E N T D E C K E R U N D P I RAT E N

Die letzte Reise der „Vizcaína“

Vor 500 Jahren starb Christoph Columbus – ein begnadeter Navigator, aber auch ein Entdecker, der an seiner Entdeckung scheiterte. Vor Panama liegt ein Wrack, auf dessen Planken wahrscheinlich das große Drama des Genuesen spielte. Von Klaus Brinkbäumer und Clemens Höges

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r ist Wissenschaftler und auch sonst ein geduldiger Mensch. Außerdem weiß Filipe Castro, dass die Dinge in der Dritten Welt immer noch mal ein bisschen länger dauern. Vor allem, wenn es um Ruhm und Geld geht, um viel Geld womöglich. Filipe Castro ist Unterwasserarchäologe der Texas A&M University, weltweit einer der Größten in seiner Disziplin, sein Name gilt etwas, in den USA, in Europa. In der Dritten Welt aber zählen andere Dinge, wenn es um ein Vermögen geht.

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Und so fühlt sich Castro inzwischen fast zu Hause in der Welt zwischen Texas und Panama. Er verhandelt mit Behörden, er bittet, er drängelt. Manchmal verhandelt er auch nur darum, weiter verhandeln zu dürfen. Es geht um ein Wrack, das wohl das wichtigste seiner Karriere ist – und vielleicht das derzeit wichtigste für die Unterwasserarchäologie überhaupt. Es liegt in dieser Bucht vor Panama, und zu Hause in Texas stehen die Wissenschaftler bereit, die Techniker, das Gerät – alles wars p i e g e l

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tet darauf, endlich dieses Wrack bergen und untersuchen zu dürfen. Doch in Panama, da gehen die Uhren anders. Da gibt es einflussreiche Leute, die überhaupt kein Interesse daran haben, dass dieses Wrack untersucht und geborgen wird. Denn man könnte es ja auch plündern, auseinanderpflücken und in Einzelteilen an reiche Sammler in aller Welt verkaufen. Es wäre so einfach, es liegt nur sechs Meter tief – in dieser Bucht, in der Christoph Columbus vor über 500 Jahren scheiterte.

Columbus’ (M.) Landung auf den Bahamas

CARL VANDENHOLE / SPIEGEL TV (L.); CORBIS (R.)

Anker des Wracks vor der Bucht Nombre de Dios

Diver’s Haven heißt der Ort heute, der Hafen der Taucher. Diver’s Heaven, der Himmel der Taucher, so sprechen die Leute den Namen aus. „Santa Gloria“, so hatte Christoph Columbus die Bucht genannt, und dann, in den Wochen danach, muss er sich gefühlt haben wie von Gott verlassen, seinem Gott. Jenem Gott, der ihn auserwählt hatte, das glaubte Columbus. Es waren höllische Zeiten für ihn: Columbus war krank, er sah kaum noch etwas, und seine Schiffe zerfielen ihm unter

den Füßen,Tausende Meilen von Spanien entfernt. Und heute, 500 Jahre später: Ist dies der Himmel für James Norris – einen ehemaligen Animateur, der hier eine Tauchbasis aufmachen will – oder das Ende seiner Träume? Von Panama City braucht man mit dem Auto anderthalb Stunden bis nach Portobelo. Von Portobelo braucht man etwa eine Stunde, bis man in Nombre de Dios ist und damit in der Dritten Welt. Von Nombre de Dios braucht man noch einmal 20 Minuten, bis man in Diver’s s p i e g e l

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Haven ist. Es gibt viel Staub auf diesem Weg und eine Menge Schlaglöcher. Es ist nicht wirklich gemacht für Massentourismus. Aber es ist schön hier. Hängematten baumeln zwischen den Palmen. Hühner und Hunde laufen herum, ein Volleyballnetz ist aufgebaut, und wenn man von den Tischen vor James Norris’ bunt bemaltem Haus aufsteht und 30 Sekunden lang läuft, dann steht man im Karibischen Meer. Es ist der Himmel der Taucher. 69

E N T D E C K E R U N D P I RAT E N Karibisches M eer

Stationen der 4. Reise 1502 – 1504

COSTA RICA

Nombre de Díos (Bastimentos) Portobelo

Die Reisen des Columbus

Colón Santa María de Belén

PA N A M A

Panama City

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Westwind-Drif t NORDAMERIKA

Bahamas

Kuba

San Salvador

Puerto Rico Jamaika

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Kartenausschnitt

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Trinidad

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Atlantischer

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S Ü DA M E R I K A

Ozean

N ASA

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Als James Norris anfängt mit seinem Geschäft, tut er, was jeder Gründer einer Tauchbasis macht: Er fragt die Fischer der Gegend, wo die meisten Fische sind. Es ist eine dieser klassischen Taucherregeln: Fische sammeln sich an Riffen und Wracks, also dort, wohin auch die Taucher wollen. Die Fischer nennen James Norris fünf, sechs Stellen in der Bucht von Nombre de Dios, und James Norris nimmt Schnorchel und Flossen und erkundet die Gegend. Er sieht es, als er direkt darüber ist. Dieses Wrack ist alt, das sieht er sofort. Es ist überwachsen, es gibt Kanonen. Er hat keine Ahnung, was das Wrack bedeutet, es interessiert ihn auch nicht. Norris will tauchen und nicht forschen. Und dann erzählt James Norris seinem Sohn, was er 70

gesehen hat. Johnny Norris heißt dieser Sohn, er ist ein hübscher Kerl, muskulös und braungebrannt, einer, der sich gern rumtreibt, und einer, der die Frauen mag. Und dann schwängert Johnny, der Sohn, eine sehr junge Einheimische. „Du musst sie heiraten“, sagt James Norris, der Vater. „Warum?“, sagt Johnny, der Sohn, „du kannst mich mal. Ich werfe mein Leben nicht weg, nur weil ich einmal gefickt habe.“ „Du heiratest sie, oder ich kenne dich nicht mehr“, sagt James Norris, der Vater. Und dann packt Johnny seine Sachen und geht, natürlich geht er, Johnny, der Sohn, ist jung. Und er rächt sich. Er hat gehört, dass eine Frau aus Portobelo, Nilda Vázquez, und ein amerikanischer Taucher, s p i e g e l

