DIE PERSÖNLICHE FREIHEIT DER VERSUCHSPERSONEN IN DER HUMANFORSCHUNG

DIE PERSÖNLICHE FREIHEIT DER VERSUCHSPERSONEN IN DER HUMANFORSCHUNG GRUNDLAGEN UND GRENZEN DES „INFORMED CONSENT“ lic. iur. Benedikt van Spyk, Recht...
Author: Eugen Klein
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DIE PERSÖNLICHE FREIHEIT DER VERSUCHSPERSONEN IN DER HUMANFORSCHUNG

GRUNDLAGEN UND GRENZEN DES „INFORMED CONSENT“

lic. iur. Benedikt van Spyk, Rechtsanwalt

Zu meiner Person 



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Bis 2004: Studium der Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen Seit 2004: Masterstudium der Philosophie an der Universität Hagen sowie Promotionsstudium an der Universität St. Gallen 2008: Patent als Rechtsanwalt Seit 2008: Gastdoktorand am Institut von Prof. Taupitz für Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik in Mannheim/Heidelberg

Ziele und Aufbau 



Ziel: Diskussion über das juristische Konzept des informed consent in der Humanforschung und seine Praxistauglichkeit Aufbau:  I.

Grundlagen  II. Voraussetzung eines gültigen informed consent  III. Problemfelder  IV. Mögliche Lösungsansätze

I Grundlagen

Bereits 1986 haben Faden/Beauchamp festgehalten: „The concept of informed consent is a cornerstone in modern medical research ethics and has almost reached the position of an infallible dogma“

Fundierung des informed consent im Grundrecht der persönlichen Freiheit 



Primäre Grundlage des informed consent ist das Recht auf Selbstbestimmung als Teilgehalt des Grundrechts auf persönliche Freiheit und der Menschenwürde. Sekundär leitet sich der informed consent als Einwilligung in eine Körperverletzung aus dem Schutz der persönlichen Integrität ab.

Informed consent und die Körperverletzungsdoktrin 



In der Grundlegenden und bis heute in Rechtsprechung rezipierten Entscheidung des Reichgerichts von 1894 wurde der indizierte und lege artis durchgeführte (Heil)Eingriff als Körperverletzung definiert. Ohne gültige Einwilligung der betroffenen Person ist jedes ärztliche Handel grundsätzlich widerrechtlich und kann zu straf-, zivil- und berufsrechtlichen Konsequenzen führen.

Folgen der Körperverletzungsdoktrin 

Die Fokussierung auf den informed consent als Rechtfertigung einer Integritätsverletzung rückt stark die Einwilligung als Abschluss des Aufklärungsgesprächs und damit auch den Umfang der Aufklärungspflicht in den Mittelpunkt der Diskussion.

II. Voraussetzungen eines gültigen informed consent

Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung 

Grundsatz:  Zuständige  handlungs-

bzw. zumindest aber urteilsfähigen Person

selbst,  hat vor dem Eingriff,  ausdrücklich,  freiwillig und  gestützt auf eine hinreichende Informationsgrundlage  die Einwilligung in den Eingriff erteilt und  vor dem Eingriff nicht widerrufen.

Aufklärung E HFG Art. 16 Einwilligung nach Aufklärung Eine Person darf in ein Forschungsprojekt nur einbezogen werden, wenn sie nach hinreichender Aufklärung eingewilligt hat. Die Einwilligung ist schriftlich zu erteilen; der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen. Die betroffene Person muss in verständlicher Form mündlich und schriftlich aufgeklärt werden über: a. Art, Zweck, Dauer und Verlauf des Forschungsprojekts; b. die voraussehbaren Risiken und Belastungen; c. den erwarteten Nutzen des Forschungsprojekts, insbesondere für sie oder für andere Personen; d. die Massnahmen zum Schutz der erhobenen Personendaten; e. ihre Rechte. 3 Bevor die betroffene Person über die Einwilligung entscheidet, muss ihr eine angemessene Bedenkfrist eingeräumt werden. 4 Der Bundesrat kann weitere Inhalte der Aufklärung festlegen.

