Die letzten Juden im Heiligen Land

Die letzten Juden im Heiligen Land Fünf Tage vor dem vereinbarten Interviewtermin stirbt Carmen Weinstein im Alter von 82 Jahren. Nun verbleiben von e...
Author: Achim Martin
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Die letzten Juden im Heiligen Land Fünf Tage vor dem vereinbarten Interviewtermin stirbt Carmen Weinstein im Alter von 82 Jahren. Nun verbleiben von einst 100.000 nur noch 30 ägyptische Juden: 29 Frauen und ein Mann. Von Mohamed Amjahid

Es gab es… jüdisches Leben in Ägypten: Familie Fedida im Jahr 1950 (Bild: Y. Fedida/CC)

Elf Juden leben zurückgezogen im einstig jüdisch geprägten Alexandria und neunzehn hier in der rein weiblichen Gemeinde der ägyptischen Hauptstadt. Gerade Mal eine Handvoll hat es zum Gottesdienst in die alte Synagoge Schaar Haschamaim in der Kairoer Innenstadt geschafft. Bei der Beerdigung ihrer ehemaligen Gemeindevorsitzenden fehlen die meisten der letzten Jüdinnen Kairos, sie liegen altersbedingt selbst auf dem Sterbebett. In der ersten Reihe haben zwei sehr alte Frauen Platz genommen. Es sind zwei geschrumpfte, buckelige, stille Frauen. Es sind zwei Jüdinnen. Ihre weißen Haare sind mit schwarzen Haarreifen nach hinten gezogen. Überhaupt sind sie an diesem schwülen Nachmittag im Partnerlook in die Synagoge gekommen: knielanger Rock, schwarze Weste, weiße Bluse, simpler Krückstock, hübsche Pflegekraft. Die eine hat ihren Kopf auf die Schulter der anderen gestützt. Wie eine Statue werden sie in dieser Position ausharren. Die Zeremonie wird sich in die Länge ziehen. Ihr abwesender Blick immer auf den Nebenraum fixiert, in dem Carmen Weinstein auf die Reise zum Friedhof wartet. “Mein Kampf” liegt am Boden

