„Die Jugend von heute...“ von Markus Hecht
W
as geht in jugendlichen
Bei aller praktischen Erfahrung bewegt man sich in der Auseinandersetzung mit der Thematik trotzdem auf unsicherem Terrain: Beobachtung und Bewertung gehen zum
Hauptschülern von
Teil fließend ineinander über, Verallgemeinerungen sind
heute vor? Was be-
angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit des The-
schäftigt sie? Womit
mas unvermeidlich.
beschäftigen sie sich?
Im besten Fall gelingt es mir, einen kleinen Einblick zu
Was sind ihre Bedürf-
vermitteln, der allerdings fernab wissenschaftlicher Güte-
nisse? Mehr als vier Jahre Jugendsozialarbeit an
kriterien liegt. In der Tätigkeit als Jugendsozialarbeiter ist die Wahrnehmung zwangsläufig auf spezielle Aspekte des jugendlichen Lebens fokussiert. Der Leser möge etwaige Mängel in Sachlichkeit, Neu-
einer Hauptschule
tralität oder Informationsgehalt des vorliegenden Textes
sind eine ausreichend
dadurch ausgleichen, indem er sich selbst mit Jugendli-
lange Zeit, um einen
chen auseinandersetzt. Es ist in jedem Fall lohnenswert! Echt jetzt!
Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt von den Kindern und Jugendlichen erhalten
Was ist Dir wichtig, was brauchst Du in Deinem Leben? Spontane Antworten auf diese Frage entsprechen mit geschätzter 94%iger Wahrscheinlichkeit den zu erwarten-
zu haben und darüber
den Klischees: Handy, Computer und Internet (zum Spie-
berichten zu können.
len, Surfen, Chatten), Fernseher, Spielkonsole, coole Klamotten (dürfen gerne auch mal unverhältnismäßig teuer sein), und natürlich ein Haufen Geld. Bei den etwas Älteren dicht gefolgt von: Alkohol, Zigaretten, Party - bis der Arzt kommt (was er zuweilen dann auch tatsächlich tun muss), unbegrenzte Weggehzeiten, Eltern/Erwachsene, die einem keine Vorschriften machen und schließlich ganz allgemein die Freiheit, tun zu dürfen, worauf man gerade Bock hat. Schließlich hat man als Jugendlicher ja einen Ruf zu wahren....
AUSWEGE – 9.4.2008
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Die Jugend von heute ...
sen zu werden: „Ich will nicht alleine sein!“
Produkte der Spaßgesellschaft?
„Ich will ja wohl hier nicht der Looser sein!“
Doch auch wenn es auf den ersten Blick so
„Ich will ja wohl nicht so ein
aussehen mag: Die meisten Hauptschüler sind
OPFER sein!“
wahrscheinlich eben nicht die ausschließlich
Teilweise zeigen die Kinder
materialistisch-hedonistisch orientierten Pro-
und Jugendlichen große Un-
dukte der Spaßgesellschaft, für die man sie
sicherheit bzw. Angst, Cha-
halten könnte oder möchte. Klar ist: „Feiern!
rakter zu zeigen und sich
Party machen! Saufen! Chillen! – Alles seee-
damit
ehr wichtig!“ Aber:
möglicherweise
als
Man haut mordsmäßig auf den Putz und benimmt sich daneben
angreifbar oder schwach zu präsentieren. Dies
Feiern! Party machen! Saufen! Chillen! Alles seeeehr wichtig!
Dinge, die für viele Er-
kann dazu führen, dass der Wunsch nach indi-
wachsene
Werte
vidueller Entfaltung hinter dem Bestreben zu-
darstellen, wie zum Bei-
rücktritt, anonym in der Masse zu unterzuge-
spiel eine intakte Fami-
hen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu
lie,
bieten.
gute
echte
Freunde,
ein
Einkommen
Oder man haut stattdessen mordsmäßig auf
oder eine harmonische
den Putz, benimmt sich daneben, lässt andere
Partnerschaft
sind nach
in dem Glauben, man sei echt von der übels-
meiner Erfahrung für Jugendliche nicht minder
ten Sorte und überdeckt damit alle positiven
bedeutungsvoll. Oft werden sie einfach nur
Charakterzüge. Manchmal findet man auf die-
deshalb nicht spontan benannt, weil
se Weise sogar schneller sozialen Anschluss…
–
gesichertes
(Der Ausspruch „Alleine ist er/sie total lieb,
für Jugendliche halt erst mal andere Dinge
hilfsbereit und höflich! Aber zusammen mit
zählen oder weil –
den anderen? Auweh!“ dürfte bekannt sein.)
„… ja wohl eh klar ist, dass das voll wichtig ist und man das braucht!“
–
...vielleicht aber auch deshalb, weil derartige Dinge seltener in ihrem unmittelbaren Erfahrungsbereich liegen und demnach in ihren Gedanken unterrepräsentiert sind. Ein stabiles familiäres Fundament oder gesunde Freundschaften, die sich durch eine gewisse Verbindlichkeit und gegenseitige Achtung auszeichnen, sind weitaus seltener als man denken könnte.