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Warren White, die Küste nach Wracks absuchen. Die beiden wissen, dass man reich werden kann mit alten Schiffen, sehr reich, wenn man zum Beispiel Kanonen von einem Schiff verkauft, das einst Christoph Columbus gehörte. Johnny erzählt den beiden, dass sein Vater in der Bucht von Nombre de Dios ein Schiff gefunden habe. Das ist die erste Geschichte von der Entdeckung der „Vizcaína“. Der Schatztaucher Warren White wird später sagen, in Wahrheit habe er das Schiff entdeckt, zufällig, er habe Hummer fangen wollen, sei getaucht, und die Hummer hätten still und starr auf diesem Wrack gesessen. Es gibt also zwei Versionen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Geschichte von James Norris und von der Rache sei-

PORTUGAL Lissabon

Azoren

SPA N I E N Palos Cádiz

Porto Santo Madeira Kanarische Inseln

AFRIKA

Kapverdische Inseln

nes Sohnes Johnny die wahre Geschichte ist. Es ist ein verdammt altes Schiff, sagte Johnny, der Verräter. NOMBRE DE DIOS, JANUAR 2003 Es leben nicht viele Menschen in Nombre de Dios, 3500 vielleicht. Eine weiße Kirche gibt es, Relikt des Zeitalters der Kolonialmächte, und es gibt acht Bars, aber keine Gäste. „Se vende“, „Zu verkaufen“, steht vor den Hütten und Bauruinen, es gibt keine Käufer. Die Plastikstühle stehen herum, die Besitzer lehnen an ihren Tresen und trinken ihre Biere selbst. Es gibt keine Arbeit in Nombre de Dios, keine Touristen und kein Geld. Nombre de Dios, von Gott und der

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KLAUS BRINKBÄUMER / DER SPIEGEL

1492 – 1493 1493 – 1496 1498 – 1500 1502 – 1504

Tauchlehrer Norris

TOMAS MUNITA / AP

1. Reise 2. Reise 3. Reise 4. Reise

Menschheit vergessen, liegt an der Karibikseite Panamas, 15 Meilen östlich von Portobelo und jenseits dessen, was in Europa und Nordamerika „Zivilisation“ genannt wird. Die Frauen von Nombre de Dios waschen die Windeln ihrer Kinder im schlammigen Fluss. Die Frauen blicken auf, es ist 9 Uhr am Freitag, den 24. Januar 2003. Neun Schiffe verlor Christoph Columbus auf seinen vier Reisen in die Neue Welt. Keines davon sei erhalten, glaubten die Experten bis vor kurzem. Die Fachwelt weiß deshalb so gut wie nichts darüber, wie diese Schiffe aussahen. Gemälde gibt es, aber die entstanden Jahrzehnte später, und die Schiffe auf diesen Gemälden entstanden nach der Phantasie der Künstler. Nachbauten gibt es, aber die sind so, wie sich Seeleute im 20. Jahrhundert Schiffe aus dem 15. Jahrhundert vorstellten. Es gibt keine Baupläne, keine exakten Beschreibungen, keine Skizzen. Bekannt ist, dass Columbus meistens Karavellen segelte, Schiffe waren das mit einem Großmast und zwei oder drei weiteren, kleineren Masten, Schiffe, die vermutlich sehr klein waren, vielleicht 18 bis 22 Meter lang, Schiffe, die wendig waren. Der Vorteil der Karavellen gegenüber Pötten wie der „Santa María“ war, dass sie besser segelten. Eng war es auf diesen Karavellen. Es wurde verdammt eng, wenn 30 bis 50 Männer ein Jahr lang auf einem ungefähr 20 Meter langen Kahn hausten, ohne Klo und ohne Küche, und selbst der „Admiral der Meere“, das war Columbus’ Titel, hatte keine eigene Kajüte – der Admiral der Meere schlief hinten unterm Achterdeck mit den anderen. Wracks sind Zeitkapseln. Wracks konservieren Lebensweisen, Bräuche, Epochen, und manchmal frieren sie Katastrophen gleichsam ein. Und nun gibt es dieses Wrack. Mit vier Schiffen wagte Columbus sich 1502 auf seine vierte und letzte Reise, die in einer Katastrophe enden sollte. Eines dieser Schiffe hieß „Vizcaína“ – ist sie das? Das weiß noch keiner. Eine Karavelle aus der Entdeckerzeit? Das ist wahrscheinlich. Eine Sensation? Unbedingt. Denn Wracks wie dieses erzählen Geschichten. Geschichten von Träumen und Tragik, von Abenteuer, Demut und Größenwahn. Bis heute mussten ein Logbuch, das aber nicht im Original erhalten ist, Briefe und Gerichtsunterlagen die Geschichte der europäischen Entdeckung Amerikas erzählen. Eine Menge Rätsel sind geblieben. Ein Wrack gab es nicht. Und jetzt, es ist 9 Uhr an einem Freitag im Januar 2003, nähert sich ein weißes

Schatztaucher White

Wer erzählt die wahre Geschichte?

Motorboot dem Dorf namens Nombre de Dios. Das Meer ist ruhig und tiefblau, es ist berauschend schön hier: Hinter den Hütten von Nombre de Dios geht es steil hinauf in den Dschungel Panamas. „Wo ist es?“, fragt einer der Männer an Bord. „Hier ist es“, sagt der Taucher Jesse Allan und stoppt die Motoren. Und dann steigen die Männer ins Wasser. Es ist warm hier im Karibischen Meer, 20 Grad Celsius. Es ist ruhig hier, die Wellen brechen weit draußen, aber die Strömung ist stark. Es ist nicht besonders klar, das liegt an der Strömung und am sandigen Untergrund. Es ist dennoch eine leichte Übung für jeden Taucher mit ein wenig 71

E N T D E C K E R U N D P I RAT E N

Das Schiff der Entdecker Rekonstruktion einer Karavelle nach – oft vagen – historischen Angaben Länge: ca. 20 Meter Breite: 6 bis 7 Meter Tiefgang: ca. 2 Meter Besatzung: 20 bis 30 Mann Höchstgeschwindigkeit: ca. 7 Knoten Besegelung: Lateiner- und/oder Rahsegel

Anker und Trosse Ankerwinde Riemen und Spieren

Beiboot

Feuerstelle

Drehbrasse Geschütz

Achterdeck Kompasshaus Spanten

J O H N BATC H E LO R

Planken Ruderpinne

Erfahrung, denn kaum hat man die Luft aus der Weste gelassen, kaum sinkt man hinab, ist man schon angekommen: Das Wrack liegt etwa sechs Meter unter der Oberfläche. Es liegt da im Sand, sehr unscheinbar ist es auf den ersten Blick. Ein Haufen, grün überwuchert. Zehn Meter lang und drei Meter breit ist das, was man von dem Haufen sieht. Wer an Wracks denkt, denkt an Gänge und Decks, durch die man tauchen kann, an Wände, an denen man entlanggleitet, zusammen mit Schwärmen von Fischen, an Seile und

Triumph und Fall

1453 • Die Türken erobern Konstantinopel und kontrollieren nun die Handelswege in den Osten.

ab 1418 • Der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer schickt Expeditionen auf den Atlantik und vor allem die westafrikanische Küste entlang nach Süden – auf der Suche nach neuem Land und einem Seeweg nach Indien.

