Dokumentation Seelsorge und Okkultismus

Dokumentation Seelsorge und Okkultismus Liebe Leser und Leserinnen, das Thema Seelsorge und Okkultismus wirft in unseren Gemeinden immer wieder Fragen...
Author: Imke Linden
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Dokumentation Seelsorge und Okkultismus Liebe Leser und Leserinnen, das Thema Seelsorge und Okkultismus wirft in unseren Gemeinden immer wieder Fragen auf. Die Bibel bezeugt die Realität dämonischer Mächte; doch die Frage, wie wir das Wirken dämonischer Mächte biblisch-theologisch verstehen sollen und welche Konsequenzen sich für die Seelsorge daraus ergeben, wird unterschiedlich bis hin zu gegensätzlich beantwortet. Sehr deutlich treten diese Unterschiede zum Beispiel bei der Frage nach der Generationenschuld/bindung zu Tage. Im breiten Spektrum möglicher Positionen nimmt das bcb biblisch-theologisch eine vergleichsweise "nüchterne" Haltung ein. Mit der Dokumentation Seelsorge und Okkultismus möchten wir eine vertiefte persönliche Auseinandersetzung mit diesem komplexen Thema anregen und dazu beitragen, dass Seelsorgende ihr Gesamtkonzept vom Wirken dämonischer Realitäten reflektieren. Ein besonderes Anliegen ist uns als bcb die Auseinandersetzung mit Bibelworten, die im Zusammenhang mit Okkultismusfragen häufig losgelöst vom biblischen oder heilsgeschichtlichen Kontext zitiert werden. Dies ist der Schwerpunkt des Beitrags von Monika Riwar (Seite 2-17). Der Artikel von Dr. med. Samuel Pfeifer, des Präsidenten unseres Fachbeirates, mit seiner Stellungnahme aus ärztlicher Sicht hat trotz älteren Verfassungsdatums in seinen Grundaussagen nichts an Aktualität verloren (Seite 18-23) Wir haben in der Dokumentation auch das Paper Leitlinien zum Befreiungsdienst von ACC aufgenommen (Seite 24-27). Theologisch sind wir als bcb durchaus nicht mit allen Ansätze in diesen Leitlinien einig. Doch teilen wir das pragmatische Anliegen, dass wenn jemand Befreiungsdienst ausübt, dies im Rahmen gewisser ethischer Leitlinien geschehen soll. Die vorliegende Dokumentation erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und will auch nicht allumfassende Antworten bieten. Doch hoffen wir, dass Sie für Ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Seelsorge und Okkultismus profitieren können. Mit freundlichen Grüssen Für die Ausbildungsleitung

Monika Riwar, Pfrn.

Dr. med. Manuela Wächli

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Monika Riwar Theologin, Beratende Seelsorgerin

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Inhaltsverzeichnis Zitate zum Thema Okkultismus.........................................................................................................3 Deutungsmöglichkeiten paranormaler Phänomene...................................................................4 Fünf Deutungsmöglichkeiten paranormaler Phänomene .............................................4 Unterschiedliche Stufen mantischer Praktiken ..................................................................6 „Okkulte Belastung“ – ein problematischer Begriff.....................................................................7 Passiver und aktiver Okkultismus......................................................................................................9 Biblische Grundlagen zum seelsorgerlichen Umgang mit Okkultismus ..............................10 Der Schuldbrief ist getilgt, Kol 2,13-15................................................................................10 Die Schuld der Väter, 2. Mose 20,5f. ...................................................................................11 Das Reich Gottes ist zu euch gekommen, Mt 12,22-29 ..............................................12 Essen von Götzenopferfleisch, 1. Kor 8,4-6 ......................................................................14 Flieht den Götzendienst, 1. Kor 10,14.19-20 ...................................................................15

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Zitate zum Thema Okkultismus Der bekannte Theologe Adolf Köberle definiert - und hier steht er in einer Linie mit Karl Heim - Okkultismus in einem weiten Sinne. Er versteht darunter eine menschliche übersinnliche Begabung, die zum Heil oder zum Fluch eingesetzt werden kann. Unter diesem Aspekt sind auch die Worte des Paulus in 1Kor 12,2+3 zu verstehen: Erlebten einige Korinther vor ihrer Bekehrung in heidnischen Tempeln Zungenrede, Prophetien und Heilungen, so blieben ihnen diese transrationalen Begabungen auch nach ihrer Bekehrung erhalten. Jetzt ringt Paulus mit ihnen darum, dass sie diese Gaben nicht zum eigenen Nutzen missbrauchen, sondern sie im Sinne des Glaubensgehorsams Jesu Christi bewusst zum Nutzen der ganzen Gemeinde einsetzen. Paulus muss zu strengen Vorschriften greifen, damit sich diese übersinnlichen Phänomene nicht verselbständigen und durch ein geistliches Elitedenken seine Gemeinde nicht zerstört wird.

Okkultismus als übersinnliche Begabung "Auch bei den okkulten Kräften handelt es sich um eine schöpfungsmässige Begabung... Frühere Generationen besaßen eine reichere okkulte Erfahrung als der heutige Mensch, der bei allem neu erwachten Interesse überwiegend doch nur ein theoretisches Wissen davon hat. Jedenfalls geht es nicht an, die Ausrüstung mit okkulten Kräften von vornherein für satanisch zu erklären, so gewiss auch dämonischer Missbrauch an dieser Stelle häufig wahrzunehmen ist. Kritische Wachsamkeit ist sicherlich vonnöten, und was das Vordergründig-Sinnliche überschreitet, darf nicht schnellfertig mit dem Göttlich-Absoluten gleichgesetzt werden; denn auch das Übersinnliche gehört mit hinein in den Bereich des Kreatürlichen und darf mit dem Schöpfer aller Dinge keinesfalls verwechselt werden. Andererseits ist die in christlichen Kreisen weitverbreitete Überzeugung, wer eine okkulte Begabung sein eigen nennt, könne diese nur von dem ´Fürsten dieser Welt´ bekommen haben, in dieser Verallgemeinerung nicht haltbar. Gott hat ungezählte Schöpfungswunder und geheimnisse in Natur und Seele eingesenkt. Das schulphysikalische und schulpsychologische Weltbild leugnet diese Mysterien zwar noch immer, die christliche Kirche jedoch hat keinen Anlass, sich auf die Seite dieser Skepsis zu stellen" (A. Köberle: Art. Okkultismus. In: RGG, 3. Aufl. 1960, Sp. 1617f.) "Wer übersinnliche Begabungen in das Leben mitbekommen hat, der hüte und verwalte sie mit heiligen Händen! Er sei sich klar darüber, wie sehr er mit einem solchen Besitz die Schutzmacht des Gebets und den Beistand Christi nötig hat, weil das Offensein der Seele auch den Einbruch unruhiger, friedloser, hintergründiger Mächte begünstigen kann. Wer aber nichts dergleichen bei sich vorfindet, der lasse die Hände davon und suche nicht gewaltsam an sich zu reißen, was ihm versagt geblieben ist. Im Grund bekennen alle Männer und Frauen, deren Seele nahe am Übersinnlichen lebt, es sei mehr eine Last als ein Glück, mit einer solchen Ausrüstung durch das Leben zu gehen" (A. Köberle: Das geheimnisvolle Reich der Seele. Erfahrungen der Psyche in den Grenzbereichen des Lebens. Freiburg 1984, 42).

Wenn der Okkultismus zur Weltanschauung wird "Das Wissen von den geheimen Kräften und Beziehungen ist also hauptsächlich deswegen von Interesse, weil der Mensch sie sich für seinen äußeren oder inneren Fortschritt verfügbar machen kann. Dazu bedarf es nicht unbedingt religiöser Bezüge. Gerade weil es den Okkultisten aller Zeitalter um das Streben nach geheimer Macht, nach verborgenen Einflussmöglichkeiten, nach besonders raffinierter Bewältigung des Lebens und des SterSeite 4

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bens ging, nämlich um eigenmächtige Verfügung über Schicksal, Gesundheit, Bewusstseinsstufen und allerlei sichtbare und unsichtbare Bedrohungen, gerade deshalb waren ihre Lehren und Haltungen im Kern immer unvereinbar mit dem Glauben an den allmächtigen, unverfügbaren, persönlichen Gott" (W. Thiede: Neuzeitlicher Okkultismus in theologischer Perspektive. In: Kerygma und Dogma 1987, 279-362, 282f).

