Die ersten Ackerbauern in der Pfalz in der Jungsteinzeit

ANHANG Referate der Tagung des Historischen Vereins der Pfalz D i e e r s t e n A c ke r b a u e r n in der Pfalz in der Ju n g s t e i n z e i t i...
Author: Frank Holtzer
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ANHANG

Referate der Tagung des Historischen Vereins der Pfalz

D i e e r s t e n A c ke r b a u e r n in der Pfalz in der Ju n g s t e i n z e i t

in Herxheim bei Landau am 26. und 27. Oktober 2012

gefördert durch:

ANDREA ZEEB-LANZ

SPANNENDE GESCHICHTE(N) RUND UM DIE ERSTEN ACKERBAUERN IN DER PFALZ EINFÜHRUNG ZU DEN BEITRÄGEN DER 5. FACHTAGUNG DES HISTORISCHEN VEREINS DER PFALZ IN HERXHEIM BEI LANDAU

Am 26. und 27. Oktober 2012 fand die fünfte Fachtagung des Historischen Vereins der Pfalz in der Festhalle der Gemeinde Herxheim statt. Eingeladen hatte der Historische Verein in Kooperation mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Speyer. Der Verein nahm die sensationellen jungsteinzeitlichen Menschenfunde aus der Grubenanlage von Herxheim zum Anlass, als Thema der Tagung die erste sesshafte Ackerbauernkultur Mitteleuropas, die um 5300 v. Chr. auch in der Pfalz Fuß gefasst hatte, auszuwählen. Um dieses Thema in einem möglichst breiten und auch für Laienpublikum spannenden Rahmen vorstellen zu können, hatte Dr. Andrea Zeeb-Lanz als wissenschaftliche Organisatorin seitens der Direktion Landesarchäologie – Speyer und Leiterin des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes Herxheim eine Reihe von Kollegen eingeladen, die sich alle speziell mit der linienbandkeramischen Kultur (kurz LBK), wie die frühen Ackerbauern im archäologischen Fachjargon genannt werden, beschäftigen. Die von Dr. Pia Nordblom (Universität Mainz) und Dr. Ulrich Wien (Universität Koblenz-Landau, Campus Landau) in schon bewährter Weise hervorragend vorbereitete Tagung zog eine erfreuliche Zahl an Interessierten an, so dass die Herxheimer Festhalle an beiden Konferenztagen bestens gefüllt war. Die Tagung hatte zwei Themenschwerpunkte: Am Freitag, 26.10., wurde nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden des Historischen Vereins, Werner Schineller, und einem Grußwort des Bürgermeisters der VG Herxheim, Franz-Ludwig Trauth, nachmittags den Ursprüngen der zwischen 5500 und 4950 v. Chr. europaweit verbreiteten Linienbandkeramik nachgegangen sowie einige herausragende Einzelfundplätze mit besonders interessanten Grabungsergebnissen vorgestellt. Nach einem Kurzüberblick über die linienbandkeramische Kultur durch Dr. Andrea Zeeb-Lanz widmete sich Prof. Dr. Eszter Bánnfy (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest), die wohl beste Kennerin der frühen LBK in der ungarischen Tiefebene, der Entstehung und Entwicklung der ersten Ackerbauernkultur, die sich, wie Frau Bánnfy eindrücklich darzustellen vermochte, aus mehreren Vorgängerkulturen im Karpatenbecken, besonders in Transdanubien, 381

im 6. Jahrtausend v. Chr. entwickelt hatte. Während die frühere Forschung auch in Ungarn davon ausgegangen war, dass im Rahmen einer „Neolithischen Revolution“ ein abrupter Wandel von Jäger- und Sammlertum zu regelrechtem Ackerbau stattgefunden hatte, gehen neuere Forschungsansätze, wie Frau Bánnfy erläuterte, davon aus, dass mit einer Übergangsphase zu rechnen ist, in der eine Art Gartenwirtschaft mit teilweise bereits domestizierten Pflanzen stattgefunden hatte. Doch bereits in der frühen bandkeramischen Entwicklung finden sich auch im Karpatenbecken die für die LBK charakteristischen Langhäuser mit Lehmentnahmegruben entlang der Längswände der großen Gebäude. Auch die Dorfstruktur in zeilenartig und in eine einheitliche Richtung orientierten Wohnhäusern wurde bereits in den frühen Siedlungen des Karpatenbeckens angelegt. Offenbar bestanden schon im späten Mesolithikum weitreichende Kontakte nach Westen, was vor allem durch den Export von rotem Radiolarit aus Transdanubien bis weit nach Norddeutschland hinein zu belegen ist. Beindruckend war die Vorstellung der weitreichenden Verbindungen zwischen der ungarischen Siedlung von Szentgyörgyvölgy-Pityerdomb und der bandkeramischen Siedlung von Bad Nauheim-Niedermörlen – in der hessischen Siedlung wurde mit Ritzungen versehene Importkeramik gefunden, die genau einem auch in der ungarischen linienbandkeramischen Dorfanlage vertretenen Typ gleicht. Anhand vieler Beispiele zeigte der Vortrag, dass der Prozess der Neolithisierung Mitteleuropas, für den Transdanubien unzweifelhaft eine dominante Rolle spielte, keineswegs einem einheitlichen Modell folgt, sondern dass es zahlreiche Varianten des Übergangs zur Lebensmittel produzierenden Lebensweise der Neolithiker gegeben hat. Es folgte der Vortrag von Eva Häussler M.A. (Universität Heidelberg), die sich in ihrer Magisterarbeit eingehend mit zwei linienbandkeramischen Siedlungen in der Pfalz beschäftigt hatte. Die beiden Siedlungen in Haßloch und in Kaiserslautern folgen nicht dem üblichen Schema der Gründung der frühen Dörfer auf Lössgebieten, sondern wurden in Haßloch auf kiesigem Untergrund und in Kaiserslautern auf dem Rittersberg in den anstehenden weichen Sandstein gebaut. Rengert Elburg vom sächsischen Landesamt für Archäologie in Dresden konnte mit einem ganz besonders beeindruckenden Befund aufwarten: Er stellte den von ihm ausgegrabenen und untersuchten linienbandkeramischen Brunnen von Altscherbitz vor. Es gibt in Deutschland mittlerweile 18 frühneolithische Brunnen, darunter elf mit Holzerhaltung und nicht vergangenen organischen Materialien wie Schnüren aus Bast und Hanf oder Rindengefäßen. Der Brunnen von Altscherbitz stellt ein besonders fundreiches Exemplar mit hervorragender organischer Erhaltung dar. Er lag südöstlich einer großen bandkeramischen Siedlung, nicht im Zentrum des Dorfes, sondern etwas außerhalb des eigentlichen Siedlungsareals. Noch insgesamt sieben Balkenlagen des Brunnens hatten sich tief im Boden in einer dauerhaft mit Grundwasser durchsetzten Schicht erhalten. Der Brunnen wurde als riesiger Block geborgen, ins Landesamt für Archäologie nach Dresden gebracht und sein Inhalt dort von Rengert 382

Elburg mit der Unterstützung von Restauratorinnen des Amtes sorgfältig und mit höchster Vorsicht ausgegraben. Dabei kamen in verschiedenen Schichten regelrechte Keramikdepots zutage, bestehend jeweils aus mehreren ganz erhaltenen Gefäßen. Spektakulär waren vor allem die Funde aus organischen Materialien, da sich derartige Objekte im Lössboden in der Regel nicht erhalten. So konnte Rengert Elburg u.a. zwei aus Birkenrinde gefertigte und kunstvoll mit dünnen Ästen versteifte Gefäße vorstellen, die vielleicht zum Wasserschöpfen gedient hatten. Daneben lieferte der Brunnen mehrere gezwirnte Schnüre sowie eine Auswahl an gut konservierten Strauchfrüchten. Eine Hagebutte hatte über 7000 Jahre hinweg sogar ihre leuchtend rote Farbe erhalten. Als Highlight stellte Herr Elburg zwei der typischen bandkeramischen Kümpfe vor, deren Oberfläche allerdings vollständig mit Birkenpech überzogen worden war; in das klebrige Pech hatte man sorgfältig aus Birkenrinde ausgeschnittene Ornamente „intarsienartig“ auf dem Gefäßkörper angebracht, so dass sie kunstvolle Muster ergaben. Die beiden „Intarsiengefäße“ aus dem Brunnen von Altscherbitz sind bis heute singuläre Fundstücke und zeigen einmal mehr die große Kunstfertigkeit der frühneolithischen Bauern. Spannende Tonobjekte wusste auch Dr. Sabine Schade-Lindig vom hessischen Landesamt für Denkmalpflege, Abteilung Archäologie und Paläontologie, zu präsentieren. In der großen bandkeramischen Siedlung von Bad Nauheim-Niedermörlen hatte sie zahlreiche Fragmente kleiner Idolplastiken ausgegraben. Unter diesen Idolen sind sowohl menschliche Figuren als auch tierische Darstellungen, etwa von Schweinen, Rindern oder gehörnten Ziegen. Die Idoldarstellungen der bandkeramischen Kultur sind mit wenigen Ausnahmen durchweg zerschlagen – so auch in Niedermörlen. Frau Schade-Lindig stellte die Frage, ob es sich hier um eine rituelle Zerstörung dieser Figurinen handelt oder sie überlieferungsbedingt in der Regel nur als Fragmente erhalten sind. Der abendliche Festvortrag, in dem Andrea Zeeb-Lanz einen Gesamtüberblick über die Forschungsergebnisse zur linienbandkeramischen Siedlung mit Grubenanlage von Herxheim gab, leitete zum zweiten Teil der Tagung über. Der Sonnabendmorgen stand dann ganz im Zeichen der außergewöhnlichen und europaweit einzigartigen Befunde der Herxheimer Grubenanlage. Drei Mitglieder des elfköpfigen Forschungsteams stellten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor. Den Anfang machte Fabian Haack M.A., der die Befunde der Grubenanlage und der Siedlung sowie die Zusammensetzung der Fundkonzentrationen in den Grubenringen präsentierte. Die überraschende und höchst seltene Architektur der Grubenanlage stellt die Archäologen bezüglich ihrer zeitlichen Dimension und vor allem in Bezug auf ihre ursprüngliche Funktion immer noch vor einige Rätsel. Dennoch ist es Herrn Haack mittlerweile gelungen, für größere Bereiche der Grubenanlage die chronologische Abfolge des Anlegens und Wiederverfüllens der einzelnen Gruben herauszuarbeiten; die vorgestellten Ergebnisse ließen auch die interessierten Zuhörer erahnen, mit was für einer komplexen Anlage wir es in Herxheim zu tun haben. 383

Die Archäologin und Anthropologin Silja Bauer M.A. stellte als nächstes die Unterschiede zwischen regulären Bestattungen der Linienbandkeramik und den sonderbaren Menschenfunden von Herxheim heraus. Sie machte dabei deutlich, dass wir es in Herxheim nicht mit Bestattungen, sondern den Überresten eines bislang nur in der Grubenanlage von Herxheim dokumentierten, von der Zerstörung menschlicher Skelette und wertvoller Artefakte geprägten Rituals zu tun haben. Den Abschluss der Vortragsreihe zu Herxheim machte Dr. Rouven Turck (Universität Zürich), der am Heidelberger Institut für Geowissenschaften Strontium-, Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotopenanalysen an den Zähnen ausgewählter Toter von Herxheim durchgeführt hat. Seine repräsentative Stichprobe von fast 100 Individuen aus Herxheim erbrachte besonders bei den Strontiumisotopen erstaunliche Ergebnisse. Hochgerechnet sind fast 90 % aller Toten aus der Grubenanlage nicht im charakteristischen bandkeramischen Lebensraum, den mitteleuropäischen Lössebenen, geboren und aufgewachsen, sondern in höheren Mittelgebirgslagen mit Granit- oder Gneisuntergrund. Damit stellt sich eine weitere Frage zu Herxheim, nämlich die der Identität der hier geopferten Menschen. Mit dieser zurzeit noch ungelösten Frage schickte Rouven Turck die Teilnehmer der Tagung in die wohlverdiente Mittagspause. Am Nachmittag wurden von Andrea Zeeb-Lanz und Museumsleiter Dr. Alexander Gramsch Gruppenführungen durch die Jungsteinzeitausstellung im Museum veranstaltet, ein Angebot, welches von der Mehrzahl der Besucher der Tagung begeistert angenommen wurde. Wer sich danach noch ganz in Ruhe einzelne Vitrinen anschauen wollte, hatte bis in den frühen Abend Gelegenheit hierzu. Besucher, Referenten und Veranstalter waren sich am Ende einig, dass die fünfte Fachtagung des Historischen Vereins der Pfalz eine gelungene, höchst interessante und informative Veranstaltung gewesen war; dies betonte auch Werner Schineller in seinen abschließenden Dankesworten an die Organisatoren der Tagung.

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ANDREA ZEEB-LANZ, FABIAN HAACK, SILJA BAUER

MENSCHENOPFER – ZERSTÖRUNGSRITUALE MIT KANNIBALISMUS – SCHÄDELKULT: DIE AUSSERGEWÖHNLICHE BANDKERAMISCHE ANLAGE VON HERXHEIM IN DER SÜDPFALZ*

Einleitung Wenige archäologische Entdeckungen in Europa haben im vergangenen Jahrzehnt ähnliche Aufmerksamkeit sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit erregt wie die bandkeramische Siedlung mit Grubenanlage von Herxheim. Schon die Funde bei den ersten Grabungen in den 1990er Jahren – Tausende von menschlichen Skelettfragmenten, Hunderte sorgfältig zugerichteter Schädel, prunkvolle Keramik und weitere Artefakte – stellten die Forscher

* Diesen Artikel widmen wir Herrn Elmar Weiller, der in seiner Funktion als Verbands- und Ortsgemeindebürgermeister von Herxheim dem Forschungsprojekt immer äußerst offen und positiv gegenüber stand und das Projektteam lange Jahre aktiv und in vieler Weise unterstützt hat.

