in Sulzbach an der Murr

Die historische Klais-Orgel

Texte und Bilder: Reiner Schulte Herausgegeben von der Kath. Kirchengemeinde St. Paulus Friedhofstr. 14 71560 Sulzbach an der Murr und dem Dekanat Rems-Murr Dekanatskirchenmusiker Reiner Schulte Obere Bahnhofstraße 26 71522 Backnang

Die Klais-Orgel, noch in Hürth-Berrenrath

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Eine seltene Spezies Eine Orgel steht ja in fast jeder Kirche. Die in der St.-Paulus-Kirche in Sulzbach a. d. Murr ist aber ein außergewöhnliches Instrument. Unter allen Orgeln des Katholischen Dekanats Rems-Murr ist sie die älteste und hat wohl die bewegteste Geschicht. Ursprünglich ist sie nicht für Sulzbach entstanden – die Sulzbacher Kirche ist erst 1956 eingeweiht worden – sondern für die neogotische Kirche St. Wendelinus in Hürth-Berrenrath. Erbauer der Orgel war die renommierte Bonner „Orgelbauanstalt Johannes Klais“, die das Instrument 1911 als ihr opus 449 geliefert hat. Die Kirche in Berrenrath wurde, wie der ganze Ort, wegen des Braunkohletagebaus in der Region 1958 abgerissen, und die Orgel kam so in die damals noch neue Kirche nach Sulzbach. Damit ist sie nicht nur hier im Dekanat die älteste Orgel, sondern überhaupt ein Exemplar einer mittlerweile seltenen Spezies: Von den Orgeln dieser Zeit gibt es nur noch wenige, deren Pfeifenbestand und technische Anlage wie in Sulzbach weitgehend unverändert erhalten sind.

Die Klais-Orgel in Berrenrath Die Kirche in Berrenrath, in der die Klais-Orgel zuerst stand, ist 1890 von Theodor Roß entworfen worden. Zwischen 1890 und 1911 hat der Kölner Architekt in der Region um Köln zahlreiche Kirchen gebaut. In Berrenrath war es eine dreischiffige Kirche im Stil der Neogotik und hatte ein auf Säulen ruhendes dreijochiges Langhaus. Der Auftrag für eine Orgel mit 11 Registern ging an die Orgelbauanstalt Johannes Klais im 40 Kilome-

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ter entfernten Bonn. 1882 gegründet existiert die Firma noch heute und gehört zu den renommiertesten Firmen, die etliche Domkirchen (z. B. in Köln, Trier, Worms, Münster, Hildesheim, Würzburg) und Konzertsäle weltweit mit Orgeln ausgestattet hat. 2016 entsteht in Bonn z. B. die Konzertorgel für die Elbphilharmonie in Hamburg. Der "Kostenanschlag vom 23. December 1909" wurde von Kirchenvorstand Berrenrath angenommen. Im Sulzbacher Pfarrarchiv findet sich eine Kopie der Auftragsbestätigung des Orgelbauers (Johannes Klais) und eine Kopie der Genehmigung des Projekts durch die Erzdiözese Cöln vom 5. April 1905. Laut Auftragsbestätigung kostete die Orgel 4780 Mark¹. (Zum Vergleich: Ein gelernter Maurer verdiente um 1910 etwa 40 Mark die Woche². Die Orgel entsprach also seinem etwa zweieinhalbfachen Jahreseinkommen. Legt man die Kaufkraft der Jahre um 1911 für einen Vergleich zugrunde, entspäche das heute etwa einem Betrag von 30.000 €. Das erscheint außergewöhnlich günstig. In der Genehmigung des Orgelbaus durch das Erzbistums Cöln wird die "Kostenberechnung" auch als "mässig" bezeichnet³. Heute müssten pro Register in einer kleineren Orgel etwa 18.000 bis bis 20.000 € veranschlagt werden. Eine neue Orgel mit elf Registern würde heute folglich etwa 200.000 € kosten. Ein Jahr nach der Genehmigung der Erzdiözese war die Orgel bereits fertig. Am 27. April 1911 berichtet Frimengründer Johannes Klais seinem Sohn Hans Klais, die Orgel "in Berrenrath sei fertig aufgestellt."4

