Differenzielle Lern- und Bildungssettings - 2. Sitzung

Differenzielle Lern- und Bildungssettings - 2. Sitzung Vorlesung (mit Tutorium) im WS 2008/09 Prof. Dr. Renate Girmes, Vertr. Prof. PD Dr. Beatrix Nie...
Author: Reinhold Arnold
1 downloads 0 Views 574KB Size
Differenzielle Lern- und Bildungssettings - 2. Sitzung Vorlesung (mit Tutorium) im WS 2008/09 Prof. Dr. Renate Girmes, Vertr. Prof. PD Dr. Beatrix Niemeyer

23.10.2008

Die 9 Aufmerksamkeiten der Pädagogik und „Aufmerksamkeit“ in der Pädagogik

Die Welt als ein Gefüge von Wirklichkeiten, und (wissenden) Akteuren darin bewegen wir uns ....

Aufgaben/ Programmatiken/ Programme der „Film“ hinter den pädagogischen Oberflächen/ Wirklichkeiten/ Aktionen Positionen, die wir benennen und vertreten, erwachsen aus der Geschichte, aus wirksamen Traditionen, aus persönlichen Entscheidungen - vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Klärungen und geführter Theoretischer Diskurse. Sie lernen solche kennen, dadurch, dass Sie sich (zu zweit) eine Position auswählen und parallel zu den Sitzungen 3-6 der Vorlesung durchdenken.

Sie finden an dieser Stelle chronologisch eingeordnet Positionen/ ProtagonistInnen aus der päd. Tradition - als orientierende Setzungen für heutige Positionen - davon wählen Sie eine/n aus

Die Aufgabe zur Positionenerschließung •

Sie wählen also in der Lernwelt (Ziele/ Setzungen zu Programmatiken) einen Pädagogen/ Pädagogin bzw. eine pädagogische Programmatik aus, dessen/ deren Positionen für ein pädagogisches Aufgabenverständnis/ eine pädagogische Programmatik Sie parallel zu den !Überlegungen in der Vorlesung rekonstruieren wollen.



Stellen Sie diese Position in Hinsicht auf die Programmgesichtspunkte der Dimensionierung für pädagogische Programmatiken dar und überlegen Sie (ansatzweise) die Konsequenzen der beschrieben Programmatik für damit mögliche Lernsettings und für professionelle Akteure darin. Erläutern und begründen Sie ihre Beschreibung/ Darstellung unter Bezug auf die gelesene Literatur. Sie bekommen dafür in den Tutorien ein „Aufschreibangebot“.

Im Zusammenhang mit Programmatiken geht es um grundsätzliche Bedingtheiten und Möglichkeiten pädagogischen Agierens Es geht um Verständnisse/ „Bilder“ dazu, was Menschen sind, welche pädagogische Unterstützung möglich ist, wie Entwicklung/ Lernen/ Psyche/ Sozialität... funktioniert.. Beispielsweise kann man denken... Kinder sind ....faul oder aktiv ....wissbegierig oder gleichgültig.... Manche denken.... Das Gehirn ist ....ein Behälter, ....etwas Konditionierbares, ...ein selbstorganisertes System....

Programme nehmen Bezug auf geltende Orientierungen für Formen der pädagogischen Begegnung Auf die Bedingungen der Menschen und ihrer Entwicklung sollte/ könnte man so antworten: sozialsierend qualifizierend tradierend emanzipierend herausfordernd includierend fördernd/ fordernd .....

Programme realisieren sich in „Erziehungswirklichkeiten“ und deren „Inszenierungen“ von pädagogischen Situationen • In den Sitzungen 7-10 geht um solche inszenierte Gefüge der „Erziehungswirklichkeit - um pädagogische oder pädagogisch relevante „Settings“ » in Institutionen (Schule, Weiterbildung, Kita...) » in informellen Kontexten und in Medien (Zoo, Spielplatz, ...Internetspiel....) » in Institutionen und Kontexten für Menschen mit besonderen Bedingungen, denen man pädagogisch Rechnung tragen sollte (Werkstätten für Behinderte, Förderklassen, ...)

Die Inszenierung verbindet: räumliche, organisatorisch-zeitliche Arrangements - und realisiert damit pädagogische Konzepte als „Settings“... ...als Orte/ Räume/ Einrichtungen mit einer... Gestalt (Struktur/ Organisation/ Verfaßtheit, Raum) AkteurInnen/ Rollen/ „Kultur“/ Atmosphären und Anregungs- und Aktivierungspotenzial Gehalt/ Ausstattung, Curriculum

Auch hier gibt es Bedingtheiten und Möglichkeiten in der Erziehungswirklichkeit/ den Settings.. zum Beispiel.... Schulgesetze, Jugendgesetz,... Bildungsausgaben Bildungsmedien, Bücher, Spiele, Medien Ausbildungsordnungen Professionelle Anforderungen Platz, Zeit, Geld, Engagement Zugangsbedingungen ...

