Die Vorgeschichte des Klimas in den Hohen Tauern

Die Vorgeschichte des Klimas in den Hohen Tauern Reinhard Böhm, Ingeborg Auer, Eva Korus Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien Ungefähr...
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Die Vorgeschichte des Klimas in den Hohen Tauern Reinhard Böhm, Ingeborg Auer, Eva Korus Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien Ungefähr 200 Millionen Jahre lang lag das Gebiet der Hohen Tauern unter dem Meeresspiegel des Thetis-Ozeans. Erst als vor etwa 45 Millionen Jahren, unter dem Druck des nordwärts wandernden afrikanischen Kontinentalsockels, sich die Zentralalpen zu heben begannen, wurden auch die jetzigen Gemeindegebiete von Rauris und Flattach endgültig zu Festland. Erst ab diesem Zeitpunkt macht es Sinn, sich über das hier herrschende Klima Gedanken zu machen. Die zumindest 100 Millionen Jahre davor mit weltweit ausgeglichenem Warmklima - ohne jede Vereisung auch an den Polen - haben die beiden Täler „nicht miterlebt“. Damals hatte extremes „Treibhausklima“ geherrscht. Obwohl die Sonne noch etwas schwächer strahlte als heute, verursachte ein fünf bis zehnfach so hoher CO2Gehalt 5 bis 7 Grad höhere globale Mitteltemperaturen. Kaum merklich, aber über die unvorstellbar langen Zeitspannen von –zig Millionen von Jahren doch wirksam, sank der Treibhausgasgehalt der Lufthülle jedoch ab. Das konnte auch durch die ebenfalls stetig steigende Intensität der Sonne nicht ganz ausgeglichen werden. Trotzdem war das Klima des jungen Festlandes mit den sich auffaltenden Alpen zunächst noch deutlich wärmer und ausgeglichener als danach. Vor etwa 35 Millionen Jahren gab es einen ersten deutlicheren Kälteschub, als die ersten Vereisungen auf der Antarktis auftraten. Vor ca. 5 Millionen Jahren begann auch Grönland zu vereisen. Seit etwa 3 Millionen Jahren wurde die Klimakurve der Erde immer unruhiger, und spätestens vor etwa einer Million Jahren war das Erdklima endgültig in ein Eiszeitalter abgestürzt.

Abbildung 1: Schematischer Temperaturverlauf der letzten 60 Millionen Jahre mit dem Übergang vom stabilen Warmklima des frühen Tertiärs zum instabilen Eiszeitalter der letzten 3 Millionen Jahre mit zuvor 200 Millionen Jahre nicht aufgetretenen schnellen Wechseln von Eiszeiten (Glazialen) zu Zwischeneiszeiten (Interglazialen) Quelle: T. Nielsson, 1983, umgezeichnet

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Eiszeiten und Zwischeneiszeiten im 100.000 Jahres Zyklus Im 100.000-jährigen Zyklus gab es nun enorme Klimaschwankungen zwischen Eiszeiten (Glazialen) und Zwischeneiszeiten (Interglazialen). Auch in den Zwischeneiszeiten (in der letzten leben wir zurzeit) waren die Antarktis und Grönland von km-dicken Inlandvereisungen bedeckt. Zu einem totalen Abschmelzen aller Eismassen der Erde kam es bereits seit 35 Millionen Jahren nicht mehr. Nach jedem Wärme-Höhepunkt eines Interglazials, die aber nie mehr die Temperaturen der Jahrmillionen davor erreichten, erfolgte jeweils eine langsame, sehr unruhig verlaufende Abkühlung, die nach etwa 70-80.000 Jahren zu einer voll ausgebildeten Eiszeit führte. Der letzte dieser Kältehöhepunkte dauerte etwa von 40- bis 20.000 Jahren vor heute. Vier dieser Eiszeitzyklen hatte bereits Albrecht Penck erkannt, als er Schotterablagerungen der vier bayrischen Alpenvorland-Flüsse Günz, Mindel, Riss und Würm unersuchte. Später, in seiner Zeit am geographischen Institut der Universität Wien, kam Penck dann auch mit den Gletschern der Goldberggruppe in Berührung. Im September 1896 wanderte er mit drei Kollegen von Taxenbach zu Fuß zum Goldberg-, Fleiß- und Wurtenkees, kartierte die Gletscherzungen und legte im Gletschervorland die ersten Messmarken an, mit denen die Längenänderungen festgestellt werden.