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vor ein Rätsel und führten zu wilden Spekulationen in den Medien, die von Massen- über Ritualmorde bis hin zu Seuchenopfern reichten. Erst recht hohe Wellen schlugen aber dann die anthropologischen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsgrabung von 2005–2008, die erstmals Kannibalismus als möglichen Grund für die Zerschlagung und Entfleischung hunderter menschlicher Körper nicht nur in Erwägung zogen, sondern für diese These zahlreiche gewichtige Argumente ins Feld führen konnten. Die wissenschaftliche Erforschung der Herxheimer Anlage geht nun einem – vorläufigen – Ende in Form einer ausführlichen Publikation der Forschungsergebnisse entgegen. Doch die Rätsel um die Menschenfunde von Herxheim sind damit noch längst nicht bis ins letzte Detail gelöst.

G r a b u n g s - u n d Fo r s c h u n g s g e s c h i c h t e Als Mitte der 1990er Jahre die Planungen für ein neues Industriegebiet im Westen der Gemeinde Herxheim konkret wurden, war bereits klar, dass vor Beginn der Bauarbeiten im zukünftigen „Gewerbegebiet West I“ großflächige archäologische Grabungen notwendig sein würden. Denn seit mehr als 30 Jahren waren auf der gesamten Fläche des überplanten Geländes bei Begehungen der Äcker zahlreiche archäologische Funde getätigt worden (Abb. 1), die belegten, dass dieses Areal seit der frühen Jungsteinzeit immer wieder zu Siedlungszwecken aufgesucht worden war. So fanden sich im Spektrum der Lesefunde nicht nur zahlreiche bandkeramische Artefakte, sondern auch solche aus Bronze-, Eisen- und römischer Zeit. Von 1996–1999 führte dann – mit finanzieller Unter-

Abb. 1: Kartierung der Lesefundstellen im späteren „Gewerbegebiet „West“ der Gemeinde Herxheim.

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Abb. 2: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Blick auf die Grabungsfläche der 1990er Grabung. Im Mittelgrund die beiden dunklen, grabenartigen Befunde des Erdwerkes.

stützung der Gemeinde Herxheim – die Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Speyer (damals „Archäologische Denkmalpflege, Außenstelle Speyer“), im Bereich einer frühneolithischen Siedlung der linienbandkeramischen Kultur (LBK) im östlichen Teil des Gewerbegebietes eine Rettungsgrabung durch (H ä u ß e r 2001). Die Grabung stand unter der wissenschaftlichen Leitung von Annemarie Häußer, für die technischen Aspekte der Grabung war der Grabungstechniker Michael Münzer verantwortlich. Nach dem maschinellen Abtrag des Oberbodens auf einer mehrere Hektar großen Fläche bot sich den Archäologen ein nicht unbekanntes Bild. Im hellen Lössboden zeichneten sich die dunklen Verfüllungen von Siedlungsgruben aller Art ab, das Siedlungsareal war umgeben von einem Erdwerk aus zwei parallelen, grabenartigen Befunden (Abb. 2). Während sich für die Siedlungsreste schnell zeigte, dass vom einstmaligen Dorf der Bandkeramiker nur noch eher spärliche Reste in Form von Abfall- und Lehmentnahmegruben vorhanden waren, zeigten die beiden Trassen des Erdwerks eine erheblich bessere Erhaltung. Die Bodenerosion der vergangenen Jahrtausende hatte die Siedlung derart in Mitleidenschaft gezogen, dass von den charakteristischen Häusern der Bandkeramik (Abb. 3) lediglich noch rudimentäre Reste einzelner, sogenannter hausbegleitender Längsgruben, aber keinerlei Gruben für die Hauspfosten mehr dokumentiert werden konnten. Dagegen fanden sich in den beiden grabenartigen Strukturen des Erdwerks zahlreiche Fundkonzentrationen, die große Rätsel 387

Abb. 3: 3D-Idealrekonstruktion eines bandkeramischen Langhauses mit den hausbegleitenden Längsgruben (Rekonstruktion Roland Seidel, Neustadt/Weinstr.).

aufgaben, lagen doch hier die zerschlagenen Überreste hunderter Menschen, vermischt mit wertvollen, ebenfalls zerschlagenen Artefakten wie Keramik und Steingeräten (H ä u ß e r 1998). Auch die Architektur des Erdwerkes, das von den Ausgräbern zunächst als doppelter Dorfgraben mit mehreren Eingängen in Form von Erdbrücken interpretiert wurde – eine nicht ungewöhnliche Erscheinung im bandkeramischen Siedlungsbild (siehe z.B. H ö c k m a n n 1975; C a h e n e t a l . 1990; J e u n e s s e 1996) – war keineswegs so einfach zu bewerten, wie es den Anschein hatte. Während bis zum Ende der Rettungsgrabungen der 1990er Jahre von einem durchgehenden doppelten Siedlungsgraben ausgegangen wurde, zeigte die wissenschaftliche Aufarbeitung der Grabungsdokumentation, dass es sich hier um ein komplexes Bauwerk aus einzelnen, in Abschnitten aneinander gereihten langen Gruben handelt, die zudem eine sehr komplizierte Verfüllungsgeschichte aufweisen. Nach Beendigung der Grabungsarbeiten begann Annemarie Häußer eine Doktorarbeit über die vielfältige Keramik, die hochinteressanten Menschenfunde verschwanden einstweilen im Depot in Speyer, da für die anthropologische Bearbeitung keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Der tragische Tod von Annemarie Häußer im Jahr 2002 infolge eines Flugzeugabsturzes schien dann auch für die Erforschung der bandkeramischen Tonware von Herxheim das Aus zu bedeuten. Da es sich bei der Anlage von Herxheim aber um einen völlig außergewöhnlichen und für die in Mitteleuropa weit verbreitete 388

LBK noch nie dokumentierten Befund handelte, entschloss sich Andrea ZeebLanz, die für den Kreis Südliche Weinstraße zuständige Archäologin der Außenstelle Speyer, hier ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu installieren. Sie konnte für die Mitarbeit in dem geplanten Forschungsteam renommierte Spezialisten für frühneolithische Keramik, für Stein- und Silexgeräte, für Tierknochen und weitere Fundgattungen ebenso gewinnen wie die Zusage junger Nachwuchswissenschaftler, mit naturwissenschaftlichen Methoden dem „Rätsel von Herxheim“ auf die Spur zu kommen. Für das Forschungsteam, dessen Zusammensetzung sich im Laufe der nunmehr neunjährigen Bearbeitungszeit nur in wenigen Fällen geändert hat1, konnte die Arbeit beginnen, als ein Antrag auf finanzielle Förderung des Projektes durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Jahre 2004 und 2005 positiv beschieden wurde. Die finanzielle Unterstützung durch die DFG, die sich auf insgesamt vier Anträge und acht Jahre Förderung erstreckte und bis 2011 dauerte, stellte die unabdingbare Grundvoraussetzung für die Durchführung der Forschungsarbeiten dar. Bei der Grabung 1996–1999 hatte es sich um eine Rettungsgrabung im Vorfeld einer baulichen Maßnahme gehandelt, was von vorne herein eine Beschränkung der finanziellen und personellen Möglichkeiten sowie einen erheblichen Zeitdruck bedeutete. Daher konnten personal- und zeitintensive Detailuntersuchungen im Rahmen der Grabung nicht durchgeführt werden. Es zeigte sich bei der wissenschaftlichen Bearbeitung durch das DFG-Projektteam sehr schnell, dass die Grabungsdokumentation nicht alle aufkommenden Fragen beantworten konnte. Nur eine weitere Ausgrabung unter Berücksichtigung der Besonderheit der Befunde und mit Blick auf die bereits erarbeiteten Fragestellungen der Wissenschaftler konnte hier Abhilfe schaffen. Die Gemeinde Herxheim, hier insbesondere Bürgermeister Elmar Weiller, zeigte sich äußerst kooperativ und stellte erhebliche Geldmittel für die Durchführung einer Forschungsgrabung in einem noch nicht bebauten Teil des bandkeramischen Siedlungsgeländes zur Verfügung. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Fabian Haack und der schon bei der ersten Ausgrabung bewährten technischen Grabungsleitung durch Michael Münzer wurde hier von 2005 bis 2008 eine Ausgrabung durchgeführt, die den anhand der Grabungsmethode und Dokumentation der ersten Grabung gemachten Erfahrungen und Schwierigkeiten Rechnung trug. Aufgrund der in dicht aufeinander folgenden Horizontalflächen erfolgten Befunddokumentation der beiden Grubenringe des Erdwerkes (Bodenabträge

1 Die Endbearbeitung und -auswertung der Siedlung mit Grubenanlage von Herxheim für eine Gesamtpublikation wird unter der Leitung und Koordination von Andrea Zeeb-Lanz von folgenden Wissenschaftlern durchgeführt: Rose-Marie Arbogast (Archäozoologie), Silja Bauer (Anthropologie), Nicole Boenke (Archäobotanik), Bruno Boulestin (Anthropologie), AnneSophie Coupey (Anthropologie), Anthony Denaire (Keramikzusammensetzungen), Fabian Haack (Befunde, Knochengeräte, Schmuck), Christian Jeunesse (Keramik), Dirk Schimmelpfennig (Felsgesteine, Silices), Rouven Turck (Isotopenanalysen), Samuel van Willigen (Keramikseriation). Der vorliegende Artikel beruht auf den Auswertungen des gesamten HerxheimForschungsprojekt-Teams.

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Abb. 4: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Grabung 2005–2008. Das Bild zeigt die detaillierte Feinarbeit während der Ausgrabung einer Fundkonzentration.

in 5 bis 10 cm-Abhüben) und der detaillierten Aufnahme des Fundmaterials aus den Fundkonzentrationen auf der Fläche (dreidimensionale Einzelfundeinmessung, fotogrammetrische Aufnahme der Fundkonzentrationen) konnten so viele wichtige Detailinformationen gewonnen werden, so dass die Neugrabung die wichtigste Grundlage für die Forschungsarbeit des DFG-Teams bildet (Abb. 4), die jeweils um Beobachtungen aus der Rettungsgrabung ergänzt wird (Z e e b - L a n z / H a a c k 2006; H a a c k 2013). Im Jahr 2010 wurden im östlichen Teil der Fläche im Rahmen eines Filmprojektes mit National Geographic TV aus Washington, USA (Z e e b - L a n z 2010a) noch zwei Suchschnitte geöffnet, die der Überprüfung des Verlaufes der Grubenringe im Osten der Anlage dienen sollte, da für diesen Teil bisher keine Informationen vorlagen. Die wissenschaftlichen Bearbeitungen aller Fundgruppen und der Befunde sind weitgehend abgeschlossen und die Ergebnisse werden nun für eine Gesamtpublikation vorbereitet.

Der Fundplatz Anhand der verzierten Keramikscherben aus den Siedlungs- und Abfallgruben im Inneren des Erdwerkes von Herxheim lässt sich hier eine Besiedlung bereits ab der ältesten linksrheinischen Stufe des Frühneolithikums, der sog. Phase Flom390

born (5300–5100 v. Chr.), nachweisen, die durchgehend bis an das Ende der bandkeramischen Kultur (jüngste LBK, ca. 5000–4950 v. Chr.) bestand (Z e e b - L a n z e t a l . 2009b, S. 115). Für die Siedlung selbst ergibt sich daraus eine Belegungszeit von maximal 350 Jahren. Dagegen legte man die Grubenanlage mit ihren beiden Grubenringen erst im Verlauf der Siedlungsaktivitäten in Herxheim an. Die Fundkonzentrationen in der Grubenanlage werden durch die Keramik alle an das Ende der LBK, also parallel zur letzten Besiedlungsphase, in die Zeit zwischen etwa 5000 und 4950 v. Chr. datiert (J e u n e s s e e t a l . 2009). Diesen Ansatz bestätigen auch erste 14C Datierungen mit Daten zwischen 5260–4960 calBC, die allerdings aufgrund eines ausgeprägten Plateaus auf der Kalibrierungskurve im entsprechenden Zeitfenster nur schwierig zu interpretieren sind (H ä u ß e r 2003, D e n a i r e 2009b)2.

