Die russische Wirtschaft

Die russische Wirtschaft Wird Russland jemals aufholen? EINGEHENDE ANALYSE EPRS | Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments Autor: Martin...
Author: Gretel Fürst
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Die russische Wirtschaft Wird Russland jemals aufholen?

EINGEHENDE ANALYSE EPRS | Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments Autor: Martin Russell Wissenschaftlicher Dienst für die Mitglieder März 2015 — PE 551.320

DE (or. EN)

Mit dieser Veröffentlichung soll ein Überblick über die Wirtschaft Russlands gegeben und die derzeitige Situation vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und seit Langem bestehender struktureller Probleme erläutert werden. Darüber hinaus wird der mittel- und langfristige wirtschaftliche Ausblick erörtert.

PE 551.320 ISBN 978-92-823-6651-6 DOI: 10.2861/942847 QA-01-15-157-DE-N Redaktionsschluss des englischen Originalmanuskripts: März 2015.

HAFTUNGSAUSSCHLUSS UND URHEBERRECHT Die Verantwortung für den Inhalt liegt ausschließlich beim Verfasser dieses Dokuments; eventuelle Meinungsäußerungen entsprechen nicht unbedingt dem Standpunkt des Europäischen Parlaments. Das Dokument richtet sich an die Mitglieder und Mitarbeiter des Europäischen Parlaments und ist für deren parlamentarische Arbeit bestimmt. Nachdruck und Übersetzung zu nicht-kommerziellen Zwecken mit Quellenangabe gestattet, sofern der Herausgeber vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird. © Europäische Union, 2015. Fotonachweise: © aphonua/Fotolia. [email protected] http://www.eprs.ep.parl.union.eu (Intranet) http://www.europarl.europa.eu/thinktank (Internet) http://epthinktank.eu (Blog)

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ZUSAMMENFASSUNG In den vergangenen 25 Jahren hat Russland einige dramatische wirtschaftliche Veränderungen erlebt, zu denen schwierige Reformen und der verheerende wirtschaftliche Kollaps in den 1990er-Jahren, die Jahre der Hochkonjunktur im neuen Jahrhundert, die weltweite Wirtschaftskrise und die aktuelle Rezession gehören. Trotz all dieser Entwicklungen sind viele der strukturellen wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen Russland steht, seit den Zeiten der Sowjetunion unverändert geblieben. Durch die reichen natürlichen Ressourcen konnte das Wachstum im Land angekurbelt werden. Dies geschah jedoch auf Kosten einer ungesunden Abhängigkeit, wie die aktuelle Lage eindeutig zeigt. Dieses Problem ist von der russischen Regierung anerkannt worden, die insbesondere unter der Präsidentschaft von Dmitri Medwedew ihre Absichten erklärte, die Wirtschaft zu diversifizieren und zu modernisieren. Die anhaltenden Geldströme aus der Gas- und Ölförderung haben jedoch den Anreiz zur Durchführung ernsthafter wirtschaftlicher Reformen in den Hintergrund treten lassen, was dazu führte, dass diese ins Stocken gerieten. Viele der strukturellen Probleme Russlands stammen aus der Zeit der Sowjetunion oder sogar noch aus der Zarenzeit. Große Teile der Wirtschaft befinden sich nach wie vor in staatlicher Hand und es bestehen zahlreiche Hindernisse für sowohl den heimischen als auch den internationalen Wettbewerb. Unternehmen haben mit Bürokratismus und allgegenwärtiger Korruption zu kämpfen. Trotz des von Dmitri Medwedew angekündigten Ziels der Schaffung einer „intelligenten Wirtschaft“ und der traditionellen Stärke des Landes in den Bereichen Forschung, Entwicklung, Innovation und Bildung, bleibt Russland auf diesen Gebieten weiterhin hinter den Erwartungen zurück. Im Laufe der vergangen Jahre hat die russische Regierung die bürokratischen Prozesse vereinfacht, eine groß angelegte Anti-Korruptionskampagne gestartet, Unternehmen in Staatshand privatisiert, das Bildungssystem modernisiert und in Innovationen investiert. Dennoch haben solche Initiativen nur in wenigen Bereichen zu erkennbaren Verbesserungen geführt. Erschwert durch diese strukturellen Probleme, führten die sinkenden Ölpreise und die wirtschaftlichen Sanktionen zu einer raschen Verschlechterung der Wirtschaftslage. Der Rubel hat die Hälfte seines Werts verloren, die Inflation ist in die Höhe geschossen, ehemals gesunde öffentliche Finanzen machen einen zunehmend unstabilen Eindruck und die Wirtschaft wird im Jahr 2015 laut Prognosen in eine Rezession abrutschen. Wie schnell sich Russland von den derzeitigen Schwierigkeiten erholen wird, hängt davon ab, ob die Ölpreise wieder ansteigen und ob die Sanktionen gelockert werden. Ungeachtet dessen werden jedoch die strukturellen Probleme den Prozess der Wirtschaftsmodernisierung in der absehbaren Zukunft wahrscheinlich weiterhin behindern.

