DIE ZUKUNFT DER THEOLOGIE IM DIALOG DER RELIGIONEN UND WELTANSCHAUUNGEN von

LEONARD SWIDLER

Übersetzt von ULRIKE WIETHAUS UND ALFONS H. TEIPEN

VERLAG FRIEDRICH PUSTET CHR. KAISER VERLAG 1992 Hypertext version copyright © 2002 by Ingrid Shafer. Reproduction, publication, and distribution limited to purposes of study, teaching, and academic research. Conditions: Copyright in the underlying marked up html files which implement the hypertext features of this World Wide Web site is held by Ingrid Shafer. Distribution of this version on the Internet, does not constitute consent to any use of the underlying hypertext markup for commercial redistribution either via the Internet or using some other form of hypertext distribution.

INHALT EINLEITUNG 1. DIALOG 2. WARUM DIALOG ENTSTAND a) Die Historisierung der Wahrheit b) Praxis Orientierung c) Die Soziologie des Wissens d) Die Grenzen der Sprache e) Hermeneutik f) Dialog 3. PARADIGMENWECHSEL 4. GRUNDREGELN FÜR DEN INTERRELIGIÖSEN UND INTERIDEOLOGISCHEN DIALOG 5. PRAKTIZIERTER DIALOG 6. TIEFER--ODER “SPIRITUELLER” DIALOG 7. WER SOLLTE DIALOG FÜHREN? 8. EINE UNIVERSAL-SYSTEMATISCHE REFLEKTION (THEOLOGIE) ÜBER RELIGION/IDEOLOGIE

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16 9. “ÖKUMENISCHES ESPERANTO” 10. ZIELE DES INTERRELIGIÖSEN UND INTERIDEOLOGISCHEN DIALOGS 11. DIALOGSTHEMEN 12. WANN MAN DIALOG FÜHREN SOLL--UND WANN NICHT 13. EIN ERFÜLLTES MENSCHLICHES LEBEN 14. EIN CHRISTLICHES EXPERIMENT IN “ÖKUMENISCHEM ESPERANTO” a) Jeschua, die primäre Norm für das Christentum b) Das “Ich” und radikale Offenheit c) Stufen der Glaubensentwicklung und interreligiöser/interideologischer Dialog d) “Die Versöhnung der Welt mit Gott durch Christus” 15. SCHLUßFOLGERUNGEN ANMERKUNGEN

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JENSEITS DER ABSOLUTHEIT AUF DEM WEG ZU EINER UNIVERSALEN THEOLOGIE DER RELIGIONEN Eine theologische Reflektion ist eine Tiefenreflektion über Aspekte einer Beziehung zwischen Menschen einerseits, der Quelle und dem Ziel menschlichen Lebens andererseits, und dem, was dazwischen liegt (Theisten halten Gott, theos, für die Quelle, die Stütze und das Ziel allen menschlichen Lebens; daher nennen wir ist eine solche Reflektion theo-logisch.) Diese theologische Reflektion wird hier von einem katholischen Christen unternommen und ist deshalb unvermeidbar durch seinen katholischen Hintergrund beeinflußt. Gleichzeitig aber ist diese Reflektion bewusst katholisch - im ursprünglichen Sinne des Wortes -: Sie versucht, so katholisch d.h. “allumfassend” wie möglich zu sein. So werden als mögliche Zuhörer nicht nur Katholiken, sondern alle Christen, alle Theisten und alle Nicht-Theisten, die an einen Lebenssinn jenseits des Alltäglichen und jenseits allzu vergänglicher individueller und gemeinschaftlicher Ziele glauben, ins Auge gefaßt. Das Ausschlaggebende dieser Reflektionen ist, daß weder Katholiken noch Christen noch Theisten allein zu einem vollen Verständnis und einer Verwirklichung des Zieles menschlichen Lebens gelangen können. In der Vergangenheit wurde von allen solch eine “splendid isolation” als möglich und sogar notwendig bewertet. Heutzutage trifft dies nicht mehr zu; man kommt zu der Erkenntnis, daß nur durch Dialog Einsicht in den Sinn des Lebens und dessen Verwirklichung erreicht werden kann - eine Einsicht, die sich unbegrenzt ausdehnt im Prozess des Dialoges. Ich möchte in diesen Überlegungen argumentieren, daß interreligiöser Dialog die angemessenste Matrix repräsentiert, in der Denker systematisch über Erklärungen des letzten Sinnes menschlichen Lebens und einer damit in Einklang stehenden Lebensform (von Christen “Theologie” genannt) reflektieren können. In der Vergangenheit basierten die meisten Eklärungsvewrsuche dieser Art auf dem Glauben an etwas, das das Menschsein und die Welt tranßendiert und daher traditionel das “Tranßendente” oder “Göttliche” genannt wurde-Theravada Buddhismus ist hier nur vielleicht eine Ausnahme-; solche Erklärungensversuche wurden in den letzten Jahrhunderten im Westen “Religionen” genannt. Die zeitgenössischeren Erklärungen des letzten Sinns des Lebens und eines ihm angemessenen Lebenstils, die nicht den Glauben an eine Gottheit miteinschließen-wie zum Beispiel der Marxismus-, wurden gelegentlich “Ideologien” genannt; so sprach z.B. der Weltrat der Kirchen vom “Dialog mit Menschen anderen Glaubens und anderer Ideologien”. Diese Terminoligie werde ich hier ubernehmen. 1 Nach einer kurzen Beschreibung dessen, was mit “Dialog” gemeint ist, werde ich kurz den neuen Prozeß der Deabsolutisierung unseres Wahrheitsverständnisses und dessen Konsequenz, namentlich die Möglichkeit und Notwendigkeit des Dialogs, skizzieren. Wenden wir diese Befunde in der Theologie an, so folgt das Bedürfnis zu interreligiösem Dialog, zu dem ich einige grundlegende, notwendige Regeln vorstellen möchte. Die Schlußfolgerung wird sein, daß heute keine systematische Analyse - einschließlich der christlichen Theologie von der Matrix des interreligiösen Dialogs absehen kann.

1. DIALOG Dialog ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen mit voneinander abweichenden Anschauungen mit dem primären Ziel, daß jeder Teilnehmer vom anderen lernt, um sich zu ändern und innerlich zu wachsen. Wir treten deshalb in den Dialog, damit wir lernen können, damit wir uns ändern und weiten können - und nicht, damit wir dem anderen Veränderung aufzwingen. Begegneten wir in der Vergangenheit Menschen, die sich von uns in ihren religiösen und ideologischen Überzeugungen unterschieden, so versuchten wir gewöhnlich, sie entweder sofort als Gegner zu schlagen oder mehr über sie zu erfahren, aber auch das nur, um effektiver mit ihnen argumentieren zu können. Mit anderen Worten, wir traten gewöhnlich Menschen mit anderen Auffassungen in der Konfrontation gegenüber - manchmal mit größerer, unverschleierter Polemik, manchmal eher subtil, aber gewöhnlich letztendlich mit dem Ziel, den anderen zu überwältigen, weil wir überzeugt waren, daß wir allein die Wahrheit besaßen. Das aber trifft nicht das Wesen des Dialogs. Ein Dialog ist keine Debatte. In einem Dialog müssen Partner einander zuhören - so offen und sympathetisch als irgend möglich in dem Versuch, die Position des Gegenübers so präzise und, insofern dies möglich ist, von innen heraus zu verstehen. Solch eine Haltung schließt automatisch die Annahme ein, daß wir an jedem beliebigen Punkte die Position des Partners so überzeugend finden, daß, würden wir mit Integrität handeln, wir unsere Position zu ändern hätten. Bis vor kurzem war in fast allen religiösen Traditionen, und sehr entschieden so im Christentum, die Idee, religiöse und ideologische Weisheit, Einsicht und Wahrheit mit Hilfe des Dialogs zu suchen, und zwar anders als in nur rudimentärer und einleitender Weise, weitestgehend unbekannt und hatte mit Sicherheit keinen Einfluß auf Entwicklungen innerhalb dieser religiösen und ideologischen Gemeinschaften. Und noch viel weniger wurde daran gedacht, religiöse und ideologischen Wahrheit im Dialog zwischen verschiedenen Religionen und Ideologien zu suchen. Zum Beispiel ist es erst 150 Jahre her, daß Papst Gregor XVI diese schicksalsmächtigen Zeilen schrieb: Nun kommen Wir zu einem weiteren überreichlichen Quell von Übeln, unter denen leider the Kirche heute so schwer leidet. Wir meinen die Gleichgültigkeit, den Indifferentismus, jene verkehrte Ansicht, welche die Schlauheit der Bösaen überallhin verbreitet hat, man könne durch jedes beliebe Glaubensbekenntnis das ewige Heil erlangen, wenn nur das sittliche Leben nach der Regel des Rechten und Anstäntigen ausgerichtet werde.... Aus diesem giftigen Brunnen fließt das Prinzip (deliramentum), daß wir jedem Enzelnen die Freiheit des Gewissens zusichern und garantieren müssen. 2 Nicht nur wurde der Dialog mit dem Andersdenkenden verboten, sondern auch das Anderssein selbst! Heute hat sich die Situation dramatisch gewendet. Kein Geringerer als Papst Paul VI verkündete in seiner ersten Enzyklika, auf den Dialog abzielend, im Jahre 1964: Dies is eine Forderung, die sich aus der heutigen allgemeinen Art ergibt, das Verhältnis zwischen dem Heiligen und dem Profanen aufzufassen; sie ergibt sich aus dem Dynamismus, der die moderne Gesellschaft ergriffen hat; aus der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen; aus ger Größeren Reife des Menschen, mag er religiös oder nichtreligiös sein, die ihn durch

Erziehung und Kultur heute zum Denken, zum Sprechen und zur würdigen Führung eines Dialogs befähigt.3 Wir hören weitere offizielle Worte der Ermunterung vom Sekretariat des Dialogs mit den Nicht-Glaubenden im Vatikan: “Daher müssen alle Christen je nach ihrer Fähigkeit den Dialog zwischen Menschen aller Schichten fördern, asl Pflicht Brüderlicher Liebe, wie sie unserer Zeit des Fortschritts und der Mündigkeit angemessen ist.” Und weiter: “Die Bereitschaft, sich in einem Dialog zu engagieren ist das Maß und die Stärke dieser allgemeinen Erneuerung, welche in der Kirche ausgeführt werden muß.” Über dies ist dieser Dialog nicht allein auf “praktische” Angelegenheiten bezogen gedacht, sondern soll sich in maßgeblicher Weise auf Theologie und Doktrin konzentrieren und zwar ohne Verzögerung oder Furcht: Der Dialog über Doktrinen sollte mit Mut und Ehrlichkeit initiiert werden, mit dem größtmöglichen Maß an Freiheit und mit Ehrerbietung. Er konzentriert sich auf doktrinäre Fragen, welche den teilnehmenden Parteien von Wichtigkeit sind. Zwar haben sie unterschiedliche Meinungen, aber mit gemeinsamer Anstrengung streben sie danach, gegenseitiges Verstehen zu verbessern, Übereinstimmungen zu vertiefen, und, wenn möglich, die Gemeinsamkeiten zu vergrößern. Auf diese Weise können die Teilnehmer des Dialogs sich gegenseitig bereichern.4 2. WARUM DIALOG ENTSTAND Warum diese dramatische Wende? Warum, in der Tat, sollte jemand die Wahrheit in dem Gebiete der Religion und der Ideologie mit Hilfe des Dialogs suchen? Man kann sicherlich mit Recht auf eine Zahl jüngsten Entwicklungen hinweisen, die zu der Entstehung des Dialogs beigetragen hat, so z.B. das Wachstum von Massen- bildung, -Kommunikationen und -Reisen, das Entstehen einer globalen Welt-Wirtschaft, und die Angst vor einer drohenden globalen Zestörung. Nichtsdestotrotz liegt eine grundlegendere Antwort auf diese Fragen in der noch dramatischeren Veränderung des Verstehensprozeß von Wahrheit. Ein Paradigmenwechsel hat stattgefunden; die Art und Weise, in der Menschen die Welt wahrnehmen und beschreiben, hat sich im 19. und 20. Jahrhundert grundlegend geändert, zuerst in der westlichen Zivilisation (und nun auch in anderen Kulturkreisen). Dieser Paradigmenwechsel ermöglicht Dialog nicht nur, sondern macht Dialog sogar nötig. Ein Paradigma ist ein Modell, die Gruppierung von Voraussetzungen, durch die Phänomene wahrgenommen und erklärt werden. So erklärte z. B. das geozentrische Paradigma für lange Zeit die Bewegungen der Planeten. Der Wechsel zu einem anderen Paradigma hat grosse Auswirkungen, so wie z. B. der Wechsel zum heliozentrischen Paradigma unser Verständnis von der Bewegegung der Planeten revolutionierte. Während das Verständnis von Wahrheit bis zum letzten Jahrhundert im Westen absolut, statisch, monologisch und exklusiv war, ist es in unserem Jahrhundert deabsolutisiert, dynamisch und dialogisch - in einem Wort: relational - geworden. Diese neue Sicht der Wahrheit wuchs aus mindestens sechs verschiedenen, aber eng aufeinander bezogenen Ansätzen. Ich werde sie auflisten und kurz beschreiben und dann etwas ausführlicher diskustieren: 0) Bis zum 19 Jhdt. wurde in Europa Wahrheit, d.h. Aussagen über die Wirklichkeit, in einer absoluten, statischen, exklusivistischen Weise verstanden als ein “entweder-oder”.

Aussagen, die als der Wahrheit entsprechend anerkannt worden waren, galten für ewige, unumstössliche Wahrheiten; und dies nicht nur im Bereiche der Empirie, sondern ebendso im Bereich der Werturteile. Dies ist eine klassizistische oder absolutistische Sicht der Wahrheit. 1) Im neuzehnten Jahrhundert änderte sich dieses Verständnis. Wissenschaftler gelangten zu der Einsicht, daß Aussagen über die Wahrheit der Bedeutung von etwas unter anderem als das Ergebnis seiner historischen Umstände gesehen werden muss; nur indem die Wahrheitsaussagen in ihre historischen Situationen gestellt wurden, also ihr historischer Sitz im Leben berücksichtigt wurde, konnten sie wirklich verstanden werden. Aussagen über die Bedeutung von Dingen wurden in Bezug auf ihre Geschichte deabsolutisiert. Dies ist eine historische Sicht der Wahrheit. 2) Später wurde bemerkt, daß unseren Fragen Absichten zugrunde liegen. Wir fragen, um zu Wissen oder Wahrheit zu gelangen und dementsprechend unser Leben gestalten zu können; dies ist eine praktische oder intentionale Sicht der Wahrheit; das heisst, Aussagen über Wahrheit müßen in Beziehung zu der handlungsorientierten Absicht des Denkers verstanden werden. 3) Zu Anfang dieses Jahrhunderts entwickelte Karl Mannheim seine sogenannte “Wissenssoziologie”. Sie stellt heraus, daß jede Aussage über Wahrheit perspektivisch ist, denn jede Wirklichkeit wird vermittels einer kulturellen, klassen-spezifischen, geschlechtsspezifischen, usw. Perspektive des Betrachters erfahren. 4) Ludwig Wittgestein und viele andere Denker haben die Grenzen der menschlichen Sprache thematisiert. Jede Beschreibung der Wirklichkeit kann notwendigerweise nur partiell sein, denn obwohl Wirklichkeit von einer fast unbegrenzten Anzahl von Perspektiven wahrgenommen werden kann, kann die menschliche Sprache Wirklichkeiten nur von einer oder bestenfalls von ein paar wenigen Perspektiven zur Zeit ausdrücken. Diese Unvollständigkeit und Begrenzheit aller Sprache wird unvermeidbar noch stark intensiviert, wenn man versucht, über das Tranßendente zu sprechen, das per Definition “darüber hinausgeht”. 5) Gegenwärtige hermeneutische Wissenschaft betont, daß alles Wissen interpretiertes Wissen ist. Das bedeutet, daß in allem Wissen ich es bin, der zu diesem Wissen gelangt; das Objekt kommt zu mir auf eine bestimmte Weise, nämlich durch die Linse, die ich benutze, um es zu betrachten. Diese interpretierende Sicht der Wahrheit kommt schon in Thomas von Aquin’s Denken zum Ausdruck: “Gewußte Dinge sind in dem Wissenden gemäß der Eigenschaft des Wissenden.” (Summa Theologiae, II/II, Q. 1, a. 2) 6) Entwickelt wir diesen Ansatz weiter, so kommen wir zu der Einsicht, dass Wirklichkeit nur in der Sprache, die wir ihr geben, zu uns “spricht”. Die “Antworten”, die ich von der Wirlichkeit erhalte, werden immer in der Sprache, in den Denkkategorien der von mir an sie gerichteten Fragen sein. Wenn manchmal die Antworten, die ich erhalte, verwirrend und unbefriedigend sind, so muß ich wahrscheinlich lernen, eine treffendere Sprache zu sprechen, wenn ich Fragen an die Realität stelle. Wenn ich zum Beispiel frage, “Wie weit ist gelb?”, werde ich natürlich eine un-sinnige Antwort erhalten. Oder wenn ich Fragen über Lebewesen in mechanischen Kategorien stelle, werde ich verwirrende und unbefriedigende Antworten erhalten. Ähnlich wird es mir ergehen, wenn ich in Bezug auf Fragen menschlicher Sexualität Kategorien benutze, die allein physisch-biologisch sind: Schauen Sie sich die Absurdität der Antwort an, daß Geburtenkontrolle vom Naturgesetz verboten sei - die zugrundeliegende Frage geht fälschlich davon aus, daß die Natur des Menschen allein

physisch-biologisch ist. Ein Verständnis von Wahrheit, das dem Verhältnis zwischen Frage und Antwort gerecht zu werden sich bemüht, nennen wir ein Dialogisches Verständnis. a) Die absolutistische Sicht der Wahrheit Im Europa vor dem 19. Jahrhundert wurde Wahrheit, das heißt eine Aussage über die Wirklichkeit, in absoluten, statischen und exklusivistischen Kategorien des “entweder - oder” konzipiert: Was einmal als wahr anerkannt wurde, hatte für immer als wahr zu gelten. Dieses Wahrheitsverständnis bezog sich nicht allein auf das Feld Empirie, sondern dominierte Wissenschaft im allgemeinen. So wurden auch Aussagen über Bedeutungßusammenhänge oder normative Wahrheiten des “So-Sein-Sollens” absolut gesetzt; ein “So-Sein-Sollen”, so wurde behauptet, das von ihnen ausstrahle. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Wenn der Urheber der paulinischen Schriften im ersten Jahrhundert feststellte, daß Frauen in der Kirche schweigen sollten, dann galt es als ewiggültige Wahrheit, daß Frauen in der Kirche zu schweigen hatten; oder wenn Papst Bonifaz VIII im Jahre 1302 in definitivem Tone als seine Erkenntnis von Wahrheit konstatierte: “Wir deklarieren, legen fest und definieren, daß es für die Erlösung aller menschlichen Wesen absolut notwendig ist, sich dem römischen Pontiff zu unterwerfen”, dann galt auch diese Wahrheit als unumstösslich-ewiglich. Letztlich basierte diese Wahrheitsdefinition auf dem aristotelischen Prinzip des Widerspruchs: etwas kann nicht zur gleichen Zeit in gleichem Maße wahr und nicht wahr sein. Wahrheit wurde mit Hilfe des Ausschlußes definiert: A war A, weil gezeigt werden konnte, daß es nicht nicht-A war. In solcher Weise wurde deshalb Wahrheit in absolutem, statischem, und exklusivistischem “entweder-oder” Sinne verstanden. Dies ist eine klassizistiche oder absolutistische Sicht der Wahrheit. b) Die Historizierung der Wahrheit Im 19. Jahrhundert erkannten viele Wissenschaftler, daß Aussagen über die Wahrheit von Bedeutungßusammenhängen unter Einbeziehung ihrer historischen Umstände zu betrachten seien. Das führte zu der Einsicht, daß das analysierte Studienobjekt in spezifischen intellektuellen Kategorien (zum Beispiel in abstrakt-platonische oder konkret-legalistische Sprachmuster) oder in spezifischen literarischen Formen (zum Beispiel mythische oder metaphysische) oder aber in spezifischen psychologischen Mustern (zum Beispiel als polemische Reaktion auf einen bestimmten Angriff) eingebettet ist. Man argumentierte, daß Aussagen über Wahrheit nur verstanden werden können, wenn sie in ihrer historischen Situation, ihrem geschichtlichen Sitz im Leben gesehen werden. Würde man den gleichen Sinn in einem späteren Sitz im Leben zum Ausdruck bringen wollen, so würde man eine proportional veränderte Formulieruug benötigen. So wurden alle Aussagen über Bedeutungßusammenhänge als deabsolutisiert in Bezug auf die zeitliche Dimension gewertet. Dies ist eine historische Sicht der Wahrheit. Ganz offensichtlich liegt dieser Sicht ein Konzept von Relationalität zugrunde; das heißt, eine Aussage über die Wahrheit muß in der Beziehung zu ihrem historischen Kontext gesehen werden. c) Praxis Orientierung

Später, besonders in den Werken von Denkern wie Max Scheler und Karl Mannheim, wurde ein weiterer Aspekt hinzugefügt, der nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft betraf. Scheler, Mannheim und andere Denker konzipierten das Wissen um Wahrheit, indem sie das Element der Intentionalität als grundlegende Qualität einführten. Wahrheit ist letztendlich auf das Handeln und die Praxis hin ausgerichtet. Sie argumentierten, daß wir bestimmte Dinge als Fragen wahrnehmen, die beantwortet werden müssen. Wir setzen uns Ziele, um ein bestimmtes Wissen zu erlangen, weil wir diese Fragen beantworten wollen; wir wollen im Einklang mit der Wahrheit leben, im Einklang mit der Bedeutung der Dinge, die wir in der Antwort der selbstgestellten Fragen zu finden hoffen und in dem Gewinn des Wissens, das zu suchen wir uns entschieden haben. So wurde die Wahrheit der Bedeutung der Dinge, wie jeder sie sah, aufgrund der handlungs-orientierten Intentionalität des Denkenden/Sprechenden als deabsolutisiert gesehen. Dies ist eine praxis-orientierte Sicht der Wahrheit, und auch sie ist grundsätzlich relational, das heißt, eine Aussage muß in Relation zur handlungs-orientierten Intention des Sprechenden verstanden werden. d) Die Soziologie des Wissens Im Zuge eines historisch deabsolutierten Verständnisse von Aussagen über die Wahrheit von Bedeutungßusammenhängen begannen in diesem Jahrhundert ebenso Bewegungen, die diese Aussagen als deabsolutisiert von kulturellen, klassenspezifischen und anderen deterministischen Standpunkten des Denkenden/Sprechenden aus betrachteten, und ganz von dem zeitlichen Aspekt absahen. In diesem Kontext ist eine Aussage über die wahren Bedeutung-zusammenhänge zum Teil durch die Weltanschauung des Denkenden/ Sprechenden bedingt. Alle Wirklichkeit würde, so behauptete man, aus der kulturellen, der klassen - und geschlechtsspezifischen etc. Perspective des Wahrnehmenden erfaßt. Deshalb müsse jegliche Aussage über die Wahrheit von Bedeutungßusammenhängen als perspektivisch, standortgebunden, wie Karl Mannheim sagt, gewertet und konsequenterweise deabsolutisiert werden. Dies ist eine perspektivische Sicht der Wahrheit, die zugleich relational ist, da alle Aussagen fundamental auf den Standpunkt des Sprechenden hin bezogen werden. e) Die Grenzen der Sprache Viele Denker (Ludwig Wittgenstein und anderen folgend) kamen zu der Einsicht, daß alle Aussagen über die Wahrheit der Dinge notwendigerweise nur fragmentarische Beschreibungen der Wahrheit, die sie zu beschreiben suchen, sein können. Dies, so wurde postuliert, liege daran, daß die menschliche Sprache Dinge nur von einer oder vielleicht einigen wenigen Perspektiven aus gleichzeitig beschreiben könne. Selbst wenn Wirklichkeit durch eine fast endlose Anzahl von Perspektiven betrachtet werden könne, so könne menschliche Sprache diese Perspektiven dennoch nicht adäquat zum Ausdruck bringen. Diese Erkenntnis wird inzwischen sogar im Bereiche unserer sogenannten wissenschaftlichen Wahrheiten akzeptiert. A fortiori ist dies auch der Fall für Aussagen über die Wahrheit von Bedeutungßusammenhängen. Die bloße Tatsache, daß es um die “Bedeutung” einer Sache geht, weist darauf hin, daß der Wissende wesentlich beteiligt ist und spiegelt deshalb den perspektivischen Charakter all dieser Aussagen wider. Eine Aussage kann natürlich wahr sein, das heißt, sie kann akkurat die ausserhalb der Gedanken liegenden Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht, beschreiben, aber sie wird immer in bestimmte Kategorien, Sprachen, Anliegen, usw., in einen bestimmten Standpunkt hineingepaßt, und in diesem Sinne wird sie immer

begrenzt und deabsolutisiert sein: So ist auch sie eine perspektivische und deshalb auch relational Anschauung der Wahrheit. Die begrenzende und begrenzte, aber auch die befreiende Qualität von Sprache ist in besonderem Maße dort wahrzunehmen, wo über das Tranßendente gesprochen wird. Per Definition ist das Tranßendente das, was über unsere Erfahrung hinausgeht. Deshalb müssen gerade Aussagen über das Tranßendente als ausgesprochen deabsolutisiert gewertet werden; mehr als anderswo sind Aussagen über das Tranßendente begrenzt, sogar über die begrenzenden Faktoren des perspektivischen Wesens aller Aussagen hinaus. f) Hermeneutik Hans-Georg Gadamer und Paul Riceour haben kürzlich den Weg für eine Entwicklung der hermeneutischen Wissenschaften gebahnt mit der Einsicht, daß alles Wissen um einen Text zugleich ein interpretiertes Wissen des Textes ist; eine Einsicht also, die unsere Forderung nach einem deabsolutisiertem Verständnis der “wahren” Bedeutung eines Textes unterstützt. Diese grundsätzliche Einsicht über das Verstehen eines Textes lässt sich nun aber auch auf andere Wissensgebiete anwenden. Einige der diesbezüglichen Schlüsselideen können in das folgende Mantra gefaßt werden (ein Mantra ist ein sieben-silbiges Wort, das eine Einsicht sozusagen “einkapselt”): “Subjekt, Objekt, zwei ist eins”. Im Kern haben wir hier das ganze System der Hermeneutik: alles Wissen ist interpretiertes Wissen; der Wahrnehmende ist Teil des Wahrgenommenen; in besonderem Maße, jedoch nicht ausschließlich, gilt dies für die Humanwissenschaften: das Subjekt ist Teil des Objekts. Wenn das Studienobjekt einen Aspekt des Menschlichen betrifft, so ist es offensichtlich, daß der Beobachtende zugleich das Beobachtete ist, was eine “Entobjektivierung” zur Folge hat, die ihrerseits das resultierende Wissen, Wahrheit, deabsolutisiert. Diesselbe Beobachtung hat, wenn auch auf eine andere Art, für alles Wissen, für alle Wahrheit der naturwissenschaftlichen Forschung, ihre Gültigkeit. Unterschiedliche Aspekte der Natur werden ebendfalls mit Kategorien beobachtet, die wir selbst zur Verfügung stellen, innerhalb des Horizonts, den wir bestimmen, mit Hilfe des Paradigmas, das wir wählen, in Antworten zu Fragen, die wir stellen, und in Beziehung zu Verbindungen, die wir schaffen - so daß auch hier - in den exakten Wissenschaften - eine Deabsolutierung der Wahrheit folgt. Der zweite Teil des Mantras lautet “zwei ist eins”: wir erfahren, daß Wissen von dem das Objekt erfassenden Subjekt resultiert - das Subjekt jedoch ist Teil des Objekts. In diesem Sinne sind beide eins. Zum anderen wird das Objekt im Prozeß des Erkennens in das Subjekt aufgenommen, so daß beide wiederum eins sind. Und doch - es existiert hier ebenso radikale “Zweiheit”, denn es gibt ja den Prozeß jener zwei, eins zu werden (oder, alternativ, den Prozeß, beide als Einheit zu sehen; oder, noch besser, das Bewußtwerden des Umstands, daß die zwei, die in sehr wirklichem Sinne zwei sind, ebendso sehr wirklich und tatsächlich eins sind), was wir Wissen nennen. Dies ist eine interpretative Sicht der Wahrheit. Es liegt auf der Hand, daß Relationalität diese hermeneutische und interpretative Sicht der Wahrheit durchdringt. g) Dialog Eine weitere Entwicklung dieser grundsätzlichen Einsicht besteht darin, daß ich in der Situation des Dialogs zum Beispiel lerne, nicht nur offen und rezeptiv gegenüber der extramentalen Wirklichkeit zu sein, sondern mit ihr ein Gespräch einzugehen. Ich “höre” und

