Die Handreichung der ELKB»leben und sterben im Herrn«

Die Handreichung der ELKB 
 »leben und sterben im Herrn« »…als wärs ein Teil von mir« Zur Debatte um Hirntod, Organspende und Transplantation Rothenb...
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Die Handreichung der ELKB 
 »leben und sterben im Herrn« »…als wärs ein Teil von mir« Zur Debatte um Hirntod, Organspende und Transplantation

Rothenburg, 28. November 2015 Prof. Dr. Arne Manzeschke

Legenda aurea

Die Heiligen Kosmas und Damian ersetzen das durch Wundbrand zerstörte Bein eines Kirchendieners durch das eines gerade verstorbenen Mohren. Im Verlauf der Jahrhunderte wandelt sich die Darstellung immer mehr von einem religiösen Wunder zu einer medizinischen Operation – im 16. Jahrhundert wachsen die Kenntnisse und Fähigkeiten in der Chirurgie stark an (Ambroise Paré). Mit dem medizinisch-technisch Möglichen gerät das religiös Wunderbare und Unverfügbare immer stärker in den Hintergrund

Quelle: Beinwunder der Heiligen Cosmas und Damian aus Ditzingen, 
 Kreis Ludwigsburg, Anfang des 16. Jhd.

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Legenda aurea

Quelle: Predella, „Das Beinwunder“, Tempera auf Holz, 37 x 45 cm, Florenz, Museo di San Marco

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Aktuelle Diskussion um Organtransplantation

Die Reichweite der Organtransplantation Die Organtransplantation hat, vielleicht wie keine andere Technik, unsere Intuitionen und Konzepte vom Menschen, seinem Leben und Sterben innerhalb weniger Jahre massiv verändert. • Todeszeitpunkt und Todesverständnis • Vorgang des Sterbens und seiner Begleitung • Verständnis von Leib, Körper und den Organen • Prioritäre Stellung des Gehirns im Gesamtkörper • Verständnis von Personalität • Erwartung einer Verlängerbarkeit des Lebens und einer Vermeidung von körperlichen Leiden • Überschreitung von körperlichen und kulturellen Grenzen Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Aspekte einer komplizierten Situation • Entscheidungslösung seit Sommer 2012 • Manipulation von Patientenakten in mehreren Transplantationszentren • Massiver Rückgang der Spendebereitschaft seit Sommer 2012 • Berichterstattungen über Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen • Unsicherheiten bezüglich der Hirntoddiagnostik • Not der Menschen, die auf ein Organ warten • Verstärkte Anstrengungen Organe auf anderen Wegen zu gewinnen: Stammzelltherapie, Xenotransplantation …

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Worum geht es? • Der Bedarf an Organen steigt, die »Anreizsysteme«, Organe zu spenden, werden überdacht und zum Teil intensiviert • Neben dem Spendenfluss für Organe etabliert sich ein Markt für Gewebe und Organteile, die ökonomisch bewertet und gehandelt werden • Die Aufklärung über die Modalitäten und Implikationen der Organspende funktioniert nicht gut • Wie kommen Menschen zu einer Entscheidung, ihre Organe zu spenden oder auch nicht? • Wer darf mit welchem Recht Entscheidungen in dieser Sache fordern und initiieren • Welche Rolle kann die Kirche in diesem Diskurs spielen? Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Organspende als freiwillige Gabe • Es soll keine Kommerzialisierung der Organspende geben • Organspende »kann« ein Akt der Nächstenliebe sein • Aus der Freiheit eines Christenmenschen zur Nächstenliebe sollte keine sozialpolitische Forderung gemacht werden – damit würde die Freiheit zur Nächstenliebe gerade in ihr Gegenteil – ein Gesetz – verkehrt werden • Gesellschaftlich sollte die Freiwilligkeit der Gabe als ein wichtiges gesellschaftliches Bindemittel gewahrt bleiben • Eine »Sozialpflichtigkeit der Organe« würde das gesellschaftliche Miteinander zu einer auf Nützlichkeit konzentrierten Pflichtengemeinschaft machen

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Sterben und Abschiednehmen • »Lasst mich in meinem Sterben nicht allein« (Levinas) • Wie kann man dieser Forderung unter den Bedingungen der Transplantationsmedizin gerecht werden? • Veränderung der Sterbekultur bringt neue Rituale hervor • Umgang mit Sterben und Tod lässt sich nicht allein rational und nutzenkalkuliert ausüben • Ein Bild des Sterbenden/Toten als Gedächtnis bewahren • Sterbebegleitung in Hospizen und Palliativstationen im Konflikt mit der Organspende • Sterben und Auferstehungshoffnung

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Kirchliche Stellungnahmen zu Organspende und Organtransplantation

Kirchliche Stellungnahmen (Auswahl) 1989 »Gott ist ein Freund des Lebens«; EKD/DBK 1990 Organtransplantation; EKD und DBK 1996 Stellungnahme der EKD zum TPG-Entwurf 1998 »Xenotransplantation«; EKD/DBK 2011 Stellungnahme des DEKV zur Organspende 2011 LaBi J. Friedrich zur Entscheidungslösung 2012 Geistliches Wort des EKD-Vorsitzenden 2013 Entscheidungshilfe der Ev. Kirche in Baden 2013 Orientierungstext der Ev Kirche im Rheinland 2013 Positionspapier der Ev. Frauen in Deutschland 2014 Handreichung der ELKB 2014 Broschüre der Ev. Kirche von Baden 2015 Handreichung der Ev. Luth. Kirche in Sachsen

