Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft

Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006 Jahrgang 1 Inhalt Editorial ..........................................................................
Author: Werner Albrecht
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Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006 Jahrgang 1 Inhalt Editorial .........................................................................................................

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Schwerpunkt Interethnische Beziehungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Heinz Reinders Einführung: Entstehung und Auswirkungen interethnischer Beziehungen im Lebenslauf ................................................................................................

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Dagmar Strohmeier/Dunja Nestler/Christiane Spiel Interkulturelle Beziehungen im Lebensumfeld Schule: Freundschaftsmuster und aggressives Verhalten in multikulturellen Schulklassen ..................................................................................................

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Heinz Reinders/Karina Greb/Corinna Grimm Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Jugendalter. Eine Längsschnittstudie ............................................................

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Sylke Fritzsche/Christine Wiezorek Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen ...........

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Sonja Haug Interethnische Freundschaften, interethnische Partnerschaften und soziale Integration .....................................................................................................

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Allgemeiner Teil Aufsätze Heinz-Hermann Krüger Forschungsmethoden in der Kindheitsforschung ..........................................

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Klaus Wahl Das Paradoxon der Willensfreiheit und seine Entwicklung im Kind ............ 117

Kurzberichte Sibylle Hübner-Funk In memoriam Urie Bronfenbrenner: 1917-2005 Arbeit und Liebe als Elementarfaktoren sozialökologischer Vernetzung ..... 141 Peter Rieker Interethnische Beziehungen von Migranten in Ostdeutschland .................... 145 Katrin Hille Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) – seine Methodik und Forschung .............................................................................. 149 Nele McElvany & Cordula Artelt Das Berliner Eltern-Kind Leseprogramm ..................................................... 157 Rezensionen ............................................................................................... 161 Verschiedenes Governancestrategien und lokale Sozialpolitik Workshop des Deutschen Jugendinstitutes am 23.5. 2006 in Halle/Saale Call for Papers ............................................................................................... 165 Die Autoren dieser Ausgabe .................................................................. 167

Editorial

Zur ersten Ausgabe des „Diskurs Kindheitsund Jugendforschung“

Diese neue Zeitschrift hat eine – junge – historische Wurzel: den DISKURS des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Der DISKURS hat sich in den 15 Jahren seines Erscheinens großes Ansehen erworben, sein hoher redaktioneller und gestalterischer Anspruch aber waren auf Dauer aus öffentlichen Mitteln nicht mehr zu finanzieren. Die Einstellung des DISKURS mit Ende des Jahres 2005 wurde weithin bedauert, aber durchaus auch verstanden. Zugleich wurde damit aber um so deutlicher, dass der Kindheits- und Jugendforschung in Deutschland – die die Fragestellungen der Familienforschung durchaus einschließt – eine forschungsorientierte, interdisziplinäre Fachzeitschrift mit kürzerer Erscheinungsfolge fehlt. Es bedurfte daher nur eines geringen Anstoßes, um eine stattliche Zahl hervorragender Forscherinnen und Forscher für das Projekt einer neuen Zeitschrift zu gewinnen, die auf privatwirtschaftlicher Basis erscheinen und der deutschen und internationalen Kindheits- und Jugendforschung gewidmet sein soll. Vom DISKURS unterscheidet sich die neue Zeitschrift schon äußerlich durch die bescheidenere Aufmachung und die höhere Frequenz (vier statt drei Ausgaben im Jahr). Bestimmender aber wird die Unabhängigkeit von den Aufgaben sein, die einem vorwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierten Institut wie dem DJI gestellt sind und seine Problemwahrnehmung prägen. Der „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ wird dem fachwissenschaftlichen Diskurs daher einen weiteren Rahmen bieten und auch für unkonventionelle Ansätze offen sein. Seine allgemeinen Zielsetzungen lassen sich aus folgender Skizze entnehmen: In den modernen Gesellschaften stehen Kinder und Jugendliche – ebenso wie deren Familien – unter zuvor nie gekannten, komplizierten Bedingungen. Der Übergang in die technisch und kommunikativ entgrenzte Wissensgesellschaft, die fortschreitende ökonomische Globalisierung und die zunehmende Alterung der Bevölkerungen ziehen insbesondere verschärfte Konkurrenzen der verschiedenen Altersgruppen nach sich. Neue informelle Formen des Lernens und der Bildung lösen traditionelle Berufswelten und -karrieren auf und verändern das Konsum-, Gesundheits- und Mobilitätsverhalten der Menschen, während zugleich internationale Migrationsströme eine wachsende ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt der Gesellschaften herbeiführen. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 3-5

4 Zur ersten Ausgabe des „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“

Die Entwicklungspsychologie und die Neurobiologie haben in den letzten Jahren auf die erstaunlich frühe Entfaltung von Fähigkeiten in der Kindheit aufmerksam gemacht. Dies wirft neue Fragen an die herkömmliche Frühpädagogik auf und erfordert die Innovation der gewohnten Frühförderungsprogramme im Sinne der Stimulation des individuellen frühkindlichen Lernens. Eine zukunftsbewußte, innovative Kindheits- und Jugendforschung hat daher zum Ziel, den vielschichtigen und zum Teil problematischen Entwicklungen nachzugehen und versteht sich zugleich als Beitrag zur gesellschaftspolitischen Problemanalyse und -lösung, gleich viel, aus welchem Wissenschaftsbereich heraus sie ansetzt. Der neue „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ widmet sich dem Gegenstandsfeld unter der integrativen Fragestellung von Entwicklung und Lebenslauf; er arbeitet fächerübergreifend und international. Zu Wort kommen deutsche und internationale Autorinnen und Autoren aus den einschlägigen Disziplinen wie z.B. der Psychologie, Soziologie, Erziehungswissenschaft, doch auch der Ethnologie, Verhaltensforschung, Psychiatrie und z.B. der Neurobiologie, deren Bedeutung für das Forschungsfeld erst zu erschließen sein wird. Die Zeitschrift steht theoretischen Diskussionen ebenso offen wie Darstellungen empirischer Forschungsergebnisse, Fragen der angemessenen Methodologie und Querschnittsthemen von besonderer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Die Zusammensetzung der Herausgeberschaft und des Wissenschaftlichen Beirats spiegelt die thematischen Interessenschwerpunkte der Zeitschrift und ihr Engagement für einen interdisziplinären und internationalen Austausch. Regelmäßiges „Peer Reviewing“ wird den Qualitätsstandard der publizierten Fachbeiträge sichern. Zur Zeit setzt sich das Gremium der Herausgeberinnen und Herausgeber wie folgt zusammen: Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Hamburg, Erziehungswissenschaft Dr. Katrin Hille, Ulm, Neurowissenschaften Prof. Dr. Bärbel Kracke, Erfurt, Psychologie Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger, Halle, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, München, Erziehungswissenschaft Dr. Heinz Reinders, Mannheim, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Hildesheim, Sozialpädagogik Prof. Dr. Ludwig Stecher, Frankfurt, Erziehungswissenschaft Im Wissenschaftlichen Beirat arbeiten mit: Prof. Dr. Ralf Bohnsack, Berlin, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Wuppertal, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Manuela du Bois-Reymond, Leiden, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Lynne Chisholm, Innsbruck, Soziologie Klaus Farin, Berlin, Journalist Arthur Fischer, Frankfurt/M., Soziologie

Zur ersten Ausgabe des „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“

Dr. Cathleen Grunert, Halle, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Ronald Hitzler, Dortmund, Soziologie Prof. Dr. Dagmar Hoffmann, Potsdam, Soziologie PD Dr. Sibylle Hübner-Funk, München, Soziologie Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Vera King, Hamburg, Soziologie und Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Manfred Liebel, Berlin, Pädagogik, Psychologie Prof. Dr. Jürgen Mansel, Bielefeld, Erziehungswisssenschaft Prof. Dr. Thomas Olk, Halle, Erziehungswissenschaft Prof. Dr. Jens Qvortrup, Trondheim, Soziologie Prof. Dr. Ingo Richter, Berlin, Recht Prof. Dr. Klaus Wahl, München, Soziologie Andreas Walther, Tübingen, Sozialpädagogik Eine Initiativgruppe „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ hat die Zeitschrift mit Hilfe einiger der neu gewonnenen Herausgeberinnen und Herausgeber gestartet. Diese Initiativgruppe löst sich nun mit der Veröffentlichung des ersten Heftes auf, und ihre Mitglieder übernehmen ihre Funktionen in der Herausgeberschaft bzw. im Wissenschaftlichen Beirat. Die Zeitschrift erscheint im traditionsgeleiteten Verlag Barbara Budrich, Leverkusen. Die Verlagsredaktion arbeitet unter Leitung von Edmund Budrich. Die herstellerische Leitung hat Beate Glaubitz. In Kürze wird eine eigene website die Kommunikation zwischen der Leserschaft und der Zeitschrift erleichtern und verdichten. Der „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ hat sich innerhalb einer sehr kurzen Frist konstituiert. Diesem Umstand sind manche Mängel der hiermit vorgelegten ersten Ausgabe geschuldet. Wir erhoffen uns von der Resonanz aus der Fachwissenschaft wichtige Hinweise zur Weiterentwicklung. Die Initiativgruppe „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ Sibylle Hübner-Funk Heinz-Hermann Krüger Wolfgang Schröer Klaus Wahl Der Rechtsträger Edmund Budrich

Die Verlegerin Barbara Budrich

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Schwerpunkt

Interethnische Beziehungen im Lebenslauf. Einführung in den Schwerpunkt Heinz Reinders

1 Einleitung In den vergangenen Dekaden hat sich die sozialwissenschaftliche Forschung zunehmend dem Thema Migration zugewandt. Phasen der soziologischen und politologischen Theoriebildung in den 1950er und 1960er Jahren zum Phänomen der Migration folgten erziehungswissenschaftliche und psychologische Betrachtungen seit den 1970er Jahren. Zusätzlich zur disziplinären Ausweitung hat nicht nur die theoretische, sondern auch empirische Bearbeitung von Migration als Forschungsgegenstand rapide zugenommen. So verzeichnet die Datenbank Solis1 unter dem Stichwort „Migration“ und der Methode „empirisch“ für den Zeitraum von 1960 bis 2006 ca. 4.600 Einträge. Nach Jahrzehnten aufgeteilt zeigt sich ein exponentieller Zuwachs der Beiträge. So sind für den Zeitraum von 1960 bis 1970 nur 18 Einträge verzeichnet. In der nachfolgenden Dekade (1971-1980) sind es 210 und in den 1980er Jahren bereits 932. Zwischen 1991 und 2000 steigt dann die Zahl publizierter empirischer Beiträge auf 2.028 an und dürfte, wenn sich der Trend seit 2001 fortsetzt, bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts auf ca. 2.400 Arbeiten ansteigen. Diese rein quantitative Bestimmung des Forschungsvolumens verdeutlicht, dass empirische Migrationsforschung eine erhebliche Konjunktur erfahren hat und das mittlerweile akkumulierte Wissen erheblich ist. Gleichwohl werden Bedingungen und Folgen von Migration vornehmlich mit Blick auf Migranten untersucht. Diskriminierung, psycho-somatische Folgen von Wanderung, soziale und strukturelle Platzierung, kulturelle Werte und Gender-Fragen stellen die thematischen Schwerpunkte dar (BMFSFJ 2000; Han 2000; Gogolin/Nauck 2000; Oezelsel 1994). Erst in jüngerer Zeit gerät die Aufnahmegesellschaft, deren Institutionen und die mit Migrationsbewegungen verbundenen Herausforderungen für die Majorität in den Mittelpunkt des Interesses. Fragen fremdenfeindlicher Einstellungen als Ausdruck unzureichend erzeugter Akzeptanz bei Mitgliedern der Majorität sind in den 1990er Jahren zwar thematisiert worden, wurden jedoch nicht hinreichend an Theorien und Befunde der Migrationsforschung angedockt (Reinders 2004a). Erst jüngere Schulforschung hat die deutlichen Defizite des Bildungssystems hinsichtlich seiner 1

Datenbank Solis online unter http://www.wiso-net.de, Stand: 25.02.2006.

Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, Heft 1-2006, S. 7-20

Dr. Heinz Reinders Universität Mannheim

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Aufwärtspermeabilität für Migrantenkinder und deren unzureichende (sprachliche) Frühförderung durch Schule skizziert (Deutsches Pisa-Konsortium 2001; Gogolin/Neumann 1997; Kristen 2000). Diese Auseinandersetzung mit den Folgen für die Mehrheitsgesellschaft ist noch eher in den Anfängen. Es steht zu erwarten, dass die bereits in den 1990er Jahren begonnene Forschung (insbesondere zu den veränderten Anforderungen an Schule durch Migration, vgl. Gogolin 1994) weiter zu intensivieren ist, um funktionale Modelle der Integration entwickeln, erproben und breitflächig praktisch anwenden zu können. Dabei wird auch der Begriff der Integration neu zu fassen sein. Bisher gilt dieser, je nach gewähltem Standpunkt, als Synonym für Assimilation von Migranten oder aber der Orientierung von Minoritäten an der Herkunfts- und der Aufnahmegesellschaft (Berry et al. 1992). Immer aber bezieht er sich auf den Sozialisationsstatus von Migranten. Dabei wird übersehen, dass Integration im Sinne der Vereinbarkeit und individuellen Orientierung an Herkunfts- und Aufnahmekultur nicht nur eine Akkulturationsstrategie von Migranten, sondern ebenfalls eine Leistung der aufnehmenden Gesellschaft darstellt. Wenn es zutrifft, dass sich der Zuwachs an Migranten in Deutschland weiter fortsetzt und mit einer jährlichen Nettozuwanderung innerhalb der Marken von 10.000 bis 50.000 Personen zu rechnen ist (Münz/Ulrich 2000), dann ist Integration nicht mehr allein eine Frage der Anpassungsfähigkeit von Gewanderten, sondern auch eine Frage der Adaptionsleistungen der Nicht-Gewanderten. Diese These lässt sich bereits anhand spezifischer gesellschaftlicher Segmente belegen. So übersteigt der Anteil an Migranten in einer Vielzahl von Hauptschulen in urbanen Regionen häufig 50 Prozent. In einigen, in unserer Studie einbezogenen Schulen liegt er sogar bei über 80 Prozent (Reinders/Mangold/Greb 2005). Die Eindeutigkeit von Majorität und Minorität ist dann in der alltäglichen Erfahrung der betroffenen Jugendlichen aufgehoben und erlaubt keine klaren Definitionen kulturell gültiger Normen, Werte und Symbole (wie etwa der „Verkehrssprache“). Eine solche Konstellation verlangt dann nicht nur von Migrantenkindern, trotz der ungünstigen Bedingungen das notwendige Bildungskapital zu erwerben. Dies hat auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten zum Kapitalerwerb bei Heranwachsenden deutscher Herkunftssprache. Darüber hinaus bedarf es dann erheblicher interkultureller Kompetenzen bei deutschen Schülerinnen und Schülern, um Interaktionen mit Peers eingehen zu können (vgl. Strohmeier/Nestler/Spiel in diesem Heft). Situational angepasste Bewältigungsstrategien sind ein guter Beleg dafür, dass Jugendliche in solchen Settings vor der Anforderung der wechselseitigen Integration stehen. So hat sich unter Jugendlichen die Ausbildung eines deutsch-türkischen Ethnolekts etabliert (Auer/Dirim 2000), der die fehlende Eindeutigkeit sprachlicher Codes kompensiert. Jugendkulturelle Stile werden als Verknüpfung von Eigenheiten der Minoritäts- und Majoritätskultur entwickelt und gelebt (Weller 2003). Oder auch: Schüler entscheiden sich eigenständig dafür, Deutsch als Umgangssprache an ihrer Schule zur Regel zu machen (Die ZEIT, 06/2006). Diese bereits jetzt beobachtbaren Phänomene beziehen sich im Wesentlichen auf die jüngere Generation, sollten aber bei gegebener weiterer Zuwanderung auch bei der älteren Generation und auch Regionen übergreifend in Erscheinung treten. Migrationsforschung ist hierauf konzeptuell noch nicht in hin-

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reichendem Maße eingestellt (Gogolin/Pries 2004). Notwendig ist, zwei Perspektiven einzunehmen: 1. Die jetzige Generation von Kindern und Jugendlichen ist die erste Migrantengeneration, die mehrheitlich durchgängig in Deutschland aufwächst und mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland bleiben wird. Dies macht eine biographische Perspektive notwendig. 2. Fragen der Chancen und Risiken einer zunehmenden Migration für Migranten und Nicht-Migranten müssen stärker als wechselseitig bedingt und nicht als zwei isolierte Phänomene betrachtet werden. Als gedankliche Anregung, um diese beiden Aspekte einbeziehen zu können, wird das Konzept der Ko-Kulturation als grob gerasterter theoretischer Rahmen vorgeschlagen. Im folgenden werden die beiden genannten Punkte knapp vor dem Hintergrund der Ko-Kulturationsidee diskutiert und die Beiträge dieses Bandes in die Argumentation eingeordnet.

2 Ko-Kulturation Das in der Einleitung beschriebene Phänomen kultureller Diversifikation in Kontexten mit gleich hohem oder höheren Migrationsanteil führt zu der Vermutung, dass die bisher dominanten Begriffe in der Sozialisationsforschung unzureichend sind, um diese historisch neue Form der Vergesellschaftung Heranwachsender zu beschreiben. Regelmäßig wird bislang zwischen Enkulturation und Akkulturation unterschieden (Berry 1997). Unter Enkulturation wird der Prozess der Vergesellschaftung von Heranwachsenden verstanden, deren Herkunft die Mehrheitsgesellschaft ist, in die sie sich sozialisieren. Gewöhnlich wird hier in der deutschsprachigen Jugendforschung von Sozialisation gesprochen (Hurrelmann 2004). Deutsche Kinder und Jugendliche erwerben im Prozess der Enkulturation die notwendigen Kompetenzen, um in „ihrer“ Gesellschaft handlungsfähig zu werden. Akkulturation wird häufig als zweite oder auch Re-Sozialisation bezeichnet (Berry et al. 1992). Mit dem Terminus wird das Phänomen der Anpassung an die Kultur einer Aufnahmegesellschaft durch Migranten benannt. Im Zuge dieses Prozesses müssen sich Migranten neue Kulturtechniken (Sprache, Erwerb eines neuen Werte- und Normensystems etc.) aneignen und in variierendem Maße aus dem Herkunftsland „importierte“ Kulturtechniken hintan stellen oder in einer sozio-ökologischen Nische fortführen. Entscheidender Unterschied zwischen Enkulturation und Akkulturation ist also das Ausmaß der Differenz zwischen in der Familie erworbenen und in einer Gesellschaft erforderlichen Kompetenzen der Selbsttätigkeit. Bei Enkulturation ist diese Differenz – so die Annahme – geringer als beim Prozess der Akkulturation. Führt man sich das eingangs skizzierte Phänomen wieder vor Augen, wonach in bestimmten Regionen und Schulen allein zahlenmäßig die Definitionsmacht von Majoritäts- und Minoritätskultur ins Wanken gerät, so wird deutlich, warum die beiden Begriffe nicht hinreichend sind:

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Jugendliche deutscher Herkunft treten aufgrund der gestiegenen Zahl an Migranten sehr viel häufiger in Kontakt zu Migranten-Jugendlichen in der Schule, als dies bei ihren Eltern der Fall war. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Jugendlichen andersethnischer Herkunft ist intergenerational gestiegen. Heutige Schülerinnen und Schüler treffen demnach an Schulen auf ein Setting, auf das ihre Eltern sie nicht vorbereiten können. Pointiert ausgedrückt: wenn alle anderen in meiner Klasse nicht deutsch sind, dann helfen mir Kulturtechniken der Majoritätsgesellschaft nicht weiter. Diese Kompetenzen müssen neu erworben werden. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind häufiger als ihre Eltern in Deutschland aufgewachsen und durchlaufen ein Bildungssystem, dass ihre Eltern nicht oder nicht in dem Maße wie ihre Kinder kennen. Nicht nur sprachlich, sondern auch hinsichtlich des Bildungskonzepts und den dahinter liegenden gesellschaftlichen Werten und Normen können Migranten-Eltern ihre Kinder nur unzureichend mit dem notwendigen Kapital versehen, um erfolgreich schulische Karrieren zu durchlaufen. Dies hat nicht die Zerrissenheit von Migrantenkindern zwischen Elternhaus und Schule zur Folge, wohl aber dass junge Migranten Strategien der kontextspezifischen Akkulturation (Reinders et al. 2000) und der Herausbildung kultureller Zwischenwelten (Hettlage-Varjas/Hettlage 1983; Morgenroth 1999) entwickeln. Auch das Ausmaß, in dem die heutige jüngere Migranten-Generation auf Gleichaltrige deutscher Herkunft trifft und regelmäßig Kontakte mit ihnen eingeht, ist höher als bei der Generation der Eltern und Großeltern (Haug in diesem Heft). Somit sind auch Jugendliche mit Migrationshintergrund vor die historisch neue Situation vielfältiger Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft gestellt. Gleichzeitig ist durch den Zuwachs an Migranten der Umstand eingetreten, dass heutige Heranwachsende auf gleichethnische Peers treffen und sie vor die Entscheidung von intra- und interethnischen Kontakte stellt. Auch hier ist demnach kulturelle Kompetenz beim Umgang mit dieser Entscheidung gefragt. Diese Überlegungen führen dazu, dass sich nicht nur Prozesse der En- und Akkulturation, sondern auch solche der Ko-Kulturation vollziehen. Das bedeutet: Heranwachsende konstruieren und entwickeln in sozialen Interaktionen mit Gleichaltrigen eigene kulturelle Werte, die nicht durch das Vorherrschen einer definitionsmächtigen Mehrheitskultur prädeterminiert sind, sondern im Kontext symmetrischer, gleichberechtigter Peer-Interaktionen ausgehandelt werden (Youniss 1980). Die Symmetrie von Peer-Interaktionen hat ihren Ursprung in der Freiwilligkeit der Beziehungen und damit der Möglichkeit jedes Interaktionspartners, die Beziehung zu beenden. Hierdurch hat keiner der Peers die Möglichkeit, eigene kulturelle Werte gegen den Willen des Gegenüber durchzusetzen, weshalb eine Aushandlung auf gleicher Augenhöhe (Ko-) über als gültig erachtete Normen und Werte (Kultur) geschieht. Einschränkend muss allerdings festgehalten werden, dass dieser Prozess der Ko-Kulturation insbesondere in Freundschaften vonstatten geht, da hier die Prinzipien von Reziprozität und Symmetrie besonders ausgeprägt realisiert sind (Youniss 1998). Die Vorteile, das bisherige begriffliche Inventar um das Konzept der KoKulturation zu ergänzen, sind folgende:

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1. Es ist möglich, die Entstehung neuer (sub-)kultureller (Jugend-)Werte als Ergebnis interethnischer Beziehungen zu beschreiben und zu erklären. 2. Es wird berücksichtigt, dass Settings bestehen bzw. von Heranwachsenden konstruiert werden, in denen die Kulturtechniken der Mehrheitsgesellschaft nicht per se definieren, was handlungsleitende Werte sind. 3. Der Fokus liegt auf den Integrationsleistungen von Mitgliedern der Minderheits- und der Mehrheitsgesellschaft. 4. Das Konzept ist offen für lebensphasenspezifische Formen der gleichberechtigten Aushandlung von Werten und Normen. Es greift im Kindergarten-, ebenso wie im Jugend- oder Erwachsenenalter. Dies vor allem deshalb, weil es symmetrische Peer-Beziehungen (insbesondere Freundschaften), die über die ganze Lebensspanne hinweg bestehen, als Betrachtungsgegenstand wählt. Trotz dieser Vorteile ist das Konzept theoretisch unterspezifiziert und empirisch erst in den Anfängen für die Jugendphase geprüft worden (Reinders/Greb/ Grimm in diesem Heft). Die biographische Erweiterung ist noch zu leisten und stärker herauszuarbeiten, welche Vorhersagen zu Integrationsanforderungen und -chancen sich aus diesem Konzept für Migranten und Nicht-Migranten ergeben. Als erste Gedankenstütze muss es zunächst jedoch reichen, um die zwei Eingangs skizzierten Leerstellen der Migrationsforschung näher zu beleuchten.