empfange Wirklichkeit nicht nur, sondern ich “spreche” - und dies wohl an erster Stelle - zu ihr. Das heißt, ich stelle ihr Fragen, ich stimuliere sie, damit sie mir antwortet und wiederum zu mir spricht. Und darüber hinaus gebe ich der Wirklichkeit spezifische Kategorien und eine Sprache, in und mit der sie mir antworten kann. Sie kann zu mir sprechen, das heißt, sie kann nur wirklich mit mir kommunizieren in einer Sprache und in Kategorien, die ich verstehen kann. Wenn das Sprechen und Antworten für mich mehr und mehr unverständlich wird, werde ich mir langsam bewußt, daß eine neue Sprache im Entstehen begriffen ist und daß ich sie erlernen muß, wenn ich verstehen will, was Wirklichkeit mir zu sagen hat. Eine solche Betrachtungsweise wird dialogische Sicht der Wahrheit genannt, wobei der Name als solcher schon ihre Relationalität widerspiegelt. 3. PARADIGMEN WECHSEL Mit diesem neuen und unumkehrbaren Verständnis der Bedeutung von Wahrheit erlebt der kritische Denker eine radikale kopernikanische Wende. Ebenso wie der mit großem Widerstand begegnete Wechsel in der Astronomie vom Geozentrismus zum Heliozentrismus diese Wissenschaft revolutionierte (und wieviel mehr als nur diese!), so revolutioniert der Modell- oder Paradigmen-wechsel des Verständnisses von Aussagen über die Wahrheit die Humanwissenschaften, Theologie/Ideologie miteingeschlossen. Das Makroparadigma oder Makromodell, mit dem kritisch Denker heute arbeiten (oder der “Horizont”, in dem sie arbeiten, wie Bernard Lonergan sagt), ist charakterisiert durch historisches, soziales, linguistisches, hermeneutisches, praxis-orientiertes, relationales und dialogisches Bewußtsein. Dieser Modell- oder Paradigmenwechsel ist schon zum großem Teil von Denkenden und Handelnden vollzogen; jedoch, wie schon zu Kopernikus und noch dramatischer zu Galileos Zeiten, gibt es noch viele, die in Positionen großer institutioneller Macht Widerstand leisten. Die Rolle, die das konzeptuelle Paradigma oder Modell, das man von der Wirklichkeit entwickelt hat, im Verständnis der Wirklichkeit und einer ihr angemessenen Lebensform spielt, kann in ihrer Wichtigkeit kaum hoch genug eingeschätzt werden. Denn das Paradigma oder Modell, in welchem wir Wirklichkeit erfahren, beeinflußt nicht nur maßgeblich unser intelltuelles Verstehen der Wirklichkeit, sondern hat auch ungeheure praktische Konsequenzen.5 Henry Rosemont, Fulbright Professor der Philosophie an der Fudan Universität in Shanghai von 1982-84, hebt zum Beispiel hervor, daß der menschliche Körper in der Medizin des Westens gewöhnlich als höchst nuancierte lebendige Maschine interpretiert wird - und deshalb liegt es dann nahe, ein abgenutztes Teil einfach durch ein neues zu ersetzen; aus diesem Denken heraus entwickelte sich deshalb die Organtransplantation im Westen. In orientaler chinesischer Medizin hingegen wird der Körper als subtil balancierte Harmonie konzipiert: wird “Druck” auf einen Teil des Körpers ausgeübt, so wird angenommen, daß er gegensätzliche Wirkung in einem anderen Teil des Körpers produziert; aus diesem Grund wurzelt die Akupunktur in der Medizin des Orients. Wenn mit Hilfe eines bestimmten Paradigmas oder Modells die Wirklichkeit besser erfasst werden kann, so wird ein solches Paradigma in Zukunft bevorzugt werden - als Beispiel sei der Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen Modell in der Astronomie genannt. Manchmal jedoch können zwei verschiedene Modelle, beide auf eigene Weise mehr oder weniger erfolgreich, miteinander in Einklang stehen - wie am Beispiel westlicher und östlicher Medizin gerade beobachtet wurde. In einem solchen Falle kann man von komplimentären Modellen sprechen. Offensichtlich wäre es aber in einem solchen Falle töricht, die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit auf lediglich eines der komplementären Paradigmen oder Modelle zu beschränken. Es mag in manchen Fällen möglich sein, ein

Mega-Modell, das zwei mehr oder weniger komplementäre Modelle in sich vereinigt, zu konzipieren, aber auch ein solches Mega-Modell wird lediglich ein Modell, ein Paradigma sein. Wahrnehmung der Realität kann sich nicht außerhalb von Paradigmen oder Modellen stellen; daher ist ein “Metamodelldenken” nicht möglich, außer in dem begrenzteren Sinne eines “Meta- monomodelldenkens” d.h.: Wirklichkeit kann mit Hilfe mehrerer unterschiedlicher Modelle, die nicht in ein Megamodell zusammengefaßt werden können, sondern in schöpferischer polarer Spannung zueinander stehen müssen, wahrgenommen werden. Eine solches Denken kann auch “Multi-Modelldenken” genannt werden. In solch einer deabsolutisierten Sicht der Wahrheit von Bedeutungßusammen- hängen sind wir konfrontiert mit dem Gespenst des Relativismus, dem Gegenpol zum Absolutismus. Anders als die Relationalität, die in sich ein neutraler Ausdruck ist und lediglich das “Sich auf Etwas beziehen” bezeichnet, ist Relativismus grundsätzlich ein negativer Ausdruck (wie fast alle “ismen”). Wenn man nicht länger behaupten kann, daß jede Aussage über die Wahrheit der Dinge absolut und vollkommen objektiv ist, da diese Behauptung sich nicht mit unserer Erfahrung der Wirklichkeit deckt, so ist es in gleichem Maße unmöglich zu fordern, daß jede Aussage über die Wahrheit der Bedeutung der Dinge vollkommen relativ und gänzlich subjektiv ist, denn eine solche Behauptung deckt sich ebenfalls nicht mit unserer Erfahrung der Wirklichkeit, und würde logischerweise überdies zu einem atomisierenden Solipsismus (“Mit-Sich-Selbst-Allein-Sein”) führen, der jeglichen Diskurs beenden würde. Unsere Wahrnehmnung, und daher auch unsere Beschreibung der Wirklichkeit, gleicht dem Begutachten eines Objekts in der Mitte eines Kreises von Betrachtern. Meine Perspektive und Beschreibung des Objekts (und somit meine Beschreibung der Wirklichkeit) wird wahr sein, aber sie wird nicht mit einschließen, was jemand auf der anderen Seite des Kreises wahrnimmt und beschreibt, obwohl es ebenso wahr ist. Keine der beiden Wahrnehmungen/Beschreibungen des Objektes (der Wirklichkeit) ist allumfassend und vollständig - und somit auch nicht “absolut” in diesem Sinne des Wortes -; und ebendso ist keine der beiden Wahrnehmungen/Beschreibungen “objektiv” in dem Sinne, unabhängig vom “Subjekt” zu sein. Andererseits aber ist es offensichtlich, daß es einen “objekt-iven”, zweifellos “wahren” Aspekt zu jeder Wahrnehmung/Beschreibung gibt, auch wenn ein solcher Aspekt relational zum Wahrnehmenden “Subjekt” existiert. Zusammen mit der immer nur fragmentarischen, perspektivischen und deabsolutisierten Sicht aller Aussagen über Wahrheit muß gleichzeitig auch die gemeinsame menschliche Grundlage für Wahrnehmungsbeschreibungen der Wirklichkeit und Werte im Auge behalten werden. Alle Menschen haben bestimmte Erfahrungen gemeinsam. Wir alle erfahren unseren Körper, Schmerz, Vergnügen, Hunger, Sättigung, usw. Unser kognitiver Apparat nimmt bestimmte Strukturen der Wirklichkeit wahr, zum Beispiel Variationen und Symmetrien in Tonhöhe, Farbe, Form, usw. Alle Menschen erfahren Zuneigung, Ablehnung, usw. Hier und in anderen Gemeinsamkeiten existieren die Grundlagen für den Aufbau einer universalen, fundamentalen Epistemologie, einer Ästhethik, eines Wertesystems, usw. Natürlich ist es notwendig, sorgfältig zwischen diesen menschlichen Erfahrungen/Wahrnehmungen zu unterscheiden, die biologisch, und jenen, die sozio-kulturell gegründet sind. Da jedoch in einigen Fällen die Gesellschaft größeren Einfluß übt als die Natur, ist es manchmal schwierig, genau festzustellen, wo die Grenze zwischen beiden zu ziehen ist. In der Tat werden alle unsere “natürlichen” Erfahrungen mehr oder weniger von unseren sozialen Erfahrungen geprägt, das heißt, all unser Wissen und all unsere Erfahrungen werden durch die Brille unserer sozialen Strukturen hindurch interpretiert.

Wenn wir jedoch nicht länger an einer absolutistischen Sicht der Wahrheit der Bedeutung der Dinge festhalten können, so müssen wir gewisse Schritte unternehmen, um nicht gezwungen zu sein, in das Schweigen eines totalen Relativismus zu fallen. Diese Schritte schließen zumindest die folgenden zwei ein: erstens, abgesehen vom Bemühen, so akkurat und fair wie möglich in unserem Sammeln und Bewerten von Information zu sein, und diese dann der Kritik anderer Denker und Wissenschaftler außusetzen, müssen wir ebenso mühselig unsere eigenen Voraussetzungen herausfinden, beschreiben und analysieren - und dies ist eine kontinuierliche Aufgabe! Aber selbst unter diesen Massgaben operieren wir noch von einem bestimmten “Standpunkt” aus. Deshalb benötigen wir zweitens ergänzende Aussagen, die von anderen Perspektiven herrühren, um unsere (immer kritisierten) Aussage” zu komplementieren. Das bedeutet, daß wir uns in Dialog mit denen begeben müssen, die andere kulturelle, philosophische, soziale und religiöse Standpunkte vertreten, um zu einer immer vollständigeren - jedoch niemals endenden - Wahrnehmung der Wahrheit der Bedeutung der Dinge zu gelangen. Würden wir uns nicht in solch einem Dialog engagieren, wären wir nicht nur in der Perspektive unseres eigenen Standpunktes gefangen, sondern wir wären uns dieser Befangenheit nun sogar bewusst. Deshalb können wir nicht länger bewusst und mit Integrität auf unserer eigenen Perspektive beharren. Unsere Suche nach der Wahrheit der Bedeutung der Dinge macht es für uns als Menschen nötig, daß wir uns auf einen Dialog einlassen. Heutzutage wissentlich den Dialog abzulehnen, kann ein Akt fundamentaler menschlicher Verantwortungslosigkeit sein - in Jüdisch-Christlicher Sprache, eine Sünde. Paul Knitter beschreibt diese Einsicht ähnlich, insbesondere in dem Wechsel des Wahrheitsparadigmas vom früheren exklusiven “entweder-oder” Modell zum dialogischen oder relationalen Paradigma: In diesem neuen Modell wird die Wahrheit nicht länger daran identifiziert, ob sie andere ausschliessen oder miteinbeziehen kann. Vielmehr wird sich das, was wahr ist, hauptsächlich durch die Fähigkeit offenbaren, sich auf andere Beschreibungen der Wahrheit zu beziehen und durch diese Beziehungen zu wachsen: Wahrheit definiert nicht durch Ausschluß, sondern durch Bezugnahme. Das neue Modell reflektiert, was unsere pluralistische Welt gerade entdeckt: keine Wahrheit existiert für sich allein; keine Wahrheit ist vollkommen unwandelbar. Wahrheit, dank ihres besonderen Wesens, braucht andere Wahrheiten. Kann sie sich nicht dem Bezug öffnen, so muß ihre Wahrheitsqualität in Frage gestellt werden. 6 Wenn solche Erkenntis für alle Menschen auf der Suche nach der Wahrheit der Bedeutung der Dinge gilt, dann gilt sie insbesondere für religiöse Menschen und für diejenigen, die Ideologien, wie z.B. dem Marxismus, verpflichtet sind. Aufgabe von Religionen und Ideologien ist es, ganzheitliches (whole) Leben zu beschreiben und vorzuschreiben, sie sind holistisch, allumfassend, und tendieren daher dazu, außugrenzen; das heißt, sie konvertieren oder verdammen Außenseiter mehr als andere Institutionen, die nicht holistisch sind. Deshalb bedarf gerade das Gebiet der Religionen einer angemessenen Bescheidenheit in Wahrheitsansprüchen und einer Komplementarität in bestimmten Wahrheitsperspektiven, wie oben beschrieben. Aber das Bedürfnis zum Dialog in Religion und Ideologie ist in der modernen Welt auch intensiviert, weil wir, durch den Einfluß von Massenkommunikation und durch eine grössere Mobilität in der gegenwärtigen Gesellschaft des Westens und anderswo, mehr und mehr die “anderen” als Menschen, die ein holistisches, ein holy Leben führen, erfahren - nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Religion und Ideologie. Um konkret zu sein: wenn ich als Christ Juden als religiöse Menschen kennenlerne, die ein ganzheitliches (whole) und heiliges (holy) menschliches Leben aus der Fülle ihrer Religion heraus leben, so bin ich sofort mit der

Frage konfrontiert: was ist die Quelle dieser Heiligkeit und Ganzheit, dieser holiness und wholeness? Es ist offensichtlich nicht das Christentum. Wenn ich es nicht darauf anlege, mich selbst täuschen zu wollen, so kann ich nicht sagen, daß dies unbewußtes oder anonymes Christentum ist, denn wenn es eine Religion gibt, die bewusst 2000 Jahre lang das Christentum abgelehnt hat, dann das Judentum. Offensichtlich ist die einzig mögliche Antwort, daß die Quelle der Heiligkeit von Juden die jüdische Religion ist, und der Gott, der hinter ihr steht, der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs-und Jeschuas ist. In traditioneller theologischer Sprache “von oben” gesprochen, ist das Christentum wie das Judentum eine Religion, die glaubt, daß Gott sich uns durch Ereignisse und Personen offenbart; um Gottes Botschaft, Gottes Thorah, die Gute Nachricht, das Evangelium verstehen zu lernen, müssen wir Christen versuchen, auf Gott zu hören, wo auch immer und durch wen auch immer er oder sie spricht, daß heißt, wir müssen in Dialog treten mit den Menschen anderer Religionen, um zu lernen, was Gott uns durch sie zu sagen hat. 4. GRUNDREGELN FÜR DEN INTERRELIGIÖSEN UND INTERIDEOLOGISCHEN DIALOG Wir sprechen hier natürlich von einer besonderen Art des Dialogs, nämlich des interreligiösen und interideologischen Dialogs. Um ihn stattfinden zu lassen, genügt es nicht, daß die Dialogpartner ein religiöses oder ideologisches Thema, das heißt ein Thema, das sich mit dem letzten Sinn des Lebens und richtiger Lebensführung beschäftigt, diskutieren. Vielmehr müssen sie den Dialog als Menschen beginnen, die auf irgendeine Weise bedeutungsvoll mit einer religiösen oder ideologischen Gemeinschaft identifiziert werden können. Wäre ich zum Beispiel weder Christ noch Marxist, so könnte ich nicht als “Partner” an einem christlich-marxistischen Dialog teilnehmen, obschon ich zwar zuhören, einige Fragen stellen und konstruktive Kommentare abgeben könnte. Es folgen einige Grundsatzregeln des interreligiösen und interideologischen Dialogs, die beachtet werden müssen, wenn der Dialog tatsächlich stattfinden soll. Diese Regeln sind nicht theoretischer Natur, von “oben” gegeben, sondern sie sind durch mühseliges Lernen gewonnen worden. Erste Regel: Der primäre Zweck des Dialogs ist, zu lernen, das heißt, sich zu verändern und zu wachsen in der Wahrnehmung und in dem Verstehen von Wirklichkeit und als Konsequenz demgemäß zu handeln. Wir beginnen den Dialog, damit wir lernen, uns ändern und wachsen können, nicht aber, um dem anderen Veränderung aufzuzwingen, wie man es in einer Debatte zu tun erhofft - eine Hoffnung, die in umgekehrter Proportion zu Häufigkeit und Grobheit steht, mit der eine Debatte begonnen wird. Andererseits aber wird, gerade weil jeder Partner mit der Intention zum Dialog kommt, um zu lernen und um sich zu ändern, sich in der Tat auch der andere Partner ändern. Deshalb wird das angestrebte Ziel einer Debatte, und manches mehr, weitaus effektiver durch Dialog erzielt. Zweite Regel: Interreligiöser und interideologischer Dialog muß als zweiseitiges Projekt unternommen werden -innerhalb jeder religiösen oder ideologischen Gemeinschaft selbst und zwischen den religiösen oder ideologischen Gemeinschaften. Dank des “korporativen” Charakters des interreligiösen und interideologischen Dialogs, und weil es sein primäres Ziel ist, daß jeder Partner lernt und sich verändert, ist es auch nötig, daß jeder Teilnehmer den Dialog nicht nur mit seinem/ihrem Partner jenseits der Glaubensgrenzen beginnt - zum Beispiel der Katholik mit dem Protestant - sondern auch mit den eigenen Glaubensschwestern und -brüdern, um mit ihnen die Früchte des interreligiösen Dialogs zu

teilen. Nur auf diese Weise kann schließlich die ganze Gemeinschaft lernen, sich ändern und sich auf eine wachsendere Einsicht in die Wirklichkelt hinbewegen. Dritte Regel: Jeder Teilnehmer muß den Dialog mit völliger Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit beginnen. Es sollte klargestellt werden, in welche Richtung die Haupt- und Nebenströmungen einer Tradition tendieren, welches die möglichen zukünftigen Entwicklungen sein könnten, und, wenn nötig, wo die Teilnehmer Schwierigkeiten mit der eigenen Tradition haben. Unrichtig dargestellte Positionen haben keinen Platz in einem Dialog. Und umgekehrt: Jeder Teilnehmer muß völlige Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in ihrem/seinem Partner vorraussetzen. Nicht nur Mangel an Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, sondern ebendso mangelndes Vertrauen in die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit des Partners wird den Dialog verhindern. Kurz gesagt: ohne Vertrauen keinen Dialog! Vierte Regel: Im interreligiösen, interideologischen Dialog sollten wir nicht unsere Ideale mit der Praxis unserer Partner vergleichen, sondern unsere Ideale mit den Idealen unserer Partner, unsere Praxis mit der Praxis unserer Partner. Fünfte Regel: Jeder Teilnehmer muß seine/ihre Position selbst erläutern und klar umreißen. So zum Beispiel kann nur ein Jude von innen heraus definieren, was es bedeutet, Jude zu sein. Andere können lediglich beschreiben, wie Jüdisch-sein von aussen her erscheint. Überdies wird sich der als Beispiel genannte jüdische Gesprächspartner ändern, da Dialog ein dynamisches Medium ist, wie jeder Teilnehmer feststellen wird, und deshalb wird sie/er kontinuierlich an Tiefe gewinnen, seinen/ihren Horizont erweitern und ihre/seine eigene Definition des Jüdisch-seins modifizieren und dabei darauf achten, in konstantem Dialog mit seinen/ihren Glaubensgenossen zu bleiben. Deshalb ist es unerläßlich, daß jeder Dialogpartner selbst definiert, was es bedeutet, authentisches Glied der eigenen Tradition zu sein. Umgekehrt - der/die von außen her Interpretierte muß in der Lage sein, sich selbst in der Interpretation wiederzuerkennen. Dies ist die Goldene Regel interreligiöser und interideologischer Hermeneutik, wie sie oft von dem “Apostel des interreligiösen Dialogs”, Raimundo Panikkar,7 wiederholt worden ist. Um des Verstehens willen wird jede/r Dialogpartner/in natürlich versuchen, für sich selbst außudrücken, was er/sie unter der Aussage eines anderen Gesprächsteilnehmers versteht; die/der Andere muß sich in diesem Verständnis wiederfinden. Der Advokat einer “Welttheologie”, Wilfred Cantwell Smith, würde hinzufügen, daß eine Interpretation des/r Anderen auch durch nicht beteiligte kritische Beobachter verifizierbar sein muß.8 Sechste Regel: Jeder Teilnehmer muß den Dialog ohne unveränderliche Annahmen in Bezug auf Meinungsverschiedenheiten beginnen. Vielmehr sollte jeder Partner nicht nur der/m anderen mit Offenheit und Sympathie zuhören, sondern ebenso versuchen, mit dem Dialogpartner so weit wie möglich übereinzustimmen, ohne dabei die Integrität zur eigenen Tradition zu verlieren. Genau dort, wo jemand nicht mehr einer Meinung zustimmen kann, ohne die eigene Integrität zu verletzen, befindet sich der wirkliche Punkt einer Meinungsverschiedenheit - und dieser erweist sich oft als verschieden von dem, was früher fälschlich als Differenz angenommenen wurde. Siebente Regel: Dialog kann nur zwischen Gleichgestellten stattfinden: “par cum pari”, wie es Vatican II ausdrückte. Beide Seiten müssen beginnen, voneinander zu lernen. Wenn zum Beispiel ein Muslim den Hinduismus als etwas Minderwertiges ansieht, oder aber

der Hindu den Islam, kann kein Dialog entstehen. Soll authentischer interreligiöser Dialog zwischen Muslims und Hindus stattfinden, dann müssen sowohl der Muslim als auch der Hindu kommen, um hauptsächlich voneinander lernen zu wollen; nur dann wird es “gleiches mit gleichem” geben, par cum pari. Diese Regel deutet auch darauf hin, daß es nicht so etwas wie “Einbahn- straßen-Dialoge” geben kann. So waren zum Beispiel die jüdisch-christlichen Dialoge, in ihren Anfängen in den sechziger Jahren, lediglich Prolegomena zu interreligiösem Dialog. Verständlicherweise und mit voller Berechtigung kamen die Juden zu diesem Austausch nur, um die Christen zu informieren, und gleichzeitig wollten die Christen hauptsächlich nur lernen. Wenn jedoch authentischer interreligiöser Dialog zwischen Christen und Juden stattfinden soll, dann müßen auch Juden kommen, um vorrangig lernen zu wollen; nur dann wird ein par cum pari gegeben sein. Achte Regel: Dialog kann nur auf der Basis gegenseitien Vertrauens stattfinden. Obwohl interreligiöser und interideologischer Dialog in einer Art “korporativer” Dimension unternommen werden muß, das heißt, dass seine Teilnehmer als Mitglieder einer religiösen oder ideologischen Gemeinschaft engagiert sein müssen - zum Beispiel als Marxisten oder Taoisten - so ist es ebenso grundsätzlich wahr, daß nur Personen als Personen in Dialog treten können. Ein Dialog zwischen Personen kann jedoch nur auf persönlichem Vertrauen basieren. Deshalb ist es weise, die schwierigsten Probleme nicht gleich zu Beginn anzupacken, sondern eher erst solche Themen zu berühren, die am wahrscheinlichsten einen gemeinsamen Nenner sichern und deshalb die Grundlage für menschliches Vertrauen schaffen. Erst später können, in dem Maße, in dem sich dieses persönliche Vertrauen vertieft und erweitert, dornigere Angelegenheiten in Angriff genommen werden. Auf diese Weise bewegen wir uns, so wie wir in einem Lernprozeß vom Bekannten zum Unbekannten vordringen, auch im Dialog von den Gemeinsamkeiten zur Diskussion von Meinungsverschiedenheiten; unsere Gemeinsamkeiten, die aufgrund gegenseitiger Ignoranz und Feindschaft über Jahrhunderte hinweg verschüttet lagen, werden uns mit Sicherheit etliche Zeit in Anspruch nehmen, um in ihrer Fülle entdeckt zu werden. Neunte Regel: Teilnehmer eines interreligiösen oder inter- ideologischen Dialogs müssen zumindest ein Minimum an Selbstkritik und Kritik an der eigener religiösen oder ideologischen Tradition besitzen. Das Nichtvorhandensein solch einer Selbstkritik setzt voraus, daß die eigene Tradition bereits alle Antworten habe. Diese Haltung macht den Dialog nicht nur unnötig, sondern sogar unmöglich, da wir ja den Dialog primär beginnen, um zu lernen - was offensichtlich unmöglich wäre, hätte unsere Tradition niemals einen falschen Schritt getan und hätte sie alle passenden Antworten. Natürlich müssen wir in interreligiösem und interideologischem Dialog unsere religiöse oder ideologische Tradition mit Integrität und Überzeugung vertreten, diese Integrität und Überzeugung muß jedoch gesunde Selbstkritik ein- und nicht ausschließen. Ohne Selbstkritik kann es keinen Dialog geben - und, in der Tat, auch keine Integrität. Zehnte Regel: Jeder Teilnehmer muß schließlich versuchen, die Religion oder Ideologie des anderen von “innen heraus” zu erfahren, denn Religion ist nicht nur eine Angelegenheit des Kopfes, sondern auch der Seele und des Herzens, sie ist eine Angelegenheit des Ganzheitlich-Seins, individuell wie gemeinschaftlich. John Dunne spricht in diesem Zusammenhang vom “Hinüberreichen” oder “Hineingleiten” (passing over) in die religiöse Erfahrung des Anderen, um aus diesem Erleben erleuchtet, vertieft und mit weiterem Horizont wieder hervorzugehen. Interreligiöser oder interideologischer Dialog vollzieht sich in drei Gebieten: Im Praktischen, wo wir zusammenarbeiten, um der Menschheit zu helfen; in der tiefen oder

“spirituellen” Dimension, in der wir versuchen, die Religion des Partners oder seine Ideologie “von innen heraus” zu erfahren; und in der kognitiven Dimension, in der wir Verstehen und Wahrheit suchen. Interreligiöser, interideologischer Dialog hat ebenso drei Phasen. In der ersten Phase (aus der wir niemals vollständig herauswachsen) räumen wir falsche Vorstellungen voneinander aus dem Wege und beginnen, einander so kennenzulernen, wie wir wirklich sind. In der zweiten Phase beginnen wir, Werte in der Tradition des Partners zu verstehen und sie in unserer eigenen Tradition anzueignen. Zum Beispiel können Christen in einem buddhistisch-christlichem Dialog eine größere Wertschätzung der meditativen Tradition erlernen, und Buddhisten eine größere Aufgeschlossenheit für die prophetische Tradition sozialer Gerechtigkeit - beides Werte, die in großem Maße, wenn auch nicht exklusiv, mit der Gemeinschaft des anderen assoziiert wurden. Sind wir ernsthaft, ausdauernd und sensibel genug, so können wir zuweilen Phase drei des Dialogs beginnen. Hier beginnen wir, zusammen neue Dimensionen der Wirklichkeit, der Bedeutung des Lebens, der Wahrheit zu erforschen, derer weder wir noch unsere Partner sich jemals zuvor bewußt war. Wir werden mit dieser neuen, uns noch unbekannten Ebene der Wirklichkeit gerade aufgrund der Fragen, Einsichten und Untersuchungen, die unser Dialog hervorbrachte, konfrontiert. Aus diesem Grunde wagen wir es zu sagen, daß geduldig betriebener Dialog eine Quelle neuer “Re-velation”, d.h. “Ent-hüllung” der Wirklichkeit werden kann - mit dem wir dann tätig werden müssen. 5. PRAKTIZIERTER DIALOG Religionen und Ideologien sind nicht nur Erklärungen des letzten Sinns des Lebens, sondern auch Wege (z.B. Hodos in christlichem Griechisch, Halacha in jüdischem Hebräisch, Shari’a in muslimischem Arabisch, Marga im hinduistischen Sanskrit, Magga im buddhistischen Pali und Tao im chinesischen Taoismus) um im Einklang mit dieser Erklärung zu leben. Zum Beispiel soll der Buddhist nicht nur innerliche Befreiung suchen, sondern ebenso die Tugenden Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Barmherzigkeit, usw. praktizieren. Im Judentum ist die prophetische Tradition sozialer Gerechtigkeit sogar in besondere Gesetze des Talmuds aufgenommen. In den Anfängen des Christentums sagte Jesus, daß jene gerettet seien, die die Hungrigen sättigen, die Nackten bekleiden, die Heimatlosen beherbergen, die Unwissenden unterrichten, usw. Im 1. Johannesbrief heißt es, daß jeder, der sagt, er liebe Gott, aber seinen Bruder haßt, ein Lügner sei; Jakobus sagt, daß Glaube ohne Werke ein toter Glaube sei. Auch der Marxismus bietet nicht nur eine gesellschaftliche Theorie, sondern ebenson ein soziales Programm und soziales Handeln. Viele menschliche Probleme sind von so enormer Dringlichkeit, daß sie verschiedene Religionen und Ideologien zu sozialem Handeln drängen: Gefährdung des Friedens, Hunger, Diskriminierung, Mangel an sozialer Gerechtigkeit, Verletzung der Menschenrechte, usw. Häufig wird gemeinsames Handeln in Bezug auf diese konkreten Probleme wirkungsvoller sein als mehrere individuelle, parallel laufende oder sogar sich überschneidende Anstrengungen. Diese Art wirklicher Zusammenarbeit zum Wohle der Menschheit wird Grenzen zwischen Religionen und Ideologien einreißen und so zu einem bewußten Dialog über das jeweilige Selbstverständnis und die jeweiligen Motivationen, die der Verpflichtung zum Handeln zugrunde liegen, führen. Zum Beispiel begannen die Christen und atheistischen Humanisten, zusammen im Gefängnis von Selma, Alabama, inhaftiert, weil sie mit Martin Luther King für die Rechtsgleichheit der Schwarzen in Amerika demonstrierten, einen Dialog, um verstehen zu lernen, warum ihre unterschiedlichen Überzeugungen und Ideologien zum gleichen radikalen Handeln führten.