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Eine Skizze von zwei Klais-Mitarbeitern, die 1950 an die Orgel kamen und den Zustand dokumentierten, zeigt, wie sich die Pfeifen der drei Teilwerke (I. Manual, II. Manual und Pedal) auf das Gehäuse verteilt haben:

Auch auf einem Foto der Orgel (siehe Seite 4) kann man sehen, dass das Orgelgehäuse zweigeteilt aufgestellt war, um in der Mitte Platz für ein Fenster zu lassen. Über dem Fenster, in der Mitte der Orgel und über dem Spieltisch, war noch ein weiterer Teil der Orgel angebracht. Die Klais-Orgel in ihrer ursprünglichen Form war ein typisches Beispiel für den Orgelbau vor dem Ersten Weltkrieg, das äußert sich vor allem in drei Eigenschaften: ● in der der Disposition (der Auswahl der zur Verfügung stehenden Register), ● in der Verwendung von Zink für die großen Pfeifen und ● in der technischen Anlage, insbesondere der pneumatischen Traktur.

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Die Auswahl der Register, die Disposition, ist eher grundtönig: In beiden Manualwerken ist die Hälfte der Register in der 8-Fuß-Lage und selbst die höher klingenden Register (Sifflöte 2' und Cornett-Mixtur) sind so intoniert, dass sie sich in das grundtönige Klangbild einpassen. Mit der originalen Disposition konnte der Organist auf dieser relativ kleinen Orgel eine kontinuierliche Zunahme der Lautstärke gestalten, die ohne große Sprünge auskam. Offenbar wurde das auch praktiziert, denn es gibt an der Orgel eine Spielhilfe, ein Fußpedal („CrescendoTritt“ oder auch „Walze“ genannt), mit dem die Register eines nach dem anderen ein- bzw. ausgeschaltet werden können. Die Disposition der Orgel 1911 Pedal Subbass 16‘ Violon 8‘

Holz Zink, teilw. im Prospekt

I. Manual Principal 8‘ Corno 8‘ Flauto 8‘ Geigenprincipal 4‘ Cornett-Mixtur 2-3f

Zink, teilw. im Prospekt 24 Pfeifen Zink 24 Pfeifen Holz 12 Pfeifen Zink Zinn

II. Manual Salicional 8‘ Lieblich Gedeckt 8‘ Flauto dolce 4‘ Sifflöte 2‘

C-H abgeführt 24 Pfeifen Holz Zinn Zinn

Manual-Koppel II/I; Suboctav-Koppel II/I Pedal-Koppel I; Pedal-Koppel II Fest Kombinationen: Piano, Forte, Tutti

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Piano im Pedal; Octavkoppeln ab Crescendo-Tritt, Crescendo ab

Ein erheblicher Teil der Metallpfeifen ist aus Zink. Insbesondere die großen Pfeifen hat man durchweg aus diesem Material gebaut. Bereits seit 1835 wurde Zink im Orgelbau verwendet, zunächst nur für Zungenregister. "Um 1900 setzte [Zink] sich […] insbesondere für die großen Pfeifen der Principal- und Streicherregister allgemein durch. Unter dem Einfluss der Orgelbewegung wurden Zinkpfeifen nach 1950 zunehmend verpönt, so dass Zink heute schon wieder zu den ungewöhnlichen Materialien im Orgelbau zählt.“5

Das Pfeifenmaterial selbst hat kaum Einfluss auf die Klangeigenschaften. Ausschlaggebend für die Materialwahl ist eher die Bearbeitbarkeit. Folglich hat man kleinere Pfeifen auch um 1911 aus einer Zinn-Blei-Legierung gefertigt, die weicher und leichter verformbar ist. Eine weitere Besonderheit der Sulzbacher Orgel ist die Traktur, die Verbindung von Taste und Pfeife. Sie ist bei der Klais-Orgel als pneumatische Kegellade ausgeführt (s. Abbildung Seite 10), d.h. die Ventile werden mittels Luftdruck, der durch kleine Bleiröhrchen geleitet wird, geöffnet. Das

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sorgt für eine leichte Spielbarkeit und für einen weichen Toneinsatz. Heute wird dieses pneumatische System bei Neubauten so gut wie nicht mehr verwendet, neue Orgeln werden seit ca. 1950 fast ausschließlich mit Schleifladen gebaut. Für Musik der Spätromantik ist die Kegellade aber bestens geeignet. Denn hier sollen die Töne legato verbunden werden, sich also ohne Akzent und ohne Lücke aneinanderfügen. Für Organistinnen und Organisten gibt es heute nicht mehr häufig die Gelegenheit, pneumatische Orgeln zu spielen. In Sulzbach ist es glücklicherweise nach wie vor möglich.