3 Biographische Perspektiven in der Migrationsforschung Für Deutschland als Einwanderungsland ergibt sich mit der aktuellen Kinderund Jugendgeneration der Umstand, dass zum ersten Mal ein erheblicher Teil dieser Kohorten ihre Biographie mit der Geburt in Deutschland begonnen haben und voraussichtlich langfristig fortführen werden. Damit ist auch Migrationsforschung vor die Aufgabe gestellt, theoretische Konzepte zu entwickeln, die eine „Life-Span“-Perspektive ermöglichen. Dabei kann die diesbezügliche Theorieentwicklung im Wesentlichen an zwei biographische Zugänge in der Migrationsforschung anknüpfen. Zum einen bestehen eine Vielzahl von Erkenntnissen aus der Migrationsforschung, bei denen einzelne Lebensphasen und -kontexte betrachtet werden. Besonders zahlreich sind Studien zu Migranten im Jugend- und Erwachsenenalter, aber auch Forschung zur Kindheit liegen vor (Gogolin 2005; Gogolin/Nauck 2000; Merkens/Nauck 1993; Merkens/Wessel 2003; Morgenroth 1999). Zentrale Kontexte der Migrationsforschung sind dabei Familie, Arbeitsplatz und Schule (Bott/Merkens/Schmidt 1991; Gogolin 1994; Nauck/Kohlmann 1998; Nauck 2002; Phalet/Schönpflug 2001). Die Befunde dieser biographisch und kontextuell fokussierten Forschung stehen bislang eher nebeneinander und können durch eine Verknüpfung in eine biographische Perspektive überführt werden. Zum anderen wird in zumeist methodisch qualitativen Zugängen Biographieforschung betrieben, aus der heraus Migrationsverläufe rekonstruiert wer-

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den (vgl. Themenheft 04/2003 des Forum Qualitative Research). Neben schwerpunktmäßig betriebener Forschung zu Biographien von Migrantinnen (Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005; Gültekin 2003) stehen hier auch Erörterungen aus einer allgemein identäts-, subjekt- und institutionstheoretischen Perspektive zur Verfügung (Apitzsch/Jansen/Löw 2003; Kazmierska 2003). Was jedoch bisher nicht hinreichend durchschimmert, ist ein theoretischer Ansatz, der eine individualbiographische Beschreibung und Erklärung von Sozialisationsprozessen ermöglicht. Dies nicht nur, weil qualitative Biographieforschung vor dem Problem der Erfassbarkeit biographischer Tatsächlichkeiten im Kontrast zu subjektiven Umdeutungen steht (Powles 2004), sondern auch weil die betrachteten Migrationsgruppen erheblich variieren; hinsichtlich des Geschlechts, der Altersgruppe, der Herkunft und der Aufenthaltsdauer. Dies erschwert die Induktion eines formalen Ansatzes. Eine Möglichkeit, die separierten Befunde der zumeist quantitativen Migrationsforschung und jene der qualitativen Biographieforschung für die Entwicklung eines theoretischen Rahmens zu nutzen, besteht in dem Ansatz von Trommsdorff (1999, 2005). Dort wird das formale Konzept von Autonomie und Verbundenheit in ein kulturinformiertes Modell der Familienbeziehungen überführt. Das heißt: ein allgemeines Modell wird um Annahmen zu kulturspezifischer Varianz angereichert. Eine biographische Theorie der Migration könnte in einem ersten Schritt ähnlich vorgehen und etwa das Konzept der Entwicklungsaufgaben (Havighurst 1972) in einen migrationsinformierten Ansatz überführen. Zentrale Thesen könnten dann bspw. so aussehen: Sequenzialität. Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in einer Lebensphase haben für Migranten Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Bewältigung einer nachfolgenden Lebensphase (Bsp.: Spracherwerb in der Kindheit als Prädiktor für Bildungserfolg in der Jugendphase und den Übergang in das Berufsleben im Erwachsenenalter; Spracherwerb in der Kindheit als Prädiktor für den Aufbau sozialer Beziehungen zu Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft (soziale Integration) und den Erfolg beim Übertritt in den Arbeitsmarkt (strukturelle Integration) etc.). Sensitivität. Spezifische Lebensphasen von Migranten eignen sich in besonderer Weise, anstehende Aufgaben zu bewältigen (etwa die Jugendphase als sozioemotionale Loslösung vom Elternhaus durch verstärkte Hinwendung zu andersethnischen Peers). Quellen und Lösung von Entwicklungsaufgaben. Die Gestalt von Entwicklungsaufgaben und funktionale Lösungsmodi variieren in Abhängigkeit der kulturellen Werte relevanter Bezugsgruppen. (Bsp.: Die Gestalt von Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz bestimmt sich für Migrantenjugendliche aus den kulturellen Anforderungen, wie sie von Eltern und Freunden formuliert werden. Die Funktionalität der Bewältigung und der erreichte Bewältigungserfolg bestimmt sich aus dem Ausmaß der Konvergenz dieser Anforderungen sowie den individuellen Fähigkeiten). Das Konzept der Ko-Kulturation würde nahe legen, enge soziale und freiwillige Beziehungen (also Freundschaften) in den Mittelpunkt eines solchen Entwick-

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lungsmodells zu rücken, mindestens aber ergänzend zum Ansatz der Akkulturation heranzuziehen. Ohnehin werden Kontakte zu Mitgliedern der Majorität bereits als wichtiger Indikator für soziale Integration angesehen (Esser 1990; Haug in diesem Heft). Da liegt es nahe, diese nach Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter aufzugliedern und gemäß des Modells der Entwicklungsaufgaben zu fragen, unter welchen Bedingungen Kinder stabile Kontakte zu andersethnischen Gleichaltrigen aufbauen (Howes 1996), wie sich dies auf reifere Beziehungen im Jugendalter auswirkt (Youniss 1980) und welche Folgen dies für die Partnerwahl im Erwachsenenalter hat (Haug 2003). Die übergeordnete Frage wäre zudem: wie entwickeln Migranten-Heranwachsende im Verlauf der Biographie durch soziale Interaktionen eine soziale Identität, die ihnen die notwendige Selbsttätigkeit in der Aufnahmegesellschaft ermöglicht? Diese Annahmen und Fragen sind bei weitem nicht zu Ende gedacht und sollen lediglich der Anschauung dienen, wie eine mögliche Vorgehensweise bei der Entwicklung einer biographischen Theorie aussehen könnte. Auch dürfte eine solche migrationsinformierte Adaption eines „universellen“ Modells nur eine Hilfskonstruktion auf dem Weg zu einer eigenständigen und bessere Erklärungen liefernden Theorie sein. Diese Vorgehensweise ermöglicht jedoch, die bisherigen Puzzle-Teile zu sortieren und auf diese Weise eine Struktur in den Wissenstand bringen. Von dort aus wären dann Forschungslücken präziser bestimmbar.

4 Simultane Betrachtung von Migranten und Nicht-Migranten Eine zweite Herausforderung in der Migrationsforschung besteht darin, den Fokus nicht nur auf Migranten und deren Entwicklungsprozesse zu lenken, sondern auch Nicht-Migrierte in den Blick zu nehmen. Konzepte von Akkulturation, wie sie etwa von Berry und Kollegen (1992) vorgeschlagen werden und reichlich Rezeption gefunden haben, bereiten hierfür den theoretischen Boden. Die Akkulturationsstrategien Integration, Assimilation, Separation und Diffusion/Marginalisierung basieren ja gerade auf der Frage, inwieweit Herkunfts- und Aufnahmekultur kombiniert werden. Allerdings konzentriert sich die Verwendung des Modells zumeist auf subjektive Intentionen von Migranten oder aber auf die geringe Permeabilität der Aufnahmegesellschaft (Stichwort: Diskriminierung) (Gaitanides 1983; Ibaidi 2003). Dies hat zwar positiv zur Folge, dass der öffentlich-politischen Vorstellung von „Integration als Bringschuld“ (Gogolin 2005) entgegen gestellt wird, dass hierzu hinreichend soziale und strukturelle Offenheit der Aufnahmegesellschaft Voraussetzung sind. Der Blick wird gleichwohl auf Migranten belassen und seltener die durch Integration möglichen Lernprozesse bei der autochthonen (d.h. der Majorität angehörigen) Bevölkerung thematisiert (Alonso 2005; Reinders/Greb/Grimm in diesem Heft; Fritzsche/Wiezorek in diesem Heft). Was spricht bspw. dagegen, die von BenShalom/Horenczyk (vgl. 2003) entwickelten Skalen zu Akkulturationsorientierungen nicht nur bei Migranten, sondern auch bei autochthonen Jugendlichen

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einzusetzen, die eine Klasse mit 70 Prozent Migrationsanteil besuchen? Solche Jugendliche der Aufnahmegesellschaft stehen bereits faktisch vor der Anforderung, sich kulturell zu orientieren. Larson (vgl. 2002) hat unlängst Zuwanderung als Ursache dafür angesehen, dass Jugendliche der Mehrheitsgesellschaft vor die Entwicklungsaufgabe gestellt sind, in kulturell heterogenen Gesellschaften aufzuwachsen und Kompetenzen der Interessenaushandlungen trotz kulturell divergierender Aushandlungsstile konsensuell vornehmen zu können (vgl. auch Youniss 2005; Strohmeier/Nestler/Spiel in diesem Heft). Interethnische Beziehungen wären ein erster Zugang, Migranten und NichtMigranten simultan zu betrachten und Auswirkungen von Migration auf beiden Seiten zu untersuchen. Wenngleich auf die Adoleszenz begrenzt, so nimmt das Konzept der Ko-Kulturation doch an, dass durch das Ausmaß interethnischer Beziehungen die Entstehung kultureller Werte erklärbar ist. Der argumentative Kern dahinter ist, dass sich nicht nur für Migranten die Lebenswelt ändert, sondern auch für die Majorität. Nicht nur Kinder aus Zuwanderer-Familien stehen vor der Situation kultureller Verschiedenheit von Familie und Schule, sondern auch Jugendliche deutscher Herkunft, die in ihrer Klasse fünf oder mehr verschiedene Nationalitäten vorfinden. Der erste theoretische Schritt wäre also, die ethnische Komposition sozialer Beziehungen (intra- vs. interethnisch) als unabhängige Variable für Sozialisationsverläufe bei Migranten und Nicht-Migranten heranzuziehen, unterschiedliche Verläufe theoretisch zu prognostizieren und empirisch zu prüfen. Und zwar in einer biographischen Perspektive. Forschung zu den Auswirkungen von Diskriminierungserfahrungen auf den Akkulturationsprozess (Nauck/Kohlmann/Diefenbach 1997) ließen sich in diesen Zugang ebenso integrieren wie Untersuchungen zur Vorurteilsreduktion durch interethnische Kontakte (Pettigrew/Tropp 2000). Ersteres wäre eine Spielart dauerhaft intraethnischer, zweiteres eine Variante interethnischer Beziehungen. Das Phänomen interethnischer Beziehungen tritt hinreichend auf und wurde bereits quantifiziert und qualifiziert (Auer/Dirim 2000; Esser 1990; Haug 2003; Masson/Verkuyten 1993). Die Nutzung als neue Perspektive für Migrationstheorien und -forschung wäre der nächste Schritt.

5 Interethnische Beziehungen im Lebenslauf – die Beiträge in diesem Heft Die Beiträge in diesem Heft-Schwerpunkt umfassen die Lebensphasen von der späten Kindheit über das Jugend- bis hin zum Erwachsenenalter. Gemeinsamer Kern aller Untersuchungen ist die Betrachtung von interethnischen Beziehungen. Das heißt, lebensphasenspezifische Formen von Kontakten zwischen Mitgliedern der Majorität und der Minorität stehen im Mittelpunkt. Das Spektrum umfasst dabei im Wesentlichen Kontakterfahrungen in der Schule und im Freizeitbereich und es werden sowohl Jugendliche der Majorität eingehender betrachtet als auch Vergleiche zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft hergestellt. Unterhalb dieser gemeinsamen Perspektive leisten die einzelnen Beiträge eine Ausdifferenzierung von interethnischen Beziehungen im Lebens-

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lauf. Der erste Beitrag von Strohmeier/Nestler/Spiel befasst sich mit interethnischen Beziehungen in der Kindheit, die Studien von Reinders/Greb/Grimm sowie Fritzsche/Wiezorek gehen auf interethnischen Beziehungen in der Jugendphase ein. Haug thematisiert in ihrem Beitrag interethnische Freundschaften und Paarbeziehungen im Erwachsenenalter. Strohmeier/Nestler/Spiel untersuchen in ihrem Beitrag „Freundschaftsmuster, Freundschaftsqualität und aggressives Verhalten von Immigrantenkindern in der Grundschule“. Die Verknüpfung von interaktionistischen Akkulturations- und Aggressionsmodellen dient dazu, sich dem Phänomen von Freundschaftsmustern und Aggressionen bei Jugendlichen aus vier Ethnien zu nähern. Sie stellen an ihr empirisches Material von österreichischen Grundschülern u.a. die Fragen, ob sich die Größe des Freundeskreises geschlechtsspezifisch und kulturvariabel gestaltet, Unterschiede in der Freundschaftsqualität intra- und interethnischer Freundschaften zu verzeichnen sind und ob Differenzen hinsichtlich verschiedener Formen aggressiven Verhaltens entdeckt werden können. Bedeutsam sind die Befunde, dass bereits in der Kindheit häufig interethnische Freundschaften auftreten, es keine durchgängigen Differenzen in der Qualität intra- und interethnischer Freundschaften gibt, und dass aggressives Verhalten in der Schule weniger stark durch den kulturellen Hintergrund geprägt ist, als gemeinhin unterstellt wird. Reinders/Greb/Grimm befassen sich in ihrer empirischen Studie mit der „Entstehung, Gestalt und den Auswirkungen interethnischer Freundschaften“ im Jugendalter. Sie fokussieren diesen Prozess bei Jugendlichen deutscher Herkunft vor dem Hintergrund des Konzepts der Ko-Kulturation. Die Aussage ist, dass sich Freundschaftsentstehung und deren Gestalt sowie Auswirkungen in einer Prozesskette beschreiben und empirisch prüfen lassen. Hauptanliegen ist der Nachweis, dass die Stabilität interethnischer Beziehungen maßgeblich dafür ist, inwieweit es gelingt, Vorurteile bei deutschen Jugendlichen zu reduzieren. Die längsschnittlichen Befunde deuten an, dass Vorurteile bei Heranwachsenden ohne Migrationshintergrund dann abgebaut werden, wenn über einen längeren Zeitraum andersethnische Jugendliche zum Freund gewählt werden. Gleichzeitig weisen die AutorInnen darauf hin, dass solche Effekte lediglich bei Jugendlichen der Majorität nachgewiesen werden konnten und eine systematische Beschreibung von Auswirkungen für Migranten-Jugendliche bislang noch aussteht. In die gleiche Richtung zeigt die Studie von Fritzsche/Wiezorek zu „Interethnischen Kontakten und Ausländerstereotype von Jugendlichen“, die sich in einer quantitativen Analyse deutschen Jugendlichen und einem qualitativen Fallbeispiel der Interaktion von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zuwenden. Vor dem Hintergrund der Kontakthypothese von Allport (vgl. 1971) postulieren die Autorinnen, dass insbesondere Kontakte mit positiver Erfahrungsqualität dazu geeignet sind, Fremdenfeindlichkeit zu mindern. Die Querschnittstudie liefert durch die berichteten Korrelationen Belege für diese These. Fremdenfeindlichen Statements wird seltener zugestimmt, wenn der Freundeskreis interethnischer Art ist und positive Interaktionen (Hilfe, gute Gespräche) erlebt wurden. Wesentlich ist der Befund, dass diese Korrelationen höher ausfallen als bei allen anderen, einbezogenen Indikatoren (etwa Ost/West

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oder Geschlecht aber auch elterlichen Einflüssen). Durch die Darstellung einer Sequenz aus einer Gruppendiskussion mit befreundeten Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft wird die Bedeutung, die interethnischen Freundschaften zukommt, noch unterstrichen und in ihrem Mechanismus beleuchtet. Die dargestellte Auseinandersetzung der Jugendlichen in der Gruppendiskussion über den Zusammenhang von Ausländeranteil an Schulen und Schulqualität verdeutlicht, dass gute Beziehungsstrukturen zwischen Jugendlichen in der Lage sind (1.) Ethnizität als soziales Distinktionskriterium zu nivellieren und (2.) Vorurteile auf „wort-spielerische“ Weise hinterfragt werden können, ohne dass die vorurteilsbehaftete Person bloß gestellt wird. Die beiden Beiträge zur Jugendphase können insgesamt als Anzeichen dafür gewertet werden, dass eine ausgeprägte generationale Identität des JugendlichSeins und die damit einhergehende, ethnienübergreifende Gestaltung von PeerBeziehungen dazu geeignet sind, die kulturelle Offenheit bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zu erhöhen. Der relativ hohe Anteil interethnischer bester Freundschaften in der Studie von Strohmeier/Nestler/Spiel spricht dafür, dass auch in der Kindheit Faktoren zum Tragen kommen, die zur Betonung lebensphasenspezifischer Gemeinsamkeiten führen und auf diese Weise ethnische Differenzen überlagern. In der abschließenden Untersuchung analysiert Haug das Ausmaß „Interethnischer Freundschaften und Partnerschaften“ im Erwachsenenalter. Ausgehend vom Ansatz des sozialen Kapitals werden interethnische Beziehungen als Indikator für die soziale Integration von Migranten interpretiert. Auf der Basis repräsentativer Surveys bei jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund vermag die Studie die Heterogenität sozialer Integration von Migranten aufzuzeigen und gleichzeitig nachzuweisen, dass das Ausmaß interethnischer Freundschaften mit der Generation steigt und interethnische Freundschaften weitaus häufiger auftreten, als Annahmen aus der Migrationsforschung vermuten lassen. Ferner hebt der Beitrag hervor, dass soziale und strukturelle Integration korreliert sind, da Befragte mit Migrationshintergrund, aber mit deutscher Staatsbürgerschaft, über mehr Freunde deutscher Herkunft verfügen als Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Dies gilt insbesondere für italienisch- aber auch für türkisch-stämmige Migranten. Dabei wäre eine interessante Überlegung, inwieweit das Vorhandensein der deutschen Staatsbürgerschaft auch Ausdruck der längeren Biographie im Aufnahmeland ist und somit die Frage in den Mittelpunkt rückt, welche sozialen Interaktionen in Kindheit und Jugend den Fortbestand interethnischer Beziehungen im Erwachsenenalter – sprich: soziale Integration – begünstigen.

6 Kritische Würdigung Die in diesem Heft-Schwerpunkt versammelten Arbeiten geben nur einen kleinen Ausschnitt dessen wieder, was in den Phänomenbereich interethnischer Beziehungen im Lebenslauf fällt. Insbesondere wird die frühe Kindheit nicht explizit in den Mittelpunkt gerückt. Hier kann an Überlegungen zu Kindheit und

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Migration (Karsten 1985) und Forschung zu Sprachförderung von Migrantenkindern (Gogolin 2005) angeknüpft werden, bedarf aber einer Erweiterung um die Perspektive interethnischer Beziehungen. Eine weitere Lücke entsteht durch den tendenziellen Schwerpunkt auf Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Zwar wird auf die Herausforderungen, die durch zunehmend multikulturelle Gesellschaften an Kinder und Jugendliche gestellt werden, damit adäquat eingegangen. Studien zu Auswirkungen interethnischer Beziehungen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind jedoch noch nicht hinreichend in das Forschungsprogramm einbezogen. Hier wären der Rückbezug auf Impulse der internationalen Forschung zu interethnischen Beziehungen bei Migranten (Masson/Verkuyten 1993; Powers/Ellison 1995) oder die Koppelung mit Ergebnissen der Familien-Migrationsforschung (Nauck/Kohlmann/Diefenbach 1997; Reinders 2005) mögliche Ansatzpunkte für weitere Forschung. Schließlich mangelt es, wie bereits ein der Einleitung skizziert, an einem theoretischen Rahmen, der als Leitfaden oder Interpretationsfolie für ein Forschungsprogramm zu interethnische Beziehungen im Lebenslauf geeignet wäre. Die Beiträge in diesem Heft-Schwerpunkt lassen diese Defizit sichtbar werden, weil es schwer fällt, den roten Faden zu ziehen. Nicht, weil die Beiträge dies nicht ermöglichten, sondern weil schlicht das theoretische Inventar fehlt. Als Desiderat lassen sich aus diesem Heft mit Bezug auf das vorgeschlagene Konzept der Ko-Kulturation aber immerhin Impulse für eine weitere Vorgehensweise ableiten: 1. Alle Beiträge zeigen deutlich auf, dass das Phänomen interethnischer Beziehungen in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter keine Ausnahme darstellt, sondern in sozial relevantem Maße auftritt. Vorausgesetzt die damit verbundenen – symmetrischen – Aushandlungen von kulturellen Werten finden tatsächlich statt, folgt daraus, dass die Konzepte von En- und Akkulturation nicht mehr hinreichend sind. 2. In keinem der Beiträge finden sich Hinweise, dass interethnische Beziehungen von geringerer Qualität seien als intraethnische. Das spricht dafür, dass es sich bei interethnischen Freundschaften um ein gleichwertig hohes soziales Kapital handelt, welches zusätzlich noch den „Nutzen“ wechselseitiger kultureller Lern- und Austauschprozesse zu bieten scheint. 3. Soweit in den Beiträgen erfasst, zeichnen sich positive Korrelate interethnischer Beziehungen ab; sowohl für Migranten als auch Nicht-Migranten. Dies lässt aussichtsreich erscheinen, Forschung in diesem Bereich zu intensivieren. 4. Die zunächst lose Nebeneinander stehenden Beiträge lassen sich zu der Annahme verdichten, dass interethnische Beziehungen nicht nur situational, sondern auch mittel- und langfristig bedeutsam für individuelle Biographien sind. Für Migranten ergibt sich daraus die Frage, wie sich bereits in der Kindheit eingegangene interethnische Beziehungen über die Jugend bis zum Erwachsenenalter auf die soziale sowie strukturelle Integration und damit verbundenen Partizipationschancen und das psychische Wohlbefinden auswirken. Bei Nicht-Migranten sprechen die Befunde deutlich dafür, dass

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Kompetenzen des Umgangs in kulturell heterogenen Gesellschaften entwikkelt werden. Dieser Heftschwerpunkt markiert somit eher den Anfang als die Bilanz eines Forschungsprogramms, welches eine stärkere Integration von Migrations- und Sozialisationsforschung, eine Verschränkung von En- und Akkulturation durch das Konzept der Ko-Kulturation anstreben könnte. Es eröffnet gleichzeitig den Diskurs darüber, was Kindheits- und Jugendforschung mit Migrationsphänomenen in einer Gesellschaft anfangen will, die aktuell die ersten MigrantenGenerationen hervorbringt, deren Biographie sich von Beginn an im „Aufnahmeland“ vollzieht. Weder die Migrations-, noch die Kindheits- und Jugendforschung sind hierauf bislang hinreichend vorbereitet.

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Schwerpunkt

Freundschaftsmuster, Freundschaftsqualität und aggressives Verhalten von Immigrantenkindern in der Grundschule Dagmar Strohmeier, Dunja Nestler und Christiane Spiel Zusammenfassung Das Aufwachsen in einer multikulturellen Gesellschaft sowie der positive Umgang mit kultureller Vielfalt stellt eine neue Entwicklungsaufgabe für Kinder und Jugendliche dar. Kinder stehen insbesondere in der Schule vor der Herausforderung, positive interkulturelle Beziehungen (z. B. Freundschaften) zu entwickeln und mit negativen Verhaltensweisen (z. B. Aggression) konstruktiv umzugehen. Hauptanliegen der vorliegenden Studie ist die Analyse von Freundschaftsmustern und aggressivem Verhalten von 204 Grundschulkindern (114 Mädchen und 90 Jungen) verschiedener kultureller Zugehörigkeiten. Die Kinder wurden gebeten mit Hilfe einer Freundesliste Name, Geschlecht, Schulklassenzugehörigkeit und Muttersprache aller Freunde anzugeben, die beste Freundin/den besten Freund aus dieser Liste auszuwählen, sowie die Qualität der besten Freundschaft einzuschätzen. Zusätzlich wurde das aggressive Verhalten der Kinder mittels Selbsteinschätzungen erfasst. Die Analyse der Freundschaftsmuster geben Einblicke hinsichtlich der sozialen Integration von Immigrantenkindern und belegen, dass Kinder mit deutscher Muttersprache eine vergleichsweise starke homophily aufweisen. Homphily hinsichtlich der besten Freundschaften konnte in Bezug auf das Geschlecht, nicht jedoch in Bezug auf die Muttersprache der Kinder nachgewiesen werden. Mädchendyaden wiesen eine höhere Freundschaftsqualität auf als Jungendyaden, es fanden sich nur geringe Qualitätsunterschiede zwischen intra- und interethnischer Freundschaften. Auch hinsichtlich des aggressiven Verhaltens zeigten sich Geschlechtseffekte. Kinder verschiedener kultureller Gruppen unterschieden sich hinsichtlich ihres offen aggressiven Verhaltens. Schlagworte: aggressives Verhalten, Freundschaften, Freundschaftsqualität, Immigrantenkinder, homophily, soziale Integration

1 Freundschaftsmuster, Freundschaftsqualität und aggressives Verhalten von Immigrantenkindern in der Grundschule Das friedliche Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen stellt in Zeiten globaler Migrationsbewegungen eine der zentralen Herausforderungen der westlichen Gesellschaften dar. Die kulturelle Heterogenität der Bevölkerung spiegelt sich auch in den Lebenswelten von Kindern wider, weil sie bereits im Kindergarten oder in der Schule mit Kindern verschiedenster Herkunftsländer und Muttersprachen zusammentreffen. Der tägliche Kontakt bietet sowohl Chancen als auch Risiken. Das Aufwachsen in einer multikulturellen Gesellschaft sowie der positive Umgang mit kultureller Vielfalt wird deshalb auch als eine neue Entwicklungsaufgabe von Kindern und JugendDiskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 21-37

Mag. Dagmar Strohmeier Universität Wien

Prof. Dr. Christiane Spiel Universität Wien

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lichen beschrieben (Larson 2002; Reinders in diesem Heft). Im Rahmen dieser Entwicklungsaufgabe kommt der Etablierung positiver interkultureller Beziehungen (z.B. in Form von Freundschaftsbeziehungen) sowie der Eindämmung negativer Verhaltensweisen (z.B. von Aggression) eine besondere Bedeutung zu. Gerade im deutschsprachigen Raum gibt es hinsichtlich beider Aspekte einen enormen Forschungsbedarf, da es derzeit kaum deskriptive Studien gibt, die Kinder verschiedener kultureller Zugehörigkeiten differenzieren. Die vorliegende Studie verfolgt daher drei Ziele: Erstens wird der Freundeskreis von Kindern verschiedener kultureller Gruppen hinsichtlich seiner Größe und kulturellen Zusammensetzung analysiert, zweitens wird die Art und Qualität der besten Freundschaft untersucht und drittens wird das Ausmaß aggressiven Verhaltens von Kindern verschiedener kultureller Gruppen beleuchtet.

