Dossier Politik und Wirtschaft Ausgabe 61, 2017

Dossier „Politik und Wirtschaft“ vom 28.02.2017 Dossier „Politik und Wirtschaft“ Ausgabe 61, 2017 1. Artikel: Werkbank für den US-Markt: Deutsche Fir...
Author: Franziska Lang
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Dossier „Politik und Wirtschaft“ vom 28.02.2017

Dossier „Politik und Wirtschaft“ Ausgabe 61, 2017 1. Artikel: Werkbank für den US-Markt: Deutsche Firmen in Mexiko zittern vor Trump (02.02.2017) Der vorliegende Artikel beschreibt die Bedeutung Mexikos als Produktionsstandort deutscher Unternehmen. Die Schülerinnen und Schüler können u. a. die Auswahl ausländischer Produktionsstandorte am Beispiel der Automobilindustrie beschreiben. Des Weiteren können sie die Stellung Mexikos als Produktionsstandort von deutschen Unternehmen in der Beziehung zu den USA erklären. Abschließend können sie diskutieren, zu welchen Konsequenzen mögliche Handelshemmnisse bei den Unternehmen führen könnten und welche Folgen diese für weitere Investitionen hätten.  Vermittlung der Aspekte „Interdependenzen des Wirtschaftsgeschehens“ und „Tarifäre Handelshemmnisse“

internationalen

1. Definieren Sie den Begriff „Produktionsstandort“. Benennen Sie hierbei auch Faktoren zur Bewertung eines geeigneten Produktionsstandortes. 2. Beschreiben Sie am Beispiel des Automobilmarktes die Gründe, warum Mexiko für deutsche Unternehmen ein attraktiver Produktionsstandort ist. 3. Erklären Sie die Stellung Mexikos „als die Werkbank für den US-Markt“ innerhalb der Beziehung von deutschen Unternehmen und den USA. Gehen Sie hierbei insbesondere auf den bisher existierenden Freihandel zwischen Deutschland und den USA ein. 4. Vergleichen Sie den Freihandel mit dem Protektionismus am aktuellen Beispiel der USA. 5. Diskutieren Sie am vorliegenden Beispiel, zu welchen Konsequenzen die Einrichtung möglicher Handelshemmnisse bei den Unternehmen in Mexiko führen könnte und welche Folgen diese für weitere Investitionen hätte.

2. Artikel: Handelsabkommen: „Keine Mauern, sondern Vertrauen aufbauen“ (08.02.2017) Der vorliegende Artikel thematisiert die derzeitigen Handelsbeziehungen zwischen den USA und Asien. Damit einhergehend werden neue Handelsmöglichkeiten zwischen Europa und Asien diskutiert.

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Die Schülerinnen und Schüler können u. a. die derzeitige Handelssituation zwischen den USA und Asien beschreiben. Daran anknüpfend sollen sie erläutern, was unter dem Freihandelsabkommen „TPP“ zu verstehen ist, und die Beweggründe für den Austritt der USA darlegen. Abschließend können sie zu den neu aufkommenden Handelsbeziehungen zwischen Europa und Asien und den damit einhergehenden Herausforderungen und Chancen Stellung nehmen.  Vermittlung der Aspekte „Interdependenzen des Wirtschaftsgeschehens“ und „Tarifäre Handelshemmnisse“

internationalen

1. Beschreiben Sie die derzeitige Handelssituation zwischen den USA und Asien. Beziehen Sie sich in Ihren Ausführungen auf die angefügte Grafik. 2. Erläutern Sie, was unter dem Freihandelsabkommen „TPP“ zu verstehen ist. Legen Sie in Ihren Ausführungen die Beweggründe für den Austritt der USA dar. 3. Erklären Sie, was unter „Protektionismus“ zu verstehen ist, und beziehen Sie sich in Ihren Ausführungen auf die momentanen Bestrebungen von Donald Trump. 4. Interpretieren Sie die im Text dargelegte Stellung bzw. Haltung Chinas als neu aufkommender Handelspartner für Europa. Beziehen Sie sich hierbei auch auf die Reaktion der deutschen Bundesregierung. 5. Nehmen Sie zu dem im Text aufgeworfenen Dreiklang des amerikanischen Präsidenten Donald Trump „Populismus, Patriotismus, Protektionismus“ vor dem Hintergrund neuer Handelsbeziehungen zwischen Europa und Asien begründet Stellung.

3. Artikel: Populismus: Furcht vor der Krise (09.02.2017) Der Artikel beschäftigt sich mit den ökonomischen Folgewirkungen der derzeitigen politischen Prozesse in einigen großen EU-Staaten wie Frankreich und Italien. Die Schülerinnen und Schüler können sich u. a. die Entwicklung populistischer bzw. europaskeptischer Parteien in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) erschließen und die diesbezüglichen Auswirkungen auf den Finanzmärkten und die Spekulationen von Investoren herausarbeiten. Daran anknüpfend können sie sich zudem mit den politischen und wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Auseinanderfallens der EU auseinandersetzen.  Vermittlung der Aspekte „Akteure in der Wirtschaftspolitik“ und „Leitbilder internationalen Handels“

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1. Erklären Sie den Begriff des politischen „Populismus“. Verdeutlichen Sie Ihre Ausführungen anhand aktueller Beispiele. 2. Beschreiben Sie die aktuell in Europa und speziell in Frankreich und Italien zu beobachtenden politischen Prozesse. Erschließen Sie sich insbesondere die Zielsetzungen sowie die Entwicklung europakritischer Parteien. 3. Erläutern Sie die derzeitigen Auswirkungen der politischen Entwicklungen an den Finanzmärkten. Geben Sie zudem die diesbezüglichen Befürchtungen und Spekulationen der Analysten wieder. 4. Setzen Sie sich mit den denkbaren Folgen eines Erfolges der europaskeptischen Parteien in Frankreich und Italien auseinander. Diskutieren Sie hierzu die denkbaren Folgen eines Auseinanderbrechens der EU. 5. Nehmen Sie begründet Stellung zur Diskussion um den Erhalt der Staatengemeinschaft.

4. Artikel/Grafik: Einreiseverbot: Forschungsmacht (14.02.2017)

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Der Artikel beschreibt die Reaktionen amerikanischer Unternehmen auf das von Donald Trump initiierte Einreiseverbot in die USA. Die Schüler können u. a. die Auswirkungen und Herausforderungen des Einreiseverbots in die USA beschreiben. Daran anknüpfend können sie erläutern, welche Standortfaktoren durch das Einreiseverbot in die USA betroffen sind. Abschließend können sie vor dem Hintergrund des Einreiseverbotes zu der vermeintlichen Grundidee des Silicon Valley und den USA, die Herkunft der Menschen spiele eine untergeordnete Rolle, begründet Stellung nehmen.  Vermittlung der Aspekte „Interdependenzen des internationalen Wirtschaftsgeschehens“ und „Handlungsfeld Strukturpolitik“ 1. Beschreiben Sie die im Text geschilderten Auswirkungen und Herausforderungen des von Donald Trump initiierten Einreiseverbots in die USA. 2. Erläutern Sie die geschilderten Beweggründe vieler bekannter Unternehmen wie bspw. Amazon, Google, Expedia und Facebook, sich gegen das Einreiseverbot zu positionieren. 3. Interpretieren Sie, warum das Unternehmen Microsoft aufgrund von verschärften Einreiseregelungen bereits seinen Standort verlagert hat.

