Die Zeit geht nicht, sie überrennt und überwälzt uns

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F RANZOBEL [ M OZARTS K OPF ODER WIE SICH DIE M USIK IM MENSCHLICHEN K ÖRPER ABBILDET ]

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ie Zeit geht nicht, sie überrennt und überwälzt uns. Nachdem die Stadt Wien beschlossen hatte, die Gelegenheit des 250sten Geburtstages von Wolfgang Theophrast Gottlieb Seicherl Mozart zu nutzen, nicht nur ein pompöses, exorbitantes Fest zu feiern, nein, ein ganzes Mozartjahr auszurufen, das natürlich nur nebenbei den großen Komponisten selbst, in erster Linie aber die noch viel größere Stadt Wien, diese Welthauptstadt der Musik, diese zehnjährige Heimstätte Mozarts ehren sollte, die so fürsorglich mit ihm und seinen sterblichen Überresten umgegangen war, dass heute niemand mehr weiß, wo er begraben liegt. Nachdem die Stadt Wien also beschlossen hatte, eine Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H. zu gründen, die auch gleich mit einem Intendanten versehen worden war, der keinen Augenblick zögerte, sich inspirieren zu lassen, um im ersten Musenkusstaumel ein umfangreiches Programm zu komponieren, welches darauf hinaus lief, dass im Grunde jedes Jahr ein Mozartjahr sei, wir uns nicht in einem Mozartjahr, sondern in einem Mozartjahrtausend befänden, der vorerst aber einmal in einem Akt grenzenloser Güte beschloss, Mozart durchzusetzen, alles mit ihm zu durchsetzen, ihn in die Schulen, Kindergärten, Tagesheimstätten und Horte zu bringen, ebenso in die öffentlichen Verkehrsmittel, Gefängnisse, Altenheime, Zoos, Spitäler, Supermärkte, Bahnhofstoiletten, Bushaltestellen, Kasernen, und überhaupt an alle bekannten und unbekannten [ 241 ]

Orte, nachdem sogar ein Wir-beschallen-den-Weltraum-mit-MozartProgramm initiiert worden war, sich zahllose Ausstellungen und Symposien ankündigten, man also mit dem Musikalischsten, dem Vermozartesten, dem Allermozarteskesten rechnen musste, obwohl oder gerade weil ständig betont wurde, dass man von Mozart nie genug bekommen könne, nachdem also all dies und noch viel mehr passiert war und der Mozart-Overkill schon wie eine gigantische Tsunami-Welle drohend an der Tür stand und die Kleine Nachtmusik summte, kam ein boshafter, ein perfider, ein widerlicher, kleinlicher und unbedeutender Mensch darauf, dass man ja nicht nur nicht wisse, wo die große Stadt Wien den kleinen Amadeus verscharrt habe, ja, verscharrt, sagte er, verscharrt wie einen Hund, sondern man auch keinerlei Vorstellung von seinem Äußeren habe. Was eine Katastrophe sei, denn tatsächlich könne Mozart ausgesehen haben wie irgendwer, wie Guido Westerwelle, André Heller oder Hella von Sinnen. Wie ein polnischer Gewerkschaftsführer, ein zypriotischer Tennisspieler oder ein skandinavischer Hammerwerfer? Im Laufe der Zeit hatten sich sämtliche Mozartbildnisse, angefangen vom Bild des kleinen, am Schoße der Kaiserin Maria Theresia sitzenden und diese charmant in den Busen zwickenden Wolferl, über das berühmte Salzburger Familienbildnis mit Vater, Nannerl und Pimperl bis zum angeblich vom Schwager angefertigten Porträt am Klavier, als mehr oder weniger gelungene Fälschungen herausgestellt. Während man von Bach und Schubert sehr genaue Vorstellungen hat, man von jeder Unebenheit im Gesichte Beethovens und Schumanns weiß, man sogar Haydn und Salieri genauestens beschreiben kann, bleibt Mozart im Dunklen. Eine Katastrophe! Das letzte, einzigartige, nicht gestohlene und nicht rückzuerstattende Kulturgut Österreichs ohne Gesicht? Der größte, der bedeutendste Komponist aller Zeiten ein Mann ohne Aussehen? Ein Dummy? – Eine Ungeheuerlichkeit, tobte, als diese Schreckensnachricht zu ihm durchdrang, der gerade am Laufband pfosende Wiener Bürgermeister. Wie kann man jemanden ehren, von dem man nicht einmal weiß, wie er ausgesehen hat? Am Ende stellt sich noch eine Ähnlichkeit [ 242 ]

