Die Kinder dieser Welt

Die Kinder dieser Welt … Predigt zu Lk 16,1-13 (C/25) Wie gewohnt war ich im Urlaub mit meinem Freund wieder in den Bergen. Beim ersten Frühstück im ...
Author: Bertold Blau
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Die Kinder dieser Welt … Predigt zu Lk 16,1-13 (C/25)

Wie gewohnt war ich im Urlaub mit meinem Freund wieder in den Bergen. Beim ersten Frühstück im Gasthaus fiel uns sofort auf: Eine so gute Marmelade begegnet einem selten. Natur pur. Fruchtig. Voll im Geschmack. Wir fragten unsere Wirtin, woher die Marmelade sei. „Wird ganz in unserer Nähe hergestellt“, war die Antwort, „das Beste, was es gibt. Aber es kostet auch etwas!“ Die Wirtin nannte uns die Adresse und nach einem Wandertag sind wir am Abend hingefahren. Wir bogen in eine Nebenstraße ein, vorbei an alten Bauernhäusern mit Scheunen, Backofen, einem kleinen Kapellchen – und dann staunten wir: Mitten in einer abgelegenen Naturidylle der Dolomiten ein Gebäude mit topmodernem Design: Ganzglasfenster, Stein, Holzverkleidung – im Bauhausstil, aber aus heimischen Materialien: Granit und Holz. Wir staunten: Der Parkplatz voller Autos. Es gibt keine große Werbung – und doch werden die Produkte von Einheimischen wie Fremden gesucht. Fragen sich die Urlauber nach diesen Produkten durch. Wir steigen aus dem Auto. Über der Eingangshalle eine moderne Installation: Zwei riesige farbenfroh stilisierte Stahlblumen, die lächeln, sich einander zuneigen und sich die Hand geben, sagen uns: Hier bist du willkommen, Tritt ein!

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Gleich im Eingangsbereich werden auf Eichenstelen in Glaskästen die Marmeladengläser im besonderen Licht präsentiert: wie Edelsteine oder wertvolle Pretiosen. So etwas gibt es nur in Museen – oder in unseren Kirchen: die Reliquienschreine. Wer die kostbare Marmelade kaufen will, muss Treppen aus rustikaler Eiche hochsteigen – in den Verkaufsraum. Dort stehen die verschiedenen Marmeladensorten kunstvoll präsentiert, jeweils mit dem lateinischen Namen der Frucht versehen: vitis Preiselbeere, fragula Erdbeere, myrtillus Heidelbeere, raspera Himbeere, alba Aprikose, ficus Feige ... Urige Filzsessel laden zum Verweilen ein. Und wir entdecken: Es sind nicht nur einheimische Früchte, die hier zubereitet werden. Da gibt es auch exotische Mischungen: Marille und Ingwer-Pfefferminze, Birne und Limette, Pfirsich und Zitronengras. Direkt vom Verkaufsraum aus kann man in die Betriebsräume schauen: Arbeitstische und Gerätschaften. Alles ist hier transparent. Wer sich für eine der Köstlichkeiten entscheidet, bekommt die Ware nach Wunsch in einer Papiertragetasche, in einem Holzkörbchen oder Fleece verpackt. Kostproben umsonst gibt es keine. Dafür sind die Marmeladen zu kostbar. Man muss sich entscheiden. Investiert man etwas – oder man verpasst den tollen Geschmack! Beim Hinausgehen fällt uns das dicke, handgebundene Buch auf, in das die Besucher ihre Eindrücke schreiben können.

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Unten vor dem Verlassen finden wir im Eingangsbereich das Geheimnis des Ortes kurz zusammengefasst als Motto an der Wand: Ursprüngliches trifft auf Innovation. Köstliches trifft auf Raffinesse. Vergangenes trifft auf Zukunft. Willkommen an einem Ort voller Schaffenskraft und Zeitgeist. Und der junge Unternehmer erklärt: „So fingen wir an: in der Küche meiner Mutter kochten wir die ersten Früchte ein. Ich tüftelte tagelang an den geeigneten Zutaten, dem optimalen Fruchtanteil und der perfekten Herstellung.“ Und draußen beim Verlassen des Gebäudes erinnert ein Satz auf einem schlanken vier, fünf Meter hohen Granitstein, der zum Himmel ragt, an die Unternehmerphilosophie: Always remember your vision – Erinnere dich immer an deine Vision. Vergiss nie deinen Ursprungstraum. Liebe Zuhörer, nach dem Besuch dieser modernen Marmeladenproduktions- und Verkaufsstätte wurden wir als Theologen sehr nachdenklich und fragten uns: Wäre das nicht ein Motto für unsere Kirche? Geradezu ein Rezept für unsere Zeit, in der so vielen Menschen nichts mehr schmecken will von dem, was wir anbieten. Und dabei hätten wir doch alle Zutaten: Ursprüngliches – die markigen Sätze des Nazareners. Seine Lebensweisheiten, die bis heute auf Anhieb