Interreligiöse, interideologische Aktion, die letztendlich nicht zu einem Dialog führt, wird schließlich in Geistlosigkeit und damit in Nutzlosigkeit enden. Interreligiöser, interideologischer Dialog, der nicht zum Handeln führt, wird schließlich in Heuchelei und damit ebendso in Nutzlosigkeit enden. 6. TIEFER ODER “SPRITUELLER” DIALOG Tiefer oder “spiritueller” Dialog, wie oben kurz angedeutet, findet statt, wenn die Religion oder Ideologie des Partners von “innen heraus” erfahren wird. Raimundo Panikkar spricht davon, wenn er sagt: “Religiöser Dialog muß genuin religiös sein, nicht nur ein Austausch von Doktrinen oder intellektuellen Meinungen . . . Ein Dialog muß aus den Tiefen meiner religiösen Haltung in die gleichen Tiefen meines Partners dringen.” 9 Er geht sogar so weit zu sagen: “Ich brach als ein Christ auf; ich fand mich als Hindu wieder und kehrte als ein Buddhist zurück, ohne je aufgehört zu haben, Christ zu sein.” 10 Vielleicht ist solch ein doppeltes oder vielfaches “Zugehörigsein” für die meisten religiösen Menschen oder Denker des Westens nicht möglich, aber die Erfahrung einer anderen Religion von “innen heraus” ist, zumindest zu einem gewissen Grade, für jeden Menschen möglich. John Dunnes’ “Hinüberreichen” (“crossing over”) ist ein sehr wirksames Mittel, um dies zu erreichen. Er beschreibt es wie folgt: “`Hinüberreichen’ bedeutet das Wechseln eines Standpunktes, die Bewegung hin zum Standpunkt einer anderen Kultur, eines anderen Lebensstils, einer anderen Religion. Anschließend folgt ein gleichwertiger aber entgegengesetzter Prozeß, den wir `Zurückkommen’ nennen können, ein Zurückkommen mit neuen Einsichten in die eigene Kultur, den eigenen Lebensstil, die eigene Religion.”11 In diesem Zusammenhang spielt die Phantasie eine Schlüsselrolle. Nachdem wir in die Gefühle des Partners gedrungen sind und deren Symbole, Geschichten, usw. erlaubt haben, Bilder in unseren Köpfen zu stimulieren, muß diesen Bildern erlaubt werden, sich zu entwickeln und uns zu führen, wohin sie wollen, so daß wir am Ende schließlich merklich bereichert zur eigenen Tradition zurückkehren können. Dunne beschreibt es folgendermaßen: Die Technik des “Hinübergleitens/reichens” basiert auf dem Prozeß, Bilder hervorzurufen, die in unseren Gefühlen verborgen liegen, Einsicht in diese Bilder zu gewinnen, und schließlich diese Einsicht zu einem Wegweiser im Leben zu verwandeln. Versucht man, “hinüberzureiche”’, so bemüht man sich, teilnehmend und mitfühlend in die Gefühle eines anderen Menschen zu dringen, empfänglich für die Bilder zu werden, die Ausdruck dieser Gefühle sind, Einsicht in diese Bilder zu gewinnen, und dann, bereichert durch diese Einsicht, zu einem Verständnis des eigenen Lebens zurückzukehren, das uns in die Zukunft weisen kann.12 Paul Knitter betont, daß “Hinüberreichen”, obwohl es zum größten Teil eine Leistung des Phantasievermögens ist, auch einiges an harter “Hausarbeit” verlangt . . . und bezeugt, daß, auch wenn man niemals eine endgültige Antwort finden wird, man doch zu mehr und “wahreren” Antwort gelangen kann. Phantasie wird beständig angeregt; neue Einsichten werden geboren; der Horizont des Wissens erweitert sich. Interreligiöser Dialog, wie alles Leben, wird nicht als nervöses Streben nach Gewißheit, sondern als befreiendes und aufregendes Streben nach Verständnis gewertet.13

Knitter hebt desweiteren hervor, daß David Tracys Buch The Analogical Imagination “als Richtlinien-Handbuch über die Natur des Dialogs mit anderen Traditionen und über die entscheidende Rolle der Phantasie in solch einem Dialog gelesen werden kann.” 14 Tracy bestätigt “die Möglichkeiten, den Austausch zwischen religiösen Traditionen mit Hilfe analogischer Phantasie anzugehen . . . Wenn ich schon innerhalb meines eigenen religiösen und kulturellen Erbes Gebrauch von analogischer Phantasie gemacht habe, so werde ich umso wahrscheinlicher die Forderung nach weiterem Austausch begrüßen.”15 Zwar ist intellektuelle und verbale Kommunikation tatsächlich die primäre Bedeutung des Begriffes “Dialog”, wenn aber die Ergebnisse solcher intellektueller und verbaler Kommunilation nicht in Tätigkeit und Spiritualität münden, wird Dialog unfruchtbar bleiben. Darüber hinaus kann ein nur “halbherzig” geführter Dialog zu einer Art Schizophrenie und sogar zu Heuchelei führen. Andererseits aber kann eine ernsthafte, gemeinsame Tätigkeit und/oder gemeinsamer Spiritualität verschiedener Dialogpartner durchaus dazu führen, intellektuelle Positionen heraußufordern und so zum Dialog auf dem kognitiven Gebiet führen. Katholische und evangelische Klerikern, die sich wegen ihres Widerstandes gegen den einen oder anderen unmenschlichen Akt der Nationalsozialisten im Konzentrationslager Dachau befanden, zum Beispiel, waren überrascht durch Gespräche über ihre Motivationen zum Widerstand zu erfahren, daß sie in einer Mehrzahl ihrer Standpunkte miteinander übereinstimmten. In der Tat, diese und ähnliche Begegnumngen haben die Una Sancta Bewegung in Deutschland gefördert, die ihrerseits die Katholische Kirche dahin bewegte, nach vielen Jahrhunderte vehementer Ablehnung in dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) offiziell den Ökumenismus und interreligiösen Dialog zu bejahen. Weil Religion aber nicht nur eine Angelegenheit des “Kopfes” und der “Hände” ist, sondern mindestens in gleichem Masse eine Angelegenheit des Herzes, also den ganzen Menschen betrifft, muss eine Begegnung mit unserem Partner auch die spirituellen Dimension miteinbeziehen. Diese spirituelle Dimension betrifft unsere Emotionen, unsere Fantasie, unser intuitives Bewußtsein. Versäumen wir es, uns einander auf dieser tiefsten Dimension unseres Selbst kennenzulernen, wird unser Dialog verhältnismässig oberflächig bleiben. Eine Begegnung mit unserem Partner auf intellektueller oder praktischer Ebene wird zwar ein authentischer Dialog sein; wegen der integrierten und allumfassenden Natur von Religion und Ideologie aber ist es unumgänglich, daß sich Dialog auf weitere Ebenen ausweitet. Nur ein Dialog in diesem vollständigen Sinne, der alle drei Ebenen miteinbezieht, wird ganzheitlicher interreligiöser, interideologischen Dialog sein. 7. WER SOLLTE DIALOG FÜHREN? Eine wichtige Frage ist: Wer kann, wer sollte interreligiösen, interideologischen Dialog führen? Ganz offensichtlich gehört ein fundamentaler gemeinschaftlicher Aspekt zu solch einem Dialog. Zum Beispiel kann jemand, der weder Lutheraner noch Jude ist, nicht aktiv an einem spezifisch lutheranisch-jüdischen Dialog teilnehmen. Ebenso können Menschen, die zu keiner religiösen oder ideologischen Gemeinschaft gehören, nicht einen interreligiösen, interideologischen Dialog miteinander führen. Selbstverständlich ist ein bedeutungsvoller religiöser, ideologischer Dialog zwischen ihnen möglich, aber dieser Dialog würde nicht inter-religiös, inter-ideologisch, d.h.: Dialog zwischen verschiedenen Religionen oder Ideologien genannt werden können.

Wer aber repräsentiert eine religiöse Gemeinschaft? Im Falle einer offiziellen Representation ist die Antwort klar: Menschen, die von der offiziellen Obrigkeit einer Gemeinschaft, von Gemeinde, Bet Din, Roschi, Bischof, Zentral Komitee, etc. dazu entsandt wurden, haben eine offizielle Befugnis der Represenation. Aber interreligiöser/interideologischer Dialog findet häufig ausserhalb eines solchen offiziellen Rahmens statt. In solchen Fällen, in denen Partner im Dialog nicht offiziellen Representanten ihrer Gemeinschaft sind, wird der Ruf der Dialogpartner eine wichtige Rolle spielen. Die Qualifikationen manche Leute können aber von Elementen innerhalb einer Gemeinschaft, sogar von sehr wichtigen offiziellen Elementen, in Frage gestellt werden. Die vatikanische Congregatio Pro Doctrina Fidei zum Beispiel erklärte, daß die Professoren Hans Küng und Charles Curran nicht mehr als katholische Theologen anerkannt werden können. In beide Fällen aber erklärten hunderte von katholischen Theologen öffentlich, daß jene Professoren doch noch als katholische Theologen anzuerkennen seinen. Wegen derartiger Schwierigkeiten wird es am besten sein, prinzipiell jede Person für sich selbst entscheiden zu lassen, ob sie/er ein Mitglied einer Gemeinschaft ist oder nicht. Natürlich kann dies zu Schwierigkeiten führen, (((Außerordentliche Fälle mögen anfänglich als Anamolien erscheinen,))) aber die werden sich unausweichlich lösen.**** Desweiteren sollten wir uns darüber im klaren sein, daß es, besonders in den Anfängen von interreligiösem, interideologischem Dialog, höchstwahrscheinlich gerade buchstäblich ekzentrische Mitglieder von religiösen/ideologischen Gemeinschaften sein werden, die sowohl Interesse als auch Befähigung zum Dialog haben. Eher zentrische Personen, d.h.: Vertreter einer mittleren Position, werden folgen, sobald es sich gezeigt hat, daß Dialog mit ihren offiziellen Doktrinen vereinbar ist. In diesem Zusammenhang muss betont werden, daß interreligiöser, interideologischer Dialog nicht auf offizielle Repräsentanten einer Gemeinschaft beschränkt werden sollte. Und tatsächlich wurde die grosse Mehrzahl solcher Dialoge, besonders in den letzten drei Jahrzehnten, von Nicht-offizieller Seite verschiedener Traditionen geführt; auch wenn in jüngster Vergangenheit die Zahl offizieller Dialoge zunimmt. Nötig ist daher für interreligiösen/interideologischen Dialog 1) eine Offenheit, um von dem/r Anderen zu lernen, 2) ein Wissen von der eigenen Tradition, und 3) ein ähnlich geneigter und informierter Dialog-Partner der anderen Tradition. Dialog kann auf fast jeder Ebene von Wissen und Bildung geschehen. Der Schlüssel ist die Offenheit, von dem/r Anderen zu lernen. Natürlich kann Niemandes Wissen von seiner eigenen Tradition je komplet sein. Jede/r muss kontinuierlich mehr darüber lernen. Es ist wichtig sich über diese Beschränkung im klaren zu sein, und zu wissen, wohin sich zu wenden um die nötige Information zu erfahren. Wichtig ist es auch, daß die Dialog-Partner mehr oder weniger auf dem gleichen Wissenstand bzgl. ihrer eigenen Traditionen sind. Je grösser die Asymmetrie, desto weniger wird Kommunikation gegenseitig, das heißt dialogisch, sein. Daher ist es wichtig, daß interreligiöser, interideologischer Dialog nicht auf offiziellen Representanten oder auf die Experten in den verschiedenen Traditionen beschränkt wird, obwohl beide im Dialog unversetzliche Rollen haben. Stattdessen sollte Dialog auf jeder Ebene der religösen, ideologischen Gemeinschaften, von ganz oben bis hin zu den untersten Rängen stattfinden. Nur so werden religiöse, ideologische Gemeinschaften von einander lernen und zu einem wirlichen Verständnis untereinander gelangen.

Die katholische Bischöfe brachten diese Einsicht im Zweiten Vatikanischen Konzil deutlich zum Ausdruck mit der Forderung, daß “alle katholischen Gläubigen die Zeichen der Zeit erkennen und aktiven und verständisvoll an dem Werk des Ökumenismus teilnehmen sollten.” (Obwohl diese Aussage sich zunächst auf Gespräche innerhalb des Christentum bezog, ist die Gründung des Vatikanischen Sekrätariates für den Dialog mit anderen Religionen und Ideologien ein klares Indiz dafür, daß diese Aussage auch in einem erweiterten Sinne gültig ist.) Sich nicht zufriedengebend mit dieser Aufforderung, gingen die Bischöfe weiter in ihrer Aufforderung: “in ökumenischen Anstrengungen sollen [alle] Katholiken ...die ersten Schritte zum [Nicht-Katholiken] tun”. Und noch einmal betonen die Bischöfe: Ökumenismus [und interreligiöser, interideologischer Dialog] “schließt die ganze Kirche, Gläubige und Kleriker zugleich, ein. Es schließt jederman ein.” (Vatikan II, “Dekret über Okumenismus,” 4,5) Selbstverständlich kann diese Einsicht nicht auf die 800,000,000 Katholiken der Welt - und die weiteren Millionen von Menschen, die sie direkt oder indirekt beeinflussen - beschränkt sein, massiv und wichtig als jene Gruppe sein mag, vielmehr hat solche Einsicht universalen Character. Wie aber kann man der Behauptung begegnen, daß die “Dialogisten” Elitisten seien, indem sie Dialog in solch einer “liberalen” Weise definieren daß nur ähnlich-gesinnte “Liberale” am Dialog teilnehmen können? Ich werde später detailerter argumentieren, daß nur diejenigen, die ein “deabsolutisiertes” Verständnis von Wahrheit haben, in der Tat in Dialog eintreten können. In anderen Worten, nur diejenigen, die alle Aussagen über die Wirklichkeit als immer begrenzt, und in diesem Sinne nicht als absolut verstehen, können in Dialog eintreten. Dies aber ist keine elitistische Diskriminierung gegen “Absolutisten” oder Fundamentalisten durch eine Ausgrenzung vom Dialog. Eine solche Behauptung wäre gerade ein Beispiel eines Missverständnisses von dem, was Dialog bedeutet, nämlich eine gegenseitige Kommunikation in welcher beide Seiten etwas lernen können. Allein das Zugeständnis, das ein Partner etwas vom Anderen zu lernen hat, setzt voraus, daß dieser Partner nur eine begrenzte - eine deabsolutisierte - Auffassung der Wahrheit der Sache hat. Wer glaubt, er habe eine absolute Auffassung der Wahrheit einer Sache, der glaubt ganz offensichtlich auch, daß er nichts vom Anderen über die Sache zu lernen hat, und daher wird die Begegnung mit einem solchen Partner nicht ein Dialog sondern irgendeine Art von einem Versuch einer einseitigen Belehrung oder eine Debatte sein. Nicht nur wird der Partner mit einem absolutisierten Verständnis von Wahrheit nicht an einem Dialog teilnehmen können, sondern sie/er wird eine solche Teilnahme nicht erwünschen - es sei denn, er/sie missversteht die Bedeutung des Begriffes Dialog, oder sie/er hat Aussicht auf eine opportunistische Manipulation des Wortes. 8. EINE UNIVERSAL-SYSTEMATISCHE REFLEKTION (THEOLOGIE) ÜBER RELIGION/IDEOLOGIE Was aber geschieht mit der Dimension des Kognitiven (die natürlich nicht von der praktischen und tiefen oder “spirituel-len” Seite der Dinge getrennt werden darf), die die vielleicht größte Herausforderung für den interreligiösen, inter-ideologischen Dialog darstellt? Auf welche Weise kann man über gegenseitig informative Vorträge hinausreichen? Ich glaube, daß diese Frage ganz hilfreich wie folgt formuliert werden kann: Wie kann ich, meinen eigenen Glauben oder meiner eigenen Ideologie reflektierend - in christlicher Terminologie, “theologisierend” - so diskutieren, daß ich auf der einen Seite meine Integrität im eigenen Glauben oder in der eigenen Ideologie und in der eigenen Tradition beibehalte, aber auf der anderen Seite meinem Dialogpartner die Möglichkeit gebe, sich in meiner Sprache wiederzufinden und zu verstehen? Um konkret zu sein: wie kann ich als Christ über

die fundamentalen Einsichten meines Glaubens sprechen, so daß ein Jude oder ein Muslim, oder, in der Tat, beide zusammen in der Lage wären zu antworten: “Ja, das klingt vertraut; irgendwie fühle ich mich in diesen Konzepten, Ausdrücken, Bildern, usw. miteingeschlossen, obwohl ich traditionell nicht die gleichen Konzepte, Ausdrücke und Bilder in meinen eigenen Glaubens- oder Ideologie-reflektionen, das heißt, im eigenen `theologisieren’ verwenden würde.”? Um das Problem positiv zu formulieren: wir, die nicht nur vom Vorteil, sondern auch der Notwendigkeit des interreligiösen, interideologischen Dialogs (also nicht nur für das bene esse, sondern für das esse selbst des kreativen religiösen, ideologischen Denkens heute) überzeugt sind, müssen zusammenarbeiten, um an einer “universal-systematisch Reflektion (Theologie) der Religion/Ideologie” zu schmieden. Ich bin mir bewußt, daß schon in der Formulierung dieses Projekts Schwierigkeiten liegen. Jedes Benennen eines Projektes mit solch umfassender Perspektive hat Schwierigkeiten zur Folge. Es gibt keine Möglichkeit, von Dingen außerhalb eines bestimmten kulturellen Rahmens zu sprechen, egal wie weit dieser kulturelle Rahmen gesteckt sei. Kein noch so weiter Rahmen vermag je, alle anderen spezifischen Rahmen unter sich zu subsumieren und man müßte aus diesem Grunde rechtfertigen, warum man diesen Rahmen jenem vorzieht. In der Tat ist die Wahl dieses besonderen kulturellen Rahmens nicht wesentlich. Wesentlich ist lediglich die Wahl eines bestimmten kulturellen Rahmens. Ich wähle denjenigen kulturellen Rahmen, der mir persönlich am vertrautesten ist, damit ich so klar wie möglich genau das, was gemeint ist, erklären kann und dadurch, so hoffe ich, mögliche Verwirrungen aufgrund von Unklarheiten ausmerzen kann. Mit Theologie ist hier einfach eine systematische und vernunftgemäße Reflektion über die “religiösen” oder “ideologischen” Überzeugungen gemeint, die von einem oder mehreren Menschen vertreten wird. Der Begriff “Philosophie” würde in diesem Zusammenhang inadäquat sein, denn er bezeichnet oft intellektuelle Reflektion, welche nicht die Quellen einer Weisheit in einer Tradition außerhalb reinen Vernunftdenkens miteinschliesst. Obwohl “Theologie” eher ein christlicher Begriff ist - die vorchristlichen Griechen erfanden ihn jedoch - hat dieser Begriff den Vorteil, sowohl die Rationalität als auch andere Weisheitsquellen einer Tradition, zum Beispiel “heilige” Bücher (sei es die Bibel, der Koran oder “Das Kapital”) miteinzuschließen. Aus diesem Grunde, trotz der theistischen und christlichen Besonderheit dieses Kürzels “Theologie”, werde ich es, bis ein besserer Begriff gefunden oder geschmiedet worden ist, benutzen, um mich auf die systematischen und vernunftbegründeten Reflektionen über die “religiösen” oder “ideologischen” Überzeugungen zu beziehen, die von menschlichen Gemeinschaften vertreten werden. Spreche ich von einer Universaltheologie der Religion/Ideologie, so will ich auf alle Einsichten eines Glaubens oder einer Ideologie hinweisen, welche die letzte Bedeutung des Lebens und die daraus folgende Lebensführung zu erklären suchen - gleich, ob sie die Vorstellung eines “Theos” miteinschließen oder nicht. Was sie universal macht, ist der Umstand, daß die Reflektionskategorien so gewählt sind, daß sie von Menschem aller Religionen oder Ideologien und nicht nur einer spezifischen, oder von einem bestimmten Kreis, zum Beispiel dem Christentum, den abrahamitischen Religionen, den theistischen Religionen verstanden und angenommen werden können. Wenn dies die Aufgabe ist, so besteht der Weg nach vorn, wie ich glaube, für die Denker jeder religiösen und ideologischen Tradition darin, zu versuchen, ihre Gedanken, ihr “Theologisieren” in Kategorien, Begriffen und Bildern außudrücken, die die anderen nicht nur verstehen können, sondern in die sie sich auch eingeschloßen fühlen können, wie oben

dargelegt wurde. Aber dies scheint in der Tat eine unmögliche Aufgabe zu sein. Wie können Christen zum Beispiel von den Einsichten in den Sinn des Lebens, die ihnen von ihrer christlichen Tradition vermittelt wurden, in Kategorien, Begriffen und Bildern sprechen, die nicht christlich sind? Bei näherer Betrachtung scheint es mir so zu sein, daß Christen ansatzweise genau dies tun. Christen sprechen oft in einer Sprache, die Juden höchst vertraut ist. Wenn sie sich bewußt sind, daß Jeschua nicht Christ, sondern Jude war, so wie alle seine ersten Jünger Juden waren, und daß wahrscheinlich die Mehrzahl ihrer Gebete, usw. aus der hebräischen Bibel stammen, so kann solch diese Idee nicht länger überraschen. Die Tatsache, daß Mohammed ebenfalls die hebräische Bibel und das Neue Testament als heilige Bücher betrachtete, bedeutet, daß vieles aus unserer christlichen Sprache ebenso vertraut für Muslime ist. Deshalb könnten Christen versuchen, einen Teil ihrer Reflektionen nur mit dem Gebrauch eines Vokabulars zu unternehmen, das tatsächlich auch den anderen zwei abrahamitischen Religionen vertraut ist. In der Tat kann dieses Unterfangen angemessenerweise im Rahmen eines Trialogs versucht werden. Einige moderne kritische Denker jedoch haben sofort Schwierigkeiten mit diesem relativ begrenzten Schritt in Richtung auf eine “Universaltheologie der Religion/Ideologie”. Vieles aus der Sprache der jüdisch-christlichen Tradition findet nicht länger eine Resonanz bei viele Juden und Christen, die in der Atmosphere modernen kritischen Denkens heranwuchsen. (Natürlich bedeutet dies nicht, daß moderne kritische Denker automatisch irgendwie weniger religiös sind als “vorkritische” Denker. In der Tat, ein wenig Nachdenken wird uns daran erinnern, daß Moses, Jesus und Mohammed außergewöhnlich “kritische” Denker des Religiösen waren, das zu ihrer Zeit existierte. Tatsächlich war es gerade ihre Radikalität des kritischen Denkens, welche sie zum Urquell neuer religiöser Strömungen machte.) Für solch kritische Denker muß eine Sprache gefunden werden, welche effektiv die authentischen Einsichten der religiösen Tradition auf eine Art mitteilt, welche wirkliche Resonanz im Verstehen und Leben hervorrufen kann. 9. “ÖKUMENISCHES ESPERANTO” Es ist genau diese Herausforderung im Innern der jüdischen und christlichen Traditionen, diese Forderung nach einer Sprache und einem Weg, die alten religiösen Einsichten in Begriffen kritischen Denkens verständlich macht, welche, so glaube ich, uns weiterführen bei dem Versuch, eine “universale Theologie der Religion/Ideologie” zu schmieden. Wir müssen unsere “theologische Sprache”, unsere Begriffe, Kategorien, Bilder, usw., auf unserem gemeinsamen Menschsein errichten. Dies ist es, was der traditionalle Jude, Christ, Muslim, der kritische Mensch, der Hindu, Buddhist, Marxist, usw. miteinander gemein haben. In dem Maße, in dem wir von der religiösen, ideologischen Einsicht in solch menschlich gegründeter Sprache sprechen, in dem Maße werden wir eine “Universaltheologie der Religion/Ideologie” aufbauen können. Anders gesagt, wir müssen versuchen, unsere religiösen Einsichten in einer Sprache “von unten” zu formen, das heißt, aus unserem Menschsein heraus, und nicht “von oben”, nicht aus der Perspektive des Tranßendenten und Göttlichen. Aus leicht veränderter Perspektive gesagt, wir müssen versuchen, eine “theologische” Sprache zu entwickeln, die “von innen” heraus, nicht “von außen” kommt. Wir müßen versuchen, eine Sprache der Immanenz, nicht der Tranßendenz zu sprechen. Dies bedeutet nicht, daß religiöse Menschen nicht länger vom Tranßendenten sprechen sollen, geschweige denn an das Tranßendente glauben sollen. Nein, ich glaube, daß in dieser besonderen Aufgabe, eine “Universaltheologie der Religion/Ideologie” zu formen, wir vom Tranßendenten in immanenten Begriffen, Bildern, Kategorien, usw. zu sprechen lernen müßen.