B a u w e i s e u n d Ve r f ü l l u n g d e r G r u b e n a n l a g e Neben den beiden Grabungskampagnen lieferte vor allem eine zerstörungsfreie geophysikalische Prospektion (Geomagnetik) im Vorfeld der Forschungsgrabung 2004 auf dem sich nördlich anschließenden Areal weiteren Aufschluss über die Größe und Form der Grubenanlage (Abb. 5)3. Die beiden Grubenringe setzen sich gut erkennbar weiter nach Norden fort, bevor sie sich nach einem Knick nach Südosten nicht mehr weiter verfolgen lassen. Als Grund für das Fehlen eines geomagnetischen Signals im Osten wurden zunächst massive Kolluvien im Übergang zum Schambachtal vermutet. Deshalb sollten zwei längere Sondagen im Osten weiteren Aufschluss über den Verlauf der beiden Grubenringe geben (Abb. 6). Während in der nördlichen Sondage die Grubenanlage vollständig fehlt, wurde in der südlichen zumindest der innere Grubenring erfasst. Allerdings weist dieser eine Unterbrechung auf und setzt erst im Norden des Schnittes auf einer Länge von 4,30 m ein. Da sich bereits auf der Grabungsfläche der 1990er Jahre im Osten abzeichnet, dass der äußere Grubenring hier aussetzt und der innere lückenhaft vorliegt, deutet die Situation in den beiden Sondagen eher darauf hin, dass sich dieses Bild weiter nach Norden fortzusetzen scheint, als dass die Grubenanlage tatsächlich geschlossen war. Seit dem Beginn der Untersuchungen in Herxheim ist das Erdwerk, ähnlich wie dies für die menschlichen Überreste der Fall ist, Bestandteil ausführlicher und kontroverser Diskussionen. Wurden die beiden Trassen der Anlage von Annemarie Häußer, der Ausgräberin der 1990er Jahre, als durchgehende Gräben interpre2 Eine erste Serie von fünf Daten wurde 2001 im Vera Laboratorium in Wien durchgeführt. Im Moment läuft noch eine weitere Serie von 20 Daten am Labor für Ionenstrahlphysik (LIP) der ETH Zürich, die von Irka Hajdas gemessen wird, bei der wir uns für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. 3 Die geomagnetischen Untersuchungen wurden durch die Posselt und Zickgraf Prospektionen GbR durchgeführt. Martin Posselt und seinen Mitarbeitern gilt für ihre unkomplizierte Unterstützung unser besonderer Dank.

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Abb. 5: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Das Ergebnis der geomagnetischen Prospektion im Nordteil der Anlage zeigt deutlich als helle Anomalien im Grauraster des Magnetogramms die beiden Grubenringe sowie einzelne Siedlungsoder Hauslängsgruben im Innenareal.

tiert, die durchaus eine fortifikatorische Funktion besessen haben könnten (H ä u ß e r 2001), so vertrat Katja Schmidt in ihrer Arbeit eine ganz andere Position. Aufbauend auf den Arbeiten von Christian Jeunesse zu einem Fundplatz in Rosheim im nördlichen Elsass (J e u n e s s e / L e f r a n c 1999) versuchte sie, für Herxheim eine rituelle Nutzung des Erdwerks nachzuweisen und nahm für dieses ein Bestehen seit dem Beginn der Besiedlung an (S c h m i d t 2004a, S c h m i d t 2004b, Z e e b - L a n z e t a l . 2007; 2009b). Dieses Modell sieht die beiden Grubenringe als Summe zahlreicher, in größerem zeitlichem Abstand ausgehobener und wieder verfüllter einzelner Gruben, die sich im Laufe der Zeit gegenseitig überschneiden. Im Nachhinein erwecken sie damit den Eindruck einer durchgehenden Struktur. Das Modell beinhaltet also zwei unterschiedliche zeitliche Dimensionen: Einerseits das Graben und direkte Wiederverfüllen der einzelnen 392

Abb. 6: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Übersichtsplan mit den unterschiedlichen Grabungsflächen und den Ergebnissen der Geoprospektion.

Gruben in einem jeweils sehr kurzen Zeitraum, andererseits das sich in einem längeren zeitlichen Abstand immer wiederholende, erneute Graben und Verfüllen einer solchen Grube entlang einer vorher festgelegten Trassenführung. Im Idealfall war dann irgendwann an jeder Stelle der Trasse eine Grube angelegt und wieder verfüllt worden (J e u n e s s e 2011a; J e u n e s s e 2011b). Die Auswertungen im Zusammenhang mit der Grabung von 2005 bis 2008 konnten das Modell von aus einzelnen Langgruben bestehenden Grubenringen zwar bestätigen (vgl. Abb. 7). Und wir gehen gleichfalls von einer eher rituell geprägten Motivation für die Errichtung der Grubenanlage aus. Entscheidende Unterschiede liegen aber in der sehr engen zeitlichen Bindung der Anlage an die in Herxheim durchgeführten Rituale und eine damit verbundene viel kürzere Nutzungsdauer. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die sehr komplizierten Verfüllungsabläufe innerhalb der beiden Grubenringe offenbar in großen Teilen ohne Bezug auf die einzelnen Langgruben stattfanden. Vielmehr erfolgten sie über die Grenzen mehrerer solcher benachbarter Gruben hinweg gleichzeitig (H a a c k 2009; H a a c k im Druck). 393

Abb. 7: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Plana (1, 2) und Querprofile (3, 4) von unterschiedlichen mulden- und spitzgrabenförmigen Langgruben der Grabung 1996–1999.

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Abb. 8:

Herxheim „Gewerbegebiet West“. Schematisches Längsprofil durch den inneren Grubenring im Bereich der Konzentrationen 2 und 4 der Grabungen 2005–2008.

Ein gutes Beispiel dafür sind zwei bei den Grabungen 2005–2008 aufgedeckte Langgruben, deren Übergangsbereich bis in den Sohlenbereich von zwei der unten noch näher beschriebenen Konzentrationen überlagert wird (vgl. Abb. 6). Konzentration 4 setzt sich aus manipulierten Menschenknochen, Schädelkalotten, intentionell zerschlagenen Keramikgefäßen und zerstörten Steingeräten zusammen. Konzentration 2, die hauptsächlich aus vollständigen, aber nur noch teilweise im Skelettverband liegenden Menschenknochen besteht, wurde direkt auf Konzentration 4 aufgebracht. Den Grubenring erweiterte man dabei im oberen Bereich offenbar durch eine partielle Nachgrabung. Die Basis für die Deponierung der beiden Konzentrationen bildet ein von Norden nach Süden einfallendes Verfüllungsrelief (Abb. 8). Dieses erste Verfüllungspaket läuft, ebenso wie die Konzentration 4, deren tiefste Funde nur 0,20 m über der Sohle liegen, eindeutig über die Grenze der beiden Langgruben hinweg (Abb. 9). Obwohl sich die beiden in ihrer Form und ihrem Verlauf gut zu unterscheidenden Langgruben deutlich trennen lassen, ist eine Überschneidung selbst im untersten Bereich nicht zu erkennen (Abb. 10). Es liegt deshalb nahe, dass beide Langgruben mehr oder weniger gleichzeitig ausgehoben wurden und bis in den untersten Bereich gemeinsam offenstanden, bevor man sie beide bis zu einem gewissen Grad wieder verfüllte. Die Deponierung von Konzentration 4 erfolgte dann in Phase 2 in einer Art Schüttung aus den Funden, vermischt mit Erdmaterial, von der Längsseite aus auf das schräg einfallende Verfüllungsrelief. Diese Konzentration wurde dann in einer dritten Phase zumindest im unteren Bereich mit Erdaushub abgedeckt, bevor für die Einbringung von Konzentration 2 der Grubenring im oberen Bereich in der Breite erweitert und da396

Abb. 9: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Planum 17 mit dem unteren Bereich von Konzentration 4 und den beiden Langgruben.

Abb. 10: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Planum 20 mit dem Sohlenbereich der beiden Langgruben.

bei wahrscheinlich auch ein Teil der Konzentration 4 abgegraben wurde (Abb. 11). Die Deponierung von Konzentration 2 und die weitere Auffüllung südlich der beiden Konzentrationen bilden dann den Abschluss in diesem Teil 397

Abb. 11: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Planum 6 mit den beiden Konzentration 2 und 4.

des inneren Grubenringes (Phasen 4 und 5), dessen stratigraphische Abläufe sich aber deutlich schlechter fassen lassen. Obwohl hier nur ein sehr kleiner Ausschnitt der gesamten Grubenanlage vorgestellt wurde, ist diese Beschreibung doch auf große Abschnitte des inneren Grubenringes gut übertragbar. Fast durchgehend reichen die unterschiedlichen und sich sehr häufig in ähnlicher Weise schräg oder horizontal über mehrere Meter erstreckenden Konzentrationen bis in den Sohlenbereich des inneren Grubenringes. Darüber hinaus lassen sich an kaum einer Stelle Überschneidungen von Langgruben nachweisen, die bis in den höheren Verfüllungsbereich reichen und stratigraphische Überlagerungen anzeigen würden. Aber nur diese würden einen längeren Entstehungszeitraum plausibel erscheinen lassen. Akzeptiert man eine Dauer für die in Herxheim stattgefunden Rituale von maximal 50 Jahren, dann ist es kaum vorstellbar, dass Teile des inneren Grubenringes in zeitlich großem Abstand vor dieser Phase entstanden sein könnten. Vielmehr scheinen längere Abschnitte von Langgrubenketten gleichzeitig angelegt und verfüllt worden zu sein. Allerdings kann die Einbringung der Konzentrationen in die Grubenanlage nicht der einzige und ursprüngliche Zweck des Erdwerkes gewesen sein. Während sich im inneren Grubenring fast durchgehend Funde aus dem Kontext der im Umfeld der Anlage durchgeführten Rituale finden, weist der äußere Grubenring längere Abschnitte auf, die weitgehend fundleer sind. Insgesamt ist die Anzahl der Fundkonzentrationen hier deutlich geringer. 398

Abb. 12: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Planum 16 des äußeren Grubenringes der Grabungen 2005-2008 mit unterschiedlichen Langgruben.

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Die einzelnen Langgruben selbst dienten offenbar lediglich als architektonische Baueinheiten, um längere, grabenartige Abschnitte auszuheben, die dann sehr schnell absichtlich wieder verfüllt wurden (Abb. 12). Eine solche Langgrubenkette lässt sich jeweils im inneren und äußeren Grubenring im Osten der Anlage fassen, wo beide Strukturen nach einem offensichtlich geplant angelegten Eingangsbereich nach etwa 20 m wieder aussetzen. Im Überblick: Die Fundkonzentrationen in der Grubenanlage In der Grubenanlage, und zwar hauptsächlich im inneren Grubenring, vereinzelt aber auch im äußeren, fanden sich Fundkonzentrationen unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung. Primär bestehen diese Konzentrationen aus zahlreichen menschlichen Skelettelementen, die häufig in kleinste Stücke zerschlagen sind. Eine einzelne Konzentration kann dabei bis zu 4000 Fragmente menschlicher Knochen enthalten. Insgesamt ließ sich für die bisher ausgegrabenen Teile der Grubenanlage eine Mindestindividuenzahl von etwa 500 Menschen – aller Altersklassen und beiderlei Geschlechts – ermitteln. Aufgrund der Tatsache, dass erst etwa die Hälfte der postulierten Gesamtanlage ausgegraben wurde, ist aber von einer erheblich höheren Gesamtzahl auszugehen, die gut 1000 Tote umfassen mag (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 977). Mindestens 13 menschliche Individuen wurden in einem Fundkomplex anhand der Schädeldächer identifiziert. Der Zerlegungsgrad der Skelette ist unterschiedlich – in einzelnen Fällen finden sich Extremitäten wie Arme und Beine noch im ursprünglichen Skelettverband (Abb. 13), auch Torsi (Abb. 14 ) und Teile von Wirbelsäu-

Abb. 13: Herxheim, Forschungsgrabung 2007. Zwei menschliche Unterschenkel mit Füßen, alle Knochen noch im ursprünglichen Verband.

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len (Abb. 15) können vorkommen. Das übliche Schema ist jedoch dasjenige einer Zerlegung der menschlichen Körper (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 971) und der anschließenden Zerschlagung der einzelnen Skelettelemente, wobei besonders die Langknochen von Armen und Beinen extrem kleinteilig zertrümmert vorliegen. Unterkiefer wurden in vielen Fällen mittig zerschlagen, können aber auch noch stärker fragmentiert sein (Abb. 16). Bei Anpassungsversuchen ließen sich zahlreiche Knochenfragmente zu größeren Teilen zusammenfügen. Meist bestehen die Anpassungen aus nur zwei Stücken; es fanden sich aber auch Zusammensetzungen, die bis zu 13 Stücke enthalten können (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 974). Die Konzentrationen be- Abb. 14: Herxheim, Rettungsgrabung 1998. Menschstanden aber nicht ausschließlicher Torso ohne aus einer der Fundkonlich aus manipulierten zentrationen. Mit dem Torso liegen Knochen weiterer Individuen sowie mehrere menschlichen Überresten, Schädelkalotten in diesem Befund. sondern enthielten – vermischt mit den Knochenfragmenten und Schädelteilen – weiteres Fundmaterial. An erster Stelle ist hier Keramik zu nennen, die sich durch ihre Menge, vor allem aber durch die hohe Qualität in Form, Fertigung und Verzierung auszeichnet (Abb. 17; siehe Z e e b L a n z e t a l . 2007; 2009a; B o u l e s t i n e t a l . 2009). Zahlreiche Gefäße ließen sich ganz oder zu großen Teilen wieder zusammensetzen (Abb. 18), ein konkreter Hinweis auf die Tatsache, dass die Töpfe offenbar vor Ort an der Grubenanlage zerschlagen und dann mit den Menschenknochen in die Grubenanlage verbracht worden waren. Bei der Feinkeramik sind neben Sonderformen wie taschenförmigen Bechern (Abb. 19) die Miniaturgefäße erwähnenswert. Diese wurden meist nicht ganz zertrümmert, sondern lediglich die Handhaben, Ösen 401

Abb. 15: Herxheim, Forschungsgrabung 2006. Konzentration aus größtenteils nicht zerschlagenen menschlichen Knochen und dem Teil einer menschlichen Wirbelsäule, bei der die Wirbel noch im originalen Verband liegen.

oder Knubben, in einer Art „pars-pro-toto“-Zerstörung abgeschlagen (Abb. 20). Neben verzierter Feinkeramik liegen auch gut gearbeitete, aber wenig oder gar nicht ornamentierte Kochtöpfe und Vorratsgefäße vor, letztere teils in beeindruckender Größe und ebenfalls zum Teil offenbar vor Ort zerschlagen (Abb. 21). Zum Fundspektrum gehören darüber hinaus Felsgesteingeräte und Silexklingen (S c h i m m e l p f e n n i g 2001; Z e e b - L a n z e t a l. 2009a). Die Steinwerkzeuge, in der Regel die typischen bandkeramischen Dechsel (quergeschäftete Beilklingen), zeigen, wie Keramik und Menschenknochen, deutliche Spuren von Gewalteinwirkung. Die Dechsel sind häufig in der Mitte durchgebrochen (Abb. 22), ein Bruchmuster, das durch den normalen Gebrauch in der Holzbearbeitung nicht hervorgerufen werden kann, sondern klar auf eine intentionelle Zerstörung zurückzuführen ist (Z e e b - L a n z e t a l . 2007, S. 209). Ebenso wurde mit den Silexklingen verfahren, sofern diese aus wertvollen, aus weiterer Entfernung importierten Rohmaterialien bestehen. Die intakten Silices richtete man zu sogenannten ausgesplitterten Stücken zu, die dann nicht weiter genutzt werden konnten und mit dem anderen Fundmaterial entsorgt wurden. 402

Abb. 16: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Menschliche Unterkiefer in unterschiedlichen Erhaltungszuständen.

