Die Sanierung der Altstadt von Hameln

Quelle: Niedersachsenbuch 2009, pdf-Datei der CW Niemeyer Druck GmbH Die Sanierung der Altstadt von Hameln Ziele und Werdegang einer Jahrhundertaufga...
Author: Anke Pfaff
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Quelle: Niedersachsenbuch 2009, pdf-Datei der CW Niemeyer Druck GmbH

Die Sanierung der Altstadt von Hameln Ziele und Werdegang einer Jahrhundertaufgabe Wolfgang Kaiser Keine Planungs- und Bauaufgabe in der Stadt Hameln hat die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts so geprägt wie die Altstadtsanierung. Mit dieser umfassenden Maßnahme ist es aus heutiger Sicht gelungen, die Altstadt als Wohnstandort attraktiv zu gestalten, als Geschäftszentrum für die gesamte Region Weserbergland zu profilieren und dabei gleichzeitig das historische Orts- und Straßenbild zu erhalten.

modernen Vorstellungen von gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen nicht mehr in Einklang zu bringen war. Wichtiger für den Entschluss, die Sanierung dann tatsächlich in Angriff zu nehmen, waren jedoch weniger die baulichen, sondern eher die funktionalen Mängel der Hamelner Altstadt in der angestrebten Funktion als Handelsund Dienstleistungszentrum für das Weserbergland. Die räumlichen Voraussetzungen für die notwendige Erweiterung des Einzelhandels und der Dienstleistungsunternehmen waren bei der vorgegebenen kleinteiligen Bauund Grundstücksstruktur nicht gegeben. Als weiterer Sanierungsgrund wurden die unzureichenden Verkehrsverhältnisse benannt. Neben einer Belastung der Altstadt durch den zum Teil überörtlichen Durchgangsverkehr waren im und in der Nähe des Zentrums kaum Parkplätze für den ruhenden Verkehr vorhanden. 1966 wurde ein Gutachten zur Sanierung der Altstadt an die GEWOS e. V. in Hamburg in

Sanierungsanlass Erste konkrete Überlegungen zur Sanierung der Altstadt von Hameln gab es Mitte der 1960er Jahre. Die Sanierungsbedürftigkeit der Hamelner Altstadt begründete sich in der historischen Stadtstruktur. Aus den Sicherheits- und Schutzerfordernissen der mittelalterlichen Stadt beschränkte sich die Bautätigkeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Bereich innerhalb der Stadtbefestigung. Das führte im Laufe der Zeit zu einer baulichen Dichte, die mit 14

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Durchgangsverkehr in der Osterstraße

Öffentlichkeit und fanden in den Medien eine entsprechende Beachtung. In vielen Städten und Dörfern besann man sich etwa Mitte der 1970er Jahre wieder auf die Erhaltung des Altbaubestandes. Auch das Hamelner Sanierungskonzept wurde damals in der breiten Öffentlichkeit heftig diskutiert. Einige Grundsätze der Planungskonzeption von 1967 erwiesen sich als richtig, wie z. B. der Ausbau von Fußgängerzonen. Verschiedene Punkte stießen jedoch auf berechtigte Kritik, so dass eine Neubearbeitung der Konzeption 1975 erforderlich wurde.

Auftrag gegeben. Ein ebenfalls von dieser Gesellschaft erarbeitetes Neuordnungskonzept wurde vom Rat der Stadt 1967 als städtebaulicher Rahmenplan für die Sanierung beschlossen. Dieses weitgehend durch Abbruch und Neubau geprägte Konzept stellte die Weichen für die weitere Durchführung der Sanierung bis 1975. Die Diskussionen über städtebauliche Fragen, die sich auch an der schlechten Qualität der Neubausiedlungen der frühen 1970er Jahre entzündeten, setzten einen Umdenkungsprozess bei Fachleuten, Politikern und Bürgern bundesweit in Gang. Bürgerinitiativen traten verstärkt mit ihren Anliegen an die

Die Ziele der Sanierungskonzeption ab 1975 Ab 1975 stand die weitestgehende Erhaltung des historischen Stadtbildes im Vordergrund aller Planungsüberlegungen, die damit zugleich das wichtigste Ziel der Sanierung war. Es sollte vorrangig durch Wohnungsmodernisierung erreicht werden. Dahinter stand die Absicht, die Altstadt als attraktiven Wohnstandort für die Zukunft zu erhalten. Weiterhin sollte das Sanierungskonzept günstige Bedingungen schaffen, langfristig ein gutes und vielfältiges Waren- und Dienstleistungsangebot in der Altstadt zu sichern und die Arbeitsplatzsituation zu verbessern. Störende 15