Querschnitt durch eine pneumatische Kegellade. Quelle: Albert Merklin, Organología. Madrid 1924

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Der Umbau 1950 Im Jahr 1950 war die Klais-Orgel 39 Jahre Jahre alt und hatte zwei Weltkriege überstanden. Der Zustand des Instrumentes war offenbar nicht gut. Die beiden Orgelbauer der Firma Klais („die Herren Arens und Weber“), die im Mai (16.5.50) vor Ort waren notierten: „Druckknöpfe gehen nicht Bronze von Prosp[ekt].pf[eifen]. blättert ab Einige Disk.[ant] pf.[eifen]. fehlen Orgel total verdreckt. 2 Mann 1 Woche“6

Daraufhin machte Hans Klais, der die „Orgelbauanstalt Johannes Klais“ seit 1925 leitete, dem Berrenrather Pfarrer Steppkes am 13. Juni 1950 ein Angebot über eine Ausreinigung (für „etwa DM 400,-- bis 450,–“). Darüber hinaus schlägt er vor, die Disposition der Orgel, also die Registerzusammenstellung, zu verändern.

Diese Änderung ist typisch für die Nachkriegszeit und spiegelt die veränderten Klangvorstellungen gegenüber 1911 wider. Hans Klais dazu: „Die Orgel wurde zu einer Zeit gebaut, als man hinsichtlich des Klangaufbaues ein übermäßig grundtöniges Ziel verfolgte, das heute weit überholt ist.“

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Die Mehrkosten veranschlagt er auf „ca. DM 500,--“. Die Änderungen wurden damals tatsächlich durchgeführt, und mit diesem veränderten Klangaufbau ist die Orgel bis heute erhalten. Die Modifikationen sind durchaus einschneidend: Im Hauptwerk wird das Register Corno 8‘ (dazu weiter unten mehr) durch die hellere Sifflöte 2‘ aus dem II. Manual ersetzt. Die „Cornett-Mixtur 2-3f[ach] wird „teils neu“ angefertigt. Sie klang ursprünglich tiefer und hatte einen Terz-Chor (also 2 2/3', 2', 1 3/5'). Im II. Manual wird ein weiterer Streicher, das Salicional 8‘, durch ein helles Register, die Sesquialtera 2fach, ersetzt und für die Sifflöte 2‘, die ins I. Manual gewandert war, kommt ein schärferer Principal 2‘ neu in die Orgel. Man sieht: Der zarte Klang der Streicher-Klangfarben war um 1950 außer Mode. Stattdessen entdeckte man im Zuge der sog. Orgelbewegung die schärferen und helleren Klänge der Barockorgel wieder. Bis heute kann man die Unterschiede in der Beschriftung der Registerwippen am Spieltisch erkennen. Die originalen Wippen sind im II. Manual mit

Die 1958 teilweise veränderten Registerwippen

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rosafarbenen, gewölbten Porzellan-Plaketten besetzt. Die 1958 eingebauten neuen Plaketten sind weiß und flach. Auch die beiden veränderten Beschriftungen im I. Manual („Sifflöte“ und „Mixtur“) unterscheiden sich von den originalen (Bild S. 13). Leider hat die Orgel klanglich ihren einheitlichen spätromantischen Charakter durch diese Veränderungen eingebüßt. Seither fehlen für die spätromantische Orgelliteratur die beiden wichtigen Streicher-Farben, und für die Barockmusik ist die Orgel nach wie vor weitgehend ungeeignet. Aus heutiger Sicht wäre es klüger gewesen, man hätte die Orgel 1950 nur gereinigt und nicht in ihrem Klangaufbau verändert.