Magda Haroun, das zweitjüngste Gemeindemitglied, ist seit 24 Stunden per Konsens neu gewählte Gemeindevorsitzende. Sie trägt heute die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Trauerfeier. Magda Haroun ist sechzig Jahre alt, sieht aber wie fünfzig aus. Ihr Teint ist blass, in der Mitte ihres Kinns liegt eine markante Kerbe, links unter ihrer Nase ein kleines Muttermal. Am Tor der Synagoge begrüßt sie die Gäste und gibt per Augenkontakt Anweisungen an die Polizisten in Zivil: „Den kenne ich, den nicht“, signalisiert sie den Sicherheitsbeamten. Journalisten, die sie meistens nicht kennt, werden abgetastet und auf eine abgesperrte Tribüne am Rande des Innenhofs verwiesen. Magda Haroun betreibt mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Nadia eine Patentkanzlei. Jüdischen Nachwuchs gibt es hier nicht mehr. Ihre beiden Töchter leben im Ausland. Fast alle Juden Ägyptens wurden unter Präsident Gamal Abdelnaser im Zuge der arabisch-israelischen Konflikte enteignet, ausgebürgert und vertrieben. Sie gingen nach Israel, Frankreich und Latein Amerika. Shahata Haroun, Magdas verstorbener Vater, war auch Patentanwalt und hat sich seines Lebens geweigert Ägypten zu verlassen. Er durfte als einer der wenigen Juden dank einer persönlichen Amnestie von Präsident Abdelnaser bleiben. Denn für viele ältere Ägypter ist der Name Haroun ein Begriff, der für den Kampf gegen den Zionismus steht. Shahata lehnte den Friedensvertrag von Camp David ab, sah sich als Vorkämpfer für die Causa Palästina und warb für ein Rückkehrecht der ägyptischen Juden. Nun passiere allerdings, was Magdas Vater bis zu seinem Tod im Jahr 2001 verhindern wollte: „Wir sterben aus“. So beginnt und schließt Magda, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, jedes Gespräch, jede Rede, jedes Interview. Wenn sie spricht, merkt man an ihrem Atem und ihrer Stimme, dass sie Kettenraucherin ist. Die Kanzlei Haroun&Haroun liegt fünf Minuten zu Fuß in einer Parallelstraße von der Synagoge aus gesehen. Auf halbem Weg bietet ein Straßenverkäufer Hitlers „Mein Kampf“, Rommels „Infanterie“ oder die Tagebücher von Joseph Goebbels in der arabischen Spezialedition an. Wer alle drei Werke zum Vorteilspreis erwirbt, bekommt die Broschüre „Die Zionistischen Protokolle“ gratis dazu. Synagogen werden zu Pyramiden In einem klapprigen Fahrstuhl geht es in den fünften Stock. Der dürre Sekretär macht nur zögerlich die schmale Tür auf. Bloß keine ungebetenen Gäste in das Büro lassen. Er zittert vor Ehrfurcht wenn seine Chefinnen mit ihm sprechen. Außer Drohungen ist zwar noch nie etwas passiert. Aber sicher ist sicher. Magda Haroun ist am Vorabend der Trauerfeier nervös, raucht hastig eine Zigarette halb auf. Ihr zerknülltes Redemanuskript liegt verstreut auf dem Schreibtisch. Daneben klingeln alle drei Mobiltelefone gleichzeitig. Nein, sie achte nie auf die Buchverkäufer auf ihrem Weg von der Synagoge zum Büro. Eine Nachfrage, dass man diese Bücher eigentlich nicht übersehen kann, bringt ihre Schulter zum zucken: „Je ne sais pas“, Haroun besuchte als Kind das französische Gymnasium in Kairo. Sie fühlt sich besser wenn sie französisch spricht und wenn sie den hier allgegenwärtigen, über Medien, Bildungssystem und fast allen politischen Strömungen verbreiteten Antisemitismus nicht kommentieren muss: „Die Ägypter haben eigentlich kein Problem mit Juden, sie verwechseln uns nur meistens mit Israelis.“ Das Patentbüro ist überdekoriert, wirkt wie ein Ramschladen, kein Fleck der nicht mit kleinen Statuen, gestickten Deckchen oder Bildern verschönert wurde. Auf einer Kommode steht eine Menora, das Wachs der letzten Kerze ist verstaubt. Es sieht nicht nach einem lebhaften