A R C H I V O I C O N O G RA F I C O / C O R B I S

Das Leben des Christoph Columbus Die ersten Jahre

Ketten, auf denen Korallen wachsen, bunt und leuchtend. So sind Wracks aus Stahl, Schiffe, die seit ein paar Jahren oder Jahrzehnten auf dem Grund des Meeres liegen. Nun, das hier ist anders. Unspektakulär. Auf den ersten Blick. Doch Tauchen ist kein Hochgeschwindigkeitssport, unter Wasser sieht alles ein bisschen anders aus, und deshalb bedeutet der erste Blick gar nichts in dieser Welt. Und dann beginnen die Taucher, diesen seltsamen grünen Haufen zu umkreisen. Sie untersuchen, wie der Haufen liegt. Sie lassen die Hände über das Geröll gleiten, und ganz langsam verstehen sie, was sie hier sehen. Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, bis man zu begreifen beginnt. Die oberste Schicht, die grüne Schicht, das sind die Ablagerungen, die es nun einmal gibt, wenn ein Schiff seit 500 Jahren im Salzwasser liegt. Doch unter dieser Schicht

1469 • Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón begründen durch ihre Heirat das vereinigte Spanien. Die Geburt des großen Plans

1451 • Im Herbst wird Christoph Columbus, wahrscheinlich als Sohn Wollwebers Domenico Colombo, in Genua geboren. Ferdinand II. von Aragón

1476 • Columbus schwimmt, angeblich nach einem

und Isabella I. von Kastilien mit Tochter Juana, Illustration von 1482

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liegt ein Wrack wie kein zweites, ein Wrack, das das älteste ist, das jemals an Amerikas Küsten gefunden wurde. Vorn, am Bug, sind die Anker, ineinander verhakt. Der Bug ist auf den Strand gerichtet, Richtung Südwest, exakt 240 Grad. Vermutlich bedeutet das, dass dieses Schiff damals, vor rund 500 Jahren, mit dem Bug in Richtung Strand verankert war und dann sank – es lief jedenfalls nicht auf eine Sandbank und nicht auf ein Riff, weil es ja unmöglich ist, dass ein Schiff, das etwa zwei Meter Tiefgang hat, in knapp sechs Meter tiefem Wasser auf Grund läuft. Taucht man langsam von den Ankern in Richtung Heck, dann entdeckt man die Kanonen. Sie ragen aus dem grünen Haufen heraus, sie zeigen in alle Richtungen, 13 Kanonen zählen die Taucher schon bei diesem ersten Tauchgang. Es sind unterschiedliche Kanonen, und die Art, wie sie auf- und übereinanderliegen, könnte bedeuten, dass zumindest ein Teil von ihnen zur Ladung gehörte. Auf seiner vierten und letzten Reise in die Neue Welt verlor Christoph Columbus alle vier Schiffe. Als erstes die „Gallega“ in Belén, heute Panama – und die Ladung der „Gallega“ verteilte er auf seine drei verbliebenen Schiffe, also auch auf die Karavelle „Vizcaína“. Taucht man dann von den Kanonen weiter hinab, liegt man also flach auf dem Meeresboden, dann glaubt man kaum, was man sieht: Da liegen Tonscherben, da liegen Kanonenkugeln aus Stein, große und kleine, da liegen Steine, wie sie damals, als Segelschiffe noch keinen Bleikiel hatten, als Ballast verwendet wurden, um die Schiffe zu stabilisieren. Und wenn man dann mit der Hand über den Boden wedelt und den Sand aufwirbelt, dann sieht man die Bretter. Man sieht die Planken und, im 90-Grad-Winkel dazu,

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Gefecht mit Piraten, in Portugal an Land und arbeitet dann in Lissabon zusammen mit seinem Bruder Bartolomeo als Kartenzeichner. ab 1477 • Columbus reist auf Handelsschiffen, etwa nach Madeira, Irland und Island. Er studiert die Windsysteme des Atlantik. 1478 oder 1479 • Columbus heiratet in Lissabon die portugiesische Adlige Felipa Perestrello e Moniz, siedelt um auf die Insel Porto Santo und beginnt seinen großen Plan zu entwickeln: nach Westen zu segeln, um im Osten, in Indien, anzukommen. um 1484 • Portugal lehnt seinen Vorschlag einer Entdeckungsreise ab.