Okkultismus: Sinnsuche unter Preisgabe der persönlichen Freiheit "Es liegt zweifellos viel Ernsthaftigkeit in den Bestrebungen der Esoteriker, wenn auch nicht ohne Risiko. Das größte Risiko im Umgang mit okkulten Kräften ist seit jeher die Dispensierung der persönlichen Freiheit, die Abgabe der Eigensteuerung unter Berufung auf geheimnisvolle Mächte und Kräfte. (...) Es ist zweifellos die aktuelle Stärke der Esoterik, dass sie zahlreichen Bestrebungen und Trends unserer Zeit eine Heimstatt bietet. Sie kann aber auch Fluchtweg sein in innere Welten, die zwar zu halten scheinen, was eine äußere Zivilisation vorenthält und nur verspricht, die aber den Menschen ebenso gefangen nehmen können, wir(e) irgendeine Ideologie, die über der Verabsolutierung ihrer vielleicht teilweise richtigen Erkenntnisse den konkreten geschichtlichen Menschen vergisst, dessen Interessen und vor allem dessen Freiheit jedenfalls für die christliche Tradition ein entscheidendes Kriterium bleiben" (H.-J. Ruppert: Esoterik - Neuer Trend auf alten Wegen. In: Materialdienst der EZW. 5/1986, 124-141, 138f).

Der Okkultist ist ein Sünder unter anderen "Ich glaube, dass auch wir im Blick auf die modernen Magier und Okkultisten nicht über das Neue Testament hinausgehen sollten. Der Okkultist, der Kartenleger und Horoskopgläubige, der Pendler und Spiritist ist zuerst einmal nichts anderes als ein gefallener, von Gott getrennter Mensch wie der rein innerweltliche Karrieremacher, der Geizhals, der Alkoholiker - und wir selbst. Ihm gilt der Anruf des Evangeliums, ihn sucht die Liebe Christi. Und wenn der Okkultist sich von seinen magischen Hilfsmitteln abwendet, mit denen er die Angst und die Leere seines Lebens bewältigen wollte, und sich der Liebe Gottes öffnet, dann wird diese Liebe ihn von dem befreien, was ihn bindet, seien es okkulte Ängste, persönliche Schuld oder anderes" (H. Hemminger: Vom Umgang mit dem Okkultismus. Psychologische und seelsorgerliche Aspekte. In: EZW, Sonderdruck Nr. 17, 39).

Deutungsmöglichkeiten Deutungsmöglichkeiten paranormaler Phänomene Fünf Deutungsmöglichkeiten paranormaler Phänomene Paranormale Phänomene werden oft als “übernatürliche Dinge” bezeichnet, z.B. wenn sich in einem Haus plötzlich ein Bild dreht, oder in der Bibel von einem schwimmenden Eisen berichtet wird. Solche Phänomene liegen ausserhalb unseres normalen, alltäglichen Erfahrungsbereiches in dem Sinne, dass wir sie mit den uns bekannten physikalischen Gesetzmässigkeiten nicht erklären können.

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Gleiche paranormale Phänomene können unterschiedlich gedeutet werden:

parapsychologische Deutung

biblische Deutung

Paranormale Phänomene

spiritistische Deutung

okkulte Deutung medizinische Deutung

• Parapsychologische Deutung: Paranormale Phänomene werden als Resultat menschlicher Fähigkeiten gedeutet. Ihnen liegen keine Einflüsse von aussen zugrunde, sondern noch nicht erkannte seelische Prozesse und Kräfte des Menschen. • Medizinische Deutung: Sie geht von Veränderungen, bzw. Störungen im Wahrnehmungsprozess aus. Menschen nehmen aufgrund veränderter hirnphysiologischer Prozesse Dinge wahr, z.B. hören sie Stimmen, die nicht der Realität entsprechen. • Okkulte Deutung: Auf dem Hintergrund eines dämonistischen Weltbildes wird hier ein direktes Einwirken von Dämonen als Ursache paranormaler Phänomene gesehen. • Spiritistische Deutung: Paranormale Phänomene werden als von unsichtbaren Geistwesen, auch Geister von Verstorbenen, verursacht gedeutet, die durch ein Medium wirken. Sie geben Botschaften oder nehmen Einfluss auf Gegenstände. • Biblische Deutung: Aus biblischer Sicht sind paranormale Phänomene nichts besonderes. Sie treten im Rahmen des Prophetenwirkens auf (vgl. das schwimmende Eisen bei Elisa, 2Kö 6,1ff.), bei Jesus (vgl. die verschiedenen Wunderberichte) oder in der Gemeinde (vgl. 2Kor 12: Glossolalie, prophetisches Reden, Heilungen). Bei der Frage nach der Verursachung dieser Phänomene lassen sich folgende Linien erkennen: - Es handelt sich um göttliche, geistgewirkte Einflüsse aus der unsichtbaren Welt Gottes (vgl. 2Mose 7,9+10; Wunder bei Jesus, usw.). - Es handelt sich um Einflüsse aus dem Bereich der Finsternismächte (vgl. 2Mo 7,12; die “Dämonisierten” - Mt 8,28ff.; usw.). - Menschen können als Geschöpfe Gottes von Geburt an unterschiedliche Fähigkeiten haben wie z.B. mantische Begabungen (vgl. prophetisches Reden: Bileam 4Mo 22,1ff.). Für die Menschen entscheidend ist die Frage, ob sie diese “natürlichen” durch das Wirken des Heiligen Geistes in den Gehorsam gegen Jesus Christus und in den Seite 6

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Dienst des Gemeindeaufbau (“zum Nutzen aller”) führen, oder letztlich unter der Herrschaft des “Gottes dieser Welt” (2Kor 4,4) zum Eigennutz missbrauchen. Auch geistgewirkte Begabungen (Begabung zu punktuellen Heilungen (1Kor 12,9) müssen in ihrer Ausübung in den Gehorsam gegen Jesus Christus gestellt sein. - Da die Bibel auch um die leibliche Dimension des Menschen, um Krankheit und Gesundheit weiss (vgl. hebr. näphäsch), stellt sich ihre Sichtweise prinzipiell auch nicht gegen medizinische, biologische Erklärungen im Sinne von Wahrnehmungstäuschungen, ekstatische Zustände, usw. Fazit: Die biblische Deutung paranormaler Phänomene ist ganzheitlicher, weiter und offener als die anderen Erklärungsansätze. Sie kennt Aspekte des parapsychologischen Deutungsansatzes (Auftreten der paranormalen Phänomene als eines sogenannten psiFaktors beim Menschen). Sie weiss um die Wirklichkeit des Feindes Gottes. Aus diesem Grunde rechnet sie mit direkten Wirkungen der Finsternismacht auf den Menschen, lehnt aber die weltanschaulichen Deutungen im Sinne des Okkultismus oder Spiritismus ab. Schliesslich sind aus biblischer Perspektive auch medizinisch/biologisch erklärbare Wahrnehmungsstörungen nicht auszuschliessen. Es gilt der Satz des Paulus: “Prüfet aber alles, und das Gute behaltet” (1Thess 5,21). So kann die Frage nach der Ursache paranormaler Phänomene verschieden beantwortet werden. In christlichen Gemeinden stossen wir manchmal auf eine “semi-spiritistische” oder “semi-okkultistische” Deutung; d.h. Christen übernehmen faktisch die Weltanschauung des Okkultismus und Spiritismus, lehnen aber den Umgang mit diesen Dingen aufgrund des biblischen Gebotes radikal ab. So ist es z.B. erklärbar, weshalb verschiedene christliche Autoren Sichtweisen und vor allem Exorzismuswege vorschlagen, welche die okkulte bzw. spiritistische Weltanschauung als richtig voraussetzen. Die Bibel weist uns hier einen anderen Weg (s.u.). Unterschiedliche Stufen mantischer Praktiken Wie können wir mantische1 Praktiken beurteilen? Folgende Einteilung kann helfen:

physikalische Stufe

Wünschelrutengehen in der Natur

mentale (psychische) Stufe spiritistische (okkulte) Stufe

Pendeln über einer Landkarte Pendeln über dem Alphabet (spiritistischer Gebrauch des Pendels mit "Geisterbotschaften")

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Mantis (griech.) ist der Seher, Wahrsager. Mantik meint Wahrsagekunst im weitesten Sinne. Mithilfe mantischer Praktiken soll die Wirklichkeit aufgrund einer religiösen oder magischen Weltsicht tiefer durchschaut werden. Wichtig ist dabei das Bemühen, zukünftige Entwicklungen vorherzusehen und einzuschätzen.