Diese neue “theologische Sprache” “von unten”, “von innen” heraus, welche eher immanent denn tranßendent ist, kann vielleicht ganz hilfreich ein theologisches/ideologisches “Esperanto” genannt werden, weil es, wie Esperanto, eine interkulturelle Sprache sein soll, die Elemente von verschiedenen lebenden Sprachen aufnimmt, aber so vereinfacht, so “rational”, so “gemeinmenschlich” ist, daß jeder mit dem Wissen seiner eigenen Muttersprache und ein bißchen Kenntnis anderer Sprachen mit Leichtigkeit in der Lage sein wird, sie zu meistern. (Diese Analogie eines “theologisch-ideologischen Esperanto” ist, wie alle Analogien, nur bis zu dem Punkt gültig, an dem “omnia analogia claudet”. So sollte z.B. die von Jesus verwendete Analogie vom unfähigen Verwalter, der die Schulden der Schuldner seines Herrn um die Hälfte verringerte, nicht zu dem Schluß führen, daß Jesus die Vergebung von Verwaltungsverbrechen propagierte; seine Analogie führte zu einem ganz anderen Schluß. Ebenso kann die hier verwendete Analogie von einem “ökumenischen Esperanto” in verschiedenen Hinsichten hilfreich sein; sie sollte aber nicht ins Extreme gedeutet werden, wo sie nicht mehr zutrifft und nicht mehr hilft.) Bis vor relativ kurzer Zeit ging man weitgehend davon aus, daß alle Rede vom “Tranßendenten” notwendigerweise “religiös” im Sinne von “übernatürlich” sei, anders als unsere tägliche und wissenschaftliche Erfahrung und Sprache und gänzlich ausserhalb von ihr. Heute begreift man zunehmend, daß das Tranßendente in unserer täglichen und unserer wissenschaftlichen Erfahrung und Sprache verankert ist. Wir müssen uns “nur” dessen bewußt werden und Denk- und Sprach-kategorien entwickeln, in denen wir scharfsinniger, genauer und gezielter darüber nachdenken und davon sprechen können. Grundsätzlich öffnet sich uns die tranßendente, “religiöse” Dimension dann, wenn wir in Grenzsituationen gelangen (z.B. beim Tod einer geliebten Person; oder bei so etwas einfachem wie dem Erscheinen der ersten grauen Haare, das in uns das Bewußtsein unserer persönlichen Vergänglichkeit hervorruft), was dazu führt, daß wir uns unserer eigenen Grenzen und Grundverständnisse, der Sinnhaftigkeit unserer eigenen Existenz oder der Zuverlässigkeit unserer Sinne oder unseres Intellekts bewußt werden. Im täglichen Leben oder in der modernen Wissenschaft sind Menschen ständig in Akte - oder zumindest Versuche - des Selbst-tranßendierens verwickelt, insofern sie ihren gegenwärtigen Status dabei überschreiten, sei es, daß sie lernen, effizienter zu arbeiten oder moralischer zu handeln etc. Letztlich ist jeder Mensch unausweichlich darauf ausgerichtet, nach den Bedingungen und Ursachen dieses Prozeßes des Selbst-tranßendierens zu fragen. Jeder ist veranlaßt, “über das jeweilige Maß des Selbst-tranßendierens nachzudenken, um zu verstehen, welchen Horizont oder welches Ausmaß dies voraussetzt. . . . [Der Wissenschaftler] kann also Grenzfragen stellen, wie z.B.: . . . Können diese Antworten zutreffen, wenn die Welt nicht rein verstandesmäßig faßbar ist? Kann die Welt verstandesmäßig faßbar sein, wenn sie keinen vernunftbegabten Urgrund hat? . . . Diese Fragen können sowohl als `religiös’ als auch als `Grenzfragen’ definiert werden”. 16 Hier stoßen wir auf das, was tranßendiert oder, um eine andere Metaphorik zu benutzen, was unserer täglichen und wissenschaftlichen Erfahrung zugrunde liegt; hier also stossen wir auf die Grenze, den “Horizont”, den “Grund”, die “tranßendente Dimension”, die das religiöse oder das Göttliche charakterisiert, wie zu Anfang dieser Überlegungen erwähnt wurde. Was an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden muß, ist die Tatsache, daß diese “tranßendente” Dimension unserer täglichen “menschlichen und immanenten” Erfahrung und Sprache, also unserer Erfahrung und Sprache “von unten” oder “von innen” nicht fremd ist, sondern, daß sie darin eingebettet ist, oder umgekehrt, sie ist das Fundament auf dem alles andere ruht und aus dem heraus alles andere spricht. Dies ist eine Tatsache,

derer wir uns bewußt werden müssen und die wir artikulieren müssen, nicht nur um uns selbst tiefgründiger zu verstehen, sondern auch um Andere besser zu verstehen, wobei die Grundlage für diese Erkenntnis unseres Selbst und Anderer in einer gemeinsamen Humanität liegt, die im Tranßendenten eingebettet ist. Folglich ist es dringend notwendig, eine auf Menschlichkeit basierende “Sprache” zu entwickeln, die das Tranßendente im Immanenten ausspricht, ein “ökumenisches Esperanto”. Im geistigen Erbe der großen Traditionen des Ostens wie des Westens findet man sicher viel, was zur Entwicklung eines solchen (universalen) “ökumenischen Esperanto” beiträgt. Ein großer Schritt in Richtung auf eine solchen Entwicklung wurde in der europäischen Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts getan, mit ihrer Betonung des gemeinsamen menschlichen Ursprungs und des “Weltenbürgers”. Ihre universale Bedeutung wurde durch den Kontakt Europas mit der ganzen Welt verstärkt, der einen regen Austausch von Informationen und Impulsen mit sich brachte. Die Aufklärung wurde durch die darauffolgende Kritik des Geschichtsbewußtseins, durch die Hermeneutik (so z.B. von Feuerbach, Nietzsche, Freud, Mannheim) und durch kulturübergreifende Analysen etc. geläutert und vertieft. Diese sich immer mehr ausbreitende, alles durchdringende, weltweit gegenseitige Aufklärung macht heutzutage die Entwicklung eines “ökumenischen Esperanto” möglich. Darüber hinaus tragen die Errungenschaften und Entwicklungen der Sozialwissenschaften der letzten einhundert Jahre (Psychologie, Soziologie, Anthropologie . . .) zunehmend dazu bei, die Gedankenkategorien und das Vokabular einer Sprache zu vervollständigen, die “auf Menschlichkeit basiert” und “von unten”, “von innen”, oder “immanent” ist. Vor ihrer Entwicklung schien es weitgehend unmöglich, überhaupt an die Möglichkeit elner solchen Sprache zu denken. Nun ist es aber soweit. Darüber hinaus kann Esperanto die Verständigung auf einer breiten internationalen und interkulturellen Ebene erleichtern. Niemals zielte Esparanto darauf ab, den Platz aller oder sogar nur einer der lebenden Sprachen dieser Welt einzunehmen. Die Intention war im Gegenteil lediglich, eine internationale Ergänzungssprache zu sein; als solche aber kann Esparanto von ungeheurem Wert sein. An diesem Punkte, so glaube ich, bricht die Analogie zusammen, oder zumindest hoffe ich, daß sie es tut, denn Esperanto wurde in Tat kein Erfolg. Im Ganzen sind es vielleicht gerade 20 Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die des Esperanto mächtig sind; von daher kann es kaum seine Aufgabe erfüllen. (Desweiteren ist Esparanto nur auf indo-europäischer Kultur basiert.) Das “ökumenische (universale) Esperanto”, von dem ich spreche, muß, um zu gelingen, mehr als die Anhängerschaft eines kleinen exklusiven Zirkels religiöser/ideologischer Denker gewinnen. Andernfalls wird es in der Tat weitgehend das Schicksal erleiden, das Esperanto in der linguistischen Welt zuteil wurde. Eifern wir deshalb nicht dem Narren nach, der durch seine eigene Fehler lernt, sondern eher dem Weisen, der von den Fehlern anderer lernt, und arbeiten wir effektiv daran, “ökumenisches Esperanto” zu einem belebenden Werkzeug in der Entwicklung einer “Universaltheologie der Religion/Ideologie” zu machen. Das Erlernen einer fremden Sprachen bietet uns eine gute Analogie, wenn wir über die Entwicklung einer “Universal- theologie der Religion/Ideologie” sprechen. Eine der grundlegendsten Fähigkeiten zum Aneignen einer neuen Sprache ist das “hören”, das “unterscheiden” neuer Laute, oder solche Laute, die zumindest uns neu erscheinen. Dies ist gewöhnlich umso schwieriger, je älter der/die Lernende ist - das heißt, je mehr wir an unsere besonderen linguistischen Laute gewöhnt und in ihnen befangen sind, oder, um von unserem primären Thema zu sprechen, je mehr wir an unsere besondere religiöse, theologische,

ideologische Sprache gewöhnt und in ihr absorbiert sind, was Kategorien, Begriffe, Bilder, Geschichten, usw. betrifft. Darüberhinaus sind alle unseren religiösen Traditionen in einer Ära gewachsen und entwickelt worden, in der tendentiell “von oben”, “von außen” gesprochen wurde, also von der Perspektive des Tranßendenten, von Gott aus. Deshalb wird es uns besonders schwer fallen, unsere theologischen und religiösen Ohren darauf einzustimmen, die gleiche Bedeutung in anderen Lauten dieser anderen Sprache zu hören, die unserer Tradition so fremd ist, nämlich im “ökumenischen Esperanto”, “von unten”, “von innen”, in der Immanenz an Stelle der Tranßendenz, oder vielleicht besser gesagt, der Tranßendenz in der Immanenz. Andererseits werden Ideologien, wie z.B. der Marxismus wahrscheinlich grÖßere Schwierigkeiten haben, die tiefe oder “spirituelle” Dimension wahrzunehmen. Wir alle haben in der Tat nicht nur die ungeheure Aufgabe vor uns, eine neue Sprache, ein “ökumenisches Esperanto” zu entwickeln, sondern zur gleichen Zeit die viel grössere Herausforderung, ein “neues Bewußtsein” heraußubilden, welches fähig sein wird, dies neue “ökumenische Esperanto” zu “hören” und zu “verstehen”. Natürlich kann diese Aufgabe nicht in zwei aufeinanderfolgenden Schritten vollzogen werden. Vielmehr muß sie in dialektischer und dialogischer Weise ausgeführt werden, mit kontinuierlichem Vor-und Rückbezug, mit Gegenseitikeit und Wechselwirkung zwischen der Formierung einer neuen Sprache, dem “ökumenischen Esperanto”, und dem neuen Bewußtsein, dem “ökumensichen Bewußtsein”. Was jedoch könnte passender sein für die Ausführung dieser Aufgabe, als eine Theologie für weltweiten interreligiösen, interideologischen Dialog zu schaffen?17 Weil interreligiöser, interideologischer Dialog notwendigerweise immer ein zweiseitiges Projekt ist - sowohl innerhalb jeder religiösen oder ideologischen Gemeinschaft als auch zwischen den religiösen und ideologischen Gemeinschaften selbst - ist zumindest ein weiterer Schritt nötig. Ich beschrieb oben die Notwendigkeit, daß jeder Teilnehmer eines interreligiösen, interideologischen Dialogs nicht nur mit seinen Partnern jenseits der Glaubens/Ideologiegrenze, sondern ebenso mit seinem Glaubens/Ideologiegenossen in Dialog eintritt, da nur so die ganze Gemeinschaft allmählich lernen, sich ändern und auf immer sensiblere Einsichten in die Wirklichkeit hin wachsen kann. Um diesen intra-religiösen, intraideologischen Dialog als die andere Hälfte des inter-religiösen, inter-ideologischen Dialogs zu verwirklichen - das heißt, “ökumenisches Esperanto” fruchtbar zu machen und ein neues “ökumenisches Bewußtsein” zu entwickeln, um die neue “Universaletheologie der Religion/Ideologie” zu hören und zu verstehen - ist es während des ganzen Prozeßes von nöten, Verbindungen zwischen dem neu gebildeten “ökumenischen Esperanto” und jeder der traditionellen religiösen Sprachen zu schaffen: Wenn wir “X” in “ökumenischem Esperanto” sagen, so korrespondiert das zu “A” im Christentum, “B” im Judentum, “C” im Marxismus, usw. Auf diese Weise werden wir wirklich in der Lage sein, miteinander zu sprechen und einander zu verstehen. Gleichzeitig jedoch müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß, wie auch in allen Übersetzungen auf dem linguistischen Gebiet, keine Übersetzung exakt dem Original gleicht. Deshalb wird kein Begriff dem andern aufs Genaueste gleichen ,obwohl “X” vielleicht wesentlich und grundsätzlich “A”, “B”, “C”, usw. entspricht. Diese Tatsache ist natürlich nicht beklagenswert, sondern, im Gegenteil, etwas zutiefst Schätzenswertes. Alles Leben ist ungeheuer kompliziert, und menschliches Leben ist wohl am kompliziertesten. Jemand, der in der Lage sein wollte, alle Kompliziertheit des menschlichen Lebens außudrücken und zu begreifen, mÜßte alle Menschen, die je gelebt haben, die je leben werden, und die je leben könnten, verstehen können. Wird man sich desweiteren bewusst der sozusagen unendlichen Komplexität des Tranßendenten in seiner Beziehung zum Ganzen des Menschlichen, in seiner

Aktualität und Potentialität, so liegt es auf der Hand, daß man gänzlich göttlich sein müßte, um solch eine allumfassende Vorstellung zu äußern - und ebenso göttlich, sie zu verstehen. Wir können dies offensichtlich nicht. Hierin wurzelt die unabdingbare Notwendigkeit unseres Versuchs, immer vollständigere Einsicht in die Bedeutung menschlichen Lebens mit Hilfe eines Dialogs mit stetig wachsendem Vokabular über diese Einsicht, zu gewinnen. Mit anderen Worten: Wir bejahen die Vielfältigkeit, sogar bis ins Unendliche; aber wir bedürfen einem Zugang zu dieser Vielfältigkeit, der in angemessener Einfachheit das Verständnis erleichtern und nicht verdunkeln wird. Es darf auch nicht vergessen werden, daß ich, wenn ich von “ökumenischem Esperanto” spreche, nicht eine Art blasser, reduktionistischer “theologischer” Rhetorik des kleinsten Nenners das Wort rede. Ich spreche nicht von einer “Theologie”, die oberflächlicher als unsere gegenwärtigen Systeme ist, sondern eher von einer, die tiefgründiger ist, die tiefer in unsere Seele dringt, sowohl im Individuellen als auch im Gemeinschaftlichen. “Ökumenisches Esperanto” darf auf keinen Fall lediglich eine oberflächliche, aufgewärmte Rationalität der Aufklärung sein. Nein, es muß weit darüber hinaus reichen und ebenfalls alle Fortschritte in unserem Wissensverständnis nutzen, die ihrerseits, was wir nicht vergessen sollten, ebenso kulturgebunden sind. Um deshalb wirklich auf dem Menschlichen gegründet zu sein, muß der religiöse, ideologishe Denker danach streben, alle Einsichten in die Bedeutung des Menschlichen, einschließlich der Einsichten außerhalb unserer westlichen Kultur, miteinzubeziehen. Das “wir”, impliziert in den Begriffen “von unten” und “von innen”, muß ein “wir” so umfassend wie irgend möglich sein, in der Tat: ein immer weiter werdendes “wir”. Und dies kann nur geschehen, wenn wir uns über die westliche Kultur hinaus bewegen - ohne sie jedoch preißugeben - über das Judentem hinaus, über das Christentum, den westlichen Humanismus und den Marxismus hinaus, um die Einsichten des Islam, des Hinduismus, des Buddhismus, usw. zu absorbieren. Dies kann nur mit Hilfe harten Studiums, dem “Hinüberreichens” in das Innere anderer Religionen, Ideologien und Kulturen, und in geduldigem und tiefgründigem Dialog mit ihnen erzielt werden. Eine praktische Bemerkung sei mir an dieser Stelle erlaubt: Soll dieses “Hinüberreichen” in das Innere anderer Religionen realisiert werden, so müßen alle gebildeten religiös oder ideologisch engagierten Menschen, abgesehen vom tieferen Studium ihrer eigenen Tradition, ebendso Kenntnisse über andere religiöse und ideologische Traditionen erwerben. Sie sollten vorzugsweise mit Menschen studieren, die nicht nur gut über diese Traditionen informiert sind, sondern selbst in diesen Religionen oder Ideologien leben, damit sie um so mehr diese Tradition “von innen” heraus verstehen. Würde man die Bedeutung des Begriffes Ökumene erweitern, so daß er den Dialog mit allen Religionen und Ideologien miteinbezöge, so würde man starke Unterstützung finden für unsere Vorschläge sowohl in den Dokumenten Vatikanum II als auch in darauffolgenden Schriften des Vatikan: Wir müssen mit den Ansichten unserer von uns getrennten Brüder vertraut werden. Ein Studium ist zu diesem Zwecke absolut notwendig, und es sollte in Treue zur Wahrheit und im Geiste des guten Willens verfolgt werden. Katholiken . . . müßen ein angemesseneres Verständnis der jeweiligen Doktrinen unserer von uns getrennten Brüder erwerben, von ihrer Geschichte, ihrem spirituellen und liturgischen Leben, ihrer religiösen Psychologie und ihrem spirituellen Hintergrund. Höchst wertvoll für diesen Zweck sind Begegnungen beider Seiten besonders für die Diskussion theologischer Probleme - in denen sich jeder mit dem anderen auf gleicher Ebene befassen kann (par cum pari).18 Das “Handbuch über ökumenische Fragen,” von dem Sekretriat für christliche Einheit des Vatikans im Jahre 1970 herausgegehen, macht diesen Punkt noch deutlicher:

Alle Christen sollten in ökumenischem Geiste leben . . . deshalb sollten die Prinzipien der Ökumene, wie sie vom zweiten Vatikanischen Konzil gebilligt wurden, angemessen in allen Institutionen Höheren Lernens eingeführt werden . . . Bischöfe, . . . religiöse Führungskräfte und die Autoritäten in kirchlichen Hochschulen, Priester-seminaren, Universitäten und ähnlichen Institutionen sollten keine Mühe scheuen, die ökumemische Bewegung zu unterstützen und mit allen Kräften darauf achten, daß ihre Lehrer mit den Fortschritten im ökumenischen Denken in Berührung bleiben. 19 Natürlich sind diese Reflektionen für alle Religionen und Ideologien gültig. Auf dem Gebiet der christlichen Missionsforschung wurde eine ähnliche Feststellung von Paul Knitter gemacht : Um das Königreich zu unterstützen, müssen die Christen Zeugen Christi sein. Alle Völker, alle Religionen müßen von ihm Kunde haben, damit sie den vollen Inhalt göttlicher Gegenwart in der Geschichte fassen können. Darin liegt Teil des Zweckes und der Motivation, bis an die Grenzen der Erde vorzudringen. In der neuen Kirchenlehre und im neuen Wahrheitsmodell jedoch gesteht man ein, daß alle Völker ebenso von Mohammed oder Krishna wissen sollten [man könnte Sokrates, Marx, usw. hinzufügen]. Dies ist ebenso Teil des Zieles und der Inspiration für die missionarische Arbeit: selbst bezeugt werden, damit Christen ihr eigenes Verständnis von Gottes Gegenwart und Sinn in der Welt vertiefen und erweitern können. Durch gegenseitiges Bezeugen bewegt sich dies gegenseitige Wachsen die Arbeit an der Verwirklichung des Königreichs nach vorn. 20 10. ZIELE DES INTERRELIGIÖSEN UND INTERIDEOLOGISCHEN DIALOGS Zu den Zielen von interreligiösem und interideologischem Dialog wurde weiter oben schon einiges bemerkt; so zum Beispiel sprachen wir von Zielen wie dem Lernen um des inneren Wachsens willen, den anderen verstehen zu lernen, Werte zu erkennen und zu bejahen, offen zu werden für neue Dimensionen der Wirklichkeit, Zeugnis zu geben und bezeugt zu werden, usw. An diesem Punkte erscheint es jedoch hilfreich, eine systematischen Zusammenfassung dessen zu geben, was und was nicht die Ziele des interreligiösen und interideologischen Dialogs sind. Das allgemeine Ziel eines Dialoges ist, daß jede Seite lernt und sich entspechend ändert. Wenn jede Seite zum Dialog kommt mit dem primären Ziel zu lernen, so wird die jeweils gegenüberliegende Seite natürlich auch lehren müssen; sowohl Lernen als auch Lehren wird sich in einer solchen Begegnung vollziehen. Ist aber das Gegenteil der Fall, kommt also jede Seite zum Dialog, um primär zu lehren, so werden, wie die Erfahrung uns zeigt, beide Seiten dahin tendieren, sich dem anderen zu verschließen: Weder lernen noch lehren wird in einer solchen Begegnung stattfinden. Man muß nun zwischen innerchristlichen (und innerjüdischem, innermuslimischen, usw.) Dialogen auf der einen Seite und christlich-buddhistischen, hindu-muslimischen u.a. Dialogen auf der andere Seite unterscheiden. Das Ziel des Ersteren ist eine Art überdachender, “organischer”, aber dennoch pluralistischer Einheit (nicht Gleichartigkeit). Eine einzige, alles überdachende organische Weltreligionsideologie ist nicht das Ziel interreligiösen und interideologischen Dialogs. Vielmehr können die folgenden drei Ziele

formuliert werden: 1) den Anderen noch authen- tischer kennenzulernen; 2) sich selbst noch tiefer kennezulernen; 3) in Einklang damit ein bereichernderes Leben zu führen. Natürlich lernen wir im Dialog immer mehr über unsere Partner; wir werden im Verlauf des Dialogs die Fehl-information über sie/ihn, die wir bis dahin hatten, überwinden. Aber wir lernen auch mehr über uns. Unser Dialog Partner wird für uns zum Spiegel werden, in dem wir uns selbst auf neue unbekannte Weisen wahrnehmen können. Gerade in dem Prozess, Antworten auf die Fragen unserer Partner zu geben, schauen wir in unser inneres Selbst und in unsere Traditionen hinein, in Weisen, die wir zuvor nicht kannten; und so lernen wir uns selbst kennen auf eine Art, wie es uns ausserhalb des Dialogs nicht möglich wäre. Desweiteren lernen wir mehr über uns selbst, indem wir zuhören, wie unsere Partner uns wahrnehmen; wir erfahren also mehr darüber, “wie wir in der Welt sind”. Weil niemand einfach in sich selbst ist, sondern immer in Bezug zu etwas anderem steht, deshalb ist die Weise, “wie wir in dem Welt sind”, wie wir uns zu anderen Menschen beziehen und sie beeinflussen, in der Tat ein Teil unserer Wirklichkeit, ein Teil von uns. Es ist nur durch einen Dialog mit einer anderen Kultur möglich, daß wir unsere eigene Kultur besser kennenlernen. EIn konkretes Beispiel mag dies verdeutlichen: ich entdeckte viele Dimensionen meines amerikanischen kulturellen Erbes nur durch einen langjährigen Aufenthalt in Europa - und entdeckte mein allgemein westliches kulturelles Erbe, indem ich im Orient lebte. Mit Hilfe des interreligiösen und interideologischen Dialogs werden wir es erreichen, unser eigenes religiöses und ideologisches Selbst in all seinen Konsequenzen und Widersprüchen, seinen bewundernswerten und abstoßenden Eigenschaften, bewußt kennenzulernen. Wie schon erwähnt: unsere Dialogpartner werden uns als Spiegel dienen und uns unser wahres Selbst zeigen. Schon solch ein Gewinn allein ist den Preis einer möglichen Frustration im Dialog wert. Dieses erweiterte Kennenlernen unseres eigenen Selbst und des Anderen, zu dem wir durch Dialog gelangen, darf natürlich in unserem Leben nicht uneffektiv bleiben. So wie sich unser Selbstverständnis und unser Verständnis von Personen und Sachen um uns herum ändert, so muß sich auch unsere Haltung gegenüber uns Selbst und Anderen gegenüber ändern, und konsequenterweise also auch unsere Handlungen. Wo diese innere und äußere Änderung, diese Transformation nicht stattfindet, dort wird, wie wir schon weiter oben erwähnt, die Diskrepanz zwischen beiden unausweichlich zu Schizophrenie oder Heuchelei führen. Ob von der dem Dialog folgenden Transformation als “jenseits des Dialoges” sprechen mag, wie John Cobb in seinem Buch Beyond Dialogue, oder ob man Transformation als ein integraler Teil des weiter laufenden Dialog-prozess ansieht, wie Klaus Klostermeier (Journal of Ecumenical Studies 21,4 [Fall, 1984], pp. 755-759) argumentiert, braucht uns hier nicht zu interessieren. Wichtig ist es aber, daß die Kette “Dialog-Erkenntnis-Veränderung” nicht zerrissen wird. Wenn das letzte Glied, die Veränderung, wegfällt, so wird die Authentizität des zweiten (Erkenntnis) und des ersten Gliedes (Dialog) in Frage gestellt. Erinnern wir uns daran: Das Ziel eines Dialogs ist, daß “jede Seite lernt und sich entsprechend ändert”. Wir lernen unseren Partner im Dialog nicht einfach als uns gegenübergestelltes Objekt kennen. Vielmehr erfahren wir unseren Partner in einer dialogischen Art und Weise, das heißt, in Beziehung zu uns. (Da wir hier über interreligiösen und interideologischen Dialog sprechen, müßen wir seinen korporativen Charakter im Auge behalten.) Deshalb werden wir in wachsenderer Fülle das uns Gemeinsame kennenlernen - welches, wie wir schon aus

Erfahrung wissen, unermeßlich größer und tiefer ist, als wir es uns früher vorgestellt haben. Aber gleichzeitig werden wir auch unsere wirklichen Unterschiede feststellen (offensichtlich sind wir uns in der Tiefe unseres Wesens nicht gleich; wären wir es, so gäbe es keinen Dialog, sondern nur einen Monolog - den Tod allen menschlichen Austausches). Solche Verschiedenheiten können: 1) komplementärer Natur sein, wie zum Beispiel eine Betonung des Prophetischen statt des Mystischen; oder sie sind 2) analogischer Natur, wie zum Beispiel die Idee Gottes in den semitischen Religionen und Sunyata im Mahayana Buddhismus; oder sie sind 3) sich widersprechender Natur, wo die Annahme einer Vorstellung eine andere ausschließt, wie zum Beispiel die jüdisch-christliche Vorstellung von der unverletzbaren Würde jeder einzelnen Person der jetzt größtenteils verschwundenen Sitte Suttee, der Witwenverbrennung im Hinduismus (oder sogar der Hexenverbrennung im Christentum) widerspricht. Wir wissen ebenso schon aus Erfahrung, daß die ersten zwei Arten von Unterschieden die letztere Art zahlenmäßig übertreffen werden. Alle drei Kategorien werden später detaillierter diskutiert werden, hier sei nur gesagt, daß die Unterschiede der ersten und zweiten Kategorien nicht nur einfach wahrgenommen und anerkannt werden sollten; vielmehr sollten sie gefeiert werden: durch das Kennenlernen unterschiedlicher Ideen und Auffassungen können wir unser eigenes Verständnis der Wirklichkeit erweitern, und wir können dieses erweiterte Verständins der Wirklichkeit in die Tat umsetzen, was denn auch das Hauptziel eines Dialogs ist. 11. DIE DIALOGSTHEMEN Von der Notwendigkeit, in einem Dialog zuerst diejenigen Themen zu behandeln, die einen hohen Grad an Gemeinsamkeit versprechen, um zunächst einmal ein gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, war zuvor schon die Rede. Die drei Schwerpunkte eines Dialogs werden, wie wir feststellten, die kognitive, aktive und spirituelle Dimension des Lebens sein. In mancher Hinsicht scheint die letztere, die spirituelle Dimension, die attraktivste zu sein, zumindestens für denjenigen Partner mit innermenschlichen, mystischen oder psychologischen Neigungen. DarÜberhinaus verspricht gerade diese Dimension einen großen Grad an Gemeinsamkeit innerhalb der verschiedenen Religionen/Ideologien: unter den Mystikern verschiedenster Religionen, zusammen mit Vertretern einiger philosophischer Systeme, wie z. B. des Neuplatonismus, scheint weitestgehend Einigkeit in Bezug auf eine letze Realität zu bestehen, auch wenn diese Realität auf unterschiedliche Weise beschrieben wird. So zum Beispiel scheinen ein Großteil der muslimischen Sufis, jüdischer Kabbalisten, hinduistischer Bhaktas, christlicher Mystiker, buddhistischer Bodhisattvas und platonischer Philosophen sich einig zu sein in ihren Streben nach, und einer Erfahrung von, einer Einheit mit dem/der Einen, der/die im Westen Gott, ho Theos genannt wird. Manchmal wird dieses Bild des/der Einen als eine Bergspitze portraitiert, zu der hin alle Menschen auf verschiedenen Pfaden streben. Jede/r hat einen anderen Weg (Hodos, Halachah, Shar’ia, Marga, Magga, Tao) Ho Theos zu erreichen, aber alle sind auf dieses eine, selbe Ziel konzentriert. Daher wird solch eine Interpretation der Religion oder Ideologie theozentrisch genannt.