Grundargumente der Stellungnahmen • • • • • •

Kirchen wollen Bereitschaft zur Spende stärken Organspende kann ein Akt der Nächstenliebe sein Eine Spende muss frei bleiben von jeglichem Druck Der Tod muss zweifelsfrei festgestellt sein Pietät und Organentnahme widersprechen sich nicht Quantitative Verlängerung des Lebens entspricht nicht dem Schutz des Lebens

Verschiebung in der Argumentation • • • • • • •

Ausgewogenere Informationen bereitstellen Nächstenliebe und Schutz der Schwachen/Sterbenden Zweifel an der Hirntoddiagnostik Gewebespende und ihre kommerzielle Nutzung Genderbias wird thematisiert Gegen einen abgestuften Würde- und Lebensbegriff Erweiterung der Optionen auf dem Sendeausweis

Die Stellungnahme der ELKB zu Organspende und Organtransplantation

leben und sterben im Herrn Handreichung zur Organspende und Organtransplantation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Drängende Fragen • Werden Menschen mit einem Organspendeausweis unter Umständen vorzeitig zu Organspendern »umgewidmet«? • Sind ›hirntote‹ Menschen tatsächlich tot, oder spüren sie noch Schmerzen? • Was passiert mit den Menschen, die Organe empfangen? Übernehmen Organempfänger auch Charaktereigenschaften oder Gewohnheiten des verstorbenen Menschen?

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Ziel der Handreichung Eine Entscheidung für oder gegen die Organspende bzw. den Organempfang muss frei sein, das ist die Grundüberzeugung dieser Handreichung. Diese Entscheidung ist zu persönlich und zu existenziell, als dass sie durch den Staat, die Kirche oder irgendeine andere Autorität vorgegeben werden sollte. Es gibt keine christliche Pflicht zur Organspende – und ebenso wenig lässt sich aus dem christlichen Glauben eine grundsätzliche Ablehnung der Organspende ableiten. Sehr wohl lässt sich aber aus dem christlichen Glauben eine Freiheit zur Entscheidung begründen – eine Freiheit dafür oder dagegen. Selbst wenn Sie sich nicht entscheiden, ist dies eine legitime Entscheidung. Zur Freiheit in der Entscheidung soll diese Handreichung ermutigen und befähigen.

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Gespräche über Organtransplantation • • • •

Orte, Zeiten und Anlässe für ein Gespräch Niemand stirbt für sich allein Entscheidungen mit anderen kommunizieren Freiheit zur Entscheidung • • • • •

Ja Ja, mit Einschränkungen Nein Entscheidung an andere übertragen Alles offen

• Ergebnisoffene Beratung • Zeitdruck rausnehmen (in der akuten Situation schwierig) • Eigenes Urteil bilden (reversibel, EGK ab 2016) Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Methodik der Handreichung • Vermittlung von notwendigen Informationen • • • •

hinreichende Information ausgewogene Information vertrauenswürdige Information ergebnisoffen vermittelt

• Anstoß zu theologischen Reflexionen • Unterstützung eines eigenen Urteils • Dokumentation und Kommunikation des Urteils

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Theologische Anmerkungen • • • • • • • • •

zur Geschöpflichkeit des Menschen zur Sozialität des Menschen zu Sorge, Vorsorge und Fürsorge zur leiblichen Verfasstheit des Menschen zur Organspende als Akt der Nächstenliebe zu Tod und Sterben zum Abschied von den Toten zum Organempfang als ›Lebensverlängerung‹ zur ›Nützlichkeit‹ des Lebens

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»Biologie und Theologie« • Zusammenhang von empirischen Erkenntnissen und Glaubensaussagen • Die Unterscheidung von »Geschaffen« und »Gemacht« wird zusehends unscharf • Versuche der Vereindeutigung sind nicht immer erfolgreich • Was kann die Theologie über Biologie oder Medizin zum Tode hinaus sagen • Strukturelle Dominanz eines medizinischen Systems

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Zum Schluss Die Organtransplation ist ein Beispiel für Ambivalenzen, in die wir uns gesellschaftlich manövriert haben. Die Technik eröffnet neue Möglichkeiten, auf die wir aber kulturell, sozial und moralisch nicht ausreichend vorbereitet sind. Es wird in Zukunft darum gehen, individuell wie gesellschaftlich ambivalenzenfest zu werden. Das heißt einerseits zu lernen, unterschiedliche Einstellungen zu akzeptieren, andererseits aber auch zu fragen wie wir bei aller Unterschiedlichkeit miteinander und nicht nur nebeneinander leben wollen.

Arne Manzeschke, Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen, TTN München, EVHN Nürnberg

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Prof. Dr. theol. habil. Arne Manzeschke Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen Institut Technik · Theologie · Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München Katharina von Bora Str. 11 80333 München Tel. +49 - 89 - 55 95 - 602 Fax +49 - 89 - 55 95 - 8600 email: [email protected] http://www.ttn-institut.de/FEAG Anthropologie und Ethik für Gesundheitsberufe Evangelische Hochschule Nürnberg Bärenschanzstr. 4 90429 Nürnberg http://www.evhn.de