jüdischen Alltag hier aus. Jüdin in Kairo zu sein, das bedeutet seiner Arbeit nachzugehen, an einigen hohen Festen in eine von Polizisten gesicherten Festung namens Schaar Haschamaim zu gehen, oder wie Magda Haroun seine jüdische Verantwortung nicht zu übergehen. Ihre neue Hauptaufgabe bestehe darin, das jüdische Kulturgut in Ägypten abzuwickeln, so formuliert es Haroun selbst. Konkret werde sie ab Übermorgen dafür kämpfen, dass der ägyptische Staat sich verpflichtet, Synagogen, Friedhöfe und Torarollen als Nationalerbe zu betrachten. Die UNESCO soll dabei helfen, Juden in aller Welt sollen dafür spenden: „Wenn wir erreichen, dass die Synagogen so wie die Pyramiden behandelt werden, haben wir es geschafft“. Für ausländische Reporter hat Haroun nur wenig Zeit. Eine Ausnahme mache sie für den Journalisten aus Deutschland, betont sie immer wieder von selbst. Sie wolle sich eigentlich auf die ägyptischen Medien konzentrieren: „Schließlich überlassen wir den Ägyptern bald alles was wir besitzen. Schließlich ist das hier auch unser Heiliges Land“. Was würde Moses wohl sagen? Wer das Heilige Land, von dem Magda Haroun erzählt, entdecken will, muss sich in einen Ferienflieger nach Sharm El Scheich am Roten Meer setzen, 50 Minuten dauert der Flug von Kairo aus. Dann geht es mit dem Minibus in der Touristengruppe eine Stunde Richtung Norden. „Moses zog gottesfürchtig seine Schuhe aus, genau an dieser Stelle“, sagt Mohammed der Reiseführer, „Hier lauschte er barfuss dem Befehl seines Herren, das Volk Israel aus Ägypten zu führen. Ungefähr dort brannte der Dornbusch der in Tora, Bibel und Koran erwähnt wird“. Adam aus New York, der mit seiner Frau Urlaub in Israel und heute einen Gruppenausflug auf dem Berg Sinai macht, kramt eine kleine Digitalkamera aus seiner Bauchtasche: „Schade, dass wir über eine Grenze müssen, um das zu sehen“. Seine Schnappschüsse zeigen eine verschwommene Felswand. Mohammed murmelt auf Arabisch eine Fürbitte: „Gott verzeihe mir meine Sünden an diesem Ort“. Das Schuldgefühl Juden herumzuführen belastet ihn anscheinend enorm. Er kämpfte als junger Mann gegen den Feind, sah wie „die Juden“ sein geliebtes Sinai besetzten, bekam ein Abzeichen als er sie mit seinen Kameraden zurückdrängte. Nun muss er Adam und Co durch diese, seine heilige Landschaft führen. Sein Gast und Kunde macht ihm aber nicht gerade das Leben leicht: „Ihr Ägypter müsst gut mit dem Heiligen Land umgehen! Hörst Du?“, scherzt Adam doppeldeutig. Das Knirschen von Mohammeds senffarbenen Zähnen ist bei jedem Kommentar dieser Art nicht zu überhören. Es ist aber Nebensaison und seit Beginn der Revolution kommt der Tourismus in Ägypten, vor allem auf dem Sinai nur schleppend aus der Krise. Da bleibt kein Platz für Nationalstolz. Dafür geht es nun demonstrativ weiter auf den Gipfel. Mohammeds Betonung liegt auf eine dort „wartende, wunderschöne Moschee“. Überall in Sankt Katharina am Fuße des heiligen Mosesbergs und am nahegelegenen Badeort Scharm El Scheich wehen diese Woche ägyptische Fahnen in einem angenehmen Nordwestwind, erinnern Plakate an die Befreiung des Sinai von der israelischen Besatzung vor einunddreißig Jahren. Oder wie es Mohammed bei Tee und Kippe auf dem Gipfel formuliert: „Als wir die Judenschweine aus Ägypten vertrieben haben“. Eine lange, kurze Geschichte des Judentums Zum jüdischen Erbe gehören nicht nur heilige Schriften. Es ist viel mehr als sagenhafte Geschichten auf dem heutigen ägyptischen Hoheitsgebiet, die jüdische Touristen erkunden wollen. In Alexandria entstand drei Jahrhunderte vor Christus das hellenistische Judentum,