Abb. 17: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Fein verziertes flaschenförmiges Gefäß aus der Grubenanlage.

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Abb. 18: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Drei gut erhaltene Gefäße aus der Rettungsgrabung der 1990er Jahre.

Abb. 19: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Zwei sorgfältig verzierte sog. „Taschengefäße“. Diese beutelförmigen Becher sind eine Sonderform und ahmen Taschen aus textilem Material nach.

Außerdem finden sich in den Konzentrationen jede Menge kleinerer und größerer Sandsteinfragmente, die von der Zerstörung von Getreidemühlen und Reibplatten zeugen. Bei den Bruchstücken handelt es sich nicht um abgenutzte 404

Abb. 20: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Miniaturgefäße mit intentionell abgeschlagenen Knubben und Ösen.

Abb. 21: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Vorratsgefäß aus der Grubenanlage. Das mit Handhaben versehene Gefäß trägt eine einfache Verzierung aus Fingertupfen.

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Abb. 22: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Gewaltsam zertrümmerter Felsgesteindechsel aus einer Konzentration in der Grubenanlage (Länge ca. 15 cm).

Abb. 23: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Bevor man diese Reibplatte aus Felsgestein zerschlug, hatte man sie in ein Feuer gelegt, um das Gestein mürbe zu machen.

und dadurch in der Dicke stark abgearbeitete Stücke, sondern es wurden wiederum voll funktionsfähige Geräte gewaltsam zerschlagen. Das Beispiel in Abb. 23 zeigt ein solches zerstörtes Objekt, das ein Gewicht von 16 kg besitzt. Offenbar hatte man die Mahlsteine und Steinplatten erst ins Feuer gelegt, um sie durch die Hitzeeinwirkung brüchiger zu machen, bevor sie dann in kleine Stücke zerschlagen wurden (Z e e b - L a n z e t a l . 2007, S. 232, S. 246). 406

Abb. 24: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Diese Unterkiefer kleiner Carnivoren wie Fuchs, Marder oder Iltis lagen eng beieinander. Sie hatten sich vermutlich einstmals in einem textilen Beutel befunden.

In größerer Menge konnten auch Tierknochen in den Fundkonzentrationen beobachtet werden (A r b o g a s t 2 0 0 1; 2009; Z e e b - L a n z e t a l. 2007). Neben Rinderhornzapfen oder Geweihteilen vom Rothirsch sind dies vornehmlich die äußeren Extremitätenknochen wie Vorder- oder Hinterfußknochen von Rind, Auerochse, Schaf und Schwein. Eng zusammenliegend – vermutlich ursprünglich in einem Beutel aus Leder oder Textil – fanden sich an einer Stelle in der Grubenanlage mehr als 20 Unterkiefer kleiner Karnivoren wie Fuchs, Marder, Iltis und Wildkatze (Abb. 24). Auf der Oberfläche der Kiefer konnten teilweise Schnittspuren und die Reste von Ocker beobachtet werden, was auf eine symbolische Funktion dieser Objekte, möglicherweise mit Amulettbedeutung, hinweist. Einen ähnlichen Charakter könnten auch die Flügelknochen großer Vögel (Kranich oder Gans) besessen haben, die allerdings nur in sehr kleinen Stückzahlen vorliegen (A r b o g a s t 2009, S. 56). Besonders hervorzuheben ist die große Zahl an Hundeknochen in den Konzentrationen der Grubenanlage – mehr als 200 Einzelknochen und –fragmente konnten gezählt werden, die zu 407

mindestens sechs Individuen gehören. Diese für eine bandkeramische Siedlung außergewöhnlich große Menge an Hundeknochen dürfte ebenfalls auf den besonderen Kontext in Herxheim verweisen (A r b o g a s t 2009, S. 58; hier Abb. 25).

Abb. 25: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Anatomische Verteilung der in der Grubenanlage gefundenen Hundeknochen (nach Arbogast 2009, Fig. 6).

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Die in den Konzentrationen vorliegenden Tierknochenensembles unterscheiden sich damit ganz erheblich von den üblichen Tierresten, die sich in Abfallgruben bandkeramischer Siedlungen finden. Wird die Zusammensetzung in letzteren von den schweren, großen Knochen fleischreicher Körperteile dominiert und belegt damit, dass es sich um Schlachtabfall bei der Nahrungsgewinnung aus Tieren handelt, so finden sich in der Grubenanlage ausgewählte Stücke wie Schädelteile, Hornzapfen und Extremitäten verschiedener Tierarten, die in der Regel für das jeweilige Tier charakteristisch sind und seine Art definieren (A r b o g a s t 2009, S. 58). In bemerkenswerter Anzahl und Vielfalt sind in Herxheim Artefakte aus Tierknochen oder Geweih gefunden worden, bei denen es sich nicht nur um Geräte handelt, sondern

Abb. 26: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Deponierung von vier langen und dünnen Knochennadeln, die im inneren Grubenring lagen. a.) ursprüngliche Lage in der Ausgrabungsfläche; b.) Detailansicht der Nadeln.

gleichfalls um Gegenstände, die einen gewissen symbolischen oder rituellen Wert besessen haben dürften (H a a c k 2008; 2012; 2013). Dabei handelt es sich etwa um zwei Geweihknebel oder um sechs sehr lange und dünne Knochennadeln, die wahrscheinlich als Gürtelschließen bzw. Haarnadeln Teil der Bekleidung im weiteren Sinne gewesen sind (Abb. 26). In diese Kategorie von Fundmaterial gehören auch durchbohrte Tier- und Menschenzähne oder bearbeitete Muschelschalen und perforierte Schneckengehäuse, die in einigen Fällen mit mehreren Stücken dicht beieinander liegend freigelegt wurden und vielleicht als Kleidungsbesatz Verwendung gefunden hatten (H ä u ß e r 1998; H a a c k 2008; Z e e b - L a n z e t a l. 2009a).

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I m Fo k u s : D i e m e n s c h l i c h e n Ü b e r r e s t e Insgesamt wurden aus den beiden Grabungen in Herxheim mehr als 75 000 menschliche Knochen und Knochenfragmente geborgen, darunter fast 500 Schädelkalotten und weitere Schädelteile. Der Tatsache, dass der Lössboden der Herxheimer Umgebung sehr kalkreich ist, verdanken wir die hervorragende Erhaltung der menschlichen Knochen. Denn in kalkarmen Böden ist der Zustand prähistorischer Knochen in Ausgrabungen häufig sehr schlecht, da Pflanzen, die Kalk für ihr Abb. 27: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Stark Wachstum benötigen, diesen mit Kalksinter überzogener Schädel aus aus den im Boden liegenden der Rettungsgrabung der 1990er Jahre. Knochen herausziehen, wenn sich im Erdreich nicht genügend Kalk befindet. Der Kalkreichtum des Lösses in Herxheim hat aber für die Anthropologen, welche die Menschenknochen bearbeiten und analysieren, auch den erheblichen Nachteil, dass die Knochen stark mit Kalk versintert und die originalen Knochenoberflächen häufig vollständig von einer Kalkschicht überzogen sind (Abb. 27). Deshalb war vor einer detaillierten Bestimmung und Bearbeitung der menschlichen Skelettreste die Entfernung der Versinterungen in aufwändigen und zeitintensiven Verfahren unumgänglich4. Im Unterschied zu einem Großteil der menschlichen Überreste der Rettungsgrabung wurden die Knochenfunde der Forschungsgrabung durchgängig diesem Prozedere unterzogen, so dass die unterschiedlichen Manipulationsspuren wie Schnitt- oder Schabespuren oder durch Gewalteinwirkung hervorgerufene Einschlagstellen erkennbar wurden. Die vollständige Untersuchung des gesamten Materials unter dem Binokular und in wichtigen Fällen unter Verwendung von Röntgenaufnahmen hat zu aufsehenerregenden Ergebnissen geführt, die es ermöglichen, den Ablauf der Behandlung der menschlichen Körper in Herxheim genau zu beschreiben (B o u l e s t i n e t a l . 2009).

4 Wir danken Ludger Schulte, einem der beiden Restauratoren der Direktion Landesarchäologie – Speyer, sehr herzlich dafür, dass er neben der Aufbereitung des gesamten Fundmaterials beider Grabungskampagnen auch diese Aufgabe übernommen hat.

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Abb. 28: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Zerlegungsspuren (Kreis) an der Gelenkpfanne eines menschlichen Beckenfragments.

Zunächst lässt sich anhand zahlreicher Schnittspuren feststellen, dass die frisch verstorbenen Leichname mit Hilfe scharfer Silexgeräte systematisch zerlegt und entfleischt wurden. Die Schnittspuren treten an allen anatomischen Regionen des Körpers auf und entsprechen weitgehend den Spuren, die beim Schlachten von Tieren zur Nahrungsgewinnung entstehen. Am deutlichsten sind die meist intensiv ausgeprägten Schnittspuren, die in Verbindung mit der Zertrennung von Sehnen und Bändern an den Gelenkenden, also mit der Zerlegung, stehen (Abb. 28). Die Heraustrennung des Rückgrats erfolgte durch vollständiges Durchschneiden bzw. Abbrechen der Rippen-Wirbel-Verbindungen beidseitig entlang der Wirbelsäule (Abb. 29). Schnittspuren, die in Folge der Entfleischung der einzelnen Körperteile auftreten, sind weitaus unauffälliger als Zerlegungsspuren und können im gesamten Bereich des von Muskulatur bedeckten Knochens vorkommen.

Abb. 29: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Wirbel und Rippen mit abgeschlagenen Gelenkenden aus Konzentration 9 der Forschungsgrabung.

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Abb. 30: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Schädelkalotte aus Konzentration 9 der Forschungsgrabung. Die charakteristischen gebogenen Bruchformen (Biegungsfrakturen) sind infolge einer intentionellen Zurichtung entstanden, als der Knochen noch frisch war.

Sie sind auf die Ablösung des am Knochen anhaftenden Muskelstranges zurückzuführen. Die Entfernung weicher, an der Knochenoberfläche anhaftender Fleischreste erzeugte kurze, feine und meist bündelartig auftretende Schabespuren (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 974). Nach dem Zerlegen und Entfleischen der Körper wurden die Knochen in einem dritten Schritt zerschlagen. Charakteristische Bruchmuster wie Spiralfrakturen bei den Langknochen oder Biegungsfrakturen bei den Schädeln zeigen, dass der organische Anteil der Knochensubstanz zum Zeitpunkt der Zerschlagung noch nicht zersetzt war und die Knochen somit in einem frischen Zustand zerschlagen worden sein müssen (Abb. 30)5. An der Tatsache, dass die Fragmentierung der Knochen auf eine intentionelle menschliche Manipulation zurückzuführen ist und die Knochen nicht aufgrund von Sedimentdruck, Verwitterungsprozessen oder Karnivorenaktivitäten fragmentiert sind, besteht keinerlei Zweifel. So lassen sich an den Knochen häufig Schlagnarben oder auch feine, durch die Zerschlagung hervorgerufene striae im Bereich des Einschlags beobachten 5 Da die Zersetzung der organischen Substanz im Knochen von äußeren Faktoren wie Lagerungsbedingungen und Klima beeinflusst wird, ist die Dauer des organischen Materials jedoch unterschiedlich. Hier ist eine Zeitspanne kurz vor dem Tod bis zu mehreren Jahren nach dem Tod denkbar (Z e e b - L a n z e t a l . 2007, S. 203).

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Abb. 31: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Auswahl an zerschlagenen Langknochenfragmenten. Die Gelenkenden wurden regelhaft zerstört und sind deshalb im Vergleich zum Knochenschaft stark unterrepräsentiert.