Um jeden Preis dazugehören Alle Jugendlichen verbindet das Bedürfnis, im Mikrokosmos Schule irgendwo dazuzugehören, akzeptiert
und
respektiert
oder
–
im
schlimmsten Fall – wenigstens in Ruhe gelas-
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Die Jugend von heute ...
Dazuzugehören hat seinen Preis. In Teilen
Nach meiner Einschätzung teilt glücklicherwei-
kann es einen manchmal gar die Privatsphäre,
se nur ein kleiner Bruchteil aller Schüler diese
das Leben abseits der so-
„Erkenntnis“ über den eigenen Stellenwert.
zialen Öffentlichkeit, kos-
Die meisten Schüler vermitteln den Eindruck,
ten:
dass sie sehr gerne zur (Haupt)Schule gehen,
Da man unter Umstän-
sie sind selbstbewusst und scheren sich recht
den sehr schnell in der
wenig um irgendwelche Vorurteile.
Gunst
Mit-
Es steht allerdings außer Frage, dass der Aus-
menschen sinken könnte,
spruch der Schülerin ein gerüttelt Maß Wahr-
vernetzt man sich besser
heit enthält, sieht man einmal von der angeb-
SOFORT möglichst UM-
lichen generellen Dummheit der Hauptschüler
FASSEND
ab:
Wer ansatzweise die Voraussetzungen hat, schaut, dass er möglichst schnell den Absprung auf eine „bessere“ Schule schafft
seiner
Freunden ten,
mit
ALLEN
und
sorgt
Zum einen: Wer ansatzweise die Vorausset-
Bekann-
dafür
zungen hat, schaut, dass er möglichst schnell
dass
man IMMER für jeden er-
den
reichbar ist und erhöht
schafft, sei es, um das soziale Image oder die
damit
Chancen,
Chancen auf einen Arbeitsplatz zu verbessern.
jede noch so subtile Ver-
Zum anderen: Die allgemeine schulische Leis-
änderung im Sozialgefüge mitzubekommen.
tungsbereitschaft einiger Schüler könnte si-
Stehen die Zeichen auf Sturm, kann man sich
cherlich ausgeprägter, und die Tendenz, ir-
rechtzeitig neu positionieren oder neue Allian-
gendwelchen Unsinn zu verzapfen und sich al-
zen eingehen.
lem, nur nicht der Schule zu widmen, gleich-
seine
Absprung
auf
eine
„bessere“
Schule
zeitig gerne etwas weniger ausgeprägt sein. Manche Jugendliche belastet dieser Konformitätsdruck massiv, andere wiederum schaffen es, ihm nicht ohne weiteres nachzugeben und können ihm standhalten.
Was geht'n?! Im Vergleich zu den Schülern an Wirtschaftsund
Realschulen
oder
Gymnasien
haben
Hauptschüler ein vergleichsweise schlechtes soziales Image. In einem Gespräch sagte einmal eine Schülerin zu mir: „Als Hauptschüler bist` ja wohl echt der Depp der Nation!“ Auf meine Frage, wie das denn gemeint sei, bekam ich zu hören, dass es „…von denen immer heißt, die sind dumm, faul, machen lauter Scheiß und schlägern die ganze Zeit und so. Naja, das stimmt ja auch irgendwie! Oh Mann! Hoffentlich schaff` ich die Aufnahme an der Wirtschaftsschule!“ AUSWEGE – 9.4.2008
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Die Jugend von heute ...
Wenn man allerdings hört, dass ebendiese Schüler ihre Haltung nicht selten damit begründen, dass sie für ihre
Der Begriff Spaß ist vor allem durch Zerstreuung definiert
Zukunft ohnehin keine rea-
Mitunter bewahrheitet sich in solchen Fällen leider, dass, wer unter ungünstigen Voraussetzungen ins Leben startet, geringere Chancen hat,
listischen Perspektiven sehen und deshalb
seine Biografie in der Grundtendenz positiv zu
Spaß haben wollen, solange es geht, relati-
gestalten. Manchmal bleibt dann nur die Hoff-
viert sich dieser Anspruch sehr schnell.
nung,
Vor allem dann, wenn es sich um Jugendliche
●
handelt, die schon lange auf unterschiedlichs-
dass sich nach der (pubertären) Phase der gefühlten Unverwundbarkeit ein
te Weise mehr oder weniger sich selbst über-
wenig mehr Reife und damit die Er-
lassen sind oder bei denen sich aus verschie-
kenntnis einstellt,
denen Gründen frühzeitig ein tiefer Pessimis●
mus und Lebensfrust eingestellt hat. (Übri-
dass es besser ist, Verantwortung für
gens: Der Begriff „Spaß“ ist nicht ausschließ-
sein Leben zu übernehmen, anstatt
lich durch lebensbejahendes, positives Ver-
einfach alles laufen zu lassen oder gar
gnügen, sondern vor allem durch Zerstreuung
hinzuschmeißen.
definiert und kann daher vom gemeinsamen
Und?...Was machst'n sonst so?