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verständlich sind, die irritieren und provozieren, die neue Denkanstöße liefern. Köstliches – die Atmosphäre in unseren Kirchen, edle Kunst großer Maler und Bildhauer, feine Musik genialer Komponisten, edle Riten, aussagekräftige Symbole, einen Hort der Stille. Vergangenes – die Weisheit eines Kirchenjahres. Alte Traditionen, die über Jahrhunderte das Leben von Menschen geprägt haben. Lieder und Gebete, die Menschen seit Jahrhunderten getragen haben. Vorbilder des Glaubens, die Menschen in ihrem Leben geformt haben. Heilige Sinnsprüche, die vielen zum Lebensskript geworden sind. Schaffenskraft: Wir haben in unseren Reihen so viel guten Willen, den oft immensen Einsatz so vieler Ehrenamtlicher. Menschen, die sich für nahe oder fremde Not einsetzen, die so viel Kraft und Zeit für das Gemeinwohl aufbringen. Aber was uns fehlt, ist der Mut, dass wir Ursprüngliches auf Innovation, Köstliches auf Raffinesse und Vergangenes auf Zukunft treffen lassen. Unserer alten Kirche fehlt vor allem ein positives Verhältnis zum Zeitgeist. Ich meine damit nicht, dass wir jeder Mode und jedem Trend gleich hinterherspringen, sondern dass wir uns trauen, Neues zu kreieren, ohne die Tradition zu verraten. Aber auch ohne nur die Tradition nach den uralten Rezepten stets neu aufzukochen – und nicht zu merken, dass sie längst geschmacklos geworden ist, weil die Raffinesse, der Esprit und vor allem ein Schuss Zeitgeist fehlt.

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Dazu braucht es Mut. Den hat auch der junge Unternehmer in den Dolomiten gebraucht: Ein kleines Bauernhäuschen wurde um einen modernen Prachtbau samt transparenter Marmeladeherstellung mit modernsten Geräten ergänzt. Vielleicht liegt das Geheimnis darin, dass man die Ursprungsvision nie vergisst, wie der junge Fabrikant erzählt: Always remember your vision … in der Küche der Mutter angefangen ... So gut soll es immer schmecken ... Das wäre etwas: Wenn die Leute auch über unsere Kirche sagen würden: Die stellt Lebensmittel für uns bereit. Da kannst du dir Worte auf der Zunge vergehen lassen. Du möchtest gar nicht aufhören zuzuhören – und willst automatisch etwas davon den Leuten mitbringen, die du magst. So etwas muss man gehört haben. Das bringt Geschmack in dein Leben. Liebe Zuhörer, der abendliche Besuch in den Dolomiten war für uns zwei Theologen eine gute Urlaubslektion und ein anschauliches Beispiel für die Behauptung, die Jesus im heutigen Evangelium provozierend so formuliert: „Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts“ (Lk 16,8). Einleitung Wenn wir Sätze aus der Bibel mit unserem Leben in Verbindung bringen können, wenn Erlebtes Sätze der Bibel uns neu in ihrer Bedeutung aufgehen lässt, dann spüren wir: Diese alten Worte sind nicht abgehoben und aus einer fernen Welt. Diese alten Worte, die wir im Gottesdienst hören, können Lebenselixier sein.

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Von einem solchen Erlebnis aus dem Urlaub in der Verbindung zu einem markigen Satz Jesu im heutigen Evangelium möchte ich Ihnen heute in der Predigt erzählen. Lieder: 457;446,1-4; 477,3. TAG: 38 (Tatkraft und Phantasie); Fürbitten Immer wieder geht uns die Bedeutung der alten Botschaft des Evangeliums für unser heutiges Leben auf. Gott, wir bitten dich: Unsere Kirche braucht kluge Menschen, damit sie die Zeichen der Zeit erkennen und deuten kann; damit sie vorausdenken und sich auf neuen Situationen einstellen kann. Schenke uns Klugheit, Herr. A: Schenke uns Klugheit, Herr. Unsere Kirche braucht phantasievolle Menschen, damit deine frohe Botschaft auf vielen Wegen weitergegeben wird; damit deine Liebe an vielen Orten zu spüren ist. Schenke uns Phantasie, Herr. A: Schenke uns Phantasie, Herr. Unsere Kirche braucht zuverlässige Menschen, damit deine Treue in der Welt zu entdecken ist; damit Vertrauen untereinander und zu dir wachsen kann. Schenke uns Zuverlässigkeit, Herr. A: Schenke uns Zuverlässigkeit, Herr. Unsere Kirche braucht entscheidungsfreudige Menschen, damit sie nicht den Weg des geringsten Widerstands

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geht; damit sie es nicht jedem recht machen will und dadurch unglaubwürdig wird. Schenke uns Entschiedenheit, Herr. A: Schenke uns Entschiedenheit, Herr. (nach W. Raible, Fürbitten durch das Kirchenjahr, S. 208)

Gabengebet Wir bringen Brot, Zeichen für unseren Alltag und unsere Arbeit. Wir bringen Wein: Zeichen für unsere Sehnsucht nach Feier und Fest. Gott, wir bitten dich: Teile diese Gaben wieder an uns aus Und lass sie uns köstlich werden: Bescheine unseren Alltag mit deinem Licht Und unsere Feste mit deinem Glanz. Kanon Schenk uns den Geist deines Sohnes: treu und zugleich wagemutig; bewahrend und zugleich neugierig; entschieden, aber offen. Lass uns in Tuchfühlung bleiben mit unserer Welt genauso wie mit deinem Wort. Segne unseren Papst in Rom und unsere Bischof in Köln. Lass alle Glieder der Kirche die Zeichen der Zeit verstehen und in der Treue zu deinem Evangelium wachsen. Und lass die Menschen unserer Zeit spüren, dass etwas dran ist an deinem Wort. SCHL: 36 (Speise)

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