Die Politik der Kindererziehungszeiten. - Eine Fallstudie -

Ulrike Gölting Die Politik der Kindererziehungszeiten - Eine Fallstudie - Zes - Arbeitspapier Nr. 2/92 Zentrum für Sozialpolitik Universität Bremen...
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Ulrike Gölting

Die Politik der Kindererziehungszeiten - Eine Fallstudie -

Zes - Arbeitspapier Nr. 2/92

Zentrum für Sozialpolitik Universität Bremen Parkallee 39 D-28oo Bremen 1

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"Die Prüflinge im Fach Sozialpolitik werden sich beim Jahr 1986 merken müssen: Einführung von Kindererziehungszeiten . ... Wenn sie dann noch gefragt werden, wer damals regiert hat, d"ann muß seihst ein Kandidat der GEW sagen: CDU, CSU und FDP - weil es so ist." (Norbert Blüm am 14.1 1.1986 vor dem Deutschen Bundestag)

I.

Einleitung

Mit dem Ende der Nachkriegsprosperität sind Strukturinnovationen und Leistungsverbesserungen im Bereich der sozialen Sicherung zu einer echten Rarität geworden. Ziel der bundesdeutschen Sozialgesetzgebung ist seit Mitte der 70er Jahre vor allem eine behutsame Anpassung der Sicherungssysteme an die veränderten ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen. Konsolidierungsmaßnahmen haben auf der Prioritätenliste der Regierungen eindeutig Vorrang vor einem weiteren kostenträchtigen Ausbau der wohlfahrtsstaatlichen Leistungsprogramme. Von neuen sozialen "Errungenschaften" ist seitdem höchst selten die Rede, und wenn, dann korrespondieren solchen Neuerungen in aller Regel Einschnitte an anderer Stelle des sozialen Netzes, weIche von den verantwortlichen Sozialpolitikern mit geringerer Vorliebe thematisiert werden. Eine der wenigen sozialpolitischen Strukturinnovationen, die unter dem Vorzeichen der Sozialstaats-Konsolidierung überhaupt durchgesetzt worden sind, ist die Einführung der Kindererziehungszeiten in das Rentenrecht: Seit 1986 wird bei der Rentenberechnung nicht nur die Erwerbsleistung der Versicherten berücksichtigt, sondern auch deren Erziehungsarbeit ein Stück weit honoriert. Müttern (oder wahlweise auch Vätern) wird ein Erziehungsjahr pro Kind bei der Rente angerechnet. Und zwar erwerben sie Rentenanwartschaften in einer Höhe, als ob sie ein Bruttoarbeitsentgelt von 7S Prozent des Durchschnittseinkommens aller Versicherten erzielt hätten. Im Rahmen des sog. "Rentenreforrngesetzes 1992" ist der Zeitraum der rentenrechtlichen Absicherung junger Eltern weiter ausgedehnt worden. Bei Geburten ab 1992 werden drei Erziehungsjahre pro Kind anerkannt; die Anrechnung erfolgt jedoch weiterhin auf dem Niveau von 7S Prozent des durchschnittlichen Verdienstes aller Versicherten. Die Reforrngesetzgebungen der konservativ-liberalen Bundesregierung zur rentenrechtlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten sollen im folgenden detailliert untersucht werden. Ich werde mich auf drei Fragenkomplexe konzentrieren, die ich vorab kurz skizzieren möchte: (a) Strukturinnovation in der Rentenversicherung: Das Rentenrecht kann in soziologischer Perspektive als ein Ensemble von Regeln gelesen werden, nach denen der leistungsberechtigte Personenkreis bestimmt und die sozialen Sicherungsansprüche der Art und der Höhe nach defmiert werden. Neben der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Dreh- und Angelpunkt der Zuteilung von Rentenansprüchen gibt es einige an-