Konsolespielen über harmlose Streiche bis hin zu Mobbing, Sachbeschädigung und Körper-
Chatten! Es ist erstaunlich, welch' hohe Be-
verletzung alles Mögliche enthalten.)
deutung das Chatten für viele Jugendlichen
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Die Jugend von heute ...
hat. Leute, die sich Montag bis Freitag in der Schule sehen und sich prinzipiell auch problemlos nach der Schule treffen könnten, scheinen die
Man kann alles in die Tastatur klimpern, was einem durch den Kopf geht.
Unterhaltung im Chat oft ei-
dass man in ihn/ sie verliebt ist, Gesprächspausen werden als weniger unangenehm
empfunden
und
man kann sich mehr Zeit für die eigene Erwiderung
nem Gespräch von Angesicht zu Angesicht
nehmen.
vorzuziehen.
Allerdings bedingt der halbanonyme Charakter
Mittlerweile hat sich bei mir der Eindruck ge-
des Chattens unter Umständen auch hem-
festigt, dass für viele Jugendliche die rein vir-
mungslose Lästereien, bis hin zu massivem
tuelle Anwesenheit während des Gesprächs
Mobbing. Es wird halt auch leichter, jemanden
eine Form von Sicherheit und Schutz bietet.
total fertig zu machen, wenn man nicht mit al-
Man ist weder der Körpersprache, noch Modu-
len Sinnen erfassen muss, wie das Opfer zu-
lationen in der Stimme des Gesprächspartners
sammenbricht.
ausgesetzt. Dadurch wird man seltener durch
Was gibt es sonst noch für Aktivitäten, mit de-
nonverbale Signale aus dem Konzept ge-
nen die Jugendlichen ihre Zeit verbringen?
bracht, verunsichert oder emotional aufge-
Viele! Zu viele, um auf alle eingehen zu kön-
wühlt. Man bekommt sozusagen ausreichend
nen.
wenig Rückkopplung, um erst mal alles in die
Da wäre natürlich das Fernsehen und Compu-
Tastatur zu klimpern, was einem durch den
ter- bzw. Konsolenspielezocken. In vernünfti-
Kopf geht.
gen Maßen gut geeignet, um abzuschalten,
Das kann durchaus positiv sein: Es wird zum
mit anderen Spaß zu haben, die Langeweile
Beispiel leichter, seinem Schwarm mitzuteilen,
bis zur nächsten sinnvollen Beschäftigung zu
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überbrücken bzw. um ohne große Anstren-
Sonst noch was?
gung ein paar oberflächliche Erfolgserlebnisse
Mit welchen Worten lässt sich der vorliegende
verbuchen zu können.
Das gepflegte Rumhängen ist nach wie vor eine beliebte Freizeitbeschäftigung
Außerdem
ist
das
Artikel abschließen? Um ein weiteres Mal
ge-
einen Jugendlichen zu zitieren: „Ey Mann! Null
pflegte Rumhängen nach wie
vor
eine
Plan!“
beliebte
Letztlich gibt es keine wirklich geeigneten ab-
Freizeitbeschäftigung.
schließenden Worte, zumal die Thematik nicht
Man trifft sich an manchmal
mehr,
weniger Plätzen hängt sich,
abschließend behandelt werden kann.
manchmal öffentlichen
mit
Freunden,
rum,
unterhält
feiert
und/
Wie schon eingangs erwähnt: Der Leser mag sich nach Möglichkeit ein eigenes Bild von jugendlichen Hauptschülern machen. Blickt man
oder
nur ein wenig hinter die gängigen Klischees
provoziert hier und da eine Reaktion der er-
und den äußeren Schein, wird man schnell
wachsenen Bevölkerung. Was im ungünstigs-
feststellen, dass man es mit sehr interessan-
ten Fall daraus erwachsen kann, lässt sich lei-
ten und angenehmen jungen Persönlichkeiten
der immer wieder mal in der Tageszeitung
zu tun hat.
nachlesen... Darüber hinaus sind viele Jugendliche in diver-
Genug gesagt!
se Vereine (vor allem Sport-, insbesondere Fußballvereine) eingebunden. Diese sind im Übrigen ideal, um Kindern und Jugendlichen Selbstvertrauen und soziale Kompetenzen zu vermitteln.
Über den Autor: Markus Hecht ist Sozialpädagoge und arbeitet als Schulsozialarbeiter an einer Hauptschule. In den AUSWEGEN wurde bisher von ihm veröffentlicht: „Jugendsozialarbeit an Schulen“ Fotos: S. 2 und 4: ©fionn/www.pixelio.de S. 3: ©AirSpotter/www.pixelio.de S. 5: hofschlaeger/www.pixelio.de
AUSWEGE – Perspektiven für den Erziehungsalltag Online-Magazin für Bildung, Beratung, Erziehung und Unterricht www.gew-ansbach.de/auswege
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