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nach: H. J. Ruppert

1. Physikalische Stufe: Wo Praktiken wie z.B. Wünschelrutegehen einen direkten Bezug zur Schöpfung haben, liegen womöglich physikalische Gesetzmässigkeiten in der Schöpfung vor, die wir aber mit unseren gegenwärtigen Messgeräten noch nicht erfassen können.

So sagt z.B. eine alte Bauernregel: Baue den Stall da, wo das Vieh sich hinlegt. Es könnte sein, dass Tiere ein feineres Sensorium haben als unsere technischen Messgeräte. So kann auch das Ausschlagen einer Wünschelrute verstanden werden: Es wäre denkbar, dass ein Mensch ein feineres Sensorium hat als andere, sodass die Rute bei einem Wasserfeld oder einer Wasserader nach unten gezogen wird. Ähnliche Überlegungen gelten für die Akupunktur: Es ist kein Geheimwissen. Die Technik ist unabhängig von der religiösen Haltung des Ausführenden und wird mittlerweile von vielen Schulmedizinern praktiziert. 2. Mentale (psychische) Stufe: Hier wird es schwieriger. Wenn z.B. über einer Landkarte gependelt wird, um eine vermisste Person zu finden, wird der direkte Bezug zur Schöpfung verlassen. 3. Spiritistische (okkulte) Stufe: Hier dient die Praktik im Rahmen einer okkulten oder spiritistischen Handlung dazu, dem Menschen z.B. mehr Sicherheit über sein Leben zu verschaffen. Dies ist ein Weg, der an Christus und den biblischen Aussagen vorbeiführt. Theologisch liegt hier die Missachtung des ersten Gebotes vor. Mantische Praktiken sind da problematisch, wo sie den Schöpfungsbezug verlassen.

“Okkulte Belastung” - ein problematischer Begriff “Okkulte Belastung” ist ein Begriff, der in der Bibel nicht vorkommt. Der damit umschriebene Sachverhalt entspricht dem biblischen Verständnis des Wirkens dunkler Mächte nicht. Die Vorstellung einer “okkulter Belastung” darf nicht verwechselt werden mit dem Phänomen der Besessenheit, von dem die Bibel berichtet. Oft werden “okkulte Belastung” und “Besessenheit” als gleiche Phänomene mit unterschiedlicher Intensität dargestellt und als direkte Folge des Umgangs mit okkulten Praktiken verstanden. Doch dazu finden wir in der Bibel keine Anhaltspunkte. In der Bibel wird von besessenen Menschen berichtet - sie nennt diese daimonizomenoi, “Dämonisierte”, (Der Ausdruck erscheint in den Evangelien nur 12x , zB. Mt 12,22; Mk 5,15ff; Lk 8,36; Joh 10,21, Paulus benutzt ihn nie), oder auch Menschen mit einem “unreinen Geist” (zB. Mt 10,1; Mk 1,23.26; 5,2; Apg 5,16). Es sind Menschen, an und in denen sich dämonische Mächte in besonderem Masse austoben. Sie sind in Beschlag genommen, sodass sie kaum noch Kontrolle über ihr Leben haben. Interessanterweise finden sich gerade bei dieser Gefangenschaft durch dämonische Mächte keine Hinweise Seite 8

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darauf, weshalb es zu dieser Besessenheit gekommen ist. Es wird nur gesagt, dass es das Werk Satans ist (vgl. Lk 13,16). Auch in der Begegnung mit Jesus ist dies kein Thema. Besessene kommen oder werden zu ihm gebracht und er spricht sie durch ein Machtwort frei. Im Unterschied zur pharisäischen Dämonenlehre (vgl. dazu unten die Ausführungen zu Mt 12,22ff.) ist die Bibel sehr zurückhaltend. Die Vorstellung einer “okkulten Belastung” geht wie die okkultistische Weltanschauung von der Annahme aus, dass hinter den paranormalen Phänomenen und okkulten Praktiken direkte Einflüsse von dämonischen Mächten stehen. Deshalb begebe sich jeder, der dies ausübt, in Abhängigkeit von dämonischen Mächten - selbst wenn er bei der Ausübung solcher Praktiken nur dabei war. W. van Dam erzählt, wie er in Versammlungen, bei denen viel Kraft des Heiligen Geistes anwesend war, wiederholt von stechenden Schmerzen in der linken Schulter geplagt wurde. Obwohl darüber gebetet wurde, kamen die Schmerzen wieder. In einer Vision sah jemand, dass ein böser Geist die Ursache sei. Van Dam erinnerte sich, wie einmal, als er bereits Christ war, eine Zigeunerin seine Hand packte und daraus las, ohne dass er es wollte. Dort war er unrein geworden. Jetzt konnte er losgesprochen werden und die Schmerzen verschwanden (W. van Dam: Satan existiert. Erfahrungen eines Exorzisten. Augsburg 1994, S. 82). Solche Berichte decken sich nicht mit der biblischen Sicht. Man anerkennt zwar den Sieg Christi über den Teufel, gleichzeitig geht man aber davon aus, dass er erst wirksam wird, wenn man ihn im Gebet ausspricht. Wird hier nicht der Sieg Christi über die Mächte und Gewalten in magischem Sinne vom eigenen Gebetshandeln abhängig gemacht? In Apg 19,1319,13-17 wird erzählt, wie sich jüdische Exorzisten den Namen Jesu als einem magisch kräftigen Namen zunutze machen wollen, um damit böse Geister auszutreiben, und kläglich scheitern. Man könnte einwenden, dass es nicht funktioniert hat, weil sie keine Christen waren und deshalb der Name Jesu keine Wirkung hatte. Eine solche Argumentation erklärt sich jedoch einverstanden mit dem magisch kräftigen Gebrauch des Namens Jesu - sie fügt einfach noch eine weitere Bedingung für die Wirkung dieses Handelns bei, nämlich dass man selber Christ sein müsse. Es ist wichtig, dass solche biblischen Verse nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Neuen Testamentes herausgelöst betrachtet werden. Man muss also fragen, worin im Neuen Testament die Freiheit von der Macht der Finsternis begründet ist: In der Lebensverbindung mit Jesus Christus, und nicht durch den magischen Gebrauch von Bibelstellen oder des Namens Jesu. Wo ein Mensch sein Leben in Busse und Umkehr unter die Herrschaft Christi stellt, ist er freigemacht von aller Schuld und aller Bindung an finstere Gewalten (Joh 8,36). Es braucht deshalb keine zusätzlichen Freisprachen (vgl. dazu die Ausführungen zu Kol 2,13ff. in Kap.9). Wo ein Mensch sich nicht für Jesus Christus öffnet, steht er auch nicht unter der Herrschaft Christi: E bleibt im Herrschaftsbereich des Feindes Gottes, selbst dann, wenn es partielle Siege zu geben scheint (vgl. Mt 12,43-45). Da helfen dann auch keine “plappernde” Gebete (Mt 6,7), die x-mal den Namen Jesu beschwören. Van Dam argumentiert, dass das Wort Jesu in Joh 8,36: “Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, dann werdet ihr wirklich frei sein”, nicht auf die Befreiung von Dämonen Seite 9