Corno 8' – Ein Rätsel Bei dem Umbau 1950 hat die Orgel zwei Register verloren: Das Salicional 8' im II. Manual und ein Register namens Corno 8' im I. Manual. Bei dem Salicional kann man sich gut vorstellen, wie es geklungen haben mag. Solch ein Register ist heute noch regelmäßig in Orgeln zu finden. Beim Corno 8' ist das anders. Zuerst würde man denken, es handele sich dabei um ein Zungenregister. Bezeichnungen wie "Corno" (oder deutsch: "Horn") sind für Zungenregister nicht selten. Und Horst Hodick listet in seinem Standartwerk über Klais-Orgeln das Register "Corno" der Berrenrather Orgel nach der Cornett-Mixtur auf7. An dieser Stelle stehen in einer Dispositionsaufzeichnung normalerweise die Zungenregister. Wahrscheinlich ist das ein Irrtum von Hodick. Denn in den handschriftlichen Notitzen, die zwei Orgel-

14von 1911 und Gehäuse von 1958 Spieltisch

bauer der Firma Klais vor dem Umbau an der Orgel gemacht haben, steht "Corno 8'" zwischen dem Principal 8' und dem Flötenregister "Flauto 8'". Hans Klais listet es in seinem maschinenschriftlichen Angebot von 1950 nach der Flauto 8' auf (s. Seite 12). Beides deutet eher auf ein Labialregister hin, wahrscheinlich einen Streicher, und eben nicht auf eine Zungenstimme. Gesa Graumann von der Firma Klais Orgelbau schreibt dazu: "Cavaillé-Coll [der wichtigste französische Orgelbauer im 19. Jahrhundert] hat sehr vereinzelt ein Corno dolce gebaut. Das ist bei ihm ein matter aber klar zeichnender Streicher, offen und leicht trichterförmig. Bei uns hieß das sonst immer Dolce, aber diese Verbindung drängt sich auf und würde auch Sinn machen. Auch in Bezug auf die Materialangabe mit Zinkpfeifen von C bis h. An eine Zunge glaube ich auch dem Namen nach nicht. Das Horn hieß in KlaisOrgeln auch eigentlich immer Horn."8

Mark Vogl (Leutkirch) hat sich die Dispositionen der kleineren Klais-Orgeln der Zeit um 1911 angeschaut und folgendes beobachtet: "Bis etwa 1911, also in etwa bis zu dem Zeitpunkt, ab dem bei Klais die offensichtlich stark von der Elsässer Reform beeinflussten Dispositionen eingeführt wurden, war in der Regel bei Orgeln unter 15 Registern keine Zunge disponiert. Ab 15, eher ab Dispositionen mit über 18 und mehr Registern wurde dann gewöhnlich eine Trompete 8' im I. Manual gebaut."9

Auch das spricht also gegen die Deutung von "Corno 8'" als Zungenregister. Wenn man also nicht davon ausgeht, dass die Orgel vor 1950 schon einmal umgebaut worden ist und bei dieser Gelegenheit das für Klais-Orgeln von 1911 untypische Zungenregister Corno 8' eingebaut worden

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ist, scheint es sich wohl tatsächlich um ein Labialregister gehandelt zu haben. Musikalisch sinnvoll wäre das allemal, denn so würde sich eine Lücke im Klangaufbau schließen, die weder ein Zungenregister noch die heute an dieser Stelle befindliche Sifflöte 2' füllen kann. Mit einem dezenten Streicherregister wäre ein kleinschrittiges Crescendo vom pianissimo bis zu einer mittleren Lautstärke, bei der dann der kräftigere Prinzipal 8' als nächste Stufe zum Zuge käme, realisierbar. Der Crescendo-Tritt, der im heutigen Zustand der Orgel nicht sinnvoll verwendet werden kann, würde dann wieder seine ihm zugedachte Funktion erfüllen.

Der Umzug nach Sulzbach 1958 Bereits kurz nach dem Umbau, in den 50er Jahren wurde der Ort Berrenrath wegen des Braunkohletagebaus nach und nach verlegt. Die Kirche wurde 1958/59 abgerissen. Die neue St.-Wendelinus-Kirche im verlegten Berrenrath wurde schon 1957 eingeweiht. Die Klais-Orgel hat man allerdings nicht mitgenommen, statt dessen bekam die Kirche 1968 eine Orgel der Firma Stockmann aus Werl. Von der Erbauerfirma Klais gibt es eine Skizze für die „UMSTELLUNG ALTE ORGEL BERRENRATH“ vom 1.4.1958, die aber offenbar nicht realisiert wurde. (Möglicherweise ist der Vorschlag für die neue Kirche in Berrenrath entstanden, jedenfalls wohl nicht für Sulzbach. Hier wäre in der Höhe nicht genügend Platz gewesen.)