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die schmaleren Spanten, und sofort sieht er die Bühne der Weltpolitik. Die Portu- das entdeckt hatte, gefangen nehmen und man diese Kanäle und diese Löcher, die giesen ließen ihn nicht fahren, die Spanier in Ketten nach Spanien zurückbringen. der Teredo navalis, der berüchtigte Schiffs- ließen ihn warten, jahrelang, aber dann Und dort saß er dann auf dem Trockenen, rüsteten sie drei Schiffe aus, die „Santa entrechtet und entehrt. Der Entdecker bohrwurm, in den Rumpf gefressen hat. Von „Schiffen, die verrottet waren, von María“, die „Pinta“ und die „Niña“, und Amerikas war an seiner Entdeckung geWürmern zerfressen, voller Löcher“, hat- die berühmteste Überfahrt in der Ge- scheitert. schichte der Seefahrt begann. Das war Er wurde in Spanien verachtet und in te Columbus geschrieben. der Neuen Welt bekämpft, von den EingeEin Taucher schneidet drei Stücke Holz 1492, das war die Entdeckung Amerikas. Columbus kam nach Hause und wurde borenen, die sich rächten für all die Grauaus dem Wrack und bringt sie nach oben, dann sammelt er noch ein paar Ballaststeine gefeiert, es war der Moment seines größ- samkeiten, und von den Spaniern, die seiund Scherben ein. Und oben verpacken die ten Triumphes: Er wurde reich, wurde Vi- nen Spuren gefolgt waren, aber dann ohne Experten, für eine erste Expedition zusam- zekönig, und ihm wurden riesige Anteile ihn an das Gold kommen wollten. Er war ein gefallener Held. Aber er mengebracht von SPIEGEL und SPIEGEL- aller Reichtümer aus den entdeckten Länstand noch einmal auf. Er nahm seinen TV, die Sachen in Folie und dann in eine rote dern versprochen. kleinen Sohn Fernando, Kühlbox. Die Kühlbox damals 13 Jahre alt, und fahren sie zur Deutschen ging mit dem Jungen auf Botschaft in Panama City. seine vierte Reise, die Das Holz aus der Bucht heilige, die „Hohe Reivon Nombre de Dios reist se“, wie er selbst sie nach Deutschland. nannte. Einer der Experten Die letzte Reise. sagt: „Das Ding ist alt, richtig alt. Das Holz ist KARIBIK, 1502 nicht beschlagen, es gibt Die „Vizcaína“ hat wohl kein Metall da unten.“ drei Masten gehabt und Das ist wichtig: Wegen des 50 Tonnen Kapazität, Holzbohrwurms gab es mit Sicherheit lässt sich 1508 einen Erlass des spadas nicht sagen, bevor nischen Königshauses, daman sie gefunden hat. nach musste jedes Schiff, Die „Vizcaína“ wird von das sich auf den Weg in Bartolomeo de Fiesci bedie Neue Welt machte, fehligt, einem guten mit Metall beschlagen Freund des Admirals; an sein. Ist dieses Wrack also Bord sind ein Bootsälter, wurde dieses Schiff Taucher, Wrackteil in der Bucht Nombre de Dios: „Das Ding ist alt“ mann, acht Seeleute, vor 1508 gebaut? Zur zweiten Reise brach er 1493 mit ei- zehn Schiffsjungen, der Kaplan Fray AleEs war das Jahr 1503, als Christoph Coner großen Flotte auf, 17 Schiffe und 1500 jandro und drei Privatleute. lumbus vor der Küste Panamas kreuzte. Insgesamt sind sie 24 Männer auf dieVerwirrt und verzweifelt. Im Fieber- Mann. Aber er scheiterte, denn seine Leuwahn. Er hatte ein Leben hinter sich, das te meuterten, und die Indianer, die er als sem Schiff, hin und wieder wird der AdSklaven nach Spanien bringen wollte, star- miral von der „Capitana“, dem Flaggim Grunde eine einzige Reise war. Christoph Columbus wurde in Genua ben im Bauch seiner Schiffe, und das schiff, herüberkommen und den Zustand geboren, dort wuchs er auf, das Meer im Gold, das er finden wollte, gab es nicht, je- der „Vizcaína“ kontrollieren. Mit dieser Flotte will Columbus beweiBlick. Später verschlug es ihn auf die Insel denfalls nicht dort, wo er gesucht hatte; sen, dass er immer recht gehabt hat, dass Porto Santo bei Madeira, er liebte Seekar- was Columbus fand, waren Kokosnüsse. ten und alte Schriften, das brachte ihn in Er brach ein drittes Mal auf und kehrte es dort drüben in der Karibik doch die die Bibliotheken Lissabons. Er wollte die in Ketten zurück: Der neue Gouverneur West-Passage nach Indien gibt. Er segelt Westroute nach Indien finden, damit betrat der Insel Hispaniola ließ den Mann, der all über das heutige Jamaika und die Insel

1485 • Wohl auch wegen unbezahlter Rechnungen flüchtet Columbus mit seinem kleinen Sohn Diego nach Spanien. Mit Hilfe der Franziskaner-Mönche des Klosters La Rábida versucht er, Ferdinand und Isabella von seinem Plan zu überzeugen.

Der Triumph 1492 • Ferdinand und Isabella erobern die letzte maurische Festung Granada; noch im Feldlager erhält Columbus nach einer Intervention des konvertierten Juden Luis de Santángel die Erlaubnis, in See zu stechen.

Weltkarte um 1489 von Henricus Martellus

1487 • Bartolomé Dias erreicht im Auftrag Portugals das Kap der Guten Hoffnung – entscheidender Schritt zur Entdeckung eines Seewegs nach Indien.

3. August 1492 • „Santa María“, „Niña“ und „Pinta“ stechen zur ersten Reise von Palos de la Frontera aus in See. s p i e g e l

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12. Oktober 1492 • Ein Matrose der „Pinta“ sichtet eine Insel der Bahamas, das erste Land der Neuen Welt. 28. Oktober 1492 • Columbus’ Flotte erreicht Kuba. 25. Dezember 1492 • Die „Santa María“ strandet vor Hispaniola; Columbus lässt sein Flaggschiff ausschlachten und aus dessen Rumpf die erste Festung der Neuen Welt bauen: „La Navidad“. 16. Januar 1493 • „Niña“ und „Pinta“ segeln mit einem Teil der Crew zurück nach Europa. 15. März 1493 • Columbus läuft wieder in Palos ein, Triumphzug durch Spanien. 73

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Die Kolonie September 1493 • Columbus sticht zur zweiten Reise mit 17 Schiffen von Cádiz aus in See, um die Neue Welt zu besiedeln. November 1493 • Die Flotte erreicht erst die Karibik-Inseln Dominica und Guadeloupe, dann die – allerdings verwüstete – Festung „La Navidad“. Alle Spanier dort sind getötet worden. Dezember 1493 • Columbus gründet auf Hispaniola eine neue Kolonie. ab April 1494 • Columbus bricht auf, um das Festland (Indien, China) zu suchen, landet aber nur auf Kuba und Jamaika. Die Kolonie auf Hispaniola versinkt im Chaos. 74

Juni 1496 • Columbus kehrt nach Spanien zurück.

