Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Predigt in der Gottesdienstreihe GLÜCK: „Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich“ am Sonntag Laetare (15. März 2015) in St. Sal...
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Predigt in der Gottesdienstreihe GLÜCK: „Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich“ am Sonntag Laetare (15. März 2015) in St. Salvator, Gera.

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. Liebe Gemeinde, eines Tages ging Jesus auf einen Berg und begann die Leute zu lehren. Das war genau in dem Moment, als seine Anhänger zahlreich wurden. ... Er predigte vom Reich steht da am Ende des vierten Kapitels und er heilt ihre Gebrechen. Zu ihm kamen also die, die ein Reich erwarteten, ein anderes Leben, das Königreich der Himmel wie Jesus es gerne nannte und die, die Gebrechen hatten. Die Sehnsüchtigen und die Kranken, was manchmal dasselbe ist, denn Krankheit lässt einen mit der Gegenwart nicht zufrieden sein. Wer krank ist, hat automatisch eine Sehnsucht, nämlich die, wieder am Leben teilnehmen zu können, sehend, hörend, laufend, nicht gekrümmt. ... Glück ist, da sei zu wollen, wo ich bin. Glück ist ein kornblumenblauer Himmel. Der Raureifmantel des Efeus. Tee mit Sahne. Leichtes Atmen. 1 ... Zu Jesus kommen die, die etwas von ihm erwarten. Sie sehen ihn relaxt auf einem Stein sitzend, jedenfalls wenn Sie unser Bergpredigt-Fenster ansehen, dann ist es so. Und er beginnt mit einigen Sätzen, die behaupten, wer glücklich ist. Es sind nicht die, die wir meistens für glücklich halten. Er behauptet es offenbar gegen den Augenschein Gleich um den ersten Satz dieser Art geht es heute: Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. [Mt 5, 3]

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Kursive Passagen sind Zitate aus Susanne Niemeyers Text zur Jahreslosung 2014 (Psalm 73, 28: „Gott nahe zu sein ist mein Glück.“): http://www.freudenwort.de/2013/12/27/meine-losung/. Eine Klappkarte mit dem vollständigen Text wurde den Gottesdienstteilnehmern am Eingang überreicht. Die Karte ist hier zu bekommen: http://www.freudenwort.de/postkarten/.

Was soll das bedeuten? Schaut man in einen wissenschaftlichen Kommentar, erfährt man, dass die damalige heidnisch-hellenistische Oberschicht reich war und auch der jüdische Priester-Adel, und die Stillen im Lande, die Frommen, arm. Wer am alten Gottesglauben festhielt und an der Strenge der Gottesgebote, so formuliert es das alte Buch, der gehörte fast ausschließlich zur untersten sozialen Schicht. Aus geistlichen Gründen arm sein, hieß also, zu denen zu gehören. Und versuchen wir, nah am Ursprung des Textes zu bleiben und eine Handlungsanleitung abzuleiten

würde das heißen: „Schließt euch nicht der hellenistisch geprägten Oberschicht an!“ ... Nun denken wir beim Stichwort „Griechenland“ heute an ganz andere Sachen, vielleicht sogar eher an Armut, als an die Kultur unserer Oberschicht oder christenferne Kreise. ... Aber wir nennen die Sätze der Bibel eben deshalb „Wort Gottes“, weil wir ihnen zutrauen, auch außerhalb ihrer Entstehungssituation Sinn hervorzubringen, uns den Weg Gottes mit uns anzuzeigen, als Navigator sozusagen. Aber wohin? ... Glück ist, etwas zu beginnen, was keinen Nutzen hat: Klavier spielen, malen, Steine sammeln. Sich wohl in seiner Haut zu fühlen. Dem Kommen der Dämmerung zuzuschauen. Einen geheimen Ort zu entdecken. Einen Käfer aus dem Wasserglas zu retten. Der Duft eines frisch aus dem Ofen kommenden Brots (oder Kuchens). ... Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. [Mt 5, 3]

Was heißt das „geistlich“? Ich bin nicht sicher, ob es ein Scherz ist, wenn viele Leute diesen Vers in den Satz verwandeln: „Selig sind die geistig Armen!“ Die Dummen also sind glücklich, weil sie sich die guten Momente nicht zergrübeln und sie einfach so leben, wie sie sind. Aber ist das nicht zynisch? Mit der gleichen Logik nennen manche die abwesende Heiterkeit dementer Menschen „Glück“. Aber Glück ist nicht der Verlust, sondern eine Empfindung des Ichs. Auch wenn „sich vergessen“ eine Spielart des Glücks sein kann. ... Glück ist, drei Wünsche geschenkt zu bekommen und nur einen zu brauchen. Blaue Tinte. Keine Angst vorm Sterben zu haben. In der Mittagszeit für ein paar Minuten zu träumen, ohne den Traum verwirklichen zu müssen. ... Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. [Mt 5, 3]

Was heißt das „geistlich“? Die irische Popsängerin Sinead O'Connor, die am 13. Mai hier in Gera gastiert hat ihre erste Platte „The Cobra and the Lion“ genannt. Sie spielt damit auf den 91. Psalm an. Genauer gesagt auf den Vers, der dem Taufspruch der kleinen Anna folgt: Über Löwen und Ottern wirst du gehen, und Löwen und Drachen niedertreten.

Ist diese triumphale Unverletzlichkeit das Glück, das der Beter von Gott erwünscht? ...