Obwohl Theozentrismus ein sehr attraktives Konzept darstellt, muß man sehr vorsichtig sein, andere Gottesverständnisse nicht an die Seite zu schieben, als ob sie ohne Bedeutung wären; verschiedene Vorstellungen von Gott können einen bedeutsamen Unterschied im menschlichen Selbstverständnis machen, und daher auch in unserem Verhalten gegenüber uns selbst, gegenüber anderen Menschen und der Welt um uns herum, und gegenüber der letzten Quelle allen Seins. Darüberhinaus würde ein einseitig theozentrischer Zugang Nicht-theisten aus dem Dialog ausschließen. Betroffen davon wären nicht nur atheistische Humanisten und Marxisten, sondern auch nicht-theistische Theravada Buddhisten, die die Existenz Gottes nicht verneinen, sondern die letzte Wirklichkeit als einen nicht-theistischen, nicht-persönlichen Seinsgrund verstehen, im Gegensatz zum Theisten, die einen “persönlichen” Gott, Theos als diesen letzten Seinsgrund betrachten. Ein alternativer Ansatz, der auch diese Partner in einem Dialog auf dem Gebiet der “Spiritualität” miteinschließen würde, wäre durch die Suche nach der letzten Bedeutung des Lebens, durch die Suche nach dem “Heil” möglich. (Das deutsche “Heil” hat Äquivalente in anderen Sprachen, die eine erweiterte Deutung zulassen, so z.B.:”Salus” im Lateinischen, was “geheiltes Leben” bedeutet; “a whole, and therefore holy life” auf englisch, d.h. ein ganzheitliches und deshalb ein heiliges Leben; und eine ähnliche Bedeutung im Griechischen: “Soteria”). Diese Suche nach dem “Heil-sein” scheint im “spirituellen” Bereich allen Menschen, Theisten wie Nicht-theisten, gemeinsam zu sein. Daher sprechen wir von Soteriozentrismus. Dialog auf dieser Praxis-Ebene muß grundsätzlich die Prinzipien, die eine Tradition zum Handeln motivieren, thematisieren. Nocheinmal ist zu betonen, daß, auch wenn viele Ähnlichkeiten in diesem Bereich entdeckt werden, nichtsdestotrotz auch Unterschiede vorhanden sein werden, deren Bedeutsamkeit nicht herunterzuspielen ist. Nur durch ein vorsichtiges und sensibiles Herausfiltern jener zungrundeliegenden ethischen Prinzipien kann gewährleistet werden, daß spätere Mißverständnisse und Frustrationen im Dialog über spezifische Themen der Ethik vermieden werden. Spezifische Gebiete der Ethik, wie Sexualethik, Sozialethik, Ökologische Ethik, oder Medizinische Ethik könnten Brennpunkte des interreligiösen, interideologischen Dialoges bilden; sie könnten sogar, in Problemen, die eine Lösung vereinbar mit den Prinzipien dieser verschiedenen Traditionen erlauben, zu einer konkreten Zusammenarbeit führen. Es ist aber vielleicht der Bereich der Doktrinen, wo die Auswahl an möglichen Themen am größten ist. Eine fast unbegrenzte Anzahl an Themen steht hier zur Verfügung. Wie schon mehrmals hervorgehoben wurde, ist es auch hier wichtig, daß weniger kontroverse Punkte in einem Dialog den Anfange bilden sollten, und schwierigere Themen erst später einbezogen werden sollten. Jede Dialoggruppe sei aber nichtsdestotrotz aufgefordert, ihrem eigenem inneren Instinkt und eigenen Interessen schöpferisch nachzugehen. Einige Gruppen werden so ihren Dialog eher mit konkreten Themen beginnen und erst danach allmählich die zugrundeliegende Prinzipien diskutieren, während andere Gruppen sich von prinzipiellen Themen zu deren konkreten Implikationen vorarbeiten werden. Ist eine angemessene Vorbereitung und Sensibilität vorhanden, so kann und darf kein Thema a priori als ungeeignet für einen Dialog erklärt werden. Unterstützung für einen solchen Dialog kann man von einer, für viele Menschen unerwarteten, Seite, nämlich von der Curia Vaticana, finden. Das vatikanische Sekretariat für die Nichtglaeubigen schreibt, daß “der Dialog über die Lehre mit Mut und leidenschaftlicher Aufrichtigkeit, im Geist größtmöglicher Freiheit und Achtung geführt werden [muss].” Desweiteren heißt es, in einer Liberalität, die sonst selten in vatikanischen Dokumenten zu

finden ist: “Der Dialog in der Lehre soll mit Mut und Aufrichtigkeit beider Seiten in einem ehrlichen Ausdruck der eigenen Meinung und in einer Anerkennung der Wahrheit überall geführt werden, sogar dann wenn die Wahrheit so vernichtend ist, daß man dazu gezwungen ist, die eigene Position in Theorie und Praxis erneut zu überdenken.” Das Sekretariat betont desweiteren, daß “in Diskussionen die Wahrheit durch kein anderes Mittel außer der Wahrheit selbst überwunden wird. Deshalb muß die Freiheit der Teilnehmer gewährleistet und in Praxis behütet werden.”21 Dies sind kräftige Forderungen --die wieder nicht nur für die Katholiken der Welt, sondern in allgemein Geltung haben. 12. WANN MAN DIALOG FÜHREN SOLLTE--UND WANN NICHT Im Prinzip sollten wir Dialogen mit allen möglichen Partnern zu allen möglichen Themen offen sein. Weil verschiedene Religionen und Ideologien der Welt in sehr großem Maße mißinformiert sind ueber ihresgleichen, und aufgrunddessen Feindseligkeit gegeneinander entwickelt haben, ist es fast unmöglich von vorneherein zu wissen wie sich ein potentieller Dialog über beliebige Themen entwickeln wird. Daher müssen wir normalerweise zuallererst in einen aufrichtigen Dialog mit jedem potentiellen Partner eintreten, um zu erfahren, wo genau die wahren Unterschiede liegen. In der Beurteilung dieser Unterschiede aber müssen wir sehr vorsichtig sein. Wie oben angedeutet, erfahren wir oft in dem Prozess des Dialogs, daß ehedem als echte Unterschiede beurteilte Differenzen sich als lediglich scheinbare Unterschiede entpuppen; in solchen Fällen hatten unterschiedliche Formulierungen oder aber Mißverständnisse gemeinsame Positionen nur zugedeckt. Wenn wir in Dialog eintreten, müssen wir andererseits aber auch die Möglichkeit gelten lassen, daß wir am Ende nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch echte Unterschiede finden werden. Wie schon weiter oben beschrieben, können diese echte Unterschiede von drei Arten sein: komplementäre, analogische oder sich widersprechende. Komplementäre echte Unterschiede werden natürlich wahre Unterschiede sein, aber keine der Positionen wird ausschliessliche Gültigkeit beanspruchen können. Darüberhinaus wissen wir aus unserer Erfahrung, daß komplementäre Unterschiede weiter verbreitet sind als sich widersprechende. Desweiteren wird, waehrend wir solche komplementären Unterschiede kennenlernen, nicht nur unseres Wissen vergrößert werden, sondern wir werden unter Umständen auch dazu übergehen, uns komplementäre Positionen zu eigen zu machen. Wie der Terminus selbst andeutet, vervollständigen (komplementieren) diese Unterschiede einander; wie der chinesisch-taoistische Spruch es ausdrückt: “Xiang fan xiang cheng” (Gegensätze komplementieren einander). Genauso, wie wir ständig sehr vorsichtig in der a priori Haltung zu möglichen Unterschiede sein müßen, so dürfen wir auch wirkliche Unterschiede nicht allzu leichtfertig in die Kategorie des Widerspruchs einordnen. So könnten zum Beispiel das hinduistische Mokscha, das zen-buddistische Satori, die christliche “Freiheit der Kinder Gottes” und der marxistische “kommunistische Staat” als verschiedene, aber analogische Beschreibungen echter menschlichen Befreiung verstanden werden. Wenn wir von wahren, analogischen Unterschieden im Glauben oder in Werten sprechen, so meinen wir nicht mehr die Erkenntnisse der Lehre oder Praxis unserer Partner, die wir uns vielleicht für unsere eigne Tradition anzueignen wünschen. So etwas geschieht, und soll selbstverständlich geschehen, würde aber letztlich auf eine tiefere Gemeinsamkeit der betroffenen Traditionen hinweisen, oder ist als echte, komplementäre Unterschiede einzustufen. Ein Unterschied wird aber dann als analogisch eingestuft werden, wenn ein Element, das innerhalb der organischen Struktur einer bestimmten Religion/Ideologie fungiert, seine Funktion nur innerhalb dieser Struktur

richtig wahrnehmen kann. Dieses Element könnte nicht die gleiche Funktion, d.h. das gleiche Verhältnis zu anderen Teilen innerhalb unserer totalen Struktur haben, und desshalb würde es nicht als ein direkter Widerspruch zu dem parallelen Element innerhalb unserer Struktur verstanden werden. Gleichzeitig aber sollte man sich darüber im Klaren sein, daß ein solcher analogischer Unterschied im Glauben oder in Werten nicht Konflikt bedeutet, sondern daß dieser Unterschied als parallel in Funktion, und in jenem Sinn analogisch, verstanden werden sollte. Trotzdem finden wir manchmal widersprechende Wahrheits- und Werturteile, die von verschiedenen religiösen/ideologischen Traditionen vertreten werden. Dies ist der Fall, wenn Aussagen nicht als letzendlich verschiedene Ausdrücke der selben Sache (eine Gemeinsamkeit) oder als komplementär oder analogisch gesehen werden können. Sobald dies geschieht, wenn auch nur äußerst selten, so stellt sich den betroffenen Gemeinschaften ein schweres, aber unvermeidliches Problem: Welche Haltung sollen sie einander gegenüber einnehmen? Sollen sie den Dialog fortführen, sollen sie einander tolerieren, einander ignorieren oder aber dem anderen gegenüber Widerstand leisten? Dieses Problem ist besonders dringend in Bezug auf Werturteile. Was, zum Beispiel, soll ein Christ (oder ein Jude, Muslim, Marxist) angesichts der heutzutage größtenteils, aber unglücklicherweise noch nicht ganz abgeschaften Sitte der hinduistischen Witwenverbrennung (Suttee) tun? Soll er/sie versuchen, die zugrundeliegenden Werte zu verstehen, sie zu tolerieren; soll er/sie Suttee ignorieren, oder aber Widerstand leisten (und wenn ja, wie)? Wie reagieren wir auf Nazis, die alle Juden töten wollen? Diese Fragen sind verhältnismässig klar zu beantworten, aber wie steht es um eine Religion/Ideologie, die der Sklaverei zustimmt, wie es das Christentum, das Judentum und der Islam noch bis vor einen Jahrhundert taten? Vielleicht erlaubt auch dieses Problem heutzutage eine einfache Lösung, aber wie steht es um Sexismus--oder nur ein geringes Maß an Sexismus? Wie verfahren wir mit dem Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in dem auf beiden Seiten behauptet wird, nur durch Sozialismus (oder Kapitalismus) sei volle menschliche Freiheit gewährleistet? Die Entscheidung über angemessenes Handeln wird immer unklarer. Letztendlich war es für die meisten Nicht-hindus des 19. Jahrhundert klar, daß die richtige Haltung Hinduismus gegenüber dem Suttee nicht im Dialog, sondern in der Opposition bestand; wahrscheinlich aber kann nicht das gleiche für alle Nicht-Nazis in Bezug auf den den jüdischen Völkermord gesagt werden. Auch dauerte es fast zweitausend Jahre bis Christen zu der gegenwärtigen Position bezüglich der Sklaverei gekommen sind. Viele Religionen und Ideologien stehen heute in der Mitte einer großen Auseinandersetzung über Sexismus--wobei manche sogar das Problem als solches nicht wahrhaben wollen. Offensichtlich gibt es also wichtige, sich widersprechende Unterschiede zwischen Religionen-Ideologien, die manchmal nicht Dialog, sondern Opposition erfordern. Als Individuen urteilen wir kritisch über die Annehmbarkeit verschiedener Positionen unserer eigenen Tradition, wie wir auch unser persönliches Leben kritisch hinterfragen. Natürlich darf sich dieser Gebrauch unserer kritischen Fähigkeiten nicht auf uns und unsere Tradition beschränken. Diese vielleicht menschlichste Fähigkeit sollte allen zur Verfügung stehen natürlich mit allen nötigen Vorbehalten und Sorgen um den Dialog, wie schon ausführlich beschrieben wurde. Selbstverständlich muß man zunächst entscheiden, auf welcher Basis wir urteilen können, ob und wann ein religiös-ideologischer Unterschied in der Tat widersprüchlicher Natur ist, und ob dieser Unterschied aktive Opposition rechtfertigt. Da alle Religionen und Ideologien Versuche sind, den Sinn menschlichen Lebens und eine ihm angemeßene Lebensform zu beschreiben, so scheint es, daß solche Doktrinen,

Gebräuche, etc., die dem menschlichen Leben feindlich gegenüberstehen, nicht als komplementär oder analogisch, sondern als widersprüchlich eingeschätzt werden müssen und daß Widerstand gegen sie in dem Maße geleistet werden muß, in dem sie lebensbedrohende Wirkungen zeigen. Alles das, was ein authentisch erfülltes menschliches Leben ausmacht, wird dann das Maß sein, an dem alle Elemente von Religionen oder Ideologien geprüft werden müssen, um ihren Einklang, ihre Komplementarität oder ihren Widerspruch zu erfülltem menschlichem Leben beurteilen zu können. Es ist unbedingt notwendig, sich daran zu erinnern, daß menschliches Sein von Natur aus geschichtliches Sein ist. Deshalb erstreckt sich “erfülltes Menschsein” auf zweierlei, sowohl auf die grundlegenden Möglichkeiten als auch auf die wachsende Erkenntnis dessen, was tatsächlich existiert. Im Grunde rührt alles entscheidend Menschliche von der essentiellen menschlichen Struktur: den Fähigkeiten des abstrakten Denkens und der freien Entscheidungen. Durch diese Fähigkeiten kam die Menschheit im Laufe der Geschichte stufenweise zu der gegenwärtigen Situation, in der Forderungen zugunsten von “Menschenrechten” gestellt werden, d.h. Forderungen, die alle Menschen betreffen, eben genau deswegen, weil sie “Menschen” sind. Dieser Standpunkt wurde jedoch nicht immer und überall bezogen; in der Tat hatte man bis vor kurzem größtenteils kaum Vorstellungen von einem solchen Konzept. So wurde beispielsweise Sklaverei vor nahezu einhundert Jahren weit und breit akzeptiert, ja sogar energisch verteidigt und von hohen christlichen Kirchenmännern praktiziert (ganz zu schweigen von den jüdischen und muslimischen Sklavenhändlern). Diese schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte ist heute nicht nur de facto sondern auch weitgehend de jure beseitigt. Kein Denker oder politischer Führer würde heute daran denken, Sklaverei rechtfertigen zu wollen (siehe dazu: Universal Declaration of Human Rights of the United Nations 1948, Art. 4). Hier handelt es sich um ein überaus deutliches Beispiel für die geschichtliche Entwicklung dessen, was es heißt, ganz Mensch zu sein, gegründetet auf die Erkenntnis, was immer der Fall war, nämlich daß menschliche Wesen von Natur aus radikal frei sind. Andererseits aber wäre das Menschenrecht auf Privateigentum (UN Decl. Art. 17), das zum erstenmal im Europa des 18. Jhd. öffentlich anerkannt wurde, ohne die vorausgehenden Entwicklungen in der Herrschaft über die Güter undenkbar gewesen. Das gleiche trifft für den Rechtsanspruch auf Arbeit im 20. Jhd. zu (UN Decl. Art. 23) zu: “Die Entwicklung dieser neuen Herrschaft über die Natur - in erster Linie über die Natur außerhalb des Menschen und zunehmend über die Natur des Menschen selbst - ermöglicht völlig neue Dimensionen der menschlichen Selbst-Entwicklung und ihre scheinbar unbegrenzte Ausdehnung gibt zumindest in den entwickelten Ländern Anlaß zu der Hoffnung, daß sie ein hinreichendes Potential freisetzen kann, an dem jedermann teilhaben kann - worauf er folglich ein Recht hat”.22 Dieses sind deutliche Beispiele für die geschichtliche Entwicklung des Verständnisses dessen, was es heißt, ganz Mensch zu sein im Sinne der Ausdehnung der grundlegenden Möglichkeiten der Menschheit. (Leider garantiert eine allgemeine Anerkennung von Menschen-rechten nicht automatisch deren Verwirklichung, wie wir immer wieder schmerzlich erfahren müssen, aber sie ist der unverzichtbare Schritt dort hin). Was in diesem Jahrhundert grundlegend als Fundament des Menschseins anerkannt wurde, ist die autonome Entscheidungsfreiheit des Menschen; eine Freiheit in ihren Entscheidungen, die lediglich durch ihren eigenen Verstand gelenkt und durch die gleichen Rechte anderer begrenzt werde: “Alle Menschen sind frei geboren und haben die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Sie sind mit Verstand und Gewissen begabt und sollten gegeneinander immer im Geiste der Brüderlichkeit handeln.” (UN Decl. Art. 1) Diese “Autonomie im ethischen Bereich”, die schon Thomas von Aquin im 13. Jhd. konstatierte, 23

dehnte sich im 18. Jhd. auf den Bereich des Sozialen und des Politischen aus, wie es in dem Motto “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” der Französischen Revolution zum Ausdruck gebracht wurde. (Das zeitgenössische Bewußtsein einer sexistischen Sprache veranlaßt wohl dazu, statt von Brüderlichkeit von “Solidarität” zu sprechen). Unter dem Begriff “Freiheit” versteht man alle persönlichen und zivilen Rechte, unter dem Begriff “Gleichheit” versteht man die politischen Rechte, an öffentlichen Entscheidungsprozessen Teil zu nehmen, unter dem Begriff “Solidarität” versteht man (in einem erweiterten Sinne des 20. Jhd.) die sozialen Rechte. Auch wenn die großen religiösen Gemeinschaften der Welt in der Vergangenheit oft, allzu oft aber in der Gegenwart, einem erfülltem Menschsein entgegenstanden, so haben auch sie in verschiedener Weise einem wachsenden Bewußtsein dessen, was erfülltes Menschsein bedeutet, und ihrer Verpflichtung dazu Audruck verliehen. Ein solcher Berührungspunkt, der den weltweiten Stand eines solchen gemeinsamen Ausdrucks und das Engagement und die Gedanken der Führer aller großen Religionen widerspiegelt, wurde in Kyoto, Japan im Oktober 1970 von 221 Deligierten veröffentlicht: Als wir zusammenkamen und uns über das allumfassende Subjekt des Friedens Gedanken machten, entdeckten wir, daß die Dinge, die uns einten wichtiger waren, als die Dinge, die uns trennten. Wir entdeckten, daß wir folgendes gemeinsam besaßen: die Überzeugung einer grundlegenden Einheit der Menschen-familie; einer Gleichheit und Würde aller Menschen; ein Gefühl für die Unverletzlichkeit des Individuums und seines Gewissens; ein Gefühl für den Wert menschlichen Gemeinschaft; die Überzeugung, daß Gewalt kein Recht erzeugt, daß menschliche Kraft allein nicht ausreicht und nicht absolut ist; den Glauben, daß Liebe, Mitleid, Selbstlosigkeit und die Kraft des Geistes einer letzten inneren Offenheit stärker sind als Haß Feindseligkeit und Eigennützigkeit; ein Gefühl der Verpflichtung, auf der Seite der Armen und Unterdrückten zu stehen, gegen die Reichen und die Unterdrücker; die tiefe Hoffnung, daß letztlich das Gute siegen wird.24 Mit Hilfe des Dialogs bewegt sich die Menschheit schmerzhaft langsam in Richtung auf einem Konsens über das, was ein authentisch erfülltes menschliches Leben ausmacht. Die Menschenrechtserklärung des Vereinten Nationen (1948) war ein bedeutender Schritt in diese Richtung. Natürlich muß ein sehr viel weitreichender Konsens erreicht werden, wenn interreligiöser, interideologischer Dialog sein volles Potential verwirklichen soll. 13. EIN ERFÜLLTES MENSCHLICHES LEBEN Soll die Sprache einer “universalen Theologie der Religion/Ideologie” von “unten” kommen und in wirklicher Menschlichkeit fußen, so ist es nötig, Definitionen nicht nur dessen zu finden, was minimal akzeptables Leben legalistisch bedeutet, sondern auch, was ein authentisches und erfülltes menschliches Leben ausmacht. Nur in dem Maße, in dem wir offener, deutlicher, und uns selbst bewußter werden darüber, was erfülltes Mensch-Sein bedeutet, können wir auch tatsächlich dieses menschliche Leben in immer mehr Fülle leben (Dies ist natürlich eine niemals endende Aufgabe sowohl des/r Einzelnen als auch der Menschheit als Ganzes), und nur dann wird eine in der Humanität gegründete theologischideologische Sprache uns zur Verfügung stehen. Lassen Sie mich deshalb versuchen, ein

Verständnis des erfüllten menschlichen Lebens in Begriffen zu entwickeln, die allen sensiblen Menschen, theistisch oder nicht-theistisch, religiös oder nicht religiös, verständlich sein sollten. Eine, so glaube ich, hilfreiche Möglichkeit, erfülltes menschliches Leben in Augenschein zu nehmen, entwickelt sich in drei relativ unterschiedlichen, jedoch eng verbundenen Dimensionen: in der praktischen, in der kognitiven und in der tiefen- oder “spirituellen” Dimension. Im kognitiven Bereich versuchen wir auf verschiedenen bewußten, intellektuellen Wegen, unsere Wahrnehmungen der Wirklichkeit und unsere Lebenserfahrungen zu verstehen und in Worte zu fassen. Auf dem praktischen Gebiet agieren und machen wir; wir versuchen nicht, die Welt zu verstehen, sondern streben danach, sie zu beeinflußen und auf sie einzuwirken. In der tiefen- oder “spirituellen” Dimension entdecken und begreifen wir die tiefere Bedeutung unserer Erfahrungen und der Welt. Diese Tiefendimension befindet sich dort, wo unsere Phantasie und unsere Gefühle sowie der eher synthetisierende Aspekt des Intellekts ins Spiel kommen; für dieses Gebiet ist es charakteristisch, daß es die mächtigen Bilder, Gefühle und Verbindungen unseres inneren Lebens in das Bewußtsein bringt. Jedes dieser drei Gebiete muß im Verlauf eines Lebens stetig weiterentwickelt werden. Desweiteren ist es absolut notwendig, daß alle drei untereinander in Verbindung gebracht und integriert werden, damit sie sich gegenseitig stärken und ein ganzheitliches Leben ermöglichen. In der westlichen Zivilisation des 19. und 20. Jahrhunderts herrschte eine eindeutige Tendenz, die “spirituelle” oder Tiefendimension des Lebens bis zu ihrer ernsthaften Verkümmerung hin herunterzuspielen. Wie schon zuvor erwähnt, waren die traditionellen jüdisch-christlichen Bilder und Strukturen (Glaubensbekenntnis, spezifische Glaubenssprache, Kult und Gemeinschaftsstruktur) in zunehmende Maße unfähig, die Lebenserfahrungen des modernen, kritisch denkenden, “westlich” geprägten Menschens auf wirksame Art zu erhellen. Folglich ist es oft genau dieser “westlich” geprägte Intellektuelle, der eines Anstoßes bedarf, die bloße Existenz dieser “spirituellen” Tiefendimension zu entdecken, und dem dann bei der Kultivierung dieses Bereichs beigestanden werden muß. (In jüngster Vergangen-heit hat dieser Prozeß langsam begonnen.) Diese “spirituelle” Dimension des Lebens wird, zunächst langsam und sehr subtil, dann aber immer tiefer und stärker die zwei anderen Lebensbereiche beeinflußen, wenn die inneren Prozeße des eigenen Lebens in Kontakt mit dieser neuen Dimension gelangen, wenn ihre Bilder und Gefühle anerkannt, wenn Bedeutungen, über rationale Erklärungen hinausreichend, erfaßt und ihre angemeßene Wirkung zugelassen, und wenn Verbindugen zwischen Teilen des Lebens geschaffen und größere Integrationen geformt werden. Besonders wichtig ist es jedoch, daß die verschiedenen Tiefenerfahrungen moderner Menschen in das bewußte Denken dringen, damit ihre Kräfte voll entwickelt werden und auch den beiden anderen Bereichen des Lebens, dem praktischen und dem kognitiven Bereich, verfügbar sind. Werden diese Tiefenerfahrungen nun auf die bewußte Ebene gehoben, so werden sie nicht nur die rationalen Sprache des kognitiven Lebensbereiches durch eine tiefere Bedeutung ergänzen, sondern sie werden ebenso eine Reartikulierung dieser neu entdeckten Bedeutungen in intellektuellen Kategorien und Ausdrücken herausfordern, eine Reartikulierung, die angemeßener die zeitgenössische, intellektuelle Welt reflektiert. Auch dieser Schritt ist von entscheidender Wichtigkeit, damit die “spirituelle” Dimension nicht als etwas lediglich märchenhaftes wahrgenommen und schließlich dann doch wieder abgelehnt wird--zum katastrophalen Verlust des erfüllten Menschen-Seins. Umgekehrt natürlich gilt, daß, während die Rätsel des Lebens auf allen Ebenen zunehmend vollständiger und reichhaltiger analysiert und artikuliert werden, auch die neu freigewordenen Kräfte des Kognitiven in die spirituelle

