Die Koinzidenz von Medien und Liebe

1 Die Koinzidenz von Medien und Liebe Dieses Dissertationsprojekt leistet einen Beitrag, um den konstitutiven Zusammenhang von Mediennutzung und Lie...
Author: Helmuth Breiner
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Die Koinzidenz von Medien und Liebe

Dieses Dissertationsprojekt leistet einen Beitrag, um den konstitutiven Zusammenhang von Mediennutzung und Liebe zu erforschen. Bereits alltägliche Phänomene verweisen eindrucksvoll darauf, dass Medien in ihrer gesamten Ausfaltung in Liebessituationen eingesetzt werden: Liebende beschwören ihre Zuneigung zueinander in Briefen, teilen ein gemeinsames Lieblingsbuch oder Lieblingslied, das ihnen als Begründung des gegenseitigen Verstehens, der gemeinsamen Liebe dient oder entwickeln eine nur ihnen verständliche „(Privat-) sprache der Liebe“1. Dabei betrifft das, was man in Bezug auf Liebe unter dem Begriff Medium subsumieren kann, keineswegs nur die herkömmlichen Varianten visueller oder auditiver Medien, welche an technische Dispositive oder an ein gesteigertes Distributionspotential gekoppelt sind. Auch konkrete alltägliche Gegenstände, die dem ansonsten ungeteilten Geschmack sympathisierender Menschen entsprechen, sind potentiell beziehungsstiftend und lassen sich als Medien der Liebe konzeptualisieren. Aber auch Gesten und Blicke können in der Welt Liebender zu Medien der Liebeskommunikation arrivieren. „Was sagen sich Verliebte nicht alles mit den Augen: Zorn, Versöhnung, Bitten, Danken, Verabredungen usw. Auch das Schweigen kann sehr wohl noch bitten und sprechen.“2 – heißt es bei Michel de Montaigne. Andererseits erscheinen Medien in der Liebe nicht lediglich als etwas, das sich für etwas (die Liebe) funktionalisieren lässt und quasi eine der Liebe untergeordnete Vermittlungsfunktion erfüllt. Denn Medien können geradezu in Konkurrenz zur Liebe zwischen Menschen treten, wenn etwa das Lieblingsbuch oder der Lieblingsfilm wichtiger erscheint als die oder der Geliebte. Medien können zumindest vorübergehend den Status geliebter Personen einnehmen oder erscheinen als Begründungsinstanzen mit denen Liebeserfahrungen

erst

möglich

sind.

Mit

dieser

Beobachtung

verwischen

die

Differenzierungskriterien zwischen Liebe und Medienfaszination3. Vom Ausgangspunkt dieser Alltagsphänomenologie wird der Problemaufriss einer theoretischen Erörterung der Medialität von Liebe formuliert: Zunächst scheint die Problematik einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits in beiden Begrifflichkeiten angelegt zu sein, da weder ein allgemeinverbindlich anerkannter Medien- noch ein allgemeinverbindlicher Liebesbegriff

1

vgl. Barthes, Roland (2007): Fragmente einer Sprache der Liebe. Übers. von Henschen, Hans-Horst. 1. Aufl., [Nachdr.] 1984. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2 Montaigne, Michel de (1979): 2. Buch 11. Kapitel. In: Michel de Montaigne. Die Essais. 2. Buch. [1836] Ausgewählt, übers. und eingeleitet von Arthur Franz. Leipzig, S. 194–195. 3 Die Vergleichbarkeit von Liebe und Medienfaszination geht auf Überlegungen meines Doktorvaters Prof. Dr. Bernd Scheffer zurück.

2 existiert. Vor dem Hintergrund einer Heuristik alltäglicher Liebes- und Medienphänomene bietet sich allerdings die Möglichkeit, für den Medien- und den Liebesbegriff einen hinreichend komplexen und dennoch angemessen überschaubaren Bezugsrahmen zu formulieren: Einerseits sind es Medien, die als Instrumente der Konstitution von Beziehungen eingesetzt werden und andererseits Medien, die wiederum spezifische „demigurgische Züge“4 entfalten, die für die Liebe nicht folgenlos sein können: Beispielsweise vermögen es Liebesbriefe im Dienste der Erfahrung von Zweisamkeit räumliche und zeitliche Distanzen zu überbrücken und damit zu ver- und über-mitteln. Andererseits ist die Erfahrung der Zweisamkeit wiederum an eine Kultur der Schriftlichkeit gebunden, die eine mögliche Zweisamkeitserfahrung an konventionalisierte und gesellschaftlich institutionalisierte Kommunikationsverfahren mit Medien bindet. Die Entscheidung einer begrifflichen Konzeption, die einerseits Medien die Funktion des Über- oder Vermittelns für die Liebe zuschreibt, Medien aber zu gleich als eigenwillige Konstituenten von Situationen auffasst, die in Beziehung zur Idee einer Vermittlung in der Liebe stehen, stellt die Aufgabe eine mehrfache Interpendenz von Medien und Liebe zu begründen. Der Vorteil einer argumentativen Ausrichtung auf die Interpendenz von Medien und Liebe ist, dass so die Komplexität