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4. Erläutern Sie, welche Standortfaktoren durch das Einreiseverbot in die USA betroffen sind. Ermitteln Sie zudem, welche Auswirkungen das Einreiseverbot auf die Standortqualität bereits angesiedelter Unternehmen hat. 5. Nehmen Sie vor dem Hintergrund des Einreiseverbots zu dem im Text genannten Zitat von Seymour Duncker, einem jungen Start-up-Unternehmer aus den USA, begründet Stellung: „Die Grundidee des Silicon Valley und von Amerika war für mich immer, dass es egal ist, woher einer kommt. Die Frage nach der Herkunft war geradezu verpönt.“

5. Interview: Cecilia Malmström (EU): „Keine Gewinner“ (21.02.2017) Das Interview mit der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström thematisiert die derzeitigen Herausforderungen und Folgen eines von der US-Regierung angezettelten Handelskriegs und die potenziellen Verlier der Globalisierung. Die Schülerinnen und Schüler können u. a. die derzeitigen Herausforderungen der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in eigenen Worten zusammenfassen. Anschließend können sie erklären, warum einige Länder nach dem gescheiterten Transpazifischen Freihandelsabkommen jetzt an neuen Handelsabkommen mit der EU interessiert sind. Abschließend können sie sich mit der im Interview aufgeworfenen These auseinandersetzen, dass viele Kritiker den Handel und die Globalisierung dafür verantwortlich machen, dass Politiker wie Trump oder Marine Le Pen viel Zuspruch bekommen.  Vermittlung der Aspekte „Interdependenzen des internationalen Wirtschaftsgeschehens“, „Institutionen der internationalen Wirtschaftspolitik und „Leitbilder des internationalen Handels“ 1. Fassen Sie die im Interview geschilderten Herausforderungen der EUHandelskommissarin Cecilia Malmström mit Ihren eigenen Worten zusammen. Beziehen Sie sich in Ihren Ausführungen auch auf die angefügte Grafik. 2. Erklären Sie, warum einige Länder nach dem gescheiterten Transpazifischen Freihandelsabkommen jetzt an neuen Handelsabkommen mit der EU interessiert sind. 3. Arbeiten Sie aus dem Interview heraus, warum die EU-Handelskommissarin von einem möglichen „Handelskrieg“ spricht. Ermitteln Sie in Ihren Ausführungen, welche Rolle die WTO in diesem Zusammenhang einnimmt. 4. Vergleichen Sie die beiden wirtschafts- und handelspolitischen Ansätze Protektionismus und Freihandel miteinander.

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5. Setzen Sie sich mit der im Interview aufgeworfenen These auseinander, dass viele Kritiker den Handel und die Globalisierung dafür verantwortlich machen, dass Politiker wie Trump oder Marine Le Pen so viel Zuspruch bekommen. 6. Beurteilen Sie die im Interview geschilderte Vorgehensweise der EU, neue Handelsabkommen abzuschließen, indem sie neue Abkommen entmystifizieren und ein hohes Maß an Transparenz herstellen will.

6. Artikel: Gericht lässt Bausparer abblitzen (22.02.2017) Der Artikel fasst das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu Kündigungsmöglichkeiten von Bausparverträgen sowie die hieraus resultierenden Folgen zusammen. Die Schülerinnen und Schüler können u. a. die zentralen Charakteristika von Bausparverträgen ermitteln. Daran anknüpfend können sie sich den Inhalt des o. g. Urteils sowie die hieraus resultierenden Wirkungen für die Anbieter und Nachfrager von Bausparverträgen erschließen und mithilfe des ökonomischen Verhaltensmodells die Handlungen der Akteure im vorliegenden Fall analysieren.  Vermittlung der Aspekte „Aufgaben des Staates“, „Interessenkonflikte im Wirtschaftsgeschehen“ und „Schwerpunkt Verbraucherschutzpolitik“ 1. Ermitteln Sie die wesentlichen Charakteristika von Bausparverträgen. Benennen Sie deren originäre Ausrichtung und Zielsetzung und überprüfen Sie, inwieweit sich diese von anderen Anlageformen unterscheiden. 2. Erläutern Sie die Auswirkungen der derzeitigen Niedrigzinsphase für die Anbieter von Bausparverträgen. 3. Fassen Sie den Inhalt des Rechtsstreites vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zusammen. Benennen Sie hierbei auch die aufeinandertreffenden Akteure. 4. Geben Sie die Eckpunkte des BGH-Urteils wieder. Ermitteln Sie „Gewinner“ und „Verlierer“. 5. Analysieren Sie den vorliegenden Fall mithilfe des ökonomischen Verhaltensmodells. Setzen Sie sich hierzu mit der Frage auseinander, wie sich verändernde Rahmenbedingungen die Handlungen der Akteure sowie ihre Beziehungen beeinflussen.

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7. Artikel: Einkommen: Ungleichheit steigt (27.02.2017) Der Artikel stellt aktuelle Studienergebnisse zur Einkommensentwicklung in Deutschland vor. Die Schülerinnen und Schüler können sich u. a. die derzeitige Entwicklung der Löhne in Deutschland erschließen. Daran anknüpfend können sie die gesellschaftliche Relevanz der Frage der Lohnspreizung erläutern sowie die diesbezüglichen Wahlkampfplanungen des neuen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz analysieren.  Vermittlung des Aspektes „Schwerpunkt Verteilungspolitik“ 1. Erklären Sie, was generell unter dem Begriff der „Lohnspreizung“ verstanden wird. 2. Erschließen Sie sich die statistischen Grundlagen der im Artikel genannten aktuellen Studien. Arbeiten Sie heraus, mithilfe welcher Indikatoren die Entwicklung der Lohnspreizung in Deutschland untersucht wird. 3. Fassen Sie die Studienergebnisse in eigenen Worten zusammen. Überprüfen Sie hierbei, inwieweit und in welchem Umfang von einer Verstärkung der Lohnungleichheit gesprochen werden kann. 4. Diskutieren Sie die gesellschaftliche Bedeutung der „Einkommensdebatte“. Setzen Sie sich mit den denkbaren Folgewirkungen verstärkter Lohnungleichheiten auseinander. 5. Erläutern Sie vor diesem Hintergrund Ansatzpunkte und Zielsetzungen der geplanten Wahlkampfstrategie des neuen Kanzlerkandidaten der SPD Martin Schulz. 6. Geben Sie die Bewertungen dieser durch die im Artikel zitierten Experten wieder.

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Werkbank für den US-Markt: Deutsche Firmen in Mexiko zittern vor Trump Fast 2 000 deutsche Unternehmen produzieren in dem Nachbarstaat der USA.