2 Die Bedeutsamkeit von kultureller Zugehörigkeit für Kinderfreundschaften Das Eingehen einer engen, gegenseitigen Freundschaft mit einem Kind einer anderen kulturellen Gruppe bietet für beide Kinder potenzielle Vorteile. Zum einen deshalb, weil diese Freundschaften als „ideale Kontaktbedingungen“ maßgeblich zur Reduktion von ethnischen Vorurteilen beitragen (Pettigrew/Tropp 2000; Pettigrew 1998), zum anderen weil sie den Prozess der sozialen Integration unterstützen, weshalb soziale Beziehungen eine wichtige Dimension in Akkulturationsmodellen (Berry 1980) darstellen. Es gibt jedoch eine Reihe von Mechanismen, die das Zustandekommen von interkulturellen Freundschaften selbst dann verhindern, wenn die Kinder gemeinsam in die Schule gehen und fast täglich zusammen sind (Schofield 1995). Meist schließen Kinder Freundschaften aufgrund von (wahrgenommenen oder vermuteten) Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten (Berscheid 1995). Kupersmidt/DeRosier/Patterson (vgl. 1995) konnten bei neun bis zehnjährigen Kindern zeigen, dass sich Freunde nicht nur hinsichtlich des Geschlechts und der ethnischen Gruppe ähnlich waren („black“ vs. „white“), sondern auch hinsichtlich anderer Merkmale wie z.B. ihres soziodemographischen Hintergrunds, ihres aggressiven Verhaltens, ihrer Schüchternheit oder ihrer Schulleistung. Dieses Phänomen wird „homophily“ genannt und zeigte sich in dieser Studie besonders eindrucksvoll hinsichtlich des Geschlechts und der ethnischen Gruppe: Mehr als 90% der untersuchten Dyaden waren gleichgeschlechtlich und über zwei Drittel der Dyaden ethnisch homogen zusammengesetzt. Aber auch andere Studien (z. B. Boulton/Smith 1996) konnten zeigen, dass homophily hinsichtlich der kulturellen Zugehörigkeit („asian“ vs. „white British“) bei acht bis zehnjährigen Schulkindern sehr häufig auftritt. Bei soziometrischen Wahlen wurden in 95% der Fälle Kinder desselben Geschlechts und derselben kulturellen Gruppe positiv nominiert. Hinsichtlich der negativen Nominierungen zeigte sich kein eindeutiges Muster, die weißen Mädchen und Jungen wählten mehr anderskulturelle Kinder, die asiatischen Jungen wählten dagegen mehr Kinder aus der eigenen Gruppe. Eine Reihe von Studien konnten zeigen, dass homo-

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phily in Bezug auf das Geschlecht häufiger auftritt als hinsichtlich ethnischer Zugehörigkeit (z.B. Graham/Cohen 1997; Graham et al. 1998; Maccoby 1988, 1990). Außerdem wurde festgestellt, dass homophily hinsichtlich der ethnischen Zugehörigkeit mit dem Alter zunimmt (Graham et al. 1998; Maharaj/Connolly 1994; Aboud/Mendelson/Purdy 2003; Shrum/Cheek/Hunter 1988; Hallinan/Tiexeira 1987). Einige Autoren (z.B. McPherson/Smith-Lovin/Cook 2001) halten homophily in Bezug auf die ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit insbesondere bei Erwachsenen für den bedeutsamsten, die Gesellschaft segregierenden Faktor (vgl. Haug in diesem Heft). Alle bisher zitierten Studien zum Phänomen der homophily wurden im englischsprachigen Raum durchgeführt und es stellt sich die Frage, inwieweit diese empirischen Befunde auch auf den deutschsprachigen Raum übertragbar sind. In den amerikanischen Studien wurden meist die Beziehungen zwischen weißen und schwarzen Kindern untersucht, die aufgrund der politischen Veränderungen in den U.S.A. mit einem ganz bestimmten historisch-gesellschaftlichen Kontext in Verbindung stehen. Aufgrund anderer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und der „Gastarbeiterpolitik“ sind in den deutschsprachigen Ländern nicht nur andere kulturelle Gruppen vertreten, auch der historische Kontext ist nicht vergleichbar. Als Einwanderungsländer haben Österreich und Deutschland in den letzten Jahrzehnten Immigranten aus verschiedensten Ländern aufgenommen, viele Schulklassen setzen sich daher aus Kindern vieler verschiedener Herkunftsländer und Muttersprachen zusammen, weshalb in Studien mehr als zwei Gruppen zu vergleichen wären. In Deutschland wurde bisher eine einzige Studie publiziert (Reinders/Mangold 2005), die erste Hinweise bezüglich des Phänomens der homophily bei 14jährigen SchülerInnen gibt. Die Jugendlichen wurden gemäß ihres Herkunftslands in drei Gruppen unterteilt, d.h. es wurden die soziometrischen Wahlen von deutschen, türkischen und italienischen Jugendlichen dahingehen ausgewertet, ob der von ihnen nominierte Freund (bzw. die nominierte Freundin) derselben oder einer anderen kulturellen Gruppe angehörte. Auf Stichprobenebene wurde das Phänomen der homophily seltener beobachtet als in den bisher zitierten Vergleichsstudien: 63% der Jugendlichen nominierten Freunde derselben kulturellen Gruppe, 37% der Befragten nominierten Freunde einer anderen kulturellen Zugehörigkeit. Besonders interessant erwies sich die Aufschlüsselung der intraund interethnischen Freundschaften in Bezug auf das Herkunftsland der Kinder: Fast jedes zweite deutsche Mädchen und jeder zweite deutsche Junge (42% vs. 45%) nominierte eine Freundin bzw. einen Freund einer anderen kulturellen Gruppe. Türkische Jugendliche wiesen die stärkste Ausprägung bezüglich der kulturellen homophily auf, 73% der Mädchen und 67% der Jungen nominierten eine türkische Freundin bzw. einen türkischen Freund. Auch bei den italienischen Jugendlichen zeigten die Mädchen einen stärkeren homophily-bias (73%) als die Jungen (55%). Diese Ergebnisse sind aus mehreren Gründen interessant: (1.) Die Jugendlichen in dieser Stichprobe waren mit etwa 14 Jahren relativ alt, was sich gemäß der amerikanischen Studien in einer relativ starken homophily niederschlagen sollte. Dies war jedoch nicht der Fall. (2.) Die Differenzierung der Jugendlichen gemäß ihres Herkunftslandes in drei Gruppen erbrachte Unterschiede hinsicht-

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lich der Ausprägung des homophily-bias. In dieser Stichprobe zeigten Jugendliche aus der Türkei einen deutlich stärkeren homophily-bias als deutsche Jugendliche, was – übersetzt in die Terminologie der Akkulturationsmodelle – als Hinweis auf eine stärkere Tendenz zur Segregation interpretiert werden kann. Generell erscheint die Differenzierung und getrennte Untersuchung verschiedener kultureller Gruppen sinnvoll, da davon auszugehen ist, dass sich Akkulturationsorientierungen in Abhängigkeit der Gruppenzugehörigkeit unterscheiden (Bourhis et al. 1997), was sich in unterschiedlichen Ausprägungen des homophily-bias niederschlagen sollte. Um die Ausprägung des homophily-bias von Kindern unterschiedlicher kultureller Gruppen abschätzen zu können, wird in der vorliegenden Studie die kulturelle Zusammensetzung des gesamten Freundeskreises sowie die kulturelle Zugehörigkeit des besten Freundes der Kinder analysiert. Die Untersuchung der Qualität intra- und interethnischen bester Freundschaften stellt ein weiteres Ziel der vorliegenden Studie dar. Auch hinsichtlich dieser Fragestellung wurden kaum Studien publiziert (Ausnahmen sind: Aboud/Mendelson/Purdy 2003; Reinders/Mangold 2005). Die Ergebnisse dieser beiden Studien deuten darauf hin, dass sich intra- und interethnische Freundschaften hinsichtlich ihrer Qualität nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß unterscheiden. Das bedeutet, dass Freundschaften zwischen zwei Kindern verschiedener kultureller Zugehörigkeiten eine vergleichbare Qualität aufweisen wie Freundschaften zwischen Kindern derselben kulturellen Gruppe. Trotzdem erscheint es aufgrund der geringen Anzahl von Studien angebracht, diese Fragestellung anhand eines weiteren Datensatzes erneut zu überprüfen.

3 Die Bedeutsamkeit von kultureller Zugehörigkeit für aggressives Verhalten Im deutschsprachigen Raum wurde die Bedeutsamkeit von kultureller Zugehörigkeit für aggressives Verhalten meist in Form einer „Nebenfragestellung“ innerhalb von Studien zu Aggression und Gewalt analysiert (Klicpera/GasteigerKlicpera 1996; Lösel/Bliesner/Averbeck 1999; Fuchs 1999; Popp 2000). In den genannten Studien wurden möglichst große und für bestimmte Gegenden repräsentative Stichproben gezogen, die sich aus mehreren Tausend SchülerInnen zusammensetzten. Der Anteil von „ausländischen“ SchülerInnen in den Stichproben war verhältnismäßig gering (7-25%). Zumeist wurde die Fragestellung untersucht, ob sich das aktive und passive Gewaltausmaß „ausländischer“ und deutscher bzw. österreichischer SchülerInnen unterscheidet. Die Ergebnisse sind sehr heterogen: Klicpera/Gasteiger-Klicpera (1996) fanden bei SchülerInnen der 8. Schulstufe heraus, dass „ausländische“ SchülerInnen seltener in physische Gewalthandlungen involviert sind als österreichische SchülerInnen. Fuchs (1999) dagegen fand, dass „ausländische“ SchülerInnen sowohl mehr Gewalt gegen Sachen als auch mehr physische und psychische Gewalt gegen Personen verüben als deutsche SchülerInnen. Popp (2000) stellte bei türkischen SchülerInnen der 6., 8., 9. und 10. Schulstufe höhere Werte bei physischen Gewalt-

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handlungen fest als bei deutschen SchülerInnen. Lösel/Bliesner/ Averbeck (vgl. 1999) untersuchten SchülerInnen der 7. und 8. Klassen und fanden keine Unterschiede zwischen „ausländischen“ und deutschen SchülerInnen hinsichtlich aktiver Gewalterfahrungen; deutsche SchülerInnen waren aber häufiger Opfer als „ausländische“ SchülerInnen. Diese Widersprüche in den Befunden sind äußerst unbefriedigend und können möglicherweise auch darauf zurückgeführt werden, dass die Studien weder eine einheitliche Definition von aggressivem Verhalten aufwiesen, noch ein vergleichbares Kriterium zur Gruppenbildung der Kinder verwendeten. Einen anderen Weg, interkulturelle Beziehungen zu untersuchen, wählten Strohmeier/Spiel (2003). In dieser Studie wurden SchülerInnen der 5. bis 8. Schulstufe hinsichtlich ihres aggressiven Verhaltens, aber auch hinsichtlich ihrer Freundschaftsmuster, sowie der Akzeptanz in der Peergruppe untersucht. Bei der Auswahl der SchülerInnen wurde auf Repräsentativität der Stichprobe in Bezug auf die Muttersprachen der Jugendlichen für den untersuchten Schultyp im untersuchten Schulbezirk geachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass sich soziale Beziehungen zwischen Kindern verschiedener Muttersprach-Gruppen systematisch unterscheiden. Während SchülerInnen mit deutscher Muttersprache häufiger aktiv und passiv in aggressives Verhalten verwickelt waren, fielen SchülerInnen mit türkischer Muttersprache durch eine schlechtere soziale Integration in der Schulklasse auf. Sie hatten die wenigsten Freunde in der Klasse, berichteten über größere Einsamkeitsgefühle in der Schule und wurden von ihren MitschülerInnen weniger akzeptiert als SchülerInnen der anderen drei MuttersprachGruppen. In einer zweiten Studie (Strohmeier/Atria/Spiel 2005) wurde überprüft, inwieweit diese Ergebnisse in Bezug auf das aggressive Verhalten generalisierbar sind und welche Gründe Opfer für erfahrenes negatives Verhalten angeben. An der Untersuchung nahmen erneut SchülerInnen der 5. bis 8. Schulstufe teil. Die Ergebnisse bestätigen die Befunde von Strohmeier/Spiel (2003). Kinder mit deutscher Muttersprache waren gleich häufig oder häufiger aktiv und passiv in aggressives Verhalten verwickelt als Kinder der drei Immigrantengruppen. Die Mehrheit der SchülerInnen aller vier Gruppen machte das eigene Verhalten oder die eigene Unbeliebtheit für erfahrene, negative Erlebnisse verantwortlich. Kinder mit türkischer Muttersprache nannten vergleichsweise häufig ihre Sprache, Kinder der multikulturellen Sammelgruppe ihr Herkunftsland als Viktimisierungsgrund. Insgesamt betrachtet weisen die Ergebnisse dieser Studien darauf hin, dass die kulturellen Zugehörigkeiten der Kinder bei aggressiven Konflikten in der Sekundarstufe eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis, weil es bedeutet, dass soziale Beziehungen in multikulturellen Schulklassen nicht durch offene „Kulturkonflikte“ geprägt sind. Drittes und letztes Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine erneute Untersuchung dieser Fragestellung und damit einhergehend eine Erweiterung der vorliegenden Datenbasis auf Grundschulen. Zusammenfassend untersucht die vorliegende Studie folgende Fragestellungen: 1. Unterscheiden sich Mädchen und Jungen verschiedener kultureller Zugehörigkeit hinsichtlich der Anzahl ihrer Freunde?

26 Dagmar Strohmeier, Dunja Nestler & Christiane Spiel

2. Unterscheiden sich Mädchen und Jungen verschiedener kultureller Zugehörigkeit hinsichtlich der kulturellen Zusammensetzung des Freundeskreises bzw. hinsichtlich der kulturellen Zugehörigkeit ihres besten Freundes/ihrer besten Freundin? 3. Gibt es Unterschiede hinsichtlich der Qualität der besten Freundschaft in Abhängigkeit des Geschlechts der Kinder bzw. davon, ob der Freund/die Freundin derselben oder einer anderen kulturellen Gruppe angehört? 4. Unterscheiden sich Jungen und Mädchen verschiedener kultureller Zugehörigkeit hinsichtlich des aggressiven Verhaltens?

4 Methode 4.1 Stichprobe An der Untersuchung nahmen 204 Kinder (114 Mädchen und 90 Jungen) teil. Sie wurden in vier Wiener Volksschulen (11 Schulklassen der 4. Schulstufe) rekrutiert und waren etwa 10 Jahre alt. Die Kinder in der Stichprobe sprachen gemäß Selbstangaben 26 verschiedene Muttersprachen. Die Kinder wurden gemäß ihrer Muttersprachen in vier Gruppen unterteilt. 35,3% der SchülerInnen (45 Mädchen, 27 Jungen) sprachen deutsch; 22,1% (24 Mädchen, 21 Jungen) eine Sprache aus dem ehemaligen Jugoslawien; 21,6% (25 Mädchen, 19 Jungen) sprachen türkisch und 21,1% (20 Mädchen, 23 Jungen) eine andere Sprache.

4.2 Instrumente Im Rahmen dieser Untersuchung wurden drei Erhebungsinstrumente eingesetzt, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden. Erfassung der Freunde mit der Freunde-Liste. Die Kinder wurden gebeten, Namen (Vorname und 1. Buchstabe des Nachnamens), Geschlecht und Muttersprache ihrer Freundinnen und Freunde in eine grafisch ansprechend gestaltete Freunde-Liste einzutragen, sowie bei jedem Freund anzugeben, ob sie oder er dieselbe Klasse besucht oder nicht. Erfassung der Qualität der besten Freundschaft. Die Kinder wurden gebeten, aus dieser Freunde-Liste ihren allerbesten Freund oder ihre allerbeste Freundin auszuwählen, seinen bzw. ihren Namen aufzuschreiben und bei der Beantwortung aller nachfolgenden Fragen immer an genau diesen Freund bzw. diese Freundin zu denken. Zur Erfassung der Freundschaftsqualität der besten Freundschaft wurde eine gekürzte, gemäß der Vorschläge von Grotpeter/Crick (1996) modifizierte und ins Deutsche übersetzte Version des Friendship Quality Questionaire (FQQ, Parker/Asher 1993) eingesetzt. Das FQQ wurde für Kinder der dritten bis fünften Schulstufe entwickelt und besteht aus sechs Subskalen mit insgesamt 40 Items (Details dazu siehe Parker/Asher 1993, S. 615). Aus diesen 40 Items wählten wir anhand der Höhe der Reliabilitätsscores 22 reprä-

Interkulturelle Beziehungen im Lebensumfeld Schule 27

sentative Items aus (mindestens 3 Items pro Subskala) und modifizierten sie gemäß der Vorschläge von Grotpeter/Crick (1996). Der von uns verwendete Fragebogen bestand schlussendlich aus 8 Subskalen und 29 Items. Das Antwortformat bestand aus einer vierstufigen Ratingskala, die sowohl verbal beschrieben wurde (nein, stimmt nicht – stimmt wenig – stimmt eher – ja, stimmt) und grafisch in Form von Kreisen veranschaulicht wurde. In Tabelle 1 wird Cronbachs Alpha der 8 Subskalen des adaptierten und übersetzten FQQ für die gesamte Stichprobe, sowie für Mädchen und Jungen getrennt dargestellt. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, sind die Skaleneigenschaften im Großen und Ganzen zufriedenstellend. Es fällt jedoch auf, dass die Skalen Konflikt und Verrat I, Konflikt und Verrat II sowie Gemeinschaft & Freizeitaktivitäten eher niedrige Reliabilitäten aufweisen. Tabelle 1: Reliabilitäten der Subskalen der deutschen Version des FQQ Subskala/Itembeispiel Bestätigung und Fürsorge: α (gesamte Stichprobe) = .77, α (Mädchen) = .72, α (Jungen) = .77 (Bsp.: „... gibt mir das Gefühl, gute Ideen zu haben.“) Konfliktlösung: α (gesamte Stichprobe) = .64, α (Mädchen) = .53, α (Jungen) = .70 (Bsp.: „... verträgt sich schnell wieder mit mir, wenn wir eine Rauferei hatten.“) Konflikt und Verrat I: α (gesamte Stichprobe) = .48, α (Mädchen) = .55, α (Jungen) = .35 (Bsp.: „Ich widerspreche ... oft.“) Konflikt und Verrat II: α (gesamte Stichprobe) = .46, α (Mädchen) = .44, α (Jungen) = .49 (Bsp.: „... widerspricht mir oft.“) Hilfe und Beratung: α (gesamte Stichprobe) = .70, α (Mädchen) = .56, α (Jungen) = .76 (Bsp.: „... hilft mir bei Schulaufgaben.“) Gemeinschaft & Freizeit: α (gesamte Stichprobe) = .51, α (Mädchen) = .40, α (Jungen) = .60 (Bsp.: „... spielt in der Freizeit immer mit mir.“) Intimer Austausch I: α (gesamte Stichprobe) = .79, α (Mädchen) = .73, α (Jungen) = .81 (Bsp.: „Ich erzähle ... meine Probleme.“) Intimer Austausch II: α (gesamte Stichprobe) = .81, α (Mädchen) = .79, α (Jungen) = .80 (Bsp.: „... erzählt mir seine/ihre Probleme.“)

Erfassung des aggressiven Verhaltens. Aggressives Verhalten wurde sowohl aus Opfer- als auch aus Täterperspektive erfasst. Den Kindern wurden insgesamt 8 Opferitems und 8 Täteritems vorgegeben. Je 4 Opfer- und Täteritems beinhalteten verschiedene Aspekte von offen aggressivem Verhalten, 4 Opferund Täteritems beinhalteten verdecktes aggressives Verhalten. Bei der Konstruktion der Items wurde auf ihre leichte Verständlichkeit geachtet. Die Kinder wurden gebeten, bei der Beantwortung der Items an die letzte Schulwoche zu denken. Das Antwortformat bestand aus einer vierstufigen Ratingskala, die sowohl verbal beschrieben wurde (gar nicht – manchmal – oft – sehr oft) und grafisch in Form von Kreisen veranschaulicht wurde. Je ein Beispielitem und die Skaleneigenschaften sind für die gesamte Stichprobe, sowie für Mädchen und Jungen getrennt in Tabelle 2 dargestellt.

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Tabelle 2: Reliabilitäten der Subskalen des Aggressionsfragebogens Subskala/Itembeispiel Opferskala, offene Aggression: α (gesamte Stichprobe) = .63, α (Mädchen) = .66, α (Jungen) = 59. (Bsp.: „Wie oft hat dich ein Kind geschlagen?“) Opferskala, sozialer Ausschluss: α (gesamte Stichprobe) = .75, α (Mädchen) = .80, α (Jungen) = .50 (Bsp.: „Wie oft hat es ein Kind abgelehnt, in der Pause mit dir zu spielen?“) Täterskala, offene Aggression: α (gesamte Stichprobe) = .69, α (Mädchen) = .57, α (Jungen) = .76 (Bsp.: „Wie oft hast du ein Kind geschlagen?“) Täterskala, sozialer Ausschluss: α (gesamte Stichprobe) = .64, α (Mädchen) = .60, α (Jungen) = .70 (Bsp.: „Wie oft hast du es abgelehnt, mit einem Kind in der Pause zu spielen?“)

5. Ergebnisse 5.1 Anzahl der Freunde Die Kinder nominierten mit Hilfe der Freunde-Liste zwischen null und 27 Freunden, der Mittelwert lag bei 14,71 Freunden (SD=5,2), der Modalwert lag bei 19 Freunden. Um herauszufinden, ob sich die Anzahl der Freundinnen und die Anzahl der Freunde in Abhängigkeit des Geschlechts und der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder unterscheidet, wurde eine 2 x 4 MANOVA gerechnet. In den multivariaten Analysen (Pillai-Spur Kriterium) erwies sich der Faktor Geschlecht (F (2,195) = 231,80, p < 0,001, η² = 0,70) als höchst bedeutsam, der Faktor kulturelle Zugehörigkeit sowie die Wechselwirkung waren nicht signifikant. In den univariaten Analysen zeigten sich höchst bedeutsame Geschlechtsunterschiede sowohl hinsichtlich der Anzahl der Freundinnen (F (1,196) = 340,36, p < 0,001, η² = 0,63) als auch hinsichtlich der Anzahl der Freunde (F (1,196) = 190,19, p < 0,001, η² = 0,49). Während Mädchen im Mittel 12,11 Freundinnen (SD=4,36) und 2,24 Freunde (SD=2,52) nominierten, verhielt es sich bei den Jungen genau umgekehrt: sie nominierten im Mittel 11,33 Freunde (SD=5,09) und 3,59 Freundinnen (SD=2,88). In einer zweiten 2 x 4 MANOVA wurde die Fragestellung untersucht, ob sich die Anzahl der Freunde aus derselben Klasse und die Anzahl der Freunde nicht aus derselben Klasse in Abhängigkeit des Geschlechts und der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder unterscheidet. In den multivariaten Analysen (PillaiSpur Kriterium) erwiesen sich die Faktoren Geschlecht (F (2,195) = 231,80, p = 0,02, η² = 0,04) sowie kulturelle Zugehörigkeit (F(6,392) = 2,78, p = 0,01, η² = 0,04) als signifikant, die Wechselwirkung war nicht signifikant. Univariate Analysen enthüllten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Anzahl der Freunde aus derselben Klasse (F (1,196) = 4,82, p = 0,03, η² = 0,04). Mädchen nominieren demnach mehr Freunde aus derselben Klasse als Jungen (M=8,76 vs. M=7,41). In den univariaten Analysen unterschieden sich die vier kulturellen Gruppen hinsichtlich der Anzahl der Freunde aus derselben Klasse (F (3,196) =

Interkulturelle Beziehungen im Lebensumfeld Schule 29

2,81, p = 0,04, η² = 0,04) als auch tendenziell hinsichtlich der Anzahl der Freunde nicht aus derselben Klasse (F (3,196) = 2,46, p = 0,06, η² = 0,04). Bonferroni post-hoc Tests zeigen, dass Kinder mit türkischer Muttersprache (M = 7,41) tendenziell weniger Freunde aus der Klasse nominieren als Kinder mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien (M = 9,62, p = 0,07). Die Mittelwerte der Kinder mit deutscher Muttersprache (M = 7,86) und der Kinder aus der multikulturellen Sammelgruppe (M = 7,93) lagen dazwischen und unterschieden sich nicht. Allerdings nominieren Kinder mit türkischer Muttersprache (M = 7,52) tendenziell mehr Freunde nicht aus der Klasse als Kinder der multikulturellen Sammelgruppe (M = 4,88, p = 0,06). Auch hier lagen die Mittelwerte der Kinder mit deutscher Muttersprache (M = 6,94) und der Kinder mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien dazwischen (M = 6,51) und unterschieden sich nicht.

5.2 Kulturelle Zusammensetzung des Freundeskreises Um herauszufinden, ob sich die kulturelle Zusammensetzung des Freundeskreises der Kinder in Abhängigkeit des Geschlechts und der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder unterscheidet, wurde eine 2 x 4 MANOVA gerechnet (für diese Analyse wurde die beste Freundin oder der beste Freund nicht mitgezählt). Vier abhängige Variablen gingen in die Analyse ein: der relative Anteil von Freunden mit deutscher Muttersprache, der relative Anteil von Freunden mit türkischer Muttersprache, der relative Anteil von Freunden mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien, sowie der relative Anteil von Freunden einer anderen Muttersprache (multikulturelle Sammelgruppe). In den multivariaten Analysen (Pillai-Spur Kriterium) erwies sich der Faktor kulturelle Zugehörigkeit (F (12,564) = 40,51, p < 0,001, η² = 0,43) als höchst bedeutsam, der Faktor Geschlecht sowie die Wechselwirkung waren nicht signifikant. In den univariaten Analysen zeigten sich in allen vier abhängigen Variablen höchst bedeutsame Unterschiede in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder. Der relative Anteil von Freunden mit deutscher Muttersprache (F (3,189) = 92,81, p < 0,00, η² = 0,60), mit türkischer Muttersprache (F (3,189) = 79,28, p < 0,00, η² = 0,56), mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien (F (3,189) = 46,54, p < 0,00, η² = 0,43), sowie mit anderen Sprachen (F (3,189) = 23,91, p < 0,00, η² = 0,28) unterscheidet sich höchst signifikant in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder.

30 Dagmar Strohmeier, Dunja Nestler & Christiane Spiel

Abbildung 1:

Kulturelle Zusammensetzung des Freundeskreises in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder Kulturelle Zusammensetzung des Freundeskreises

90 80

76,72

70 56,48

60

50,39 50

42,88

40 30 19,39

20 10

13,86 8,69 6,50 8,09

10,27

15,55 13,91

20,13

22,77

22,37 11,98

0 deutsch (n=69)

türkisch (n=44)

Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien (n=45)

andere Sprachen (n=39)

Freunde mit deutscher Muttersprache

Freunde mit türkischer Muttersprache

Freunde mit Sprachen aus dem ehem. Jugoslawien

Freunde mit anderen Muttersprachen

Wie aus Abbildung 1 zu ersehen ist, besteht der Freundeskreis von Kindern mit deutscher Muttersprache zu 76% aus Kindern mit deutscher Muttersprache, der Freundeskreis von Kindern mit türkischer Muttersprache zu 56% aus türkischen Kindern und 19% aus Kindern mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Freundeskreis der Kinder mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu 50% aus Kindern mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien und zu 20% aus Kindern mit anderen Sprachen, sowie der Freundeskreis der Kinder mit anderen Muttersprachen zu 42% aus Kindern mit anderen Muttersprachen, sowie zu je 22% aus Kindern mit deutscher Muttersprache bzw. aus Kindern mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

5.3 Beste Freundin/bester Freund 196 Kinder hielten sich an die Instruktion und nominierten ein Kind aus ihrer Freunde-Liste als beste Freundin oder als besten Freund. 8 Kinder nannten einen Namen, der nicht auf der Freunde-Liste stand, weshalb ihre Angaben aufgrund fehlender Informationen für die nachfolgenden Analysen nicht verwendet werden konnten. 146 Kinder (74,5%) nominierten ein Kind aus der eigenen Klasse als beste Freundin oder besten Freund. Nahezu alle Kinder nominierten ein Kind des gleichen Geschlechts als beste Freundin oder besten Freund. Von insgesamt 111 Mädchen nominierten nur 5 einen Jungen, von insgesamt 85 Jungen nominierten nur 4 ein Mädchen. Im nachfolgenden wurden ausschließlich gleichgeschlechtliche Freundschaften analysiert und daher wurden die Angaben dieser 9 Kinder ausgeschieden. Die besten Freunde der Kinder sprachen insgesamt 22 verschiedene Muttersprachen (von 4 fehlten die Angaben, insgesamt standen somit 183 vollständige Datensätze zur Verfügung) und wurden für die weiteren

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Analysen in vier Gruppen unterteilt (deutsch, türkisch, Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien, multikulturelle Sammelgruppe). Basierend auf dieser Gruppeneinteilung wurde ermittelt, ob die besten Freunde der Kinder derselben kulturellen Gruppe wie diese angehören oder nicht. Es zeigte sich, dass die besten Freunde von 101 Kindern (55,2%) aus derselben Gruppe stammten, während die besten Freunde von 82 Kindern (44,8%) aus einer anderen Gruppe kamen. In einem zweiten Schritt wurde mit Hilfe einer Kreuztabelle und eines chi²-Tests geprüft, ob diese Gleichverteilung der kulturellen Zugehörigkeit der besten Freunde in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder schwankt. Die Analysen ergaben sehr signifikante Unterschiede (χ² (9) = 116,64, p < 0,00) hinsichtlich der kulturellen Zugehörigkeit der Freunde in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder. Tabelle 3: Kulturelle Zugehörigkeit der besten Freundin/des besten Freundes in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder Kulturelle Zugehörigkeit der besten Freundin/des besten Freundes Deutsch Türkisch Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien andere Sprachen

Deutsch (n=64)

Türkisch (n=42)

73,4% (47) 3,1% (2)

9,5% (4) 61,9% (26)

14,1% (9) 9,4% (6)

7,1% (3) 21,4% (9)

Sprachen aus dem ehem. Jugoslawien (n=42) 21,4% (9) 2,4% (1) 47,6% (20) 28,6% (12)

Andere Sprachen (n=35) 25,7% (9) 14,3% (5) 37,1% (13) 22,9% (8)

Wie aus Tabelle 3 zu entnehmen ist, ist die Bevorzugung von Freunden mit derselben Muttersprache bei Kindern mit deutscher Muttersprache (73,4%) am höchsten. Bei Kindern mit türkischer Muttersprache (61,9%) und bei Kindern mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien (47,6%) ist dieser homophilyBias deutlich abgeschwächt. Kinder aus der multikulturellen Sammelgruppe nominieren dagegen Kinder mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien am häufigsten als beste Freunde (37,1%).