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angewendet werden könne, denn: “Sicher ist der Christ ein neues Geschöpf, doch dieses neue Geschöpf ist noch lange nicht fertig.” Wenn Gottes Geist auch im Geist des Menschen Wohnung genommen habe, seien Seele und Körper noch längst nicht vollständig von ihm erfüllt (W. van Dam: Satan existiert. Erfahrungen eines Exorzisten. Augsburg 1994, S.81). Dazu sind zwei Dinge zu sagen: 1. Die Begründung zeigt, dass van Dam den geistlichen Vorgang des Christwerdens nicht in seiner ganzen Radikalität erkennt. Christwerden bedeutet nicht, dass der Heilige Geist in einen Teilbereich, nämlich den Geist eines Menschen einzieht, es ist vielmehr ein reales Geschehen in der unsichtbaren Welt Gottes, das tief in das Herrschaftsgebiet des Feindes Gottes eingreift: Wer Christ wird, in dem schafft Gott durch einen Schöpfungsakt den neuen Menschen (2. Kor 5,17). Er ist aus dem Reich der Finsternis herausgenommen und ins Reich des Sohnes versetzt. Er ist mit Christus zu einer Lebensgemeinschaft verbunden und gehört ganz zur himmlischen Welt Gottes. Nicht das “neue Geschöpf” in einem Christen muss wachsen, sondern die Übereinstimmung zwischen dem, was ich bei Gott schon ganz bin und dem, was ich lebe (Heiligung). 2. Van Dam gründet seinen Gedanken auf die Einteilung des Menschen in drei Teilbereiche: Geist, Seele und Leib. Diese Dreiteilung des Menschen entspricht nicht dem biblischen Verständnis des Menschen, sondern dem griechisch-platonischen Menschenbild. Auch wenn das Neue Testament die griechischen Begriffe benutzt, versteht es entsprechend dem Alten Testament den Mensch immer ganzheitlich. Dass es keine “Spezialbefreiung” braucht für Menschen, die Zauberei und Wahrsagerei betrieben haben oder damit in Kontakt kamen, kommt in den anschliessenden Versen in Apg 19,18 19,18,18-19 zum Ausdruck: Durch ihre Bekehrung wenden sich die gläubig Gewordenen vom Dienst an falschen Göttern ab und bekennen auch Zaubereisünden, die sie getan haben. Sie trennen sich von ihren Zauberbüchern und verbrennen sie öffentlich als ein Akt des Bekenntnisses zu Jesus Christus. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass diese neben ihrer Bekehrung eine besondere Art der Freisprache nötig hätten. Die Befreiung geschieht durch die Lebensübergabe an Christus und nicht durch eine besondere Art des Gebetes. Lukas ist in der Erzählung viel mehr daran interessiert, dass diese verbrannten Bücher einen hohen materiellen Wert haben, nämlich fünfzigtausend Silberdrachmen. Eine andere Geschichte stellt die Vorstellung einer okkulten Belastung noch deutlicher in Frage. In Apg 8,138,13-24 wird berichtet, wie sich der Zauberer Simon taufen lässt und sich der Gemeinde in Samaria anschliesst. Lukas schenkt der Tatsache, dass er ein Zauberer war, keine weitere Aufmerksamkeit. Der Fortgang der Geschichte zeigt allerdings, dass Simon auf seinem Glaubensweg noch viel zu lernen hat. Er hat sich zwar taufen lassen und Christus angenommen, aber er bleibt noch in seinen alten Denkschemen gefangen. Er missversteht den Glauben an Jesus Christus und hält ihn für eine Magie höherer Art. Er gerät ausser sich über die Zeichen und Wunder, die durch die Apostel geschehen, und will die Gnadengaben Gottes für Geld von Petrus erwerben. Er hält sie für Mittel, die der Mensch in seiner Verfügung hat. Nicht “okkulte Belastungen”, sondern Verirrungen des Herzens zeigen sich hier: Der verführerische Hang zur Macht. Das Urteil von Petrus lautet: “Du bist voll Bitterkeit und in Banden der Ungerechtigkeit”. Selbstverständlich wirkt in dieser Bosheit des Herzens der Feind Gottes, denn leben in einer gefallenen Welt. Ob es nun Zaubereisünde ist, der unkontrollierte Hang zur Macht, Neid, Zank, Geiz, Lieblosigkeit, wir sündigen (siehe unten Gal 5,19ff.). Jede Sünde ist gleich schwer. Wir sollen deshalb umkehren, Busse tun und neu anfangen. Seite 10

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Die ‘Banden der Ungerechtigkeit’ sind dieselben wie die Banden jeder anderen Sünde. Die Ermahnung, die Simon erhält, lautet dann auch nicht: “Wir müssen dich von möglichen restlichen Bindungen lossprechen”, sondern wie bei anderen Christen, die schuldig geworden sind: “Wende dich von deiner Bosheit ab und bitte den Herrn”, d.h. tue Busse und bekenne Christus deine Schuld, dass er dir vergibt.

Passiver und aktiver Okkultismus Immer wieder wird versucht, den Schweregrad einer okkulten Bindung näher zu bestimmen. Dazu wurden verschiedene Ausdrücke geprägt: Belastung, Umsessenheit, Besessenheit u.a. Solche Beschreibungen und Abgrenzungen sind der Bibel fremd. Geeignet scheint uns die Unterscheidung von passivem und aktivem Okkultismus zu sein. 1. Passiver Okkultismus Passiver Okkultismus liegt dann vor, wenn jemand, ohne es willentlich zu suchen, mit Menschen oder Dingen in Berührung kommt, die unter okkultem Einfluss stehen. Wir leben in einer gefallenen Welt. Die Bibel bezeichnet den Teufel als den Fürsten dieser Welt, d.h. wir leben mitten im Herrschaftsgebiet des Feindes Gottes. Wann und wo immer wir uns bewegen, kommen wir in Berührung mit den Folgen dieser Herrschaft. Wenn wir durch die Strassen gehen, können wir jederzeit ohne unser Wissen mit Menschen in Kontakt kommen, die sich mit okkulten Praktiken beschäftigen. Wir wissen auch nicht immer, ob Gegenstände oder Nahrungsmittel, die wir kaufen, besprochen oder verwünscht wurden. Die unsichtbare Welt des Feindes ist zwar real in dieser Welt, aber wir finden in der Bibel keinen Hinweis darauf, dass die finsteren Mächte uns als Christen ohne unser Wissen in Beschlag nehmen können. Im Gegenteil: Jesus sagt ganz klar, dass wir zwar in, aber nicht mehr von der Welt sind. Er bittet für seine Jünger um Bewahrung vor dem Bösen (Joh 17,14f.). Wer unter Jesu Herrschaft steht, der steht unter seinem Schutz; denn als Christ wurde er vom Reich der Finsternis in das Reich des Sohnes hinein versetzt (vgl. Kol 1,13) und der Feind Gottes hat kein Anrecht mehr an ihn. Er kann uns von aussen anfechten und unseren Schwächen ausnützen, aber er kann uns nicht mehr bestimmen. Wenn wir unwissentlich und ohne unseren Willen mit Menschen oder Dingen in Berührung kommen, die unter okkultem Einfluss stehen, dann bleiben wir in Jesus geschützt und tragen keinen Schaden davon. 2. Aktiver Okkultismus Aktiver Okkultismus liegt dann vor, wenn sich ein Mensch wissentlich und willentlich mit den Mächten der Finsternis verbindet. Dies kann sowohl ein Christ als auch ein Nichtchristen tun, z.B. durch das Lesen von Horoskopen, Teilnahme and Séancen etc. Okkulte Sünde bewerten viele Christen als schwerwiegender im Vergleich zu anderen Sünden. Das neue Testament kennt aber keine besondere „okkulte Sünde“. Die Sünde, die aus dem Praktizieren von Beschwörungsriten, Totenbefragungen und Séancen, oder aus der Teilhabe an heidnisch-okkulten Gottesdiensten entsteht, subsumiert die Bibel unter die Stichworte: Wahrsagerei, Hellsehen, geheime Künste, Zauberei. Im sogenannten Seite 11

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Lasterkatalog des Paulus (Gal 5,19ff.) werden diese Dinge Zaubereisünde und Götzendienst (im Sinne des ersten Gebotes) genannt. Es sind Sünden unter vielen anderen: Zauberei ist nicht schlimmer als Neid; und Neid ist genauso schlimm wie Unzucht (vgl. auch 1.Sam 15,3: Ungehorsam ist wie Zauberei). Jede Sünde ist radikal schwer und hält definitiv von Gott fern, wenn wir Jesus nicht kennen lernen, oder beschwert unsere Beziehung zu Gott, wenn wir Christen sind. Es gibt nur einen Weg im Umgang mit okkulter Sünde: Die Schuld Jesus Christus bekennen und seine Vergebung erfahren! Wenn er uns freispricht, dann sind wir ganz frei (vgl. Joh 8,36). Dies gilt auch für Nichtchristen, die sich okkult betätigt haben: Wenn sie ihr Leben unter die Herrschaft Jesu Christi stellen, ist die Schuld ihres alten Lebens vergeben und sie sind von allen geistlichen Bindungen freigemacht.