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Es muss doch noch etwas anderes geben als Donald Trump“, sagt Ricardo Hernandez (Name geändert) zu seiner Frau Ximena, als er abends vom Bosch-Werk im mexikanischen Aguascalientes nach Hause kommt. Und tatsächlich, es gibt kurzzeitig andere Themen, wenn sein achtjähriger Sohn und seine vier Jahre alte Tochter auf ihn zulaufen.

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Aber eben nur kurzzeitig. Die Drohungen des neuen US-Präsidenten in Richtung des südlichen Nachbarstaats und der Firmen, die dort produzieren, treiben auch Hernandez um. Er fertigt für Bosch Fahrsicherheitssysteme wie ABS. „Zum Glück für den lokalen Markt“, fügt der 48-Jährige aber stolz hinzu.

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Seit der Jahrtausendwende hat sich die Zahl der deutschen Unternehmen in Mexiko auf fast 2 000 verdoppelt. Verantwortlich dafür ist vor allem die Autoindustrie. Audi eröffnete im Herbst ein Werk in San Jose Chiapa, Daimler will 2017 zusammen mit Renault-Nissan eine Fabrik in Betrieb nehmen, BMW folgt 2019 in der 750 000Einwohner-Stadt San Luis Potosí. Auf der Baustelle wird kräftig gearbeitet. Donald Trump drohte zwar: „Ich würde BMW sagen, wenn sie eine Fabrik in Mexiko bauen und Autos in die USA verkaufen wollen ohne eine 35-Prozent-Steuer, dann können sie das vergessen.“ Die Münchener wollen an ihrem Projekt, das zunächst 1 500 Mexikanern Arbeit geben soll, aber festhalten.

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Alle großen Autobauer der Welt produzieren in Mexiko. Das wiederum lockt Zulieferer wie Bosch und Continental, aber auch viele mittelständische Betriebe an. Ob Kiekert, Kuka, Eberspächer, Eisenmann oder Elringklinger - beinahe jeder mittelgroße und große deutsche Zulieferer produziert in Mexiko. Bosch will hier, so der Stand bis zur US-Wahl, die Zahl seiner Mitarbeiter bis 2019 um 3 000 auf 16 000 erhöhen. Aber auch fast alle anderen Branchen lockte es in den vergangenen Jahren nach Mexiko: Edding stellt hier Stifte her, Hansgrohe Brausen und Armaturen und Harting Industriesteckverbindungen. Rund 800 der 2 000 deutschen Firmen nutzen das Land als Werkbank für den US-Markt. Das rechnet sich: Die Textilindustrie zahlt drei Dollar pro Stunde, in den USA sind es 16 Dollar, ein Beschäftigter in der Autobranche kommt in Mexiko auf 5,65 Dollar, in den USA auf 28 Dollar. Der freie Handel mit den USA und die Nähe beider Länder sprechen für Mexiko. Doch diese Vorteile sind in Gefahr, wenn Trump mit seiner Mauer entlang der 3 144 Kilometer langen Grenze Ernst macht, deren Kosten von mehr als 20 Milliarden Dollar er mit einem Zoll für Waren aus Mexiko von 35 Prozent oder vielleicht auch mit einer Importsteuer von 20 Prozent, wie zuletzt via Twitter verbreitet, finanzieren will. „Dann sind viele Unternehmen tot“, sagt ein Firmenchef in Mexiko-City. Er möchte nicht genannt werden aus Sorge vor negativen Reaktionen aus den USA. „Deutsche Unternehmen, die in Mexiko für den US-Markt produzieren, wären von der Importsteuer unmittelbar betroffen“, sagt Oliver Wieck, Generalsekretär der Internationalen Handelskammer in Deutschland. 7

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Doch nicht nur in die USA exportierende, auch nach Mexiko importierende Betriebe stehen vor einem Problem. Denn wenn mexikanische Kunden aus Unsicherheit Neuinvestitionen zurückstellen, trifft das deutsche Maschinenbauer, die vor allem die Autoindustrie beliefern. Unter den deutschen Unternehmen in Mexiko herrscht zwar noch keine Panik, aber beunruhigt sind sie schon. 62 Prozent von ihnen wollen dieses Jahr in Mexiko investieren, wie sie in einer Umfrage der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer Camexa vor einigen Wochen erklärten. Da war Donald Trump zwar schon gewählt, aber wohl kaum jemand dachte, dass er auch wirklich umsetzt, was er im Wahlkampf versprach. „Ich bin nicht sicher, ob das Ergebnis identisch wäre, wenn wir die Umfrage heute wiederholten“, drückt es Camexa-Geschäftsführer Johannes Hauser vorsichtig aus. Dennoch habe bislang keine dieser Firmen ihr Engagement zurückgezogen. Es gelte so lange die Devise „business as usual“, bis man etwas Konkretes schwarz auf weiß habe, sagte ein Manager eines Zulieferers. Wichtig sei, dass man nun bald die neuen „Spielregeln“ kenne, die der Trump-Regierung vorschwebten. Allerdings besagt die Umfrage der Handelskammer bei den deutschen Firmen in Mexiko auch: Unter Unternehmen, die gerade erst Neuinvestitionen beschlossen haben, setzt vereinzelt ein sorgenvolles Umdenken ein. So hätten mehrere Autozulieferer, die sich in Mexiko niederlassen wollten, ihre Pläne zurückgestellt. Sie warten ab, was Trump als Nächstes und als Übernächstes über Twitter verkündet - und was er am Ende verwirklicht. Quelle: Ehringfeld, K./ Sommer, U.: Handelsblatt, Nr. 24, 02.02.2017, 20

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Handelsbeziehungen: „Keine Mauern, sondern Vertrauen aufbauen“ Auf der Handelsblatt-Konferenz Asia Business Insights weckt die Abschottungspolitik der USA nicht nur Sorgen, sondern auch Hoffnung: Europa und Chinas Führung könnten neue Rollen zuwachsen.

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Es gibt derzeit wohl keine Wirtschaftsveranstaltung, bei der nicht einer allgegenwärtig ist, ohne selbst anwesend zu sein: Donald Trump. Bei der jährlichen Konferenz „Asia Business Insights“ von Handelsblatt und HSBC am Dienstag im Düsseldorfer Hyatt Regency sahen viele Teilnehmer im neuen US-Präsidenten indirekt einen Hoffnungsträger für einen freieren Handel - innerhalb Asiens sowie zwischen Europa und Asien. Unbeabsichtigt könnte Trump durch seine angedrohten Importzölle und sein Motto „America first“ asiatische Unternehmen und Staatsmänner dazu bringen, sich neue Partner in der entwickelten Welt zu suchen: die Europäer.

