Carlo Goldoni
Die venezianischen Zwillinge (Originaltitel: „I due gemelli veneziani“) Komödie
Aus dem Italienischen von Birgid Meißel
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© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2006 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1
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PERSONEN Der Dottore Balanzoni, Bologneser Advokat in Verona Rosaura, wird für seine Tochter gehalten und entpuppt sich dann als Schwester der Zwillinge Pancrazio, Freund des Dottore und sein Gast Zanetto, der dumme Zwilling Tonino, der kluge Zwilling Lelio, Neffe des Dottore Beatrice, Geliebte von Tonino Florindo, Freund von Tonino Brighella
) ) )
Colombina
Bedienstete im Hause des Dottore
Arlecchino, Diener von Zanetto Tiburzio, Goldschmied Polizeihauptmann Diener von Beatrice Häscher Diener
Schauplatz der Handlung ist Verona.
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ERSTER AKT 1. Szene Zimmer von Rosaura. Rosaura und Colombina, beide am Toilettentisch, sie frisieren sich.
Rosaura
Liebe Signora Colombina, mich dünkt, sie hat die Pflicht, die Herrin schön zu machen, eh sie an sich selber denkt.
Colombina
Signora, meine Pflicht hab ich getan: Zwei geschlagne Stunden lang hab ich Euch onduliert, frisiert und ausstaffiert. Doch wenn Ihr nie zufrieden seid und Euch aus Trotz die Finger durch die Haare jagt, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll.
Rosaura
So eine Anmaßung! Mich zerzaust zu lassen, um die Zeit für sich zu verschwenden.
Colombina
Hab ich vielleicht nicht Haare aufm Kopf wie Ihr?
Rosaura
Gewiß, doch ich bin die Herrin und du bist die Dienerin.
Colombina
Oh bitte, reizt meine Zunge nicht.
Rosaura
Los, kümmere dich um mich. Mein Bräutigam kann jeden Augenblick erscheinen und dann findet er mich noch in diesem Zustand.
Colombina
Signora, ich erwarte auch den Bräutigam, und ich möchte auch, daß ich schön ausseh.
Rosaura
Du willst dich mit mir vergleichen, unverschämtes Ding?
Colombina
He Signora, verliert mir nicht den Respekt, oder Ihr bereut das noch.
Rosaura
Los, steh auf, du freches Stück, sonst mache ich dir Beine mit dem Stock.
Colombina
Allmächtiger! Mir den Stock? (Sie erhebt sich.)
Rosaura
Das antwortest du deiner Herrin? Unglückliche, ich sage es meinem Vater.
Colombina
Herrin! Vater! Signora, unsereiner kennt sich aus.
Rosaura
Was willst du damit sagen, kleines Luder du?
Colombina
Hört auf, wenn mir die Galle überläuft, dann kotz ich alles aus. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
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Rosaura
Los, rede. Was kannst du schon sagen, Lügenmaul?
Colombina
Ich kann sagen … genug. Bis da hab ich geschwiegen, jetzt red ich.
2. Szene Der Dottore und die Vorigen.
Dottore
Was soll der Krach? Was ist passiert? Was habt Ihr?
Rosaura
Ach, Herr Vater! Schimpft mit der da. Sie beleidigt mich, sie verliert jeden Respekt.
Dottore
(Zu Colombina.) Wie? So behandelst du meine Tochter?
Colombina
Ach, Signore, da weiß ich mehr von, als Ihr denkt. Meine Mutter hat mir alles gesagt.
Dottore
(Für sich.) Ah, dieses dumme Weibsbild! Wenn sie noch lebte, ich würde ihr das Fell über die Ohren ziehen. (Leise zu Colombina.)
Colombina, sag um alles in der Welt nichts von dem, was du weißt. Schweig still und ich tue alles für dich und zu deinem Nutzen. Colombina
(Leise zum Dottore.) Oh ja, ich schweig und laß mich schlecht behan-
deln. Rosaura
Nun, Herr Vater …
Dottore
Presto, presto, heute kommt dein Bräutigam, der Signor Zanetto Bisognosi, der Sohn des berühmten Kaufmanns Pantalone aus Venedig, der in Bergamo bei seinem Onkel Stefanello aufgezogen wurde und einer von den reichsten Kaufleuten der Lombardei ist.
Colombina
Denkt daran, ich muß auch verheiratet werden, mit seinem Diener. So habt Ihrs mir versprochen.
Dottore
(Leise zu Colombina.) Benissimo, ich tue es und stelle dich zufrieden,
wenn du nur den Mund hältst. Colombina
Wenn Ihr wollt, daß ich kein Wörtchen sag, dann stöpselt mir den Mund mit einer Heirat zu.
Dottore
Rosaura, wie lang hast du Signor Pancrazio nicht gesehen?
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Rosaura
Oh, ich sehe ihn sehr oft.
Dottore
Er ist ein Mann mit guter Lebensart!
Rosaura
Ja gewiß, er unterläßt es nie, mir gute Ratschläge zu geben.
Dottore
Solang ich lebe, will ich ihn in meinem Hause haben.
Rosaura
Ja. Er ist ein Mann, der Euch sehr viel nützen kann.