(B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 977). Die gleichförmige Zurichtung der Skelettreste kann ebenfalls als eindeutiges Indiz für menschlichen Einfluss gewertet werden. So ist etwa an den Langknochen der Arme und Beine regelhaft festzustellen, dass die Gelenkenden zerstört und der Knochenschaft zwischen den Gelenkenden in viele Einzelteile zerschlagen wurde (Abb. 31). Besonders bemerkenswert ist dabei, dass vielfach die größeren markreichen Langknochen, also Oberarm-, Oberschenkel- und Schienbeinknochen, offenbar intensiver zerschlagen wurden als die kleineren, weniger markreichen Langknochen wie Elle, Speiche und Wadenbein (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 977). Welche Rolle das Feuer innerhalb der oben beschriebenen Zurichtung der menschlichen Körper spielt, ist bisher noch nicht genau geklärt. So lassen sich an einigen Knochen Brandspuren feststellen, die je nach Hitzeeinwirkung und ursprünglicher Weichteilbedeckung unterschiedliche Verfärbungen aufweisen. Am häufigsten sind dunkelbraun-schwarze Brandspuren, die bei relativ geringen Temperaturen entstanden sind (Abb. 32); vollständig verbrannte Knochen liegen hingegen kaum vor. 413

Die Schädel der Opfer erfuhren darüber hinaus eine ganz spezielle Behandlung (Z e e b - L a n z 2011). Mit langen Schnitten über die Mitte des Schädels, von der Nasenwurzel bis zur Schädelbasis, wurde die Kopfhaut aufgeschnitten und in der Folge vom Schädel abgezogen. Diese Prozedur hinterließ auf den Schädeldächern, die ja nicht durch Muskeln oder Weichteile geschützt sind, sondern direkt unter der Haut liegen, typische Schnittspuren, die sich an zahlreichen Exemplaren dokumentieren lassen (Abb. 33). Nach der Entfernung der Abb. 32: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Kopfhaut und der Reinigung des Brandspur an einem Kalotten- Schädels von allen Weichteilen, wozu fragment. auch die Entfernung der Augäpfel – belegt durch feine Schnitte in der Augenhöhle – gehört, wurde mit gezielten Schlägen der untere Teil des Schädels vom Schädeldach, der Kalotte, abgetrennt. Dabei orientierte man sich grob an der sogenannten „Hutkrempenlinie“; alle Schädelteile, die unter dieser Linie liegen, wie Gesichtsschädel, Temporale und Schädelbasis, wurden abgeschlagen. Am Ende blieb nur die Schädelkalotte übrig. In diesem immer in gleicher Weise durchgeführten Muster wurde der bei weitem größte Teil aller Köpfe der in der Grubenanlage deponierten Menschen zu Kalotten zugerichtet.

Abb. 33: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Typische Schnittspuren in Längsrichtung auf einer Schädelkalotte aus der Grubenanlage.

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Abb. 34: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Eng gepackt liegen in Konzentration 16 der Forschungsgrabung insgesamt 13 Schädelkalotten (die meisten noch nicht sichtbar unter den hier freigelegten Kalotten) in einer nestartigen Anordnung.

Auffällig ist, dass sich die Schädelkalotten in den beiden Grubenringen in unterschiedlichen Kontexten finden lassen. Nicht wenige Stücke liegen einzeln und ohne weiteres Fundmaterial an unterschiedlichen Stellen in der Verfüllung der beiden Grubenringe oder sie finden sich, vermischt mit dem anderen Fundmaterial, zentral in den unterschiedlichen Konzentrationen. Ebenso häufig sind sie jedoch im Sohlebereich der Konzentrationen als dicht gepackte Ansammlung aus mehreren Exemplaren deponiert worden (Abb. 34). Derartige „Nester“ (Z e e b - L a n z 2011, S. 64) wurden auch in wenigen Fällen für vollständig erhaltene Schädel beobachtet, so dass es sich hier um ein weiteres repetitives Muster im Ritualgeschehen von Herxheim handelt. Obwohl an den menschlichen Skelettresten bisher keine Tötungsspuren sicher nachgewiesen werden konnten, erhärtet sich aufgrund der vorliegenden, für bandkeramische Gräberfelder gänzlich untypischen Mortalitätsrate der Verdacht, dass die Individuen nicht eines natürlichen Todes gestorben sind, sondern vor ihrer Zerlegung getötet wurden. So zeichnet sich ein starkes Überwiegen der frühadulten Individuen, also der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, ab. Die Altersgruppe spätadult und frühmatur (Dreißig- bis Fünzigjährige), die auf Gräberfeldern gewöhnlich am stärksten vertreten ist, muss dagegen in Herxheim als weitgehend 415

unterrepräsentiert eingestuft werden (B a u e r 2008, S. 92). Bedenkt man zudem den kurzen Zeitraum, in dem die Skelettreste in die Konzentrationen gelangten – maximal 50 Jahre und wahrscheinlich sogar erheblich weniger – und die hohe Anzahl von hochgerechnet 1000 Individuen für die ganze Anlage, dann ist es gänzlich unwahrscheinlich, dass diese Menschen eines natürlichen Todes starben.

Die Keramik aus der Grubenanlage – Beleg w e i t g e s p a n n t e r Ko n t a k t e u n d Ko m m u n i k a t i o n s r ä u m e Wie oben beschrieben, besticht die verzierte Keramik aus den Konzentrationen der Grubenanlage durch ihre wohlproportionierte Formgebung und den hohen Qualitätsstandard bezüglich Technik und Vielfalt der Verzierung. Der Gesamtbestand an Tongefäßen aus Herxheim übertrifft mit diesen Prädikaten alle bekannten Keramikensembles aus der Vielzahl ergrabener und ausgewerteter Fundstellen der bandkeramischen Kultur in ganz Mitteleuropa. Neben diesen Alleinstellungsmerkmalen zeigte sich bei der Bearbeitung durch Christian Jeunesse eine weitere erstaunliche Eigenart des Keramikspektrums. Etwa die Hälfte der verzierten Kümpfe, Töpfe und Flaschen – um nur die häufigsten Gefäßformen zu nennen – ist mit Ornamenten im Pfälzer Stil der jüngsten Bandkeramik verziert. Diese Stilvariante der verzierten LBK-Ware wurde erst jüngst am Material von Herxheim definiert (J e u n e s s e e t a l . 2009; H o u b r e 2007). Im Verlauf der bandkeramischen Kultur entwickelten sich in der Keramikverzierung regional begrenzte Stilvarianten (J e u n e s s e 2008), die auf ein verstärktes Gruppen-Identitätsgefühl hinweisen dürften6. Die Entwicklung dieser Regionalstile fand in der jüngsten Phase der LBK ihren Abschluss. Im Gegensatz zu den älteren Phasen, in denen ein Gefäß aus dem Pariser Becken kaum von einem aus Mitteldeutschland oder Bayern zu unterscheiden war, lassen sich nun die verzierten Töpfe geographisch verschiedenen Regionen zuordnen. Im Keramikbestand von Herxheim finden sich insgesamt acht verschiedene Stilgruppen, die geographisch Regionen wie Nordhessen (Stil von Leihgestern), dem Moselmündungsgebiet (Plaidter Stil), dem Rhein-Main-Gebiet (Schraffurstil; siehe Abb. 17) oder dem Elster-Saale-Raum zuzuordnen sind (H o u b r e 2007). Der am weitesten entfernt beheimatete Stil verweist auf das böhmische Elbtal (Šarka-Stil), immerhin eine Luftlinien-Entfernung von mehr als 400 km zu Herxheim (Abb. 35). Diese Regionalstile sind, mit Ausnahme des bayerischen Stils, nicht nur durch Einzelscherben, sondern jeweils mit einer größeren Menge an Gefäßen vertreten. Archäometrische Tonanalysen7 haben ergeben, dass die

6 Zur Funktion von Keramikverzierung als identitätsstiftendes Element siehe auch Z e e b 1998, S. 151–153; Z e e b - L a n z 2003. 7 Die Tonanalysen wurden am Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie von Oliver Mecking durchgeführt, dem an dieser Stelle für die harmonische und effektive Zusammenarbeit herzlich gedankt sei.

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Abb. 35: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Kartierung der Herkunft der Gefäße mit Fremdstilverzierungen.

Gefäße mit „Fremdstilen“ jeweils unterschiedliche Tonzusammensetzungen aufweisen, die sich von derjenigen von Gefäßen mit Pfälzer Stil deutlich unterscheiden (Abb. 36). Damit ist davon auszugehen, dass es sich bei den Fremdstiltöpfen um importierte Gefäße aus den jeweiligen Regionen handelt, für die die einzelnen Verzierungsstile charakteristisch sind, was ein weitgespanntes Kommunikations- und Kontaktnetz in der jüngsten LBK belegt. Für bestimmte Siedlungsgemeinschaften dieser Regionalgruppen muss Herxheim einen zentralen Ort mit besonderer Bedeutung (Ritualort) dargestellt haben.

F r e m d e To t e i n H e r x h e i m ? Ergebnisse der Isotopen- und DNA-Analysen Strontium- und Sauerstoffisotopenanalysen an den Zähnen der Toten aus der Grubenanlage wurden zur Herkunftsbestimmung durchgeführt (Turck et al. 2012)8. Erstaunlicherweise verweisen die Analysenergebnisse einer Stichprobe von fast 100 Individuen die Herkunftszonen der Beprobten in granitreiche Mittelgebirge (siehe Beitrag Turck in diesem Band). 8 R. Turck erstellte die Analysen am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg und wurde dort bei seiner Arbeit von Bernd Kober, Johanna Kontny und Joachim Fillauer sehr unterstützt. Den Genannten sei dafür und für die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam Herxheim herzlich gedankt.

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Abb. 36: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Keramikensemble von Gefäßen mit Verzierung im Pfälzer Stil.

Angesichts der Tatsache, dass eine Besiedlung der Mittelgebirge durch die Bandkeramiker bis heute ohne jeglichen archäologischen Nachweis ist und die Forschung gemeinhin davon ausgeht, dass die frühesten Ackerbauern nicht in diesen Regionen gesiedelt haben, wirft dieses Ergebnis ganz neue Fragen auf: Wer waren die Toten in der Grubenanlage von Herxheim? Und wo genau kamen sie her? Die Vorstellung, es könnte sich hier um letzte Jäger- und Sammlergruppen handeln, die sich um 5000 v. Chr. noch in Mittelgebirgen wie Schwarzwald, Taunus oder Teilen des Odenwaldes aufhielten und von den Bandkeramikern als potentielle Opfer für ihr sonderbares Ritual eingefangen worden seien, scheint erst einmal an mehreren Fakten zu scheitern. Zum einen sind in den genannten Gebirgen – und auch weiter entfernten Höhen mit Granituntergrund – kaum Spuren der Anwesenheit jüngstmesolithischer Jäger und Sammler zu finden (Abb. 37); zum anderen ist es völlig unwahrscheinlich, dass in einer Zeit, in der die Lösszonen Mitteleuropas von der neolithischen Bandkeramik bevölkert wurden, sich noch inselartige Refugien der Mesolithiker inmitten der bandkeramischen Welt befunden haben sollten (L ö h r / Z e e b - L a n z 2013, S. 65–68). Als weitere naturwissenschaftliche Untersuchung wurden von etwa drei Dutzend der anhand der Strontium-Isotopenanalysen als Fremde erkannten Individuen DNA-Analysen in Auftrag gegeben9. Die dabei ermittelten Haplo-Gruppen der Beprobten stimmen vollständig mit dem bisher bekannten DNA-Bild der bandkeramischen Bevölkerung Mitteleuropas überein (vgl. z.B. H a a k e t 9 Die DNA-Analysen wurden dankenswerterweise von Ruth Bollongino und Amelie Scheu aus der Forschergruppe Paläogenetik um Joachim Burger (Universität Mainz) durchgeführt.

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Abb. 37: Tortendiagramm zur Verbreitung spätmesolithischer Jäger- und Sammlergruppen in Europa (nach L ö h r / Z e e b - L a n z 2013, Abb. 3).

a l . 2005). Damit gehen die Ergebnisse der Isotopen- und der DNA-Analysen diametral auseinander; wie dieser Widerspruch aufgelöst werden kann, ist zurzeit noch eine der spannenden Fragen im Hinblick auf das Rätsel von Herxheim.