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dere leistungsauslösende Tatbestände im Rentenrecht (Ausbildung, Arbeitslosigkeit, Wehrdienst usw .), die freilich sehr unterschiedl ich bewertet werden (Art der Anrechnung, zeitlicher Umfang der Berücksichtigung, Bewertungsprozentsatz). Die Kindererziehungszeiten mußten in diese Systematik von Verteilungs- und Belohnungsregeln eingeordnet werden. Das heißt, es war darüber zu entscheiden, wie die Erziehungsarbeit im Vergleich zu den sonst im Rentenrecht berücksichtigten Tatbeständen bewertet werden sollte. Den innovativen Gehalt der für dieses Entscheidungsproblem gewählten Lösung werde ich in Abschnitt II auszuloten versuchen. (b) Norm- und Zielkonflikte: Eine weitere Entscheidung, welche die Sozialpolitiker bei der Formulierung des Eniehungszeiten-Gesetzes zu treffen hatten, bezieht sich auf die Frage, ob auf Erwerbsarbeit gegriindete Rentenansprüche einerseits und auf Erziehungsarbeit beruhende Versicherungsleistungen andererseits unbeschränkt sollten kumuliert werden können. Mit anderen Worten: Sollten nur oder überwiegend nichterwerbstätige Mütter bzw. Väter oder auch berufstätige Eltern in den Genuß der Vergünstigung kommen? In dieser Frage nahmen Regierung und Opposition eindeutig gegensätzliche Standpunkte ein. Sie favorisierten unterschiedliche Lösungsmodelle, zu deren Begründung sie sowohl auf einschlägige Gerechtigkeitsprinzipien verweisen, aber auch eine Reihe von funktionalen Argumenten anführen konnten. In weIcher Weise die konträren Verteilungsnormen und verschiedenen Zielsetzungen von den Konfliktparteien abgewogen wurden, werde ich in Abschnitt m ansatzweise herausarbeiten. (c) Motive und Kalküle der politischen Akteure: Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, was eigentlich die christlich-liberale Regierungskoalition Mitte der 80er Jahre zu der neuen Weichenstellung in der gesetzlichen Rentenversicherung veranlaßt hat. Erklärungsbedürftig ist in dem Zusammenhang vor allem, warum die Erziehungszeiten nicht nur ex nunc, sondern in der ersten "Reformrunde" auch (begrenzt) rückwirkend angerechnet worden sind. Einbezogen wurden 1985/86 nämlich nicht nur diejenigen Eltern, die ab dem Zeitpunkt des lnkrafttretens der Regelung Kinder bekamen bzw. erzogen, sondern alle neuen Rentenfälle, in den Folgejahren sogar der gesamte Rentenbestand. In Abschnitt IV möchte ich am Beispiel der Kindererziehungszeiten zeigen, daß der sozialpolitische Gesetzgebungsprozeß in hohem Maße durch kurzfristig-situative Erwägungen der politischen Akteure beeinflußt wird, die ihre Klientel in wahlpolitisch rationaler Weise "bedienen".

11.

Zur Lokalisierung der Kindererziehungszeilen im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung

Im deutschen Rentensystem galt bis zu den Reformgesetzgebungen der 80er Jahre allein

die Erwerbsarbeit als Maßstab für die Gewährung von Leistungsansprüchen: Voraussetzung für den Bezug von Altersruhegeld ist eine Erwerbsbeteiligung oberhalb einer gewissen zeitlichen und monetären Geringfügigkeitsschwelle (Wartezeit, Versicherungspflichtgrenze). Ferner sind sowohl die Beitragszahlungen strukturell an die individuellen Erwerbseinkommen gekoppelt wie auch die Höhe des "Alterslohns" sich nach