Biblische Grundlagen zum seelsorgerlichen Umgang mit Okkultismus “Als ihr tot wart in den Verfehlungen..., hat Gott euch lebendig gemacht mit Christus, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat. Er hat ha t den gegen uns lautenden Schuldbrief ausgetilgt... Er hat ihn aus der Mitte weggeschafft, indem er ihn ans Kreuz nagelte; als er die Gewalten und Mächte völlig entwaffnet hatte, stellte er sie öffentöffentlich bloss. In ihm (Christus) triumphierte er über sie.” (Kol 2, 1313-15) Viele Christen bewerten das Wirken des Feindes in okkulten Praktiken als besonders stark, während andere Sünden mehr “menschlich” sind. Die Bibel sieht das viel radikaler: Ein Mensch, der Christus nicht kennt, ist geistlich gesehen tot. Er ist nicht mehr oder weniger von Gott getrennt je nachdem, ob er sich okkult betätigt hat oder nicht. An anderen Orten spricht Paulus davon, dass wir als unerlöste Menschen unter der Macht der Sünde stehen, Sklaven der Sünde sind (Röm 6,16; vgl. Joh 8,34). Um einen Mensch zu befreien, braucht es nicht weniger als das Sterben und Auferstehen Jesu Christi und darin einen neuen Schöpfungsakt Gottes im Herzen der Menschen (vgl. 2. Kor 4,6; 5,17). Christus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören (1. Joh 3,8) - dies hat er getan durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung: Er hat den gegen uns gerichteten Schuldbrief getilgt und den Tod überwunden. Damit hat Christus die Macht der Sünde gebrochen und dem Teufel alle Waffen aus der Hand geschlagen (V.15; vgl. Lk 11,22). Der Feind Gottes ist ein besiegter Feind - er ist ganz und gar geschlagen. Wer Christus angehört, dessen Leben ist auf diesen Sieg gegründet, denn er ist mit Christus verbunden: Er ist mit ihm der Sündenmacht - und damit den Ansprüchen des Feindes - gestorben und mit ihm auferweckt zum neuen Leben in Gott (Kol 2,12; Röm 6,5ff.). Er ist ein Glied an Christi Leib und steht unter seinem Schutz. Denn Christus ist der Herr aller Gewalten und Mächte (Kol 2,11; Phil 2,10). Als besiegter Feind kann uns der Teufel noch anfechten und angreifen; in seinem alten Herrschaftsgebiet kann er immer noch wirken. Deshalb ermahnt Paulus die Epheser, die Waffenrüstung Gottes anzuziehen, weil Christen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalt der Finsternismacht kämpfen. Aber wer Christus gehört, hat den Feind nicht mehr zu fürchten; dieser kann ihn nicht mehr ohne seinen Willen oder sein Wissen besetzen, denn er ist mit Christus verbunden und gegen ihn kommt keine Macht oder Gewalt an (vgl. Röm 8,38): Er hat gesiegt und triumphiert.

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“... der die Schuld der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied ...” (2. Mose 20,5f.) Diese im Zusammenhang mit okkulter Belastung oft zitierte Stelle wird gerne zur Begründung einer möglichen okkulten Belastung von den Vorvätern her zitiert. Vgl. hierzu auch die Aussage von H. Rohrbach, “okkulte Belastungen” könnten auch auf dem Weg einer geistlichen Vererbung - über das Unsichtbare - oder auf dem Weg geschlechtlicher Kontakte durch die Partner und deren Vorfahren übertragen werden (H. Rohrbach: Die Beichte im Rahmen okkulter Belastungen. In: Zimmerling, P. (Hrsg.): Beichte - Ermutigung zum Neuanfang, Moers 1988, S.111). Doch diese Interpretation geht an der Zielaussage dieses Wortes vorbei. Zwei Dinge sind hier anzumerken: 1. Das Thema diese Verse ist nicht irgendeine okkulte Belastung, sondern Gottes Gericht über die Sünde des Abfalls, d.h. der Götzenanbetung. Die Aussage steht im Zusammenhang mit dem ersten und zweiten Gebot: ‘Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst dir kein Götterbild machen, dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen.’ Die Ausschliesslichkeit der Herrschaft Jahwes ist hier im Zentrum. Jeder andere gottesdienstliche und götzenhafte Kult ist ihm ein Greuel. Er teilt seine Herrschaft mit niemandem. Die Verse reden nicht davon, dass durch die Sünde des Abfalls irgendwelche Bindungen oder verborgene Wirkungen der Finsternismächte bis zum Urenkel ausstrahlen würden. Nein, hier ist von Gottes Handeln die Rede: Er ist es, der Gericht hält und sein Volk nachhaltig korrigiert. 2. Die Aussage ‘bis ins 4. Glied’ bezieht sich auf die Ganzheit der Sippe: Vom Sippenoberhaupt bis hin zum Urenkel. Was das Sippenoberhaupt entschied, galt für die ganze Sippe; vgl. Josua 24,15: “Ich aber und mein Haus, wir wollen Jahwe dienen.” Wenn das Haupt der Sippe sich nun dem Fruchtbarkeitskult des Baal zuwandte, war davon die ganze Sippe betroffen; die anderen Familienmitglieder mussten diese Abwendung von Jahwe nachvollziehen, wollten sie nicht aus der Sippe ausgeschlossen werden. ‘Bis ins 4. Glied’ hat also nicht die zeitliche Generationenfolge vor Augen, sondern die Lebensgemeinschaft einer Sippe. Im Verlaufe der Geschichte Gottes mit seinem Volk verändert sich die Stellung der Sippe. Schon im Alten Testament selber wird diese Sicht, dass die ganze Sippe für die Entscheidung des Sippenhauptes mit haftbar gemacht wird, korrigiert. Der einzelne wird in den Blick genommen. Die Söhne dürfen nicht mehr für die Sünden der Väter haftbar gemacht werden; und umgekehrt kann man die Väter nicht mehr für die Sünde der Söhne anklagen. In 5. Mose 24,16 heisst es: “Die Väter sollen nicht für die Kinder noch die Kinder für die Väter sterben, sondern ein jeder soll für seine eigenen Sünde sterben.” Zur Zeit Jeremias und Hesekiels geht im Volk ein Sprichwort um: Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden (vgl. Jer 31,29f; Hes Seite 13