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Die USA hätten ihre asiatischen Partner mit dem Austritt aus dem Freihandelsabkommen TPP vor den Kopf gestoßen, urteilte Asien-Chefökonom Frederic Neumann von HSBC. „Das ist eine Chance für Europa, sich einzubringen. Denn viele asiatische Länder werden in nächster Zeit ihren Blick von den USA nach Europa wenden.“

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China tritt bereits mit neuem Selbstbewusstsein auf. Mit dem Megaprojekt „Ein Gürtel, eine Straße“ will das Land an die Tradition der Seidenstraßen anknüpfen und den alten Traum einer Verbindung der asiatischen und europäischen Landmasse verwirklichen. Leistungsfähige Schienen- und Seeverbindungen sollen die Kontinente zusammenbringen. „Das ist eine chinesische Initiative, aber ein globales Projekt“, sagte HSBC-Chef Stuart Gulliver auf der Konferenz. Der Bankmanager ist in China bestens verdrahtet, unter anderem ist er Berater der chinesischen Bankenregulierungskommission. Seine Prognose: Mit Trumps Protektionismus wird die chinesische Führung sich als neuer globaler Freihandelspartner präsentieren, wie es Staatschef Xi Jinping bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos getan hat. Ausgerechnet der Präsident eines Landes, das selbst zahlreiche Handelsschranken errichtet hat, hatte dort ein Plädoyer für den Freihandel gehalten. Schließlich will China den Wohlstand in die wachsende Mittelschicht tragen. Dazu müssen unter anderem die Exporte wieder anziehen. „Der amerikanische Traum des 20. Jahrhunderts von Wohlstand ist der chinesische Traum des 21. Jahrhunderts geworden“, sagte Gulliver. Dazu brauche China nicht nur Absatzmärkte für Massenprodukte, sondern auch Partner für Innovationen. In diesem Prozess bietet sich China dem Asean-Block als Gestalter an - und Europa als Partner auf Augenhöhe. China könne seinen Worten nun Taten folgen lassen und sich wirtschaftlich weiter öffnen. Noch können europäische Firmen dort nur unter Auflagen investieren und müssen häufig Gemeinschaftsunternehmen mit staatlich kontrollierten Konzernen gründen. Der Kurs der Bundesregierung und des neuen Außenministers Sigmar Gabriel (SPD), die Regierung in Peking dazu zu drängen, als Gegenleistung für den Marktzugang in Europa ebenso Hürden in China abzubauen, sei daher richtig, urteilte Sebastian Heilmann, Chef des Berliner China-Instituts Merics. Er sieht eine neue Bereitschaft in Peking, solchen Forderungen nachzukommen - in einem Moment, in

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dem sich die USA abwenden. Schließlich sucht China derzeit gezielt nach Investitionen in europäische Technologien, um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen, von der Werkbank der Welt zum High-Tech-Land zu werden. 45

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Europäische Manager hören die Botschaft nur zu gern. Sie hoffen auch darauf, dass wachsende Mittelschichten ihre Produkte kaufen. Henkel-Chef Hans Van Bylen beschrieb begeistert die Potenziale, die Asien seinem Unternehmen bietet. „Bei unseren Haarpflege-Marken Schwarzkopf und Syoss waren wir in China spät dran.“ Doch weil Henkel als erster Anbieter konsequent auf den elektronischen Handel gesetzt habe, sei das Unternehmen in dem Bereich nun Marktführer in China, beschrieb er den schnellen Wandel. Noch wichtiger ist für ihn in Asien das Industriegeschäft. Henkel beliefert die Bauindustrie in China mit Klebstoff, ebenso Fernsehhersteller in Korea und Toyota in Japan und ganz Asien. „Der beste Beitrag unseres Headquarters in Düsseldorf war häufig, keinen Beitrag zu leisten“, scherzte Van Bylen. Wichtig sei, den Managern vor Ort zu vertrauen. Daher seien etwa in China bei Henkel 90 Prozent Chinesen, ebenso die regionale Chefin. Das zeigt auch: Kreative Managementkultur ist längst in Asien angekommen - wider alle Vorurteile. Denn bei aller Zuversicht: Geschäfte in Asien haben weiterhin Risiken - und die drohen zusätzlich durch die Politik Trumps. Der umstrittene Präsident will durch Steuersenkungen und gewaltige Infrastrukturinvestitionen die US-Wirtschaft künstlich ankurbeln. Solch ein Boom allerdings könnte zu weltweit steigenden Zinsen führen und das wiederum ausgerechnet Asien belasten. Denn die dortigen Investitionen erfordern ein hohes Kreditvolumen, rechnete Volkswirt Neumann vor. Das Wachstum in der Region ist also auf günstige Zinsen angewiesen. Europäer und Asiaten, so Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart, sollten gegenüber Trumps Dreiklang aus „Populismus, Patriotismus, Protektionismus“ standhaft bleiben: „Unser Business ist nicht der Mauerbau, sondern der Aufbau von Vertrauen.“ Die Ansicht vertrat auch HSBC-Deutschland-Chefin Carola Gräfin von Schmettow: „Deutschland ist mit seiner Offenheit immer gut gefahren und hat allen Grund, daran festzuhalten.“ Quelle: Kapalschinski, C., Handelsblatt, Nr. 028, 08.02.2017, 6

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Populismus: Furcht vor der Krise Das Gespenst des Populismus geht um in Europa. Investoren warnen vor Erfolgen der EU-Gegner bei den Wahlen in Frankreich und Italien. Der Zusammenhalt der EuroZone steht auf dem Spiel.

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Frankreichs Finanzminister Michael Sapin ist alarmiert. Bei einem Mittagessen in Paris mit Journalisten warnte er in dieser Woche alle Investoren, die möglicherweise auf einen Sieg der rechtsradikalen Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl im Mai und danach auf das Auseinanderbrechen der Euro-Zone wetten: Le Pen werde „niemals gewählt in Frankreich“. Ihre Partei, die Front National, sei keine rechtspopulistische Formation, sondern eine, die „außerhalb des demokratischen Konsenses und der Werte steht, die Frankreich vertritt“. Wer jetzt eine finanzielle Position gegen Frankreich einnehme, werde „viel Geld verlieren“. Sapin vergleicht das sogar mit der Spekulation auf ein Ausscheiden Frankreichs aus dem Europäischen Währungssystem 1992 1993: „Damals haben Leute auf den Austritt Frankreichs spekuliert, sie verloren Milliarden.“ Ob sie gegen Frankreich wetten oder nicht - klar ist, dass sich Investoren Sorgen um das Land machen. Seit Jahren schießt Le Pen gegen den Euro und will, dass Frankreich wieder den Franc einführt. Jetzt wächst fast mit jedem Tag, den die Präsidentschaftswahlen in Frankreich näherrücken und Le Pen ihren Vorsprung ausbaut, die Angst an den Märkten. Dabei wurden der Nationalistin lange Zeit nur Chancen in der ersten Wahlrunde im April eingeräumt. Seit sich der konservative Kandidat François Fillon aber immer weiter in die Affäre um fiktive Jobs seiner Ehefrau Penelope im französischen Parlament verstrickt, fürchten manche Anleger auch Chancen Le Pens in der zweiten Wahlrunde im Mai. Ablesen lassen sich die Ängste der Investoren an den Risikoprämien französischer Staatsbonds. Die Renditeaufschläge zehnjähriger Papiere sind auf mehr als 0,7 Prozentpunkte gegenüber deutschen Bundesanleihen gestiegen. So hoch lagen sie zuletzt im Herbst 2012 - mitten in der Euro-Krise (siehe Grafik). Absolut gesehen kommt Frankreich mit gut einem Prozent Rendite für zehnjährige Bonds zwar noch günstig an Geld, aber: „Die Ausweitung der Renditeabstände ist spektakulär“, konstatiert David Schnautz, Zinsstratege bei der Commerzbank. […] Die Skepsis der Investoren trifft aber nicht nur Frankreich. Auch in Italien, wo voraussichtlich bis zum Sommer Neuwahlen stattfinden, sind die Risikoprämien auf fast zwei Prozentpunkte nach oben geschnellt. Auch die bei den Wahlen durchaus chancenreiche Fünf-Sterne-Partei unter Beppo Grillo ist ein erklärter Euro-Gegner. In den Niederlanden, wo im März gewählt wird, stellt sich mit Geert Wilders ebenfalls ein Feind der Währungsunion zur Wahl. Mit weniger als 0,7 Prozent rentieren zehnjährige niederländische Anleihen zwar noch sehr niedrig. Aber auch in den Niederlanden hat sich die Risikoprämie seit Januar auf 0,3 Prozentpunkte mehr als verdreifacht.