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Nicht realisierter Plan für die Umsetzung von Klais, 1958

Die Orgel aus der abgerissenen Kirche kam also nach Sulzbach. Die Berrenrather Gemeinde bekam 1.000 Mark für ihre alte Orgel.¹0 Das Gehäuse war am bisherigen Standort dreiteilig aufgestellt. Der Spieltisch befand sich zwischen zwei Gehäuseteilen und wurde von einem dritten Teil überwölbt. Für den neuen Standort kam das nicht mehr in Frage – es fehlte an Raumhöhe. Der mittlere Teil musste entfallen und der Spieltisch vor der Orgel stehen. Die Anordnung der Prospektpfeifen ist aber weitgehend gleich geblieben, allerdings ohne den mittleren Gehäuseteil. Das Gebläse und der sehr große Balg sind in dem deckenhohen Holzgehäuse rechts neben der Orgel untergebracht. Die Umstellung der Orgel wurde 1958 von dem Orgelbauer Bernhard Scudlik aus Spaichingen (später Schöntal) durchgeführt. Laut Angebot vom 9. Oktober 1958 wurde die Orgel lediglich gereinigt und instandgesetzt. Die Windkanäle und die Bleirohre für die Röhrenpneumatik, die Verbindung von der Taste zum Pfeifen-Ventil, wurden den neuen Platzverhältnissen aus dem vorhandenen Material angepasst. Die Kosten hat Bernhard Scudlik auf 1.680 Mark veranschlagt. Zu der räumlichen

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Aufstellung auf der Sulzbacher Empore heißt es in dem Angebot: "Der Prospekt kann in seiner ehemaligen Gliederung wegen geringer Höhe nicht mehr aufgebaut und muss den räumlichen Verhältnissen rechnungtragend verändert werden. Die beste Lösung wäre ein neuer Prospekt – wovon jedoch wegen fin.[anzieller] Mittel Abstand genommen werden muss."¹¹

Auch auf den Austausch von Membranen (kleine Lederbälgchen, die das Kegelventil heben, um der Luft den Weg in die Pfeife freizugeben) musste damals verzichtet werden.

Die weitere Geschichte 1970 erfolgt eine Ausreinigung, (Teil--)Überholung, Nachintonation und Hauptstimmung der Orgel für 1.776 Mark durch Bernhard Scudlik (Schöntal), der die Orgel bereits 1958 aufgebaut hatte.¹² Offenbar wurde sowohl bei der Überführung 1958 und auch bei der Überholung 1970 aus Kostengründen darauf verzichtet, die Ledermembranen der Kegellade zu erneuern. Von 1976 ist dazu ein Brief an Pfarrer Beil dokumentiert, in dem der Orgelbauer auf die Notwendigkeit hinweist. Die Arbeiten mussten noch warten (wahrscheinlich bis 1984), aber der Brief ist bemerkenswert, der letzte Satz darin lautet: "Oftmals stecken in alten Orgeln bessere Materialien, die es zu erhalten gilt."¹³

Bemerkenwert ist der Satz, weil 1976 die Wertschätzung für die pneumatischen Orgeln der Spätromantik seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Und selbst wenn man in Rechnung stellt, dass der Or-

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gelbauer mit diesen Worten der gebotenen Sparsamkeit der Sulzbacher Gemeinde entgegenkommen wollte, zeugen sie doch von außergewöhnlichem Respekt vor den Leistungen der Erbauerfirma. Möglicherweise ist der vom Scudlik angemahnte Austausch der Membranen 1984 erfolgt, denn im Umfeld der Kirchenrenovierung wurde die Orgel einer Generalüberholung unterzogen, auch hier war wieder Bernhard Scudlik tätig. Als es 1993 Beschwerden eines Organisten über den Zustand des Instruments gab, verfasste der zuständige Orgelsachverständige Michael Saum aus Heilbronn einen Prüfbericht, in dem er mit Hinweis auf den Denkmalschutz "von jedem Eingriff in die Substanz" abrät und die Rekonstruktion des originalen Disposition anregt. Es kam dann zunächst aber nicht zu einer Überholung. Die erfolgt erst 2001, diesmal durch die Firma Reinhart Tzschöckel aus Althütte-Fautspach.