Ritual mit oder ohne Kannibalismus? Die akribische Zerlegung, Entfleischung und letztlich die Zerschlagung der Knochen der Menschen in der Grubenanlage ist mit der Behandlung von Schlachtvieh bis ins Detail zu vergleichen (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 975– 977). So ist z.B. das Heraustrennen der Wirbelsäule eine beim Ausnehmen von Wild geläufige Methode („levée de l´echine“). Mehrere Argumentationsketten führten zu der Hypothese, die Toten seien aus Gründen der Nahrungsgewinnung auf diese Art behandelt worden (B o u l e s t i n e t a l . 2009, S. 974). Zu den gewichtigen „Pro-Kannibalismus“-Argumenten zählt die Tatsache, dass ein statistisch nachweisbarer Fehlbestand an mark- und fettreichen Skelettelemen419

Abb. 38: Herxheim „Gewerbegebiet West“. Finger- und Fußknochen mit zerfledderten Gelenkenden.

ten wie Wirbelkörper und Epiphysen der Langknochen auf die Möglichkeit des Auskochens dieser Stücke hinweist, um Mark und Fett aus dem Knochengewebe zu lösen (B o u l e s t i n e t a l. 2009, S. 977). Auch für die Zerschlagung der Langknochen wird als Grund die Markgewinnung angenommen. Auf das Zerkauen der Enden zahlreicher langer Finger- und Fußknochen deuten Aussplitterungen an den Frakturkanten dieser Elemente hin (Abb. 38). Morphologisch wären diese Zerkauungsspuren durchaus als menschlichen Ursprungs zu werten – allerdings würde Tierverbiss an diesen Stellen die gleichen Spuren hinterlassen. Kannibalismus wurde für das mitteleuropäische Neolithikum bereits früher für die folgenden Fundplätze erwogen: Zauschwitz (C o b l e n z 1962; G r i m m 1991), Hanseles Hohl (Z e n e t t i 1924), Jungfernhöhle (A s m u s 1955), Tillpetersrech (H e r r m a n n / J o c k e n h ö v e l 1990, 130) und OberHörgern (K n e i p p / B u t t n e r 1988). Anthropophagie oder die Konsumie420

rung menschlichen Fleisches ist aber faktisch für die Vorgeschichte kaum zu beweisen. Den oben genannten Interpretationen in Richtung Kannibalismus wurde denn auch teils vehement widersprochen (O r s c h i e d t 1999; P a s d a e t a l . 2004). Speziell in der deutschsprachigen Archäologie hat sich in den letzten 20 Jahren eine generelle Ablehnung der These durchgesetzt, es habe in der europäischen Vorgeschichte Fälle von Kannibalismus gegeben (P e t e r R ö c h e r 1994). Für den Fall Herxheim ist zu konstatieren, dass aus rein wissenschaftlichen Erwägungen die Fülle der Beobachtungen, die sich plausibel mit Kannibalismus erklären lassen, nicht von der Hand zu weisen ist. Dieser potentielle Kannibalismus wäre aber in jedem Fall als bedeutender Teil eines umfassenden Rituals zu verstehen und würde auch als rituelle Handlung zu bewerten sein (Z e e b - L a n z e t a l . 2009b, S. 123). Auf der Seite „Kontra-Kannibalismus“ fehlt es deutlich an statistisch belegbaren Argumenten, die eine Zerlegung und Zerschlagung der Toten aus rein rituellen Beweggründen – ohne jegliche Anthropophagie – untermauern könnten. Dennoch sind einzelne Faktoren der Befundlage von Herxheim nicht ohne Probleme mit der Kannibalismushypothese kompatibel. Als Hauptargument ist hier die Herstellung der Schädelkalotten zu nennen, die aus Gründen der Nahrungsgewinnung keinen Sinn ergibt, da man weitaus problemloser das foramen magnum (Hinterhauptsloch) erweitern und so das Gehirn entnehmen könnte. Hier ist ein rein ritueller Hintergrund wie etwa ein spezieller Schädelkult eine überzeugendere Erklärung. Die Zerschlagung der großen Langknochen, die im Gegensatz zu den dünneren, weniger markreichen Langknochen weitaus stärker fragmentiert sind, spricht zwar einerseits für die Markgewinnung aus diesen Skelettelementen. Andererseits ist der Intensitätsgrad der Zertrümmerung – kaum ein Fragment ist länger als wenige Zentimeter und fast nie ist der Knochenschaft vollständig erhalten – für die Gewinnung des in der Röhre sitzenden Markes eher kontraproduktiv, kann man doch bei einer so intensiven Zerschlagung das Mark kaum noch von den zahllosen Splittern trennen. Insgesamt gesehen überwiegen aber deutlich die am Skelettmaterial dokumentierbaren Spuren, die für kannibalistische Handlungen im Rahmen des Rituals sprechen. Nicht damit in Einklang zu bringende Erscheinungen, wie oben beschrieben, mögen unabhängig von der auf Nahrungsgewinnung ausgerichteten Manipulation der Toten rein rituell bedingt sein und würden damit sozusagen einen zweiten Handlungsstrang des rituellen Geschehens an der Grubenanlage von Herxheim dokumentieren. Eine rein „kultisch“ motivierte Behandlung der Toten, für die es keine Beweise gibt, die aber durchaus ethnologische Parallelen besitzt, ist daher als Alternativhypothese nicht gänzlich wegzudiskutieren. Der rituelle Charakter des Gesamtgeschehens – Zerstörung menschlicher Körper, Zerschlagung qualitätvoller Keramik, wertvoller Steingeräte und Silexklingen, Deponierung ausgewählter Tierskelettelemente – wird bei der Untersuchung jeder einzelnen Fundkonzentration deutlich. Ob es sich bei dem Ritual 421

um eine Zeremonie der Unbrauchbarmachung wertvoller Objekte, ein Zerstörungsritual oder etwa ein „Umwandlungsritual“, also die Umwandlung funktionaler Objekte in einen anderen Zustand, handelt, kann im Einzelnen allerdings nicht entschieden werden. Deutlich umfasst das Ritualgeschehen in Herxheim aber viel mehr als „nur“ kannibalistische Riten; wenn es diese gegeben hat, dann als wichtigen Bestandteil einer übergeordneten Zeremonie, bei der die Zerstörung den Leitfaden des Handelns darstellt. Das Thema „Zerstörung“ muss in diesem Zusammenhang keine negative Konnotation besitzen – man könnte ebenso von einem „Transformationsritual“ sprechen, in dem wertvolle Objekte in einen anderen „Aggregatzustand“ versetzt wurden. Gewaltsame Handlungen als Teil kultischer/ritueller Zeremonien sind aus der Vorgeschichte ebenso wie aus der Ethnologie in vielen Beispielen überliefert.

D i e „ K r i s e “ a m E n d e d e r b a n d k e r a m i s c h e n Ku l t u r In ihrem westlichen Verbreitungsgebiet verschwindet die bandkeramische Kultur sozusagen „über Nacht“, während weiter östlich ein harmonischer Übergang in das stichbandkeramische Kulturmilieu zu beobachten ist. Dieses abrupte Erlöschen der weiträumig verbreiteten und insgesamt über 600 Jahre in Mitteleuropa vorherrschenden Kultur der Bandkeramik wird in der Forschung mittlerweile recht einhellig mit einer „Krise“ am Ende der Bandkeramik in Zusammenhang gebracht. Überhaupt nicht einig ist man sich allerdings bezüglich der Art dieser Krise und ihrer Ursachen. Die Vertreter der Theorie eines Krieges als Grund für das Verschwinden der Bandkeramik werten besonders die Zunahme der Erdwerke in den jüngeren Phasen der Kultur (z.B. H ö c k m a n n 1975; W i n d l 1996; S p a t z 1998, S. 13; F a r r u g g i a 2002, S. 10 f.) als ein deutliches Zeichen. Erdwerke sollen demnach grundsätzlich Verteidigungsanlagen gegen eindringende Aggressoren darstellen, eine Interpretation, die für Erdwerke ohne innenliegende Siedlungen zumindest zweifelhaft, für Grubenanlagen wie Herxheim aber ganz sicher nicht zutreffend ist. So beurteilt auch D. Kaufmann die bandkeramischen Erdwerke differenzierter und wertet nur Erdwerke der Typen „Köln-Lindenthal“ und „Darion“ als Verteidigungs- und Befestigungsanlagen (K a u f m a n n 1997, S. 71, S. 74 f.)10. Ähnlich wie es auch weitere Forscher sehen, besitzen für Kaufmann die unterschiedlichen Typen von Erdwerken ohne Ansehen ihrer zeitlichen Stellung innerhalb der Bandkeramik jeweils unterschiedliche Funktionen (ähnlich z.B. H ö c k m a n n 1990, S. 79; B e r n h a r d t 1990, S. 351; L ü n i n g 1991, S. 63). Dennoch geht auch er davon aus, dass speziell die Erdwerke der jüngeren und jüngsten Stufe der LBK als Reaktion auf äußere Bedrohung und gewaltsame Konflikte anzusehen sind.

10 Ähnlich argumentiert A. Whittle, der in den bandkeramischen Erdwerken „formalisierte (zu speziellen Zwecken genutzte) öffentliche Plätze“ sieht (W h i t t l e 1996, S. 174).

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Seit der Entdeckung des Massengrabes von Talheim (W a h l / K ö n i g 1987; W a h l / S t r i e n 2007) sowie der offenbar ebenfalls erschlagenen Bandkeramiker aus dem Erdwerk von Schletz in Niederösterreich (Te s c h l e r - N i c o l a e t a l. 1996; W i n d l 1996; 1999) scheint es für eine Reihe von Fachkollegen hinreichend bewiesen, dass die Kultur der Bandkeramik mit einem Krieg endet. Titel wie „La naissance de la guerre“ (L o n t c h o 1998), oder „Beating ploughshares back to swords“ (G o l i t k o / K e e l e y 2007) verdeutlichen diese Vorstellung von einem kriegerischen Ende der Bandkeramik. Ob man in eher egalitären Gesellschaften wie den neolithischen Kulturen überhaupt schon von „Krieg“ im heutigen Wortsinn sprechen kann, bleibt diskutabel11. Eher abzulehnen ist eine Kriegsthese für die Bandkeramik, die sich auf gerade einmal zwei gewaltsame Konfliktsituationen stützt – für eine in Europa so weit verbreitete Kultur wie die altneolithische Bandkeramik, die als eine der bestuntersuchten archäologischen Kulturen gelten darf, müsste es schon eine größere Anzahl nachweislicher gewalttätiger Auseinandersetzungen gegeben haben, damit man berechtigt von der Möglichkeit eines Krieges als Ursache für das Verlöschen der bandkeramischen Kultur sprechen könnte12. Eine in mehreren Werken publizierte Erklärung für das abrupte Ende der Bandkeramik geht von einem Szenario aus, in dem die schicksalhafte Verknüpfung mehrerer Faktoren für die historische Entwicklung verantwortlich gemacht wird (z.B. K a u f m a n n 1997, S. 75 ff.; S p a t z 1998, S. 17; 2003, S. 584; R i c e / L e B l a n c 2001, bes. S. 122 ff.; Te s c h l e r - N i c o l a e t al. 2006, S. 74). Eine klimatische Krise mit langen Trockenzeiten und dadurch bedingte schlechte Ernten hätten nach dieser Erklärung eine Ressourcenverknappung bedingt, die wiederum zu gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der im Laufe der Jahrhunderte rasant angestiegenen bandkeramischen Bevölkerung geführt habe. Nicht zu dieser These will allerdings die Tatsache passen, dass im Verlauf der jüngsten Bandkeramikphase in vielen Gegenden ein erheblicher Rückgang der Bevölkerungsdichte zu verzeichnen ist (E i s e n h a u e r 1994, S. 95). Dies trifft offenbar auch für die Pfalz zu, in der es außer Herxheim nach dem heutigen Wissensstand kaum weitere jüngstbandkeramische Siedlungen gab (Z e e b - L a n z 2 0 1 0 b, S. 72). Ein Streit um Nahrungsressourcen erscheint vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich. Außerdem ist anzumerken, dass die Einflüsse von Klimaveränderungen auf vorgeschichtliche Gesellschaftsstrukturen bislang noch nicht eindeutig geklärt werden können (v o n S t o r c h 1 9 9 5, S. 11 f.; v o n S t o r c h e t a l. 1999, S. 224, S. 232) und es für

11 Siehe zu dieser Frage das Schwerpunktthema „Krieg und Gewalt im Neolithikum“ in einer der jüngsten Ausgaben der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ (Archäologie in Deutschland 2013/1, S. 20-39). 12 So auch A. Beyneix, der mit Hinweis auf die wenigen Fälle gewaltsamer Tötungen in der Bandkeramik die Annahme, es habe generell in dieser Zeit häufig gewaltsame Konflikte (mit Bewaffnung) gegeben, ebenso ausdrücklich ablehnt wie die Bezeichnung „Krieg“ für die Konfliktsituationen in der späten LBK (Beyneix 2007, S. 92). Letzendlich ist es eine Frage der Definition von „Krieg“, ob man diesen für frühe neolithische Kulturen anerkennen will oder nicht (Z e e b - L a n z 2013, 21).