Und es gibt Vorstellungen zur Konzeption von realen Gefügen/Arrangements Diskurse zu „State of the Art“ der Werkzeuge/ Mittel Diskurse zu dem, was gilt/ richtig ist/ funktioniert ! in den verschiedenen Typen pädagogischer Einrichtungen/ Kontexte ! in anderen Ländern ! zu anderen Zeiten ! bezogen auf bestimmte pädagogische Zielgruppen

Programme konkretisieren sich auch in Rollen/ Aktionen/ professionelle Kompetenzen der pädagogischen Akteure Professionelle Pädagogische AkteurInnen treten z.B. auf als... Beobachter Diagnostiker Planer Akteur/ Initiator/ Experimentator/ Kommunikator Denker/ Interpretator/ Evaluator Revisor

Bedingungen der professionellen Akteure können sein .. Eigene Geschichte Engagement Selbstaufgeklärtheit Qualifikation/Mut Grad der Selbstdistanz und Selbstbeobachtung Grad der Selbstreflexion

Als besonders wünschenswerte Orientierungen für das Agieren der pädagogisch professionellen Akteure könnte man finden/ nennen... Empathie Differenziertheit Relevanz Zukunftsfähigkeit Nachhaltigkeit Lernbereitschaft/ Offenheit ....

Über eine (professionelle) Haltungen im (pädagogischen) Umgang mit anderen reden wir heute: und zwar über

Rollen - deren Bedingungen möglichen Orientierungen der professionellen AkteurInnen unter dem Gesichtspunkt der

„Aufmerksamkeit“ in der Pädagogik

Ökonomie der Aufmerksamkeit von Georg Franck (1998)... • ... eine Theorie darüber, was Menschen füreinander in ihren Begegnungen sein wollen • ... wirksam unter den Bedingungen der weitgehenden materiellen Sicherung der Lebensmöglichkeiten der Menschen. • Es entsteht als (neues) Tauschmittel: nämlich „Aufmerksamkeit“, • und damit - so Georg Franck - ein „Mentaler Kapitalismus“, der die gesamte Gesellschaft verändert/ verändern kann.

„Mentaler Kapitalismus“ • ... eine wichtige und eine freundliche Bedingung/ Orientierung/ „Strategie“ des pädagogischen Handelns?! • Sie entscheiden am Ende, wie Sie das sehen.

Theoretisierung des Phänomens Aufmerksamkeit Menschen brauchen Aufmerksamkeit, „weil die Seele der Menschen der Zuwendung so bedarf wie der Leib der körpereigenen Morphine“.

Aufmerksamkeit als Droge „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblaßt der Reichtum neben der Prominenz“.

Menschen wollen eine Rolle im Bewusstsein der anderen Menschen spielen Denn: Die Rolle, die wir im anderen Bewusstsein spielen, ist Bestandteil unsers Selbstbildes. • „Aufmerksamkeit“ ist ein anderer Ausdruck dafür, dass wir leben und nicht nur informationsverarbeitende Maschinen sind. • Wir wünschen uns die Zuwendung der Seele des anderen, weil wir nur so die Welt als bedeutsam erleben, statt sie lediglich als eine Information zu verarbeiten.

Die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ bilanziert also das „Einkommen“ an Aufmerksamkeit; was hier „Einkommen“ heißt, basiert auf der Suche nach der Zuwendung der anderen Seele Schritte im nachfolgenden Denken 1. Wie es funktioniert, wenn es funktioniert 2. Was passiert, wenn es nicht funktioniert? 3. Wie kann man das Funktionieren unterstützen? 4. Pädagogisches Handeln als ein Unterstützungsprogramm für soziale Wohlfahrt im Mentalen Kapitalismus?

1. Wie es funktioniert, wenn es funktioniert Strategien im Umgang mit Aufmerksamkeit

Drei Strategien im Umgang mit Aufmerksamkeit • Angemessener Umgang mit fremder Aufmerksamkeit • Der Respekt vor der Würde des anderen Daseins • Verantwortung - für eigene und anderer Menschen Gefühle

Angemessener Umgang • „Angemessener Umgang mit der Aufmerksamkeit anderer zählt zu dem Schwierigsten, was uns Menschen aufgegeben ist“ (Franck, a.a.O. S. 219) • Es geht um die Suche nach einem moralischer Adäquanz im Wahrnehmen des anderen Fühlens.