mit Jörg Haider oder Elisabeth Gehrer heraus. Das geht nicht! Von Wien weiß man ja auch, wie es aussieht, von Wien kennt man jedes Grübchen, jede Furche, jedes Bächlein, jeden Kanaldeckel, alles. Das geht nicht! Der Bürgermeister schnaubte wie ein Fiakerpferd, sein Kopf war röter als das Wiener Wappen, aus den Froschaugen spritzte Wiener Wut spitzer als der Turm des Stephansdoms, spritziger als Veltliner, Schweiß rann von seiner Stirn wie flüssig gewordenes Schlagobers von einer warmen Sachertorte: Das ist das Schlimmste, trocknete er sich ab, das ist noch ärger als der Verein der Stehachteltrinker oder der Klub zur Förderung der Dummheit, die wir beide jahrelang besten Gewissens subventioniert haben. – Wen meinen Sie, unsere Partei? Wenig super für alle? – Werden Sie nicht frech. Eine unangenehme Stille trat ein, wie von Beethoven komponiert. Niemand wusste, wie sie zu durchbrechen war. Bis sich endlich einer ein Herz fasste: – Wir könnten Fälschungen anfertigen lassen, meinte das Mitglied des Stadtsenates, um die Lage zu entspannen. Geldfälscher aus Bulgarien könnten wir engagieren, Gesichtmodellierer aus den Werkstätten der Madame Tussaud, Anatome aus Deutschland, Schrumpfkopfeinkocher aus Sumatra. – Der Wiener ist nicht blöd und wird es auch nicht werden wollen, sagte der Bürgermeister und drehte die Augen gen Himmel, wo ein Schriftzug hing „Die Pflicht ruft – lasst sie schreien“. – Rumänen? – Hören Sie auf! – Und wenn wir sagen, Mozart war ein flexibler, ein wandelbarer Mensch – auch in seinem Äußeren? – Seien Sie still! Und Sie? Warum lächeln Sie die ganze Zeit? Sie geht diese Geschichte doch am meisten an, fauchte der immer noch am Laufband rennende, wie ein Hamster dreinsehende Bürgermeister in Richtung Mozartjahr-Intendanten. – Ganz einfach, lächelte der, weil das Problem schon gelöst ist. – Wie? Ich verstehe nicht. Der Bürgermeister nahm sein um den [ 243 ]

wulstigen Nacken gelegtes Handtuch, auf dem groß der Name seiner Partei prangte „Wenig super für alle“, tupfte sich ab. – Die Lösung steht vor Ihnen. – Wo? – Hier! – Sie? Das ist aber wenig super. – Jawohl. Weil nämlich ich, der bescheidene, unbedeutende Intendant des Wiener Mozartjahres dafür gesorgt habe, dass bei allen Ankündigungen, allen Aussendungen für das Mozartjahr – und das waren viele, ungeheuer viele – immer mein Bild zu sehen war, der Kopf des kleinen, unbedeutenden Generalintendanten der Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H., was allmählich dazu geführt hat, dass man mich mit Mozart zu identifizieren begann. Verstehen Sie, die Menschen haben so lange und so oft mein Gesicht gesehen, bis sie begonnen haben, mich nicht nur mit dem Mozartjahr, sondern mit Mozart selbst zu identifizieren. – Sie? – Wenn ich spazieren gehe, winken mir die Leute, Hallo Wolferl, rufen sie, sogar die Mozartartikelindustrie hat schon begonnen, mein Konterfei auf Tonträger, Stoffbären, Kaffeehäferl, Mozartkugeln zu setzen. Verstehen Sie, man hält mich für Mozart. Mich! Laufend bekomme ich Werbegeschenke, werde um Wortspenden gebeten. Erst kürzlich hat mich die große österreichische Illustrierte zum zweitwichtigsten Österreicher gewählt. – Und wer war der wichtigste? Ich? Der verschwitzte Bürgermeister lächelte erwartungsfroh. – Nein, Hermann Maier. – Der? Das ist ja absurd, brummte der Bürgermeister. – Aber es stimmt. – Sie und Mozart? Bitte! – Wenn es so ist. – Und sind Sie musikalisch? – Kein bisschen! – Können Sie singen? Klavier spielen? [ 244 ]