Colombina
Was mich angeht, ich denk, mit Eurer gnädigen Erlaubnis, er ist ein ganz gerissner Hund.
Dottore
Schweig, du Schandmaul! Was für einen Grund hast du denn, so zu reden?
Colombina
Ich weiß, was ich sag.
3. Szene Brighella und die Vorigen.
Brighella
Sior padron, Siora padrona, der Sior Zanetto aus Bergamo ist soeben angekommen. Er stieg vom Pferd und ging zur Tür, wo er noch mit einem redet, der ihn begleitet hat.
Dottore
Dem Himmel sei Dank! Meine Tochter, ich empfange ihn persönlich und bringe ihn sofort hierher, um ihn dir vorzustellen. (Ab.)
4. Szene Rosaura, Colombina und Brighella.
Rosaura
Sag, Brighella, wie findest du den Signor Zanetto? Ist er schön? Ist er galant?
Brighella
Was ich sagen würde, Siora, nun, in der Schönheit ist er nicht häßlich, er ist jung und kann einen Fuß vor den anderen setzen. Aber bei dem bißchen, was ich sah, kam er mir recht dämlich vor. Er © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
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wußte nicht, nach welcher Seite er vom Pferd zu steigen hat. Im Gesicht, da gleicht er seinem Zwillingsbruder wie ein Ei dem anderen. Der heißt Tonino und lebt in Venedig, wo ich die Bekanntschaft machte. Doch so sehr er ihm im Aussehen ähnelt, so wenig in dem ganzen Rest, weil jener klug ist und gewandt und dieser hier ein dummer Klotz mit Geld. Rosaura
Der Bericht gefällt mir nicht.
Colombina
(Zu Brighella.) Mit dem Signor Zanetto sollte ein gewisser Arlecchino
kommen, sein Diener. Ist er da? Brighella
Nein, noch nicht, aber man erwartet ihn mit dem Gepäck seines Herrn.
Colombina
Das schmeckt mir nicht. Ich komm vor Neugier um.
Brighella
Ich weiß, ich weiß, er ist auserkoren zum Besitz von Euren Reizen.
Colombina
Ihr platzt noch vor Neid. (Ab.)
5. Szene Rosaura und Brighella.
Rosaura
Oh, Brighella, erzähl, wie lerntest du die Familie Bisognosi in Venedig kennen und warum wuchs der Signor Zanetto in Bergamo auf?
Brighella
Ich diente in Venedig einem sehr sehr reichen Kaufmann, dem besten Freund des seligen Sior Pantalone Bisognosi, des Vaters dieser beiden Zwillingsbrüder. Der Sior Pantalone hatte außer ihnen eine Tochter. Die hat er auch nach Bergamo geschickt, wie vorher schon den Sior Zanetto, zu einem seiner Brüder, der mit Namen Stefanello heißt und reich und ohne Erben ist. Als ich in jenem Haus verkehrte, kam es mir zu Ohren, daß die Tochter weggekommen sei; sie kam in Bergamo nicht an, sondern ging – man weiß nicht wie – auf dem Weg dahin verloren. Das ist es, was ich ungefähr so sagen kann von den Personen der Familie. Was den Rang betrifft und das Vermögen, so macht das Haus der Bisognosi eine gute Figur auf der Piazza, und es gilt als eins der reichsten Kaufmannshäuser.
Rosaura
Alles geht nach Wunsch, doch mich verdrießt es, daß Signor Zanetto nicht klug ist wie sein Bruder.
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Brighella
Da kommt er, in Begleitung des Patron. Examiniert ihn und Ihr werdet sehen, ich habe die Wahrheit gesagt. (Ab.)
6. Szene Rosaura, dann der Dottore und Zanetto.
Rosaura
Er gefällt mir. Vielleicht ist er nicht so dumm, wie Brighella ihn beschrieben hat.
Dottore
Kommt, kommt, frei und ohne Scheu. Meine Tochter, das ist Signor Zanetto.
Zanetto
Siora Novizza, meine Braut, ich grüß Euch.
Rosaura
Signore, ich bin Eure ergebenste Dienerin.
Zanetto
(Für sich.) Ach, die Dienerin! Guten Tag auch, Sioria. (Zum Dottore.)
Die Braut, Herr Schwiegervater, wo isn die? Dottore
Hier: Das ist meine Tochter, das ist die Braut.
Zanetto
Sie hat doch grad gesagt, sie is die Dienerin.
Dottore
Oh nein, Signore, sie hat gesagt, ich bin Eure ergebenste Dienerin, als Kompliment, als Zeremonie.
Zanetto
Das geht nich gut los.
Dottore
Aus welchem Grund?
Zanetto
Ich will in der Ehe keine Lügen und keine Zeremonien.
Rosaura
(Für sich.) Er ist wirklich dumm, aber er gefällt mir doch.
Dottore
Ach was, achtet nicht auf solche Kleinigkeiten.
Rosaura
Signor Zanetto, ich bin ehrlich, ich kann nicht heucheln, und ich habe Achtung und Respekt vor Euch.
Zanetto
Alles Plunder, nichn Pfifferling wert.
Rosaura
Vielleicht sagen Euch meine Worte nicht zu? © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
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