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Die Krisenängste sind somit in der gesamten Euro-Zone zurück. „Dieses Phänomen lässt sich gar nicht auf ein spezifisches Land begrenzen“, meint Andrew Bosomworth, Deutschland-Anlagechef beim Fondshaus Pimco: „Wenn Frankreich aus dem Euro austreten würde, wäre das der Anfang vom Ende der Euro-Zone.“ Noch hält er das aber für unwahrscheinlich. Käme es dennoch so weit, wäre ein Chaos an den Märkten die Folge, denn ein Austritt eines Landes ist in den europäischen Verträgen gar nicht vorgesehen. „Investoren fragen aber jetzt schon, ob Frankreich seine ausstehenden Anleihen in Franc statt in Euro zurückzahlen könnte“, sagt Bosomworth. Für einen solchen Schritt bräuchten alle Euro-Staaten bei den seit 2013 begebenen Anleihen wegen neuer Umschuldungsklauseln die Zustimmung der Mehrheit der Investoren. Die würde es aber kaum geben. Noch spiegeln die Märkte allerdings keinen kompletten Zerfall der Euro-Zone wider. Im Jahr 2012 bangten die Investoren noch sehr viel stärker um den Zusammenhalt der Währungsunion. Das war gewesen, bevor EZB-Chef Mario Draghi seine berühmte Londoner Rede hielt, in der er versprach, alles zu tun, um den Euro zu retten. Griechenland hatte damals seinen Schuldenschnitt durchgezogen, Irland, Portugal und Zypern waren unter den Euro-Rettungsschirm geflohen, und Spanien brauchte europäische Gelder für die Sanierung seiner Banken. Damals lagen die Risikoaufschläge für französische Anleihen bei knapp 1,5 Prozentpunkten, in anderen Ländern waren sie noch um ein Vielfaches höher. Seither hat die EZB ihr gigantisches Anleihekaufprogramm aufgelegt und Anleihen vor allem Staatspapiere - über zusammen mehr als 1,5 Billionen Euro gekauft. Die Renditen der Staatsanleihen sind dadurch massiv gesunken. Bis auf Griechenland mit Risikoprämien für zehnjährige Bonds von rund 7,5 Prozentpunkten können sich wieder alle Staaten ohne die Hilfe des Rettungsschirms refinanzieren. Dabei gilt Griechenland als Sonderfall. „Doch die Wirkung der EZB-Politik lässt langsam nach“, warnt Bosomworth von Pimco. Seit die Zentralbank im Dezember angekündigt hat, ihr Anleihekaufprogramm ab kommenden April um monatlich 20 Milliarden auf 60 Milliarden Euro zu reduzieren, werden die Investoren unsicherer. […] Quelle: Cünnen, A./Hanke, T./Mallien, J., Handelsblatt, Nr. 029, 09.02.2017, 28

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Einreiseverbot: Amerika fürchtet um seine Forschungsmacht Donald Trump hält an seinem Einreiseverbot fest. Universitäten und Wissenschaftler sorgen sich bereits um die Innovationskraft der USA. 5

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Eigentlich hätte Donald Trump entspannt sein können, schließlich war er am vergangenen Freitag auf dem Weg zum Golfspielen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe nach Florida. Doch im Gespräch mit Journalisten während des Fluges brach es aus dem US-Präsidenten heraus. Gerichte hatten kurz zuvor sein generelles Einreiseverbot aus sieben Ländern wie Iran oder Sudan aufgehoben. „Wir werden die Entscheidung anfechten und gewinnen“, polterte Trump und kündigte zudem ein „brandneues“ Dekret an. Für eine komplette Überarbeitung der Vergabepraxis von Einreisegenehmigungen benötigt der Präsident zwar die Zustimmung des Kongresses. Doch er könnte mit einer neuen „Executive Order“ die Visa für deren Inhaber etwa weniger attraktiv machen; zum Beispiel wenn die Regelung ausgesetzt wird, dass der mitziehende Ehepartner ebenfalls in den USA arbeiten darf. Solche Pläne mobilisieren namhafte Unternehmen und Universitäten, die von der gezielten Anwerbung von gut ausgebildeten Fachkräften und Wissenschaftlern aus dem Ausland mit Hilfe der beliebten H-1B-Visa leben. Sie fürchten um nicht weniger als die Innovationskraft der USA. Zwar ist der Anteil der weltweiten Patente, die aus den USA kommen, über die vergangenen Jahre zurückgegangen. Aber noch immer stammt jedes fünfte Patent aus den Vereinigten Staaten. Noch. „Jetzt sind unsere Forschungskapazitäten sehr stark, unsere Universitäten sind die besten der Welt“, sagt Wirtschaftsnobelpreisträger und Stanford-Professor Alvin Roth im Interview mit dem Handelsblatt. „Das ist aber eine anfällige Sache“, warnt er. Mehr als 30 000 Wissenschaftler, darunter 62 Nobelpreisträger, protestierten daher jüngst in einem offenen Brief an Trump gegen das Einreiseverbot, das schädlich für die USA sei. Waren es anfangs vor allem Tech-Konzerne wie Facebook oder Google, sorgen sich immer mehr Unternehmen um die Forschungsstärke Amerikas. So unterzeichneten vor wenigen Tagen 166 Chefs von Biotechfirmen eine Petition gegen generelle Reisestopps. Die würden „Amerikas Vorrangstellung in einer der wichtigsten Branchen des 21. Jahrhunderts“ gefährden, heißt es in dem Schreiben. Der Onlinehändler Amazon und das Reiseportal Expedia schlossen sich sogar der Klage des Bundesstaates Washington gegen Trumps Einreiseverbot an. Der Chef von Expedia ist direkt betroffen: Dara Khosrowshahi wurde 1969 in Iran geboren, studierte in den USA und machte dort dann Karriere. Mehr als eine Million Studenten kamen 2015/16 in die USA - so viele wie nie zuvor. Gut die Hälfe davon studieren in drei Bereichen: Ingenieurwesen, Management und Mathematik/Informatik. Nicht alle diese Fächer sind bei Amerikanern beliebt, wie eine Statistik der NAFSA zeigt, eine US-Vereinigung für ausländische Studenten und Lehrkräfte. Mehr als 70 Prozent aller Studenten für einen Master in Elektroingenieurwesen, 65 Prozent in Informatik stammen nicht aus den USA. „Ohne ausländische

