Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund 12. DGPPN Hauptstadtsymposium 12.09.2012 in Berlin Prof. Dr. med. Wolfgang Maier...
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Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund 12. DGPPN Hauptstadtsymposium 12.09.2012 in Berlin Prof. Dr. med. Wolfgang Maier President Elect der DGPPN

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Ergebnisse des Mikrozensus 2010 Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung •

Unter 5%



5% bis unter 10%



10% bis unter 15%



15% bis unter 20%



20% bis unter 25%



25% und mehr 2

Ergebnisse des Mikrozensus 2010 Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung • •

19,3 % der Bevölkerung in Deutschland (15,7 Mio. Menschen) haben einen Migrationshintergrund • Unter 5% 8,7% (ca. 7,1 Mio.) von ihnen haben eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit • 5% bis unter 10%

• 10% bis unter 15% Herkunftsregionen: Türkei (15,8%), Polen (8,3%), Russische Föderation (6,7%), Italien (4,7%) • 15% bis unter 20% •

20% bis unter 25%



25% und mehr 3

Ergebnisse des Mikrozensus 2010 Alterspyramide nach Migrationshintergrund



Ausländer



Deutsche mit Migrationshintergrund



Deutsche ohne Migrationshintergrund

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Beispiele migrationsspezifischer Risikofaktoren •

Belastende Lebensereignisse wie Flucht, Verfolgung, Trauma erhöhen das Risiko generell und v.a. für PTBS



Entwurzelung, Verlust sozialer Bindungen, kulturelle Desorientierung



„Minority“-Position erhöht das Risiko psychischer Störungen (Psychosen): mangelnde Anerkennung, erlebte Zurücksetzung, Frustration und andere aversive Stressoren, Verbitterung



Lebenssituation in Deutschland teils gekennzeichnet durch strukturelle Benachteiligung (z.B. beengte Wohnverhältnisse, schlechte Arbeitsbedingungen, Rassismuserfahrung, fehlende Informationen über Gesundheits- und Sozialsystem etc.)

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Beispiele gesundheitlicher Schutzfaktoren bei Migranten •

Hinweise auf geringeren Konsum von Alkohol und anderen Drogen bei muslimischen Jugendlichen



Tabakkonsum ausgeprägte Geschlechterunterschiede: Frauen mit Migrationshintergrund rauchen weniger als Frauen ohne Migrationhinergrund, bei Männern ist das Verhältnis umgekehrt



Geringeres Risiko für Krebserkrankungen (z.B. Brustkrebs) bei Spätaussiedlern und Migranten aus der Türkei, Angleichung an das hiesige Niveau mit der Dauer des Aufenthalts in Deutschland



Niedrigere Suizidraten z.B. für Migranten aus der Türkei (mit Ausnahme junger Frauen)

Quelle: RKI (2008)

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Psychische Erkrankungen bei Migranten Reanalyse des Bundesgesundheitssurveys 1998/1999 (Bermejo et al 2010): Vergleich Migranten 1. Generation und Deutsche ohne Migrationshintergrund • Signifikant höhere Erkrankungshäufigkeit psychischer Störungen (gesamt) insbesondere für – Affektive Störungen OR 1.7 (12-Monatsprävalenz), – Somatoforme Störungen OR 2.0 (12Monatsprävalenz)

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Psychische Erkrankungen bei Migranten

Erhöhte Krankheitshäufigkeiten für Psychosen bei Migranten in der internationalen Literatur Migranten aus nicht-Industrienationen in Nordeuropa  Erhöhtes Psychosenrisiko unabhängig von Herkunftsland. In der 1. Generation (OR=2.3), 2. Generation (OR =2.1) (Bourque et al. 2011):

 Junge Erwachsene: je jünger das Alter bei Migration, je höher das Risiko (Veling 2011)

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Pränatal

Postnatal Geburt Alter

Pubertät

Titel

Quelle: Os et al. 2010

Empfängnis

Umgebung

Prä-/perinatale Faktoren

Aufwachsen in urbaner Umgebung Minority-Position

Gehirn: Graue Substanz Nervenzellwachstum Axonenwachstum Myelenisierung Synapsenwachstum Synaptische Verästelung Hormonelle Regulation Neurokognition: Daueraufmerksamkeit Selektive Aufmerksamkeit Arbeitsgedächtnis Sprache, rezeptiv Sprache, Produktion Private Speech Innere Sprechen Analoges Schließen Meta-Kognition Emotionen: Basisemotionen Komplexe Emotionen Emotionale Regulation Belohnungserfahung Soziale Kognition: Erkennen von Emotionen Bindung Selbstkonzept und Identität Theory of Mind