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INHALT 1. Makroökonomische Indikatoren ................................................................................... 3 2. Die Vergangenheit: von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft ................................. 4 2.1. 1988-91: Perestroika und die sowjetische Planwirtschaft ..................................... 4 2.2. 1991-98: Katastroika, katastrophale wirtschaftliche Liberalisierung .................... 4 2.3. 1998-2008: die Boomjahre..................................................................................... 5 2.4. 2009 bis heute: Wirtschaftskrise ............................................................................ 5 3. Die Gegenwart: strukturelle Faktoren........................................................................... 5 3.1. Russland verfügt über bedeutende Mineralvorkommen....................................... 6 3.1.1. Die Gefahr einer Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen ................................ 7

3.2. Strukturelle Hindernisse für die russische Wettbewerbsfähigkeit ........................ 8 3.2.1. Fehlen von liberalisierten und wettbewerbsorientierten Märkten............................. 8 3.2.2. Forschung und Entwicklung: im internationalen Vergleich schlechtes Abschneiden 10 3.2.3. Innovation in der russischen Wirtschaft schwach vertreten ..................................... 12 3.2.4. Bildungswesen: mittelmäßige Leistungen trotz hoher Quoten ................................. 13 3.2.5. Arbeitsmärkte — hinlänglich effizient, aber mit einigen Problembereichen ............ 15 3.2.6. Ordnungspolitisches Umfeld: solide Fortschritte, aber noch ein weiter Weg........... 16 3.2.7. Korruption: ein erhebliches Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit Russlands...... 16

4. Die derzeitige Wirtschaftslage..................................................................................... 18 4.1. Die äußeren Faktoren ........................................................................................... 18 4.1.1. Fallende Erdöl- und Erdgaspreise............................................................................... 18 4.1.2. Wirtschaftssanktionen ............................................................................................... 18

4.2. Der Rubel .............................................................................................................. 19 4.3. Öffentliche Finanzen............................................................................................. 20 4.4. Beschäftigung ....................................................................................................... 22 4.5. BIP-Wachstum ...................................................................................................... 22 5. Ausblick........................................................................................................................ 23 5.1. Für das kommende Jahr ....................................................................................... 23 5.2. Längerfristige Aussichten ..................................................................................... 24 6. Wichtigste bibliografische Angaben ............................................................................ 26

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1. Makroökonomische Indikatoren BIP

Vereinigte Staaten China

15

2 096 Mrd. US-Dollar

BIP, Billion USDollar (2013)

10

9. größtes World Development Indicators, Weltbank, 2013

Japan Deutschland Frankreich Vereinigtes Königreich Brasilien

5

Italien Russland

0

BIP nach Sektoren Fertigung Immobilien/Geschäftstätigkeit Transportwesen/Kommun ikation Rohstoffindustrie

Rosstat

(51. höchstes) World Development Indicators, Weltbank, 2013

0,6 % (1,3 %, 2013)

Russland

50 China

40 30

Deutschland

20

Polen

10

Vereinigte Staaten

0

Wachstumsprognose, 2015 +0,5 % (IWF, Oktober 2014) -4,8 % (OECD, Januar 2015)