5.4 Qualität der besten Freundschaft Um herauszufinden, ob sich die Freundschaftsqualität der besten Freundschaft in Abhängigkeit des Geschlechts der Kinder und in Abhängigkeit davon unterscheidet, ob der beste Freund/die beste Freundin derselben oder einer anderen kulturellen Gruppe angehört, wurde eine 2 x 2 MANOVA gerechnet. Als abhängige Variablen gingen die acht Freundschaftsqualitätsskalen (siehe Tabelle 1) in die Analyse ein. Es wurden ausschließlich gleichgeschlechtliche beste Freundschaften analysiert. In den multivariaten Analysen (Pillai-Spur Kriterium) erwies sich der Faktor Geschlecht als höchst signifikant (F (8,172) = 4,02, p < 0,00, η² = 0,16), der Faktor Gruppenzugehörigkeit des Freundes als tendenziell signifikant (F (8,172) = 1,91, p = 0,06, η² = 0,08) , sowie die Wechselwirkung als signifikant (F (8,172) = 2,09, p = 0,04, η² = 0,09). Univariate Analysen enthüllten Geschlechtsunterschiede in sechs Subskalen: Bestätigung und Für-

32 Dagmar Strohmeier, Dunja Nestler & Christiane Spiel

sorge (F (1,179) = 16,40, p < 0,00, η² = 0,08), Konfliktlösung (F (1,179) = 11,18, p < 0,00, η² = 0,06), Konflikt und Verrat II (F (1,179) = 4,14, p = 0,04, η² = 0,02), Hilfe und Beratung (F (1,179) = 12,27, p < 0,00, η² = 0,06), Intimer Austausch I (F (1,179) = 14,69, p < 0,00, η² = 0,08), sowie Intimer Austausch II (F (1,179) = 17,59, p < 0,00, η² = 0,09). Tabelle 4: Unterschiede in der Freundschaftsqualität der gleichgeschlechtlichen besten Freundschaften in Abhängigkeit des Geschlechts der Kinder Freundschaftsqualität – Subskalen Bestätigung und Fürsorge Konfliktlösung Konflikt und Verrat II* Hilfe und Beratung Intimer Austausch I Intimer Austausch II

Mädchen (N=105) M SD 2,43 0,66 2,55 0,62 0,55 0,58 2,48 0,54 2,45 0,69 2,51 0,70

Jungen (N=78) M SD 1,97 0,88 2,16 0,90 0,41 0,48 2,12 0,86 1,99 0,96 1,99 0,96

Anmerkungen: Die Werte lagen zwischen 0 (nein, stimmt nicht) und 3 (ja, stimmt). * Bei der Skala Konflikt und Verrat II fand sich auch ein signifikanter Wechselwirkungseffekt

Wie aus Tabelle 4 ersichtlich ist, haben Mädchen in allen Skalen höhere Werte als Jungen. Die univariaten Analysen zeigten außerdem, dass sich die Antworten der Kinder bei der Skala Gemeinschaft & Freizeit in Abhängigkeit der Gruppenzugehörigkeit des besten Freundes/der besten Freundin signifikant unterschieden (F (1,179) = 6,13, p = 0,01, η² = 0,03). Die Kinder gaben bei besten Freunden aus derselben kulturellen Gruppe höhere Werte an (M=2,34) als bei besten Freunden aus einer anderen kulturellen Gruppe (2,04). Schließlich ergaben die univariaten Analysen in den Skalen Konflikt und Verrat I (F (1,179) = 5,72, p = 0,02, η² = 0,03), sowie Konflikt und Verrat II (F (1,179) = 5,10, p = 0,03, η² = 0,03) signifikante Wechselwirkungseffekte. Mädchen zeigten hinsichtlich der Skala Konflikt und Verrat I höhere Werte bei Freundinnen aus einer anderen kulturellen Gruppe (M = 0,64) und niedrigere Werte bei Freundinnen aus derselben kulturellen Gruppe (M = 0,42). Bei Jungen verhielt es sich genau umgekehrt: Sie wiesen bei Freunden aus derselben kulturellen Gruppe höhere Werte (M = 0,52) in der Skala Konflikt und Verrat I auf, als bei Freunden aus einer anderen kulturellen Gruppe (M = 0,36). Das selbe Muster fand sich auch bei der Skala Konflikt und Verrat II. Auch hier wiesen Mädchen bei Freundinnen aus einer anderen kulturellen Gruppe höhere Werte auf (M = 0,70) als bei Freundinnen aus derselben kulturellen Gruppe (M = 0,45), während es bei Jungen genau umgekehrt war. Jungen wiesen höhere Werte bei Freunden derselben kulturellen Gruppe auf (M = 0,46) als bei Freunden einer anderen kulturellen Gruppe (M = 0,36).

Interkulturelle Beziehungen im Lebensumfeld Schule 33

5.5 Aggressives Verhalten Um herauszufinden, ob sich das aggressive Verhalten von Kindern in Abhängigkeit ihres Geschlechts und ihrer kulturellen Zugehörigkeit unterscheidet, wurde eine 2 x 4 MANOVA gerechnet. Zwei Opferskalen und zwei Täterskalen (vgl. Tabelle 2) stellten die abhängigen Variablen dar. In den multivariaten Analysen (Pillai-Spur Kriterium) erwiesen sich die Faktoren Geschlecht (F (4,177) = 7,36, p < 0,01, η² = 0,14) und kulturelle Zugehörigkeit (F (12,537) = 2,60, p < 0,01, η² = 0,06) als signifikant, die Wechselwirkung war nicht signifikant. In den univariaten Analysen zeigten sich Geschlechtsunterschiede in der Opferskala, sozialer Ausschluss (F (1,180) = 10,08, p < 0,01, η² = 0,05), sowie in der Täterskala, offene Aggression (F (4,177) = 6,73, p = 0,01, η² = 0,04). Während Mädchen (M = 0,55) häufiger davon berichten, Opfer von sozialem Ausschluss zu werden als Jungen (M = 0,32), geben Jungen häufiger an, offen aggressives Verhalten zu zeigen (M = 0,36) als Mädchen (M = 0,22). Die univariaten Analysen enthüllten außerdem signifikante Unterschiede in der Täterskala, offene Aggression in Abhängigkeit der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder (F (3,180) = 5,88, p < 0,01, η² = 0,09). Bonferroni post-hoc Tests zeigen, dass Kinder mit türkischer Muttersprache (M = 0,48) signifikant häufiger angeben, offen aggressiv zu sein als Kinder mit deutscher Muttersprache (M = 0,18, p < 0,01) und Kinder mit anderen Muttersprachen (M = 0,23, p = 0,03). Von den Kinder mit Sprachen aus dem ehemaligen Jugoslawien (M = 0,28) unterschieden sich die türkischsprachigen Kinder nicht signifikant.

6 Zusammenfassung und Diskussion Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden die Freundschaftsmuster, die Freundschaftsqualität von intra- und interkulturellen Freundschaften sowie das aggressive Verhalten von 204 Grundschulkindern analysiert, die gemäß ihrer Muttersprachen in vier kulturelle Gruppen differenziert wurden. Aufgrund der Tatsache, dass insbesondere im deutschsprachigen Raum kaum Studien vorliegen, die soziale Beziehungen von Kindern verschiedener kultureller Zugehörigkeiten in der Schule untersuchen, liefert die vorliegende Studie erstens wichtige deskriptive Informationen, zweitens relativieren die Untersuchungsbefunde Ergebnisse aus dem angloamerikanischen Raum bezüglich des Phänomens der kulturellen oder ethnischen homophily und geben drittens interessante Impulse für zukünftige Forschungsarbeiten.

6.1 Ergebnisse hinsichtlich der Freundschaftsmuster und der Freundschaftsqualität Die Kinder wurden gebeten alle ihre Freunde (sowohl von der Schulklasse als auch von anderswo) in eine Freunde-Liste einzutragen. Zusätzlich wurde von allen Freunden das Geschlecht, die Muttersprache und ihre Schulklassenzugehörigkeit

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erfragt. Die genannten Freunde wurden (so wie die Kinder selbst) anhand der genannten Muttersprachen in vier kulturelle Gruppen unterteilt und es wurde für jedes Kind der relative Anteil von Freunden der vier kulturellen Gruppen errechnet und in einem zweiten Schritt in Abhängigkeit des Geschlechts und der kulturellen Zugehörigkeit der Kinder analysiert. Diese Vorgehensweise stellt eine innovative Methode dar und liefert mehr Informationen als herkömmliche Nominationsmethoden. Soziometrische Nomininationsmethoden werden meist innerhalb einer Schulklasse durchgeführt und beschränken sich häufig auf drei Nominierungen (siehe z. B. Coie/Dodge/Coppotelli 1982). Unsere Vorgehensweise ermöglichte einen sehr differenzierten Einblick in die Freundschaftsmuster von Kindern unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeiten, weil auch die interethnischen Freundschaften differenziert analysiert wurden. Die Analysen zeigen, (1.) dass die Tendenz zur kulturellen homophily bei weitem nicht so stark ausgeprägt ist, wie es die Ergebnisse der Studien aus dem angloamerikanischen Raum nahe legen (Kupersmidt/DeRosier/Patterson 1995; Boulton/Smith 1996) und (2.) dass der homophilybias bei Kindern in Abhängigkeit ihrer kulturellen Zugehörigkeit unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Es zeigte sich, dass der Freundeskreis von Kindern mit deutscher Muttersprache zu 77% aus deutschsprachigen Kindern bestand und stärker segregiert war als der Freundeskreis der Kinder aller drei Immigrantengruppen. Dieses Muster fand sich auch hinsichtlich der besten Freundschaften der Kinder. Deutschsprachige Kinder hatten in 73% der Fälle deutschsprachige Freunde, bei den Kindern der drei Immigrantengruppen war dieser Anteil bedeutend niedriger. Dieselben Ergebnisse erbrachte auch einer unserer Studien (Strohmeier/Spiel 2003), die wir in Hauptschulen durchführten. Gemeinsam mit Esser (vgl. 1980) vertreten wir die Meinung, dass die Analyse der kulturellen Zusammensetzung der Freundeskreises ein sehr brauchbarer Indikator für das Ausmaß der sozialen Integration von Immigrantenkindern darstellt und plädieren dafür, ihn in zukünftigen Studien verstärkt einzusetzen. Die Analyse der besten Freundschaften zeigte, dass über 90% der besten Freundschaften gleichgeschlechtlich waren, 75% aus Freunden derselben Schulklasse bestanden, aber nur 55% der Freunde dieselbe kulturelle Zugehörigkeit aufwiesen. Dies ist ein eindrucksvoller Befund, weil er das Phänomen der kulturellen homophily erneut stark hinterfragt. Die Analysen hinsichtlich der Qualität von intra- und interethnischen Freundschaften erbrachten Geschlechtsunterschiede. Ähnlich wie bisher in der Literatur berichtet (Reinders/Mangold 2005) weisen Mädchendyaden eine höhere Freundschaftsqualität auf als Jungendyaden. Intra- und interethnische Freundschaften unterschieden sich dagegen nur hinsichtlich des Freizeitverhaltens. Gemäß unserer Daten besuchen sich Kinder derselben kulturellen Gruppe häufiger zu Hause und treffen sich öfter außerhalb der Schule als Kinder zweier verschiedener kultureller Gruppen. Dieser Befund entspricht den Ergebnissen von Eisikovits (vgl. 2000), der bei russischen Immigranten in Israel zum selben Ergebnis kam. Auch andere Studien (Aboud/Mendelson/Purdy 2003; Reinders/Mangold 2005) fanden kaum Qualitätsunterschiede zwischen intra- und interkulturellen Freundschaften. Die spannende Frage für zukünftige Untersuchungen wäre demnach herauszufinden, welche Faktoren dazu beitragen, dass interkulturelle Freundschaften geschlossen werden und weniger deren Qualität zu untersuchen (Reinders 2004). Poten-

Interkulturelle Beziehungen im Lebensumfeld Schule 35

tielle Einflussfaktoren liegen sowohl im sozialen Kontext (z.B. in der kulturellen Zusammensetzung der Schulklasse, im Lehrerverhalten) als auch in individuellen Eigenschaften der Kinder (z.B. Akkulturationsorientierungen). Idealerweise sollten in zukünftigen Studien beide Kinder einer Dyade befragt werden und nicht nur eines, so wie es hier der Fall war.

6.2 Ergebnisse hinsichtlich des aggressiven Verhaltens Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen bisherige Befunde hinsichtlich typischer Geschlechtseffekte in Bezug auf aggressives Verhalten (z.B. von Bjorqvist/Lagerspetz/Kaukiainen 1992; Crick/Grotpeter 1995). Während Mädchen (gemäß Selbsteinschätzungen) häufiger Opfer von sozialem Ausschluss werden als Jungen, sind Jungen öfter offen aggressiv als Mädchen. Hinsichtlich kultureller Zugehörigkeit widersprechen die vorliegenden Ergebnisse zum Teil bisherigen Befunden (Strohmeier/Spiel 2003; Strohmeier/Atria/Spiel 2005). Obwohl die Ergebnisse der vorliegenden Studie ebenfalls darauf hindeuten, dass kulturelle Zugehörigkeit bei aggressiven Konflikten in der Grundschule eine eher untergeordnete Rolle spielen (die Varianzaufklärung ist insgesamt sehr gering), fiel die Gruppe der türkischsprachigen Kinder in Bezug auf offen aggressives Verhalten negativ auf. Auf Gruppenebene waren die Mittelwerte der türkischen Kinder in dieser Skala signifikant höher als von Kindern mit deutscher Muttersprache oder von Kindern der multikulturellen Sammelgruppe. Eine explorative Inspektion der Einzelwerte pro Kind zeigte, dass dieses Ergebnis durch besonders hohe Werte von fünf türkischen Jungen zustande kam. Im Unterschied zu den anderen drei Gruppen, die keine oder maximal zwei Kinder (immer Jungen) mit extrem hohen Werten aufwiesen, war dieser Anteil bei den türkischen Kindern deutlich erhöht. Diese zusätzliche explorative Analyse legt den Schluss nahe, dass nicht die gesamte Gruppe von türkischen Kindern in dieser Studie vermehrt offen aggressiv handelt, sondern fünf problematische Jungen. In zukünftigen Studien sollte der Fokus weniger darauf liegen, Unterschiede im aggressiven Verhalten auf Gruppenebene zu untersuchen (indem z.B. verschiedene kulturelle Gruppen differenziert werden), da hier kaum mit Unterschieden zu rechnen ist. Vielversprechender erscheint uns die Analyse von Konfliktsituationen bzw. die Analyse der Bedeutung von sozialen Kontextvariablen (wie z.B. der Zusammensetzung der Schulklasse, des Lehrerverhaltens), weil dies auch für die Implementierung von Trainingsprogrammen von unmittelbarer Relevanz ist (vgl. Atria/Strohmeier/Spiel 2005).

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Schwerpunkt

Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im 1 Jugendalter. Eine Längsschnittstudie Heinz Reinders, Karina Greb & Corinna Grimm Dr. Heinz Reinders Universität Mannheim

Zusammenfassung In diesem Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, unter welchen Bedingungen interethnische Freundschaften im Jugendalter entstehen, welche Gestalt diese Freundschaften aufweisen und welche Auswirkungen sie mit sich bringen. Theoretisch wird argumentiert, dass interethnische Freundschaften vor allem in öffentlichen Sozialräumen entstehen und gepflegt werden, dass sich die Qualität zwischen interethnischen und intraethnischen Freundschaften nicht unterscheidet, und dass sich durch dauerhafte interethnische Freundschaften die kulturelle Offenheit Jugendlicher erhöht. Empirisch werden diese Annahmen durch eine Längsschnittstudie bei Hauptschuljugendlichen (N=237) deutscher Herkunft geprüft. Die Befunde ergeben, dass die theoretischen Annahmen im Kern zutreffend sind, jedoch auch einigen Beschränkungen unterliegen, die in der abschließenden Diskussion kritisch aufgegriffen werden.

Karina Greb

Schlagworte: Jugend, Migration, Freundschaft, Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit

1 Einleitung Nicht immer galten Freundschaften im Jugendalter als entwicklungsförderlich. Bis in die 1970er Jahre hinein wurde die Ansicht vertreten, dass GleichaltrigenBeziehungen antisoziales Verhalten Heranwachsender begünstigen und zu einer Entfremdung zwischen der älteren und der jüngeren Generation beitragen (Blos 1962; Coleman 1961; Litt 1947). Erst seit den 1980er Jahren setzte sich sukzessive die Erkenntnis durch, dass Freundschaften und Cliquen-Beziehungen eine wichtige Ressource darstellen. Freunde unterstützen beim Umgang mit Entwicklungsaufgaben, sie kompensieren defizitäre Familienbeziehungen und stellen insgesamt ein wichtiges Kompetenzzentrum für die Bewältigung von Alltagsproblemen dar (zusf. Bukowski/Newcomb/Hartup 1996). Auch bestätigt sich empirisch nicht, dass Gleichaltrige zu einer Entfremdung von der ElternGeneration beitragen (Palmonari/Kirchler/Pombeni 1991). Jugendliche wählen in der Regel Freunde, die ähnliche Wertvorstellungen wie die eigenen Eltern aufweisen. Überdies gehen die durch Freundschaften initiierten Ablöseprozesse von der Herkunftsfamilie nicht mit einer verminderten Verbundenheit mit den Eltern einher (Hofer 2003; Noack 2002). Vielmehr wird die in Freundschaften erlebte Symmetrie der Beziehung als Anspruch an die Eltern herangetragen und das hierdurch zunehmende Autonomiebedürfnis wird durch eine rückgängige Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 39-57

Corinna Grimm

1 Dieser Beitrag entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit Sachbeihilfen an den Erstautor geförderten Projekts „Freundschaftsbeziehungen in interethnischen Netzwerken“ (Az. Re 1569/3-1; 4-1).

40 Heinz Reinders, Karina Greb & Corinna Grimm

soziale Kontrolle der Eltern kompensiert (Reinders/Youniss 2005; Schuster 2005). Alles in allem besitzen Peer-Beziehungen in der Adoleszenz ein mehr positiven denn negativen Einfluss auf jugendliche Entwicklung. Jedoch ist dieses Resumée mit einer Einschränkung zu versehen. Die Mehrzahl an Studien beschäftigt sich mit Freundschaften zwischen Jugendlichen gleicher ethnischer und/ oder nationaler Herkunft. Als wesentliches Merkmal jugendlicher Peer-Beziehungen gilt, dass sie innerhalb der gleichen Ethnie, dem gleichen Geschlecht und auch ähnlichen Alters entstehen (Hartup 1993). Dies hat dazu geführt, dass Freundschaften, bei denen die beteiligten Partner unterschiedlicher Herkunft sind, kaum in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wurden. Dies gilt insbesondere für Forschung im deutschsprachigen Raum, tendenziell aber auch für internationale Forschung (zusf. Reinders/Mangold 2005). Aus diesem Grund ist bisher wenig bekannt darüber, ob auch interethnische Freundschaften einen positiven Entwicklungseinfluss aufweisen. Und falls ja, wie dieser aussieht. Zwar entdeckt die Jugendforschung zunehmend interethnische Peer-Beziehungen als Untersuchungsgegenstand (Ramachers 1996; Silbereisen/Schmitt-Rodermund 1995; Strohmeier/Nestler/Spiel in diesem Heft) – dies nicht zuletzt aufgrund der Einsicht, dass Heranwachsende zunehmend auf gemischtethnische Netzwerke in Schule und Freizeit treffen (Larson 2002). Jedoch fallen Befunde zu interethnischen Freundschaften sporadisch aus und stützen sich zudem vorrangig auf querschnittliche Daten, die Veränderungen bei Jugendlichen durch interethnische Freundschaften nicht aufzeigen können. An diesem Punkt setzt der vorliegende Beitrag an. Anhand von Längsschnittdaten wird untersucht, unter welchen Bedingungen interethnische Freundschaften entstehen, welche Beziehungsqualität sie aufweisen und welche Auswirkungen diese Art der Beziehung bei Jugendlichen besitzen. Es wird betrachtet, welchen Beitrag die Art der Freizeitgestaltung, die elterliche Kontrolle und die Häufigkeit interethnischer Kontakte zur Entstehung interethnischer Freundschaften leisten. Die Gestalt wird anhand der erlebten Freundschaftsqualität untersucht und Auswirkungen im Bereich kultureller Offenheit und Segregationsvorstellungen aufgezeigt. Die Daten der Untersuchung ermöglichen, stabil interethnische mit stabil intraethnischen Freundschaften zu vergleichen und zusätzlich Gruppen von Jugendlichen zu betrachten, bei denen die ethnische Komposition der Freundschaft wechselt. Bevor jedoch auf die Befunde eingegangen wird, soll zunächst der Forschungsstand zu interethnischen Freundschaften im Jugendalter knapp skizziert und der eigene theoretische Zugang erörtert werden. Die anschließend berichteten Ergebnisse der Studie werden im letzten Abschnitt kritisch diskutiert und ein Ausblick für weitere Forschung gegeben.

2 Stand der Forschung Untersuchungen zu interethnischen Freundschaften in der Adoleszenz sind vergleichsweise rar. Eine Systematisierung des Kenntnisstands nach den Dimen-

Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Jugendalter 41

sionen Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Beziehungen ermöglicht einen sortierten Einblick in das, was bereits bekannt ist. Entstehung interethnischer Freundschaften. Lange herrschte die Ansicht vor, dass interethnische Freundschaften selten sind, weil die soziale Distanz zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zu groß sei (Ibaidi/Rauh 1984). Gleiche nationale und/oder ethnische Herkunft galten als wichtigstes Hemmnis für den Aufbau ethnienübergreifender Beziehungen (Hartup 1993). Mittlerweile stellt sich heraus, dass die heutige Jugendgeneration eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit eines andersethnischen Freundes besitzt als deren Elterngeneration (Schrader/Nikles/Griese 1979; Esser 1991; Haug 2003; Reinders/Mangold 2005). Insbesondere Jugendliche an Hauptschulen in urbanen Regionen weisen mittlerweile eine Quote von knapp unter 40 Prozent interethnischer Freundschaften auf (Reinders 2003). Die zunehmende Zahl an Migranten in westlichen Industrienationen und deren Bündelung in unteren Bildungsgängen haben dazu geführt, dass zum einen die Verfügbarkeit andersethnischer Peers als potenzielle Freunde gestiegen ist. Zum anderen fällt die vermutete soziale Distanz unter Jugendlichen deutlich geringer aus als erwartet (Merkens 2003). Vielmehr haben Jugendliche „gute Gründe“, Freundschaften nicht nur innerhalb der gleichen Ethnie zu bilden, sondern sich auch „anderweitig umzuschauen“. Allgemein ist dies der Fall, wenn der Nutzen einer solchen Freundschaft die Kosten übersteigt (Esser 1991). Geringer werdende sprachliche Barrieren mindern die Kosten und die Ausbildung eines bspw. deutsch-türkischen Ethnolekts, der als Ausdruck jugendkultureller Stilbildung dient, erhöhen den Nutzen solcher Beziehungen. Es ist insbesondere das jugendkulturelle Moment, welches als hoher Nutzen interethnischer Freundschaften bilanziert wird. Durch Freunde einer anderen Kultur ist es Jugendlichen möglich, die Abgrenzung von den eigenen Eltern zu maximieren und eine Jugendkultur zu entwickeln und zu etablieren, die die kulturellen Vorstellungen der Eltern kontrastiert. So kann gezeigt werden, dass interethnische Freundschaften entstehen, wenn Jugendliche großen Wert auf eine Distanz zur älteren Generation legen und ihre Freizeit in öffentlichen Räumen jenseits der sozialen Kontrolle Erwachsener verbringen (Reinders 2004a; Weller 2003). Hiermit hängt zusammen, dass die Betonung des Jugendlich-Seins und die Nicht-Betonung der nationalen Identität die Entstehung interethnischer Beziehungen deutlich begünstigt (Reinders 2004b). Ein bedeutender Prädiktor für die Entstehung sind schließlich Merkmale der von Jugendlichen besuchten Schule, genauer der Schulklasse. Mit höherem Anteil von Migranten-Jugendlichen steigt auch die Wahrscheinlichkeit interethnischer Beziehungen unter den Schülern. Ferner begünstigen ein Klima der kulturellen Offenheit und der Ablehnung ethnischer Segregation die Entstehung von Kontakten und in der Folge von Freundschaften (Greb 2005; Hamm/Brown/Heck 2005). Insgesamt deuten jüngere Studien an, dass die vormaligen Kosten interethnischer Freundschaften sich sukzessive in einen von Jugendlichen empfundenen Nutzen verwandeln, interethnische Kontakte von Generation zu Generation durch steigenden schulischen Kontakt zunehmen und vor allem der jugendkulturelle Anregungsgehalt gemischtethnischer Konstellationen die Entstehung interethnischer Peer-Beziehungen begünstigt.