Dimension einfliessen und sie mit angemeßeneren Mitteln versorgt, um die spirituelle Dimension auf die Bewußtseinsebene zu heben, und schafft so integrative Verbindungen in Begriffen, die in zeitgenössischer kritischer Sprache “Sinn machen”. Eine der Stärken moderner westlicher Zivilisation war und ist der Nachdruck, den sie auf wirksames menschliches Handeln legt, sei es individuell oder korporativ. Was characterisiert den Westen besser als die “praktische”, auf Wirksamkeit zielende Orientierung? Diese Ausrichtung wurde oft in engem Zusammenhang mit der kognitiven Dimension gesehen. Ist jedoch die spirituelle Dimension ernsthaft verkümmert, so sind auch die praktisch - kognitiven Bereiche begrenzter und oberflächlicher, als sie sein sollten. In dem Maße aber, in dem unser Handeln effektiver wird, wird auch unser kognitives Leben stimuliert, die neuen Verhältnisse und Wirklichkeiten zu verstehen, die durch unser Handeln geschaffen wurden und die wiederum das Bedürfnis, noch tiefere Einsichten und Integrationen in unserer “spirituellen” Dimension zu finden, hervorrufen. Eine besondere Gefahr, gegen die eine Intensivierung des “spirituellen” Lebens auf der Hut sein muß, liegt in dem, was eine “Privatisierung” des spirituellen genannt werden könnte. Eine sehr wichtige Einsicht, die der Westen in den letzten zwei Jahrhunderten in Bezug auf menschliche Wirklickheit hervorgebracht hat, ist die Erkenntnis der Allgegenwärtigkeit sozialer Strukturen. Alle Menschen sind immens geprägt von den Strukturen derjenigen Gesellschaft, in welcher sie leben. Selbst die Wenigen, die versuchen, über diese gesellschaftlichen Strukturen “hinaußuwachsen”, bleiben immer noch unter ihrem starken Einfluß--in diesem Falle allerdings mit der negativen Perspektive, daß sie gezwungen sind, Strukturen zu überwinden, die natürlich niemals vollständig überwunden werden können. Daraufhin entwickelte sich im Westen die Einsicht--die zum Teil in Tat umgesetzt wurde--daß, wenn das Geschick der Menschen sich einschneidend ändern soll, sich die sozialen Strukturen ändern müssen (und dies ist möglich). Die meisten Menschen werden ihr Leben nicht alleine, auf sich selbst gestellt ändern können. In Umgangssprache ausgedrückt: die Welt kann nicht “gerettet” werden, indem man nur einzelne Menschen “rettet”; die sozialen Strukturen, in denen der/die Einzelne lebt, müssen ebenso “gerettet” werden. Für ein erfülltes menschliches Leben ist es unschätzbar wichtig, daß diese kostbare Einsicht erhalten, vertieft und verwirklicht wird, während die “spirituelle” Dimension des Lebens reaktiviert und intensiviert wird. Diese “Einsicht” aus der “praktischen” Dimension muß ihre Energien nicht nur dem kognitiven Bereich des Lebens, sondern auch dem “spirituellen” mitteilen, und umgekehrt von den anderen beiden stimuliert werden. Ein Schlüssel, wenn nicht sogar der Schlüssel, für ein erfülltes menschliches Leben liegt in der größtmöglichen Steigerung des Bewußt-seins in allen Dimensionen. “DaseinsBewußtsein”, also das Bewußtsein, daß man existiert, ist für sich genommen noch lange kein hinreichendes Merkmal von Mensch-Sein in Fülle. Vielmehr gehören Handeln, Erschaffen, Denken, Fühlen, mehr und mehr genährt vom Bewußtsein um wachsende Tiefe, Weite und ihrer gegenseitigen Verbundenheit, dazu. Dies, so glaube ich, ist eine angemeßene Beschreibung von erfülltem menschlichen Leben. Zum Beispiel ist es eine durchaus positive menschliche Eigenschaft, spontan zu handeln. Werde ich mir jedoch, ohne die Spontaneität zu verlieren, bewußt darüber, daß ich spontan handle; werde ich mir bewußt über die mit Spontaneität verbundenen Gefühle; mache ich mir bewußt, welche Bedeutung Spontaneität für andere Aspekte meines Lebens oder für andere Menschen hat, zu denen ich in Bezug stehe, usw., so bedeutet dieses neue Bewußtsein natürlich eine Bereicherung meines Lebens, verhilft es mir zu einem Leben in größerer Fülle. Die Tatsache, daß wir Leben, das sich auf unreflektiertes Handeln reduziert hat, gewöhnlich als nicht-menschlich oder sogar unmenschlich, roboter- oder maschinenhaft beschreiben (und wenn Leben noch weitgehender

reduziert wird, wie zum Beispiel in einem Koma, so sprechen wir von vegetieren), zeigt ganz klar daß Bewußt-sein zur Essenz des Lebens gehört. Nähert sich das Bewußtsein dem Punkte Null, so endet Leben und Tod tritt ein; und umgekehrt, weitet sich Bewußtsein hin zum Unendlichen, so intensiviert Leben sich hin bis zur Grenzenlosigkeit: dies meint zum Beispiel Mokscha oder Befreiung (in Hinduismus), Nirvana oder “Wirklichkeit” (im Buddhismus), Basileia tou theou oder das Reich Gottes (im Christentum). Zu diesem Punkte Omega des allumfassenden Bewußtseins strebt alles menschliche Leben. Zusammenfassend also müssen wir sagen: die größten Gefährdungen eines erfüllten menschlichen Lebens liegen in einer substantiellen Verkümmerung jeder der drei Lebensdimensionen sowie in der Ignoranz ihrer Verbundenheit, sie führen zu einem disintegrierten Leben. Positiv ausgedrückt wachsen alle drei Bereiche in einem erfüllten Leben kontinuierlich, sie werden dem Menschen immer bewußter, sie befruchten sich gegenseitig, weil sie in hohem Maße integriert sind. Sie schaffen eine unaufhörlich wachsende Einheit, einen Holos. 14. EIN CHRISTLICHES EXPERIMENT IN “ÖKUMENISCHEM ESPERANTO” Vielleicht sind nun das Ziel und die vorgeschlagenen Wege zu diesem Ziel hin so klar, wie sie überhaupt in einem rein theoretischen Ansatz klargemacht werden können. Der nächste Schritt besteht in dem Versuch, diese Theorie in die Praxis umzusetzen. Ich, als christlicher Theologe, muß versuchen, über meinen christlichen Glauben in einem “ökumenischen Esperanto” zu reflektieren; in einer Sprache also, die “von unten” und “von innen” kommt und den Anspruch erhebt, zum einen erkennbar christlich zu sein, zum anderen aber Raum für Nichtchristen bietet, damit sie ihren eigenen Glauben oder ihre eigene Ideologie in dieser Sprache wiederfinden und sich irgendwie in dieser Sprache miteinbezogen fühlen. Dies wird ein schwieriges Unternehmen für beide Seiten sein, da, wie ich schon andeutete, sowohl die neue Sprache als auch das neue Bewußtsein, diese neue Sprache zu hören und zu verstehen, in einer gemeinsamen Anstrengung geschmiedet werden muß. Beide Seiten müssen gewillt sein, möglichst viele Schritte zu unternehmen, um den Dialogpartner “in optimam partem” zu treffen und zu verstehen und gleichenzeitig in engem Kontakt mit der eigenen Tradition zu bleiben. Meinen nicht-christlichen Schwestern und Brüdern möchte ich zurufen: Laßt uns einander helfen. Laßt uns gemeinsam den Versuch wagen. a) Jesus, der primäre Standard für das Christentum An dieser Stelle ist es wichtig, etwas über die Art und Weise zu sagen, wie christliche Theologie “gemacht” wird. Ich stimme grundsätzlich mit denen überein, die von den zwei Polen, Quellen oder Horizonten des christlichen Glaubens sprechen, nämlich der christlichen Tradition auf der einen Seite und der zeitgenössischen Erfahrung auf der anderen. 25 Der späte Schillebeeckx würde von zwei Polen innerhalb einer Quelle des christlichen Glaubens sprechen, um eine überbrückende Gegenseitigkeit und Einheit der Art, wie Christen zu ihrem Glauben kommen, zu betonen.26 Der dialogische Charakter des Weges, auf dem nicht nur Christen, sondern alle Menschen zu ihrem Glauben kommen, ist eine enorm wichtige Lektion, die zu lernen man nicht genug hervorheben kann. Zunächst möchte ich vier längere und zueinander in Beziehung stehende Bemerkungen machen; eine erste, die spezifisch an Christen gerichtet ist, und drei nachfolgende, die Angehörige einer jeden Religion/Ideologie betreffen.

Obwohl ich später den christlichen Standardanspruch einer universalen Bedeutung der Erlösung durch Jesus Christus im Einzelnen diskutieren werde, möchte ich hier zunächst einmal argumentieren, daß die historische Person Jesus (Jeschua auf hebräisch) von Nazareth der primäre Standard sein muß für all das, was christlich genannt wird. Der historische Jeschua schließt selbstverständlich die hebraïschen und judäischen Traditionen in dem Maße mit ein, wie sie sich bis in seine Zeit entwickelt hatten, einschließlich der besonderen Interpretation, die er ihnen gab; ebenso selbstverständlich aber sind spätere “christliche” Reflektionen über diesen Jeschua nicht miteingeschlossen, es sei denn, sie stimmen mit dem primären Maßstab, dem Urstandard, überein. Ich bin mir der großen Schwierigkeiten bewußt, zu einem autoritativen und klaren Bild des historischen Jeschua zu gelangen. Daher bestimmt das Ausmaß unseres Wissens allein diesen Standard. Natürlich werden alle subtilen Schwierigkeiten in der “Wirkungsgeschichte”, den 2000 Jahren christlicher Tradition, uns daran hindern, jemals ein vollkommen “objektives” Bild des Jeschua zu entdecken. Jede Tatsache wird durch den Wahrnehmenden relativiert, wie ich ausführlich weiter oben argumentierte. Allerdings können wir zu einem vollständigerem Verständnis einer Tatsache gelangen, wenn wir mehrere Wahrnehmungen derselben Tatsache aus unterschiedlichen Perspektiven miteinander in Verbindung bringen - ein positives Argument für Dialog. Es ist jedoch das urpsrünglich Gegebene, die Urtatsache, das man zu begreifen sucht, um es irgendwie in Bezug zur eigenen Person zu setzen. Natürlich relativiert dieses “in Beziehung setzen” noch einmal die Urtatsache, dadurch nämlich, daß sie, die Urtatsache nun auf mich bezogen dasteht (und diese Relation ist weiterhin durch die Wirkungsgeschichte zwischen der Urtatsache und meiner Wahrnehmung verkompliziert). Nun weiß ich, daß ich niemals in völliger Klarheit die Urtatsache, so wie sie “objektiv” und anfänglich existierte, werde begreifen können (in Analogie zur modernen Physik, wo man feststellt, daß Licht oder Elektronen - oder was auch immer -, zu Beobachtungßwecken eines Objektes durch das selbe hindurchgeleitet, an sich schon das Objekt selbst verändern). Nichtsdestotrotz können wir, mit dem nun geläuterten Wissen, niemals ein vollkommen “objektives” Bild zu erhalten, so wie im Kontinuum des Parmenides, unaufhörlich versuchen, uns diesem “objektiven” Bild zu nähern. Genau dies ist es, so glaube ich, was wir in Bezug auf die historische Person des Jeschua tun sollten. Deshalb scheint mir, daß das beste Bild des historischen Jeschua, das wir zu einer gegebenen Zeit zur Verfügung haben (in angemessener Bescheidenheit und Offenheit), Priorität über alle Erklärungen hinsichtlich seiner Bedeutung hat. Alles, was Jeschua dachte, sagte und tat ist das jeschuanische, wenn nicht sogar das “christliche” Evangelium, auch wenn wir nur aus Quellen schöpfen können, in denen uns andere über das, was er dachte, sagte und tat, berichten. Wäre die reine Überlieferung von Jesu Gedanken, Reden und Taten das Primärziel der Evangelisten gewesen, so wäre es für uns viel einfacher, zur Urtatsache zu finden; aber natürlich wollten jene vier Männer zuallererst beschreiben, was sie selbst und ihnen zur Verügung stehende Quellen als die wichtigsten Bedeutungen dessen, was Jeschua dachte, sagte und tat, ansahen; dies erschwert unsere Aufgabe zwar, macht sie aber nicht unmöglich. In gewisser Weise sind wir Christen in einer etwas schwierigen Position, was unseren Namen - “Christen” - angeht. Hätte unser Name etwas mit Jeschua oder Jesus zu tun, so hätte mein Argument, daß der historische Mensch Jeschua von Nazareth der Primärstandard für das Christentum sein sollte, zumindest prima facie, etymologische Plausibilität. Unglücklicherweise gewann das einzige gebräuchliche Wort (zumindests im Englischen), das vom Namen Jesu abgeleitet wurde, im Laufe der Geschichte eine Bedeutung, die wahrscheinlich in ziemlich starkem Gegensatz zu Jesu’ Absichten steht: jesuitisch. Trotzdem

glaube ich immer noch, daß alle, die sich Christen nennen, für sich in Anspruch nehmen, ihre Religion auf Jeschua zu gründen, und daß aus diesem Grunde alles, was über die Bedeutung Jeschuas (Christologie) gesagt wird, nicht im Gegensatz zu dem stehen darf, was Jeschua dachte, sagte und tat (um es konkret, wenn auch sehr knapp zu formulieren: es verwirrt mich seit langem, daß Jeschua Gott sein konnte, ohne es zu wissen - wie es zahlreichen Evangelienworten zu Folge offensichtlich der Fall gewesen ist). Natürlich entwickelten sich viele Dinge in der christlichen Tradition, die christlich genannt werden, ohne von Jeschua selbst zu kommen, wie zum Beispiel die Verehrung der Märtyrer, der religiösen Orden, etc. Obwohl sie nicht Jeschua zugeschrieben werden können, widersprechen sie dennoch nicht dem, was er dachte, sagte und tat; da sie desweiteren in die christliche Tradition aufgenommen wurden, ist es vollkommen korrekt, sie, in einem erweiterten oder sekundären Sinne, christlich zu nennen. Wie geht ein zeitgenössischer Christ mit der historischen Tatsache um, daß innerhalb der frühen Entwicklung des Christentums aus dem “lehrenden Jeschua” schnell ein “Lehre des Christos” wurde, und zwar innerhalb der kurzen Zeit, in der das Neue Testament niedergeschrieben wurde? Die Auferstehungs-erfahrung veränderte die Jünger deutlich. Wie auch immer jemand die neutestamentlichen Berichte vom leeren Grab versteht, die Auferstehungserfahrung bedeutete für die Jünger einen immensen Einschnitt. Sie begannen zweifellos Dinge über Jeschua wahrzunehmen, derer sie sich während ihres Zusammenseins mit ihm nicht bewußt gewesen waren. Offensichtlich aber wurde dieser Jeschua, den sie kannten, für sie nicht in eine Art magischer Figur oder Zauberstab verwandelt, mit denen man winken konnte, um Erlösung zu bewirken (so wie später dieser “magische Gebrauch” oder “Mißbrauch” Jeschua in der Geschichte des Christentums viel zu oft stattfand.) Andererseits waren die Anhänger Jeschua’s durch die Auferstehungserfahrung in erster Linie innerlich in ihrer vorösterlichen Erfahrung der Begegnung mit dem Göttlichen in Jeschua, durch das, was er dachte, sagte und tat, bestärkt worden. So neigten sie bei der Verkündigung Jeschuas dazu, das zu verkünden, was sie von ihm gelernt hatten. Jedoch konnte das, was sie von ihm gelernt hatten, nicht nur auf das eingegrenzt werden, was er in Worte faßte (was er sagte). Vielmehr waren seine Jünger offensichtlich zu tiefst beeindruckt von seinem “inneren Sein”, das von äußerster Weisheit und Liebe erfüllt zu sein schien (also dem, was er “dachte”). Wie sich dieses “innere Sein” in seinen Taten äußerte (was er “machte”), ist evident in den synoptischen Berichten. Jeschuas ganze Person war die Quelle ihrer Verwandlung, eine “belehrende” Erfahrung für diese Jünger, und diese Verwandlung war so grundlegend und durchringend, daß sie, anstatt durch die Kreuzigung Jeschuas selbst zerschmettert zu werden, offensichtlich fähig waren, mit ihm ins Grab zu gehen und mit der Bestätigung der vorösterlichen Erfahrung aufzuerstehen (es hat sich nicht nur für Jeschua, sondern auch für seine Jünger gezeigt, daß sie in dem Maße kreuzigungsfähig waren, in dem ihre “Erleuchtung” und Liebe geläutert, gestärkt und verwandelt wurde). Ihre Erfahrung Jeschuas war wahrhaftig und authentisch; er war (und ist!) wirklich die Quelle wahren Lebens; er lebte weiter! So war die “Lehre Jeschua” (d.h. der gelehrte oder verkündete Christos) die vollständigste Art, auf den lehrenden Jeschua zurück zu greifen, d.h. auf das, was er dachte, sagte und tat und zwar in seiner ganzen Person. So läuft jede Bewegung, die unter dem verkündigten Christos jemanden oder etwas anderes versteht als den lehrenden Jeschua, Gefahr, problematisch zu werden. Jeder Versuch, ihn in Kontrast zum “lehrenden Jeschua” zu verstehen, in Kontrast zu dem, was er in seiner ganzen Person dachte, sagte und tat, wäre nicht nur Falschspielerei gegenüber Jeschua, sondern auch seinen ersten Schülern gegenüber.

Zur gleichen Zeit sollte man sich daran erinnern, daß nicht alles Wahre, Gute und Schöne von Jeschua oder aus dem Christentum kommt. Aus diesem Grunde bedeutet die Forderung, Jeschua als primären Standard für das Christliche anzuerkennen, auf keinen Fall, daß Christen nicht wahre, gute und schöne Erkenntnisse anderswo finden können - diese ganze Meditation argumentiert ja, daß sie es sollen. Vielmehr möchte ich argumentieren, daß, wer nicht darauf basiert, was Jeschua sagte, dachte und tat, nicht Christ im primären Sinne genannt werden sollte. Ebenso sollten jene nicht Christen in sekundärem Sinne genannt werden, die nicht von der christlichen Tradition assimiliert wurden. Es ist durchaus vorstellbar, daß ein Christ es für nötig befinden könnte, eine Position konträr zu der Jeschuas einzunehmen - Personen, die den Anspruch erheben, Christen zu sein, einschließlich Priestern, Bischöfen, usw., haben dies seit Jahrhunderten getan - , nur sollte er/sie dann ganz einfach nicht behaupten, daß diese ihre Einstellung christlich ist. b) Das “Ich” und radikale Offenheit Dieser Teil führt mich zu meinem ersten Punkt, der alle religiösen Menschen betrifft. Nehmen wir den dialogischen Charakter der christlichen Denkbewegung an, die sich dialektisch zwischen der christlichen Tradition (mit Jeschua als Primärstandard) und gegenwärtigen Erfahrungen (einer Erfahrung, die dabei den christlichen Glauben neu bestätigt, ihn sich aneignet und ihn verwirklicht) hin- und herbewegt, so ist es doch letztendlich das “ich” (- und dieses “ich” schließt den Blick in die Vergangenheit und die Zukunft ein, es schließt “mich” im Lebenskontext als auch in der Gemeinschaft mit ein, und ist deshalb eher ein “ich-wir”, das sich im Horizont einer letzten Bedeutung des Lebens entscheidet -), das darüber entscheidet, was intellektuell bejaht, emotional und spirituell getraut und in die Tat umgesetzt werden muß. Der zeitgenössische katholische Moraltheologe Franz Böckle bezieht einen ähnlichen Standpunkt: Ein Mensch “würde jedoch auch dann nicht frei sein, wenn ihm die Normen von außen auferlegt würden, wie es z.B. im biblischen oder natürlichen Rechtspositivismus der Fall ist. Sich die Normen selbst, ungezwungen und frei aufzuerlegen, darin besteht die Freiheit des Menschen, die sich ihm als Pflicht offenbart.”27 Um John Henry Newman zu paraphrasieren: Nachdem all das Quälende ausgestanden ist, gebührt dem Gewissen die erste Stelle, dem Papst jedoch nur die zweite. Dies gilt sogar selbst da, wo wir dem Papst - oder der Tradition oder wem auch immer - den ersten Rang einräumen, denn in Wirklichkeit ist es auch hier unser Gewissen, das entscheidet. Anders gesagt: alles Sprechen über Religion, in der Tat alles Sprechen über Gott ist letztendlich ein Sprechen über uns selbst, wenn auch nicht notwendigerweise nur über uns selbst. Denn alle Religion handelt von der letzendlichen Bedeutung unserer Existenz; wir kennen Gott nur insofern, als er/sie sich auf uns bezieht. Selbst das Sprechen über Gott in se ist eigentlich eine positive oder negative Extrapolation des Sprechens über Gott ad nos28. Das ist genau der Grund, daß viele Menschen, religiös und möchte-gern-religiös, ungeduldig werden über einem theologischem Räsonnieren, das kein klares soteriologisches Ziel beinhaltet, sei es Erlösung, Reich Gottes, Mokscha, Nirvana, oder wie auch immer genannt. Meine zweite allgemeine Bemerkung betrifft all diejenigen, die in allgemeinerer Weise nach religiöser Bedeutung und Wahrheit suchen. Jeder, der sich auf die Suche nach religiöser Bedeutung und Wahrheit macht, egal, wie überzeugt und verpflichtet er/sie in Bezug auf eine bestimmte Tradition oder Position ist, muß eine prinzipielle und “radikale” Offenheit besitzen, wenn er/sie mit Integrität handeln will. Das schließt zum Beispiel mit ein, daß er/sie um der Integrität willen gewillt sein muß, ernsthaft die Möglichkeit anzuerkennen, in der Zukunft vielleicht vom Christentum abzulassen, zumindest von dem, was er/sie jetzt darunter versteht, oder aber die Möglichkeit, vom Theist-Sein abzulassen, oder wiederum

zumindest von dem, was er/sie jetzt darunter versteht. Auch wenn diese Möglichkeiten als eher unwahrscheinlich erscheinen, Handeln mit Integrität bedeutet, sie offen zu halten. 29 Wenn ich eine persönliche Note anfügen darf: In jungen Jahren litt ich oft unter großen Ängsten, zuzeiten sogar unter Agonien, wann immer meine gut gelernten Glaubensinhalte ernsthaft durch Zweifel herausgefordert wurden. Ich lernte sehr langsam, immer tiefere und komplexere, aber doch einfachere Erklärungen zu finden. Je tiefer die Herausforderung, desto profunder war die resultierende Klärung, wenn sie schließlich kam. Schließlich erkannte ich, daß eine Klärung immer dann kam, wenn ich mich, wie Faust “immer strebend” (aber sanft, möchte ich hinzufügen) bemühte. Und heute erfüllt mich das Ausüben einer radikalen Offenheit nicht mehr mit Ängstlichkeit, sondern im Gegenteil mit innerer Ruhe, mit Vertrauen und sogar mit freudiger Erwartung. c) Stufen der Glaubensentwicklung und interreligiöser/interideologischer Dialog Die dritte generelle Bemerkung: Es wurde weiter oben hervorgehoben, daß ein authentischer Dialog nur stattfindet kann, wenn jeder Partner primär mit dem Ziel beginnt, vom Anderen zu lernen, wenn also jeder akzeptiert, nicht die ganze Fülle der Wahrheit zu besitzen; konsequenterweise treffen sich Dialogpartner also grundsätzlich als gleichwertige Partner, par cum pari. Offensichtlich kann dies nur geschehen, wo Partner in signifikanter Weise ein deabsolutisiertes Verständnis über Wahrheitsaussagen teilen. Vertreten die Partner nicht eine Art relationalen Verständnisses in Bezug auf Wahrheitsaussagen, sondern ein absolutes, so können interreligiöse und interideologische Begegnungen mit ihnen lediglich als Prolegomena zu einem authentischen Dialog dienen. Natürlich ist es unabdingbar, daß es nicht bei diesen Prolegomena bleibt, sondern eines Tages ein authentischer Dialog erreicht wird. Hier erscheint es ausserordentlich hilfreich, festzuhalten, daß die kognitive und moralische Urteilsfähigkeit eines Menschen und die Entwicklung des Glaubens oder der Ideologie im Menschen in Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehungen wurden von Pionieren der Wissenschaft wie zum Beispiel Erik Erikson, Jean Piaget, Lawrence Kohlberg und James Fowler untersucht.30 Sie läßt sich in zwei Stichworten zusammenfassen: “Voraussetzungen” und “Phasen”. Kognitive Fähigkeiten und psychosoziale Erfahrungen müssen ein gewisses Minimum erreichen, bevor der Einzelne zur nächsten Stufe moralischen Urteils und/oder des Glaubens/der Ideologie fortschreiten kann. Der Fortschritt muß nicht notwendigerweise stattfinden, ohne die Existenz essentieller Fähigkeiten und Erfahrungen aber ist er überhaupt nicht möglich. Darüberhinaus kann eine höhere Ebene moralischen Urteils und/oder des Glaubens/der Ideologie nicht erreicht werden, ohne daß zunächst die vorhergehenderen Phasen passiert werden. Kohlberg und seine Kollegen entwickelten ein Schema der Entwicklung moralischen Urteilsvermögens in drei zweigeteilten Phasen; er nennt sie vorkonventionell, wenn die Maßstäbe eines moralischen Urteils tendentiell auf dem Selbst basieren, konventionell, wenn diese Maßstäbe von der das Selbst umgebenden Gesellschaft stammen und postkonventionell, wenn sie über gesellschaftliche Muster hinaus zu grundsätzlichen Prinzipien tendieren. 31 (Es sollte festgehalten werden, daß in all diesen unterschiedlichen Phasen die Errungenschaften vorhergehender Stufen nicht abgestoßen werden, sondern mit in die nächsthöhere Phase hineingenommen und transformiert werden.) James Fowler, der auf dem Werk Piagets und Kohlbergs aufbaut und Eriksons Arbeit mit ihrer Betonung auf die psychosoziale Dimension

menschlicher Entwicklung hinzuzieht, erarbeitete ein beeindruckendes Maß an Material in seiner Feldforschung und Analyse, und formulierte auf dieser Basis seine Theorie der sechs Phasen der Glaubens/Ideologieentwicklung. Von besonderer Bedeutung für den interreligiösen/ interideologischen Dialog sind diejenigen Merkmale, die Kohlberg und seine Kollegen in den von ihnen “postkonventionell” genannten Stufen - Phasen fünf und sechs - gefunden haben, und diejenigen, die Fowler und Kollegen in ihren Phasen fünf und sechs der Glaubens/Ideologieentwicklung formulierten (Glaube, in dem Sinne wie Fowler dieses Wort verwendet, ist eindeutig nicht auf den “religiösen” Glauben alleine beschränkt, sondern schließt alle begründenden Erklärugen von Leben mit ein, also auch Ideologien). Kohlberg bemerkt zu dem Übergang von konventionellem hin zu postkonventionellem moralischem Denken folgendes: “Die Ablehnung konventionellen moralischen Denkens beginnt mit der Wahrnehmung des Relativen, dem Bewußtsein, daß die Definition von richtig und falsch einer beliebigen Gesellschaft, wie legitim auch immer, immer nur eine unter vielen ist, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie.”32 So scheint es für jemanden, der an einem authentischen interreligiösen/interideologischen Dialog teilnehmen will, nötig, Kohlbergs fünfte Phase moralischen Denkens erreicht zu haben. Fowler hat einige überraschend zutreffende Dinge zu sagen, wenn er über die fünfte Stufe der Glaubens/Ideologieentwicklung schreibt: Die fünfte Stufe akzeptiert als axiomatisch, daß Wahrheit multidimensionaler ist und weitaus mehr auf organische Weise Unterschiedliches verbindet, als die meisten Theorien oder Erwägungen über die Wahrheit fassen können. Im Religiösen weiß man, daß die Symbole, Geschichten, Doktrinen und Liturgien, die von der eigenen oder einer anderen Traditionen angeboten werden, unausweichlich unvollständig sind, begrenzt auf die Erfahrung Gottes durch ein bestimmtes Volk, und lükenhaft ist. In der fünften Phase erkennt man jedoch auch, daß es in der Relativität religiöser Traditionen nicht auf die Relativität der Religionen zueinander, sondern auf ihre Relativität- ihr Bezogensein- zu der Wirklichkeit ankommt, zu der sie eine vermittelnde Beziehung bilden. Verbindender Glaube [Fowlers Phase fünf] ist deshalb zu bedeutsamen Begegnungen mit Traditionen außerhalb der eigenen bereit, in der Erwartung, daß Wahrheit sich in diesen Traditionen auf eine Weise offenbart hat und offenbaren wird, die die eigene Tradition entweder komplementieren oder verbessern kann. Krister Stendahl stellt in diesem Zusammenhang fest, daß ein interreligiöses Gespräch nur dann wirklich ökumenisch ist, wenn jeder Teilnehmer die Qualität wechselseitigen Teilens und wechselseitiger Offenheit so gesteigert hat, daß er/sie sich zugänglich für eine Konversion zur Wahrheit des Anderen zeigen kann. Dies wäre “Phase fünf - Ökumene”. Eine solche Haltung setzt nicht einen Mangel an Verbundenheit gegenüber der eigenen Wahrheitstradition voraus. Ebensowenig bedeutet sie eine saft- und kraftlose Neutralität oder lediglich eine Faßination über die exotischen Aspekte fremder Kulturen. Vielmehr stammt die radikale Offenheit für die Wahrheit des Anderen genau aus dem Vertrauen des Glaubens in die Wirklichkeit, die von der eigenen Tradition vermittelt wird, und in dem Bewußtsein, daß diese Wirklichkeit weit über das hinausreicht, was eine einzige Tradition vermitteln könnte. In Phase fünf macht man seine Erfahrung der Wahrheit zum Prinzip, an dem andere Wahrheitsanprüche geprüft werden. Aber er/sie geht davon aus, daß eine jede genuine Perspektive verschiedene Aspekte des Anderen verbessern und korrigieren wird, in einer gemeinsamen Bewegung hin zum Wirklichen und Wahren.”33