Zentralbank Russlands

Sonstiges

Verschuldung Zentralregierung

der

Haushalts defizit

Von der Zentralbank gehaltene internationale Währungsbestände

9,4 % BIP (2013)

3 % BIP (2015, Prognose)

World Development Indicators, Weltbank, 2013

Russisches Finanzministerium

Umrechnungskurs, US-Dollar/RUB

34

1 US-Dollar = RUB (Juni 2014)

70

1 US-Dollar = RUB (Jan. 2015)

Exporte

60

14 612 US-Dollar

BIP-Wachstum, 2014

Groß-/Einzelhandel

pro-Kopf-BIP, Tausend US-Dollar

BIP pro Kopf

-51 %

Jan.-Nov. 2014

510 Mrd. USDollar

Leitzins der russischen Zentralbank (31.1.2015)

Inflation

Exporte: 459 Mrd. US-Dollar (Jan.-Nov. 2013: 474 Mrd. US-Dollar)

Arbeitslosigkeit

11 %

5,2 %

Rosstat Dezember 2014

Rosstat Dezember 2014

Jan.-Nov. 2014 Maschinen

Öl, Gas Eisen, Stahl Edelsteine Düngemittel Maschinen Sonstiges

(Ende 2014)

(Ende 2013)

Basiszinssat z 15 %

Importe

385 Mrd. US-Dollar

Straßenfahrzeuge elektrische/elektronische Waren Arzneimittel Kunststoffe Sonstiges

Importe: 283 Mrd. US-Dollar (Jan.-Nov. 2013: 309 Mrd. US-Dollar)

Handelsbilanz 176 Mrd. US-Dollar (2013: 165 Mrd. US-Dollar) Rosstat, Internationales Handelszentrum

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Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika EBWE: Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung BIP:

Bruttoinlandsprodukt

IWF:

Internationaler Währungsfonds

OECD: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik PISA:

Programme for International Student Assessment (Programm zur internationalen Schülerbewertung)

RUB:

Russischer Rubel

WTO: Welthandelsorganisation

2. Die Vergangenheit: von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft 2.1. 1988-91: Perestroika und die sowjetische Planwirtschaft Unter Michail Gorbatschow wurden 1988 die ersten vorsichtigen Schritte unternommen, um die stagnierende sowjetische Wirtschaft zu reformieren. Es wurden Rechtsvorschriften erlassen, die den Unternehmen eine größere Unabhängigkeit von den staatlichen Planungsstellen gewährten und eine begrenzte Aktivität im privaten Sektor zuließen. Diese Maßnahmen, mit denen vielmehr die Mängel der Planwirtschaft behoben werden sollten und keine Marktwirtschaft eingeführt werden sollte, hatten jedoch nur geringe Auswirkungen.

2.2. 1991-98: Katastroika, katastrophale wirtschaftliche Liberalisierung Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 führte zum politischen und wirtschaftlichen Chaos. Im Einklang mit den Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) kündigte der russische Präsident Boris Jelzin radikale wirtschaftliche Reformen zur Einführung der Marktwirtschaft an. Die Preiskontrollen auf 90 % der Güter wurden am 1. Januar 1992 aufgehoben. Im Laufe der nächsten beiden Jahre wurden 70 %1 der Wirtschaft im Rahmen von Versteigerungen und mittels eines Voucher-Systems privatisiert. Trotz des anfänglichen Enthusiasmus der russischen Regierung und ihrer westlichen Berater waren die Auswirkungen des Reformprozesses desaströs. Zwischen 1991 und 1998 sank das BIP um die Hälfte2. Obwohl Jelzin 1992 sagte, dass Millionen von Eigentümern und nicht eine Handvoll Millionäre vonnöten seien 3, kamen ironischerweise wenige Oligarchen durch den Privatisierungsprozess zu großem Reichtum und ein Drittel der Bevölkerung lebte am Ende dieses Zeitraums unterhalb der Armutsgrenze. Die Durchschnittslöhne (die häufig mehrere Monate später erst 1

Die Wirtschaftsdaten in diesem Kapitel stammen aus dem Transition Report 1999 der EBRD.