Würde des anderen Daseins

• Es geht um die Entwicklung eines Sinns für die Würde des anderen Daseins: „Ohne diesen Sinn bleibt das dem anderen Bewußtsein zugeschriebene Geschehen flach. Damit sich hinter den äußeren Anzeichen die Dramatik eines Seelenlebens auftut, bedarf es eines Sinns wie dessen, der aus Ölfarbe Kunst und aus Tönen Musik macht“ (221)

Verantwortung - für eigene und anderer Gefühle ...durch eine spezifische Ausprägung des Gewissens als Medium des Gefühls für das andere Dasein: „Es wird Zeit, dass unser intuitiver Sinn für das andere Dasein als Organ der Intelligenz gebildet statt nur als innere Anstandsperson respektiert wird“ (222) Damit das gelingt, geht es um eine Arbeit an einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Selbstwertgefühl (durch zuströmende Aufmerksamkeit) und Selbstachtung (durch Übernahme von Verantwortung für die Gefühle der Anderen) - (223)

Verantwortung - für eigene und anderer Gefühle ...durch Verfeinerung der Gefühlskultur „Es ist nicht fein, sich im Bad der zuströmenden Aufmerksamkeit zu räkeln, ohne sichtbar auch die Verpflichtung anzunehmen, die einem aus den glücklichen Umständen erwächst“ (223) Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis von vermitteltem Selbstwertgefühl und unmittelbarer Selbstachtung.

2. Was passiert, wenn es nicht funktioniert? Strategien im Umgang mit einem Mangel an Beachtung

Strategien im Umgang mit einem Mangel an Beachtung und deren Konsequenzen • aus Notwehr: Heruntermachen derer, die einen nicht wertschätzen • Preis der Notwehr: Wahrnehmungseinschränkung, Minderung der Fähigkeit zur Wertschätzungskommunikation, Abwertung der eigenen Person • Folge dieser Notwehr: von der Armut ins Elend

Die Notwehr • „Auch bei der Versorgung mit Beachtung kommt das Fressen vor der Moral“ (224) • Er/Man darf - als Ultima ratio - sich und anderen einreden, dass die seines Verlangens nicht würdig sind, die es mißachten“ (224)

Der Preis der Notwehr • „Das Heruntermachen (...) auch und gerade dann, wenn es das Selbstwergefühl rette, ist es Gift für die Selbstachtung“ (225) • Resultat: Wahrnehmungseinschränkung, Minderung der Fähigkeit zur Wertschätzungskommunikation, Abwertung der eigenen Person

Die Folgen der Notwehr • Wer andere heruntermacht, um sich die Schärfung der eigenen Sinne bei einer misslingenden Beziehung zu ersparen, „schafft sich die Ödnis herbei, die sein beleidigtes Wunschdenken unterstellt. Wer sich das angewöhnt, macht sich selbst uninteressant als Tauschpartner für Aufmerksamkeit“(226) • Resultat: von der Armut ins Elend

3. Wie kann man das Funktionieren unterstützen?

Vorschuss an Vertrauen und Wertschätzung Umkehrung abträglicher Interpretation Mit „Herz“ dauerhaft kurieren

Vorschuss an Vertrauen und Wertschätzung • „Nichts schärft unseren Sinn für das Geschehen im anderen Bewußtsein so sehr wie das großzügige Vorschießen von Vertrauen in dessen Intelligenz“ (226) Es geht darum, das eigene Wertschätzen anzuheben statt es zu senken und Großzügigkeit im Umgang mit Aufmerksamkeit zu beweisen (227)

Umkehrung abträglicher Interpretation

• ... Statt abträglich wohltätig interpretieren - wie es geht, zeigt das Sich-Verlieben - eine Orgie an wohltätiger Interpretation (227) • ... statt Missachtung Kredite an Beachtung gegen: Die „Unterfinanzierung“ des Tauschs an Aufmerksamkeit beenden: also durch Vorschuss/ Kredit wohlmeinender Beachtung das „Einkommen in Aufmerksamkeit“ erhöhen (228)

Mit „Herz“ dauerhaft kurieren „Wir brauchen einen Sprung über den Schatten der gewöhnlichen Abträglichkeit“ Was könnte den Sprung ermöglichen? • Das Herz • Beherztheit • Aufgeben der Herzlosigkeit