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der zurück.liegenden "Lebensleistung" bemiß!. Eine Äquivalenzbeziehung zwischen Beiträgen und Leistungen wird in der gesetzlichen Rentenversicherung also nicht direkt, d.h. nach den Regeln der Versicherungsmathematik, sondern nur über den "Umweg" der Koppelung beider Seiten an die Markteinkommen gewährleistet. ln der Rentenformel , nach der die individuelle J ahres- bzw. Monatsrente berechnet wird, kOlnmen Kriterien zum Tragen, die den relativen Status der Versicherten auf dem Arbeitsmarkt indizieren. Zum einen wird die lebensdurchschnittliche Einkommensposition der Erwerbstätigen ermittelt und als Bemessungsgröße fiir die gesamte Nach-Erwerbsphase festgeschrieben (Entgeltfaktor). Zum anderen wird die Dauer und Stetigkeit seiner/ihrer Erwerbsbeteiligung festgestellt und bewertet (Zeitfaktor). Diese bei den Bemessungskriterien werden in der Rentenformel in einer Weise miteinander kombiniert, daß sich ihre Verteilungswirkungen potenzieren und nicht etwa in der Tendenz wechselseitig neutralisieren. l Die enge Koppelung der Alterssicherung an den Arbeitsmarkt hat zur Folge, daß der selbsterworbene "Alterslohn" von Frauen oftmals sehr gering ist, werden sie doch insbesondere durch die Erziehung von Kindern vielfach daran gehindert, einer kontinuierlichen Voll zeit beschäftigung nachzugehen und die rentenrechtl ichen "Normalitätsstandards" zu erfüllen. Zwar kennt das deutsche Rentenrecht eine Reihe von sog. "Elementen des sozialen Ausgleichs", welche die Begünstigungs- und Benachteiligungseffekte des lohnbezogenen Äquivalenzprinzips z.T. mildem, wie z.B. die besondere Bewertung der ersten Pflichtbeitragsjahre oder die sog. "Rente nach Mindesteinkommen". Doch den Fall der Kindererziehung hatte man bis 1986 noch nicht in die Palette der zentralen als "ausgleichswürdig" behandelten Tatbestände des Rentenrechts aufgenommen. Deshalb weisen die Versicherungsverläufe von (verheirateten) Frauen - analog zu ihren Erwerbsbiographien - in der Regel große Lücken auf. Ulfe Versichertenrenten sind folglich im Durchschnitt beträchtlich niedriger als die von Männem 2 Die Kindererziehungszeiten sind eine "Erfindung", mit deren Hilfe die Einkommenssituation von Frauen im Alter gezielt verbessert, insbesondere der unterprivilegierte Status von Müttern mehrerer Kinder im erwerbsarbeitszentrierten Alterssicherungssystem merklich aufgewertet werden soU. Bevor ich zeige, an welcher Ste\1e die neue leistungsrechtliche Bestimmung in das bestehende System eingebaut worden ist und mit welcher Begründung dies in der gewählten Form geschehen ist, werde ich zum besseren Verständnis zunächst das im Detail recht unübersichtliche Bündel von Verteilungs- und BeJolU1ungsregeln der Rentenversicherung etwas genauer behandeln. Durch einen Ver-

Anschaulich ausgedrückt: Wer weniger venlienl (hai), bekomml auch eine niedrigere Renle, aber wer weniger verdienl (haI) und diskontinuierlich beschäftigl iSI bzw. war, bekomml eine noch niedrigere Rente. Da die Arbeitsmarlctrisiken bekanntlich in den unteren Lohngruppen kumulieren, es nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß sich diese Wirkungspotenzierung des Enlgelt- und des Zeitfaktors tatsächlich in den Rentenzablheträgen niederschlägt. Zur Analyse der deutschen Renlenformel vgl. auch ScbmäbJ 1976 und Scbewe t 980.

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Abgeleitete SicherungsanspfÜcbe (Witwenrenten), die an das ErwerbsverbalIen des Ehemannes anknüpfen und dement~precheDd in ihrer Höhe sehr variieren, kompensieren mit einiger Streuung die unzulänglichen VersicbertenreOlcn von Frauen. Vgl. zur VcrsorgungssituatioD der Frau im Alter

Pfaff 1988; Kaltenbach 1988; Koeppinghoff 1984; Ruland 1991.

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gleich mit anderen "sozialen" Kompensationsregelungen des Rentenrechts möchte ich herausfinden, inwieweit der traditionelle Rahmen des Leistungsrechts durch die Erziehungszeiten-Reformgesetzgebungen tatsächlich gesprengt wird. Wie erwähnt, übersetzt die deutsche Rentenformel sehr präzise die Erwerbsbiographien der Versicherten in deren Rentenbiographien. Dieser Übersetzungsvorgang ist in Abb.1 für einige ausgewählte erwerbsbiographische Situationen dargestellt: Der Fall (a) gilt als "Normalfall" und wird "leistungsgerecht" behandelt. Im Rahmen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung werden entsprechend dem individuellen Verdienst Pflichtbeiträge an die Rentenkasse abgeführt und im Gegenzug - die erreichte Einkommensposition exakt widerspiegelnd - Pflichtbeitragszeiten auf dem Versicherungskonto notiert. Solche Zeiten wirken rentenbegTÜndend, d.h. sie werden auf die allgemeine Mindestversicherungszeit angerechnet und gelten darüber hinaus als Guthaben rur die ErfUllung sonstiger Anspruchsvoraussetzungen im Leistungsrecht. Zeiten der Nichterwerbstätigkeit werden spiegelbildlich stets als "Nicht-Leistungstatbestände" gewertet und als Leerstellen auf dem jeweiligen Versicherungskonto verbucht ("devianter" Fall b) - wenn nicht eine der vorgesehenen sozialen Ausgleichsregelungen wirksam wird und den Versicherungsverlauf "nonnalisiert". Das Instrument der Ausfallzeiten, im neuen Rentenrecht "Anrechnungszeiten" genannt (§ 58 SGB VI), ist wohl die bekannteste Kompensationsregelung. Mit seiner Hilfe werden in bestimmten Fällen, z.B. beim Tatbestand der Ausbildung (Fall cl, die Lücken an der entsprechenden Stelle in der Rentenbiographie geschlossen, und zwar dann, wenn der/die Versicherte selbst in seinem/ihrem Erwerbsleben gewisse "Nonnalitätsstandards" erfUllt hat,3 bzw. nur in dem Maße, wie er/sie selbst sich "solidarisch" gegenüber der Solidargemeinschaft verhalten und diese während des Erwerbslebens finanziell unterstützt hat. 4 Ausfallzeiten sind also eine "generöse" Solidarleistung der Versichertengemeinschaft, die sich der/die Anspruchsberechtigte durch sein/ihr "pflichtgemäßes" Verhalten während der übrigen Versicherungszeit gewissennaßen "verdient" hat. Sie wirken als nicht durch Beiträge gedeckte Zeiten allerdings nur rentenerhöhend, nicht auch rentenbegfÜndend und werden individuell verschieden, entsprechend der sonst lebensdurchschnittlich erzielten Einkommensposition bewertet (Kompensationslogik). Die Kosten werden z.T. auf alle BeitragszahIer umgelegt, teilweise aber auch aus allgemeinen Steuermitteln beglichen (Bundeszuschuß).