Es scheint wiederum klar, daß ein Glauben/eine Ideologie der Phase fünf eine Vorbedingung des authentischen intereligiösen/ interideologischen Dialogs ist. Vor dieser Phase waren interreligiöse/interideologische Begegnungen lediglich Prolegomena zu einem authentischen interreligiösen/ interideologischen Dialog. Die Altersspanne, in der die Phase fünf eines Glaubens/einer Ideologie auftritt, hat Auswirkungen auf unseren Gegenstand. Nach Fowler tritt die Übergangsphase 4-5 erst bei Menschen ab dem zwanzigsten Lebensjahr auf, und selbst hier nur in relativ kleiner Zahl, wenn man das ganze Spektrum der amerikanischen Gesellschaft in Betracht zieht. Von den Erwachsenen über dreißig Jahren, die Fowler’s Team ausführlich interviewte (359 Personen in einer Periode von über acht Jahren), erreichte jedoch ein Drittel die Übergangsphase 4-5 oder höher, was bedeutet, daß ein Drittel der Bevölkerung über dreißig (wenn die Stichprobe wirklich repräsentativ ist) zu authentischem Dialog fähig ist. Es sollte ebenson festgehalten werden, daß proportional zu einem höheren Bildungsstand der Prozentsatz fortgeschrittener Glaubens/Ideologiestufen anwächst. Da aufgrund des Wesens von interreligiösem/interideologischem Dialog potentielle Interessenten an diesem Unterfangen größtenteils über eine höhere Bildung verfügen werden als der Durchschnitt, so wird der Anteil der Teilnehmer im Dialog, die Phase fünf der Glaubens/-Ideologieentwicklung erreicht haben und von daher zu authentischem Dialog fähig sind, bedeutend höher ausfallen als die 33% des Gesamtdurchschnittes - genaue Statistiken dies-bezüglich sind allerdings nicht vorhanden. Aus diesem Grunde ist es wichtig zu wissen, in welcher Phase sich mögliche Teilnehmer des interreligiösen/interideologischen Dialogs befinden, um ungerechtfertige Erwartungen - und daraus resultierende Desillusionierungen - zu vermeiden. Eine sensitive Person, informiert über die Phasen, in der sich potentielle Dialogpartner befinden, sollte im Stande sein, die Betroffenen effektiver, und vielleicht sogar schneller, durch die nötigen Prolegomena zu helfen. Anscheinend aber muß noch viel Arbeit geleistet werden, was das wechselseitige Verhältnis der Glaubens/ Ideologieentwicklung und die Praxis des interreligiösen/inter-ideologischen Dialogs betrifft. Ebenso ist eine weitergehende Erforschung und theoretische Klärung des wechselseitigen Verhältnisses von Glaubens/Ideologie-entwicklung und dem interreligiösen/interideologischen Dialog auf kultureller - und Gruppenebene nötig. Bernard Lonergan adressiert dieses Problem, wenn er über den Erziehungsprozeß spricht. Hier kommt er auf den Unterschied zu sprechen “... zwischen dem Kind, das beginnt, zum Kindergarten zu gehen, und dem Doktoranden, der seine Dissertation schreibt. Aber der Unterschied, geschaffen in der Erziehung von Einzelnen, ist nur eine Rekapitulation des längeren Prozeßes der Erziehung der Menschheit, der Evolution sozialer Institutionen und der Entwicklung von Zivilisationen. Religionen . . . hatten alle ihre groben Anfänge, entwickelten sich langsam und erreichten ihren Höhepunkt.”34 Man denke nur an die offizielle Haltung der römisch-katholischen Kirche in Bezug auf den Dialog mit nicht-katholischen Christen, ganz zu schweigen vom Dialog mit NichtChristen vor dem Vatikanum II und danach. Die frühere Haltung war ausgesprochen negativ, die neuere ist ausgesprochen positiv. Das Vatikanum II war eindeutig eine Bekehrungserfahrung auf der Ebene einer ganzen religiösen Institution, und diese Bekehrung basierte ebenso deutlich auf dem Erwerb und der offiziellen Anerkennung einer neuen Ebene der kognitiven Fähigkeit, die dieser Institution erlaubte, ebenso zur Phase fünf der Glaubensentwicklung zu gelangen. Man braucht wiederum nur verschiedene Dokumente des Vatikan, z. B. in Bezug auf die Limitationen absoluter Aussagen, resultierend aus einem

Geschichtsbewußtsein, oder in Bezug auf die Möglichkeit, von anderen Religionen zu lernen, sowohl vor (so z.B. “Mortalium animos”, 1928, “Humanae generis”, 1950), als auch während und nach dem Vatikanum II miteinander zu vergleichen. Der Übergang von Phase 3 und 4, ideologieorientiert, hin zur Phase 5, dialogorientiert, springt sofort ins Auge. Natürlich ist die Ausführung des offiziellen Wechsels alles andere als glatt und schmerzlos; der Widerstand von Seiten jener katholischer Würdeträger in Machtpositionen, die noch nicht persönlich diesen Übergang vollzogen haben, ist groß. Ich stimme mit Fowler überein, wenn er schreibt: “Sorgfältige theologische Arbeit ist in einer Glaubenstradition nötig, um die normativen Bilder des Erwachsenseins zu bestimmen, die diese Tradition als Inhalt hat. Mit dem Begriff normative Bilder möchte ich fragen, welchen Entwicklungsverlauf hin zum reifen Glauben fordert oder sieht eine bestimmte Glaubenstradition als optimal vor. Zwar bin ich kaum in der Lage, für andere zu sprechen; ich bin aber überzeugt, daß das normative Bild des Erwachsenseins im christlichen Glauben zu einem unversalierendem Glauben hinausführt [Phase 6, Fowlers abschließende Phase]”. Ich stimme gleichfalls zu, wenn er schreibt: “Die modale Entwicklungsebene ist die durchschnittlich zu erwartende Entwicklungsebene für Erwachsene in einer gegebenen Gemeinschaft . . . Die Auswirkungen der modalen Stufe in einer Gemeinschaft setzen eine wirkungsvolle Grenze im vorhandenen Wachstumsprozeß des Glaubens. Meine Beobachtungen führen mich zu dem Urteil, daß die modale Entwicklungsstufe in den meisten amerikanischen Kirchen und Synagogen der Mittelklasse am besten mit den Begriffen synthetisch-konventionellen Glaubens [Phase 3, ideologie-zentriert] oder vielleicht gerade ein wenig darüber hinaus zu beschreiben ist.”35 Wie aber steht es um die 33% der über dreißigjährigen Bevölkerung, die sich auf der Übergangsstufe 4-5 oder in einer höheren Phase befinden? Haben sie ihre Kirchen verlassen; wurden sie zu oft frustriert und zu wenig in Anspruch genommen? Wären sie voll anwesend in ihren Gemeinschaften, aktiv und nicht eingeschränkt, so müßte es doch weitaus mehr kreativen interreligiösen/interideologischen Dialog an der Basis und über die Basis hinaus geben, als in der Tat zu existieren scheint. Und wie steht es um jene Kirchenmitglieder in Phase 2 und 3, die eher zurückgehalten werden, als daß man sie ermuntert, alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln? Das Potential für Gutes innerhalb der Kirchen ist ungeheuer; das Verwirklichte dagegen viel weniger so. Könnte die Situation in anderen westlichen Religionen und Ideologien ähnlich sein? Es wird sorgfältige Arbeit erfordern, zu sehen, wie religiöse und ideologische Traditionen in nicht-westlichen Kulturen in dieser Beziehung darstehen; die Bedeutung solcher Arbeit für interreligiösen/interideologischen Dialog, für Theologie, für Ideologie, für Religionen ganz allgemein und letztendlich für menschlichen Leben auf diesem Planeten nicht hoch genug eingeschätzt werden. d. “Die Versöhnung der Welt mit Gott durch Christus” Nach diesen Prolegomena lassen Sie mich schließlich versuchen, als Christ in “ökumenischem Esperanto” zu theologisieren. Obwohl ich weiter oben argumentierte, daß der historische Jeschua der Primärstandard für alles Christliche sein sollte, so möchte ich doch nicht den Eindruck erwecken, ich wolle alles, was von den Schriftstellern des Neuen Testaments “über” Jeschua gesagt wurde, aufgeben. Ihre Worte waren für mich oft kostbar

und voller Einsicht. Deshalb möchte ich über einen Schlüsselbegriff im Neuen Testament reflektieren, der in verschiedener Hinsicht die Geschichte des Christentums prägte und der gleichzeitig die Quelle außerordentlicher Schwierigkeiten für Nicht-Christen, einschließlich kritischer westlicher Denker, wurde. Lassen Sie mich damit beginnen, das Problem auf folgende Art zu formulieren: muß die paulinische Aussage, daß die Welt durch Christus mit Gott versöhnt ist (siehe Röm. 5:10 ff.; II Kor. 5:19 ff.) auf eine Weise verstanden werden, die dem modernen kritischen Denken nicht akzeptabel und sogar unverständlich erscheint; muß sie verstanden werden als ein Gegensatz zu der Möglichkeit, daß auch andere Weltreligionen gültige und authentische Wege sein können, die Menschheit mit “Gott zu versöhnen”? Ich glaube, wir können dies verneinen. Paulus spricht hier offensichtlich über etwas, das bei weitem unsere alltägliche Wirklichkeitserfahrung tranßendiert. Deshalb kann er hier Sprache nicht in ihrem normalen, alltäglichen Sinne gebrauchen. Wie jeder Mensch wird er jedoch die eine Sprache benutzen müssen, die wir miteinander teilen, nämlich unsere menschliche Sprache mit all ihren Begrenzungen, geformt von unserer alltäglichen Erfahrung; und dann vielleicht - im Glücksfalle- wird er diese Sprache über unsere alltäglichen Erfahrungen hinaus erweitern, um ihr zusätzliche Bedeutungs-variationen zu verleihen.36 Obwohl Paulus notwendigerweise alltägliche Sprache gebrauchte, benutzte er sie manchmal auf eine Weise, die zu seiner Zeit recht gebräuchlich war, um Bedeutungen mitzuteilen, die weit über unsere Alltagserfahrung der Dinge hinausging. Solch ein Sprachgebrauch wird oft mythisch genannt; gemeint damit ist der Gebrauch einer Folge von miteinander verbundenen Bildern, die auf eine Bedeutung jenseits des offensichtlichen Sinns weisen - wie eine Metapher. Genau das tut Paulus hier. Dies bedeutet, daß seine Sprache so klingt, als ob er etwas in sehr empirischer, vielleicht sogar physischer und ontologischer Weise beschriebe; in Wirklichkeit aber verstand er das Beschriebene als etwas, das auf einer anderen Ebene in der Beziehung zwischen Welt und Gott in dem Christus-Ereignis geschah. Das Bild, das hier von Paulus projiziert wird, will verdeutlichen, daß die Welt, das heißt hauptsächlich die Menschheit, sich irgendwie in eine falsche Richtung orientierte, nämlich fort von Gott - der in irgendeiner tranßendenten Weise, außerhalb dieser Welt, existierte. Dann, im Christusereignis, streckte Christus sozusagen seine große Hand aus, packte die Welt beim Kragen und drehte sie herum, damit sie Gott aufs neue von Angesicht zu Angesicht schauen konnte. In diesem Sinne also fand eine Art ontologischer und kosmischer “Versöhnung der Welt mit Gott durch Christus” statt. Aber dies ist natürlich ein trans-physisches, mythisches und metaphorisches Bild. Paulus war nicht so naiv anzunehmen, daß er mit dieser Sprache in der Tat empirisch die Art und Weise beschrieben hatte, wie etwas physisch wirklich ist, so wie er vielleicht die verschiedenen Teile eines Zeltes, wie sie zueinander in Beziehung stehen, aus welchem Material sie gemacht wurden, usw. beschrieben hätte (als professioneller Zeltmacher wird er dies wahrscheinlich des öfteren getan haben). Vielmehr versuchte er eine Einsicht zu kommunizieren, die zu einer Erklärung vom Sinn des Lebens beitragen würde. Genau das ist die Aufgabe von mythischen Geschichten. Aber was war dann die Einsicht zu einer Erklärung vom Sinn des Lebens, die Paulus mit diesem mythischen Bild zu kommunizieren suchte? Es scheint mir, daß diese Einsicht wie folgt erklärt werden kann:

Paulus hatte offensichtlich eine tiefgründige Erfahrung Jesu Christi, obwohl er Jeschua zu dessen Lebzeit auf Erden nie persönlich begegnet war. Diese Erfahrung Jesu Christi bedeutete für Paulus ganz offensichtlich eine Art Durchbruchserlebnis, oder, um es in anderen Worten zu sagen, eine “Um-Kehr”, eine Metanoia, eine Art Bekehrungserlebnis. Dank diesem Erlebnis fühlte Paulus sich nun im Besitz einer Art tiefer positiver Beziehung mit der für ihn elementaren Bedeutung des Lebens, die er Gott nannte; und diese für ihn neue Beziehung gestaltete sich in seiner Begegnung mit Jesus Christus. Jesus Christus war für Paulus Gelegenheit, Anlaß und Mittel, diese positive Beziehung zur letztendlichen Bedeutung des Lebens, zu Gott, zu haben. In anderen Worten ausgedrückt: Paulus war viel mehr an einer Soteriologie als an einer Christologie interessiert; Paulus trug eher Sorge über die “Inkarnation Christi in Christen” denn über die “Inkarnation Gottes in Christus.” 37 Auf gleiche Weise war Jesus Christus auch für andere Christen dieser Weg, eine zutiefst positive Beziehung zum elementaren Sinn des Lebens, Gott, zu erreichen. Christen lernen von Jesus Christus, oder genauer, von Jeschua, daß die elementare Bedeutung des Lebens darin besteht, im Zentrum des eigenen Seins zu stehen, sich umzukehren und nach außen hinaußureichen; es ist das Lieben, über sich hinaus zum Guten zu streben, zum Seienden, zu allem, was da ist. Für Menschen bedeutet dies vorrangig ein hinüberreichen zu anderen Menschen, es schließt aber auch alle Lebewesen mit ein, und letztendlich die Quelle, den Erhalter und das Ziel allen Seins selbst, den Christen und viele andere Gott nennen. (Nichttheisten wie zum Beispiel Theravada Buddhisten mögen Begriffe wie “Universum” oder “Natur” bevorzugen - vielleicht sind sie in dieser Beziehung der Schule westlichen Denkens nicht unähnlich, die von dem “Deus sive Natura” spricht.) Solche Haltung ist in keiner Weise selbstzerstörerisch, wie Jeschua betonte, als er die hebräische Bibel zitierte: wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Wir können unseren Nächsten nur in dem Maße lieben, in dem wir auch uns selbst wirklich lieben. Authentische Selbstliebe und authentische Nächstenliebe schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr bedarf die eine der anderen. Natürlich birgt ein tieferes Verständnis der Verwirklichung dieser zentralen Einsicht, die Christen im Leben Jeschuas zu finden glauben, noch sehr viel mehr. Christen glauben, sie sind überzeugt, daß in diesem Menschen Jeschua von Nazareth diese zentrale Einsicht in die Bedeutung menschlichen Lebens und damit verbundene Einsichten und Implikationen so vollkommen verwirklicht und gelebt wurde, bis zu einem selbstentleerenden Tod um seiner Freunde willen, daß sie sich gezwungen fühlten, eine Sprache zu benutzen, die der Begegnung des Menschlichen und des Göttlichen in ihm Ausdruck gibt. Durch die Betrachtung dieses Jeschua, durch die Begegnung mit ihm, sind Christen in der Lage, eine zutiefst positive Beziehung zu Gott zu haben. Mit anderen Worten, sie sind “mit Gott versöhnt”. Desweiteren sind Christen überzeugt, daß in Jeschua der Zustrom von Einsichten in Bezug auf die Bedeutung des Lebens so überwältigend war, daß sie, um dieses Wissen außudrücken, zu einer hyperbolischen Sprache greifen mußten; zu einer Sprache also, die metaphorisch und poetisch war, denn diese Art der Sprache ist die einzige Möglichkeit Sachverhalte außudrücken, die die Alltagssprache tranßendieren. Dies ist das gleiche Argument, das ich zuvor bezüglich Paulus’ Gebrauch der “mythischen” Sprache diskutierte. Der katholische Theologe David Tracy drückt die gleiche Idee in seinen Bemerkungen zu einer “Grenz- Sprache” aus: “Jede Authentischer Grenz-Sprache scheint unwideruflich symbolisch und metaphorisch zu sein. Insofern als die verborgene Dimension einer letzten Grenze nicht nur in der Alltagssprache verborgen, sondern auch nicht mehr sprechbar ist - als ein Nicht-Ding oder ein Nicht-Objekt in der Welt an der Seite anderer Objekte -, erhält diese

Sprache die linguistische Struktur einer Metapher und eines Symbols. . . . (S)ogar explizit religiöse Sprache, z.B. die Sprache der Schriften der christlichen Mythen, ist ihrem Wesen nach symbolische und metaphorische Grenz-Sprache.”38 Deshalb begannen Christen schließlich von Jeschua von Nazareth als dem Treffpunkt von Göttlichem und Menschlichem zu sprechen, so daß später im vierten und fünften Jahrhundert, als das Christentum die Staatsreligion des römischen Reiches wurde und zum Großteil die hellenistische Gedankenwelt und ihre Art der Konzeptualisierung inkorporiert hatte, die orthodoxen Christen von einem Gottmenschen zu sprechen begannen. Zum Nachteil für folgende Generationen von Christen und Nicht-Christen wurde nun die tiefe Einsicht, die die ersten Christen in ihrer befreienden Begegnung mit Jeschua von Nazareth gewonnen hatten, von einer metaphorischen und poetischen Sprache in die empirische und ontologische hellenistische Sprache übersetzt, in einer Weise, die die originale Sprache ebenso empirisch und ontologisch machte. Nicht zu begreifen, daß tatsächlich der Großteil der ursprüngliche Sprache der ersten Christen, so wie sie im Neuen Testament zum Ausdruck kommt, metaphorischer und poetischer Natur ist - besonders dort, wo die ersten Christen in ihren höchst ekstatischen Worten über die Bedeutung und den Sinn Jeschuas von Nazareth sprachen -, war eine grobe Fehleinschätzung.39 Selbst Paulus, der große Prediger des verkündigten Christos, ließ keinen Zweifel daran, daß auch er sich meißtens einer metaphorischen Sprache bediente, wenn er von Christos und seiner Beziehung zu Gott (ho Theos) sprach; so z. B. bemerkt er am Ende des 1. Korintherbriefes, daß am Ende nicht Christos (den er als den Sohn, ho Huios, bezeichnet) über allem stehen werde, als ob er selber Gott (ho Theos) wäre, sondern, daß er sich Gott unterwerfen werde. 1. Kor. 15.28. Vielleicht war jedoch solch ein Fehlurteil im Anbetracht des Unterschieds zwischen der semitischen und hellenistischen Geisteswelt unvermeidbar. Die hellenistischen Christen hatten versucht, die Bedeutung Jeschuas in ihren eigenen Gedankenkategorien zu verstehen. Da die hellenistische Welt aber nicht auf einer historischen und relationalen Sicht der Wahrheit, sondern eher auf einer absolutistischen Perspektive beruhte, war es ihr fast unmöglich, die authentisch gültigen Aussagen über den Sinn des Lebens relational zu verstehen. In der Annahme, daß alle wahren Aussagen über den Sinn des Lebens nur in eben diesen absolutistischen, ontologischen Kategorien angemessen ausgedrücket werden können, übernahm die hellenistische Welt die christliche Botschaft in ihre eigenen Kategorien. In der heutigen geistigen Weit mit ihrem historischen und relationalen Verständnis der Wahrheit können und dürfen wir natürlich nicht derartig begrenzt bleiben. Wir müssen versuchen, die ursprüngliche “historische” Bedeutung dessen, was Jeschua dachte, sagte und tat, wiederzuentdecken und diese unsere Funde in zeitgenössisch historischen, deabsolutisierenden und gedanklich kritischen Kategorien zu beschreiben. 40 Allerdings: Im Neuen Testament sprachen die ersten Christen, zumindest an manchen Stellen, von Jeschua in einer Weise, als ob er nicht nur einen möglichen Weg darstellte, den Sinn des Lebens zu begreifen und so mit Gott versöhnt zu werden, sondern sie fühlten, daß er im Vergleich zu anderen Möglichkeiten so ungeheuer fortgeschritten und so radikal besser war als alles andere, daß sie von ihm in absoluter Sprache redeten. Wiederum wird deutlich, daß die ersten Christen in hyperbolischen Begriffen sprachen; genauso, wie Jeschua zum Beispiel von dem Auge sprach, daß uns Ärgernis bereitet. Niemand würde unter dem “Herausreißen” die buchstäbliche physische Zerstörung des eigenen Auges verstehen; diese Metapher will lediglich eine zutiefst wichtige religiöse Botschaft zu vermitteln. In der Tat waren die Kerngedanken und Einsichten, die Jeschua vermittelte, die Liebe Gottes und die

Nächstenliebe als die zwei größten Gebote, nicht exklusiv seine eigenen Gedanken; vielmehr waren genau diese Einsichten die tragenden Säulen nicht nur der alten israelitischen Religion, sondern auch ganz spezifisch die des pharisäischen Judentums. Jeschua und seine Anhänger, einschließlich der Autoren des Neuen Testaments, waren Juden; sie dachten und sprachen als Juden, das heißt: metaphorisch und nicht ontologisch. (Man könnte daran anschließend fragen: Wie steht es um die anderen großen religiösen Gestalten in der Geschichte der Menschheit? Sind zum Beispiel nicht viele der Einsichten, die man in den Grundlehren der “Väter” des rabbinischen Judentums finden kann, für alle Menschen sehr hilfreich, um zu einem umfassenderen Verständnis vom Sinns des menschlichen Lebens geführt, das heißt, mit “Gott versöhnt” zu werden? Kann nicht Ähnliches von den unglaublich schönen Lehren des Moses, Mohammad, Gautama [Buddha] und anderen gesagt werden? Sicherlich muß diese Frage bejaht werden.) Nichtsdestotrotz sind es Christen, die davon überzeugt sind, daß man in Jeschua von Nazareth die vollständige Erklärung und die Verwirklichung des Sinns des Lebens findet - die Versöhnung mit Gott. Sie behaupten, daß in der Tat alle Menschen den Sinn des Lebens durch Jeschua von Nazareth finden können. Deshalb stellen sie eine universale Behauptung auf, daß Jeschua von Nazareth Erlösung für alle Menschen bietet, das heißt, daß er einen Weg für alle bietet, “mit Gott versöhnt zu sein”. Gleichzeitig aber muß man doch zugeben, daß es nicht allen Menschen tatsächlich möglich war, ist oder sein wird, diese Botschaft und Einsicht, “mit Gott durch Christus versöhnt zu sein”, zu erfahren. Andere Menschen könnten doch in der Tat andere Wege besitzen, durch die sie zu dieser Einsicht, zu dieser “Versöhnung” gelangen. Wie aber gehen wir dann mit der Forderung der ersten Christen um, Jesus Christus besäße eine universale Erlöser-Bedeutung? Könnte diese Erlöser-Bedeutung nicht als potentiell- universale Erlöser-Bedeutung verstanden werden? Die Einsichten und gelebten Beispiele dieses Jeschua, wie ein authentisches menschliches Leben in angemessener Beziehung zu Gott zu leben sei, werden tatsächlich von Christen als Ausdruck eines ganzheitliches menschliches Leben und einer rechten Beziehung zu Gott, dem letztendlichen Sinn des Lebens, verstanden. Aber könnte es nicht möglich sein, daß es andere Möglichkeiten gäbe, in denen diese Einsichten ausgedrückt werden könnten, und zwar nicht nur in Form von Ideen, Lehren, Geschichten, usw., sondern ebenso in verschiedenen Praktiken, in Mustern sozialer Beziehungen und ähnlichem? Dies würde bedeuten, daß es viele verschiedene Arten des Lehrens und Tradierens dieser tiefgründigen Einsichten in die Bedeutung des Lebens gäbe. Solche Formen würden sich dann unter bestimmten herausragenden Lehrern vereinigen und verschiedene soziale Muster oder Strukturen bilden, die wir Religionen oder Ideologien nennen. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß alles, was in jeder Religion oder Ideologie gelehrt und praktiziert wird, notwendigerweise menschlich authentische ist und eine authentische “Versöhnung der Welt mit Gott” darstellt, so wie Christen in Jeschua “Versöhnung” zu finden glauben. Eine solche Behauptung wäre ebendso haltlos, wie wenn man behaupten wollte, daß all das, was Christen in den letzten zweitausend Jahren “authentisch” bezüglich dem Sinn des Lebens gelehrt und praktiziert haben, in Übereinstimmung mit den Einsichten und dem gelebten Beispiel Jeschua’s sei. Es gibt eine Reihe weiterer Überlegungen, die zu dem gleichen Ergebnis führen. So sollte zum Beispiel berücksichtigt werden, daß “christologische Aussagen nicht als zur Sprache der Philosophie, Wissenschaft oder Dogmatik, sondern als zur Sprache des Bekenntnisses und des Bezeugnisses zugehörig betrachtet werden sollten.” 41 Christologische Aussagen, um die Terminologie Krister Stendhals zu benutzen, verwenden “religiöser

Sprache . . . Sprache der Liebe, liebkosender Sprache”. 42 Zwar kann man versuchen, die Sprache der Liebe in eine philosophische Sprache, Poesie also in Prosa zu übersetzen (obwohl dies einen unvermeidlichen Verlust zur Folge haben wird), aber es wäre töricht und eine grobe Verzerrung, die Sprache der Liebe und Poesie an sich so zu behandlen, als ob sie eigentlich philosophische Prosa wäre. Dies geschah zu oft im Christentum (und auch in anderen Religionen?), allzu häufig mit dem Ergebnis, daß die Botschaft entstellt oder sogar zerstört wurde; insbesondere gilt dies für die Aussagen der ersten Anhänger des Rabbi Jeschua.43 Wie ebend angedeutet, lebte die antike Welt in der Mentalität einer klassischen Kultur, in der Wahrheit als statisch, absolut, als ausschließlich entweder-oder gesehen wurde. Wenn Menschen einer solchen Mentalität deshalb etwas von Jeschua als wahr akzeptierten, so mußte diese Wahrheit unwandelbar, absolut und exklusiv sein, denn eben dies waren die Eigenschaften der Wahrheit, so wie Wahrheit verstanden wurde. Mit dem Paradigma- oder Modellwechsel in der modernen kritischen Weltanschauung, hin zu einer historischen, praxisorientierten, perspektivischen und interpretativen Sicht der Wahrheit, sind kritische Christen nun nicht nur in der Lage sondern sogar genötigt, die erlösende und “versöhnende” Wahrheit über Jeschua - was er dachte, sagte und tat - zu bejahen, ohne absolutistisch und exklusivistisch zu sein. Paul Knitter artikuliert diese Einsicht wie folgt: “Sicherlich waren sich die ersten Christen bewußt, daß es viele Wahrheitsansprüche in der Welt um sie herum gab. Größtenteils jedoch fühlten sie, daß, wäre einer dieser Ansprüche wirklich wahr, er entweder die anderen überwinden oder sie absorbieren müsse. Dies ist, wozu Wahrheit in der Lage war. Als sie dann der überwaltigenden Wahrheit Jesu begegneten, mußten sie diese als die einzige oder endgültige Wahrheit beschreiben. In der heutigen Welt historischen Bewußtseins jedoch, verbunden mit einer neuen Erfahrung des Pluralismus, scheint es für Christen möglich, die rettende Wahrheit Jesu ohne die Vorraussetzungen klassischer Kultur zu erfahren und zu verkünden, das heißt Christen müssen nicht mehr darauf bestehen, daß Jesu Wahrheit jegliche andere Wahrheit entweder aus- oder einschließt.”44 Desweiteren sollte man sich daran erinnern, daß die Welt des Weges (Hodos, wie sich laut der Apostelgeschichte die ersten Christen selber nannten) des Rabbi Jeschua eine Welt jüdischen eschatologischen Apokalyptizismus war: das Ende der Welt stand unmittelbar bevor, ebenso wie die “zweite Wiederkunft”. Das Reich Gottes, das Jeschua gepredigt hatte, war kurz davor, durch ihn vollfüllt zu werden. Als Resultat entwickelte sich als eine erste Gemeindereflektion über die Bedeutung Jeschuas eine “Maranatha-Christologie”.45 Gedanken an die Möglichkeit anderer Erlöser waren nicht möglich; das Motto hieß: “Schnell, bereitet euch jetzt vor!” Als aber dann der endgültige Untergang dieser Welt, ihre Transformation in das Reich Gottes durch die Wiederkunft Jeschuas nicht stattfand, wurde die Finalität der Endzeit zum Mittelpunkt der Geschichte verschoben, wie es Rosemary Ruether analysiert hat.46 Jeschua als der letzte, der eschatologische Prophet wurde einfach in den Mittelpunkt der Geschichte umgesiedelt: dies ist der Wechsel von einer apokalyptischen zu einer klassischen Weltanschauung. Wiederum also, mit dem Ausklingen dieser beiden Weltanschauungen, kann und muß die erlösende Bedeutung Jeschuas ohne ihre absolutistische und exklusivistische “Schutzlackierung” formuliert werden.