Internationale Richtlinien 

Deklaration von Helsinki (2008) Ziff. 24: 



“After ensuring that the potential subject has understood the information, the physician or another appropriately qualified individual must then seek the potential subject's freely-given informed consent, preferably in writing. “

CIOMS Guideline 6: 

“[…] seek consent only after ascertaining that the prospective subject has adequate understanding of the relevant facts and of the consequences of participation and has had sufficient opportunity to consider whether to participate;”

Urteilsfähigkeit = Einwilligungsfähigkeit 

Art. 16 Zivilgesetzbuch Vermutung der Urteilsfähigkeit  Relativität der Urteilsfähigkeit  Voraussetzungen: 

Erkenntnisfähigkeit  Entscheidungsfähigkeit  Steuerungsfähigkeit 

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Keine spezialgesetzlichen Vorgaben Art. 14 Abs. 3 Zusatzprotokoll Biomedizinkonvention 

“3. Where the capacity of the person to give informed consent is in doubt, arrangements shall be in place to verify whether or not the person has such capacity.”

Freiwilligkeit 

Art. 13 E HFG: 



Art. 28 E HFG 



When seeking informed consent for participation in a research study the physician should be particularly cautious if the potential subject is in a dependent relationship with the physician or may consent under duress.

ICH-GCP Ziff. 4.8.3 



Verbot einer Erleichterung des Freiheitsentzugs

Deklaration von Helsinki Nr. 26 



Verbot finanzieller Anreize bei behandlungsbezogener Forschung

Neither the investigator, nor the trial staff, should coerce or unduly influence a subject to participate or to continue to participate in a trial.

CIOMSGuideline 7 

Sponsors and investigators have a duty to: refrain from unjustified deception, undue influence, or intimidation;

III. Problemfelder

Ungenügende Erfassung der Kommunikationssituation 





Senderbezogenheit: Informationsmenge steht im Fokus Ungenügende Differenzierung bei Aufklärungserfordernis Dawson: „we have good empirical evidence that many (perhaps even most) competent adults do not unterstand the information provided by researchers to the degree necessary to hold that they have given a fully informed consent“

Prozedurale Unterbestimmtheit des Kriteriums der Urteilsfähigkei 

Grenzfälle  Kinder

und Jugendliche  alte Menschen  (schwer)kranke Patienten  Personen mit psychischen Störungen  



Zuständigkeit zur Bestimmung der Urteilsfähigkeit Instrumente/Methoden zur Bestimmung der Urteilsfähigkeit Dokumentation/Beweis der Urteilsfähigkeit

Ungenügendes Problembewusstsein 

Asymetrische Beziehungsstruktur:  Urteil

des BGer vom 28. April 2003 (4P.265/2002), E. 5.2: Le consentement éclairé du patient doit être donné librement, […] il peut être en effet difficile de distinguer le conseil et la persuasion dont fait preuve un médecin consciencieux de la pression morale exercée par le praticien dont l'intensité invalide le consentement du malade

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Beeinflussung durch finanzielle Anreize Beeinflussung durch Kosten der Standardbehandlung

IV. Lösungsansätze

Aufklärungsgespräch 

Process failures  Beschränkung

der Informationsmenge  Stärkere Fokussierung auf das Aufklärungsgespräch  Stärkung der Ausbildung der Forscherinnen und Forscher in Bezug auf laienverständliche Kommunikation  Kursorische Verständnisprüfung nach Aufklärung 

Framing failures  Insb.

therapeutical misconception

Urteilsfähigkeit 

Supported decision-making Persönliche Begleitung des Entscheidungsprozess„  Möglichkeiten der Entscheidungsdelegation aufzeigen 



Definition der Urteilsfähigkeit allenfalls im Prüfplan Definition der relevanten Fähigkeiten  Definition des minimal zu erreichenden Fähigkeitenlevels  Definition eines empirischen Tests zur näheren Bestimmung der Fähigkeiten der Versuchsperson (Competence Assessment)  Dokumentation der Prüfung der Urteilsfähigkeit 

Freiwilligkeit  



Klarere Definition unsachlicher Beweggründe Für jedes Forschungsprojekt sind mögliche Beeinträchtigungen der Freiwilligkeit zu evaluieren. Erfassen der Motivation zur Forschungsteilnahme bei Einholung der Einwilligung

Diskussion 

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Probleme des juristischen Konzepts des informed consent aus Sicht des Praktikers Praktikable Verbesserungsvorschläge Wünsche an die Rechtswissenschaft

„An even greater safeguard for the patient than consent is the presence of an informed, able, conscientious, compassionate, responsible investigator …“ (Henry Beecher)