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Ausrallzeilen sind nacb allem Renlenrechl nur dann anrechenbar, wenn die Zeil vom Eintrill in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsralles mindeslens zur Hälfle mil Pflichl- oder diesen gleichgesleUlen Beiträgen belegl ist (sog. "Halbbelegung" - § 1259 Abs.3 RVO). Wer diese "Hürde" der Beilragsdicble nicht überwindei, gelangt nicht in den engeren sozialversicherungsrechUichen Schulzhereich hinein ("Alles-oder-NicblS-Prinzip" - Ruland 1988: Rz. t 77).

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Im neuen Renlenrecbl enliliUt das Prinzip der Halbhelegung; Anrechnungszeilen werden nun oboe weilere Vorausselzungen anerkannt. Statt dessen fiodel der "NormalimlSgrad" der Erwerbs- und Versicberungsbiographie unmillelbar bei der Bewertung der beitragslosen Zeilen seinen Niederschlag. Große Versicherungslücken werden in Zukunft eine niedrigere Bewertung zur Folge hahen (sog. "Gesamtleistungsbewertung" - §§ 7t-74 SGB Vl).

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Ahh. I: Spiegelung der Erwerbshiographie in der Relllellbiographie -

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Finan"ierungsscitc (Rentenkasse )

Lcistungsscitc

Fallbeispiel

Erwerbsbiographie

(a)

versicherungspflichtige Beschäftigung

Pl1ichtbeitrag des/der Versicherten

Pl1ichtbeitragszeit

(b)

keine versicherungspllichtige Bescbäftigung

BeitragsausfaU

Lücke

(c)

Ausbildung

Solidarausgleich (Bundeszuschuß, Umverteilung)

Ausfallzeit (beitragslose Zeit)

(Versicherungskonto)

t-

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-

(d)

z.B. Hausarbeit

freiwilliger Beitrag des/der Versicherten

freiwillige Beitragszeit

(e)

Webr- oder Zivildienst

Pllichtbeitrag des Bundes

fiktive Pl1ichtbeitragszeit

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(f)

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Arbeitslosigkeit mit Bezug von Leistungen nach dem AFG

---(g)

Pllichtbeitrag der Bundesanstalt für Arbeit

-Mutterschaftsurlaub

Pl1ichtbeitrag des Bundes

fiktive Pllichtbeitragszeit

fiktive Pl1icbtbeitragszeit -

Des weiteren besteht seit 1972 die Möglichkeit, daß Nichterwerbstätige freiwillig Beiträge in die Rentenkasse einzahlen, um beispielsweise die Mindestversicherungszeit zu erfüllen (FaU d). Eine Beitragszeit, die durch freiwillige Beitragsleistungen erworben wird, hat remenbegründende Wirkung, ist allerdings nicht ganz so "wertvoll" wie eine durch Pflichtbeiträge gedeckte. 5 Gleichwohl ist bemerkenswert, daß hier zumindest dem Grundsatz nach der lohnarbeitszentrierte Vorbehalt der sozialen Sicherung (vgl. Vobruba 1990: 28f.) aufgehoben wird. Es wird den Versicherten anheirngesteUt zu ent5

Seil t 984 kann z.B. der lnvalidilätsschutz durch solche freiwilligen monetären Eigenleistungen nicht mehr verlängert werdeo.