Abbildung 2: Kartenskizze und Foto der Zunge des Goldbergkeeses aus dem Jahr 1896 (A.E. Forster und A. Penck)

Heute wissen wir aus den km-tiefen Eisbohrungen in die wie Klimakalender funktionierenden Inlandvereisungen Grönlands und der Antarktis, dass es einige mehr, als die vier von Penck benannten Eiszeitzyklen gegeben hat, und wir kennen auch die Feinstruktur dieser extremen Klimaschwankungen recht genau. Auf dem Höhepunkt der letzten Kaltphase war etwa 3mal soviel Eis auf den Kontinenten gespeichert, und der Meeresspiegel lag um 120 Meter tiefer als heute. Die Adria war beinahe zur Gänze verschwunden, Alaska war mit Sibirien und England mit Europa verbunden. Große Teile Nordamerikas und Europas waren von km-dicken Inlandeismassen bedeckt.

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Abbildung 3: Die Klimaschwankungen der letzten 450.000 Jahre aus einem Eisbohrkern der Antarktis. Die rote Temperaturkurve verläuft sehr ähnlich zu den blauen und grünen der Treibhausgase CO2 und CH4 (Kohlendioxid und Methan). Der Unterschied zwischen den Höhepunkten der Eis- und der Zwischeneiszeiten beträgt ca. 10 Grad C. Quelle: EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica, http://www.esf.org)

Abbildung 4: Die Küsten Mittelmeeres zur Zeit Eiszeitmaximums Quelle: T. Nielsson, 1983

des des

zentralen letzten

In den Alpen reichten vor gar nicht so langer Zeit, vor etwa 20.000 Jahren, der Inn- und der Salzachgletscher weit ins Alpenvorland, der Draugletscher endete in der Gegend von Völkermarkt. Salzburg und Klagenfurt waren jeweils von 600m dickem Eis bedeckt. Nur die höchsten Gipfelzüge und Bergkämme ragten aus dem bis zu 2 km mächtigen Eisstromnetz der Zentralalpen. Rauris und Flattach lagen jeweils 1300m unter der Eisoberfläche des eiszeitlichen Goldbergkeeses 3

bzw. des Wurtenkeeses (das damals wirklich ein „Mölltaler Gletscher“ war) und hatten Jahrtausende lang ein konstantes „Klima“ von etwa -1 Grad C - dem Schmelzpunkt des Wassers unter dem ungeheuren Druck von mehr als 1000 Tonnen Eis pro m2. Wie schon in den zumindest sechs, wahrscheinlich aber mehr Vereisungsphasen davor hobelten die Eisströme die Täler zu ihrer heutigen Form aus und formten dabei auch die spitzen Grate und Gipfel der Tauern, die nicht vom Eis bedeckt waren.

Abbildung 5: Die Ostalpen östlich des Zillertals vor 20.000 Jahren Quelle: Dirk van Husen, Geologische Bundesanstalt, Wien

Kurz nach dem Eiszeithöhepunkt vor ca. 20.000 Jahren stellten sich die Kennzahlen der Erdbahn wieder auf Erwärmung ein. Wie schon in den Jahrhunderttausenden davor wurden die Eismassen schnell (im geologischen Maßstab gesehen), innerhalb weniger Jahrtausende, abgebaut. Das zusammenhängende alpine Eisstromnetz zerfiel beinahe gleichzeitig an seiner vordersten Front, den Vorlandvereisungen im Alpenvorland, als auch in den inneren Alpentälern. Beinahe simultan mit den großen Voralpenseen entstanden auch Seen und Moore in den vom Eis freigegebenen inneren Alpentälern. Etwa von 16.000 bis 14.500 vor heute, in der älteren Tundrenzeit, waren die Gletscher viel größer als wir sie heute kennen, aber sie hingen nicht mehr über die Täler 4