42 Heinz Reinders, Karina Greb & Corinna Grimm

Gestalt interethnischer Freundschaften. Eine Voraussetzung für vergleichbar positive Effekte von inter- und intraethnischen Freundschaften ist eine ähnlich hohe Qualität der Beziehung. Erst wenn in interethnischen Beziehungen Merkmale von Freundschaften wie Reziprozität, Symmetrie und Freiwilligkeit realisiert sind, sollten sie entwicklungsfördernden Charakter besitzen. Die wenigen Studien hierzu deuten an, dass dies der Fall ist. Reinders/Mangold (vgl. 2005) finden weder bei Jugendlichen deutscher, türkischer noch italienischer Herkunft markante Unterschiede in der Qualität intra- und interethnischer Freundschaften. Ramachers (vgl. 1996) konstatiert für interethnische Peer-Beziehungen Jugendlicher ein ähnlich geringes Konfliktpotenzial wie in intraethnischen Konstellationen. Nicholson (vgl. 2002) findet bei US-amerikanischen Jugendlichen gar, dass die Intimität in Freundschaften zwischen Jugendlichen afro-amerikanischer und kaukasischer Herkunft höher ist als jene innerhalb der Ethnien. Vergleichbares findet auch Eisikovits (vgl. 2000) für russische Immigranten in Israel. Lediglich Wong (vgl. 1998) konstatiert mehr Konflikte und eine höhere Delinquenzrate bei interethnischen Peer-Groups. Insgesamt sprechen die derzeitigen, wenigen Untersuchungen dafür, dass sich die Gestalt inter- und intraethnischer Freundschaften nicht unterscheiden. Somit kann begründet vermutet werden, dass interethnische Freundschaften die notwendigen Merkmale aufweisen, um positive Einflüsse auf jugendliche Entwicklung auszuüben. Auswirkungen interethnischer Freundschaften. Sehr viel umfassender ist die Informationslage zu den Auswirkungen von Freundschaften zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft. In Anlehnung an die Kontakthypothese von Allport (vgl. 1971) sowie die „Social Identity Theory“ (Tajfel 1982) wurden zahlreiche Untersuchungen darüber durchgeführt, wie sich interethnische Kontakte auf Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit ausüben (zusf. Reinders 2004c). Generell lässt die Meta-Analyse von Pettigrew/Tropp (vgl. 2000) den Schluss zu, dass Kontakte zu Mitgliedern anderer Ethnien oder kulturellen Gruppen das Ausmaß an Vorurteilen gegenüber diesen Gruppen reduzieren. Allerdings fallen die Effekte eher moderat aus und diverse Studien verdeutlichen, dass auch kontraproduktive Phänomene bei interethnischen Kontakten auftreten können (vgl. Fritzsche/Wiezorek in diesem Heft). Deshalb findet sich bereits bei Pettigrew (vgl. 1998) der Hinweis, dass nicht jede Form des Kontakts Vorurteile mindert. Vielmehr seien vor allem Freundschaften hierzu geeignet. Tatsächlich ergeben querschnittliche Analysen, dass Jugendliche mit interethnischen Freunden ein geringeres Maß an Ausländerdiffamierung, Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit berichten als solche in intraethnischen Beziehungen (Greb 2005; Masson/Verkuyten 1993; Reinders 2003, 2004b; Silbereisen/Schmitt-Rodermund 1995). Längsschnittliche Analysen darüber, wie sich dauerhafte Beziehungen auf die kulturelle Offenheit Jugendlicher auswirken, stehen derzeit aus. Insgesamt existieren eine Reihe von Studien zu interethnischen Kontakten bei Erwachsenen, jedoch nur sehr wenige für das Jugendalter. Soweit derzeit ersichtlich, gehen mit gemischt ethnischen Freundschaften positive Merkmale wie kulturelle Offenheit und geringe Fremdenfeindlichkeit einher. Ein deutliches

Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Jugendalter 43

Defizit ist darin zu sehen, dass bis dato keine Befunde vorliegen, die sich mit Merkmalen interethnischer Freundschaften über die Zeit beschäftigen.

3 Theoretischer Ansatz Den theoretischen Ausgangspunkt bildet das Konzept der Ko-Kulturation (Reinders/Mangold/Greb 2005). Die Grundidee ist, dass Jugendliche in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft aufwachsen, die an Eindeutigkeit verliert. Deshalb greifen Vorstellungen von akkulturierten Migranten-Jugendlichen (Integration in die Aufnahmegesellschaft) und enkulturierten Majoritätsjugendlichen (Sozialisation in die eigene Mehrheitskultur) nicht mehr ausschließlich. So existieren Wohnquartiere und Schulen, in denen der Anteil an MigrantenJugendlichen bis zu 80 Prozent und mehr beträgt. Gerade in urbanen Regionen und in unteren Bildungsgängen verlieren sich die Grenzen von Majoritäts- und Minoritätskultur. Jugendliche in solchen Settings stehen vor der Aufgabe, die kulturellen Vorstellungen auszuhandeln und ethnienübergreifend ein Set von als gültig erachteten Werten zu entwickeln. Durch den hohen Anteil an MigrantenJugendlichen gilt informell nicht mehr der Anspruch einer primär gültigen Kultur, da Peer-Beziehungen prinzipiell symmetrisch sind. Im Prozess der sozialen Ko-Konstruktion (Youniss 1980) generieren Jugendliche in ethnisch gemischten Umwelten eigene kulturelle Werte („Ko-Kulturation“). Dieser Prozess wird insbesondere in interethnischen Freundschaften stattfinden, weil sie eine besonders intensive Form der Peer-Beziehung darstellen. Die Entstehung, Gestalt und die Auswirkungen interethnischer Freundschaften als spezielle Form der Ko-Kulturation wird theoretisch mit dem Konzept des „moving“ (Aufsuchen bestimmter Sozialräume), des „meeting“ (Treffen von Peers in diesen Sozialräumen), des „mating“ (Schließen von Freundschaften) und des „outcome“ (Auswirkungen der Freundschaft) gefasst (vgl. Verbrugge 1977; Reinders 2004a). Moving und meeting als Entstehungsfaktoren. Das zentrale Motiv für die Entstehung interethnischer Freundschaften ist die Distanz Jugendlicher zu den Vorstellungen und Werten der Erwachsenengeneration. Heranwachsende mit dem Interesse, sich von diesen Werten zu distanzieren sind bestrebt, Freundschaften mit Jugendlichen zu schließen, die über kulturelle Werte mit möglichst großer Distanz zu denen der Eltern verfügen. Damit einher geht, dass diese Jugendlichen ihre soziale Identität stärker aus dem Bewusstsein ziehen, Jugendliche und nicht so sehr deutsch oder türkisch etc. zu sein. Das heißt, die generationale Identität („Ich bin ein Jugendlicher“) überlagert jene der nationalen Identität („Ich bin ein Deutscher“) (Reinders 2004b). Das Interesse an der Distanz zu Erwachsenen und die generationale Identität führen dazu, dass solche Jugendliche verstärkt öffentliche Sozialräume aufsuchen, in denen eine geringe Kontrolle durch Erwachsene besteht und in denen sie ihre eigenen kulturellen Vorstellungen zum Ausdruck bringen können (Böhnisch/Münchmeier 1990). Beispiele solcher öffentlichen Sozialräume sind Straßen, Plätze oder Parks,

44 Heinz Reinders, Karina Greb & Corinna Grimm

Bushaltestellen oder Sportplätze, aber auch Jugendzentren oder Cafés und Kneipen (vgl. Noack 1990; Reinders/Bergs-Winkels/Butz/Classen 2001). „Moving“ als Entstehungsfaktor bedeutet demnach, dass Jugendliche gezielt Sozialräume aufsuchen, in denen sie Jugendliche andersethnischer Herkunft antreffen. Öffentliche Sozialräume werden auf diese Weise zum Treffpunkt für Jugendliche unterschiedlicher Herkunft. Es kommt hierdurch zum „meeting“, zum Treffen anderer Jugendlicher, die ebenfalls das Interesse haben, sich von Erwachsenen zu distanzieren und ihre generationale Identität stärker als die nationale betonen. Erst durch dieses Aufeinandertreffen in Form von interethnischen Kontakten besteht die Möglichkeit für Jugendliche, aus diesen Kontaktpartnern solche Peers auszuwählen, mit denen sie eine Freundschaft eingehen wollen. Insgesamt werden als Entstehungsbedingungen interethnischer Freundschaften die Sozialraumorientierung („moving“) und die in den Sozialräumen entstehenden interethnischen Kontakte („meeting“) angesehen. Beziehungsqualität als Indikator für mating. Unter „mating“ wird, wie benannt, das Schließen einer Freundschaft verstanden. Interessens- und Aktivitätsgleichheit, wechselseitige Sympathie und die Möglichkeit, andere als die eigenen kulturellen Werte kennen zu lernen und dadurch die Distanz zu Erwachsenen zu etablieren, stellen die wesentlichen Nutzenfaktoren für eine interethnische Freundschaft dar. Dem stehen Kosten der durch kulturelle Verschiedenheit entstehenden Probleme, evtl. auch Sprachbarrieren und der tendenziell auf öffentliche Sozialräume begrenzte Aktivitätsradius gegenüber. Gemäß des Ansatzes von Esser (vgl. 1991) sollten aber einmal geschlossene interethnische Freundschaften, als Ausdruck höheren Nutzens, über die gleiche Beziehungsqualität verfügen wie intraethnische Freundschaften. Wenn Jugendliche die Erwartung haben, dass der Nutzen die Kosten übersteigt und diese Erwartung in der Freundschaft bestätigt wird, sollten interethnische Freundschaften von ebenfalls hoher Qualität sein wie intraethnische Beziehungen. Daraus folgt, dass keine Unterschiede in der Beziehungsqualität von intraund interethnischen Freundschaften erwartet werden. Kulturelle Offenheit und Segregationsvorstellungen als outcome. Die vergleichbar hohe Freundschaftsqualität lässt sodann erwarten, dass auch interethnische Freundschaften einen entwicklungsförderlichen „outcome“ mit sich bringen. Darüber hinaus wird ein im Vergleich zu intraethnischen Freundschaften zusätzlicher „outcome“ erwartet. In Anlehnung an die Kontakthypothese von Allport (vgl. 1971) sollten Beziehungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft dazu beitragen, dass Vorurteile gemindert und die kulturelle Offenheit erhöht wird. Diese allgemeine Hypothese wird weiter spezifiziert, indem argumentiert wird, dass zwischen den in Kontakt tretenden Personen Statusgleichheit und Interessengleichheit einerseits sowie Freiwilligkeit des Kontakts und ein besonderes Maß an Vertrautheit andererseits bestehen muss, damit Vorurteile reduziert werden (zusf. Hewstone/Brown 1986). Pettigrew (vgl. 1998) hat darauf verwiesen, dass insbesondere Freundschaften diese vier Bedingungen erfüllen. So basieren Freundschaften auf freiwilliger Basis, bringen ein höheres Maß an Vertrautheit mit sich als Bekanntschaften oder zufällige Kontakte und sind motiviert durch gemeinsame Interessen der Freunde sowie der zwischen

Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Jugendalter 45

den Interaktionspartnern herrschenden Symmetrie (Krappmann 1998; Youniss 1980). Demzufolge wird erwartet, dass interethnische Freundschaften zu einer erhöhten kulturellen Offenheit und geringeren Betonung ethnischer Segregation führen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Jugendliche mit interethnischen Freundschaften häufiger Sozialräume aufsuchen, in denen sie auch überdurchschnittlich oft andersethnische Peers treffen. Dort werden interethnische Freundschaften geschlossen, deren Qualität sich nicht von intraethnischen Freundschaften unterscheidet, jedoch im Gegensatz zu letzteren förderlich für die Entwicklung kultureller Offenheit ist. Diese Annahmen werden im Folgenden empirisch geprüft.

4 Die Studie Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des DFG-Projekts „Freundschaftsbeziehungen in interethnischen Netzwerken“ und befasst sich mit dem Vergleich von intra- und interethnischen Freundschaften im Jugendalter. Hierzu wurde im Winter 2003/04 sowie im Winter 2004/05 eine Längsschnittstudie bei jugendlichen Hauptschülern mittels standardisiertem Fragebogen durchgeführt. Hauptschulen wurden gewählt, weil hier der höchste Anteil an Jugendlichen nicht-deutscher Herkunftssprache anzutreffen ist und somit die Identifikation interethnischer Freundschaften in ausreichendem Maße gewährleistet ist.

4.1 Stichprobe Die Längsschnittstichprobe umfasst insgesamt 237 Schuljugendliche deutscher Herkunftssprache (48,5% Mädchen), die zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt 13,5 und zum zweiten Messzeitpunkt 14,5 Jahre alt waren (SD jeweils 0,98). Bei der ersten Befragung besuchten die Jugendlichen die siebte und achte Klasse, bei der zweiten Befragung folglich die achte und neunte Jahrgangsstufe.

4.2 Messinstrumente Nachfolgend werden die verwendeten Messinstrumente knapp skizziert. Für eine ausführliche Darstellung wird auf die Dokumentation der Längsschnittdaten in Reinders/Mangold/Varadi (2005) verwiesen. Interethnische Freundschaft. Zur Bestimmung der ethnischen Komposition der Freundschaft wurden die Jugendlichen zu Beginn des Fragebogens gebeten, ihre drei besten Freunde zu nennen. Aus der ethnischen Herkunft des ersten Freundes wurde die Art der Freundschaft bestimmt. War der genannte Freund in der Stichprobe enthalten, wurde aus dessen Fragebogen seine Herkunft bestimmt. Um eine interethnische Freundschaft handelt es sich, wenn der genannte Freund nicht-deutscher Herkunftssprache war, um eine intraethnische, wenn der ge-

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nannte Freund ebenfalls deutscher Herkunft war. Da diese Abfrage zu beiden Messzeitpunkten erfolgte, können aus diesen Informationen vier Gruppen gebildet werden: (a) eine stabil intraethnische, (b) eine stabil interethnische, (c) einen Wechsel von einer inter- zu einer intraethnischen Freundschaft und (d) einen Wechsel von einer intra- zu einer interethnischen Freundschaft. Tabelle 1: Häufigkeitsverteilung der ethnischen Freundschaftskompositionen* N %

Stabil intraethnisch 84 35,4

Stabil interethnisch 55 23,2

Intra- zu interethnisch 26 11,0

Inter- zu intraethnisch 30 12,7

*An der Gesamtstichprobe fehlende Fälle sind ohne zuzuordnende Freundesnennungen.

Die in Tabelle 1 dargestellten Häufigkeitsverteilungen zeigen an, dass mit 35 Prozent am häufigsten stabil intraethnische Freundschaften auftreten und knapp ein Viertel der Jugendlichen eine stabil interethnische Beziehung aufweist. Elf Prozent der Befragten wechseln im Zeitraum von einem Jahr von einem deutschen zu einem nicht-deutschen Freund. Bei den verbleibenden 12,7 Prozent verhält es sich umgekehrt. Mädchen und Jungen verteilen sich gleichermaßen auf die vier Typen (chi² = 2,00; df = 3; n.s.) und auch das Alter der Jugendlichen in den vier Gruppen unterscheidet sich nicht signifikant (F = 1,15; df = 3; n.s.). Sozialraumorientierung. Das Ausmaß, in dem die befragten Jugendlichen ihre Freizeit in öffentlichen Räumen verbringen, wurde über eine Skala mit vier Items erfasst. Die Jugendlichen wurden bspw. gefragt, wie häufig sie ihre Freizeit auf Straßen, Plätzen oder in Parks verbringen (Antwortformat: 1-Nie bis 4Sehr häufig). Die Reliabilitäten sind mit einem Cronbachs α von 0,58 resp. 0,54 zufriedenstellend. Es ergibt sich für den ersten wie den zweiten Messzeitpunkt ein Mittelwert von 2,6 (SDMZP I = 0,58; SDMZP II = 0,57). Die Jugendlichen berichten demnach in stabilem und moderatem Maß, öffentliche Sozialräume für ihre Freizeitgestaltung zu nutzen. Interethnische Kontakte. Die Häufigkeit interethnischer Kontakte wurde mit sechs Items erfasst, bei denen danach gefragt wurde, wie häufig Jugendliche in ihrer Freizeit und an welchen Orten sie andersethnische Peers treffen (Antwortformat: 1-Nie bis 4-Sehr häufig). Diese Skala erweist sich mit α = 0,89 zum ersten und α = 0,91 zum zweiten Messzeitpunkt als sehr zuverlässig. Die Häufigkeit interethnischer Kontakte steigt von 2,8 auf 2,9 leicht an (SD jeweils 0,90). Jedoch erweist sich dieser Anstieg als nicht signifikant. Freundschaftsqualität. Die erlebte Qualität der Freundschaft wurde mit sieben Items erhoben. Hierzu gehören Items wie: „Ich bin mir sicher, dass die Freundschaft zu meinem/er Freund/in halten wird. Egal, was passiert“ (Antwortformat: 1-Stimmt nicht bis 4-Stimmt völlig). Bei der sehr zuverlässigen Skala (α = 0,86 resp. 0,85) zeigt sich eine stabil hohe Zustimmung zur Qualität der Freundschaftsbeziehung. Zu beiden Messzeitpunkten beträgt der Mittelwert 3,3 mit einer Standardabweichung von 0,66.

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Kulturelle Offenheit. Inwieweit die Jugendlichen offen gegenüber anderen Kulturen sind, wurde durch sechs Items erfragt (Bsp.: „Ich verbringe meine Freizeit gerne mit Jugendlichen aus anderen Kulturen.“; 1-Stimmt nicht bis 4-Stimmt völlig; αMZP I = 0,81; αMZP II = 0,84). Auch bei diesem Konstrukt ergibt sich mit einem Mittelwert von 3,2 eine hohe, stabile Zustimmung der Jugendlichen (SD jeweils 0,70). Ethno-Segregation. Quasi das Gegenstück zur kulturellen Offenheit stellt die Ethno-Segregation dar. Mit diesem aus vier Items bestehenden Konstrukt wird erfasst, inwieweit die Jugendlichen der Ansicht sind, dass Personen unterschiedlicher Herkunft keinen Kontakt zueinander haben sollten, weil Ausländern nicht zu trauen sei (Bsp.: „Menschen aus anderen Ländern kann man nicht vertrauen.“; 1-Stimmt nicht bis 4-Stimmt völlig; αMZP I = 0,79; αMZP II = 0,84). Die Zustimmung der Jugendlichen zu dieser Skala ist mit einer mittleren Ausprägung von 1,9 zum ersten Messzeitpunkt sehr gering und sinkt zum zweiten Messzeitpunkt auf 1,8 ab (SD jeweils 0,80).

4.3 Auswertungsschritte Bei der Auswertung der Daten werden zwei Arbeitsschritte vorgenommen. Zum einen werden die mittleren Ausprägungen der Variablen Sozialraumorientierung, Kontakthäufigkeit, Freundschaftsqualität, kulturelle Offenheit und EthnoSegregation zwischen den vier Gruppen von Freundschaftsverläufen mittels Varianzanalysen verglichen. Zum anderen wird mittels t-Test für abhängige Stichproben untersucht, ob sich innerhalb dieser vier Gruppen unterschiedliche Verläufe der betrachteten Variablen ergeben.

5 Ergebnisse Die Ergebnisse werden gemäß der Dreiteilung von Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften dargestellt. Entstehung. Zunächst wird untersucht, wie sich die vier Gruppen hinsichtlich der Entstehungsbedingungen unterscheiden. Dabei zeigt sich für die Sozialraumorientierung der Jugendlichen, dass signifikante Unterschiede zwischen den vier Gruppen bestehen (vgl. Tabelle 2).

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Tabelle 2: Ausprägungen der Sozialraumorientierung nach ethnischer Komposition der Freundschaft Stabil intra-ethnisch Stabil inter-ethnisch Intra- zu inter-ethnisch Inter- zu intra-ethnisch F-Wert Erklärte Varianz

Messzeitpunkt I M SD 2,5 0,60 2,8 0,48 2,4 0,42 2,8 0,65 5,70** 8,5%

Messzeitpunkt II M SD 2,5 0,55 2,8 0,51 2,7 0,50 2,6 0,65 4,57* 6,8%

t-Wert n.s.

0,59 0,32n.s. 3,27** 1,71+

R 0,55*** 0,54*** 0,67*** 0,63***

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; + p < .10; n.s. – Nicht signifikant

Zu beiden Messzeitpunkten sind es die Jugendlichen mit einer stabil interethnischen Freundschaft, die eine höhere Sozialraumorientierung als Jugendliche mit stabil intraethnischer Beziehung aufweisen. Ferner fällt auf, dass Jugendliche, die zum ersten Messzeitpunkt eine intraethnische Freundschaft berichten, generell eine geringere Sozialraumorientierung zeigen. Die beiden Gruppen mit einer interethnischen Freundschaft liegen mit einem Mittelwert von 2,8 deutlich darüber. Weniger stark fallen die Unterschiede hingegen zum zweiten Messzeitpunkt aus. Mit jeweils um sieben (F = 5,70***) bzw. knapp neun Prozent (F = 4,57*) aufgeklärter Varianz kann die Gruppenzugehörigkeit dennoch einen erheblichen Teil der Unterschiede bei der Sozialraumorientierung erklären. Sodann ergeben sich innerhalb der vier Gruppen unterschiedliche Verläufe. Bei den beiden Gruppen mit stabil intra- bzw. interethnischer Freundschaft zeigt sich für die Sozialraumorientierung keine Veränderung (t jeweils nicht signifikant). Bei Jugendlichen, die über die Zeit von einer intra- zu einer interethnischen Freundschaft wechseln, steigt auch die Sozialraumorientierung an (t = 3,27**). Umgekehrt sinkt die Sozialraumorientierung bei Jugendlichen, die bei der ersten Befragung einen andersethnischen Freund hatten und bei der zweiten Befragung einen deutschen Freund nennen (t = 1,71+). Trotz der in allen vier Gruppen hohen intraindividuellen Stabilität (Pearsons R > 0,54) lassen sich demnach deutliche Muster erkennen. Wer zu einer interethnischen Freundschaft wechselt, intensiviert auch die Freizeitaktivitäten in öffentlichen Sozialräumen. Der umgekehrte Effekt findet (wenn auch nur schwach signifikant) statt, wenn aus einer inter- eine intraethnische Freundschaft wird. Die Befunde zeigen insgesamt an, dass die Sozialraumorientierung Jugendlicher einher geht mit der ethnischen Komposition der Freundschaft. Das Muster bei den wechselnden Gruppen deutet zudem an, dass eine Intensivierung bzw. Abschwächung der Sozialraumorientierung zu einer theoretisch erwarteten Ethnizität des Freundes führt. In der Tendenz gilt dieser Befund auch für die Häufigkeit interethnischer Kontakte. Generell zeigt sich, dass deutliche Unterschiede zwischen den vier Gruppen bestehen. Sowohl zum ersten (F = 10,22***) als auch zum zweiten Messzeitpunkt (F = 11,58***) berichten Jugendliche mit interethnischem Freund auch deutlich häufigere interethnische Kontakte (vgl. Tabelle 3).

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Tabelle 3: Ausprägungen der Häufigkeit interethnischer Kontakte nach ethnischer Komposition der Freundschaft Stabil intra-ethnisch Stabil inter-ethnisch Intra- zu inter-ethnisch Inter- zu intra-ethnisch F-Wert Erklärte Varianz

Messzeitpunkt I M SD 2,5 0,92 3,3 0,57 3,0 0,68 2,9 0,86 10,22*** 14,2%

Messzeitpunkt II M SD 2,5 0,90 3,3 0,57 3,2 0,76 2,7 0,92 11,58 15,9%

t-Wert n.s.

0,07 -0,21n.s. -1,55n.s. 1,05n.s.

R 0,46*** 0,38** 0,16n.s. 0,18n.s.

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; + p < .10; n.s. – Nicht signifikant

Lediglich die Gruppe mit einem Wechsel von intra- zu interethnischen Freunden berichtet zum ersten Messzeitpunkt eine ähnlich hohe Kontakthäufigkeit wie Jugendliche mit einem Wechsel von inter- zu intraethnisch. Zu beiden Messzeitpunkt kann mit über 14 Prozent ein erheblicher Anteil der auftretenden Variationen durch die Gruppenzugehörigkeit erklärt werden. Innerhalb der vier Gruppen ergeben sich über die Zeit keine Veränderungen für die stabilen Gruppen (t jeweils nicht signifikant) und nur tendenzielle Unterschiede bei den instabilen Gruppen. Jugendliche, die von einer intra- zu einer interethnischen Freundschaft wechseln, berichten zum zweiten Messzeitpunkt auch eine leicht höhere interethnische Kontakthäufigkeit (t = -1,55), wohingegen bei der anderen Gruppe eine Abnahme zu verzeichnen ist (t = 1,05). Gleichzeitig ergeben sich für die beiden instabilen Gruppen keine signifikanten Korrelationen. Das bedeutet, dass das Ausmaß interethnischer Kontakte über die Zeit zufällig variiert. Dies deutet trotz der nicht signifikanten Veränderungen an, dass mit einem Wechsel der Freundschaftsbeziehung einher geht, wie häufig sich die Jugendlichen mit andersethnischen Peers treffen. Aufgrund des geringen Umfangs dieser beiden Gruppen müssen diese Veränderungen jedoch zurückhaltend interpretiert werden. Festzuhalten bleibt insgesamt, dass sich vor allem Jugendliche mit stabil interethnischen von solchen mit stabil intraethnischen Freundschaften unterscheiden. Erstere weisen eine höhere Sozialraumorientierung auf und berichten deutlich häufigere interethnische Kontakte in ihrer Freizeit. Für Jugendliche mit wechselnden ethnischen Kompositionen zeigt sich in der Tendenz, dass diese Wechsel ein Korrelat der Sozialraumorientierung und der Kontakthäufigkeit darstellen. Gestalt. Wie erwartet ergeben sich bei der Freundschaftsqualität keine Unterschiede zwischen den vier Gruppen (F jeweils nicht signifikant). Welche Ethnizität der Freund hat oder ob diese über die Zeit wechselt hat demnach keine Auswirkungen darauf, wie gut die Qualität der Beziehung erlebt wird (vgl. Tabelle 4).

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Tabelle 4: Ausprägungen der Freundschaftsqualität nach ethnischer Komposition der Freundschaft Stabil intra-ethnisch Stabil inter-ethnisch Intra- zu inter-ethnisch Inter- zu intra-ethnisch F-Wert Erklärte Varianz

Messzeitpunkt I M SD 3,3 0,62 3,3 0,64 3,3 0,62 3,2 0,75 0,43n.s. 0,7%

Messzeitpunkt II M SD 3,3 0,64 3,5 0,55 3,3 0,73 3,2 0,60 1,37n.s. 2,1%

t-Wert n.s.

-0,38 1,35n.s. 0,27n.s. 0,19n.s.

R 0,56*** 0,42** 0,26n.s. 0,29n.s.