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18,1). Darin erklingt der Vorwurf, dass das Gericht, nämlich die Zerstörung Jerusalems und das Exil in Babylon, das Volk zu unrecht getroffen habe, dass es die Schuld der Väter zu tragen habe. Bei Hesekiel ist das ganze Kapitel 18 dieser Fragestellung gewidmet und kommt zum Ergebnis: Dieses Sprichwort soll man in Israel nicht mehr sagen! Nur, wer selber sündigt, soll sterben (V.4.20). Gott verwehrt es dem Einzelnen, dass er sich aus der Verantwortung zieht und sich hinter seiner Sippe versteckt (V.3). Jeder steht direkt in der Verantwortung vor seinem Gott. Dabei soll ihn aber weder die Schuld der Väter verurteilen noch die eigene. Wer umkehrt von seinem gottlosen Weg, der soll nicht mehr gebunden sein an seine frühere Schuld; wenn er Recht und Gerechtigkeit übt, soll er leben (V.21). Es geht hier nicht um die Betonung des Individualismus, sondern um die Aussage, dass Umkehr aus jeglichem Zwang, auch aus der schuldhaften Verstrickung der Sippe befreit. Im Neuen Testament wird diese Linie dahin weitergeführt, dass niemand biologisch ins Reich Gottes hineingeboren werden kann. Jeder Mensch wird zur Entscheidung für Christus gerufen und wird durch den Akt des Glaubens von neuem geboren (Joh 1,12; 3,3; 2. Kor 5,17). Durch diese geistliche Neugeburt wird der Mensch in eine neue Familie eingefügt, in der Christus das Haupt ist (vgl. Mk 3,33ff.; Röm 8,29; Lk 9,59f.). Spätestens hier hören alle okkulten Bindungen auf, denn Christus ist der Herr. Dass familiäre Strukturen, Ordnungen und ungeschriebene Gesetze über Generationen hinweg im pädagogischen Sinne überliefert werden und unter Umständen negative Auswirkungen auf eine Person haben können, das hat die Familientherapie deutlich gezeigt. Hier handelt es sich um fehlgeleitete Haltungen in Familien, die sich aus verschiedenen Lernprozessen ergeben. Es ist offensichtlich, dass der Feind Gottes dies brauchen kann, um Menschen von Jesus abzuhalten. Wir leben in einer gefallenen Welt. “Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.” (Mt 12,2212,22-29) Die Bibel spricht immer wieder davon, dass es die unsichtbare Welt Gottes mit seinen Engeln, aber diejenige des Feindes mit seinen Dämonen gibt. Allerdings ist sie sehr zurückhaltend, wenn es um Aussagen über diese unsichtbare Welt geht: Die Bibel hat keine zusammenhängende Dämonen- und Engellehre. Die Vorstellung, dass Dämonen in allen Bereichen unser Leben infizieren und beeinflussen können, entspricht nicht der Sicht von Jesus, sondern der Dämonenlehre der Pharisäer. Mit Mt 12,22ff. liegt ein Textabschnitt vor, der exemplarisch die Stellung Jesu gegenüber der Dämonenlehre der Pharisäer zeigt. Die Pharisäer kennen gegen 300 Dämonenklassen, die sie als hierarchisch geordnet sehen: Es gibt höhere und niedere Dämonen (vgl. dazu Billerbeck, P.; Strack, H. L.: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. 4. Band: Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments, 1. Teil, München 1928). Sie können sich überall aufhalten: Im Schatten von Bäumen - ein Sperberbaum in der Nähe einer Ortschaft ist z.B. von 60 Dämonen bewohnt - in Ruinen und Häusern, vor allem wenn sie unbewohnt sind, in der Luft, in der Erde, bei Grabstätten.

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Scheinbar beeinflussen sie alle Lebensbereiche: Sie stehen dahinter, wenn Menschen krank werden, wenn das Vieh im Stall stirbt, wenn das Gewand eines Rabbis an den Knien durchgescheuert ist, obwohl er nicht körperlich arbeitet; sie verursachen Leidenschaften. So wird ein Mensch z.B. davor gewarnt, in der Nacht Wasser zu trinken, denn ihm droht Gefahr durch den Dämon der Blindheit. In der Nacht soll man keinem, der einem auf der Strasse begegnet, einen Friedensgruss entbieten, denn es könnte ein Dämon sein. Die Pharisäer und ihre Jünger wissen über die Dämonen und ihre Tätigkeiten genau Bescheid. Sie wissen, mit welchen Amuletten, Exorzismen und magischen Ritualen sie den Dämonen Herr werden (vgl. dazu auch Apg 19,13ff.). Wer gefahrlos an einem Sperberbaum vorbeigehen will, muss sich von einem Rabbi ein Amulett schreiben lassen. Allerdings muss dieser Rabbi wissen, dass der Sperberbaum 60 Dämonen hat. Wenn er nur einen Spruch gegen einen schreibt, nützt das Amulett nichts. Wer in der Nacht Wasser trinken will, der muss eine zweite Person aufwecken und mit ihr zusammen zum Wasserkrug gehen; denn zwei Menschen wagt der Dämon nicht anzugreifen. Wenn aber keine andere Person da ist, muss er mit dem Deckel auf den Krug schlagen und bestimmte Worte aussprechen. Bei der Auseinandersetzung mit den Pharisäern in Mt 12,22f. geht es um die Frage, durch welche Kraft Jesus den blinden und stummen Besessenen heilte. Das Volk vermutet, dass er es nur als der verheissene Sohn Davids tun konnte. Diese Vermutung lassen die Pharisäer nicht unwidersprochen; sie erklären Jesus als besessen. Auf der Grundlage ihrer Dämonenlehre schreiben sie Jesus ein Bündnis mit dem Obersten der Dämonen, dem Beelzebub, zu, um somit seine Kraft zu erklären. Weil er als Böser Gutes wirkt, ist er der Schlimmste von allen. Doch Jesus wehrt diese Lügen ab und entlarvt die Widersprüchlichkeit des pharisäischen Dämonensystems: • Dass ein Dämon durch einen anderen ausgetrieben werden könnte, ist vom Ansatz ihrer Dämonenlehre her absurd. Wenn das Reich Satans uneins wäre, hätte es keinen Bestand. • Wenn er diesen Geist nur durch die Kraft des Beelzebub austreiben konnte, durch welche Kraft tun es dann die Pharisäer-Jünger (die Söhne)? Zum Schluss macht Jesus mit einem kurzen Gleichnis seinen Herrschaftsanspruch nochmals deutlich (V.29): Mit ihm ist das Reich Gottes gekommen. Er hat den Starken, den Mächtigen gebunden. Die Tür in die Freiheit ist offen. Die Geschichte macht folgendes deutlich: 1. Jesus lehnt den Versuch, das Böse durch ein System in den Griff zu bekommen, ab. Er hat den Sieg über den Feind errungen, der Starke ist gebunden. Die Herrschaft gehört Jesus Christus. 2. Die Finsternismächte tobten sich an dem besessenen Menschen besonders aus. Es gehört zum Wesen Jesu Christi, dass er Menschen, die ihn darum bitten, gänzlich in die Freiheit von diesen Mächten führt. 3. Jesus handelt ohne Exorzismen und Rituale. Ein kurzes Befehlswort genügt. Er lässt sich in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern nicht auf deren Einsichten und tiefen Erkenntnisse, verbunden mit rituellen Beschwörungen, ein. Er macht deutlich: Nicht eine Dämonenlehre, die weiss, wo der Teufel zu finden ist, löst das Problem der Gebundenheit