eine Mischung aus monotheistischer Glaubenspraxis und alt-griechischer Philosophie der Aufklärung. Kaiser Trajan ließ nach vier Jahrhunderten das Erbe der Juden in der ägyptischen Diaspora vernichten. Juden in Ägypten waren zu jeder Zeit Gewalt ausgesetzt. Doch die jüdische Kultur lebte trotz des Vernichtungswahns im Kleinen weiter. Sie überlebte in den Gläubigen, die wiederum regelmäßige Pogrome überlebten. Die letzten Juden selbst sind also die stärksten Zeugen eines einzigartigen multikulturellen Ägyptens, das bis ins zwanzigste Jahrhundert das jüdische Zentrum im ganzen Nahen Osten war. So finden sich in fast jedem Viertel von Alexandria und Kairo Synagogen, in denen bis vor hundert Jahren noch Judentum gefeiert und gelebt wurde. Heute sind die meisten von ihnen verfallen. Die Synagoge Schaar Haschamaim ist eine der letzten erhaltenen und genutzten jüdischen Gotteshäuser, auch wenn der Staub alle Sitzbänke weiß pudert. Auf der Pressetribüne im Innenhof der Synagoge drängen sich bei der Trauerfeier Kameramänner und Fotografen und säubern ihre Objektive vom Staub den sie selbst aufwirbeln. Magda Haroun, die Gastgeberin, hat schon am Vorabend in ihrem Büro den Zeitplan der Trauerfeier aufgegeben. Der aus Marrakesch eingeflogene Rabbiner schluchzt und stottert am Rednerpult als er aus der Tora vorliest. Der aus New York eingeflogene Repräsentant des „American Jewish Distribution Committee“ verspricht koscheres Essen für jeden Juden auf der Welt und überzieht dabei maßlos seine Redezeit. Ein alter Freund von Carmen Weinstein, der als Kind mit seinen Eltern nach Paris auswanderte, hat ein sehr langes Gedicht verfasst: „Die Pyramiden habe ich nie gesehen, aber jede einzelne Synagoge Ägyptens mit dir besucht Carmen“. Helle Freude und endlose Trauer Yaakov Amitai ist an der Reihe. Er tritt ans Rednerpult. Er ist auch Jude. Botschafter des Staates Israel. Das Summen, das Gelächter, die Störgeräusche auf der Pressetribüne verstummen. Eigentlich existiert dieser Mann gar nicht für ägyptische Journalisten. In der israelischen Botschaft in Kairo geht nie jemand ans Telefon. Wenn man eine Email an die offizielle Adresse schickt, antwortet stets der Mailer-Daemon. Wenn man im Außenministerium in Jerusalem nachfragt, wird keine Auskunft erteilt. Nun stet er da, groß gewachsen, schlaksig, umzingelt von Bodyguards und drückt seine Kippa fest auf seinen Hinterkopf. Er liest monoton und konzentriert sein einminütiges Statement vor. Die ägyptischen Journalisten lächeln erleichtert, sie haben bekommen was sie wollten: Einen raren öffentlichen Auftritt des Feindes im eigenen Land. Obwohl danach noch einige Reden folgen, packen die Kameramänner ihre Geräte schon mal ein. Und Magda Haroun kann, in der Tradition ihres Vaters, von nun an nie oft genug betonen, dass es zwischen den Juden in Ägypten und dem Staat Israel keine Beziehungen gibt Eine Stunde Fahrtzeit von der Innenstadtsynagoge entfernt, im südlichen Kairoer Bezirk Basatin, hauen hunderte weiß gepuderte Steinmetze im Akkord Bauklötze und Grabsteine aus großen Felsbrocken heraus. Zwischen dem Geräusch ihrer Hammerschläge liegt der jüdische Friedhof. Er erinnert an das Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Berliner Regierungsviertel. Die alten Gräber erheben sich aus dem Boden und formen ein Labyrinth in dem man sich schnell unwohl fühlt. Anders als die Betonquader in Berlin verrottet aber dieses Mahnmal vor sich hin. Die meisten der aus Sand erbauten Gräber zerfallen, fiese Dornbüsche nehmen ihren Platz ein. Die neue Gemeindevorsitzende hat für die ägyptischen Journalisten einen klimatisierten Bus organisiert: „Damit die Ägypter sehen in was für einer Misere wir leben und sterben“. Die Hälfte der Journalisten hat ihr Angebot angenommen. Alle nickten als

Haroun die Medienvertreter darum bat, Kameras und Fotoapparate im Friedhof aus Respekt vor dem Tod auszuschalten. Und so schreiten Trauerzug und dahinter der Medientross durch das Friedhofstor. Magda Haroun bleibt für einen Augeblick abwesend an einer kahlen Stelle stehen. Hier werde sie irgendwann, neben ihrem Vater liegen, flüstert sie einer Freundin zu. Als sie sich umdreht, sieht sie wie die Scheinwerfer der Kameras das Grab von Carmen Weinstein grell ausleuchten, wie sich Fotografen um den Sarg drängen, ein Journalist fast in die Grube fällt, wie durch die Erschütterungen eine Rinne aus Sand in das dunkle Erdloch fließt. Haroun wirkt bei diesem Anblick wie aus einer anderen Traumwelt in den Friedhof zurückkatapultiert. Sie schreit ihre einstigen Hoffnungsträger an. Am liebsten würde sie alle Journalisten wegschicken: „Hören Sie damit auf, lassen Sie uns in Ruhe!“. Am Tor des Friedhofs lugen ein paar Steinmetze mit ihren kleinen Lehrlingen auf den Trauerzug und wundern sich, dass hier seit langem wieder etwas los ist. In den nächsten Monaten werden sie sich wohl an den Anblick jüdischer Trauerzüge gewöhnen müssen.