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Studenten könnten einige Universitäten ihre Seminare in Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen oder Mathematik kaum aufrechterhalten“, sagte Rachel Banks, Direktorin von NAFSA. An der kalifornischen Singularity University in Mountain View ist das Team um Geschäftsführer Rob Nail ebenfalls alarmiert. Die unter anderem von Google gesponserte Einrichtung ist eine Mischung aus Volkshochschule für innovationsbegeisterte Manager aus aller Welt und Start-up-Inkubator für Zukunftsideen aus dem High-Tech-Bereich. Hier treffen Unternehmer und Gründer aus 110 Ländern regelmäßig aufeinander, um sich auszutauschen. Im vergangenen Sommer stammten 15 Bewerber laut Nail aus den von Trumps Einrei-severbot betroffenen Staaten. In diesem Jahr sind es nur sechs Start-ups, eins hat die Teilnahme bereits abgesagt. „Wir wissen derzeit nicht, wie es weitergeht”, gibt Nail offen zu. „Das alles ist sehr dramatisch, die ganze Tech-Branche ist verunsichert.” Man diskutiere sogar, ob und wie ein Teil des Programms in Kanada oder Europa angeboten werden könne. Tatsächlich könnte Nachbarland Kanada von Trumps Bann profitieren. Schon 2007 hatte Microsoft als Reaktion auf verschärfte Einreiseregelungen Büros in Vancouver eröffnet, für Mitarbeiter, die keine Arbeitserlaubnis in den USA erhielten. Apple, Facebook und Google betreiben bereits ähnliche Standorte. Der indisch-stämmige Seymour Duncker aus Mountain View sieht sogar in Gefahr, wofür Amerika seit Jahrzehnten steht: den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär. „Wir müssen darum kämpfen, dass der amerikanische Traum nicht verloren geht“, mahnt er. Der 45-jährige Gründer erkennt sein Land nicht wieder. „Die Grundidee des Silicon Valley und von Amerika war für mich immer, dass es egal ist, woher einer kommt. Die Frage nach der Herkunft war geradezu verpönt.“ Als Duncker vor acht Jahren von Deutschland an die Westküste zog, besaß er wie viele andere Einwanderer vor ihm nichts außer Programmierkenntnissen, einer Geschäfts-idee und dem unbedingten Glauben an den eigenen Erfolg. Heute arbeitet der Gründer von iCharts, einem Cloud-Anbieter, als strategischer Partner von Google und Oracle. 23 Millionen Dollar sammelte er von Investoren ein, 70 neue Jobs hat er geschaffen. Sein Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter aus Israel, Indien, Frankreich, Russland und Deutschland; vier von ihnen besitzen ein sogenanntes H-1B-Visum, das Fachkräften aus dem Ausland eine Arbeitserlaubnis in den USA erteilt. „Das alles ist Wahnsinn, hochqualifizierte Leute werden abgeschreckt und wollen nicht mehr in die USA kommen“, sagt Duncker. Ein aussichtsreicher Kandidat hat ihm bereits abgesagt.

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Quelle: Jahn, T./ Weddeling, B., Handelsblatt, Nr. 032, 14.02.2017, 16

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Cecilia Malmström (EU-Kommission): „Keine Gewinner“ Die EU-Handelskommissarin über mögliche Folgen eines von der US-Regierung angezettelten Handelskriegs - und die Verlierer der Globalisierung. 5

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Sorge und Hoffnung liegen für die Handelskommissarin derzeit eng beieinander: Auf der einen Seite muss Cecilia Malmström die EU auf angedrohte Abschottungsmaßnahmen des neuen US-Präsidenten vorbereiten. Auf der anderen Seite stehen von Donald Trump abgewiesene Regierungen nun Schlange, um Freihandelsverträge mit der EU abzuschließen, und das Abkommen mit Kanada hat mit klarer Mehrheit das Europaparlament passiert. Frau Malmström, US-Präsident Donald Trump droht damit, Mauern zu errichten und Strafzölle einzuführen. Erwarten Sie, dass nun der Protektionismus um sich greift oder könnte angesichts der Alternative der Freihandel sogar wieder mehr Zustimmung finden? Ich hoffe Letzteres. Manche argumentieren, im Handel sei der Gewinn des einen der Verlust des anderen. Wir aber wollen Abkommen, von denen beide Seiten profitieren. Die meisten Europäer sehen durchaus, dass Handel gut für ihren Wohlstand ist. Sie wollen aber sicherstellen, dass die Abkommen fair und transparent sind, auf Werten basieren und besonders kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen. Wir versuchen, das in den Verträgen mit Kanada und anderen Ländern zu gewährleisten. Könnte Ihnen ausgerechnet der Protektionist Trump dabei helfen, umstrittene Freihandelsabkommen wie Ceta in der EU durchzubekommen? Es hat geholfen, wie die Debatte im Europaparlament zu Ceta gezeigt hat. Trump hat außerdem, wie im Wahlkampf versprochen, das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP gestoppt. Viele der TPP-Länder treten nun an uns heran, weil sie glauben, dass Protektionismus nicht die richtige Antwort ist. Mit fast allen von ihnen verhandeln wir schon oder bereiten Gespräche vor, wenn wir nicht bereits Abkommen haben. Werden diese Verhandlungen in Zukunft stärker vorangetrieben?

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Die Verhandlungen mit Mexiko und mit dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur haben wir bereits beschleunigt. Wir versuchen, die sehr weit fortgeschrittenen Gespräche mit Japan zügig zu Ende zu bringen. Außerdem sind wir dabei, die internen Vorbereitungen in der Kommission für Gespräche mit Australien und Neuseeland abzuschließen. Dafür brauchen wir aber noch ein Mandat der Mitgliedstaaten. Das Abkommen mit Vietnam ist bereits ausverhandelt, es muss nur noch übersetzt werden. Unsere Pipeline ist also gut gefüllt.

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Freier Handel ist das eine. Sollte die US-Regierung aber tatsächlich Importsteuern beschließen, wird die EU dann Vergeltung üben? 45

Wir müssen sehen, was die US-Regierung unternimmt - bislang gibt es nur Diskussionen und Gerüchte. Aber wir raten den USA dringend von solchen Maßnahmen ab. Das Risiko besteht, dass es weltweit Vergeltungsmaßnahmen geben wird - und das wäre sehr schlecht für unsere Volkswirtschaften und unsere Bürger. Die Folge wäre ein Handelskrieg?