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durch finstere Mächte, sondern allein die Macht Gottes, die in seiner Person sich zeigt. Wo Jesus ist, ist Freiheit. 4. A. Schlatter urteilt: “Indem sich Jesus so zu diesen Erscheinungen verhielt, brachte er seinen Jüngern die Freiheit vor aller abergläubischen Furcht... Die furchtlose Ruhe gegen alles, was sich dort finden mag und von unserem Bewusstsein nicht empfunden wird, konnte ihnen nur die Stellung geben, die Jesus festhielt, die Gründung auf den Schutz Gottes, der sich über alle Geheimnisse erstreckt.” Nur vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Freiheit erklären, mit der sich die Jünger später ohne Angst inmitten heidnischer und okkulter Gebräuche bewegen konnten. “Was nun das Essen von Götzenopferfleisch angeht, so wissen wir, dass es keinen Götzen gibt in der der Welt und keinen Gott als den einen. Und obwohl es solche gibt, die Götter genannt werden, es sei im Himmel oder auf Erden, wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.” (1. Kor 8, 44-6) In diesen wenigen Versen spricht Paulus von einer Freiheit, die es nur in der Begegnung mit Jesus Christus gibt. Er bewegt sich ohne Angst vor okkulter Ansteckung inmitten heidnischer Gebräuche. Auf dem antiken griechischen Markt gab es in der Regel nur Fleisch zu kaufen, das zuvor in einem heidnischen Tempel der entsprechenden Gottheit geopfert worden war. Was sollten Christen tun, wenn sie für ihre gemeinsamen Feiern Fleisch kaufen wollten? Dürfen Christen dieses Fleisch, das zuvor einer fremden, dämonischen oder mächtigen Gottheit oder einem Götzen kultisch geweiht worden war, nun essen oder nicht? Einigen korinthischen Christen machte das nichts aus, andere hatten grosse Bedenken. Paulus lässt sich nicht auf irgendwelche Spitzfindigkeiten ein. Er schwächt die Macht der Finsternismächte, die sich hinter Götzen harmlos verbergen, nicht ab, als seien das blosse Hirngespinste. Er plädiert aber auch nicht mit den Ängstlichen für den Verzicht auf dieses Fleisch wegen eventueller Gesetzesbestimmungen oder akuter okkulten Gefahren. Vielmehr relativiert er die Macht dieser Mächte und Gewalten angesichts des einen Herrn, Jesus Christus: “Wir haben nur einen Gott, den Vater, den Schöpfer, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm - und wir haben nur einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn!” Paulus macht klar, wer der Herr ist. Bei der Begegnung mit den dämonischen Realitäten in seiner Umwelt setzt Paulus auf eine Person: Jesus Christus. Er hat die Erlösung für Juden und Heiden erwirkt. Durch Jesus Christus - und nur durch ihn - gibt es für Christen sogar die Freiheit, kultisch geweihtes Fleisch zu verzehren, ohne deshalb an den heidnischen Göttern teilzuhaben oder gar okkult belastet zu sein, denn “Speise wird uns nicht vor Gottes Gericht bringen”. “Darum, meine Geliebten, flieht den Götzendienst... Was sage ich nun? Dass das eieinem Götzen Geopferte etwas sei? Oder dass ein Götzenbild etwas sei? sei? Nein, sonsonSeite 16

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dern dass sie das, was sie opfern, den Dämonen opfern und nicht Gott. Ich will aber nicht, dass ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen.” (1. Kor 10,14.1910,14.19-20) Weshalb sagt Paulus hier nun doch, dass sie keine Gemeinschaft mit dem Tisch der Dämonen haben sollen? Mit keinem Wort spricht er von “okkulten Gefahren” oder Einflüssen durch die Finsternismächte, sondern er spricht von Menschen, die im Götzendienst anderen Göttern opfern! Um dieser Menschen willen sollen die Christen nicht an den Opferfeiern im Tempel teilnehmen. Durch die Teilnahme würden sie ihren Mitmenschen gegenüber das Bekenntnis zu Jesus Christus verraten, da diese den heidnischen Göttern und den Dämonen opfern und nicht Gott. Paulus macht den Christen deutlich, dass sie mit ihrer Teilnahme an den Tempelgottesdiensten das erste Gebot verletzen und damit den Herrn zur Eifersucht reizen (vgl. die Formulierung mit 2Mo 20,5). Aus demselben Grund sollen sie auch auf den Verzehr von Fleisch verzichten, sobald ein Gastgeber sie darauf hinweist, dass es sich um Götzenopferfleisch handle (10,28f.). Nicht wegen “okkulter Gefahren”, sondern wegen des Gewissens des Gastgebers. Mit seinem Hinweis macht er das Essen des Fleisches in dieser besonderen Situation zu einer Frage des Bekennens; und dieses Bekenntnis zu Jesus Christus sollen die korinthischen Christen nicht verletzen, sondern durchhalten.

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ACC-Papier: Ethische Leitlinien zur Praxis des „Befreiungsdienstes“ Karl Flückiger

A. Einleitung Lehre und Praxis des Befreiungsdienstes (BD) sind unter den verschiedenen Denominationen und Gemeinden umstritten. Ethische Leitlinien sind deshalb notwendig und angebracht, weil die Erfahrung zeigt, dass besonders in der Praxis des BD verschiedene Formen von Fehlverhalten auftauchen, welche ratsuchende Menschen verwirren oder gar schädigen.

Begriffsdefinition BD bedeutet hier, dass SeelsorgerInnen mit Ratsuchenden für eine Befreiung vom Bösen beten. Das Böse kann (wie im Urtext des Vaterunsers) unpersönlich, als destruktive Macht oder lebensfeindliche Struktur, aber auch als personelle geistliche Macht (Teufel) oder Mächte (z.B. Dämonen) verstanden werden.

Quellenangabe ACC Deutschschweiz - Autoren der Arbeitsgruppe: Karl Flückiger, Sabine Fürbringer, Ernst Gassmann, Gero Herrendorff, Peter Höhn, Hans Jenny, Philipp Probst, Monika Riwar, Christian Mantel, Ruth Mauz, Jörg Schori, Werner Tanner, Thomas Widmer.

An seiner Sitzung vom 3.9.03 hat der ACC-Vorstand beschlossen, den Kodex zu verwenden und zu publizieren – und die Diskussion um die umstrittene Praxis und die theologischen und weltanschaulichen Differenzen mit interessierten und betroffenen BeraterInnen und Organisationen weiter zu führen. Die umstrittenen Punkte sind skizziert, sie bedürfen vertiefter Gespräche und theologischer Auseinandersetzung.

B. Leitlinien Wenn ich als SeelsorgerIn für ein Befreiungsgebet angefragt werde, achte ich auf folgendes: 1. Ich verlasse die Gesprächsregeln der Seelsorge nicht: ich achte Freiheit und Würde der Person (nur solche Interventionen angehen, die vom Ratsuchenden mitgewollt sind), ich zeige Wertschätzung, höre zu, strukturiere das Gespräch sorgfältig und beachte den Grundsatz, dass wir zwar errettet (das Heil in Jesus steht fest) aber nie vollständig geheilt sind; dass wir in der Spannung des „jetzt schon – noch nicht“ leben, also im Heilwerden prozesshaft fortschreiten. 2. Ich sorge dafür, dass Ratsuchende theologisch ausreichend informiert sind, insbesondere a) dass der normale Vorgang bei Bekehrung oder Taufe einen Herrschaftswechsel bedeutet (von der Herrschaft des Bösen unter die Herrschaft von Jesus Christus); b) dass man Fehlverhalten und Sünde nicht „austreiben“ kann, sondern durch Vergebung und Beanspruchen der Herrschaft Jesu eine neue Grundlage bekommt, um eigenen Schwächen eigenverantwortlich entgegen treten zu können