2

Die Wirtschaftsdaten aus diesem Zeitraum sind jedoch in hohem Maße unzuverlässig, da ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivität nicht erfasst wurde (aufgrund von Korruption, Steuerhinterziehung, Tauschhandel etc.). Dieser wird auf über 40 % des BIP geschätzt (Kaufmann und Kaliberda 1996).

3

Zitiert von A. Åslund in Russia's Capitalist Revolution: Why Market Reform Succeeded and Democracy Failed, Peterson Institute for International Economics, 2007.

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ausbezahlt wurden) sanken um 38 % und die Lebenserwartung bei Geburt um 5 Jahre (bei Männern kam es zu einem katastrophalen Rückgang auf 57,6 Jahre, womit Russland hinter Ländern wie Pakistan und Bolivien lag) und die Kriminalitäts- und Mordraten verdoppelten sich. Der wirtschaftliche Zusammenbruch Russlands schien 1997 seinen Tiefstand zu erreichen. Nur ein Jahr später, im August 1998, begann jedoch die russische Währungskrise, deren Ursprünge unter anderem in einem chronischen Haushaltsdefizit lagen (von 5,4 % bis 42,6 % des BIP im Zeitraum 1992 bis 1998). Daraufhin kam es zum Zahlungsausfall Russlands und der Rubel verlor zwei Drittel seines Werts.

2.3. 1998-2008: die Boomjahre Paradoxerweise wurde durch die Krise 1998 die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Wirtschaft aufgrund des stark entwerteten Rubels gesteigert, was wiederum zu rasantem Wachstum führte. Hierzu trugen außerdem die höheren Öl- und Gaspreise bei. Zwischen 1999 und 2008 lag das Wachstum durchschnittlich bei 6,4 % pro Jahr.

2.4. 2009 bis heute: Wirtschaftskrise Mit Beginn der globalen Wirtschaftskrise schrumpfte die Wirtschaft im Jahr 2009 um 7,8 %. Daraufhin wuchs die Wirtschaft erneut, jedoch langsamer, bis die aktuelle Krise sie im Jahr 2014 erneut zum Erliegen brachte.

80 60 40

20

2014: fallende Ölpreise und Sanktionen

100

2008: Beginn der globalen Wirtschaftskrise

1991-94: Einführung der Marktwirtschaft

120

1999-2008: die Boomjahre

140

1998: russische Währungskrise

Rohöl (Brent) US$/Barrel linke Skala

160

2007: das BIP steigt schließlich über den Stand von 1990

Abbildung 1: Schlüsseldaten in der russischen Wirtschaftsgeschichte im Vergleich zum BIPWachstum/Ölpreis

15 10 5

20 0

BIPGDP growth % Wachstum %

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

0 -5 -10 -15

Daten: IHS Connect (BIP); US Energy Information Administration (Öl).

3. Die Gegenwart: strukturelle Faktoren Dank des schnellen Wachstums konnte sich das Volumen der russischen Wirtschaft seit dem Tiefstand 1998 fast verdoppeln. Gleichzeitig gab es drastische Verbesserungen bei vielen sozioökonomischen Indikatoren – beispielsweise stieg die Lebenserwartung bei Geburt um sechs Jahre auf 71 Jahre, die allgemeine Kriminalitäts- und Mordrate halbierte sich und der Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze sank von

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35 % auf 11 %.4 Abgesehen von den aktuellen Problemen könnte es den Anschein erwecken, dass Russland das Erbe der sowjetischen Planwirtschaft und die schwierigen Übergangsjahre hinter sich gelassen hat. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist jedoch weniger beeindruckend, als es auf den ersten Blick erscheint. Russland wies zwar ein schnelleres Wachstum als viele EULänder auf, im Vergleich zu den anderen BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) liegt es weit unter dem Gruppendurchschnitt von 6,5 % in den letzten fünf Jahren. Das Wachstum in den frühen 2000er Jahren begann auf einem niedrigen Stand und es wurde lediglich der Rückgang des vorangegangenen Jahrzehnts umgekehrt. Den Stand von 1990 konnte Russland allerdings erst 2007 erreichen. Daher liegt die Frage nahe, ob es dem Land gelungen ist, eine moderne wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. Die folgenden Kapitel beleuchten einige der strukturellen Probleme.