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Ja. Wenn es wirklich so weit kommt, wird es keine Gewinner geben - das haben wir in der Vergangenheit gesehen.

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Die EU könnte die US-Regierung vor die Welthandelsorganisation WTO bringen. Damit aber würden Sie riskieren, das multilaterale Handelssystem zu sprengen Washington würde hohe Strafen kaum akzeptieren.

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Ich möchte nicht über unsere Handlungsoptionen spekulieren, solange es keine konkreten Vorschläge der US-Regierung gibt. Die Diskussion in Washington verläuft im größeren Kontext einer Steuerreform - und die bräuchte natürlich die Zustimmung des Kongresses. Ein solcher Prozess würde viele Änderungsanträge mit sich bringen und Zeit brauchen. Sie erwarten also keine kurzfristigen Maßnahmen?

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Präsident Trump hat im Wahlkampf versprochen, etwas zu tun, und er will dieses Versprechen natürlich einlösen. Ob uns diese Versprechen gefallen oder nicht - dafür wurde er gewählt. Natürlich verfolgen wir die Entwicklung ganz genau, aber wir können nicht auf etwas reagieren, das noch nicht existiert. Viele Kritiker machen Handel und Globalisierung mit dafür verantwortlich, dass Politiker wie Trump oder Marine Le Pen in Frankreich so viel Zuspruch bekommen. Haben sich die Regierungen zu wenig um die Verlierer des Freihandels gekümmert? Wir sollten nicht zu sehr vereinfachen. Aber es stimmt: Einige Staaten haben nicht genug getan, um die Verlierer aufzufangen. Die Globalisierung ist an sich positiv und wird nicht aufzuhalten sein. Aber die Dinge verändern sich sehr schnell. Manche Länder müssen sich in kurzer Zeit anpassen. Einst homogene Gesellschaften werden sehr vielfältig. Den Betroffenen ist es auch egal, ob Handel oder Automatisierung dafür verantwortlich sind, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Wenn dann Politiker mit sehr einfachen Schwarz-Weiß-Lösungen kommen, fällt das auf fruchtbaren Boden. Wie wollen Sie die Bürger von weiteren Handelsabkommen überzeugen? Indem wir gute Deals schließen, die Wachstum und Jobs bringen und unseren Werten dienen. Außerdem müssen wir transparent verhandeln und die Gesellschaft 18

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miteinbeziehen. Dazu gehört, dass wir die Verhandlungsmandate veröffentlichen, auch wenn die Mitgliedstaaten hier manchmal zögern. Es geht darum, Handelsabkommen zu entmystifizieren - das sind keine gefährlichen Geheimverträge, sondern sehr technische und größtenteils ziemlich langweilige Wälzer. Wie transparent können solch sensible Verhandlungen wirklich sein?

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Es muss möglich sein, schwierige Fragen in vertraulichem Rahmen zu diskutieren. Aber das meiste können wir veröffentlichen, und das dient auch der Sache, denn es schafft Vertrauen. Aber dieses Vertrauen kann die Kommission nicht allein schaffen. Wenn die nationalen Regierungen uns beauftragen zu verhandeln, müssen sie das Mandat auch ihren Bürgern und Parlamenten erklären. Quelle: Hoppe, T. Handelsblatt, Nr. 037, 21.02.2017, 7

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Gericht lässt Bausparer abblitzen Eine Schlappe für die Kunden, Aufatmen bei den Banken. Der BGH hat entschieden, dass die Bausparkassen lukrative Altverträge kündigen dürfen. 5

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Die Enttäuschung war der Bausparerin ins Gesicht geschrieben. Nach dem Urteil wollte sie nur eines: weg, raus aus dem großen Sitzungssaal des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Zwei Jahre lang kämpfte die Frau um ihren beinahe 40 Jahre alten Bausparvertrag. Den hatte die Bausparkasse Wüstenrot vor gut zwei Jahren gekündigt. Zu Recht, entschied nun der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch in einem Grundsatzurteil. Bausparverträge seien in der Regel zehn Jahre nach Zuteilungsreife kündbar, verkündete Jürgen Ellenberger, Vorsitzender Richter des für Bank- und Darlehensrecht zuständigen elften Zivilsenats (Az. XI ZR 185 16). Auch in einem zweiten Fall urteilte der BGH entsprechend (Az.XI ZR 272 16). Die Bausparkassen können sich somit auf ein gesetzliches Kündigungsrecht für hochverzinste Altverträge berufen, auch wenn die Kunden die festgelegte Bausparsumme noch nicht erreicht haben. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte zuvor in diesen beiden Fällen geurteilt, dass die Verträge nicht gekündigt werden dürften. Wüstenrot war deshalb in Karlsruhe in die Revision gegangen. Es ist das erste Mal, dass das oberste deutsche Zivilgericht über die Frage der Kündigung zuteilungsreifer, aber noch nicht voll besparter Verträge entschied. Während das Urteil viele Bausparer ernüchtert, ist es für die Bausparkassen ein Grund zum Aufatmen. Ein Urteil zugunsten der Kunden hätte die unter den niedrigen Zinsen leidende Branche in Bedrängnis bringen können. Die Bausparkassen haben schätzungsweise 260 000 Verträge, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, gekündigt - und mussten um die Rechtmäßigkeit dieser Praxis bangen. Wüstenrot zeigte sich denn auch erfreut über das BGH-Urteil: „Mit den Kündigungen können die negativen Auswirkungen der fortdauernden Niedrigzinspolitik auf die Bausparergemeinschaft abgefedert werden. Indem Verträge aufgelöst werden, die mehr als zehn Jahre zuteilungsreif sind und deren Darlehen nicht in Anspruch genommen wurde, wird das Bausparerkollektiv gestärkt“, so die Bausparkasse. Ein Sprecher des Verbands der Privaten Bausparkassen sagte, dass es keine Freude mache, Verträge zu kündigen. „Umso wichtiger ist es, bestätigt zu bekommen, dass die Kündigungen rechtmäßig erfolgt sind.“ Das Urteil am Mittwoch wurde mit Spannung erwartet - wie auch der Andrang beim BGH zeigte. Die Verhandlung fand extra im größten Sitzungssaal des Gerichts statt, und der war mit rund 150 Besuchern bis fast auf den letzten Platz gefüllt. Schon eine Dreiviertelstunde vor Verhandlungsauftakt hatte sich eine Schlange vor dem Gerichtsgebäude in Karlsruhe gebildet. Kein Wunder, die Kündigungen trafen Kunden aller großen Institute - von Landesbausparkassen, der BHW, Schwäbisch Hall bis Wüstenrot, wobei auf Wüstenrot etwa 60 000 Kündigungen entfallen, die meisten aus den Jahren 2014 und 2015. Zwar haben die Bausparkassen bisher vor allem versucht, ältere Verträge loszuwerden, die weit mehr als zehn Jahre schon zuteilungsreif waren. Es ist aber davon auszugehen, dass sie künftig auch kündigen werden, wenn die Zehnjahresgrenze gerade erst überschritten ist. Dennoch betrifft das

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Urteil nur einen Bruchteil aller Bausparverträge, die als typisch deutsches Sparprodukt gelten: Zuletzt gab es hierzulande fast 30 Millionen davon.