B E T T MA N N / C O R B I S

BROOKLYN MUSEUM OF ART, NEW YORK, USA / BRIDGEMAN GIRAUDON

Jedoch: Es ist Nacht, und sie fahren an „Kolba“, die später Kuba heißen wird, Dringende Reparaturen sind fällig. Conach Westen. Das Gebiet zwischen Kuba der Mündung vorbei. lumbus lässt sich berichten: Die Würmer Es ist der 9. November, als die vier sind da, und nichts hält sie auf. Columbus’ und Mittelamerika ist berüchtigt für seine Schiffe in einer Bucht ankern, die Getreuer Diego Méndez schreibt: Untiefen – und seine Stürme. Die vier Schiffe sind klein. Es gibt kei- Columbus „Puerto de Bastimentos“ „Holzwürmer, groß und dick wie die ne trockene Ecke auf diesen Schiffen. Die nennt, Hafen der Vorräte. Drei Inseln Finger eines Mannes, hatten die dicksten Seeleute schlafen in jenen Ecken, die sie liegen draußen vor der Bucht, der Sand- Balken und Bohlen durchbohrt und finden können, auf Taurollen, zwischen strand hat die Form einer weit ge- morsch und brüchig gemacht. Am ärgsten den Vorräten, überall. Sie schlafen in Was- schwungenen Sichel, dahinter liegt ein war die „Vizcaína“ mitgenommen. Ihre serlachen. Es gibt keine Planken glichen einem Sieb, Handtücher. Wenn man auf und es war ein Wunder, dass See in einem Sturm ist, dann sie nicht schon längst auf dem denkt man, dieser Sturm hört Meeresgrund lag.“ nie auf. Als sich wieder Indianer Aber sie schaffen es, sie nähern, verliert Columbus finden eine ferne Küste, das die Nerven. Er lässt feuern. künftige Mittelamerika. CoKeiner zählt, wie viele Indialumbus sucht nun an dieser ner sterben, doch klug ist das Küste nach einer Durchfahrt, alles kaum. einem breiten Fluss, nach Und es regnet. Es hört dem Seeweg weiter Richtung nicht auf zu regnen. Es geht Westen. Er schickt die Boote hin und her. Der Wind los, Spähtrupps, sie sind an kommt von Westen, sie seeiner Flussmündung, aber es geln nach Osten, der Wind gibt Strudel dort, „und der kommt von Osten, sie müsWind frischte seewärts auf, sen nach Westen segeln. und die See wurde schwer“, Es ist der 7. Dezember, als das schreibt sein Sohn Fersie in einen Orkan geraten. nando. Zwei Seeleute ertrinDie Matrosen nehmen einanken. Columbus nennt diesen Columbus (M.) am spanischen Hof*: Am Ende einsam und verachtet der die Beichte ab, sie wollen Fluss „Río de los Desastres“. nicht mehr weiterleben, sie Sie kommen zu einer weiteren Fluss- schmaler, mit Feldern bebauter Küsten- wollen nur noch, dass es schnell zu Ende mündung, aber es ist Nacht, und darum streifen. geht. „Die Schiffe waren nicht seetauglich Es ist die Bucht. Jene Bucht, die ein an- und die Mannschaften tot oder krank“, fahren sie nicht hinein. Zufälle wie dieser machen die vierte derer Spanier Jahre später „Nombre de schreibt Columbus. Donner und Blitz seiReise zu einer Katastrophe. Denn wären Dios“ taufen wird. en derart grausam gewesen, schreibt FerAber jetzt, beim ersten Besuch, „fuhren nando, „dass die Männer sich nicht mehr sie hineingefahren in die Bucht, dann wären sie zu einem See gekommen, je- wir nicht nach meinem freien Willen hin- trauten, die Augen zu öffnen, denn es nem See, der 500 Jahre später Lago Ni- ein“, wie Columbus notiert, „der Sturm schien so, als würden die Schiffe sinken caragua heißen wird, und wenn ihnen und eine starke Strömung hielten uns für und die Himmel herunterkommen“. dort ein Indianer irgendwie verständlich 14 Tage dort fest“. Indianer nähern sich in Es ist der 10. Dezember, als sich ein gemacht hätte, dass sie nur 15 Meilen zu Kanus, aber als sie sehen, dass die Spani- Tornado, eine Wassersäule, auf die vier Fuß gehen müssten … Wenn, wenn, er mit Booten auf sie zusteuern, springen Karavellen zubewegt. Columbus betet, er wenn: Dann hätte Columbus seinen sie ins Wasser und schwimmen davon; die zitiert das Johannes-Evangelium, die MahTraum verwirklicht, dann hätte er den Spanier jagen sie, „sehr lustig“ findet Fer- nung im Sturm bei Kapernaum: „Ich bin’s, Pazifik gesehen, im Westen, dann hätte nando das Schauspiel. fürchtet euch nicht!“ Mit der Heiligen alles einen Sinn gehabt. Dann hätte er Schrift in der linken Hand und dem * Gemälde von Emanuel Gottlieb Leutze (1834). triumphiert. Schwert in der rechten steht er da auf der

August 1498 • Columbus erreicht Hispaniola, setzt sich gegen Rebellen durch, doch einer seiner Widersacher übernimmt dort die Macht.

Der Niedergang Oktober 1500 • Columbus wird als Häftling in Ketten nach Spanien deportiert, dort zwar freigesprochen, er verliert aber wegen Missmanagements fast alle Befugnisse.

30. Mai 1498 • Columbus segelt bei seiner dritten Reise über die Kapverdischen Inseln zum südamerikanischen Festland.

Die letzte Reise Columbus in Ketten,

Illustration von 1881 ab Juli 1498 • Seine Flotte erkundet die Region um Trinidad, die OrinocoMündung, das heutige Venezuela.

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11. Mai 1502 • Columbus bricht mit den Karavellen „La Capitana“, „La Gallega“, „Santiago de Palos“ und „Vizcaína“ auf, um zu beweisen, dass er doch Inseln vor Indien entdeckt hat. Für ihn ist diese vierte und letzte Reise die wichtigste, er nennt sie die „Hohe Reise“.

gung, vier Jahre für die Konservierung. Man redet über ein Team von 16 Menschen, mindestens 1,5 Millionen Dollar Kosten und Kräne, Schiffe, Container, wenn man das ganze Wrack nach Texas und irgendwann wieder zurücktransportieren will.“ Und was ist das andere? „Das andere ist eine erste Bewertung des Wracks“, sagt Castro: „Schiffe waren

NOMBRE DE DIOS, SEPTEMBER 2003 Sie sind die Stars ihrer Welt, jener Welt, die auf dem Meeresgrund liegt. Filipe Castro und Donny Hamilton, Wissenschaftler der Universität Texas A&M, sind Koryphäen der Unterwasserarchäologie. Bucht Nombre de Dios: Himmel der Taucher Donny Hamilton steht da in Shorts und T-Shirt, er hasst Tauchanzü- ja lange Zeit das Komplexeste, was Menge. Und neben ihm steht Castro, gebürtiger schen hergestellt haben. Wir wollen die Portugiese, der Mann hinter Hamilton bei Wichtigkeit dieses Wracks einschätzen und sehen, was noch da ist. Wie viele ArTexas A&M, und reinigt seine Maske. „Das ist der beste Teil“, sagt Castro, tefakte. Wie viel Holz.“ Die beiden, Hamilton und Castro, blei„wenn die Aufregung sich legt, wenn man zum ersten Mal taucht.“ Worum geht es ben zwei Stunden lang unter Wasser. Und als sie wieder auftauchen, sehen sie aus heute? „Es geht um zwei Dinge“, sagt Castro, wie zwei Tauchschüler, die ihren ersten „das eine ist die künftige Arbeit mit dem Hai gesehen haben. Oder wie zwei HipWrack. Wir überprüfen deshalb sofort, wie pies nach einem guten Joint. Sie schwimdie Sicht unter Wasser ist, die Strömung, men an der Oberfläche, sie klettern nicht der Untergrund, wie wir hier also arbeiten an Bord, sie lassen sich treiben und lakönnen. Wir denken schon beim ersten chen und erzählen. Tauchgang an die spätere Logistik, denn „Das ist eine phantastische Stelle“, man redet ja über ein Projekt, das fünf ruft Hamilton, „da sind große HolzJahre dauern wird: ein Jahr für die Ber- balken, diese Anker, diese zwei fetten