hinweg zusammen. Das Klima der älteren Tundrenzeit war in den Alpen sehr unruhig. Die Schneegrenze schwankte zwischen Niveaus, die noch 400 bis 800m tiefer lagen als in der Zeit um 1850, und es kam zu einigen Gletschervorstößen und Rückzügen. In Rauris findet man Endmoränen dieser Zeit im hinteren Hüttwinkel, in der Fragant könnte der Steilabfall bei der Talstation der Gletscherbahn noch ein „Eiskatarakt“ gewesen sein. Auch ein Seitenmoränenzug auf der westlichen Talseite des Wurtentals, auf dem der alte Anstieg von Innerfragant ins hintere Wurtental verläuft, weist in die ältere Tundrenzeit. Genauere wissenschaftliche Untersuchungen dazu liegen aber noch keine vor. zunehmende Abkühlung

TEMPERATURVERLAUF DER LETZTEN 20.000 JAHRE (Jahrhundertmittel aus GISP-2 Eisbohrkern in Grönland) Tauerntäler werden eisfrei

Gletscherkehren ins Tal zurück

-25

Alpengletscher zeitweise kleiner als heute

Grad C in Mittelgrönland

-30 -35 "mittelalterliches Optimum"

8200erVorstoß

-40 -45

"kleine Eiszeit"

-50

aktuelle Erwärmung letzte Eiszeitphase (ältere Dryas)

-55

jüngere Dryas

Holozän

Jahre vor heute

0

-1000

-2000

-3000

-4000

-5000

-6000

-7000

-8000

-9000

-10000

-11000

-12000

-13000

-14000

-15000

-16000

-17000

-18000

-19000

-20000

-60

Quelle: Alley, 2000

Abbildung 5: Der Übergang von der letzten Eiszeit zur derzeitigen Wärmephase aus einem Eisbohrkern in Grönland. Rechts die dryas octopetala, die Leitpflanze der „Tundrenzeit“ (Temperaturkurve nach Alley, 2000, Foto mit freundlicher Genehmigung, W. Würth)

Abbildung 6: Aus den Kalkschalen mikroskopisch kleiner Lebewesen, die sich in den Jahrtausenden seit dem Rückzug des eiszeitlichen Ammergletschers Jahr für Jahr am Grund des Bayrischen Voralpensee abgelagert haben, konnten die Kollegen vom Projekt DecLakes ebenfalls eine 15.000 Jahre zurückreichende Klimakurve ableiten. Die blaue Klimakurve des Ammersees zeigt, dass der Übergang von der letzten Eiszeit zu unserer Wärmezeit auch im Alpenraum sehr ähnlich verlaufen ist, wie in Grönland (schwarze Kurve). Achtung: im unteren Diagramm läuft die Zeit von rechts nach links, im oberen von links nach rechts Quelle Ostrocoden-Foto und Diagramm, mit freundl. Genehmigung: U. von Grafenstein, LSCE-Saclay 5

Die radikale Umstellung vom die Täler ausfüllenden Eisstromnetz des letzten Eiszeithöhepunkts zu den zwar großen, aber die Talschultern weitgehend bereits freigebenden Talgletschern der Tundrenzeit bewirkte auch die letzten wirklich bedeutenden geologischen Ereignisse in den Alpentälern. Von den eiszeitlichen Talgletschern war viel Material vom soliden Fels abgehobelt worden. Die nun fehlende Abstützung an den steil gewordenen Seiten der Trogtäler sorgte in vielen Fällen zu enormen Felsstürzen, als sich das Eis zurückzog. Ein Beispiel davon finden wir im Rauriser Urwald, dessen Felsblöcke von der Kraft dieser letzten geologischen Großereignisse in den Alpentälern erzählen. Die ältere Tundrenzeit wurde schließlich von einer ersten Wärmephase beendet, die benahe 2000 Jahre dauern sollte, dem „Boelling-Interstadial“. Die Gletscher zogen sich weit zurück, wie weit ist nicht bekannt, da um 12.600 vor heute der letzte markante Rückfall in das beinahe eiszeitliches Klima der „jüngeren Dryas“ erfolgte. Er wurde paradoxerweise wahrscheinlich durch die enormen Schmelzwassermengen des kanadischen Eisschilds verursacht, das die globalen Meeresströmungen veränderte und damit den Wärmenachschub von den Tropen in die höheren Breiten unterbrach. Die Schneegrenze sank wieder auf Höhen von etwa 200 bis 400 Meter unter dem Niveau von 1850, das Rauriser Goldbergkees überzog wieder den Talschluss von Kolm mit einem Eisbruch, das Wurtenkees wird wohl auch das Stübele mit Eis ausgefüllt haben.