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; + p < .10; n.s. – Nicht signifikant

Allerdings ergeben sich interessante Unterschiede zwischen den stabilen und instabilen Gruppen. Während bei den stabilen Gruppen signifikante Korrelationen über die Zeit bestehen, ist dies bei den instabilen Gruppen nicht der Fall. Das bedeutet, dass die Freundschaftsqualität zum zweiten Messzeitpunkt bei instabilen Freundeswahlen in keinem systematischen Zusammenhang zur Qualität der vorherigen Beziehung steht. Dies ist auf den Wechsel des Freundes zurückzuführen und der damit verbundenen Möglichkeit, von einer Freundschaft mit geringer Qualität zu einer mit besserer Qualität zu wechseln und umgekehrt. Schließlich zeigt sich von der Tendenz her bei den stabil interethnischen Freundschaften ein interessanter Anstieg der Freundschaftsqualität. Dieser erweist sich ebenfalls als nicht signifikant, lässt aber vermuten, dass die Freundschaftsqualität in interethnischen Freundschaften steigt, wenn diese über einen längerem Zeitraum hinweg gepflegt werden. Insgesamt ergeben die Befunde zur Gestalt, dass interethnische Freundschaften eine ähnlich gute Beziehungsqualität wie intraethnische Freundschaften aufweisen. Anzeichen sprechen sogar dafür, dass die Freundschaftsqualität bei interethnischen Dyaden tendenziell ansteigt. Auswirkungen. Bei den Auswirkungen interethnischer Freundschaften stehen die kulturelle Offenheit und die Einstellung zur ethnischen Segregation im Mittelpunkt. Für beide Konstrukte ergeben sich zum einen Differenzen zwischen den vier Gruppen. Zum anderen lassen sich tendenziell Veränderungen über die Zeit nachweisen. So findet sich beim Ausmaß kultureller Offenheit, dass Jugendliche mit stabil interethnische Freundschaft die höchste kulturelle Offenheit aufweisen und Jugendliche mit stabil intraethnischer Beziehung die geringste. Die beiden instabilen Subgruppen liegen jeweils zwischen diesen beiden Extremen (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Ausprägungen der kulturellen Offenheit nach ethnischer Komposition der Freundschaft Stabil intra-ethnisch Stabil inter-ethnisch Intra- zu inter-ethnisch Inter- zu intra-ethnisch F-Wert Erklärte Varianz

Messzeitpunkt I M SD 3,0 0,75 3,5 0,50 3,3 0,62 3,1 0,70 6,39*** 9,4%

Messzeitpunkt II M SD 3,1 0,76 3,7 0,49 3,3 0,66 3,1 0,69 4,24** 6,4%

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; + p < .10; n.s. – Nicht signifikant

t-Wert -0,80n.s. -1,75+ 0,29n.s. 0,27n.s.

R 0,59*** 0,49** 0,42** 0,42**

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Zu beiden Messzeitpunkt kann demnach durch die Freundschaftsvarianten das Ausmaß der kulturellen Offenheit vorhergesagt werden. Mit 9,4% zum ersten (F = 6,39***) und 6,4% (F = 4,24**) Prozent aufgeklärter Varianz zum zweiten Messzeitpunkt nimmt dieser Effekt jedoch leicht ab. Innerhalb der vier Gruppen ergeben sich eher stabile Verläufe. Lediglich bei Jugendlichen mit dauerhaft andersethnischem Freund findet ein schwach signifikanter Anstieg der kulturellen Offenheit statt (t = -1,75+). Dieser Befund ist von besonderem Interesse, deutet er doch an, dass mit zunehmender Dauer interethnischer Freundschaften die Offenheit gegenüber anderen Kulturen wächst. Ein ähnlicher Befund ist für das Ausmaß der Ethno-Segregation zu verzeichnen. Zwar fallen die Differenzen zwischen den vier Gruppen bei der ersten Befragung nur schwach aus (F = 2,37+) und erweisen sich bei der zweiten Welle nur auf dem 5%-Niveau als signifikant (F = 3,22*). Auch die aufgeklärte Varianz spricht mit 3,7% resp. 4,9% nicht für starke Unterschiede zwischen den vier Gruppen (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Ausprägungen der Ethno-Segregation nach ethnischer Komposition der Freundschaft Stabil intra-ethnisch Stabil inter-ethnisch Intra- zu inter-ethnisch Inter- zu intra-ethnisch F-Wert Erklärte Varianz

Messzeitpunkt I M SD 1,9 0,84 1,7 0,71 1,7 0,68 2,1 0,86 2,37+ 3,7%

Messzeitpunkt II M SD 1,9 0,88 1,4 0,60 1,7 0,86 2,0 0,86 3,22* 4,9%

t-Wert n.s.

0,34 1,87+ 0,43n.s. 0,93n.s.

R 0,47*** 0,38** 0,60** 0,63***

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; + p < .10; n.s. – Nicht signifikant

Allerdings zeigt sich mit einem Abfall von 0,3 Skalenpunkten in der Gruppe stabil interethnischer Freundschaften eine vom Niveau her deutliche Abnahme der Ethno-Segregation (t = 1,87+). Auch hier ist der Befund mit einer 10prozentigen Irrtumswahrscheinlichkeit behaftet, weshalb es einer Replikation in größeren Stichproben bedarf. Jedoch entspricht dieser Befund dem Trend der kulturellen Offenheit. Im Verlauf stabil interethnischer Freundschaften lehnen Jugendliche mehr und mehr die Einstellung ab, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft nicht in Austausch miteinander treten sollten. Insgesamt sprechen die Ergebnisse zu den Auswirkungen dafür, dass mit der Fortdauer interethnischer Freundschaften die kulturelle Offenheit Jugendlicher steigt und ihre Vorstellungen von ethnischer Segregation abnehmen. Gleichzeitig verfügen Jugendliche mit interethnischer Freundschaft im Mittel über ein höheres Eingangsniveau der kulturellen Offenheit und einer leicht geringeren Tendenz zur Ethno-Segregation. Die vorgeschlagene Interpretation ist, dass hier Selektions- und Sozialisationsprozesse interethnischer Freundschaften zum Ausdruck kommen. Dies wird in die abschließende Diskussion einbezogen.

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6 Diskussion und Ausblick In diesem Beitrag wurden die Entstehungsfaktoren, die Gestalt und die Auswirkungen inter- im Vergleich zu intraethnischen Freundschaften betrachtet. Die theoretische Basis hierfür bildete das Konzept der Ko-Kulturation. Dieses besagt, dass Jugendliche in symmetrischen Peer-Beziehungen kulturelle Werte gleichberechtigt aushandeln und auf diese Weise die Definitionsmacht von Majoritätsvorstellungen suspendieren. Ko-Kulturation wird dabei als Prozess aus Entstehung („moving“ und „meeting“), Etablierung von Freundschaften („mating“) und deren Auswirkungen („outcome“) konzipiert. Es wurde postuliert, dass Jugendliche mit dem Bestreben einer Distanzierung von Erwachsenen verstärkt Sozialräume für die Freizeitgestaltung nutzen, um dort auf andersethnische Peers zu treffen, die eine hohe (kulturelle) Distanz zu der älteren Generation ermöglichen. Bei in diesem Kontext geschlossenen interethnischen Freundschaften sollte die Beziehungsqualität nicht schlechter ausfallen als bei intraethnischen Beziehungen, weil der erlebte Nutzen die Kosten solcher Freundschaften überwiegt. Als Besonderheit interethnischer Freundschaften wurde postuliert, dass diese die kulturelle Offenheit Jugendlicher fördern. Anhand einer Längsschnittstudie bei 237 Jugendlichen wurden diese Annahmen geprüft. Hierzu wurden stabil intra- und interethnische sowie ethnisch instabile Freundschaften miteinander verglichen. Die Befunde lassen sich in drei Aussagen bündeln: 1. Die Sozialraumorientierung und die Häufigkeit interethnischer Kontakte ist bei Jugendlichen mit interethnischen Freundschaften höher als bei solchen mit intraethnischen Beziehungen. Darüber hinaus ließ sich zeigen, dass der Wechsel hin zu einer interethnischen Freundschaft durch eine zunehmende Sozialraumorientierung und Kontakthäufigkeit begleitet wird. Umgekehrt nahmen beide Merkmale ab, wenn der Wechsel hin zu einem Freund deutscher Herkunft stattfand. 2. Die erlebte Qualität der Freundschaftsbeziehungen ist unabhängig davon, ob es sich um einen anders- oder gleichethnischen Freund handelt. Selbst wenn für die Entstehung interethnischer Freundschaften höhere Barrieren bestehen mögen, so haben diese keine Auswirkungen mehr auf einmal etablierte Beziehungen. Interethnische Freundschaften stellen somit mindestens ein gleichwertiges soziales Kapitel für Jugendliche dar wie intraethnische Freundschaften. 3. Für die Auswirkungen ergeben sich sowohl Selektions- als auch Sozialisationseffekte. Zum einen ergibt sich, dass Jugendliche mit höherer kultureller Offenheit und geringerer Ethno-Segregation auch eher andersethnische Freunde wählen. Ethnizität ist für diese Jugendliche ein weniger bedeutsames Selektionskriterium für Freunde, was im Zusammenhang mit der höher ausgeprägten generationalen denn nationalen Identität dieser Jugendlichen steht. Gleichzeit sind Sozialisationseffekte ersichtlich. Die kulturelle Offenheit und die Ablehnung segregativer Einstellungen steigt mit der Fortdauer interethnischer Freundschaften. Der dauerhafte Kontakt und Austausch mit

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andersethnischen Freunden führt gemäß der Kontakthypothese dazu, dass eigene Vorurteile weiter abgebaut werden. Insgesamt sprechen die Befunde für die Hypothesen und machen kenntlich, dass sich Entstehung, Gestalt und Auswirkungen in der theoretisch postulierten Sequenz von „moving“, „meeting“, „mating“ und „outcome“ beschreiben lassen. Gleichzeitig ergeben sich Grenzen der vorliegenden Studie, die abschließend kritisch zu diskutieren sind. Kausalität. Die Befunde sind geeignet, differenzielle Verläufe in Abhängigkeit der Freundschaftsmuster aufzuzeigen. Hierdurch ist es möglich, Veränderungen in Abhängigkeit der ethnischen Komposition der Freundschaften über die Zeit zu veranschaulichen. Damit ist jedoch nicht im strengen Sinne der Nachweis der Kausalität erbracht. Diese ist gesondert – etwa durch Kreuzpfad-Modelle – zu prüfen, damit letztlich gesichert argumentiert werden kann, dass bspw. eine höhere Sozialraumorientierung zu mehr interethnischen Kontakten führen. Die hier berichteten Daten stützen die Erwartung eines gerichteten Zusammenhangs, bedürfen jedoch der weiteren Analyse. Lebensphasenspezifität. Die in der Studie befragten Jugendlichen befinden sich in der frühen bis mittleren Adoleszenz. Dieser Lebensabschnitt ist durch zweierlei gekennzeichnet. Zum einen steigt das Explorationsverhalten deutlich. Am Beginn der Jugendphase nimmt die Freizeit und deren eigenständige Gestaltung erheblich an Bedeutung zu (Steinberg 1999). Dies bedeutet, dass der postulierte Zusammenhang von Generationendistanz, Sozialraumorientierung und interethnischer Kontakte frühestens mit dem Beginn der Jugendphase aufzufinden sein sollte. In anderen Lebensphasen, etwa der Kindheit, sollten andere Entstehungsbedingungen (bspw. interethnische Netzwerke der Eltern) eine bedeutendere Rolle spielen. Zum anderen handelt es sich bei dem hier betrachten Bereich der Jugendphase um einen für die Werteentwicklung sensiblen Abschnitt (Adelson 1980). In der Kindheit erworbene Werte werden verworfen, neu justiert oder erhalten eine andere Konfiguration. Und: die für die Ausbildung von Stereotypen und die Fähigkeit zur Reflexion über diese Stereotypen so wichtigen kognitiven Strukturen (Schacter 1990) werden am Übergang von der späten Kindheit bis hin zur mittleren Adoleszenz ausgebildet (Siegler/DeLoache/ Eisenberg 2005). Dies bedeutet, dass die Auswirkungen interethnischer Freundschaften in diesem für die Werteentwicklung sensiblen Bereich am deutlichsten ausfallen sollten. So zeigen Studien bei Erwachsenen, dass zwar dauerhafter Kontakt mit Mitgliedern anderer Ethnien Vorurteile zu reduzieren vermag. Jedoch sind die Effekte deutlich geringer (Pettigrew/Tropp 2000). Insofern werden die hier gefundenen Unterschiede zwischen intra- und interethnischen Freundschaften nicht uneingeschränkt für spätere Lebensphasen erwartet. Ethnizität. Der letzte, kritische Punkt betrifft die Ethnizität der befragten Jugendlichen. Es handelt sich bei der Stichprobe ausschließlich um Jugendliche deutscher Herkunft. Die Befunde sind somit nicht auf alle Jugendlichen übertragbar. Für Jugendliche nicht-deutscher Herkunft konnten zwar vergleichbare Entstehungsfaktoren (Reinders 2004a) und eine gleichfalls hohe Freundschaftsqualität nachgewiesen werden (Reinders/Mangold 2005). Allerdings fanden sich

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keine Auswirkungen interethnischer Freundschaften auf Vorurteile und kulturelle Offenheit bei Migrantenjugendlichen (Powers/Ellison 1995; Reinders 2003). Auch sporadische Befunde, wonach Freundschaften zu deutschen Jugendlichen das Selbstwertgefühl von Migranten-Jugendlichen stützen (Reinders 2003), ließen sich nicht replizieren. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Bedeutung interethnische Freundschaften für den Integrationsprozess besitzen. Ziehen Jugendliche mit Migrationshintergrund spezifische Vorteile aus solchen Beziehungen, etwa bessere deutsche Sprachkenntnisse (Reinders et al. 2000)? Oder verbessern sich durch diese soziale Integration die Schul- und damit die Berufschancen (Kronig/Haeberlin/Eckhart 2000; Schelle 2005)? Diesbezügliche sporadische Befunde bedürfen nicht nur der Replikation sondern auch des Nachweises durch über die Jugendphase hinaus reichende Längsschnittstudien. Explorative Analysen der eigenen Studie deuten an, dass Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Prozess der Individuation in der Herkunftsfamilie zu finden sind. Migranten-Jugendliche mit interethnischen Freundschaften berichten eine größere Distanz zur älteren Generation und schätzen die Bedingungen in der Familie weniger optimistisch ein. Deshalb wird im Folgeprojekt untersucht, in welchem Zusammenhang Ethnizität des Freundes und Autonomieentwicklung bei Migranten-Jugendlichen stehen. Dabei wird nicht die vielfach zitierte Zerrissenheit zwischen der Kultur der Herkunftsfamilie und jener der Aufnahmegesellschaft erwartet (vgl. Hummrich/Wiezorek 2005). Vielmehr deuten die bisherigen Analysen an, dass Freundschaften zu Jugendlichen deutscher Herkunft für Migranten-Jugendliche die Chance besitzen, gesellschaftlich angemessenere Autonomiekarrieren zu durchlaufen, die ihnen die Entscheidung über eine subjektiv funktionale Akkulturationsstrategie im Sinne von Berry und Kollegen (1992) erleichtert. Trotz dieser Einschränkungen machen die Befunde insgesamt glaubhaft, dass es sich bei interethnischen Freundschaften um ein wichtiges soziales Lernfeld Jugendlicher handelt, innerhalb dessen für zunehmend multikulturellen Gesellschaften relevante Werte der kulturellen Offenheit weiter intensiviert werden. Solche Befunde bieten eine gute Basis dafür, dass – ähnlich wie die historisch veränderte Einschätzung von Freundschaften allgemein – auch interethnische Beziehungen nicht als entwicklungsschädlich angesehen werden. Denn: die durch interethnische Freundschaften zum Ausdruck gebrachte Distanz zur Erwachsenengeneration könnte als Gefährdung gesellschaftlicher Werte interpretiert werden. Tatsächlich ist durch die Ergebnisse dieser Studie erwartbar, dass Jugendliche in interethnischen Freundschaften die notwendigen Kompetenzen erwerben, um später als Erwachsene konsensuelle Interessenaushandlungen trotz zunehmender kultureller Pluralität im Sinne demokratischer Willensbildung vornehmen zu können.

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7 Literatur Adelson, J. (1980): Die politischen Vorstellungen des Jugendlichen in der Frühadoleszenz. In: Döbert, R./Habermas, J./Nunner-Winkler, G. (Hrsg.): Entwicklung des Ichs. – Königsstein im Taunus, S. 272-293. Allport, G. W. (1971): Die Natur des Vorurteils. – Köln. Berry, J. W./Poortinga, Y. H./Segall, M. H./Dasen, P. R. (1992): Cross-cultural psychology: research and applications. – Cambridge. Blos, P. (1962): On adolescence : A psychoanalytic interpretation. – New York. Böhnisch, L./Münchmeier, R. (1990): Pädagogik des Jugendraums – Zur Begründung und Praxis einer sozialräumlichen Jugendpädagogik. – Weinheim. Bukowski, W./Newcomb, A. F./Hartup, W. W. (Hrsg.) (1996): The company they keep: Friendships in childhood and adolescence. – Cambridge. Coleman, J. S. (1961): The adolescent society. The social life of the teenager and it's impact on education. – New York. Eisikovits, R. A. (2000): Gender differences in cross-cultural adaptation styles of immigrant youths from the former USSR in Israel. In: Youth and Society, 31. Jg., H. 3, S. 310-331. Esser, H. (1991): Der Austausch kompletter Netzwerke. Freundschaftswahlen als „Rational Choice“. In: Esser, H./Troitzsch, K. G. (Hrsg.): Modellierung sozialer Prozesse. – Bonn, S. 773-809. Greb, K. (2005): Kontextuelle und individuelle Einflussfaktoren auf die Entstehung interethnischer Freundschaften bei deutschen Jugendlichen. – Mannheim. Hamm, J. V./Brown, B. B./Heck, D. J. (2005): Bridging the ethnic divide: Student and school characteristics in African-American, Asian-descent, Latino, and white adolescents’ crossethnic friend nominations. In: Journal of Research on Adolescence, 15. Jg., H. 1, S. 21-46. Hartup, W. W. (1993): Adolescents and their friends. In: Laursen, B. (Hrsg.): New directions for child development: Close friendships in adolescence. – San Francisco, S. 3-22. Haug, S. (2003): Interethnische Freundschaftsbeziehungen und soziale Integration. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 55. Jg., H. 4, S. 716-736. Hewstone, M./Brown, R. (1986): Contact is not enough: An intergroup perspective on the “contact hypothesis”. In: Hewstone, M./Brown, R. (Hrsg.): Contact and conflict in intergroup encounters. – Oxford, S. 1-44. Hofer, M. (2003): Selbständig werden im Gespräch. – Bern. Hummrich, M./Wiezorek, C. (2005): Elternhaus und Schule. Pädagogische Generationsbeziehungen im Konflikt? In: Hamburger, F./Badawia, T./Hummrich, M. (Hrsg.): Migration und Bildung. Über Anerkennung und Integration in der Einwanderungsgesellschaft. – Opladen, S. 105-120. Ibaidi, S./Rauh, H. (1984): Soziale Distanz zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen in Berlin. In: Stiksrud, A. (Hrsg.): Jugend und Werte. Aspekte einer politischen Psychologie des Jugendalters. – Weinheim, S. 184-192. Krappmann, L. (1998): Sozialisation in der Gruppe der Gleichaltrigen. In: Hurrelmann, K./Ulich, D. (Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. – Weinheim, S. 355-375. Kronig, W./Haeberlin, U./Eckhart, M. (2000): Immigrantenkinder und schulische Selektion. – Bern. Larson, R. W. (2002): Globalization, societal change, and new technologies: What they mean for the future of adolescence. In: Journal for Research on Adolescence, 12. Jg., H. 1, S. 1-30. Lawrence, S. (1999): Adolescence. – Boston. Masson, C.N. & Verkuyten, M. (1993). Prejudice, ethnic identity, contact and ethnic group preferences among Dutch young adolescents. In: Journal of Applied Psychology, 23 Jg. , H. 2, S. 156-168. Merkens, H. (2003): Ethnische Orientierungen und soziale Distanz bei türkischen und deutschen Schuljugendlichen in Berlin. In: Merkens, H./Wessel, A. (Hrsg.): Zwischen Anpassung und Widerstand. Zur Herausbildung der sozialen Identität türkischer und deutscher Jugendlicher. – Baltmannsweiler, S. 11-44.

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Entstehung, Gestalt und Auswirkungen interethnischer Freundschaften im Jugendalter 57 Schrader, A./Nikles, B. W./Griese, H. M. (1979): Die zweite Generation: Sozialisation und Akkulturation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. – Königsstein im Taunus. Schuster, B. (2005): Theoretische Ansätze zur Transformation der Eltern-Kind-Beziehung und zur Autonomieentwicklung bei Heranwachsenden. In: Schuster, B./Kuhn, H.P./Uhlendorff, H. (Hrsg.): Entwicklung in sozialen Beziehungen. Heranwachsende in ihrer Auseinandersetzung mit Familie, Freunden und Gesellschaft. – Stuttgart, S. 13-42. Siegler, R./DeLoache, J./Eisenberg, N. (2005): Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. – München. Silbereisen, R. K./Schmitt-Rodermund, E. (1995): Akkulturation von Entwicklungsorientierungen jugendlicher Aussiedler. In: Trommsdorff, G. (Hrsg.): Kindheit und Jugend in verschiedenen Kulturen. – Weinheim, S. 263-292. Tajfel, H. (1982): Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereotypen. – Bern. Verbrugge, L. M. (1977): The structure of adult friendship choices. In: Social Forces, 56. Jg., H. 6, S. 576-597. Weller, W. (2003): HipHop in Sao Paulo und Berlin. Ästhetische Praxis und Ausgrenzungserfahrungen junger Schwarzer und Migranten. – Opladen. Wong, S. K. (1998): Peer relations and Chinese-Canadian delinquency. In: Journal of Youth and Adolescence, 27. Jg., H. 4, S. 641-659. Youniss, J. (1980): Parents and peers in social development. – Chicago.

Schwerpunkt

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen Sylke Fritzsche, Christine Wiezorek Dipl.-Soz. Sylke Fritzsche, HansBöckler-Stiftung

Zusammenfassung In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welcher Zusammenhang zwischen fremdenfeindlichen Stereotypisierungen unter Jugendlichen und interethnischen Kontakten in der Lebenswelt Schule besteht. Hierbei nehmen wir eine triangulierende Perspektive ein, die von einem komplementären Verhältnis des quantitativen und des qualitativen Forschungszugangs zueinander ausgeht. Zunächst werden zentrale quantitative Ergebnisse zum Einfluss von Kontaktmöglichkeiten zu sowie von Kontakterfahrungen mit Migranten auf fremdenfeindliche Einstellungen deutscher Jugendlicher vorgestellt. Insbesondere der Qualität der Kontakterfahrungen zwischen deutschen Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommt große Bedeutung zu. Dies bildet den Ausgangspunkt, um aus qualitativer Perspektive exemplarisch eine Interaktion von Jugendlichen auf diese Kontaktqualität hin anzuschauen, und herauszuarbeiten, welcher Stellenwert ihr hinsichtlich des Umgangs mit der fremdenfeindlichen Äußerung einer Mitschülerin zukommt. Abschließend werden die Ergebnisse der beiden Teilstudien zusammenfassend aufeinander bezogen. Schlagworte: Migration, Fremdenfeindlichkeit, Jugend, Schule, Triangulation

1 Einführung In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welcher Zusammenhang zwischen bekannten fremdenfeindlichen Stereotypisierungen unter Jugendlichen und interethnischen Kontakten in der Lebenswelt Schule besteht. Diese Fragestellung ist über unsere Zusammenarbeit im Projekt „Politische Orientierungen bei Schülern im Rahmen schulischer Anerkennungsbeziehungen“ entstanden, das von Juni 2002 bis Mai 2005 unter der Leitung von Werner Helsper und Heinz-Hermann Krüger am Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt wurde.1 Untersucht wurden hier die politischen Orientierungen, insbesondere rechtsorientierte, fremdenfeindliche und gewaltförmige Haltungen Jugendlicher im Alter zwischen 13 und 16 Jahren sowie die Bedeutung schulischer 1

Sylke Fritzsche arbeitete im quantitativen, Christine Wiezorek im qualitativen Teilprojekt. Daneben waren Oliver Böhm-Kasper, Nicolle Pfaff und Sabine Sandring am Projekt beteiligt (vgl. http://www.zsl.uni-halle.de/anerkennung/).

Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 59-74

Dr. phil. Christine Wiezorek, Universität Jena

60 Sylke Fritzsche & Christine Wiezorek

Bildungsprozesse für die Herausbildung dieser Haltungen (Helsper et al. in Druck). In der Verbindung einer forschungsmethodisch quantitativ und einer qualitativ ausgerichteten Teilstudie wurden zum einen Schüler2 an insgesamt 43 allgemeinbildenden Schulen in ausgewählten Regionen in Sachsen-Anhalt (LSA) und Nordrhein-Westfalen (NRW) befragt. Die Stichprobe umfasste 4.837 Schüler (49,4% Mädchen) aus der 8. und 9. Jahrgangsstufe (mittleres Alter: 14,4 Jahre). Zum anderen wurden an vier Schulen beider Bundesländer jeweils mehrwöchige qualitative Studien durchgeführt, die eine Ethnographie schulischer Anerkennungsbeziehungen mit Gruppendiskussionen mit Lehrenden und Lernenden sowie mit biographischen Schülerinterviews verbanden. Bei der Thematisierung des Zusammenhanges von interkulturellen Kontakten und Fremdenfeindlichkeit nehmen wir im Folgenden eine triangulierende Perspektive ein, die von einem komplementären Verhältnis des quantitativen und des qualitativen Forschungszugangs zueinander ausgeht. Dieses Verhältnis lässt sich nach unserem Verständnis dadurch kennzeichnen, dass sich erstens aus der Diskussion von Ergebnissen des einen Forschungszugangs weiterführende Fragestellungen an den anderen ergeben. Zweitens liefert die Diskussion von Ergebnissen unterschiedlicher methodischer Zugänge u. E. sowohl einander ergänzende und vertiefende als auch gegenseitig erklärende und differenzierende Erkenntnisse hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes, aber auch in Bezug auf den jeweiligen methodologischen Forschungszugang und sein Instrumentarium selbst (vgl. hierzu Krüger et al. in Druck). In diesem Beitrag werden zunächst zentrale quantitative Ergebnisse zum Einfluss von Kontaktmöglichkeiten zu sowie von Kontakterfahrungen mit Migranten auf die fremdenfeindlichen Einstellungen von deutschen Jugendlichen vorgestellt. Hier zeigt sich, dass insbesondere der Qualität der Kontakterfahrungen zwischen deutschen Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund große Bedeutung zukommt. Dieser Befund bildete den Ausgangspunkt, vor dem für uns die Frage danach entstand, wie in den Interaktionen der Jugendlichen untereinander diese Kontaktqualität aufscheint und welcher Stellenwert ihr in Bezug auf die Verhandlung fremdenfeindlicher Stereotypisierungen zukommt. Anhand der Ergebnisse der Rekonstruktion einer Gruppendiskussionspassage soll diese Frage im dritten Abschnitt diskutiert werden, bevor wir im vierten die Ergebnisse der beiden Teile zusammenfassend aufeinander beziehen.