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die Zeit um 5000 v. Chr. keine klaren Belege für eine drastische Klimaverschlechterung gibt (S c h m i d t e t a l. 2004, S. 303–306; 2005, S. 167). Bereits vor einigen Jahren hatte eine der Autorinnen dieses Beitrags einmal die Frage aufgeworfen, ob es sich statt einer gewaltsamen Auseinandersetzung in Herxheim nicht viel eher um eine „Sinnkrise“ handeln könnte, die große Teil der bandkeramischen Gemeinschaft erfasst habe und welche unter anderem zu einer außergewöhnlichen, keiner Tradition verpflichteten Behandlung von Toten führte (Z e e b - L a n z 2009). Nicht nur in Herxheim werden die Körper von Toten manipuliert, dies ist für die jüngste Bandkeramik in mehreren Fällen bekannt, wenngleich nirgends eine ähnlich große Zahl an Menschen vergleichbar behandelt wurde wie hier. So könnte es sich bei dem Befund von Herxheim um den Spiegel einer fundamentalen gesellschaftlichen Krise der bandkeramischen Kultur handeln, die an dieser Krise dann letztlich auch scheiterte. Danksagung Der Deutschen Forschungsmeinschaft (DFG), welche die wissenschaftliche Erforschung der Siedlung mit Grubenanlage von Herxheim von 2004 bis 2011 finanziell unterstützt und dadurch die Realisierung des Projektes überhaupt erst ermöglicht hat, gebührt der Dank des gesamten Forschungsteams. Ebenso danken wir der Gemeinde Herxheim, die erhebliche finanzielle Mittel für die Durchführung der Forschungsgrabung 2005–2008 aufgebracht hat. Abgekürzt zitierte Literatur: A r b o g a s t 2001 R.-M. A r b o g a s t , Vorläufige Ergebnisse zur Fauna des bandkeramischen Fundplatzes von Herxheim. In: H. Bernhard (Hrsg.), Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2001, Rahden/Westfalen 2003, S. 271–272. A r b o g a s t 2009 R.-M. A r b o g a s t , Les vestiges de faune associés au site et structures d´enceinte du site rubané de Herxheim (Rhénanie-Palatinat, Allemagne). In: A. Zeeb-Lanz (Hrsg.), Krisen – Kulturwandel – Kontinuitäten. Zum Ende der Bandkeramik in Mitteleuropa. Beiträge der internationalen Tagung in Herxheim bei Landau (Pfalz) vom 14.–17.06.2007 (=Internationale Archäologie. Arbeitskreis, Tagung, Symposium, Kongress Bd. 10), Rahden/Westfalen 2009, S. 53–60. A s m u s 1955 G. A s m u s , Die menschlichen Skelettreste aus der Jungfernhöhle. In: O. Kunkel (Hrsg.), Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Eine neolithische Kultstätte auf dem Fränkischen Jura bei Bamberg, München 1955, S. 65–77. 424

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Bildnachweise: Sofern nicht in der Abbildungsunterschrift anders vermerkt, alle Abbildungen: GDKE Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie – Speyer.

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EVA HÄUSSLER

NICHT AUF LÖSS GEBAUT – SPEZIELLE BANDKERAMISCHE SIEDLUNGEN IN DER PFALZ AM BEISPIEL VON KAISERSLAUTERN UND HASSLOCH

1. Einleitung Bis zum Jahr 2009 waren nur zwei linienbandkeramische Siedlungen mit Hausgrundrissen aus der Pfalz bekannt – Kaiserslautern und Haßloch. Beide waren nicht auf dem für die Linienbandkeramik1 typischen Lössboden errichtet worden. Dieser Umstand bedurfte einer Untersuchung der geographischen Lage der gesamten zu dieser Zeit bekannten Siedlungsstellen der Pfalz, mit besonderem Augenmerk auf den gewählten Untergrund, die 2009 von der Autorin in Form einer Magisterarbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg vorgenommen wurde2. Dabei wurden insbesondere die mit Hausbefunden erhaltenen Siedlungen Kaiserslautern und Haßloch untersucht, aber auch die bis dato übrigen durch einzelne Befunde oder Lesefunde bekannten Siedlungsstellen der Pfalz behandelt.

2 . Fo r s c h u n g s g e s c h i c h t e Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stellte sich die Forschungsgeschichte der Linienbandkeramik in der Pfalz als lückenhaft dar. Der Schwerpunkt der pfälzischen Archäologie konzentrierte sich etliche Jahre hauptsächlich auf römische Funde, obwohl bereits vor dem Jahr 1900 einige wenige Fundstellen mit einzelnen Gefäßscherben sowie einige Hockergräber nahe des Bahnhofsbereiches von Kirchheim bekannt waren3. Nach der Jahrhundertwende folgten bereits einige kleinflächige Ausgrabungen an bandkeramischen Siedlungsplätzen, bei denen trotz einiger Funde im Kontext mit Befunden leider keine ausreichende Dokumentation erfolgte. 1915 wurden durch Friedrich Sprater die vorgeschicht1 Im Folgenden auch als Bandkeramik bezeichnet. 2 Eva H ä u s s l e r , Untersuchung linienbandkeramischer Siedlungsplätze in der Pfalz. Die Siedlungen Kaiserslautern „Rittersberg“ und Haßloch „Am Kirchenpfad“; unpublizierte Magisterarbeit; Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Heidelberg 2009. 3 Friedrich S p r a t e r , Rasse und Kultur der jüngeren Steinzeit. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Band 31, 1911, S. 27f.

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lichen Funde der Pfalz als einzelne Fundkomplexe vorgestellt und publiziert. In seiner wenige Jahre darauf erschienenen Neuauflage „Urgeschichte in der Pfalz“ von 1928 wurden bereits 12 bandkeramische Fundstellen genannt4. Im Jahr 1948 konnte Heinz Schermer an der Universität Mainz in seiner Doktorarbeit 24 bandkeramische Fundstellen aufzeigen. Während dabei ganz klar ein Besiedlungsschwerpunkt in der Rheinebene zu erkennen war, schien die Bandkeramik in den höheren Lagen des Pfälzer Waldes nicht vertreten zu sein5. Ab den 1950er Jahren häuften sich durch rege Bautätigkeit und wachsendes Interesse bandkeramische Fundmeldungen. Etliche neue Fundstellen und die von dort stammende Keramik wurden in den „Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz“ vorgestellt. Insbesondere in der Umgebung von Herxheim und Kirchheimbolanden setzten zu dieser Zeit rege Feldbegehungen ein, welche bis heute noch durchgeführt werden und denen ein Großteil der bekannten Siedlungsplätze zu verdanken ist. Im Jahr 1955 konnte in der Innenstadt von Kaiserslautern nahe der Stiftskirche erstmals eine Fundstelle mit Gruben verzeichnet werden, die bandkeramisches Scherbenmaterial enthielt und nicht in der Rheinebene lag 6. Ab 1960 mehrten sich archäologische Ausgrabungen von Seiten des Denkmalamtes in Speyer, bei denen bandkeramische Siedlungsgruben untersucht wurden. Die 1971 publizierte, unter anderem im pfälzischen Raum durchgeführte Untersuchung Burchard Sielmanns beschäftigte sich mit der Einflussnahme von Umweltbedingungen auf die Siedlungsplatzwahl zur Zeit der Bandkeramik im nördlichen Oberrheingebiet. Er konnte dabei auf 25 ausschließlich in der Rheinebene liegende Fundstellen zurückgreifen7. Bis zum Jahr 1990 war die Anzahl bereits auf 168 Fundstellen angestiegen, darunter aber noch kein eindeutig bandkeramischer Hausgrundriss. Als Gründe hierfür sind mehrere Gesichtspunkte anzuführen, wie etwa die seit der bandkeramischen Zeit intensive landwirtschaftliche Nutzung der Rheinpfalz, die starke Erosion in diesem Gebiet und die Lage der meisten Fundstellen in Nähe des Rheines oder seiner Zuflüsse, durch welche An- und Abschwemmungen die Regel sind. Mitverantwortlich für das geringe Auftreten von Hausbefunden in der Pfalz sind zudem die häufig recht kleinen Grabungsflächen, welche gezwungenermaßen durch Rettungsgrabungen und Baumaßnahmen entstehen, auf welchen die großen Häuser nicht gänzlich erfasst, und einzelne Befunde derselben möglicherweise nicht als Hausgrundriss erkannt werden können.

4 Friedrich S p r a t e r , Die Urgeschichte der Pfalz. Zugleich Führer durch die vorgeschichtliche Abteilung des Historischen Museums der Pfalz, Speyer 1928, S. 28f. 5 Heinz S c h e r m e r , Die vorgeschichtliche Besiedlung der Pfalz; unpublizierte Dissertation; Universität Mainz 1949, S. 109f. 6 Horst F e h r , Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung der Kreise Kaiserslautern und Rockenhausen, Speyer 1972, Taf. 32. 7 Burchard S i e l m a n n , Der Einfluss der Umwelt auf die neolithische Besiedlung Südwestdeutschlands unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am nördlichen Oberrhein, Acta Praehistorica et Archaeologica 2, Berlin 1971.

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Erst in drei Grabungskampagnen von 1990 bis 1992, auf dem Rittersberg in der Innenstadt von Kaiserslautern, wurde erstmals eine Siedlung mit Teilen mehrerer bandkeramischer Hausgrundrisse ausgegraben. Dieser Siedlungsplatz stellt bis heute den einzigen, durch Bodenbefunde gesicherten im Pfälzer Wald dar, bei den übrigen handelt es sich um Bereiche mit einzelnen Funden ohne Befundkontext. 1993 wurde im Rahmen einer Luftbildprospektion am östlichen Ortsrand von Haßloch eine durch mehrere Hausgrundrisse deutlich zu erkennende bandkeramische Siedlung entdeckt. Innerhalb der Jahre von 1995 bis 1999 und erneut von 2005 bis 2008 konzentrierten sich die Arbeiten auf den weitaus bedeutendsten Fundplatz der Pfalz im Gewerbegebiet West von Herxheim8. Durch die Entdeckung jener einmaligen Fundstelle rückte die linienbandkeramische Kultur auch in der Pfalz vermehrt ins Interesse der Forschung und Öffentlichkeit. Im Herbst 2002 wurde ein Teil der bereits 1993 entdeckten Siedlung von Haßloch mit Resten von vier eindeutigen Hausgrundrissen ausgegraben9. Ab Winter 2008 wurden vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg weitere Grabungen vorgenommen, die bis heute andauern. In jüngster Zeit folgten weitere Ausgrabung von Siedlungsplätzen mit Gruben und auch Teilen von Hausgrundrissen bei Essingen, Fußgönheim und Kirchheimbolanden.

3. Linienbandkeramische Fundstellen Um die Verteilung der bandkeramischen Fundstellen in der Pfalz zu untersuchen, wurde von der Autorin eine erneute Auflistung und Kartierung aller bekannten Fundstellen vorgenommen, da ab dem Jahr 2000 etliche neue hinzukamen und aus den vorigen Jahren viele Fundstellen noch nicht publiziert worden waren10. Anhand der Durchsicht der Ortsakten und des Depots der Direktion in Speyer, des Depots des Historischen Museums der Pfalz in Speyer und den Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz konnten für das Jahr 2009 insgesamt 228 bandkeramische Fundstellen ermittelt werden, denen über die Jahre verteilt 481 einzelne Fundmeldungen vorliegen. Dabei konnte festgestellt wer-

8 Andrea Z e e b - L a n z/Fabian H a a c k/Rose-Marie A r b o g a s t/Miriam N. H a i d l e/Christian J e u n e s s e/Jörg O r s c h i e d t/Dirk S c h i m m e l p f e n n i g , Außergewöhnliche Deponierungen der Bandkeramik – die Grubenanlage von Herxheim. Vorstellung einer Auswahl von Komplexen mit menschlichen Skelettresten, Keramik und anderen Artefaktgruppen. In: Germania, Band 85.2., Mainz 2007, S. 199–274. 9 Andrea Z e e b - L a n z/Bernd F i s c h e r , Die Linienbandkeramische Siedlung Haßloch, Kreis Bad Dürkheim, In: Archäologie in Rheinland-Pfalz 2002, S. 31–33. 10 H ä u s s l e r (wie Anm. 1) S. 12f.

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den, dass Angaben von Autoren11, welche bandkeramische Fundstellen bereits zuvor aufgelistet oder kartiert hatten, unzureichend waren, da sich diese nur auf bereits zuvor publizierte Fundstellen, nicht aber auf die tatsächlich bekannte Anzahl stützten. Deutlich wird, dass eine große Zahl an Fundstellen vorhanden ist, bei denen es sich aber überwiegend um ausschließlich durch Fundmaterial, nicht durch Befunde charakterisierte Stellen handelt. An 21 Stellen wurden nur einzelne Funde verzierter Keramik, die pro Fundstelle zu minimal drei Gefäßen gehören, aufgelesen. Den größten Anteil bilden 147 Fundstellen, die sich durch ein gemeinsames Vorkommen mehrere Siedlungsfunde, wie minimal drei Gefäßeinheiten, Steingeräte, Hüttenlehm und Tierknochen auszeichnen. Solche Fundansammlungen können trotz fehlender Gruben und Hausgrundrisse als Hinweis für eine Siedlungsstelle gewertet werden. 30 Fundstellen sind sowohl gekennzeichnet durch Siedlungsfunde als auch Gruben. Bei nur drei Fundstellen (Kaiserslautern, Haßloch und Kirchheimbolanden) kommen eindeutige Befunde in Form von Hausgrundrissen hinzu. Durch ein Betrachtung jener Fundstellen, der dazugehörigen Befunde in Bezug auf die Art und Weise der Auffindung und deren Untersuchung wird schnell klar, dass 289, also über die Hälfte der 481 Fundmeldungen, auf Begehungen und Lesefunde zurückzuführen sind, nur 39 wurden in Form einer archäologischen Ausgrabung untersucht. Voraussetzungen, unter denen die großen bandkeramischen Häuser, auch wenn möglicherweise vorhanden, nur schlecht erfasst werden können. Allein durch groß angelegte Ausgrabungen, Befliegungen oder Prospektionen sind Häuser identifizierbar. Werden alle bandkeramischen Fundstellen der Pfalz auf eine Karte projiziert, welche die heutige Verteilung von Gebieten mit Bebauung, landwirtschaftlicher Nutzung und Waldgebieten vergleicht12, so wird ersichtlich, dass bis auf die Weidentalhöhle und eine Stelle bei Lohnweiler alle Fundstellen in Gebieten liegen, welche bis heute intensiv vom Menschen genutzt und verändert werden. In den noch unberührten bewaldeten Regionen der Rheinebene und dem Pfälzer Wald hingegen sind keine Fundstellen bekannt. Die Siedlungsaktivität der Bandkeramik in der Pfalz konzentriert sich demnach eindeutig auf die Rheinebene, wobei festgestellt werden kann, dass fast alle Fundstellen in erheblicher Entfernung des heutigen Rheinverlaufs liegen (Abb. 1). Ob dies zurückzuführen ist auf eine Zerstörung der rheinnahen Siedlungsbefunde oder ob dies eine Meidung dieses überschwemmungsgefährdeten Areals von Seiten der Bandkeramiker widerspiegelt, kann nicht eindeutig geklärt werden, da eine Rekonstruktion des Rheinverlaufs während des Frühneolithikums nur für einige Lokalregionen vorliegt. Eine Häufung von Siedlungsplätzen findet sich in der

11 S c h e r m e r (wie Anm. 5), S. 9; S i e l m a n n (wie Anm. 7); Erwin C z i e s l a , Jäger und Sammler. Die mittlere Steinzeit im Landkreis Pirmasens, Brühl 1992, S. 278–280. 12 H ä u s s l e r (wie Anm. 1) Abb. 76.