3.1. Russland verfügt über bedeutende Mineralvorkommen Abbildung 2: Natürliche Ressourcen in Russland

Exporte

Wert der Bodenschätze:

BIP aus dem Energiesektor:

Öl, Gas

75 Billionen US$

19 %

Eisen, Stahl

Höchster weltweit

Edelsteine

Staatseinnahmen aus dem Energiesektor:

Sonstiges

50 %

Daten: International Trade Centre

Russland ist eines der ressourcenreichsten Länder der Welt. Laut Weltbank 5 lag das Land 2005 auf dem ersten Platz im Hinblick auf den Gesamtwert der Bodenschätze (Öl, Gas, Kohle und Mineralien). Laut einer jüngeren Schätzung 6 beträgt der Wert der natürlichen Ressourcen des Landes 75,7 Billionen US$, was ebenfalls dem ersten Platz entspricht. Neben Gas, Öl und Kohle (nachgewiesene Vorkommen: jeweils 1., 7., 3. Platz; Produktion: 1., 3. 6. Platz7) befindet sich Russland bei vielen Mineralien, einschließlich Eisen, Nickel, Platin, Gold und Diamanten, unter den ersten zehn Ländern. Russland ist durch natürliche Ressourcen zu Wohlstand gekommen. Schätzungen der Weltbank8 zufolge haben die Erträge aus den natürlichen Ressourcen (berechnet als Produktionswert minus Kosten) im Jahr 2012 zu etwa 18,7 % zum BIP beigetragen (13,9 % aus Öl und 2,3 % aus Gas). Die Auswirkungen auf die Exporte sind besonders signifikant: 2013 bestanden 68 % dieser aus Öl und Gas (21 % Erdölprodukte;

4

Sofern keine anderweitige Quelle angegeben ist, stammen die Statistiken in dieser Publikation von Rosstat (Russian Federal State Statistics Service).

5

Datenbank „Changing Wealth of Nations“.

6

The World's Most Resource-Rich Countries, 24/7 Wall St, 2012.

7

International Energy Statistics, US Energy Information Administration.

8

Weltentwicklungsindikatoren, „Contribution of natural resources to GDP“.