Ostern 1503 • Columbus muss die „Gallega“ im Río Belén zurücklassen und mit drei wurmzerfressenen Schiffen weitersegeln.

ab August 1502 • Vor Nicaragua und Costa Rica kämpfen die Spanier mit schweren Stürmen und Indianern, der Schiffsbohrwurm Teredo navalis durchlöchert langsam alle Schiffe.

April 1503 • Kurz nach der „Gallega“ gibt Columbus auch die völlig durchlöcherte „Vizcaína“ auf.

ab Januar 1503 • Schwere Gefechte mit Indianern des Häuptlings Quibian in der Mündung des Río Belén in Panama.

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Juli 1502 • Columbus landet in Mittelamerika, Beginn der Suche nach einer Durchfahrt Richtung China und Indien.

1. Mai 1503 • Die Mannschaft auf den beiden letzten Schiffen meutert und zwingt den schwerkranken Columbus, nach Norden abzudrehen, um Hispaniola zu erreichen.

Schiffsbohrwurm Teredo navalis s p i e g e l

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Bombarden. Dieses Schiff ist alt. Sehr alt.“ Dann ist Hamilton wieder verschwunden. „Die Anker sind außergewöhnlich groß“, ruft Castro, ,,das ist eine unglaubliche Waffensammlung da unten.“ Hamilton taucht wieder auf. „Die Kanonen liegen so, als sei zuerst das Schiff auf die Steuerbordseite gekippt und als seien dann die Kanonen hinübergerollt“, sagt Hamilton. „Die sind nicht geladen, das sieht man auch durch die Krusten hindurch. Diese Kanonen waren Ladung“, sagt Castro. Dann ist Castro wieder verschwunden. Und Hamilton taucht hinterher. Und wenn man die beiden nun dort unten beobachtet, sieht man, dass sie außergewöhnlich gute Taucher sind. Sie sehen mehr als andere Taucher. Als sie zum Beispiel zum Bug des Wracks, zu den querliegenden Ankern tauchen, da brauchen sie ein paar Minuten für ihre Entdeckung, sie sehen drei Ringe, der dritte ist tief eingegraben in all die Krusten und Korallen, er ist kaum zu sehen. Drei Finger hebt Castro, Hamilton macht das Okay-Zeichen. Alle, die bisher hier unten waren, allesamt keine Anfänger, haben zwei Anker gesehen, nicht drei. Es sind aber drei. Dann messen die beiden das Wrack aus, Länge mal Breite mal Höhe, dann tauchen sie von Kanone zu Kanone, dann befühlen sie vorsichtig das Holz, messen die Dicke der Planken, sechs Zentimeter, das ist ziemlich dick. Und als die beiden wieder oben sind, diskutieren sie schon im Wasser, und sie diskutieren, während sie an Bord klettern, sie diskutieren beim Abtrocknen. KLAUS BINKBÄUMER / DER SPIEGEL

„Capitana“, und mit dem Schwert malt er ein Kreuz in den Himmel und einen Kreis um seine kleine Flotte. Er muss ungefähr aussehen wie eine Mischung aus Jesus Christus und Kapitän Ahab, aber er hat Erfolg: Die Wassersäule verfehlt sie. Dann verlieren sie die „Gallega“ nach Kämpfen mit Indianern in der Mündung des Río Chagres. Der Admiral der Weltmeere sieht sich seine restlichen Schiffe an, und was er sieht, ist nicht gut. Die Holzwürmer fressen sich voran. Er darf nicht mehr viel Zeit verlieren, das weiß der Admiral, denn der Heimweg ist lang. „Ich kenne niemanden, der ein größeres Martyrium durchstehen musste“, schreibt Columbus.

25. Juni 1503 • „Capitana“ und „Santiago“ schaffen es nur bis Jamaika, dort lässt Columbus beide Schiffe auf den Strand laufen und zur Festung umbauen. Januar 1504 • Meuterei auf den gestrandeten Schiffen, Kämpfe mit Indianern. 28. Juni 1504 • Nach über einem Jahr auf Jamaika werden Columbus und der Rest seiner Crew gerettet. Juli 1504 • Rückkehr nach Spanien. 20. Mai 1506 • Columbus stirbt unbeachtet in Valladolid.

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E N T D E C K E R U N D P I RAT E N