2 Zum Zusammenhang von interethnischen Kontakten und fremdenfeindlichen Einstellungen unter deutschen Jugendlichen – Die quantitative Perspektive Fremdenfeindliche Einstellungen und deren Ursachen gehören seit Anfang der 1990er Jahre zu den zentralen Schwerpunkten der sowzialwissenschaftlichen 2

Aus Gründen der Lesbarkeit beschränken wir uns im Folgenden auf die Verwendung der männlichen Schreibform, wenn beide Geschlechter gemeint sind.

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

Jugendforschung. Dabei greifen die vorliegenden Untersuchungen immer wieder auf globale soziodemographische Einflussfaktoren wie Geschlecht, Bundesland und Schulform zurück und zeigen, dass erstens Mädchen seltener fremdenfeindliche Einstellungen als Jungen aufweisen, dass zweitens fremdenfeindliche Orientierungen bei ostdeutschen Jugendlichen deutlich häufiger vorkommen als bei denen in den alten Bundesländern (vgl. Münchmeier 2000; Kleinert/de Rijke 2001), und dass drittens mit zunehmendem Ausbildungsgrad fremdenfeindliche Orientierungen abnehmen (vgl. Hopf 1999). Anknüpfend an die Forschungen zur Kontakthypothese von Allport (vgl. 1971) liegt hier der Fokus vor allem auf Indikatoren der Kontaktmöglichkeiten zu und der Kontakterfahrungen deutscher Jugendlicher mit Menschen nichtdeutscher Herkunft. Nach Allport wirken sich Kontakte zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen unter den Bedingungen von Status-, Ziel- und Interessengleichheit sowie einer positiven sozialen Sanktionierung günstig auf die gegenseitigen Einstellungen und Verhaltensweisen aus (vgl. Allport 1971, S. 285ff.). Zahlreiche Studien bestätigten diesen Zusammenhang. Allerdings zeigten sie auch, dass sich Kontakte auch ohne die von Allport spezifizierten Bedingungen positiv auf die wechselseitigen Einstellungen von Mitgliedern aus unterschiedlichen sozialen Gruppen auswirken (vgl. zusammenfassend Pettigrew/Tropp 2000). In der Literatur lassen sich zudem noch weitere Faktoren ausmachen: So wirken sich nach Jonas (vgl. 1998) bspw. die Freiwilligkeit der Interaktion zwischen Personen unterschiedlicher Gruppen oder Gurwitz/Dodge (vgl. 1977) zufolge die Intimität des Kontaktes vorteilhaft auf diesen Zusammenhang aus. Weitere Autoren machen deutlich, dass insbesondere Freundschaften, die ja diese Bedingungen erfüllen, besonders geeignet seien, Vorurteile zu reduzieren (vgl. Hamberger/Hewstone 1997; Reinders 2004; Reinders/Greb/Grimm in diesem Heft). Ebenso wiesen Wagner/Dick/Endrikat (vgl. 2002) darauf hin, dass die höchsten Zusammenhänge zwischen freundschaftlichen Beziehungen zu Ausländern und geringen fremdenfeindlichen Einstellungen zu finden sind. Sie konnten zudem belegen, dass insbesondere positive Erfahrungen mit Ausländern fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments reduzieren, wobei negative Kontakte wie Belästigungen erstaunlicherweise nur einen schwachen bzw. keinen Effekt auf die Einstellungen haben. Andere Untersuchungen – wenn auch nicht aus dem deutschsprachigem Raum – konnten andererseits darauf hinweisen, dass (unfreiwillige) Kontakte zu Ausländern Vorurteile hervorrufen und damit die Fremdendistanz begünstigen (vgl. Amir 1969; Sigelman/Welch 1993). Nun stellt in Deutschland gerade die Schule einen Ort alltäglicher Begegnungen zwischen jungen Deutschen und jugendlichen Migranten dar. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass es bisher nur wenige Untersuchungen im Rahmen der Schulforschung gibt, die derartige Alltagskontakte im Hinblick auf die Genese von fremdenfeindlichen Einstellungen unter Schülern – vor allem unter Beachtung der Kontakthypothese – in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken: Schrader/Nikles/Griese (vgl. 1979) untersuchten interethnische Freundschaften der zweiten Migrantengeneration und stellten fest, dass sich diese insbesondere aus den Pausenkontakten in der Schule ergeben. Reinders et al. (vgl. 2000) konnten

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zeigen, dass türkische Jugendliche mit ausschließlichem Kontakt zu deutschen Peers eine geringere türkische Identität und eine höhere bikulturelle Identität aufweisen und ein positiveres Bild von ihren deutschen Mitschülern zeichnen. Dollase et al. (vgl. 1999, 2001) fanden im Rahmen einer Untersuchung an einer Hauptschule heraus, dass soziometrische Ablehnungen und negative Stereotypisierungen gegenüber Schülern mit Migrationshintergrund immer dann gering ausfallen, wenn die Möglichkeit des Kontaktes mit Ausländern in Schulklassen besteht. Insgesamt machen die vorliegenden Studien deutlich, dass sich Ausländerstereotypisierungen und fremdenfeindliche Einstellungen dadurch verringern oder sogar abbauen, indem man Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft ermöglicht bzw. verstärkt. Insbesondere auf Freiwilligkeit und Intimität basierende Freundschaften unterstützen die Reduktion von Vorurteilen. Nun sind zahlreiche Schülerschaften durch den täglichen Umgang von jungen Deutschen und Migrantenjugendlichen, d.h. durch freiwillige sowie unfreiwillige Kontakte zueinander gekennzeichnet. So gaben bspw. 21% (davon waren 49% Mädchen) von den über 3.700 in unserer Untersuchung befragten Schülern an, über einen Migrationshintergrund zu verfügen, d.h. einen Vater und/oder eine Mutter zu haben, die im Ausland geboren sind. Dabei zeigten sich hier sowohl bei der Betrachtung der Untersuchungsregionen als auch der Schulformen Differenzen in die erwartbare Richtung. In NRW stammen ein Drittel der Schüler aus Familien mit Migrationshintergrund, im LSA trifft dies dagegen nur auf etwa 6% der Jugendlichen zu (vgl. Helsper/Krüger in Druck). Bezogen auf die Schulformzugehörigkeit konnten wir feststellen, dass der Anteil der ohnehin wenigen Migrantenjugendlichen in den verschiedenen Schulformen im LSA in etwa gleich groß ist. Demgegenüber zeigten sich diesbezüglich in NRW erheblich Unterschiede. Hier machen Jugendliche mit Migrationshintergrund knapp über die Hälfte der Schülerschaft an den Hauptschulen aus. Bei den Gesamtschülern gaben 37% an, über einen Migrationshintergrund zu verfügen. Die Schülerschaften an Gymnasien und Realschulen bestehen immerhin noch zu über einem Fünftel aus jugendlichen Migranten (vgl. Fritzsche in Druck). Vor diesem Hintergrund des Vorhandenseins von multikulturellen Schülerschaften und den damit verbundenen alltäglichen (freiwilligen und unfreiwilligen) Kontaktmöglichkeiten bzw. -erfahrungen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sollen also im Folgenden, in Anknüpfung an die Forschung zur Kontakthypothese, fremdenfeindliche Stereotypisierungen und Einstellungen von 13- bis 16-jährigen deutschen Schülern in den Blick genommen werden.3 Wie erwähnt ist der wahrscheinlich am häufigsten replizierte Befund der höhere Anteil fremdenfeindlicher Einstellungen in den neuen Bundesländern. Ebenso oft konstatieren Studien Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes an Fremdenfeindlichkeit, die auf die Zugehörigkeit zum Geschlecht sowie zum Ausbildungsgrad zurückgehen. So arbeiteten auch wir die aus der einschlägigen Lite3

Wir klammern bei dieser Analyse die Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus, da wir davon ausgehen, dass die Fremdenfeindlichkeit von Menschen nicht-deutscher Herkunft ein hiervon abgrenzbarer, eigener Forschungsgegenstand ist, dem über eine gesonderte Untersuchung Rechnung getragen werden muss.

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

ratur bekannten Befunde heraus (vgl. Fritzsche in Druck). Dabei haben wir die individuellen Einstellungen gegenüber Ausländern über die Zustimmung zu neun ausländerfreundlich und sechs ausländerfeindlich formulierten Aussagen gemessen. Diese beinhalteten Statements, die weniger die individuellen Erfahrungen gegenüber Fremden erfassen als vielmehr bekannte sowie abstrakt und teilweise ohne direkten Bezug zur Lebenswelt der Befragten formulierte Stereotype wiedergeben wie „Die vielen ausländischen Kinder in der Schule verhindern eine gute Ausbildung der deutschen Kinder“ oder „Ich bin der Meinung, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben“.4 Im Verlauf der weiteren Analyse wurden diese Aussagen zu einem Index verdichtet. Die Skala Fremdenfeindlichkeit basiert auf den Bewertungen von acht Einzelaussagen und betont in erster Linie eine individuelle Distanz zu Menschen nicht-deutscher Herkunft.5 Bei der Betrachtung der durchschnittlichen z-standardisierten Mittelwerte zeigte sich, dass erstens männliche Jugendliche (Mittelwert (M)= .11) häufiger fremdenfeindliche Positionen als Mädchen (M= -.12) zeigen; dass zweitens im LSA bei den deutschen Jugendlichen eine stärkere Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen festzustellen ist als in NRW (MLSA= .13 vs. MNRW= -.13) und dass drittens das Vorkommen fremdenfeindlicher Orientierungen mit steigendem Ausbildungsgrad abnimmt. Das gilt sowohl für LSA als auch für NRW, wo Sekundar- (MSEK= .32) bzw. Hauptschüler (MHS= .18) einen um mehr als eine halbe Standardabweichung höheren Mittelwert aufweisen als Gymnasiasten (MLSA= -.21; MNRW= -.39) (vgl. Fritzsche in Druck).6 Neben diesen Einflussfaktoren haben wir nach weiteren Erklärungsvariablen für die Herausbildung fremdenfeindlicher Einstellungen gesucht, die insbesondere der Forschung zur Kontakthypothese Rechnung tragen.7 Als Indikator für mögliche Kontakte zu Menschen ausländischer Herkunft wurden die Schüler gebeten, den Anteil an Ausländern in verschiedenen Bereichen ihres sozialen Umfelds wie Nachbarschaft, Schulklasse, Verein oder Freundeskreis einzuschätzen. Und um etwas über die Art bzw. Qualität der Alltagserfahrungen zu erfahren, sollten die Jugendlichen angeben, wie oft es in den letzten zwölf Monaten vorgekommen ist, dass ihnen „ein Ausländer oder eine Ausländerin geholfen hat“, sie „mit einem Ausländer oder einer Ausländerin ein interessantes Gespräch geführt“ haben (positive Alltagserfahrung) bzw. wie oft sie sich „von einem Ausländer oder einer Ausländerin belästigt gefühlt haben“ (negative Alltagserfahrung). Vor dem Hintergrund der berichteten Differenz zwischen den von uns untersuchten Bundesländern und Schulformen hinsichtlich des Anteils 4 5 6 7

Alle Operationalisierungen sind abrufbar unter der Website http://www.zsl.unihalle.de/anerkennung/skalenhandbuch.pdf. Befragte, die mindestens 6 von 8 ausländerfeindlich formulierten Statements zugestimmt haben, ordnen wir als fremdenfeindlich ein. SEK = Sekundarschule; HS = Hauptschule; GS = Gesamtschule; Mit der zugrunde liegenden Querschnittuntersuchung sind keine Aussagen über Entwicklungsprozesse möglich. Die hier durchgeführten Analysen können nicht als Kausalitäten verstanden werden. Wir zeigen vielmehr Bereiche auf, die mit fremdenfeindlichen Einstellungen in einem Zusammenhang stehen und in zukünftigen Untersuchungen einer genaueren Betrachtung und Diskussion bedürfen (vgl. Fritzsche 2004).

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64 Sylke Fritzsche & Christine Wiezorek

an jugendlichen Migranten ist es nicht erstaunlich, dass die Möglichkeit, Kontakte mit Menschen anderer ethnischer Herkunft zu knüpfen, für nordrheinwestfälische Jugendliche – und hier besonders an Hauptschulen, aber auch an Gesamtschulen – größer ist als für die deutschen Schüler im LSA. 50% der nordrhein-westfälischen Hauptschüler schätzten bspw. den Anteil der Ausländer in ihrer Schulklasse und fast zwei Drittel den in ihrer Nachbarschaft als hoch ein. In den Bereichen Freundeskreis und Verein gaben allerdings nur noch ein Drittel der jugendlichen Deutschen aus der Hauptschule an, zu vielen Ausländern Kontakt zu haben. Demgegenüber gaben sogar etwas mehr nordrheinwestfälische Gesamtschüler an, viele Ausländer im sozialen Umfeld des Freundeskreises zu haben (ZustimmungHS= 32% vs. ZustimmungGS= 36%) – und das obwohl jugendliche Migranten mehrheitlich an Hauptschulen zu finden waren. Schließlich scheint das aber angesichts dessen, dass Freundschaften nicht zuletzt auch ein bestimmtes Maß an Freiwilligkeit voraussetzen, welches an Hauptschulen mitunter nicht mehr gegeben ist, nicht erstaunlich.8 Analog zu diesen Befunden erleben die Schüler in NRW gegenüber den sachsen-anhaltischen häufiger positive Alltagserfahrungen, jedoch auch häufiger negative – dies wiederum vor allem an Gesamtschulen und Hauptschulen. Besonders an den Gesamtschulen in NRW berichteten die Jugendlichen davon, oft Hilfe (40% Zustimmung) von Ausländern erhalten bzw. oft interessante Gespräche (43% Zustimmung) mit ihnen geführt zu haben. Demgegenüber kann bspw. nur gut ein Drittel der nordrhein-westfälischen Hauptschüler auf häufige interessante Gespräche mit Ausländern zurück blicken. Auch hier ist also davon auszugehen, dass sich der Anteil der jugendlichen Migranten an verschiedenen Schulformen und die damit einhergehende Freiwilligkeit der Begegnungen auf die Qualität der Alltagserfahrungen mit Ausländern auf Seiten der deutschen Jugendlichen auswirken (vgl. ausführlich dazu Fritzsche in Druck). Zusätzlich zu den soziodemographischen Variablen (Geschlecht, Alter und Bundesland) haben wir also als erklärende, unabhängige Variablen die Kontaktmöglichkeiten zu Menschen ausländischer Herkunft in Form des Ausländeranteils im sozialen Umfeld sowie die Qualität dieser Kontakte über die positiven und negativen Alltagserfahrungen mit Ausländern in die Untersuchung aufgenommen. Des Weiteren werden ergänzend die Einflüsse der Familie, der Peers und der Schule betrachtet. Die Tabelle 1 weist die Ergebnisse der bivariaten Korrelationen der unabhängigen und der abhängigen Variablen aus.

8

Der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund schwankte unter den einzelnen Hauptschulen zwischen 38 und 70 %.

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

Tabelle 1: Bivariate Korrelationen zwischen den unabhängigen Variablen und der Fremdenfeindlichkeit (nur Jugendliche ohne Migrationshintergrund) (Die statistisch bedeutsamen Effekte sind grau unterlegt.) Fremdenfeindlichkeit Soziodemographische Variablen Geschlecht (0 – männlich, 1 – weiblich) Alter Bundesland (0 – NRW, 1 – LSA)

-.12 ** .13 ** .13 **

Ausländeranteil im sozialen Umfeld Nachbarschaft Schulklasse Freundeskreis Verein

.06 ** .06 ** -.30 ** -.10 **

Positive und negative Alltagserfahrungen Hilfe durch Ausländer Gespräch mit Ausländer/in Belästigung durch Ausländer

-.38 ** -.40 ** .32 **

Effekte der Familie Elterliche Zuwendung und Wertschätzung Elterliche Bevormundung und Kritik Elterliche Gewalt

-.08 ** .05 * .05 *

Effekte der Peers Gruppenkonformität und Abgrenzung Selbstverwirklichung in der Gruppe Dominanz und Gewalt in der Gruppe

.23 ** -.07 ** .10 **

Effekte der Schule LS-Anerkennung: Achtung der Schülerpersönlichkeit LS-Anerkennung: Abwertung der Schülerpersönlichkeit SS-Anerkennung: Vertrauensvoller Zusammenhalt in der Klasse SS-Anerkennung: Streit und Misstrauen in der Klasse SS-Anerkennung: Toleranz und Offenheit in der Klasse

-.20 ** .18 ** -.12 ** .09 ** -.20 **

(** = p < .01/* = p < .05)

Es wird deutlich, dass sich die Kontaktmöglichkeiten zu Menschen anderer Ethnien sowie die Qualität dieser Kontakte auf das Vorhandensein von fremdenfeindlichen Einstellungen unter deutschen Jugendlichen auswirken. Dabei erweisen sich insbesondere Kontakte im Freundeskreis als bedeutend: Jugendliche, die Ausländer zu ihrem Freundeskreis zählen, stimmen seltener fremdenfeindlich formulierten Statements zu. Etwas erstaunlich scheint der Befund hinsichtlich der Kontakte zu Ausländern in der Nachbarschaft und der Schulklasse der Jugendlichen zu sein. Hier zeigen sich schwache positive Effekte. Das heißt: Schüler, die Kontakte zu Ausländern in der Nachbarschaft oder der Schulklasse haben, neigen eher zu fremdenfeindlichen Einstellungen als andere. Auch hier kann die subjektiv empfundene Freiwilligkeit von Kontakten und Begegnungen – und das deutete sich ja schon bei der deskriptiven Beschreibung der Kontaktmöglichkeiten und -erfahrungen an – als mögliche Erklärung für dieses Ergebnis herangezogen werden. Zudem ist das Antwortverhalten der Jugendlichen

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dahingehend zu verstehen, dass Schüler, die Freunde innerhalb ihrer Schulklasse haben, nicht zuletzt auch Auskunft über die Beziehungen in der Klasse geben, wenn sie Aussagen zum Freundeskreis treffen. Dies aber kann mit der verwendeten Fragebatterie nicht herausgefiltert werden. Bei Jugendlichen, für die das nicht zutrifft, ist es dann wahrscheinlicher, dass sie die Schulklasse eher im Sinne einer administrativen Zwangsgemeinschaft bewerten, innerhalb der sie Kontakte zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur unfreiwillig pflegen. Der Befund hinsichtlich des positiven Einflusses des Ausländeranteils in der Nachbarschaft ist ähnlich zu interpretieren. Die stärksten Beziehungen bei dieser Analyse von Einflussfaktoren auf das Vorkommen von fremdenfeindlichen Einstellungen lassen sich allerdings bei der Betrachtung der Qualität der Kontakterfahrungen der deutschen Jugendlichen feststellen. Positive Alltagserfahrungen gehen mit einer geringeren Ausprägung an Fremdenfeindlichkeit einher und umgekehrt. So neigen gerade diejenigen Schüler zu ausländerfeindlichen Stereotypisierungen, die sich von Menschen anderer Ethnien belästigt fühlen. Weiterhin erweisen sich, wie erwartet, auch die soziodemographischen Variablen als Einflussgrößen auf das Vorhandensein fremdenfeindlicher Orientierungen. Auch die Effekte der Peers und der Schule (ausschließlich der Indikatoren Selbstverwirklichung in der Gruppe und Streit und Misstrauen in der Klasse) weisen Zusammenhänge mit den fremdenfeindlichen Einstellungen der Jugendlichen auf. Gleichaltrigengruppen, die durch Gruppenkonformität und Abgrenzung sowie Dominanz und Gewalt in der Gruppe geprägt sind, neigen demnach eher dazu, fremdenfeindlichen Aussagen zuzustimmen. Weniger achtend und stärker abwertend wahrgenommene Anerkennungsbeziehungen in Lehrer-Schüler-Beziehungen weisen ausgeprägte positive Zusammenhänge zum Vorkommen von Fremdenfeindlichkeit auf. Schüler, deren Klasse durch einen vertrauensvollen Zusammenhalt sowie Toleranz und Offenheit gekennzeichnet ist, weisen dagegen seltener fremdenfeindliche Einstellungen auf. Keine Bedeutung scheint in diesem Analysemodell der Sozialisationsinstanz Familie zuzukommen (vgl. Fritzsche in Druck).

3 Der Umgang mit einer fremdenfeindlichen Äußerung in der Peerinteraktion – Ein exemplarischer Befund aus der qualitativen Teilstudie Die Qualität der Kontakterfahrungen scheint also einen entscheidenden Einfluss darauf zu haben, ob jemand fremdenfeindliche Einstellungen aufweist oder nicht. Neben den positiven Kontakterfahrungen scheint zudem der Freiwilligkeit der Interaktionen zwischen Menschen verschiedener ethnischer Herkunft eine wichtige moderierende Funktion zuzukommen. Dies wird in Bezug auf Freundschaften deutlich, die auf Freiwilligkeit beruhen, durch positive Erfahrungen im Umgang miteinander geprägt sind und besonders dazu geeignet sind, fremdenfeindliche Vorurteile abzubauen. Nun sind Schulklassen Gemeinschaften, die nicht einfach auf einem freiwilligen Zusammentreffen von Jugendlichen basie-

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

ren. In der quantitativen Analyse hat sich gezeigt, dass multiethnische Schülerschaften, die ja einen Ort vielfältiger Begegnungen zwischen Deutschen und Migranten darstellen, durchaus nicht immer als positiv empfunden werden. Das macht darauf aufmerksam, dass der schulischen Kontaktqualität, d.h. den schulischen Anerkennungsbeziehungen unter den Gleichaltrigen offensichtlich eine Bedeutung dafür zukommt, inwiefern hier Vorurteile gegenüber Fremden verfestigt oder zunichte gemacht werden. Diesem Punkt wollen wir im Folgenden exemplarisch anhand eines Ausschnittes aus einer Gruppendiskussion nachgehen. Im Kern soll nachgezeichnet werden, inwiefern Jugendliche einer Schulklasse Stereotype über Ausländer in der Kommunikation untereinander verhandeln, wie sich darin fremdenfeindliche Haltungen zeigen, und in welchem Zusammenhang das wiederum mit der Qualität des Kontaktes steht. In einer Gruppendiskussion mit sieben Schülern, die an einer Hauptschule gemeinsam die 9. Klasse besuchen – vier Jungen, drei Mädchen; drei Schülern mit und vier ohne Migrationshintergrund –, werden die Schüler an einer Stelle nach einem allgemeinen Eindruck von ihrer Schule gefragt. Es entspinnt sich hierauf eine ziemlich einhellig vorgetragene positive Bezugnahme auf diese. Vorrangig und einander ergänzend reden dabei Tonne und Melissa. Die anderen drücken ihre Zustimmung zum Gesagten aus. Die einzige Beanstandung, die geäußert wird, ist die, dass man „n bisschen wenich Schüler ... auf dem Schulhof“ sehe; im Großen und Ganzen und vor allem im schulformbezogenen Vergleich mit anderen Hauptschulen ist ihre Schule, so Melissa, aber „ganz in Ordnung“: Mw:

aber sonst is die Schule eigenlich ganz in Ordnung für ne Hauptschule also manche Hauptschulen solln ja (wirklich) richtich schlimm sein mit Drogen Hehlerei und bla bla bla Tm: mmm Mw:

is eigenlich ne korrekte Hauptschule so (.)

9

(Gruppendiskussion mit Tonne, Lolek, Rolf, Pasqual, Astrid, Jeany, Melissa; Klasse 9, HS Unterfeld)

Vor dem Gegenhorizont eines Bildes von „manchen“ Hauptschulen, die eine Reihe von Belastungen wie Drogenhandel und -konsum aufweisen, erscheint die eigene Schule „korrekt“. Melissa spricht an dieser Stelle weiter, indem sie auf den anderen Schulteil ihrer Schule verweist, der einige Minuten entfernt von ihrem Schulstandort liegt, und in dem analog zu ihrem auch zweizügig die 5. bis 10. Klassen unterrichtet werden: Mw:

(.) also die die die Schule gehört ja mit der Steinstraße zusamm und die Str- äh die Steinstraße die is richtich schlimm das-die is schlimmer als also da sin ja Rm: die is richtich aso Alter boahh

9

Zu den verwendeten Transkriptionszeichen: Das Zeichen (.) bedeutet eine kurze Sprechpause, die nicht länger als 1 sec. anhält; bei längeren Pausen gibt die Zahl zwischen den Klammern die Zeitdauer an. Unterstrichene Wörter sind besonders betont worden; Text in Klammern weist schwer verständliche Äußerungen aus. Auflachen und Lachen wird durch @ gerahmt, die Dauer des Lachens wird in Sekunden angegeben (z.B. @3@). Wird lachend gesprochen, so werden diese Äußerungen durch @ gerahmt. Das Zeichen verweist auf schnellen Redeanschluss und überlappendes Sprechen mehrerer Sprecher.

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Mw: halt beides gleich (.) wissen Se ja I: hmm Mw: und die soll richtich schlimm sein drüben I: hmm Mw: sind auch viele Ausländer (drauf)

(ebd.)

Abgesehen davon, dass hier deutlich wird, dass die Schüler unter der eigenen Schule nur denjenigen Schulteil verstehen, den sie selbst besuchen, interessiert dieser Ausschnitt in Bezug darauf, dass Melissa den schlechten Zustand bzw. den schlechten Ruf des anderen Schulteils damit in Verbindung bringt, dass da „auch viele Ausländer (drauf)“ sind. Einerseits wird der Verweis auf die „Ausländer“ von ihr hier ähnlich stichworthaft in die Runde gebracht wie weiter oben „Drogen Hehlerei und bla bla bla“ – und das ebenfalls im Tenor des „Schlimmen“, also des Abscheulich-Bedrohlichen, aber auch Beklagenswerten. Andererseits erfolgt der Verweis auf die „Ausländer“ hier als ein beispielhafter, quasi als ‚faktischer’ Beleg gerade für die Problematik des Schulteils. Implizit wird von Melissa also den nichtdeutschen Schülern des anderen Schulteils eine Verantwortung für dessen Zustand zugesprochen. Hier erfolgt von ihr eine pauschale stigmatisierende Zuschreibung von delinquenten Eigenschaften an die Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft. Darin kommt einerseits ein gängiges fremdenfeindliches Stereotyp zum Ausdruck; jenes des auf ‚Überfremdungsangst’ verweisenden Klischees der Kriminalitätsfurcht in Bezug auf „Ausländer“. Andererseits zeigt sich eine latente Fremdenfeindlichkeit in der externalisierenden, projizierenden Schuldzuweisung, dass es an den „Ausländern“ liege, dass der andere Schulteil solche Schwierigkeiten hätte; hier kommt den „Ausländern“ eine Sündenbockfunktion zu. Interessant ist nun, wie die anderen der Gruppe – wie gesagt sind hier auch drei Jugendliche mit Migrationshintergrund anwesend – auf diesen Vorwurf reagieren: Aw: Jw: Aw: Jw:

@hier auch@ @(nein)@ @(.)@ @hier auch@

(ebd.)