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Vor drei Jahren begannen Bausparkassen damit, seit zehn Jahren und länger zuteilungsreife Bausparverträge zu kündigen - bei den strittigen Fällen geht es immer um Verträge, die lange schon zuteilungsreif, aber noch nicht voll bespart sind. Der Kunde hätte also längst ein Darlehen in Anspruch nehmen können, hat es aber nicht getan. Zuteilungsreif heißt, dass der Kunde Anspruch auf ein Bauspardarlehen hat. Dazu muss er die Mindestsparsumme und eine Bewertungsziffer erreicht haben. Die Mindestsparsumme wird bei Vertragsbeginn festgelegt und beträgt typischerweise 40 oder 50 Prozent. Die für die Zuteilung nötige Mindestbewertungsziffer variiert ein wenig, weil sie von den Sparleistungen aller Kunden abhängt. Als die Verträge, die inzwischen gekündigt sind, abgeschlossen worden waren, war die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) noch nicht absehbar. Manche Verträge sind sogar deutlich älter als die Währungsunion und die EZB selbst. Für die auf diese Verträge eingezahlten Guthaben müssen die Kassen nun die hohen Zinsen zahlen, die sie ihren Kunden einst beim Abschluss versprochen haben, und diese Sätze liegen heute oft über denen, die sie selbst einnehmen, wenn sie Darlehen vergeben. Am Kapitalmarkt fällt es den Bausparkassen nun schwer, das Geld für ihr Versprechen zu verdienen. Das torpediert ihr Geschäftsmodell, die wichtigen Zinserträge sinken. Die beiden Kunden der Bausparkasse Wüstenrot, die vor dem BGH geklagt haben, wollten ihren Anspruch auf Sparzinsen von drei und 4,5 Prozent nicht aufgeben. In einem Fall stammte der Vertrag aus dem Jahr 1978. Konkret streiten Bausparkassen und Sparer vor Gericht darüber, ob eine Vorschrift aus dem Paragraf 489 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Bausparkassen und Bausparverträge angewendet werden kann oder nicht. Die Regelung sieht vor, dass ein Darlehensnehmer den Kredit zehn Jahre nach dessen vollständigem Empfang kündigen darf. Im Fall von Bausparverträgen sind die Bausparkassen während der Ansparphase quasi die Kreditnehmer, während die Mittel der Klienten in dieser Phase als Darlehen an die Banken gelten. Der BGH teilt die Ansicht der Bausparkassen und stellte jetzt klar, dass auch sie sich auf diese Vorgabe berufen dürfen. […] Bausparkassen hätten ein Schlupfloch im Gesetz gefunden, um sich von Verträgen zu lösen, klagt dagegen Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale BadenWürttemberg. Der BGH habe ein „höchst ärgerliches Urteil für Verbraucher“ gefällt. Der Grundsatz der Vertragstreue, nach der jeder Vertrag einzuhalten sei, ist nach Meinung des Verbraucherschützers „erschüttert“. Anwälte gehen nun davon aus, dass die Bausparkassen das Urteil als Signal nutzen werden, um weitere Verträge zu kündigen. „Ich befürchte, dass Bausparkassen nun verstärkt jene hochverzinsten Verträge kündigen werden, die länger als zehn Jahre lang zuteilungsreif sind“, meint der Stuttgarter Jurist Wolf von Buttlar. Quelle: Atzler, E., Handelsblatt, Nr. 038, 22.02.2017, 30

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Einkommen: Ungleichheit steigt

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Zeit für Gerechtigkeit - unter dieses Motto hat Martin Schulz seinen Wahlkampf gestellt. Der designierte SPD-Kanzlerkandidat will gegen die angeblich große Ungleichheit im Land kämpfen und damit beim Wähler punkten. Dabei zeigen alle einschlägigen Statistiken: Deutschland ist während der vergangenen zehn Jahre nicht ungerechter geworden. Die Ungleichheit liegt auf dem gleichen Stand wie im Jahr 2005. Doch nun geben neue Zahlen Schulz Auftrieb: Nach unveröffentlichten Daten aus dem Bundesfinanzministerium, die dem Handelsblatt vorliegen, ist die Lohnschere 2016 wieder leicht auseinandergegangen. Demnach lag der Einkommensanteil der zehn Prozent am besten verdienenden Arbeitnehmer im vergangenen Jahr bei 31,7 Prozent. Im Jahr davor hatte der Anteil noch 31,4 Prozent betragen. Auch der Einkommensanteil der oberen fünf Prozent stieg gegenüber 2015 leicht an; ebenso jener der ein Prozent der Beschäftigten mit den höchsten Verdiensten. Armutsrisiko bei Migranten Zu einem ähnlichen Befund war kürzlich schon das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gekommen. Auch DIW-Ökonom Markus Grabka stellte „erste Anzeichen für eine wieder steigende Einkommensungleichheit“ fest. Er bezog sich dabei auf das sogenannte „90:10Verhältnis“. Dieses gibt an, wie viel mehr eine reichere Person als eine ärmere Person verdient. 2005 lag dieser Wert bei 3,5 - die reichere Person hatte also ein dreieinhalb Mal höheres Einkommen. Danach stagnierte der Wert. Seit 2011 ist laut DIW aber wieder ein Anstieg erkennbar, 2014 kletterte der Indikator auf 3,65. Solche Zahlen spielen Schulz im laufenden Bundestagswahlkampf in die Karten. Allerdings signalisieren die neuen Zahlen noch keine extrem wachsende Ungleichheit. So war die Lohnspreizung im vergangenen Jahr laut den Zahlen des Finanzministeriums geringer als 2013. Damals hatte der Einkommensanteil der obersten zehn Prozent noch bei 32,6 Prozent gelegen. Ähnlich verhält es sich beim jüngst festgestellten Anstieg bei der Armutsgefährdung. So ist die Armutsgefährdungsquote nach den Daten des „Sozio-oekonomischen Panels“ zwischen 2012 und 2014 von 14,6 auf 15,9 Prozent gestiegen. Dies ging allerdings maßgeblich auf im Datensatz neu erfasste Migranten sowie die Flüchtlingskrise zurück. „Da sich der Anstieg der Armut besonders bei Menschen mit Migrationshintergrund zeigt, kommt Integrationsmaßnahmen eine zentrale Bedeutung zu“, sagt Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die bisherigen Vorschläge von Schulz in der Arbeitsmarktpolitik wie die Verlängerung des Arbeitslosengeldes gingen deshalb in die falsche Richtung: „Vermutlich liegt dem auch die Erkenntnis zugrunde, dass sich mit Flüchtlingsintegration selbst im linken Lager schlecht Wahlkampf machen lässt“, sagt Hüther. Quelle: Greive, M./Riedel, D., Handelsblatt, Nr. 041, 27.02.2017, 9

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