Abbildung 7: Der Rauriser Urwald überzieht seit dem Beginn der Nacheiszeit einen der Felsstürze der Zeit vor rund 16.000 Jahren, als nach dem Zerfall des eiszeitlichen Eisstromnetzes die Schultern der Alpentäler instabil wurden Quelle: http://www.nationalparks.or.at

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10.000 Jahre stabiles Klima im Holozän Die jüngere Dryas dauerte etwa 1000 Jahre – es sollte bis heute das letzte Mal gewesen sein, dass die Eiszeit in den hinteren Talschlüssen „angeklopft“ hat. Danach, zwischen 11.000 und 10.000 Jahren vor heute erfolgte der endgültige Übergang in unser heutiges Klima, das seit etwa 10.000 Jahren vergleichsweise stabil verläuft. Die globale Temperatur schwankt seither nur noch um etwa + 1 Grad, große Klimakatastrophen wie die davor blieben aus, und es ist sehr wahrscheinlich, dass erst diese Klimastabilisierung des „Holozän“ die menschliche Zivilisation ermöglichte, wie wir sie heute kennen. Sie ist auf Sesshaftigkeit und auf Ackerbau aufgebaut, was unter den unruhigen Bedingungen des Eiszeitklimas offenbar nicht möglich gewesen war. Zwar gab es auch in diesen letzten 10.000 Jahren der Erdgeschichte Klimaschwankungen, die Einfluss auf die Menschheit hatten, aber nicht in der fundamentalen Art wie davor. Mit wenigen Ausnahmen, wie etwa einer kurzen, markanten Kälteperiode vor 8.200 Jahren, waren die ersten Jahrtausende des Holozäns etwas wärmer als heute. Etwa die Hälfte der letzten 10.000 Jahre zeigten kleinere Alpengletscher als zurzeit, Berggruppen mit geringerer Gipfelhöhe, wie die Goldberggruppe, dürften zeitweise beinahe unvergletschert gewesen sein. Aus der Pasterze sind in den letzten Jahren immer wieder tausende Jahre alte Baumreste ausgeapert, die zeigen, dass der Gletscher damals wohl nicht über den Hufeisenbruch heruntergereicht hat, und dass der heutige Zungenbereich bewaldet war. Seit 3.000 bis 4.000 Jahren zeigt der langfristige Temperaturtrend allerdings in Richtung Abkühlung, immer wieder jedoch unterbrochen von hundert bis mehrhundertjährigen Wärmeperioden. Bereits aus geschichtlichen Quellen haben wir Informationen etwa über ein „römerzeitliches Klimaoptimum“ und eine darauf folgende Abkühlung in der Völkerwanderungszeit.

Abbildung 8: Baumringe und Eisbohrkerne, zwei Hauptquellen indirekter Klimadaten aus „natürlichen Archiven“. Der Baumring stammt aus der Nähe des Gepatschferners in Tirol, die Bohrstelle befindet sich in der Nähe des Mont Blanc Gipfels (Fotos mit freundlicher Genehmigung: K. Nicolussi, U. Ruth)