In Ihrem Lied „Jackie“2 singt Sinead O'Connor von einer Frau, die ihren Mann vermisst. Die Seeleute sagen ihr, er sei über Bord gegangen. Aber sie antwortet: „Er kannte die See besser als ihr alle. Er wird wiederkommen und über euch lachen!“ Und dann geht sie zum Strand, um ihn zu erwarten, vielleicht auch, um zu trauern. Wenn Trauer, war es eine große Trauer, in die Rebellion gemischt war, Rebellion gegen das Alleinsein, Rebellion gegen den Verlust. So spricht das Lied ihren Schmerz aus: „And I've been dead for twenty years I've been washing the sand with my ghostly tears.“ Zu deutsch: „Und zwanzig Jahre lag ich tot und meine geistlichen Tränen wuschen den Sand.“ Diese geistlichen Tränen, vermute ich, führen uns dorthin, wo wir verstehen können, was „geistlich arm“ bedeutet. Es sind Tränen, die sich nicht abfinden wollen mit dem Verlust des Geliebten, aber nicht einfach Tränen des Zorns oder der trotzigen Trauer. … Die erste Phase der Trauer, sagen uns die Psychologen, ist die Phase des Sich-nicht-abfinden-Wollens, besser des Nicht-Wahrhaben-Wollens. Diese Tränen fließen in das Meer, dass ihren Mann nicht mehr hergibt. Sie reinigen den Strand, der als Schwelle Meer und Land verbindet, sie und ihn. Die Schwelle, die er betreten soll, wird rein gehalten. Geistliche Tränen sind nicht allein Zeichen der Trauer, sondern auch Zeichen der bleibenden Verbindung. Er wird wiederkommen. Oder er wird nicht wiederkommen. Die Trennung wird in keinem Falle ewig sein. Geistliche Tränen verbinden das Hier und das Dort, das Einst und das Jetzt. ... „O ihr alle, die ihr des Weges kommt, Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz.“ dichtete im 17. Jahrhundert der spanische Komponist Tomás Luis de Victoria. Wir haben den Gesang eben nach dem Evangelium gehört. Das Lied ist übrigens hier zu hören: https://www.youtube.com/watch?v=MxE3aYiztXU. Und hier ist der Text: http://www.songtexte.com/songtext/sinead-oconnor/jackie-23d9245f.html. 2

Geistliche Tränen, die sich an die Völker der Welt wenden: „Gebt acht, ihr Völker der Welt, und schaut auf meinen Schmerz: ob irgend ein Schmerz sei wie mein Schmerz“. Weil sie die Welt und ihre Erlösung verbinden. ... Geistliche Tränen trauern über das Jetzt und halten aber darüber hinaus die Verbindung zum Himmelreich, zum Himmelreich des Geliebten, wenn er zurückkommt oder zum Wiedersehen dort, wo der Tod die beiden nicht mehr trennt. Geistliche Tränen verbinden auch über den Abgrund des Todes hinweg. ... Glück ist, etwas Ersehntes zu bekommen: ein Kind, einen Anruf, eine Erkenntins. Leichten Herzens zu sein. Eine Gewohnheit zu genießen. ... Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. [Mt 5, 3]

Was ist nun geistliche Armut? Es ist die Armut, die Gott und die Welt verbindet, die die Welt ersehnt, wie sie sein könnte, das Himmelreich eben. Die geistlich Armen ersehnen das Himmelreich. Und sie werden es bekommen, sagt Jesus. Schon hier. Denn wo geistliche Armut ist, ist ja auch schon das Himmelreich, vorweggenommen sind wir dann in ein Haus aus Licht. ... Glück ist das Längerbleiben des Lichts. Der Duft frischer Wäsche. Der Moment vor dem Einschlafen, wenn alles gut ist. Mit sich selbst einig sein. Zu lieben. .... Geistliche Armut ist nicht die heroische Entscheidung, einen Wohlstand aufzugeben. Ungewollte materielle Armut hat mit geistlicher Armut in der Regel nichts zu tun. Geistliche Armut ist frei gewählt, auch wenn sie ein Verzicht auf Wohlstand ist. Wem es am Nötigsten fehlt, der ist von dieser Armut manchmal weit entfernt. ... Denn fragt uns einer: Muss man arm sein, um glücklich zu sein? Müssen wir antworten: Nein, arm werden. Die große Sehnsucht der geistlichen Tränen, der geistlichen Armut, widerspricht dem nicht. Wer geistlich arm wird, hält sein Leben offen. Er beruhigt es nicht mit den Genüssen, die bereitstehen. Er vermag die große Erwartung aufrecht zu erhalten, und derweil das Glück in den kleinen Dingen zu finden,

in den glücklichen Momenten, den einfachen Tätigkeiten wie ich sie hier schon eine Weile durch meine Predigt ziehen lasse. Den Augenblicken, in denen man eins mit sich ist und der Welt und mit Gott, der uns dieses Leben geschenkt hat. ... Glück ist plötzlich und unerwartet laut zu lachen. Engstirnigkeit aufzugeben. An etwas zu glauben. Sich zu trauen, einen Liebesbrief zu schreiben. Etwas ganz und gar selbstgemacht zu haben (einen Schrank, Eiscreme, Maultaschen, eine Patchworkdecke). ... Glück ist, gewahr zu werden, dass das Himmelreich, solange es nicht für alle da ist, in unserem Leben aufblitzt, in den anmutigen Momenten des Alltags, oft erst in der Erinnerung und es sich daran genügen zu lassen. Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. [Mt 5, 3]

... Amen. ... Denn der Friede Gottes, welcher anders und höher ist als unsere menschliche Vernunft; er behalte eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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