beider

Themenkomplexe

reduziert

werden

kann

und

für

dieses

Beziehungsgefüge relevante theoretischen Substrate extrahiert werden können. Eine solche Vorgehensweise erweist sich allerdings nicht nur vorteilhaft, um ein geeignetes theoretisches Instrumentarium zu entwickeln, sondern hat auch Konsequenzen für die Auseinandersetzung mit diversen Medien- und Liebestheorien. Medialität von Liebe als theoretischer Überbegriff leitet dazu an, in den Geistes- und Sozialwissenschaften etablierte Theorien kritisch zu überprüfen und neu zu kombinieren. Denn mit der Grundannahme einer wechselseitigen Abhängigkeit von Vermittlungsaspekt, Konstitutionsleistung der Medien und Liebesbegriff lassen sich z.B. die demigurgischen Züge der Medien nur jeweils in Beziehung einer Mediennutzung in der Liebe, beschreiben und können nicht mehr lediglich auf ein materielles oder technisches Apriori der Medien bezogen werden, wie dies immer noch in vielen Bereichen der Medien- und Medienwirkungsforschung üblich ist: Wenn das Telefon erlaubt eine Distanz zwischen einem Liebespaar zu überbrücken und scheinbar die Technik die Überbrückung überhaupt erst ermöglicht, dann hat dies tatsächlich nicht nur mit der technischen Leistungsfähigkeit zu tun, die es erlaubt eine Stimme über eine große räumliche Distanz zu hören, sondern immer auch mit der (liebenden) Bereitschaft die Distanz zumindest 4

Zu den demigurgischen Zügen, die Medien in diversen Theorien immer wieder zugesprochen werden vgl.: Sybille Krämer (2008): „Medien, Boten, Spuren. Wenig mehr als ein Literaturbericht“. In: Münker, Stefan (Hg.): Was ist ein Medium. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 65–90. hier S. 66-67.

3 vorübergehend und situationsbezogen als Überbrückung und Vereinigung anzuerkennen. Und auch wenn, wie Roland Barthes betont hat, die Distanz immer als Problem des Telefonats mitläuft, versucht man „Mittels des Telephons […] fraglos, die Trennung zu leugnen – wie das Kind, das, weil es die Mutter zu verlieren fürchtet, pausenlos mit einer Spule spielt;“5. Ein Telefonat zwischen Liebenden erfüllt erst dann seinen Zweck für die Liebe, wenn es gelingt die technischen Rahmenbedingungen und auch die hierarchische Differenz zwischen Anrufendem

und

Angerufenem6

auszublenden,

um

den

Eindruck

unmittelbarer

Kommunikation in einer quasi „mysthischen Vereinigung“ aufrecht erhalten zu können7. In der Folge gilt für Liebe, dass sie nicht nur stets auf Medien angewiesen ist, sondern bestimmte Formen der Mediennutzung und Zuschreibungen an die Leistungsfähigkeit von Medien heranträgt. Der Vermittlungsaspekt der Medien ist, so gesehen, also immer auch eine Folge einer Liebeskonzeption, die Mittelbarkeit konstruiert und die Medien dort zu Instanzen der Unmittelbarkeit macht, wo eigentlich Mittelbarkeit angenommen werden muss und Unmittelbarkeit unwahrscheinlich erscheint. Die zentrale These, die von einem wechselseitigen Konstitutionsgefüge von Medien und Liebe ausgeht, lautet dementsprechend, dass Medien immer auf Liebe angewiesen sind, um in Liebessituationen mediale Funktionen einnehmen zu können, während der Einsatz von Medien wiederum maßgeblich an der Entstehung von Liebe beteiligt ist. Zur metaphorischen Verdeutlichung dieser konstitutiven Wechselbeziehung sei eine berühmte Überlegung von Umberto Eco zur Haltung der Postmoderne angeführt, die einerseits den Charakter der Mittelbarkeit von Liebe unterstreicht und andererseits zeigt, dass sogar ein allgemeines kulturelles Wissen um diese Vermittlungsgebundenheit von Liebe angenommen werden kann:

Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann: >Ich liebe dich inniglichwie Liala sagen würde: ich liebe dich inniglich

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