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Die erste Diagnose: Das Schiff ist alt die da von Bucht zu Bucht schippert: Die chen und was sie transportieren können und spanisch, das sehen die beiden am „Capitana“, die „Santiago de Palos“ und mit den beiden anderen, nicht viel weniHolz, an den Scherben, an den Waffen. die „Vizcaína“ sind zerfressen und zu ger löchrigen Schiffen. Das Schiff ist ziemlich gut erhalten, drei schwer beladen, die Mannschaft der „GalDie Besatzung natürlich. Wracks aus der Zeit der Entdecker wur- lega“ musste aufgeteilt werden auf den Das Gold natürlich. den bisher gefunden in der Neuen Welt – Rest der Flotte; es stürmt, und die Männer Die Segel natürlich. pumpen tagsüber, und sie pumpen nachts; dieses hier ist das beste, bei weitem. Die Kanonen allerdings sind zu schwer. „Eine Sensation“, sagt Filipe Castro, der der Kommandeur der Flotte, Christoph Kanonen sind ein Schatz im Jahr 1503, jetzt wieder sein rotes Lacoste-Hemd trägt, Columbus, versinkt mal im Fieber, ergeht ein Schatz für jeden, der in der Neuen Jeans, Segelschuhe, der ein spitzes Kinn sich dann wieder in religiösen Prophezei- Welt eine Festung oder ein Dorf bauen hat und graue, zurückgekämmte Haare, ungen. will. Aber es nutzt ja nichts. Wenn sie die Ein guter Seemann allerdings bleibt er. Kanonen der „Vizcaína“, die wahrscheinder sehr breit lachen kann und dann ganz Sie wollen nach Hause, und sein Plan lich auch noch welche von der „Gallega“ kleine Augen hat. „Ein Schiff, das man unbedingt mit aller Sorgfalt untersuchen, ber- ist, erst einmal so lange nach Osten die geladen hat, auf die „Capitana“ und gen und konservieren will, die „Santiago de Palos“ ohne einen Fehler zu mapacken würden, könnten chen“, sagt Donny Hamilauch diese beiden Schiffe ton, der Segelohren hat Santo Domingo vermutlich und einen Vollbart, der nicht mehr erreichen. Nike-Tennisschuhe trägt Dann lägen sie viel zu tief und am rechten Handgeim Wasser. Es gibt keine lenk ein Lederbändchen. Alternative. Gentlemen, Sie haben Und dann ist die „Vizcaídiesen Namen, den Namen na“ nackt, ein Gerippe, bislang noch nicht ausgeund von unten steigt das sprochen … Wasser herauf. „Columbus, Columbus, Und dann geben sie sie Columbus“, sagt Filipe Caauf, sie lassen sie treiben stro und grinst. und sinken. „Ich lege mich auf ein Diego Méndez schreibt Zeitfenster von 50 Jahren in seinem Testament: fest: Dieses Schiff sank in „Am letzten Tag des der ersten Hälfte des 16. April 1503 verließen wir Jahrhunderts, eher im ersVeragua mit drei Schiffen. ten als im zweiten Viertel. Und da die Schiffe vollEs sieht tatsächlich danach kommen durchlöchert und aus, als sei dieses Schiff das zerfressen vom Schiffsälteste, das jemals vor bohrwurm waren, konnten Amerikas Küsten gefunden Hinrichtung meuternder Indianer*: Massensterben auf spanischen Schiffen wir sie nicht über Wasser wurde“, sagt Castro. halten. Nach 20 Meilen „Die Scherben und die Waffen sehen Küste entlangzurutschen, bis sie genau ließen wir eines zurück, die anderen beiarchaisch aus, gemessen am europäischen südlich von Santo Domingo sind, der Fes- den blieben uns, waren aber bald in einem Standard, spanisch, frühes 16. Jahrhun- tung auf Hispaniola. Columbus hat Strö- schlimmeren Zustand als das aufgegebene, dert. Die Anker wirken zu groß, und die mung und Wind sehr gekonnt berechnet, so dass die Mannschaften mit den Pumpen Planken sind dick, es könnte auch ein sehr besser kann man nicht navigieren. Leider und Kesseln und Gefäßen es nicht schaffviel größeres Schiff gewesen sein, 150 bis hat seine Mannschaft keine Geduld mehr, ten, das Wasser, das durch die Wurm200 Tonnen schwer. Aber wir wissen noch keiner an Bord der drei Schiffe will hören, löcher drang, herauszuhalten.“ nicht genug, wir wissen, dass Columbus dass sie noch ein paar Tage nach Osten nicht viel Geld hatte und sich die Ausrüs- fahren müssen, alle sagen: „Es reicht! JAMAIKA, JUNI 1503 tung zusammensuchen musste, es ist Nach Norden! Nach Hause! Jetzt!“ Am 1. Mai versammeln sich die Kapitäne Sie sind kurz vor einer Meuterei. denkbar, dass er ganz einfach jeden Anker und Seeleute der „Capitana“ und der Sie hassen den Admiral. nahm, den er kriegen konnte“, sagt „Santiago de Palos“, und wieder fordern Sie glauben, dass er sie anlügt und in sie Columbus auf, endlich den Kurs RichDonny Hamilton. „Wir wissen nicht genug, um zu sagen, Wahrheit auf direktem Weg nach Spanien tung Norden zu ändern. Längst seien sie dass es wahrscheinlich das Schiff des Co- zurückfahren will, sie sagen: „Wir sind südlich von Santo Domingo, sagen sie. lumbus ist. Wir wissen genug, um zu sa- längst südlich von Santo Domingo.“ Aber Nein, nein, sagt Columbus. gen, dass es möglich ist. Und schlüssig“, er setzt sich durch, und dann, es ist kurz Aber der Admiral ist schwach. Arthrinach Ostern, folgt der Katastrophe zwei- tis? Malaria? Vermutlich quält ihn all das. sagt Filipe Castro. „Wir sind Wissenschaftler. Wir möchten ter Teil. Eine Augenkrankheit? Jedenfalls kann er Die „Vizcaína“ schafft es nicht mehr. lieber beweisen, dass es sein Schiff ist, als sich nicht länger durchsetzen. Sie ist zerfressen, sie zerfällt. Das Wasbehaupten, dass es sein Schiff ist“, sagt Es ist eine dumme Meuterei, denn Coser steigt, es steht längst fest, dass die „Viz- lumbus hat recht: In Wahrheit sind sie Donny Hamilton. caína“ niemals über das offene Meer nach südlich von Jamaika; sie hätten also noch PANAMA, APRIL 1503 Hispaniola kommen wird. Sie fahren in ein paar Wochen lang die Küste Richtung Es ist Ostersonntag, als die verbliebenen eine Bucht hinein, vermutlich ankern sie, Osten entlangschippern und erst dann drei Schiffe des Christoph Columbus wie- Schiff neben Schiff. Und dann holen sie Richtung Norden segeln dürfen – vielder unterwegs sind vor der Küste jenes von der „Vizcaína“ herunter, was sie brau- leicht hätten sie es dann tatsächlich nach Landes, das 500 Jahre später Panama Santo Domingo geschafft, nur so hätten heißen wird. Es ist eine traurige Flotte, * Kupferstich von Theodor de Bry, 1595. sie es jedenfalls schaffen können. 76