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Planungskonzeption 1975 den unmittelbaren Anliegern vorbehalten bleiben. Mit diesem Sanierungskonzept wollte man eine Verdoppelung der Fußgängerflächen und Promenaden sowie eine wesentliche Verringerung der Straßenverkehrsflächen für den fließenden Verkehr in der Altstadt erreichen. Für die Unterbringung des ruhenden Verkehrs waren überwiegend am Altstadtrand Parkplätze in Tiefgaragen vorgesehen. Der gesamte Sanierungsprozess wurde von einer intensiven

Gewerbebetriebe sollten aus der Altstadt ausgelagert werden. Durch eine umfassende Neuordnung des Verkehrs sollten die historischen Straßenzüge weitgehend verkehrsberuhigt werden. Dabei sollten nicht nur die Hauptgeschäftsstraßen wie Oster- und Bäckerstraße zu Fußgängerzonen umgebaut werden, sondern auch die Nebenstraßen in der Altstadt, die überwiegend zum Wohnen dienen, eine Umgestaltung erfahren. Das Befahren dieser Straßen sollte 16

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Mit der 1967 gegründeten Bürgerinitiative „Aktionsgemeinschaft Altstadtsanierung“ wurden alle wesentlichen, die Sanierung betreffenden Fragen bereits im Vorstadium diskutiert. Auch die 1968 gegründete Initiative „Vereinigung Hamelner Bürger zur Erhaltung ihrer Altstadt e.V.“ fand mit ihrer Forderung nach mehr Erhaltung bei Rat und Verwaltung mehr und mehr Gehör. Als zusätzliches Forum der Bürgerbeteiligung wurde 1972 ein Sanierungsbeirat mit beratenden Funktionen ins Leben gerufen.

brüche geprägt, erst danach trat eine entscheidende Wende ein. Diese Wende kann am Beispiel der Westseite der Kleinen Straße deutlich gemacht werden. In der 1967 beschlossenen Planungskonzeption war die Kleine Straße von Sanierungsmaßnahmen kaum betroffen. Das änderte sich, als der Rat 1971 beschloss, das Planungskonzept zu modifizieren und die ursprünglich an den Wallstraßen geplanten Parkbrücken aufzugeben. Als Ersatz für die entfallenen Parkplätze sollte ein Parkhaus mit einer vorgesetzten Wohnbebauung in der Kleinen Straße gebaut werden. Dieses Konzept hätte einen kompletten Abriss der Westseite der Kleinen Straße zur Folge gehabt. Im weiteren Verlauf der Diskus-

Die Modernisierungsphase Bis 1975 wurde das Bild der Sanierung durch die fast täglich zu beobachtenden Gebäudeab-

Kleine Straße Richtung Neue Marktstraße 1968 17

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln sionen wuchsen die Zweifel, ob sich die Baumasse eines viergeschossigen Parkhauses – wenn auch mit einer vorgesetzten Wohnbebauung – in die Kleine Straße einfügen würde und man plante stattdessen eine Tiefgarage mit aufstehender Wohnbebauung – auch diese Planung hätte den Abbruch der Westseite der Kleinen Straße bedeutet. Die zum Teil heftig geführten Diskussionen zogen sich bis in das Jahr 1975 hin. Nach einer gutachterlichen Untersuchung aller Gebäude durch Hamelner Architekten fasste der Rat im September 1975 mit einer denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme (21 Ja-Stimmen, 20 Nein-Stimmen) den Beschluss, die Gebäude der Kleinen Straße nicht abzureißen, sondern zu erhalten und zu modernisieren. Es hat die Entscheidung mit Sicherheit beflügelt, dass die Bundesregierung im Jahr 1975 erstmalig ein Sonderprogramm Stadtsanierung aufgelegt hatte, aus dessen Topf die Modernisierung der Kleinen Straße mit insgesamt 1,524 Mio. DM gefördert wurde. Die Stadt Hameln beteiligte sich an dieser Maßnahme mit 0,55 Mio. DM. Die Modernisierung der Kleinen Straße war gewissermaßen der Auftakt für die ansetzende Modernisierungsphase in der gesamten Altstadt. Die Moderni-