Es ist zunächst Astrid, wie Melissa eine deutsche Jugendliche, die lachend insistiert, dass es auch in ihrem Schulteil viele Ausländer gäbe. Das heißt, sie reagiert genau auf das Thema des Zusammenhangs von Ausländeranteil und Delinquenzbelastung im schulischen Milieu, dies aber, ohne dass der Zusammenhang an sich explizit thematisiert wird. Implizit entkräftet sie mit ihrem Hinweis das Argument Melissas, dass der hohe Ausländeranteil des anderen Schulteils ein Beleg dafür wäre, dass dieser Schulteil „schlimm“ sei, denn der eigene Schulteil wurde unabhängig davon, wie viele Migranten hier zur Schule gehen, positiv bewertet. Indem sie lachend Stellung bezieht, signalisiert sie Melissa dabei wohlwollend, dass diese mit ihrer Unterstellung wohl nicht ganz ernst zu nehmen sei. Das heißt, Melissa wird hier für die Äußerung eines fremdenfeindlichen Stereotyps nicht angegriffen, wohl aber erfährt ihre Äußerung eine hohe Relativierung. Das Ganze wird gesteigert durch Jeany, die auf Astrids Insistieren zunächst lachend-provokativ das Gegenteil behauptet – dies vor dem Hin-

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

tergrund, dass sie eine Jugendliche mit Migrationshintergrund ist –, bevor sie letztlich Astrids Insistieren bestärkt: Die Zuschreibung Melissas, dass ein „schlimmer“ Zustand einer Schule etwas mit dem Ausländeranteil zu tun habe, wird über den Hinweis, dass auch da, wo man sich wohl fühle, „viele Ausländer“ sind, gründlich irritiert. An dieser Stelle ergreift Tonne, ebenfalls einer der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, das Wort. Er fragt in die Runde, wer von den anwesenden Schülern „Deutscher“ sei, woraufhin sich vier Schüler melden: Tm: Tm: Jw:

wer ist hier Deutscher in der Reihe (6) [Rolf, Astrid, Melissa, Pascal melden sich] boah jaa

(ebd.)

Zunächst ist dies ein Zeichen dafür, dass die Jugendlichen die ethnische Herkunft des Anderen gar nicht unbedingt kennen. Das macht darauf aufmerksam, dass für den alltäglichen Umgang miteinander die Frage der ethnischen Herkunft offensichtlich nicht relevant ist. Die Wahrnehmung des Anderen scheint hier nicht bzw. nicht vordergründig über die ethnisch-nationale Zugehörigkeit als zentrale Leitdifferenz zu verlaufen. Das spaßig-spielerische Ausagieren von Melissas Vorwurf durch Astrid und Jeany erfährt durch Tonnes Frage zudem eine Wendung: Noch immer wird die Frage nach dem Zusammenhang der Delinquenzbelastung des anderen Schulteils und dem Anteil der ausländischen Schüler dort nicht auf einer Metaebene, z.B. als fatale Einstellung von Melissa, thematisiert. Im Unterschied zum bisherigen, spaßhaften Insistieren geht es nun aber um die ernsthafte Klärung der Sachlage. Die Behauptung, dass auch im eigenen, positiv befundenen Schulteil „viele Ausländer“ lernen, soll exemplarisch an der eigenen Gruppe überprüft werden. Die Klärung der strittigen Frage nach dem Zusammenhang von Ausländeranteil und Delinquenzbelastung einer Schule geschieht hier also gegenstandsbezogen: Der Argumentationszusammenhang, den Melissa ausbreitet, wird über die konkrete Veranschaulichung widerlegt; die eigene Gruppe steht für den eigenen Schulteil, und hier sind drei von sieben Schülern solche, die für sich nicht in Anspruch nehmen, „Deutsche“ zu sein – selbst wenn sie, wie Jeany und Tonne, nur einen Elternteil mit Migrationshintergrund haben, hier geboren sind und akzentfrei deutsch sprechen. Melissa wird darüber, dass die ihren Äußerungen implizite Denunziation von Schülern mit Migrationsstatus selbst nicht expliziert wird, nicht angegriffen. Aber das, was sie unterstellt, wird über diese Aushandlung in anschaulicher Weise ad absurdum geführt. Daran, dass sich auf Tonnes Aufforderung hin alle (auch Melissa) beteiligen – sich also als Deutsche melden bzw. als Migranten dies nicht tun – zeigt sich zudem, dass sich die Jugendlichen zueinander komplementär verhalten, sie scheinen aufeinander eingespielt zu sein. Dies setzt sich auch im Weiteren bis zum Ende der Passage fort. Während sich die deutschen Schüler noch melden, fordert Rolf Astrid lachend auf, den Arm herunterzunehmen: Rm: ?m:

Astrid nimm den Finger @runter@ @(.)@ @(.)@

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me: Aw: @aber Rolf du ne Tm: I: Aw:

@(.)@ eine Schande für die Deutschen @(hm)@ @ja@(3)

(ebd.)

Auf Rolfs Einwurf bezieht sich Astrid lachend, indem sie in Frage stellt, dass ausgerechnet er das Recht habe, sich zu melden, und das Ganze mündet schließlich darin, dass Tonne das Geschehen in der Floskel metaphorisch zuspitzt, dass das (Melden von Rolf bzw. der ,Streit‘ der zwei Deutschen) „eine Schande für die Deutschen“ sei. Im scherzhaften Distinktionsversuch von Rolf gegenüber Astrid, der hier spaßhaft abgesprochen wird, ,richtige‘ Deutsche zu sein, zeigt sich, wie von den deutschen Jugendlichen selbst (!) die ethnischnationale Zugehörigkeit als eine Eigenschaft des Einzelnen, die, adäquat einer individuellen Leistung, im Besonderen Anerkennung verdiene, persifliert wird. Genau darauf antwortet auch Astrid, wenn sie hier den Spieß umdreht: Wenn die ethnisch-nationale Zugehörigkeit im Sinne der Anerkennung eines Verdienstes dem Einzelnen gewährt wird und sie ihr nicht zukomme, eben weil sie ihre Nationalität nicht als einen Verdienst vorweisen kann, stehe sie auch Rolf, für den dies ebenfalls zutrifft, nicht zu. Dass die Jugendlichen hier aufeinander eingespielt sind – anders ausgedrückt: dass der Kontakt zueinander von einem Beziehungsmuster geprägt ist, das sich durch gegenseitige Sympathie, Achtung und eine gemeinsame Geschichte auszeichnet –, kommt in dieser Art und Weise, wie sie mit dem Thema der ethnischen Zugehörigkeit und des darauf bezogenen ‚Nationalstolzes’ umgehen, pointiert zum Ausdruck: So setzt, dass sich Rolf einen Scherz mit Astrid erlauben kann, Vertrauen in die Anderen in der Weise voraus, dass diese Rolfs Bemerkung nicht als Ärger-Machen, als Angriff missverstehen. Die Betonung der gegenseitigen Anspielungen liegt hier also im gemeinsamen Spaß und nicht darin, individualisierend und ernsthaft gegeneinander Differenzen zu markieren. Dabei sind es jeweils nur kleine Hinweise an den Anderen. Das, was an Semantik ‚in der Luft liegt’, wird verstanden: Tonne versprachlicht und verdichtet dies, wenn er in der Doppeldeutigkeit einerseits aus Astrids Perspektive das Melden von Rolf und andererseits aus der Beobachterperspektive den Wortwechsel der beiden Deutschen als „eine Schande für die Deutschen“ bezeichnet. Indem er sich – erst recht als Migrant – eines Schlagwortes rechtspopulistischer Provenienz bedient, bringt er die Persiflage des ‚deutschen Nationalstolzes’ auf den Punkt; alle müssen lachen und das Thema ist beendet. Die Unterstellung, dass die Problembelastung des anderen Schulteils mit dem Anteil seiner Schüler mit Migrationshintergrund zu tun habe, ist hinfällig geworden, und die Frage der ethnischen Zugehörigkeit ist als keine des persönlich-individuellen Verdienstes und insofern als irrelevant herausgestellt worden. Ohne an irgendeiner Stelle explizit zu thematisieren, dass Melissa mit ihrer Äußerung ein gängiges Vorurteil gegenüber Ausländern bedient, und ohne Melissa als Person anzugreifen, ist der stigmatisierende Blick auf die ethnische Zugehörigkeit als Leitdifferenz der Betrachtung von Umwelt obsolet geworden. Damit zeigt sich etwas in dieser Sequenz, das wir auch in anderen Zusammenhängen in

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

Bezug auf die Klasse, der diese Jugendlichen angehören, herausarbeiten konnten (vgl. hierzu Wiezorek in Druck): dass die Schüler hier achtungsvoll miteinander umgehen. Die Schulklasse als Zwangsgemeinschaft einerseits und als Peerzusammenhang andererseits ist hier zu einer Klassengemeinschaft fusioniert, die sich durch das Bemühen der Schüler um ein harmonisches, konfliktfreies Miteinander und durch den Bezug auf den Einzelnen unter der Betonung der Gemeinschaft auf der Basis grundlegender Achtung auszeichnet. Der Ausschnitt aus der Gruppendiskussion illustriert dabei, dass sich dies auch bzw. gerade im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten bzw. den Eigenheiten von Mitschülern zeigt. Metaphorisch kommt die Beziehungsqualität dieser Schulklasse – die stark über das Agieren der Klassenlehrerin entstanden ist (vgl. ebd.) – in der Aussage einer Schülerin zum Ausdruck: „Wir sind die beste Klasse der Welt!“ (Beobachtungsnotiz vom 8.10.03, HS Unterfeld).

4 Zur Bedeutung der Qualität interethnischer Kontakte im Hinblick auf die Vorbeugung fremdenfeindlicher Haltungen Auch wenn die Ergebnisse der quantitativen und der qualitativen Analyse auf unterschiedlichen Ebenen lagern – während die ersten auf einer standardisierten Repräsentativbefragung beruhen, sind die zweiten aus einer exemplarischen Fallrekonstruktion gewonnen –, lassen sich nach unserer Ansicht diese Ergebnisse aufeinander beziehen. Als Resultat der quantitativen Analyse zum Zusammenhang von fremdenfeindlichen Stereotypisierungen und interethnischen Kontakten von Jugendlichen in der Lebenswelt Schule kann dabei festgehalten werden: • • •

dass die Kontaktmöglichkeiten und die Kontakterfahrungen im Gegensatz zu den anderen unabhängigen Variablen die höchsten Effekte hinsichtlich des Vorhandenseins von fremdenfeindlichen Einstellungen zeigen; dass sich hinsichtlich des Einflusses von Kontaktmöglichkeiten auf die fremdenfeindlichen Einstellungen deutscher Jugendlicher insbesondere Freundschaften als bedeutend erweisen, und dass die Effekte zwischen der Qualität der Alltagserfahrungen (positiv oder negativ) und den fremdenfeindlichen Einstellungen von deutschen Jugendlichen die stärksten Beziehungen aller einbezogenen Variablen in diesem Modell aufweisen.

Diese Ergebnisse haben zu einer spezifischen Fragestellung für die qualitative Analyse geführt: Wie kommt – gerade in Bezug auf die Verhandlung von Ausländerstereotypen – in der konkreten Interaktion von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund die Qualität des Kontaktes zum Ausdruck? Hier hat die exemplarische Fallrekonstruktion gezeigt:

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• • • •

dass die implizit fremdenfeindliche Äußerung von Melissa von den Anderen deutlich als Vorurteil gegenüber Ausländern wahrgenommen, aber nicht als Ausdruck einer festen fremdenfeindlichen Haltung angesehen wird; dass, während der von Melissa unterstellte Zusammenhang zwischen der Problembelastung des anderen Schulteils und dessen Anteil an Migrantenjugendlichen widerlegt wird, die Anklage ihrer Person vermieden wird; dass die ethnische Zugehörigkeit für die Schüler in ihrem alltäglichen Umgang offenbar nicht von Bedeutung ist, sowie dass sowohl die Art und Weise, wie die Mitschüler auf Melissa reagieren, als auch der Wortwechsel zwischen Rolf und Astrid, der durch Tonne ironisch gesteigert wird, auf eine Kontaktqualität verweisen, die sich durch die Achtung des Anderen sowie einen freundschaftlichen Umgang miteinander auszeichnet. Dieses Ergebnis wird durch weitere Rekonstruktionen zu den schulischen Anerkennungsbeziehungen der Schulklasse, der die Jugendlichen angehören, gestützt (Wiezorek in Druck).

Unsere Ergebnisse zeigen damit einerseits übereinstimmend, wie bedeutsam die Qualität der Kontakte und Interaktionen zwischen Schülern im Hinblick auf die Vorbeugung fremdenfeindlicher Einstellungen ist. Durch die qualitative Analyse wird exemplarisch deutlich, dass dem achtungsvollen, nicht abwertenden oder zurechtweisenden Umgang miteinander hohe Bedeutung zuteil wird. Gleichsam wurde hier eine Beziehungsqualität im Detail sichtbar, die der freundschaftlicher Beziehungen ähnlich ist. Andererseits macht die Fallrekonstruktion darauf aufmerksam, dass die Stereotypisierungen, die wir in der quantitativen Untersuchung als Einstellungen gegenüber Fremden messen, nicht mit verfestigten rechtsextremen Haltungen gleichzusetzen sind. Hier zeigte sich, dass die Äußerung Melissas nicht einfach Ausdruck einer fremdenfeindlichen Gesinnung ist. Anzunehmen ist, dass Jugendliche eher Vorurteile unreflektiert übernehmen, die sie aus ihrem sozialen Umfeld beziehen. Die Interaktion zwischen den Jugendlichen zeigt dabei, dass die Verhandlung solcher Vorurteile ohne die Abwertung desjenigen, der sie äußert, möglich ist. Das bedeutet auch, dass Schulen über die Entwicklung einer achtungsvollen Schulkultur durchaus Einfluss darauf haben können, inwiefern aus vorurteilslastigen Äußerungen tatsächlich fremdenfeindliche Haltungen entstehen. Deutlich wurde über die Fallrekonstruktion zudem, dass die Differenzierung der Jugendlichen nach ihrem Migrationsstatus, der wir hier gefolgt sind, der Eigenwahrnehmung der Jugendlichen nicht ohne weiteres entspricht. Schließlich irritiert der – wenngleich so nur mit Vorsicht zu verallgemeinernde – qualitative Befund, dass es jugendliche Hauptschüler sind, die sich souverän mit einer fremdenfeindlichen Äußerung auseinandersetzen, den bekannten Befund der Abhängigkeit fremdenfeindlicher Einstellungen vom Bildungsgrad. Der quantitative Befund, dass das Vorhandensein fremdenfeindlicher Einstellungen vor allem von Kontakten zwischen deutschen Jugendlichen und jugendlichen Migranten abhängt, bestärkt diese Irritation insofern, als das hier sichtbar wurde, dass weitere Faktoren das Vorkommen von Fremdenfeindlichkeit beeinflussen. Und hieraus ergeben sich weiterführende Anfragen an die eigenen Analysen (Wiezorek/Fritzsche in Druck).

Interethnische Kontakte und Ausländerstereotype von Jugendlichen

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74 Sylke Fritzsche & Christine Wiezorek Reinders, H. (2004): Entstehungskontexte interethnischer Freundschaften in der Adoleszenz. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 7. Jg., H. 1, S. 121-146. Schrader, A./Nikles, B. W./Griese, H. M. (1979): Die zweite Generation: Sozialisation und Akkulturation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. – Königsstein im Taunus. Sigelman, L./Welch, S. (1993): The contact hypothesis revisted: Black-White interaction and positive racial attitudes. In: Social Forces, 71. Jg., H. 3, S. 781-795. Wagner, U./van Dick, R./Endrikat, K. (2002): Interkulturelle Kontakte. Die Ergebnisse lassen hoffen. In: Heitmeyer, W. (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 1. – Frankfurt am Main, S. 96-109. Wiezorek, C. (in Druck): Die Schulklasse als heimatlicher Raum und als Ort der Einübung demokratischer Haltungen. In: Helsper, W./Krüger, H.-H./Fritzsche, S./Sandring, S./Wiezorek, C./Böhm-Kasper, O./Pfaff, N. (Hrsg.): Unpolitische Jugend? Eine Studie zum Verhältnis von Schule, Anerkennung und Politik. – Wiesbaden. Wiezorek, C./Fritzsche, S. (in Druck): Migration, Fremdenfeindlichkeit und Bildung. In: Geisen, T./Riegel, C. (Hrsg.): Jugend im Kontext von Migration. – Frankfurt am Main.

Schwerpunkt

Interethnische Freundschaften, interethnische Partnerschaften und soziale Integration Sonja Haug

Zusammenfassung Der Beitrag befasst sich mit interethnischen Beziehungen als Indikator der sozialen Integration. Theoretischer Ansatzpunkt für die Erklärung der Freundes- und Partnerwahl sind Gelegenheitsstrukturen, Ressourcenausstattung und ethnische Präferenzen. Datenbasis ist der Integrationssurvey des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, eine Befragung von 18- 30Jährigen mit deutscher, italienischer und türkischer Abstammung sowie das Sozio-ökonomische Panel. Mit Methoden der Netzwerkanalyse werden interethnische Freundschaften und die ethnische Homogenität der Freundesnetzwerke untersucht. Generell haben Italienischstämmige häufiger als Türkischstämmige deutsche Freunde. Deutsch-Italiener haben häufiger Freundschaftsbeziehungen zu Deutschen als Deutsch-Türken; sie weisen ein hohes aufnahmelandspezifisches soziales Kapital und ein hohes Ausmaß sozialer Integration auf. Die Untersuchung der Partnerschaften zeigt, dass anhand der zunehmenden deutsch-türkischen Eheschließungen die interethnische Partnerwahl überschätzt wird. Im Gegensatz zu DeutschItalienern erweist sich die Partnerwahl von Türken und Deutsch-Türken in der Regel als intraethnisch. Eine Erklärung für Unterschiede zwischen Deutsch-Italienern und DeutschTürken könnte der intergenerationale Ressourcentransfer sein. Schlagworte: Migranten, Integration, soziale Netzwerke, Freundschaft, Partnerschaft

1 Soziales Kapital und soziale Integration – Einleitung Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung ist es, einen Beitrag zur Erforschung der sozialen Integration im Migrationskontext zu leisten. Theoretischer Ausgangspunkt für die Analyse ist der Zusammenhang zwischen der Ausstattung mit sozialem Kapital und der sozialen Integration. Soziales Kapital wird definiert als Ressource, die sich aus der sozialen Einbettung in ein Beziehungsnetzwerk ergibt (Haug 2000, S. 96). In der internationalen Migrationsforschung hat sich soziales Kapital als Ergänzung zu ökonomischen Erklärungsansätzen bewährt (Espinosa/Massey 1997; Portes/Sensenbrenner 1993; Faist 1997; Haug 2000). Auch in der soziologischen Integrationsforschung gibt es Ansätze für die Verwendung des Konzeptes des sozialen Kapitals (Nauck/Kohlmann/Diefenbach 1997; Thränhardt 2000; Haug 2002b, 2003b, 2003c, 2004a). Integration wird hier als Angleichung an die Strukturen der Aufnahmegesellschaft definiert; dies kann sich auf strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Aspekte beziehen (Esser 2001, S. 22; Heckmann 2002, S. 343). Die soDiskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 1-2006, S. 75-91

Dr. Sonja Haug, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg

76 Sonja Haug

ziale Integration besteht in der Angleichung der Beziehungsmuster bei Migranten und Einheimischen. Diese Beziehungsmuster können durch Indikatoren der Freundschafts- oder Kontaktnetzwerke gemessen werden (Friedrichs/ Jagodzinski 1999, S. 20). Es wird davon ausgegangen, dass Kontakte zu Personen der Aufnahmegesellschaft notwendige Voraussetzung für die soziale Integration sind. Insofern kann ein geringer Grad an ethnischer Homogenität der Beziehungsnetzwerke als gelungene soziale Integration interpretiert werden, während umgekehrt das Fehlen interethnischer Kontakte bei gleichzeitiger Beibehaltung der Kontakte zu Angehörigen der Herkunftsgesellschaft als „ethnische Segmentation“ (Esser 2001, S. 19, S. 40) bzw. als „ethnische Selbstabgrenzung“ betrachtet wird. Damit ist keine Aussage darüber verbunden, ob soziale Interaktion zwischen Angehörigen ethnischer Minderheiten zu einer Art von „Binnenintegration“ (Elwert 1982) beiträgt. Es wird lediglich von der Annahme ausgegangen, dass soziale Beziehungen mit Angehörigen der Aufnahmegesellschaft Indikator für die Ausstattung mit aufnahmelandspezifischem sozialen Kapital und Bedingung der sozialen Integration sind. Ein Beispiel dafür stellt die Partnerwahl dar. Zuwanderer, die eine Partnerschaft mit einem Deutschen/ einer Deutschen eingehen, werden demnach in höherem Maße als sozial integriert betrachtet als Zuwanderer, die einen Partner/ eine Partnerin gleicher ethnischer Abstammung wählen. Soziale Beziehungen zu Angehörigen der eigenen ethnischen Gruppe werden als herkunftslandspezifisches soziales Kapital definiert. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kontaktpersonen mit gleicher Staatsangehörigkeit und Personen, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit die gleiche ethnische Abstammung haben. Diese Definitionen haben den Vorteil einer höheren Trennschärfe. Erstens kann unterschieden werden zwischen sozialen Beziehungen, die auf den Herkunfts- oder Aufnahmelandkontext gerichtet sind. Zweitens kann auch für Deutsche mit Migrationshintergrund genauer untersucht werden, inwieweit die Kontaktnetzwerke die ethnische Herkunftsgruppe überschreiten. Tabelle 1: Indikatoren der Ausstattung mit sozialem Kapital und der sozialen Integration bei Migranten Staatsangehörigkeit der Freunde/Partner

Soziales Kapital

Soziale Integration

Deutsche Freunde/deutsche Partner

Aufnahmelandspezifisches soziales Kapital

Soziale Integration im Kontext der Aufnahmegesellschaft

Freunde/Partner mit gleicher ethnischer Abstammung

Ethniespezifisches soziales Kapital

Ethnische Homogenität (Index 1), ethnische Segmentation

Freunde/Partner mit gleicher Staatsangehörigkeit

Herkunftslandspezifisches soziales Kapital

Ethnische Homogenität (Index 2), ethnische Segmentation

Deutsche Freunde/Partner und Freunde/Partner mit gleicher ethnischer Abstammung/ Staatsangehörigkeit

Aufnahmelandspezifisches und herkunftslandspezifisches/ethniespezifisches soziales Kapital

Mehrfachintegration

Keine Freundschaften/ Partnerschaft

Kein soziales Kapital

Soziale Isolation

Interethnische Freundschaften, interethnische Partnerschaften und soziale Integration

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die deskriptive Analyse der sozialen Integration im Querschnitt anhand von Freundschaften und Partnerschaften. Nicht berücksichtigt wird, inwieweit Kontakte zu Deutschen und zu Angehörigen der eigenen ethnischen Gruppe gleichzeitig gepflegt werden. Dieser Fall wird als „Mehrfachintegration“ bezeichnet (Esser 2001, S. 19; Nauck/Kohlmann 1998, S. 211; Nauck/Kohlmann/Diefenbach 1997, S. 481). Nicht untersucht wird die Multikulturalität von Freundschaftsnetzwerken (Haug 2003b, 2003c) oder die Mitgliedschaft in Cliquen (Haug 2003b, 2004a).

2 Daten und Methode Mit dem Integrationssurvey des BiB wird ein Datensatz verwendet, der durch das Erhebungsdesign in besonderer Weise ermöglicht, am Beispiel italienischer und türkischer Migranten Effekte der ethnischen Abstammung und der Staatsangehörigkeit zu trennen. Damit wird der Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung eingebürgerter Zuwanderer nachgekommen. Dies ist nach neueren Forschungsergebnissen unerlässlich, um ein negativ verzerrtes Bild der Platzierung von Migranten zu vermeiden (Salentin/Wilkening 2003; Haug 2002a). Die Besonderheit des Integrationssurveys des BiB liegt in einem namensbasierten Stichprobenziehungsverfahren. Dazu wurden die Angehörigen der Zielpopulation anhand eines Namenserkennungsverfahren aus örtlichen Telefonregistern gezogen und mündlich befragt (Mammey/Sattig 2002; Humpert/Schneiderheinze 2000). Der Datensatz besteht aus jeweils etwa 1.200 weiblichen und männlichen Befragten mit deutscher, italienischer oder türkischer Abstammung zwischen 18 und 30 Jahren. Unter den Befragten italienischer Abstammung besitzen 36% die deutsche Staatsangehörigkeit, in der Gruppe der Türkischstämmigen 30%. Die „Deutsch-Italiener“ sind in den meisten Fällen von binationalen Eltern abstammende Doppelstaatsangehörige, die „DeutschTürken“ sind überwiegend Eingebürgerte (Haug 2004a). Das Sozio-ökonomische Panel wurde zu Vergleichszwecken herangezogen (SOEP Group 2001).

3 Interethnische Freundschaften Ein Befund der Integrationsforschung ist die Bevorzugung der eigenen Nationalität und die Persistenz ethnisch homogener Beziehungsnetzwerke (Esser 1990, S. 187; Wimmer 2002, S. 17). Hierbei zeigen verschiedene Studien starke Nationalitätenunterschiede im Ausmaß der interethnischen Kontakte. Türkische Migranten der zweiten Generation sind z.B. weniger sozial integriert als Jugoslawen (Esser 1990). Demgegenüber sind Italiener relativ gut sozial integriert, weisen aber Integrationsdefizite in anderen Bereichen auf (Granato 1995). In der Schweiz sind Beziehungsnetzwerke von Immigranten homogener als die Einheimischer und im Generationenverlauf lässt sich eine Verbesserung der Kontakte zu Einheimischen feststellen (Wimmer 2002).

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78 Sonja Haug

Die Netzwerkgröße ergibt sich aus der Frage „Wie viele gute Freunde/Freundinnen haben Sie außerhalb der Familie?“. Die Zahl der Freunde differiert stark mit der ethnischen Abstammung (vgl. Tab.2): Deutsche haben im Durchschnitt signifikant weniger Freunde als Italienisch- und Türkischstämmige; 75% der Migrantengruppe geben mindestens 10 Freunde an (T-Test, p

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