Mit „Herz“ gegen die „Unterfinanzierung“ des Beachtungsaustauschs

Herz... •

.. etwas, das wir für andere haben



.. Sinn der urteilt, aber nicht rechnet



.. das nicht zurückhält, sondern öffnet



.. unser „Sinn“ für das andere Dasein

Mit „Beherztheit“ gegen die „Unterfinanzierung“ des Beachtungsaustauschs

Beherztheit • Mut, den Abgrund zwischen eigenem und fremden Fühlen zu überspringen • Vertrauen • Bereitschaft, sich das andere Ergehen etwas angehen zu lassen

Das Aufgeben von „Herzlosigkeit“ hilft gegen die „Unterfinanzierung“ des Beachtungsaustauschs Herzlosigkeit hat Folgen Kein Herz für anderen zu haben • .. macht „häßlich“ • .. im besten Fall „dumpf“ • .. im schlimmen Fall „ekelhaft“ Wer an Herzlosigkeit leidet, muss sich Aufmerksamkeit durch die Verbreitung von Angst und Schrecken holen.

4.

Pädagogisches Handeln als ein Unterstützungsprogramm für soziale Wohlfahrt im Mentalen Kapitalismus?

Pädagogischer Kredit/ Kleinkredit an Aufmerksamkeit als ein Vorbild „moralischer Eleganz“ und als erlernbares und lehrbares Prinzip „sozialer Wohlfahrt?“

(Klein)Kredit an Aufmerksamkeit als ein Vorbild moralischer Eleganz und als erlernbares und lehrbares Prinzip sozialer Wohlfahrt? • „Es gibt nichts, was für die Lebensqualität in einer Gesellschaft so wichtig ist, wie das Herz, das ihre Mitglieder füreinander haben“ (237) Aber: • „Die Weitung des Herzen ist nun freilich keine einfache Kur“ (237).

Pädagogik als die „bestimmte Negation von Herzlosigkeit“ ? • Könnte man verstehen/ sagen: Pädagogik ist die bestimmte Negation der Herzlosigkeit gegenüber der nachwachsenden Generation. Sie fördert die „Moralische Eleganz“ ihrer Professionellen als deren lebbare und gelebte Balance zwischen Selbstwertschätzung und Selbstachtung.

Was meinen Sie?

Auf dem Weg zu sozialer Wohlfahrt: Es braucht Menschen mit diesen Haltungen

• Eine Akzeptanz, ja Unterstützungsbereitschaft für das andere Dasein • die Wertschätzung der Adressierten ohne Vorbedingung • die Vermeidung/ Begrenzung abträglicher Kommunikation/ Interpretation in der zwischenmenschlichen Begegnung • Das ist pädagogisch. Ist das „pädagogisch“?

Auf dem Weg zu „Moralischer Eleganz“ braucht es ...

• Grundsätzliches Wohlmeinen in der zwischenmenschlichen Begegnung • Ursachen für Nicht-Verstehen auch bei sich suchen • Vertrauen in die Überbrückbarkeit von Unverstehen • Bereitschaft, anderen einen „Kredit an Aufmerksamkeit“ zu geben auch solchen Menschen, deren Wertschätzung nicht zu so hohen eigenen Einnahmen an Aufmerksamkeit führt. Wäre das pädagogisch Professionell?

Was wäre der erwartbare Ertrag dieser Haltungen im professionellen pädagogischen Umgang?

Zwei Steigerungen: • ... Steigerung des Niveaus der „sozialen Wohlfahrt“ in der Kommunikation zwischen den Generationen • ... Steigerung der „Intelligenz“ des pädagogischen Gegenübers aufgrund „wohltätiger Interpretation“.

Zum Schluss: • Wir haben Interesse an einem hohen Niveau sozialer Wohlfahrt auch in dieser Veranstaltung. • Wir würden uns freuen, gemeinsam mit Ihnen durch wohltätiges Interpretieren Ihre und unsere Intelligenz steigern zu können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit !

Aufgaben für die kommende Woche • Lesen Sie ausgewählte Textabschnitte dazu, was man unter „Lernen“ verstehen kann - verbindlich sind die Texte, die in der Agenda stehen. • Der Flow-Text ist länger - er kann überfliegend gelesen werden. • Halten Sie beim Lesen die Aussagen der gelesenen Texte für sich fest. • Die gelesenen Text können vielleicht Erfahrungen aufklären, die Sie gemacht haben - wenn Ihrem Kopf und seinem Lernen etwas leicht fiel, oder wenn es nicht passte/ ging oder wenn ein Umweg geholfen hat .... Darüber sprechen Sie im Tutoriat/ Seminar in der kommenden Woche - nach der Vorlesung. • Parallel überlegen Sie, was der von Ihnen gewählte pädagogische „Klassiker“ bzw. die ausgesuchte Position für explizite oder implizite Annahmen zu „Lernen“/ Lernlust und -frust macht.