sierungen in den übrigen Bereichen der Altstadt, abseits der Hauptgeschäftslagen, liefen allerdings nur sehr zögernd an, da wegen einer nicht ausreichenden Rendite die oftmals nicht sehr wohlhabenden Eigentümer kaum in der Lage waren, eine Modernisierung aus eigener Kraft zu stemmen. Aus diesem Grund stellte die Stadt Hameln mit Unterstützung des Bundes und des Landes Niedersachsen schwerpunktmäßig Sanierungsförderungsmittel für private Modernisierungsmaßnahmen zur Verfügung. Aus fördertechnischen Gründen war das allerdings erst ab 1978 möglich. Bereits im Jahr 1979 konnten für 21 Objekte Modernisierungsvereinbarungen mit einem Kostenvolumen von ca. 200.000 DM je Objekt und einer Zuschussförderung von grundsätzlich 50%, in Einzelfällen bis zu 85% der Kosten abgeschlossen werden. Bis zum Abschluss der Sanierung der Altstadt wurden zahlreiche private Gebäude und öffentliche Einrichtungen modernisiert. Zu den bedeutendsten Maßnahmen aus dieser Zeit zählen die Kurie Jerusalem, die Gebäude Thietorstraße 25, Osterstraße 8 (Stiftsherrenhaus), Osterstraße 9 (Leisthaus), Osterstraße 28 (Rattenfängerhaus), Wendenstraße 8 und Kupfer18

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln schmiedestraße 13, um nur einige zu nennen. Leider waren die alten Handwerkstechniken, die bei Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen dringend benötigt wurden, nur noch bei wenigen Bauschaffenden vorhanden, manche Technik musste daher wieder mühsam erlernt werden. Kritisch anzumerken ist, dass besonders in den 1970er Jahren bei der Modernisierung und Instandsetzung hochwertiger Bausubstanz häufig bedenkenlos neue, bauphysikalisch problematische Baustoffe, wie zum Beispiel Epoxydharz und Acrylfarben im Holzbau und Steinersatzmaterialien bei den Sandsteinfassaden einge-

setzt wurden. Auch im Innenausbau wurden oftmals Baustoffe – insbesondere Holzschutzmittel – verwandt, die wegen ihrer Schadstoffbelastung oft nur wenige Jahre später wieder ausgetauscht werden mussten. Prof. Friedhelm Stangenberg beklagte jüngst im Spiegel (29/2008) „(…)in keiner Epoche der Architektur wurden so anfällige Häuser gebaut (…)“ wie in dieser Zeit. Exemplarisch steht dafür der Nachsanierungsaufwand für die Gebäude Kupferschmiedestraße 13 und Wendenstraße 8. An dem maroden Zustand des noch nicht wieder sanierten Gebäudes Neue Marktstraße 17 lassen sich die Probleme deutlich ablesen.

Sanierungsbedürftiges Gebäude Neue Marktstraße 17 im Jahr 2009 19

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln Der Ausbau der Fußgängerzonen Unter großer Anteilnahme der Anlieger und der Bürger von Hameln konnte die Osterstraße im September 1975 mit dem ersten Altstadtfest eingeweiht werden. Es folgten die Ritterund Neue Torstraße (1976), der Pferdemarkt, die Emmernstraße sowie die Kleine Straße und die Weserpromenade (1977), die Bäckerstraße (1978), der Münsterkirchhof und die Wendenstraße (1979). Der Ausbau von Fußgängerzonen in den Hauptgeschäftszonen war Auslöser für zahlreiche Investitionen der Anlieger zur Modernisierung und Umbau ihrer Gebäude. Aber auch negative Begleiterscheinungen blieben in Hameln nicht aus. Mit der zunehmenden Attraktivität der Hauptgeschäftslagen zogen die Geschäftsmieten deutlich an. Nach und nach wurden die traditionellen inhabergeführten Läden durch Filialbetriebe verdrängt, die letztlich eine gewisse Uniformität in das Geschäftszentrum der Stadt Hameln, wie auch in viele andere Städte brachten. Nachdenklich stimmt auch die mittlerweile gängige Praxis, in den Hauptgeschäftslagen Treppenhäuser und Flure zur Erschließung der Obergeschosse aufzugeben und in die Erdgeschossverkaufsfläche zu integrieren. Dahinter steht eine