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Die letzten 1.000 Jahre: Mittelalterliches Optimum – Kleine Eiszeit – aktuelle Erwärmung Im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung beginnen sich die zuvor noch nicht durchgehend vorhandenen indirekten Klima-Informationen langsam zu zusammenhängenden Klimakurven zusammenzufügen, die sogar bereits einzelne Jahre erkennen lassen. In den Alpen sind es aus hunderten von Einzelbäumen zusammengesetzte Zeitreihen von Holzdichte und Jahrringbreite, die vor allem aus Hochlagen Temperaturinformationen liefern, die über das Jahr 1.000 zurückgehen. Vor allem in Gletschermoränen oder -Vorfeldern, in Bergseen oder Mooren gefundene „fossile“ Bäume geben Aufschluss noch über viel weiter zurückreichende Jahrtausende, wie etwa die Rekonstruktion des Gepatschferners von den Innsbrucker Kollegen Kurt Nicolussi und Gernot Patzelt. Auch Eisbohrkerne aus den höchsten Lagen der Alpen in der Schweiz, Frankreich und Italien, wo in Höhen über 4000 m der Firn auch im Sommer nicht abschmilzt, liefern Jahrtausende zurück reichende „Klimakalender“. Es herrscht jedoch keineswegs noch Einhelligkeit unter den verschiedenen Klimarekonstruktionen und es gibt noch viel Arbeit für die Paläoklimatologen zu tun. So haben wir z.B. wesentlich mehr Informationen über das Klima der Vegetationszeit und noch große Wissenslücken über die Winter, den Niederschlag und den Schnee.

Abbildung 9: Einige Klimarekonstruktionen der letzten 1300 Jahre aus Baumringen der Alpen (rot und gelb) und der gesamten Nordhalbkugel (blau und grün). Generell herrscht Einstimmigkeit, man erkennt die ausgehende Kälteperiode der „Völkerwanderungszeit“, danach das „mittelalterliche Wärmeoptimum, die darauf folgende langfristige Abkühlung der „kleinen Eiszeit“ und schließlich die aktuelle Erwärmungsphase, über die wir aber bereits genauer und besser durch direkte Messungen der „instrumentellen Periode“ informiert sind. Die grauen Streifen stellen belegte Phasen geringerer Sonnenaktivität dar. Quelle: ALP-IMP Projekt

Die letzten Rekonstruktionen aus der „vor-instrumentellen“ Zeit zeigen, wie sich der derzeitige Stand der Forschung das hochalpine Sommerklima letzten 1300 Jahre vorstellt. Man erkennt die mittelalterliche Wärmephase mit zwei 8

Höhepunkten im 10., im 12. und im 13. Jahrhundert, allerdings auch mit einer massiven Abkühlung im 11. Jahrhundert. In diesen Jahrhunderten wurde im Jahr 970 ein ähnlich warmer Sommer wie der von 2003 registriert, und der von 1046 erreichte beinahe das „Jahr ohne Sommer“ 1816. Nach dem letzten warmen 13. Jahrhundert zeigt die Klimakurve in Richtung Abkühlung, mit der neuerlichen plötzlichen Abkühlung im späten 16. Jahrhundert ist endgültig die „kleine Eiszeit“ erreicht, die kurz nach 1600, um 1820 und 1850 zur der größten Ausdehnung der Alpengletscher seit etwa 8.000 Jahren geführt hat. Wie immer in solchen Fällen sind die Gletschervorstöße besser dokumentiert, als die davor stattgefundenen Rückzüge – deren „Beweise“ werden meist durch den Schutt der Grundmoräne zerstört oder unter ihr begraben. Die 1600er, die 1820er und 1850er Moränen finden sich überall in den Alpen dicht beieinander. Die 1600er sind schon recht bewachsen, die 1820-1850er trennen noch recht deutlich dichtere von schütterer Vegetation. Der Bergwanderer in der Goldberggruppe bekommt einen recht unmittelbaren Eindruck von dem letzten Gletscherhochstand, wenn er z.B. von der 1850er Moräne zwischen Niederer– und Fraganterscharte 200 m hinunter in das jetzt leere Gletscherbett des Wurtenkeeses blickt. Das Foto von A.E. Forster von der Penck’schen 1896er Gletscherexpedition zeigt die damals noch beinahe 200m mächtige Gletscherzunge des Wurtenkeeses, die einen beinahe ebenen Übergang über die Niedere Scharte ermöglichte (Abbildung 10). Einen ähnlichen Eindruck hat man auf der Seitenmoräne des Kleinfleißkeeses, wenn man vom „Alten Pocher“ auf den Sonnblick geht oder auf dem Gletscherweg, der das gesamte Rückzugsgebiet des Goldbergkeeses durchquert.