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Columbus sagt: „In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum“ – In Deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist. Dann ist es still in dem kleinen Haus in Valladolid. PANAMA 2005 Es geht so weiter, wochenlang, monatelang, jahrelang, bis heute exakt 500 Jahre nach dem Tod des Entdeckers. Filipe Castro hört es immer wieder von den Behörden in Panama: „Wir wissen, dass Sie seriös arbeiten, niemand will, dass Schatztaucher Kanonen verkaufen“ – aber die Genehmigung, endlich beginnen zu dürfen, bekommt er nicht. Zwar lief nun diese seltsame Genehmigung ab, die Nilda Vázquez und die anderen Schatztaucher sich besorgt hatten, als sie von dem uralten Wrack und seinen Kanonen erfuhren. Aber heißt das, dass die Archäologen ihre Arbeit tun können? Nein, das heißt es natürlich nicht, denn die Schatztaucher haben nicht aufgegeben, und der Panama Supreme Court, der Oberste Gerichtshof, hat sich des Falles angenommen. Wann der entscheiden wird, steht noch nicht fest. Am 19. September 2005 war ein Fax bei Texas A&M eingetroffen, Absender war der Generaldirektor des Instituto Nacional de Cultura von Panama. Er schrieb: „Nach Prüfung Ihres „Proyecto de Arqueología Subacuática Playa Damas“ bedauern wir, dass es uns unmöglich sein wird, Ihnen die Erlaubnis zu erteilen, an der Fundstelle zu forschen und zu bergen. Der Oberste Gerichtshof hat vorübergehend alle Aktivitäten an der Fundstelle gestoppt wegen des Gerichtsverfahrens, das eingeleitet wurde gegen den Bergungsvertrag zwischen der Bergungsfirma, die dort arbeitete, und der Direktion für Kataster- und Vermögensangelegenheiten. Solange der Oberste Gerichtshof nicht zu einer Entscheidung gelangt ist, ist es unmöglich, Forschung vor Playa Damas zu betreiben. Dennoch sind wir natürlich sehr an einer fruchtbaren und freundschaftlichen Zusammenarbeit interessiert.“ Und das Wrack, das die „Vizcaína“ sein könnte, liegt auf dem Meeresboden, und weil es natürlich längst freigelegt ist, teilweise jedenfalls, liegt es dort ungeschützt, und es müsste schnell etwas geschehen. Doch es liegt da und liegt und liegt, und auf den Ankern und auf den Kanonen hocken die Hummer und haben ihre Ruhe. TOMAS MUNITA / AP

Aber sie ändern den Kurs, und damit to Domingo geschickt, der war durchgeverlieren sie. Der Wind drückt sie nun im- kommen und hatte ein Schiff aufgetriemer weiter nach Westen. Dieser Kurs ben. Und am 12. September brach Cokann nicht funktionieren. Am 10. Mai sind lumbus nach Spanien auf. Zweieinhalb Jahre dauerte die letzte sie nordwestlich von Jamaika; am 12. Mai sind sie vor jenem Archipel Kubas, den Reise insgesamt. Columbus hat gekämpft. Columbus einst „Garten der Königin“ ge- Und verloren. Er ist nun ein kranker tauft hatte. Es ist eine einzige Quälerei: Sie Mann am Ende seines Lebens. Es ist der hungern, denn sie haben keine Vorräte 20. Mai 1506, als es zu Ende geht. Der „Admiral der Meere und Vizekönig mehr außer Zwieback und Öl. Sie streiten. Sie sind endlos weit weg von ihrem Ziel. und Gouverneur der Indien“ liegt, den Sie pumpen das Wasser aus den beiden Rücken gestützt und den Kopf erhöht, auf Schiffen, aber die Löcher werden immer seinem Bett in Valladolid, und die Krone größer. Sie sind „erschöpft davon, Tag und straft ihn mit Verachtung. Nacht an drei Pumpen zu arbeiten, um die Schiffe über Wasser zu halten“, schreibt Columbus’ Sohn Fernando. Columbus hofft auf Winde, die sie bis nach Hispaniola tragen werden. Vergebens. Denn das Wasser steigt, die „Santiago de Palos“ wird es nicht schaffen, das sehen sie alle, und darum beschließt Columbus, dass sie nur noch ein letztes Ziel anlaufen können: die nächste Bucht. Die Bucht wird 500 Jahre später St. Ann’s Bay heißen. „Santa Gloria“ hatte Columbus sie genannt, als er während seiner zweiten Reise hier ankerte. Es ist der 25. Juni, als Columbus dieses letzte Manöver fährt, er macht das gekonnt: Er lässt die beiden Schiffe Seite an Seite in die Bucht fahren, flink werfen die Seeleute Leinen von Deck zu Deck, und dann vertäuen sie „Capitana“ und „Santiago de Palos“ miteinander, und so laufen sie auf den Strand. Die beiden Schiffe werden nun die Heimat der Schiffbrüchigen sein, schneller wurde selten ein Haus gebaut. Mit Palmenzwei- Taucher, Archäologe in der Bucht Nombre de Dios gen basteln die Seeleute sich Forschungen vom Staat Panama gestoppt Dächer. Und hier sind sie also: 116 Es war das Leben eines Mannes seiner Männer, schiffbrüchig auf Jamaika, in einer Welt, die ihnen fremd und gefährlich Zeit, eines Mannes, der mutig war, aber niemals mutig genug, sich gegen Grauvorkommt. Sie wissen, dass es vorbei ist. Die Ma- samkeiten zu stellen und gegen den trosen meutern, die Gruppe spaltet sich. Hochmut anderer Europäer. Es war das Spanier kämpfen nun gegen Spanier, und Leben eines Navigators und Seemannes, die Ureinwohner staunen. Columbus sitzt der Sensationelles schaffte: Columbus entbald mit seinen 50 Getreuen in der St. deckte auf der ersten Reise Kuba, HispaAnn’s Bay fest, sie leben von dem, was niola und die Bahamas, auf der zweiten die Indianer ihnen bringen. Es ist absurd, Reise die Kleinen Antillen, Jamaika, Puerwie lebensunfähig die Entdecker sich an- to Rico, auf der dritten Reise Trinidad und stellen: Es gibt Kokosnüsse in der Bucht, auf der vierten Reise Honduras, NicaraBananen, Ananas und Fische – aber wenn gua, Costa Rica, Panama und Kolumbien. Es ist ein Ende als Vergessener. die Indianer ihnen nicht jeden Morgen etKein Bischof ist hier in diesem Haus in was Nahrung brächten, würden die EntValladolid, kein Gesandter des Königs, decker hier glatt verhungern. kein Vertreter des Gerichts. Und morgen VALLADOLID, 20. MAI 1506 und in den Tagen danach wird es nicht Ein Jahr verging, dann erst wurde Co- einmal eine Meldung in den Chroniken lumbus gerettet. Er hatte seinen Getreuen geben, nicht vom Tod und nicht von der Diego Méndez in einem Kanu nach San- Beerdigung.

Mitarbeit: Marc Brasse, Karl Vandenhole

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