15. SCHLUßFOLGERUNGEN Wenn meine Bemerkungen auch nur ein wenig Gültigkeit besitzen, so sollte es jetzt einleuchten, daß Christen keine verurteilende Haltung gegenüber Nicht-Christen, und zwar insbesondere gegenüber Anhängern anderer Religionen/Ideologien, einnehmen zu brauchen, ja nicht einmal sollten, aus Angst, ihrem christlichen Engagement nicht gerecht zu sein. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Es wäre unloyal im Angesicht solch christliche Engagements (das heißt, der heutigen kritischen Welt die Gute Nachricht in einer dynamischen und dialogischen Sprache zu predigen), wenn sie nicht versuchen würden, die gleichen Wahrheiten und Einsichten dort zu erkennen, wo auch immer sie zu finden ist. Natürlich schließt dies ein, daß Christen nicht ein Verhältnis der Debatte, sondern eine Haltung des Dialogs mit Nicht-Christen einnehmen müßten. In diesem Dialog werden sie zweifellos erfahren, daß es in ihrer eigenen Tradition viele wertvolle Einsichten gibt, die sie übersehen, unterdrückt oder verzerrt haben; und gerade das Finden solcher Einsichten in anderen Religionen oder Ideologien wird ihnen zu der Wiederentdeckung ihrer eigenen Schätze verhelfen. Ist es weiterhin nicht auch möglich, daß Christen in einer anderen religiösen oder ideologischen Tradition Einsichten entdecken werden, die in der Tat nicht in ihrer eigenen christlichen Tradition formuliert zu sein scheinen? Wenn sie der Versuchung widerstehen können, doktrinär und triumphalistisch zu sein, so wird die Antwort lauten: Ja, dies ist möglich; wir können hoffen, wirklich neue Einsichten in den Sinn des Lebens zu gewinnen. Welchen Einfluß hat all dies auf die christliche Aussage, Jesus Christus, Jeschua, sei die Erfüllung dessen, was Menschsein bedeutet? Zum einen kann argumentiert werden, daß wahrscheinlich keine dieser zusammengetragenen neuen Einsichten tatsächlich im Widerspruch stehen würde zu dem, was Jesus Christus, Jeschua, uns beispielhaft vorgelebt hat (was also “offenbart” wurde, um theologische Sprache “von oben” zu benutzen). Weiterhin kann man in deisem Zusammenhang von einer Entwicklung, Entfaltung, Evolution sprechen. In der Sprache eines Teilhard de Chardin würde man von einer Bewegung vom Alpha zum Omegapunkt sprechen. Sprachen nicht sogar schon die ersten Christen von einem anderen Kommen des Christus? Sicherlich wird seine Wiederkunft nicht identisch mit seinem ersten Kommen sein. Wäre sie es, so könnte man nicht von einem anderen Kommen sprechen; es wäre das erste Kommen. Natürlich wird es profunde Ähnlichkeiten geben, aber wenn die Wiederkunft eine andere ist, so muß es auch Unterschiede geben. Könnten nicht diese “neuen Einsichten” Teil eines Unterschiedes sein? Wenn Christen tatsächlich zu der Überzeugung gelangen, daß zum Beispiel Muhammad und Marx uns einige “neue Einsichten” eröffneten, könnten sie dann nicht als Teil dieses anderen Kommens gesehen werden? Muß die Wiederkunft Christi als ein Ereignis zu einer ganz bestimmten Zeit am Ende der Geschichte gesehen und verstanden werden? Dies ist offensichtlich nicht nötig, denn wir haben deutlich wieder einmal metaphorische, poetische, hyperbolische, mythische Sprache vor uns. Das Sprechen über das Eschaton ist ganz klar jenseits unserer Alltagserfahrung. Könnten vielleicht Ereignisse innerhalb der Geschichte als Phasen oder sogar konstituierende Elemente verstanden werden, die zu diesem Eschaton, diesem Omegapunkt hinführen? Wenn dies so ist, so muß letztendlich das christliche Verständnis, wie die Welt “mit Gott durch Christus versöhnt” ist, nicht im Gegensatz stehen zu anderen Erfahrungen einer Versöhnung mit Gott, oder zu anderen Erfahrung über die fundamentale Bedeutung des Lebens, die nicht durch Jesus Christus, Jeschua, vermittelt sind.

Dies ist mein einleitender Beitrag in diesem Dialog. Ich bin überzeugt, daß meine theologischen Reflektionen hier in vollständigem Einklang stehen mit der Quelle meines christlichen Glaubens - in der Tat glaube ich, daß sie in weitaus tieferem Einklang stehen, als viele andere versuchte Interpretationen es für eine lange Zeit waren. Ich muß natürlich mit meinen Mitchristen während dieser kontroversen Entwicklung im Dialog bleiben - in der intra-religiösen Dialogsdimension. Ich hoffe auch, daß ich mich in diesen Reflektionen auf die Formung eines “ökumenischen Esperanto” zubewegt habe, in welchem moderne kritische Denker, Juden, Muslims, Hindus, Buddhisten, Humanisten, Marxisten, usw. in der Lage sein werden, zu sagen, daß sie die Einsicht “verstehen”, um deren Ausdruck ich kämpfe, und daß sie sich irgendwie in jene Konzepte, Begriffe, Bilder, usw. miteingeschlossen fühlen. Wenn ich denn wirklich mein Ziel erreicht habe, unabhängig von den möglicherweise notwendigen Modifikationen als Ergebnis eines folgenden Dialogs, so haben wir einen Schritt auf das Schmieden einer “universalen Theologie der Religion/ Ideologie” hin unternommen. Innerhalb dieser Matrix interreligiösen, interideologischen Dialogs muß zukünftiges, kreatives “Theologisieren” stattfinden.47 Willkommen zum Dialog! Leonard Swidler, Herausgeber des “Journal of Ecumenical Studies”, ist Professor in der religionswissenschaftlichen Fakultät der Temple University, Philadelphia. Seine Spezialgebiete sind katholische Theologie und interreligiöser Dialog.

ANMERKUNGEN In dem fraglichen Bereich einer Definition - oder besser: einer richtigen Beschreibung - von Religion, möchte ich folgendes anregen: Gattungsbegrifflich handelt es sich hier um “Weltsicht und Weg”, innerhalb dessen zwei Hauptrichtungen, Religion und Ideologie, zu unterscheiden sind. Eine “Weltsicht und Weg” ist die “Erklärung vom letzten Sinn des Lebens und wie man angemessen lebt”. Er beinhaltet immer die vier “C”s: Credo (Glaubenssystem), Codex moralis (ethisches System), Cultus (rituelle Vorschriften) und Communitas (Gemeinschaft). Wenn die Erklärung vom Sinn des Lebens letztlich auf etwas “Jenseitiges”, “Tranßendentes” des Menschen und der Welt, anthropon kai kosmon, abzielt, so gehört diese Erklärung zur Kategorie “Religion”. Bleibt eine solche Erklärung “inner-weltlich”, so gehört sie zur Kategorie “Ideologie”. Zugegebenermaßen ist der Begriff Ideologie (und seine möglichen Alternativen) etwas problematisch. Ideo-logie wird, ungeachtet der Tatsache, daß es etymologisch die systematische Studie einer Idee bezeichnet (so wie Bio-logie das systematische Studium lebender Dinge ist), oft so verstanden, als habe es eine abwertende Bedeutung. So verstanden wäre Ideologie ein Gedankensystem, das alle Gegebenbeiten in seine Strukturen zwängt, was soviel wie ihr völliges Verdrehen bedeutet. Jedoch wird der Begriff “Ideologie” auch in neutraler Weise gebraucht, wo er dann lediglich ein systematisches Gedankengebäude bedeutet, das von der auf sie begründeten Praxis unterschieden wird, so wie z.B. die marxistische “Ideologie” von der marxistischen soziologischen Analyse differenziert wird. Philosophie erscheint hier als mögliche Alternative zur Ideologie im neutralen Sinn. Sie hat aber den Nachteil, daß sie christliche Philosophie, hinduistische Philosophie und andere religiöse Philosophien per definitionem miteinschließt. Es könnte deshalb dort zur Verwirrung führen, wo dieser Begriff ohne ein näher bestimmendes Adjektiv, das das Tranßendente nicht mit einschließt, verwendet wird. Die Schwierigkeit des Gebrauchs von “Weltanschauung” anstelle von “Ideologie” liegt darin, daß sie nicht ein ausgearbeitetes Gedankensystem beinhaltet, wie es der Begriff “Ideologie” tut, sondern daß “Weltanschauung” eine allgemeine, unbestimmte Einstellung zum Leben suggeriert, als welche der Marxismus beispielsweise nicht bezeichnet werden kann. Deshalb scheint das neutrale, etymologisch ursprünglicherer Verständnis von “Ideologie” am unproblematischsten zu sein, um damit eine “Erklärung vom letzten Sinns des Lebens und wie man angemessen lebt” zu bezeichnen, in welchem das Element des Tranßendenten nicht beinhaltet ist. Darüber hinaus ist der Begriff Ideologie eine Selbstbezeichnung, die von Marxisten selbst benutzt wird. Desweiteren verwendet auch der Weltkirchenrat diesen Terminus; sein Gebrauch in obengenannten Sinne dürfte also auf Verständnis stoßen, und somit zunehmend Klarheit in die Verständigung bringen. 2 Mirari vos, 1832, zitiert in Leonard Swidler, Freedom in the Church (Dayton: Pflaum, 1969), S. 47. 3 Ecclesiam suam, Nr. 9; Hervorhebung vom Autor. 4 Sekretariat für Ungläubige, Humanae personae dignitatem, vollständig zitiert in Austin Flannery, Vatican Council II (Collegeville, MN: Liturgical Press, 1975), S. 1003, 1007. 5 Hans Küngs Schrift “Paradigma Wechsel in der Theologie”, geschrieben für das internationale ökumenische Symposium “Ein neues Paradigma von Theologie?” in Tübingen Mai 23-26, 1983, präsentiert eine vollständige Analyse der Bedeutung des Paradigmen Wechsels für die Theologie. 6 Paul Knitter, No Other Name? (Maryknoll: Orbis Books, 1984), S. 219. 7 Raimundo Panikkar, The Intrareligious Dialogue (New York: Paulist Press, 1978), S. 30. 8 Wilfred Cantwell Smith, Toward a World Theology (Philadelphia: Westminster Press, 1981), S. 60. 9 Panikkar, Intrareligious Dialogue, S. 50. 10 Raimundo Panikkar, “Faith and Belief: A Multireligious Experience,” Anglican Theological Review, 53 (1971), S. 220. 11 John S. Dunne, The Way of All the Earth (New York: Macmillan, 1972), S. ix. Ein anderer kreativer Ansatz könnte Ira Progoffs “process meditation” sein. Sieh Ira Progroff, The Practice of Process Meditation (New York: Dialogue House Library, 1980). 12 Dunne, The Way, S. 53. Für ein weiteres Verständnis der Technik des “Hinüberreichens” sieh John Dunnes A Search for God in Time and Memory (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1977); The City of the Gods (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1978). 13 Knitter, No Other Name?, S. 215. 14 Ebd., S. 216. 15 David Tracy, The Analogical Imagination (New York: Crossroad, 1981), S. 451. 16 David Tracy, Blessed Rage for Order (New York: Seabury Press, 1979), S. 98. 17 Der gleiche Gedanke eines zeitgenössischen Bedürfnisses nach einer neuen Bewußtseinshaltung sowohl im intra- wie auch im inter-religiösen und inter-ideologischen Dialog wurde von Ewert Cousins formuliert, als er von Raimundo Panikkar als einem Pionier in dieser Neuschaffung sprach: “Wenn sich christliches Bewußtsein dem weltumfassenden Bewußtsein öffnet, so kann eine neue Art systematischer Theologie geboren werden. Diese neue Theologie bedarf eines neuen Theologen-Typs mit einer neuen Bewußtseinsform - einem multi-dimensionalen, transkulturellen Bewußtsein typisch für einen mutationalen Menschen. Ich glaube, daß Raimundo Panikkar solch ein neuer Theologe ist, und daß er schon begonnen hat, 1

solch eine systematische christliche Theologie zu entwickeln.” Ewert Cousins, “Raimundo Panikkar and the Christian Systematic Theology of the Future,” Cross Currents (Summer, 1979), S. 146. 18 Vatican II Decree On Ecumenism, Nr. 9; Hervorhebung vom Autor. 19 Spiritus domini, 1970, Nrn. 64 und 79, vollständig zitiert in Flannery, S. 515, 526. 20 Knitter, No Other Name?, S. 222. 21 Secretariatus pro Non-credenti, Humanae personae dignitatem, August 28, 1968 22 Johannes Schwartländer, hsgr., Modernes Freiheitethos und christlicher Glaube (München/Mainz: Kaiser/Grünewald, 1981), S. 11. 23 Summa Theologiae, I-II, Q. 91, a. 2: “Inter cetera autem rationalis creatura excellentiori quondam modo divinae providentiae subiacet, inquantum et ipsa fit providentiae particeps, sibi ipsi et aliis providens.” 23 Homer Jack, (Hrsg.) Religion for Peace (New Delhi: Ghandi Peace Foundation, 1973), S. ix. 24 Dies gilt für Küng, Schillebeeckx und vielen anderen hervorragenden katholischen und protestantischen Theologen; siehe Leonard Swidler, (Hrsg.) Consensus In Theology? (Philadelphia: Westminster, 1980). Zum Beispiel sagt Hans Küng: “Auch für den katholischen Christen kann dies Kriterium nichts anderes als die christliche Botschaft sein, das Evangelium in seiner elementaren, konkreten Form, Jesus Christus selbst, der für die Kirche und - trotz aller Äußerungen des Gegenteils - auch für mich der Sohn und das Wort Gottes ist. Er ist und bleibt die Norm in dem Licht, in dem jede kirchliche Autorität - was nicht bestritten wird - beurteilt werden muß: die Norm, mit der ein Theologe geprüft werden muß und in dem Licht, in dem sie/er sich kontinuierlich im Geiste der Selbstkritik und wahrer Demut rechtfertigen muß.” S. 163. 26 Edward Schillebeeckx, in einer Vorlesung zu Ehren seiner formellen Emeritierung von der Universität in Nijmegen am 19. Februar 1983. 27 Franz Böckle, “Theonome Autonomie in der Begründung der Menschenrechte,” Schwartländer, Modernes Freiheitethos, S. 306. 28 Wilfred Cantwell Smith bemerkt: “Wir glaubten daß alle religiösen Orientationen im Grunde anthropologisch seien; wir erfuhren daß diese einige Mythen mindestens oberflächlich zerstören, aber andere verständlicher machen als sie früher waren - und diese wiederum macht Anthropologie, die Lehre über den Menschen, am Ende mindestens potential religiös.” Toward a World Theology, S. 146. 29 Einige Zeit nach der ersten Abfassung dieses Teils traf ich auf sehr starke Unterstützung in den Texten zweier katholischer Theologen, Bernard Lonergan und Walter W. Conn. Conn - an diesem Punkte Lonergan folgend - schreibt in Bezug auf Konversion vor allem auf der intellektuellen Ebene, daß “ihre wirklich maßgebende Bedeutung in der Art persönlicher und existentieller Selbst-Aneignung gefunden wird, welche wir diskutiert haben - die Aneignung des eigenen Selbsts als freier, verantwortlicher und selbstbestimmter Schöpfer von Werten, der in den eigenen selbsttranßendierenden Urteilen und Entscheidungen das Kriterium des Wirklichen und wahrhaft Guten ist.” Walter E. Conn, Conscience: Development and Self-Transcendence (Birminghan, AL: Religious Education Press, 198l), S. 192. An anderer Stelle schreibt Conn, ebenso den Paradigma Wechsel im radikalen Engagement des Denkers in Bezug auf Wahrheitsaussagen (wie oben beschrieben) überdenkend: “die Möglichkeit kognitiver Konversion: die kritische Erkenntnis der konstitutiven und normativen Rolle des eigenen Urteils in Bezug auf das Kennen der Wirklichkeit und darum in Bezug auf Werte. Ein Mensch, der solch kritisches Verständnis des Selbsts als Wissendes erlebt, hört auf, nach einer Größe jenseits des Selbst, irgendwo “dort draußen”, zu suchen, die als Kriterium für Werte oder das Wirkliche dienen könnte. Kognitive Konversion besteht genau darin, dieses Kriterium in dem eigenen realistischen Urteil zu entdecken.” Walter E. Conn, “Conversion: A Developmental Perspective,” Cross Currents (Herbst, 1982. S. 325f.) Über die Bewegung von intellektueller hin zu moralischer Konversion schreibt Lonergan: “Moralische Konversion reicht jenseits des Wertes als solchem, der Wahrheit als solcher, hin zu den Werten generell. Sie bringt das Subjekt von kognitionaler zu moralischer Selbst-Tranßendenz. Sie erhebt das Subjekt auf eine neue, existentielle Bewußtseinsebene und etabliert es als schöpferischen Wert.” Bernard Lonergan, Method in Theology (New York: Herder und Herder, 1972), S. 241. Der Begriff “radikale Offenheit” wird auch von Conn hervorgehoben: “Es ist richtig, daß jeder Mensch in der Lage sein sollte, Farbe zu seinem oder ihrem Gewissen zu bekennen, unbeeinflußt von äußeren Zwängen. Aber jeder, der dies tut, sollte auch erkennen, daß Appelle an das Gewissen jemandem nicht automatisch oder notwendigerweise die “richtige” Position garantieren, daß einige Gewissen authentischer als andere sind, und daß die eigene Verbindlichkeit gegenüber seinem oder ihrem Gewissen immer eine kritische bleiben muß. Aufrichtigkeit gegenüber dem, was man zutiefst fühlt oder dem, was man spontan für “am besten” hält, ist nicht genug. Aufrichtigkeit muß kontinuierlich und umfassend selbstkritisch sein, wenn sie authentisch sein soll. Für solch eine Selbstkritik ist ein radikales Offensein für andere Ansichten natürlich Voraussetzung; und diese Offenheit scheint ihre notwendige Vorbedingung in tiefer Demut zu haben.” S. 207. 30 Das Werk der ersten drei Männer ist in bewunderswerter Weise in James Fowler, Stages of Faith (New York: Harper & Row, 1981) zusammengefaßt. 31 Die Arbeit Kohlbergs ist in gewissem Maße von seiner Mitarbeiterin Carol Gilligan in Frage gestellt worden; sie argumentiert, daß er in seinen Untersuchungen Frauen nicht berücksichtigt hat. Sieh Carol Gilligan, In a Different Voice (Cambridge: Harvard University Press, 1982). Dieses Problem taucht jedoch nicht in dem Werk Fowlers auf, da seine Interviewpartner zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen.

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Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan, “The Adolescent as a Philosopher: The Discovery of the Self in a Postconventional World,” Daedalus, 100 (Fall, 1971), S. 1072. 33 Fowler, Stages of Faith, Ss. 186f. 34 Bernard Lonergan, Collection, hsg. von F. E. Crowe (New York: Herder und Herder, 1967), S. 254. 35 Fowler, Stages of Faith, S. 107. 36 Die sorgfältigen Wortstudien von Friedrich Büchsel in Gerhard Kittel, (Hrsg.), Theological Dictionary of the New Testament (Grand Rapids: Eerdmans, 1964), I, Ss. 254 ff., und anderen Wissenschaftlern in verschiedenen Nachschlagewerken lösen nicht wirklich das Problem, das wir uns gestellt haben. Aus diesen Studien geht klar hervor, daß das von Paulus benutzte Wort (und er ist der einzige, der es im Neuen Testament benutzt), katallassein, und seine Variante katallagenai, grundsätzlich “ändern” bedeutet in diesem Falle ein Ändern der Beziehung zwischen Gott und den Menschen in einer positiven Weise, d.h. “ändern” gemeint als “versöhnen.” Theos en en Christo kosmon katalasson heauto schreibt Paulus in 2 Kor. 5:19, und Hieronymus übersetzte es so: Deus erat in Christo mundum reconcilians sibi. Natürlich meint jeder Begriff der Versöhnung, in welcher Sprache auch immer, die transphysische, “metaphorische” Ebene; dieser Begriff wird nicht benutzt, um materielle oder physische Dinge, sondern vielmehr die Beziehung zwischen Lebewesen auf der geistigen oder psychologischen Ebene zu beschreiben. Die Wortstudien heben diesen ganz offensichtlichen Tatbestand nicht hervor - vielleicht, gerade weil er so offensichtlich ist. Wenn jedoch Theologen an der Bedeutung der paulinischen Texte arbeiten, scheinen sie ihn oft zu vergessen. 37 Siehe Joseph A. Fitzmyer, “Jesus the Lord,” Chicago Studies, 17 (1978), S. 91. 38 Tracy, Blessed Rage, S. 108. 39 Es ist ironisch, daß zwei christliche Wissenschafter, der eine ein gemäßigter Protestant, der andere ein gemäßigter Katholik, moderne kritische Analyse gebrauchen - hier zumeist Audienz - Kritik (d.h. verstehen zu lernen, wie die ursprüngliche Zuhörerschaft Wörter und Redewendungen gebrauchten, um deren Bedeutungen so festzulegen, wie sie von den Autoren des Neuen Testaments intendiert wurden) - um zu geringfügig unterschiedlichen Schlüßen zu kommen, die miteinander kombiniert, auf solide Art dokumentieren, daß alle Verfasser des Neuen Testaments Sprache metaphorisch benutzten, wenn sie von Jesus in vergöttlichenden Begriffen sprachen. Der erstere, James D. G. Dunn, argumentiert, daß dies überall der Fall sei, ausgenommen einige johanninische Texte - und besonders die paulinischen Texte ausschließend (Christology in the Making. Philadelphia: Westminster, 1980, Ss. 210 ff.). Der zweite, Edward Schillebeeckx, argumentiert, daß dies überall der Fall sei, ausgenommen einige paulinische Texte--und besonders die johanninischen Texte ausschließend (Jesus. New York: Seabury, 1979), S. 556ff. 40 Es gibt natürlich viele Themen, die an dieser Stelle “gelüftet” und gelöst werden müssen; christliche Wissenschaftler müssen in dieser bedeutenden Aufgabe Fortschritte machen. Einer der Einwände, der wahrscheinlich von Traditionalisten erhoben werden könnte, ist, daß diese Beschreibung der Bedeutung Jesus Christus, d.h. die Christologie, einfach die des liberalen Protestantismus des 19. Jahrhunderts ist. Zuallererst sollten gerade Traditionalisten wissen, daß das Aufmerksammachen auf die Wiederholung etwas schon Gesagten es dadurch nicht falsch macht. Weiterhin werden die Unterschiede zwischen den beiden Positionen - dank der enormen Fortschritte in den Bibelwissenschaften in den vergangenen hundert Jahren - trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten bedeutend sein. Bezüglich des Problems, daß die Interpretation der biblischen Evangeliumsbotschaft in der ontologischen Sprache des vierten und fünften Jahrhunderts im hellenistischen Christentum unveränderbar fixiert wurde, sollte man sich daran erinnern, daß - gegeben, daß mein Argument und das vieler anderer Wissenschaftler korrekt ist - der radikale Wechsel von metaphorischer zu metaphysischer Sprache zwischen dem ersten und dem vierten Jahrhundert zwischen der semitischen und hellenistischen Umwelt vollzogen wurde. Ab esse ad posse - wenn es geschah, so ist es möglich. Anders gesagt: wenn es einmal geschah, warum dann nicht auch zweimal oder öfter? Ein erhabener Beschluß eines ökumenischen Konzils kann niemals geändert werden? Man vergleiche die folgenden Aussagen der Römisch Katholischen Kirche, zunächstein Dekret des sechzehnten ökumenischen Konzils zu Konstanz (1414-1418): Diese Synode erklärt erstens, legitim einberufen im Heiligen Geist, ein allgemeines Konzil bildend und die universale Kirche repräsentierend, daß sie unmittelbare Vollmacht von Christus besitzt, welche jeder Staat und Würdenträger, sei es sogar der päpstliche Würdenträger, in allem, was den Glauben, die Ausrottung des genannten Schismas [es gab zu der Zeit drei Päpste, das sogenannte Westliche Schisma] und die Reformation der besagten Kirche in Haupt und Gliedern betrifft, gehorchen müssen. Desgleichen erklärt sie, daß, wer auch immer, unter welcher Bedingung, in welchem Zustand, welcher Position, sei es sogar die päpstliche, sich beharrlich weigert, dem Mandat, den Statuten und Verordnungen der Vorschriften dieser heiligen Synode zu gehorchen, sich als strafbar erklärt und vorschriftsgemäß bestraft wird, wenn nötig mit Rekurs zu anderen gesetzlichen Mitteln. Das I. Vatikanische Konzil (1870) stellt andererseits fest: Alle Christusgläubigen sind daran gebunden zu glauben, daß der heilige apostolische Stuhl und der römische Pontifex das Primat über die ganze Welt innehaben . . . daß das Urteil des apostolischen Stuhls, dessen Autorität

keinen Vorgesetzten hat, von niemandem revidiert werden kann; und daß niemand die Erlaubnis hat, seine Urteile zu richten. Diese irren deshalb vom geraden Weg der Wahrheit ab, die bekräftigen, daß es gesetzlich ist, Berufung gegen die Urteile der römischen Pontifizes bei einem ökumenischen Konzil einzulegen--als einer Autorität, die der römischen Pontifex überlegen sei.” (Zitiert in Leonard Swidler, Freedom in the Church. Dayton: Pflaum, 1969, Ss. 92 f.) Wiederum, ist es einmal geschehen, kann es wieder geschehen. 41 Frances Young, “A Cloud of Witnesses,” in: John Hick, hsg., The Myth of God Incarnate (Philadelphia: Westminster, 1977), S. 13. 42 Krister Stendhal, “Notes for Three Bible Studies,” in: Gerald Anderson and Thomas Stransky, hsg., Christ’s Lordship and Religious Pluralism (Maryknoll: Orbis, 1981), Ss. 14f. 43 Paul Knitter, No Other Name?, S. 261, hat einen hilfreichen Kommentar zu dem Thema der Art der benutzten Sprache und dem Verständnis ihres Wahrheitsgehaltes: “Dies soll nicht implizieren, daß es keine metapbysische Wahrheit in dem gab, was die frühen Christen sagten, oder daß sie sich dieser Unterscheidung zwischen metaphysischer und konfessioneller Sprache bewußt waren. Hätten sie diese Unterscheidung machen können, hätten sie höchstwahrscheinlich gesagt, daß der kognitive oder metaphysische Inhalt ihrer konfessionellen Sprache darin bestand, daß niemand so wie Jesus war. Ich schlage vor, daß, den Charakter ihrer Sprache gegeben, solche metaphysischen Ansprüche dieser Sprache nicht zu eigen sind. Heutzutage können Christen die gleiche Sprache mit unterschiedlichem metaphysischen Inhalt hören und benutzen.” 44 Ebda., S. 183. 45 Siehe Schillebeeckx, Jesus, Ss. 405 ff. 46 Siehe Rosemary Ruether, To Change the World (New York: Crossroad, 1981). 47 Paul Knitter, No Other Name?, S. 230, schreibt: “Wenn Christen, auf Gott vertrauend und den Glauben anderer respektierend, sich in dieser neuen Begegnung mit anderen Traditionen engagieren, so können sie erwarten, ein Wachstum oder eine Evolution zu erleben, wie es das Christentum seit seinen ersten Jahrhunderten nicht mehr erfahren hat. Diese Wachstum wird paradoxerweise die Identität des Christentums sowohl erhalten als auch gleichzeitig verändern. Solch ein Paradox ist kein Geheimnis; wir sind mit ihm in unserem eigenen privaten Leben als auch in der Natur vertraut.”