Ausblick Dass es sich bei der Sulzbacher Orgel um ein Denkmal, ein erhaltenswertes Beispiel des Orgelbaus um 1900, handelt, steht außer Frage. Optisch hat die Orgel sich durch die Versetzung von Berrenrath nach Sulzbach erheblich verändert. Aber klanglich und technisch ist sie noch weitgehend die Alte. "Weitgehend" deshalb, weil die Veränderung der Disposition 1950 ihren Charakter beeinträchtigt hat. Es wäre zu wünschen, dass der ursprüngliche Zustand irgendwann wieder hergestellt wird. Der Orgelsachverständigen der Diözese, Michael Saum, hat das in seinen Gutachten bereits ange-

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Der historische Spieltisch von 1911

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regt. Dazu müsste die beiden Register Salicional 8' und Corno (dolce?) 8' rekonstruiert werden, die Sifflöte an ihren alten Platz versetzt werden und die Mixtur wieder in ihrer Form als tiefe CornettMixtur reorganisiert werden. Die Kosten für dies Rekonstruktion würden sich wohl im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich bewegen.

Die Disposition heute Pedal Subbass 16‘ Violon 8‘

1911, Holz 1911, Zink

I. Manual Principal 8‘ Flauto 8‘ Geigenprincipal 4‘ Sifflöte 2‘

1911, Zink 1911, 24, Holz 1911, 12, Zink 1911, Zinn

Mixtur 2-3f II. Manual Lieblich Gedeckt 8‘ Flauto dolce 4‘ Sesquialtera 2f Principal 2'

(1950 aus II. Man.)

z. T. 1911, Zinn

(1950 verändert)

1911, 24 Holz 1911, Zinn 1950 1950

Manual-Koppel II/I Suboctav-Koppel II/I Pedal-Koppel I Pedal-Koppel II Fest Kombinationen: Piano, Forte, Tutti Piano im Pedal Octavkoppeln ab Crescendo-Tritt; Crescendo ab

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Einige Hörbeispiele der Klais-Orgel finden Sie auf www.kirchenmusik.kadek.de

Dank an Firma Johannes Klais Orgelbau, Bonn Siegbert Knapp für die Recherche im Pfarrarchiv St. Paulus Sulzbach Orgelsachverständiger Michael Saum, Heilbronn Orgelsachverständiger Johannes Mayr, Stuttgart Mark Vogl (Leutkirch)

Anmerkungen Pfarrarchiv St. Paulus Sulzbach siehe http://fredriks.de/hvv/kaufkraft.php#calc (Abgerufen am 22.5.2016) ³ Kopie im Pfarrarchiv St. Paulus Sulzbach 4 Horst Hodick, Johannes Klais. Ein rheinischer Orgelbauer und sein Schaffen. Musikverlag Katzbichler, München/Salzburg 1993, Band 2, S. 352 5 Roland Eberlein, Ungewöhnliche Materialien im Orgelbau, S. 2; auf: www.walcker-stiftung.de (Abgerufen am 29.5.2016) 6 Handschriftliche Bestandsaufnahmen vom 16.5.1950, Archiv Fa. Klais; Kopie im Pfarrarchiv St. Paulus Sulzbach 7 Hodick a a. O. 8 Mail an Reiner Schulte vom 23.5.2016 9 Mail an Reiner Schulte vom 15.5.2016 ¹0 laut handschriftliche Ausgabenliste, Pfarrarchiv St. Paulus ¹¹ Kostenanschlag vom 9.10.1958, Pfarrarchiv St. Paulus ¹² Die Rechnung vom 1.9.1970 lautet über 1.776 Mark, Pfarrarchiv St. Paulus ¹³ Brief vom 6.12.1976, Pfarrarchiv St. Paulus ¹ ²

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