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33 % Rohöl; 14 % Erdgas).9 Metalle und Edelsteine machten weitere 11,1 % aus. Darüber hinaus tragen Öl und in geringerem Maße auch Gas zu etwa 50 % des Staatshaushalts bei (hauptsächlich Förderabgaben und Exportzölle). 10 Dank hoher Rohölpreise einerseits (die sich zwischen 2000 und 2007 vervierfachten) und andererseits einer gestiegenen Produktion (von 6 Mio. Barrel pro Tag im Jahr 1996 auf 10 Mio. Barrel im Jahr 2013)11 trug Öl in hohem Maße zum russischen Wirtschaftsaufschwung bei. Das Reichtum an Bodenschätzen brachte nicht nur den Oligarchen Wohlstand (vier russische Milliardäre werden von Forbes 12 unter den 100 reichsten Personen der Welt genannt, von denen alle mit Öl, Gas oder Metallen zu ihrem Reichtum gekommen sind), sondern auch der russischen Durchschnittbevölkerung, deren Lebensstandard sich von 2003 bis 2013 verdoppelte. 3.1.1. Die Gefahr einer Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen Eine Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen kann jedoch Gefahren bergen. Erstens hat es das Reichtum aufgrund von Öl und Gas der russischen Regierung erleichtert, den für die Modernisierung des Landes erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Reformen aus dem Weg zu gehen. Wenn diese Reformen nicht durchgeführt werden, riskiert das Land, eher Ähnlichkeiten zu reichen, aber in vielen anderen Aspekten unterentwickelten Erdölländern wie Saudi-Arabien aufzuweisen als zu den dynamischen, aufstrebenden Volkswirtschaften der anderen BRICS-Länder. Natürlich werden die Öl- und Gasvorkommen eines Tages erschöpft sein. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass die derzeitigen Produktionslevel aufgrund des Investitionsmangels in neue Vorkommen13, von denen viele geographisch weit entfernt liegen oder technische Herausforderungen bergen, nicht nachhaltig sind. Darüber hinaus ist der Sektor selbst bei dem derzeit hohen Level nicht in der Lage, mehr Menschen als nur einem kleinen Teil der Bevölkerung Beschäftigung zu bieten 14. Wie die aktuelle wirtschaftliche Situation zeigt, besteht das größte Problem in der Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von den globalen Ölpreisen. Beim Vergleich des BIP-Wachstums mit dem Rohöl ergibt sich ein eindeutiger Zusammenhang (siehe Abbildung 1, Schlüsseldaten in der russischen Wirtschaftsgeschichte, oben). Außerhalb des blühenden Energiesektors war die wirtschaftliche Lage immer und nicht nur während der Krise weniger positiv. Seit 2003 ist beispielsweise die Produktion um 10 % zurückgegangen. Im Jahr 2013 lag der Anteil fertiger Erzeugnisse bei lediglich 17 % der russischen Warenexporte im Vergleich zu 83 % in Deutschland, 77 % in Polen und 86 % in Südkorea.15 Die Produktionsproduktivität steigt zwar, liegt aber bei nur 40 % des Durchschnitts der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Besonders niedrig ist der Stand in den Bereichen Maschinen, Ausrüstung und Transportausrüstung16. 9

International Energy Statistics, US Energy Information Administration.

10

Russia – Analysis, US Energy Information Administration.

11

International Energy Statistics, US Energy Information Administration.

12

„The World's Billionaires“, Forbes, 2015.

13

Dina Khrennikova, „Russia Confronts Stagnant Oil Production After Crude Price Slump“, www.bloomberg.com, 19. Januar 2015.

14

Rosstat veröffentlicht keine separaten Statistiken für die Beschäftigung im Energiesektor. Im Jahr 2013 waren 2,2 % der Arbeitskräfte in mit der Förderung befassten Branchen beschäftigt.

15

Weltentwicklungsindikatoren, Weltbank 2015

16

The Russia Competitiveness Report 2011, Weltwirtschaftsforum, 2011.

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Russlands Führungspersönlichkeiten haben stets auf diese Gefahren hingewiesen. Beispielsweise bezeichnete Präsident Medwedew in einem Artikel aus dem Jahr 2009 mit dem Titel „Go Russia“17 die Wirtschaft des Landes als primitiv mit einer demütigenden Abhängigkeit von Rohstoffen. Das Problem bei den fertigen Erzeugnissen liege in ihrer extrem niedrigen Wettbewerbsfähigkeit.

3.2. Strukturelle Hindernisse für die russische Wettbewerbsfähigkeit Deshalb rief Medwedew zur Modernisierung der Wirtschaft auf, mit einer Verlagerung von den natürlichen auf „die geistigen Ressourcen: die so genannte intelligente Wirtschaft, die einzigartiges Wissen schafft sowie neue Technologien und innovative Produkte exportiert“. Doch welche Faktoren fördern den Modernisierungsprozess oder stehen ihm entgegen? Russland verfügt über zahlreiche Stärken, wie etwa bestens ausgebildete Arbeitskräfte und eine lange Tradition technologischer Pionierleistungen. Dies hat sich jedoch nicht in wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit niedergeschlagen. Eine Analyse der einzelnen Wettbewerbsfaktoren zeigt Unzulänglichkeiten auf, die vielfach noch in die Sowjetzeit oder sogar davor zurückreichen und die nach wie vor der umfassenden Modernisierung des Landes entgegenstehen. 3.2.1. Fehlen von liberalisierten und wettbewerbsorientierten Märkten Abbildung 3: Liberalisierung der russischen Märkte

Staatseigentum in der Wirtschaft

Index der wirtschaftlichen Freiheit 100 = frei,