Banditen rann Blut. „Die ist sicher gebrochen“, prahlte Morag. Wir versuchten, Branos beim Aufstehen zu helfen, aber er war ebenfalls bewusstlos. Morag hob ihn auf und wuchtete ihn zurück auf sein Pferd, das er dann neben sich herreiten ließ, um den bewusstlosen Branos immer im Blickfeld zu haben. Wir begannen natürlich gleich über diesen Zwischenfall zu diskutieren, denn einen anderen Gesprächsstoff hatten wir zurzeit nicht. Als wir zirka die Hälfte unseres Weges zurückgelegt hatten, regte sich etwas auf Branos Pferd. Er kam wieder zu sich und seinem schmerzverzerrten Gesicht nach zu urteilen, hatte er gerade mächtige Kopfschmerzen. „Was ist passiert?!“, fragte er sofort, als er sich aufgerichtet hatte. Wir erzählten ihm, was passiert war. In seinen Augen konnte man deutlich den Schock erkennen, doch kurz darauf stand ihm die Erleichterung, dass nicht mehr passiert war, ins Gesicht geschrieben. Branos wirkte nicht lange benommen und fing gleich an zu scherzen. Die Stimmung war wieder rigoros. Doch als wir auf dem Hügel standen, auf dem wir am Morgen unsere geklauten Würste verzehrt hatten, trauten wir alle unseren Augen kaum. Wir waren wie gelähmt und uns stockte der Atem. Über unserem beschaulichen Dorf hingen riesige Rauchschwaden, denn fast ganz Aletum stand in Flammen. „Was zur Hölle ist hier los?!“, platzte es aus Lughs Mund heraus. „Ich habe keine Ahnung! Wir sollten uns aufteilen und nach unseren Familien sehen“, brüllte ich und gab meinem Pferd die Sporen. Schnell wie der Wind stürmten wir alle den Hügel hinunter und splitterten uns auf. Minuten später erreichte ich unser Haus, das zum Glück noch nicht in Flammen stand. Ich stürmte hinein und rannte blindlings meinem Bruder Landogar in die Arme. Er schrie mich an:„Es ist ein Überfall von britischen Freibeutern, ich war am Marktplatz, als der Angriff begann. Vater und Mutter sind gerade dabei, unsere Wertsachen auf den Wagen zu laden und unsere Flucht vorzubereiten.“ „Wo willst du hin?! Um Himmelswillen?“, brüllte ich hysterisch. „Die Eltern sind noch nicht bereit, wir müssen noch etwas Zeit gewinnen.“ Er warf mir ein Schwert entgegen und fragte spöttisch:„Kannst du mit so einem Ding umgehen?“ Ich nickte, griff das Schwert und stürmte mit ihm hinaus in Richtung Hafen. Markus Mayer & Wolfgang Beck

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Es dauerte nicht lange, bis wir das Klirren der Schwerter hören konnten. Wir schossen aus einer schmalen Seitengasse auf den Marktplatz. Das Bild, welches sich mir bot, drehte mir fast den Magen um. Der Platz war übersäht mit leblosen Körpern. Darüber tobte das Gemetzel und ich dachte nur:„Blut, überall Blut“. Landogar stürzte sich sofort in die kämpfende Menge, rammte einem Briten sein Schwert in den Rücken, der sofort zu Boden sackte. Ich sah, wie sich ihm von links ein Angreifer mit erhobener Axt näherte. „Landogar! Links!“, schrie ich, wie ich noch nie zuvor geschrien hatte. Mein Bruder zog blitzschnell das Schwert aus dem Rücken des Briten und in einem Schwung streckte er auch den von der Seite Kommenden nieder. Ich bemerkte, dass die Situation für Landogar immer brenzliger wurde. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, hob mein Schwert und warf mich ins Getümmel. Doch es war zu spät. Ich sah, wie mein Bruder blutüberströmt zu Boden ging. Verzweifelt versuchte ich zu ihm vorzudringen. Doch plötzlich verspürte ich einen kurzen Schlag und alles um mich herum wurde schwarz. „Wach auf Baldur“, hallte es wie von weit her in meinen Ohren. Ein stechender Schmerz zog sich durch meinen ganzen Körper. Es war, als würde in meinem Kopf ein schreckliches Gewitter toben. Ich öffnete langsam meine Augen und erblickte ein mir vertrautes Gesicht. Morag lehnte über mir und sagte zu mir:„Gott sei Dank, du lebst.“ - „Wo bin ich und was ist passiert?“, fragte ich ihn verwirrt. Ich konnte den Hass und das Leid in seinem Gesicht erkennen. Er sah mich mit einem leeren Blick an und begann zu erzählen:„ Alles zerstört, sie haben alle, die nicht tot waren, mitgenommen… ich habe dich heute Morgen am Marktplatz gefunden. Zuerst rechnete ich mit dem Schlimmsten, doch dann konnte ich deinen Herzschlag spüren und trug dich hierher.“ Erst jetzt erkannte ich, wo ich mich befand. Es war die alte abgelegene Hütte an der Steilküste, in der wir als Kinder immer gespielt hatten. Zitternd fragte ich:„Haben es meine Eltern…“, er unterbrach mich mit einem traurigen Kopfschütteln. Blind vor Wut versuchte ich, mich aufzurichten. Doch Morag drückte mich wieder hinunter:„Bleib liegen, es hat keinen Sinn mehr.“ Ich lag eine Weile teilnahmslos da. Morag saß still und nachdenklich am warmen Feuer des Kamins. „Und Lugh und Branos…?“, fragte ich leise. Sein Schweigen verriet mir, dass auch sie es nicht geschafft hatten. Ich versank in einen Strudel aus Trauer, Angst und Wut. Irgendwann stand plötzlich wieder Morag vor mir. Er half mir auf und sagte:„ Du könntest etwas Frischluft vertragen.“ Schwerfällig begann ich, aus der Hütte hinauszuwanken. Ich setzte mich auf den Fels vor der Baracke, schloss meine Augen und spürte die kalte Brise, die vom Meer herauf wehte. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Leichte Regentropfen Markus Mayer & Wolfgang Beck

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prasselten auf meinen Körper. Ich öffnete die Augen und bemerkte, dass ein kräftiger Schauer über das Meer in unsere Richtung kam. Gedankenverloren saß ich auf dem kalten Felsen und blickte starr auf den weiten Ozean. Der Regen wurde immer heftiger. Morag trat aus der Hütte und wollte mir gerade etwas sagen, doch er stockte sofort, als ich ihm mein Gesicht zuwendete. Ich blickte ihm tief in die Augen und sprach das Wort aus, welches ab diesem Moment mein Leben bestimmen würde:„Rache!“

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