– Nicht die Bohne. – Das macht nichts, Sie müssen ein Konzert geben. Die Stadthalle wird randvoll sein. Was rede ich, das Stadion. Wir lassen Mozart auferstehen. Wir sagen, Sie sind der Mozart des 21. Jahrhunderts und geben ihre Stimme dem Wiener Bürgermeister. Voilá! So kam es, dass der Generalintendant der Wiener MozartjahrOrganisationsges.m.b.H. bald von Wien, von Österreich, ja, allmählich von der ganzen Welt für Mozart gehalten wurde. Das ganze Budget der Wiener Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H. wurde dafür eingesetzt, den Generalintendanten als Mozart durchzusetzen. Natürlich gab es anfangs Widerstände, sich sträubende Musiker, Professoren, sukzessive aber griff die Indoktrinierung, verschmolz der Gesichtszug des lächelnden, grauhaarigen Mozartintendanten mit dem Namenszug Mozart, konnten selbst Musikkenner und Dirigenten den Namen Mozart nicht mehr aussprechen, ohne unwillkürlich an das Gesicht des Generalintendanten zu denken. Sogar die Kleine Nachtmusik, die Zauberflöte und die Symphonien ließen alle sofort an das Gesicht des Generalintendanten denken. Mozart und er wurden eins. Nun entsprach der Generalintendant aber weiß Gott keinem Mozart-Bild: flaches Gesicht mit dünnen Lippen, eine unauffällige Teetrinkernase, die eine eckige Beamtenbrille zierte, so dass er mehr einem alt gewordenen Klassenprimus glich als einem Komponisten; mehr einem Statistiker, den die Zeit mit neuen Formeln überrollt hatte, als einem Künstler. Er sah aus wie ein ausrangierter, erfolglos gebliebener Politiker, dem seine Parteifreunde dieses Mozartjahr-Ausgedinge verschafft hatten, diesen im Grunde lächerlichen Intendantenposten, ohne damit zu rechnen, dass Wolfgang Kisum, so hieß der Generalintendant, diesen Posten zu einem derartigen Erfolg würde nützen können. Wolfgang Kisum nämlich war ehrgeizig. Immer schon. Er war so ehrgeizig, dass seine Bekannten von ihm sagten, man könne, hätte er den Auftrag, sich einen Schreibtischstuhl rektal einzuführen, richtig fühlen, wie er das ganze Zimmer einsauge – was sie hoffentlich symbolisch meinten. Nun aber hatte Wolfgang Kisum alias Wolfgang Theophrast Gottlieb Seicherl Mozart es geschafft. Wie hatte er immer gesagt: „Viele, [ 245 ]

die Talent haben, verausgaben sich, sind faul. Daher setzen sich nur die Untalentierten durch, hat jeder eine Chance, auch ich.“ Wie wahr! Bald gab er Konzerte vom Band, erlangte Kult-Status in Asien, wurde im Orient mit Erdöl aufgewogen, in Russland mit Erdgas, bekam in Amerika ganze Städte geschenkt, war Stargast in unzähligen Talkshows, lebte ein glamouröses, glanzvolles Leben, bis ihn eines Tages aus heiterem Himmel der rücksichtslose Blitz der Vorsehung erschlug. Die Schöpfung, diese gestrenge, diese unerbittliche, keinen Spaß verstehende Musikliebhaberin, musste diesem Unfug ein Ende setzen und löschte mit ihrer überdimensionalen Delete-Taste nicht nur Wolfgang Kisum samt seiner Seele für alle Ewigkeiten, sondern auch alle falschen Mozartbildnisse. Einen kleinen Schnalzer machte es, und schon waren überall dort, wo eben noch Mozartköpfe geprangt hatten, nur noch taube, weiße Flecken. Wie von einem Staubsauger der Wahrheit waren alle Fälschungen eingesaugt. Doch damit nicht genug, verwandelten sich nun auch noch die Menschen, aber nicht in leere Flecken, sondern in Mozarte, ja, in Mozarte, die aussahen wie ein Ei. Was für ein Ei? Eines, das dem anderen gleicht. Mit einem Schlag waren alle einsfünfzig groß, hatten dicke, rote, mit großen Eiterpusteln versehene Knollennasen, wulstige, aufgesprungene Lippen, kleine Schweinsäuglein, Pockennarben, Furunkel, fettig hingeklatschte Haare und hielten sich für ein Genie. Eine Katastrophe, müsste man denken, ein heilloses Trauerspiel. Nicht aber in Wien, dieser Welthauptstadt der Musik und verkappten Genies, wo die Verwandlung gar nicht auffiel, man seither glücklich und zufrieden lebte – wie eh und je in einer Mischung aus Verbitterung, Grant und Glück. Mozart sei Dank.

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