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Herausforderungen für die Versorgung  Erschwerte

sprachliche Verständigung und Unterschiede im kulturellen Hintergrund können zu Informationsdefiziten bei Vorsorge, Erkennung von Krankheiten, Diagnostik, Therapie, Pflege und Rehabilitation führen Erhöhtes Risiko für •Fehl- oder Unterdiagnose (v.a. bei psychischen Störungen) •Chronifizierung von Erkrankungen •Non-Compliance mit Behandlungsanweisungen •Vorenthalt von Leistungen (z.B. Psychotherapie)

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Subjektiv erlebte Barrieren bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten Schriftliche Befragung unter N=435 älteren Personen (>45 Jahren) mit Migrationshintergrund Aussiedler (Ehemalige Sowjetunion)

Türkei

Spanien

Italien

Aufenthaltsdauer (Durchschnitt in Jahren)

6*

29

30

30

Deutschkenntnisse (subj. Einschätzung 1= sehr schlecht, 5 sehr gut

2,9*

3,3

3,9

3,7

Sprach- und Informationsbezogene Hindernisse

37%

36%

12%

15%

Negative Erfahrungen und Einstellung zum Gesundheitssystem

11%

27%

7%

7%

Quelle: Bermejo et al. 2012

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Einflussfaktoren auf erlebte Barrieren zu Gesundheitsdiensten Kulturübergreifende Einflussfaktoren (Bermejo et al. 2012): •selbst eingeschätzte Deutschkenntnisse •das Sich-Wohlfühlen in Deutschland •Kultursensible Krankheitskonzepte Kulturspezifische Barrieren •Menschen mit türkischem Migrationshintergrund: Deutsche Fachkräfte wissen wenig über meine Kultur (59%), Fehlende eigene Informationen über das Gesundheitssystem (55%) •Aussiedler: Sprachprobleme (61%), fehlende Kenntnis zu Angeboten (56%) •Italien und Spanien: bevorzugte Suche nach Hilfe in der Familie (34% bzw. 37%) 13

Fazit • Menschen mit Migrationshintergrund sind häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als die angestammte Bevölkerung • Es finden sich Hinweise auf Unterschiede in der Inanspruchnahme der Versorgungssektoren durch Migranten – – – –

Weniger in Rehabilitationseinrichtungen Häufiger Frühberentung Häufiger in Notfallambulanzen Weniger bei einem Facharzt, seltener in Psychotherapie

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Arbeit des Referats Migration der DGPPN • • • • • •



Gegründet 1991 unter dem (heute eher kritisch zu bewertenden) Namen: „Psychiatrie in der Dritten Welt“ Leitung heute durch PD Dr. Schouler-Ocak, PD Dr. Calliess (stellvertretende Leitung) Ca. 150 Mitglieder, interdisziplinäres Referat aus: Psychiatern, Psychologen, Soziologen, Ethnologen Regelmäßige Newsletter an die Mitglieder Vernetzung auf internationaler Ebene mit der Section of Cultural Psychiatry der European Psychiatric Association (EPA) Beteiligung des Referats an der Verfassung der Sonnenberger Leitlinien (2002), die bis heute die Grundlage für die Behandlung von Menschen aus andere Kulturen mit seelischen Störungen sind Materialien zur besseren interkulturellen Krankheitserkennung und Behandlung, sowie Fort- und Weiterbildung in Ausbildungsinstituten 15

Migration als Querschnittsthema •







S3-Leitlinie der DGPPN Psychosoziale Therapien bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen: „Bedeutung von Migrationshintergrund für die Behandlung schwer psychisch kranker Menschen S2-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“: „Menschen mit Migrationshintergrund in der Notfallpsychiatrie“ An den S3-Leitlinien zu PTBS der DGPPN hat das Referat ein Kapitel zu Interkulturalität eingebracht. Praxis der interkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie - Migration und psychische Gesundheit“ (Machleidt und Heinz) 16

Aktionsbündnis Seelische Gesundheit Motto der vergangenen Berliner Woche der Seelischen Gesundheit 2011: "Wissen schafft Verständnis: Seelische Gesundheit in kultureller Vielfalt" auf Initiative von Herrn Heinrich Beuscher, Landesbeauftragte für Psychiatrie in Berlin und Frau PD Dr. Schouler-Ocak

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www.dgppn.de18

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