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scheiden, ob sie auch ohne Lohnarbeit (oberhalb der Schwelle der Versicherungspflicht) dazu bereit sind, für ihren Ruhestand ausreichend Vorsorge zu treffen. Die Rentenversicherung beschränkt sich darauf, den Eingang der Beitragszahlungen zu registrieren und nach den Verteilungsregeln des Marktes in äquivalente Rentenleistungen zu übersetzen 6 Wer nur die gesetzlichen Mindestbeiträge zahlt, erwirbt auch nur minimale Rentenansprüche. Mit Blick auf das eingangs angesprochene Bezugsproblem ist jedenfalls festzuhalten, daß die durch Kindererziehung entstehenden großen Lücken in den Versicherungsverläufen von Frauen auf diesem Wege in der Regel nicht geschlossen werden können. Denn für junge Familien stellen häufig schon geringfügige freiwillige Beitragszahlungen eine enorme fmanzielle Belastung dar, wenn gleichzeitig nämlich ihr verfügbares Haushaltseinkommen durch das Ausscheiden eines der Elternteile aus dem Erwerbsleben sinkt. Wenn aber weder den Versicherten selbst die finanziellen Belastungen einer freiwilligen Absicherung zugemutet werden können oder sollen, noch die Versichertengemeinschaft insgesamt die finanzielle Verantwortung für die Kompensationsleistung tragen soll (wie bei den Ausfallzeiten), darm kommt im deutschen Sozialversicherungssystem als dritte Möglichkeit in Betracht, daß andere Sozialleistungsträger einspringen und die ftir eine ausreichende rentenrechtliche Absicherung erforderlichen Beitragszahlungen anstelle der Versicherten übernehmen. Dies ist der Grundgedanke bei dem Modell der fiktiven Beitragszeiten (vgl. Grandi 1990: Rz.25-27), das in den Beispielen (e) bis (g) Anwendung findet. Hier werden für Situationen der Nichterwerbstätigkeit Pfliehtbeitragszeiten auf dem Versieherungskonto gutgeschrieben, weil (und solange wie) der Beitragsausfall in der Rentenkasse durch adäquate Zahlungen derjenigen Instanzen kompensiert wird, die für die Absieherung des jeweiligen Risikos "originär" zuständig sind. So sind Wehr- und Zivildienstleistende während ihrer Einberufungszeit pflichtversichert, obwohl sie selbst keine Beiträge an die Rentenversicherung abführen; dies übernimmt an ihrer Stelle der Bund (§§ 3 u. 170 SGB VI). Auch die Bezieher von Arbeitslosengeld oder -hilfe waren naeh diesem Modell in den Jahren 1978-82 pfliehtversichert und werden es ~b 1992 wieder sein; für die Beitragszahlung ist seit 1978 durchgängig die Bundesanstalt für Arbeit zuständig (ebd.)7 Ebenso erfolgte die rentenrechtliehe Absicherung des Mutterschaftsurlaubs bis 1984 in Form von fiktiven Beitragszeiten; die Kosten trug in den Jahren 1979-81 der Bund, danach - abweichend von der geschilderten Grundregel - die Versichertengemeinschaft (§§ 1227 u. 1385 RVO a.F.). Bei den Wehr- und Zivildienstzeiten (Fall e) handelt es sieh aus mehreren Gründen um einen interessanten Sonderfall. Zum einen werden von den Betreffenden selbst Dienste

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Auf den KontoauszUgen, welche die Versicberungsträger an ibre Mitglieder verschicken, ist bezeicbnenderweise nicbt die Höhe der monatlichen Beiuagszablungen notiert, sondern das den Beitragszahlungen zugrunde liegende Arbeitsentgelt als Beitrag vermerkt. Bei den freiwilligen Beiträgen fingieren die Versicberungsträger ein entsprecbendes Arbeitsentgelt, das ihnen beim Lohnabzugsverfabren zugrunde gelegen bätte. Der Hinweis auf die Zuteilungsregeln des Arbeitsmarktes könnte kaum deutlicher ausfallen.

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In den Jahren 1983-91 sind trotz der Fremdfinan7jerung durcb die Arbeitslosenversicherung nur Ausfallzeiten angerechnet worden. Dies vorübergebend praktizierte Verfahren, beiuagslose Zeiten durch Beiträge zu finanzieren, i

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