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c) dass Trösten, Schwache tragen und Ermutigen ebenso Kernaufgaben sind wie heilen, befreien und ermächtigen. 3. Ich frage genau nach und treffe evtl. weitere Abklärungen bzw. verzichte ganz auf einen BD, a) wenn ich den Eindruck gewinne, der Ratsuchende befinde sich oder gehöre in eine psychiatrische Behandlung, b) wenn ich den Eindruck gewinne, der Ratsuchende wolle sich durch einen Befreiungsdienst seiner Eigenverantwortung entledigen (die eigenen Schwächen und Sünden austreiben lassen, statt sich ihnen entgegen zu stellen). Ich gehe auf die Selbstdiagnose nur soweit ein, als es zum Verständnis des Klienten nötig ist und erarbeite mit ihm den nächsten Schritt zur Eigenverantwortung. 4. Ich achte darauf, nicht den Eindruck zu vermitteln, dass meine Stimme, spezielle Gebete, Gesten oder mein Glaube so etwas wie magische Kraft ausüben, sondern dass auch äusserlich klar wird, dass – wie bei jedem seelsorgerlichen Schritt – die Anwesenheit von Jesus Christus jetzt und dann befreit. Das heisst: den BD entmystifizieren, Ratsuchende erzählen lassen, was sie denken und fühlen. 5. Ich achte darauf, integriert und vernetzt zu bleiben, das heisst, ich: a) halte die ganze Person des Ratsuchenden im Auge, b) spreche ein Befreiungsgebet nicht isoliert, sondern im Rahmen einer sorgfältigen Beratung, die sich auf einen längeren Zeitraum einstellt, c) achte darauf, dass der Ratsuchende in eine Gemeinschaft eingebunden ist, d) halte eine ganzheitliche Sicht von Leib, Seele und Geist aufrecht, e) bin im Kontakt mit andern Seelsorgern, f) arbeite im Fall von 3 a), wenn überhaupt, nur in Absprache und Begleitung von Fachleuten, d.h. ich bin mir meiner Grenzen bewusst. 6. Ich habe einige Adressen von erfahrenen Seelsorgern, die ich bei anspruchvollen Begleitungen konsultieren oder beiziehen kann: a) wenn ich erfahre, dass der Ratsuchende in satanistischen Kreisen verkehrte, b) wenn der Ratsuchende in psychiatrischer Behandlung steht oder stehen sollte (ich unterstütze das Absetzen von Medikamenten nie ohne Einverständnis von Psychiatern), c) wenn mich ein neurotisches Übertragungsgeschehen des Ratsuchenden verwirrt. 7. Ich achte darauf, meine Seelsorgepraxis zu verantworten, sei es gegenüber der Gemeindeleitung, einem Seelsorgeteam (Intervision) bzw. einer SupervisorIn ..., und schreibe deshalb jeweils ein kleines Protokoll. 8. Ich achte darauf, den Ratsuchenden in seiner religiösen und philosophischen Prägung bzw. in seiner psychischen Verfassung ernst zu nehmen und ihn nicht mit meinen speziellen theologischen Begrifflichkeiten zu verwirren oder sie ihm gar überzustülpen. Deshalb verwende ich eine sensible Sprache ohne absolute Formulierungen (Z.B.: „Ich weiss nicht genau was es ist...“, „Könnte es sein...?“ Es ist z.B. nicht nötig, von Dämonen zu reden, um den BD auszuüben). Das heisst, ich baue mit dem Ratsuchenden einen Raum des gegenseitigen Vertrauens auf (und vermeide eine einseitige, von mir erzwungene, kritiklose Vertraulichkeit). 9. Ich achte darauf, erkannte Belastungen zu hinterfragen und zu deuten, diese also mehrdimensional zu sehen und nicht nur im geistlichen Bereich.

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Effizient, schnell, alleine? Zur Einführung eine biblische Exegese: Diese Stichworte charakterisieren den BD von Jesus zusammenfassend. Sie bilden zugleich die Grundlage für jene Missverständnisse in der Seelsorge, denen auch schon die Jünger Jesu erlegen sind. Die Geschichte von der Heilung des fallsüchtigen Knaben in Mk 9,14-29 zeigt nämlich, dass … 1. nicht alles einfach nachahmbar ist, was Jesus tat, 2. schon die Jünger im Team arbeiten, 3. nicht die Seelsorger, sondern die "Zuschauer" einen versierten Spezialisten (Jesus) beiziehen, 4. dieser eine Predigt über Glaube und Unglaube an die Jünger und Zuschauer richtet (und nicht eine Lehre über Dämonie an den betroffenen Knaben), 5. Jesus Hintergrundinformationen einholt, bevor er mit dem Befreiungsdienst weiterfährt, 6. es Jesus in all seinen Aussagen darum geht, die Glaubenskraft aller irgendwie Beteiligten zu wecken (der Vater reagiert auch entsprechend), 7. die in der Öffentlichkeit blamierten Jünger (Seelsorger) mit Jesus im stillen Kämmerlein ein Auswertungsgespräch führen. Dort durchbricht Jesus das "effizient, schnell, allein" nochmals und formuliert verschiedene Randbedingungen: - „beten und fasten“ als Unternehmung von solidarischer Teamarbeit mit dem Betroffenen, - sich Zeit nehmen, um vor Gott den Fall zu bewegen, - fasten nicht als Mittel, um als Seelsorger Gottes Willen zu erzwingen, sondern als Zeichen, dass ich kraftlos, ohnmächtig, "bettelnd" und - solidarisch mit der Hilflosigkeit des Betroffenen bin.

C. Auseinandersetzungen sind dringend nötig!

Umstrittene Punkte in der Lehre sind: • •







Waren nur Jesus und die ersten Generationen der Nachfolger für den BD bevollmächtigt – oder gilt der Auftrag von z.B. Mt 28 für alle Christen bis heute? Beruht der BD auf dem damaligen Weltbild (Götter und Dämonen bewirken das, was nicht erklärt werden kann), das unserer Zeit fern liegt und kaum mehr relevant ist? – Oder ist diese Unterscheidung in eine gute und in eine feindselige unsichtbare Welt als Struktur in unser Weltverständnis zu übertragen und neu zu formulieren? – Oder ist das damalige Weltbild 1:1 zu übernehmen? Ist der BD nur dort angebracht, wo aus kulturellen Gründen den Geistern einen grosse Macht eingeräumt wird. Müssen wir uns vom BD verabschieden, wo aufgeklärte Zeitgenossen keine derartigen Interpretationen der Wirklichkeit kennen? Oder sind auch im Denken der westlichen Welt in anderer Form Besessenheiten und magischer Glaube auszumachen (Macht der Internationalen Trusts, der Verlass auf die Wirkung der allmächtigen Medizin)? Können Christen den BD benötigen, weil sie durch eigenes Verschulden oder durch ihre Umgebung mit Bösem so belastet worden sind, so dass der Schaden nicht ohne besonderen Ritus verschwindet? – Oder sind Christen vom Tag ihrer Bekehrung an oder spätestens seit ihrer Taufe endgültig erlöst und befreit? Darf man den BD lehren und über diese unsichtbare geistliche Welt aus Erfahrung in der Seelsorge etwas aussagen – oder darf man keinesfalls in diesem geistlichen Bereich mehr aussagen, als es Jesus selbst und die Bibel tun?

Umstrittene Punkte in der Praxis sind: •

Darf man jedem Menschen, der Seelsorge sucht und sich belastet oder besessen fühlt, diesen Dienst erweisen, auch wenn offensichtlich ist, dass er sich mit dieser Diagnose von der Eigen-verantwortung für seine Schwierigkeiten befreien will?

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Bewirkt die Diagnose „belastet, dämonisiert“ nicht bei vielen Ratsuchenden eine zusätzliche Angst in ihrer sonst schon aufgewühlten Befindlichkeit – oder werden sie durch diese Diagnose gerade entlastet? Ist es nicht die Stimmung und Atmosphäre, die an gewissen Veranstaltungen herrscht, welche Menschen fühlen lässt (sie aufheizt), sie seien belastet – oder braucht es gerade ein klares Beim-NamenNennen solcher Mächte, damit sie erst offenbar werden? Braucht es bestimmte Settings, Rituale und Formulierungen für den BD – oder geschieht nicht immer dort, wo Jesus als Herr angerufen wird (ein Lied, das Vater Unser, ein einfaches Gebet: Herr komm!), Befreiung? Ist es deshalb nötig, bestimmtes Wissen über Wirken und Macht des Bösen (Dämonologie) zu erwerben und bestimmte Gaben zu pflegen (Gabe der Erkenntnis, der Geisterunterscheidung), um als SeelsorgerIn zu dienen – oder genügt es, sich und den Ratsuchenden dem auferstandenen Jesus anzuvertrauen? Sollen Menschen, die aus einer esoterischen Umgebung, aus anderen Religionen oder aus satanistischen Kreisen zum Glauben an Jesus Christus finden und denen eine differenzierte Geisterwelt vertraut ist, nicht vor allem Distanz zu diesem Weltbild gewinnen und ihre Ratio einsetzen lernen – oder sind gerade diese Menschen vorgesehen, den Seelsorgern Einblick in diese Welt zu gewähren? Obliegt uns nicht die Verantwortung, die uns gegebene Vollmacht auszuüben und Ratsuchenden Befreiung zuzusprechen (denn alles andere wäre übertriebene Vorsicht, Verharmlosung der Kraft Gottes oder gar Vernachlässigung der uns anvertrauten Menschen) – oder idealisieren sich SeelsorgerIn und Ratsuchende gegenseitig, mystifizieren sie die Situation und wühlen sie Gefühle auf, indem Seelsorger mit ihrem Fachjargons Dinge diagnostizieren, die andere nicht sehen?

Zürich 2003 / Karl Flückiger

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