um ein Vielfaches höhere Mieterwartung, allerdings mit der Folge, dass die Räume in den Obergeschossen leer stehen bzw. nur noch gewerblich genutzt werden. Gemeinbedarfseinrichtungen und Grünflächen Mit dem Ausbau von Gemeinbedarfseinrichtungen – wie z. B. Kinderspielplätzen, Kindergärten, Schulen, Stadtbücherei – sollte nicht nur die Versorgung der im Sanierungsgebiet wohnenden und arbeitenden Bevölkerung verbessert, sondern darüber hinaus der Bedeutung der Altstadt als Zentrum für die gesamte Stadt und ihre Region Rechnung getragen werden. Als herausragendes Objekt ist in diesem Zusammenhang die Stadtbücherei in der Pfortmühle zu benennen. Der “Fall“ Pfortmühle ist zugleich symptomatisch für die Änderung des Zeitgeistes, von dem auch die Denkmalpflege nicht verschont blieb. In den ersten Planungen zur Sanierung hatte die Denkmalpflege dieses mächtige Industriegebäude von 1894 als nicht erhaltenswert eingestuft, da es die vorgegebene kleinteilige Baustruktur der Altstadt sprengen würde. Nach jahrelangen Diskussionen entschied der Rat der Stadt Hameln im Jahr 1984 – mittlerweile mit engagierter Unterstützung der Denkmalpflege –, dieses Gebäu20

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln de als bedeutendes Industriedenkmal zu erhalten und mit neuem Leben zu füllen. Im Mai 1990 wurde die Pfortmühle als neues Domizil der Stadtbücherei eingeweiht. Ein weiteres Ziel war es, das Freiflächenangebot zur Steigerung des Wohn- und Lebenswertes der Altstadt wesentlich zu erweitern. Zu den größten Erfolgen auf diesem Gebiet zählt zweifellos die Herrichtung des Werders, eine ca. 2,5 ha große Insel in der Weser, als Grün- bzw. Freizeitfläche mit hohem Aufenthalts- und Erholungswert. Die Insel ist seit 1999 mit einer Fußgängerbrücke an die Altstadt angebunden. Sanierungsabschluss Die Altstadtsanierung wurde 1992 offiziell abgeschlossen.

Zuvor hatte der Rat der Stadt Hameln die Satzungen über die förmliche Festlegung der Sanierungsgebiete aufgehoben und sich in einer feierlichen Erklärung verpflichtet, „das Erreichte möglichst zu wahren, verbliebene Mängel zu beseitigen, die Weiterentwicklung behutsam zu gestalten und beeinträchtigenden Entwicklungen vorzubeugen.“ Im Zuge der Altstadtsanierung wurden u. a. 117 Gebäude mit öffentlicher Förderung modernisiert, 250 Ersatzwohnungen gebaut, 53 Betriebe verlagert, 14 Straßen zu Fußgängerzonen umgestaltet, 5 öffentliche Einrichtungen modernisiert. Bis zum Abschluss der Sanierung der Altstadt von Hameln

Kuie Jerusalem vor der Sanierung ...

... und nach der Sanierung 1982 21

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Die Sanierung der Altstadt von Hameln wurden ca. 218 Mio. DM an öffentlichen Mitteln ausgegeben, davon hat die Stadt Hameln etwa ein Drittel – also fast 70 Mio. DM – selbst getragen. Zu diesen Ausgaben der öffentlichen Hand sind die geschätzten Investitionen von privater Seite hinzuzurechnen, die in etwa auf das Zweieinhalbfache, also über 500 Mio. DM, geschätzt werden. Damit wird deutlich, dass die Sanierung der Hamelner Altstadt nicht nur ein wesentlicher Beitrag zur Wirtschaftsförderung war, sondern auch die Grundlage

für die Revitalisierung des historischen Stadtkerns bildete. Es war sicher nicht immer ein gradliniger, sondern eher ein verwinkelter, dornenreicher Weg, nicht nur für die unmittelbar beteiligten “Akteure“ der Sanierung aus Politik, Sanierungsträger (Neue Heimat Bremen/ GeWoBa) und Verwaltung, sondern auch für die Bürger der Stadt, aber es hat sich gelohnt. Im Zusammenwirken aller Beteiligten konnten die ursprünglich gesetzten Ziele weitgehend umgesetzt werden.

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