Abbildung 10: Foto der Zunge des Wurtenkeeses im Herbst 1896, aufgenommen von A.E. Forster von einem Standort nahe des heutigen Staudamms Hochwurten.

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Abbildung 11: Vergleichsaufnahme von R. Böhm im September 1999 vom beinahe selben Standort. Die Gletscherzunge ist seit den 1990er Jahren komplett aus dem Blickfeld verschwunden.

2.5

JAHRES-TEMPERATUR ÖSTERREICH-MITTEL 1768-2005 Einzeljahre (dünn, schwarz) und 20-jährig geglättet (dick, schwarz) dick, grau: MITTEL der NORDHEMISPHÄRE 1857-2004

2.0

1994

1.5 1.0 0.5 0.0 -0.5 -1.0 2005

-1.5

2000

1980

1960

1940

1920

1880

1860

1840

1820

1800

1780

1900

1829

-2.0 1760

Abweichungen vom Mittel 1901-2000 (Grad C)

Mit den 1850er Moränen haben wir aber schon eine Phase erreicht, die in den Alpen bereits durch zahlreiche gut dokumentierte und bearbeitete direkt gemessene Klimazeitreihen belegt ist, die „instrumentelle Periode“. Einen ersten Vorgeschmack auf die beiden 2-Täler-Beiträge über das Klima dieser letzten beiden Jahrhunderte soll die untenstehende mittlere Klimakurve Österreichs und der Nordhalbkugel vermitteln.

Datenquellen: HISTALP-Datenbank der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien Climatic Research Unit, University of East Anglia, Norwich

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Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur: Tage Nilsson, 1983: The Pleistocene – Geology and Life in the Quaternary Ice Age. Verl. Enke, Stuttgart. 651 Seiten angefüllt mit Informationen über das Klima eines Eiszeitalters und seiner Auswirkungen auf die Landschaft, auf die Pflanzen- und Tierwelt und auf die Menschheit

Thomas J. Crowley and Gerald R. North, 1991: Paleoclimatology. Band 18 der Oxford Monographs on Geology and Geophysics. Oxford University Press, New York. 339 Seiten. Der Klassiker über das Thema “Klima der Vergangenheit” aus aktueller Zeit, eher auf Fachwissenschaftsniveau, aber vielleicht auch für Nicht-Naturwissenschaftler einen Versuch wert

William F. Ruddiman, 2001: Earth’s Climate – Past and Future. Verlag W.H. Freeman & Company, New York 465 Seiten, die zum Besten gehören, was “public science” in Amerika zu bieten hat. Leider gibt es derartig gut geschriebene, durch sehr anschauliche Abbildungen, Fotos, Diagramme nicht nur für Studenten, sondern auch für die interessierte Öffentlichkeit verständliche Bücher in deutscher Sprache kaum.

Albrecht Penck und Eduard Brückner, 1903: Die Alpen im Eiszeitalter. Verl. Tauchnitz, Leipzig. 3 Bände, 1200 Seiten. Der Klassiker über die Eiszeiten in den Alpen aus einer Zeit, als Wissenschaft noch auf Deutsch publiziert wurde. Leider nur noch antiquarisch oder in Bibliotheken vorhanden

IPCC-reports: Diese „Bibeln der Kimawandelforschung“ erscheinen etwa alle 5 Jahre und versuchen, jeweils in 3 Bänden, das gegenwärtige Wissen über das Klima der Erde (Band 1), über seine Auswirkungen (Band 2) und über Eindämmungs- und Anpassungsstrategien (Band 3) zusammenzufassen. Der nächste Report wird 2007 erscheinen und auch ein ausführliches Kapitel über Paläoklimatologie enthalten. IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change (Trägerorganisationen sind WMO und UNEP) Die IPCC-reports sind in voller Länge via internet gratis downloadbar: www.ipcc.ch

Kontaktadresse Dr. Reinhard Böhm Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Hohe Warte 38 1190 Wien Tel: 01 36026 2203 Fax: 01 36026 72 email: [email protected] http://www.zamg.ac.at/a-tale-of-two-valleys http://www.zamg.ac.at/ALP-IMP http://www.cru.uea.ac.uk

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ des bm:bwk Programmes proVision erstellt.

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