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Abb. 1: Linienbandkeramische Fundstellen in der Pfalz (O Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Frankfurt am Main, Genehmigung 01/01).

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nördlichen und südlichen Rheinpfalz, welche auf die in diesen Regionen durchgeführten Feldbegehungen und die rege Bautätigkeit zurückzuführen sind. Die verschwindend geringen Fundstellen des Pfälzer Waldes liegen vornehmlich an den Hängen der Flusstäler. Wie Kaiserslautern, die einzige Siedlungsstelle im Pfälzer Wald, belegt, war dieser nicht komplett besiedlungsfrei, der Schwerpunkt der Verbreitung der Bandkeramik in der Pfalz liegt aber eindeutig mit 222 Fundstellen in der Rheinebene. Exemplarisch sollen im weiteren Verlauf zwei Siedlungsstellen der Pfalz – Kaiserslautern und Haßloch – näher vorgestellt werden.

4. Die bandkeramische Siedlung von Kaiserslautern „Rittersberg“

Lage Kaiserslautern liegt im Pfälzer Wald im nördlichen Bereich der Pfälzer Mulde etwa 236 mm ü. NN in einer Senke, welche sich von Kirchheimbolanden im Nordosten bis Saarbrücken im Südwesten durch den Pfälzer Wald zieht. Das Gestein der Pfälzer Mulde besteht aus Buntsandstein der Triaszeit, dieser Rote Sandstein steht dort in Schichten mit einer Mächtigkeit von bis zu 550 m an. Das sandige Verwitterungsmaterial, welches zur Bildung des Sandsteins führte, wurde durch fluviatile und äolische Prozesse sowie durch das in der Mittleren und Oberen Trias nach Süden vorstoßende Nordmeer abgelagert. Auf diesem Untergrund bildeten sich hauptsächlich Braunerden aus schwach lehmigen Sanden. Kaiserslautern selbst liegt auf Schichten des Unteren Roten Buntsandsteins. Nördlich der Fundstelle „Rittersberg“ erstreckt sich auf einer Anhöhe südlich des dort fließenden Eselsbaches eine größere Lössinsel. Die Kaiserslauterer Senke war ursprünglich recht sumpfig und wurde bereits seit dem Mittelalter zunehmend entwässert. Südöstlich der Stadt entspringt der Fluss Lauter, der heute von Südosten nach Nordwesten unterirdisch unter der Stadt hindurchgeführt wird. Innerhalb des Stadtgebietes befindet sich das Zentrum mit der Innenstadt etwa im Bereich des ursprünglichen Flussbettes der Lauter; nach Norden und Süden hin steigt das Gelände an. Die bandkeramische Siedlung lag auf einem leicht von Norden nach Süden abfallenden Hang – dem Rittersberg – inmitten der Innenstadt. Da der Untergrund aus Sandstein besteht, das Grundgestein nicht stark erodiert ist und nicht wesentlich durch Baumaßnahmen eingeebnet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass Gefälle und Geomorphologie des Geländes in bandkeramischer Zeit ähnlich den heutigen waren. Der tiefste Bereich des Tales, in welchem Kaiserslautern liegt, befindet sich in der heutigen Innenstadt. Noch heute ist hier die Senke des ehemaligen Flussbettes der Lauter zu bemerken, welche südlich 440

des Rittersberges floss. Verschiedene Untersuchungen13 zur Standortwahl bandkeramischer Siedlungen haben gezeigt, dass die Nähe zu einem Fließgewässer ein wesentlicher Standortfaktor war. Die maximale Entfernung zu einem Gewässer beträgt 800 m, meist aber unter 500 m14. Die Eintiefung des Lauterflussbettes könnte bereits zu bandkeramischer Zeit ein Flussbett gewesen sein, da der Fluss gezwungenermaßen durch die tiefsten Geländeteile floss. Der Grundwasserspiegel liegt auch heute noch hoch, so wurden bei den Ausgrabungen in den 1990er Jahren südlich des Rittersberges erhaltene Lederobjekte und Hölzer aus dem Mittelalter im dort stehenden Grundwasser vorgefunden. Forschungsstand Südöstlich des Rittersberges wurden von 1955 bis 1965 bei Ausgrabungen an der Stiftskirche bereits bandkeramische Scherben und Steingeräte gefunden. Auch auf dem Gelände der Barbarossaburg im Nordwesten des Rittersberges kamen bei Grabungen 1964 bandkeramische Funde zum Vorschein. Zum Teil stammen jene Funde aus Gruben, welche in den anstehenden Sandstein eingebracht waren, eine für die Bandkeramik ungewöhnliche Befundsituation15. Bei einer 1971 durchgeführten Probegrabung an der Stiftskirche wurde erneut Keramik gefunden. Anlässlich einer geplanten Neugestaltung der Innenstadt zu Beginn der 1990er Jahre führte das Denkmalamt Speyer Rettungsgrabungen an mehreren Stellen der Innenstadt durch. Auf dem südlichen Rittersberg wurde eine frühmittelalterliche Siedlung entdeckt, nördlich davon eine bandkeramische Siedlung mit teilweise erhaltenen Hausgrundrissen. Bei Kanalarbeiten 1995 konnten östlich jenes Geländes weitere zugehörige Gruben vorgefunden werden. Das gesamte Rittersberggelände ist umschlossen von Straßen. Es erwies sich auf Grund der vielen Störungen durch mittelalterliche und neuzeitliche Fundamente und Mauern als schwierig zu graben. Dennoch konnten die frühmittelalterlichen Grundrisse von Grubenhäusern und kleinen, quadratisch anmutenden Pfostengruben von den eher großen, runden bandkeramischen Pfostengruben 13 Alfred S c h l i z , Der schnurkeramische Kulturkreis und seine Stellung zu den anderen neolithischen Kulturformen in Südwestdeutschland. Zeitschr. Eth. 38, S. 331; Klaus S c h w a r z (Hrsg.), Strena Praehistorica. Festgabe zum 60. Geburtstag von Martin Jahn, Halle 1948, S. 24; S i e l m a n n (wie Anm. 6); Wolfgang L i n k e , Frühestes Bauerntum und geographische Umwelt. Bochumer geographische Arbeiten 28, Paderborn 1976, S. 25–27. 71. 178; Corrie C. B a k e l s , Zum wirtschaftlichen Nutzungsraum einer bandkeramischen Siedlung. In: Siedlungen der Kultur mit Linienbandkeramik in Europa. Internationales Kolloquium Nové Vozokany 1981, Nitra 1982, S. 10f.; Sven O s t r i t z , Zur Siedlungsplatzwahl in der bandkeramischen Kultur. Untersuchungen am Beispiel der bandkeramischen Besiedlung auf dem Territorium der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Abhängigkeit der Standortwahl von der räumlichen Differenzierung der Bodendecke, Ethnogr. – Arch. Zeitschrift 32, 1991, S. 333–335. 337–339. 340; Detlef W. M ü l l e r , Die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung des Gothaer Landes, Alt-Thüringen 17, 1980, S. 19–180; Bettina B i r k e n h a g e n , Studien zum Siedlungswesen der westlichen Bandkeramik, Bonn 2003. 14 S i e l m a n n , (wie Anm. 6) S. 170. 15 S c h e r m e r (wie Anm. 5).

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unterschieden und eine klare Abgrenzung der beiden Siedlungsstellen vorgenommen werden. Auch ist das bandkeramische Fundmaterial auf den nördlichen Rittersberg begrenzt. Zuunterst steht auf dem nördlichen Rittersberg der kompakte Rote Buntsandstein an, der an den meisten Stellen bedeckt war mit verwittertem Sandsteinbruch, dem in den oberen Schichten sandig-lehmiger Boden folgt. Löss wurde im gesamten Grabungsareal nicht gefunden. Pfostenlöcher und Siedlungsgruben Einige bandkeramische Befunde waren nur in die oberen Bodenschichten aus sandigem Lehm eingebracht, etliche Pfostengruben reichten allerdings in die sich darunter befindenden Schichten aus verwittertem und kompaktem Buntsandstein. Bis zu 60 cm reichten die Pfostengruben in den Boden, Abschwemmungen der oberen Bereiche waren die Regel, somit wurden nur die untersten Befundbereiche erfasst. 75 von insgesamt 270 Pfostengruben waren in den Sandstein eingebracht, durchschnittlich noch 23,6 cm tief. Besonders auffällig war, dass es sich dabei fast ausschließlich um Hauspfostengruben handelte. Siedlungsgruben reichten dagegen nur äußerst selten mit ihren untersten Bereichen in den Sandstein. An den Wänden der Gruben und Pfostenlöcher war der Sandstein plattenartig gebrochen. In 23 Pfostengruben konnten Standspuren der Pfosten beobachtet werden, deren Form nahe legt, dass Rundpfosten und keine Bohlen oder Hälblinge eingebracht waren. Siedlungsgruben treten auf dem gesamten Areal selten auf, nur 12 % der vorgefundenen Gruben reichten in den Sandsteinfels. Möglicherweise ist das Fehlen von Gruben durch den harten Sandsteinuntergrund zu erklären oder im Falle der Längsgruben durch das nicht Vorhandensein von Lösslehm auf der Fläche, den man hier nicht entnehmen konnte. Hausgrundrisse Es erwies sich als schwierig, unter den vielen Befunden Hausgrundrisse eindeutig zu erkennen, mitunter durch eine Unterbrechung des Siedlungsareals im mittigen Bereich durch den hier West–Ost verlaufenden tiefen mittelalterlichen Stadtgraben, der sich als Störung durch die Hausgrundrisse zieht. Auf Grund mehrerer eindeutiger Reihen paralleler Nordwest–Südost ausgerichteter Pfostenreihen und eines Nordwestwandgräbchens konnten fünf, leider unvollständige Hausgrundrisse erkannt werden (Abb. 2). Die mittleren Bereiche zweier Hausgrundrisse nördlich des Stadtgrabens zwei Südostteile südlich des Stadtgrabens, die nördlich weiterzulaufen scheinen, und ein Nordwestteil mit Wandgräbchen nördlich des Stadtgrabens, sind auf dem Grabungsplan deutlich erkennbar. Die Häuser standen sehr dicht beieinander und überschneiden sich zum Teil, standen also keinesfalls alle zeitgleich. Deutlich sind bei einem Südostteil eines Hauses, im Südosten des Areals, die kleineren Außenpfosten von 442

Abb. 2: Grabungsplan Kaiserslautern „Rittersberg“.

den größeren und tieferen im Inneren zu unterscheiden. Von keinem der Häuser konnte die Gesamtlänge ermittelt werden, da sie nicht zur Gänze erfasst werden konnten. Das Nordwestwandgräbchen eines Hauses zeigt dunkle, kastenartige, rechteckige Strukturen, welche auf Spaltbohlen hinweisen könnten. Funde Die meisten Funde stammen aus den wenigen Gruben und den sich zwischen den Häusern erstreckenden Verfärbungen, auch viele aus Pfostenlöchern. In den beiden Grabungsjahren wurden 4.396 Funde im Bereich der bandkeramischen Siedlung geborgen. Den größten Anteil stellt hierbei die Keramik. Erstaunlich viele verzierte Scherben stammen aus Pfostengruben der Häuser. An Hand des Keramikmaterials lässt sich allerdings keine eindeutige chronologische Abfolge der Hausgrundrisse ermitteln. Ab der mittleren Bandkeramik treten Bänder gefüllt mit Quer- oder auch senkrechter Schraffur auf. Während die Schraffur hier noch aus relativ „ordentlichen“ Ritzlinien besteht, gibt es in der jüngeren Bandkeramik ausgefüllte Bänder mit sehr dünnen, unregelmäßigen, eng beieinander liegenden und zum Teil krummen parallelen oder gekreuzten Linien, welche auch zum Teil über die das Band begrenzenden Ritzlinien hinausragen. Jener für das Rhein–Main– und Rhein–Mosel– Gebiet typische Verzierungsstil tritt auch gehäuft in der Siedlung auf dem Rittersberg auf (Abb. 3; 1–4). Dies würde für Kontakte Richtung Norden oder Nordwesten sprechen. Als typisch pfälzische Motive können Leisten bezeich443

Abb. 3: Keramik Kaiserslautern „Rittersberg“. M 1:2.

net werden, welche von kleinen Fingernagel-, Halbmond- und Tropfeneinstichen begleitet werden und gitterförmig auf der gesamten Gefäßoberfläche angeordnet sind (von insgesamt 169 Scherben stellt jene Verzierung 30 % dar) (Abb. 3; 5–11) sowie Verzierungen aus randparallelen, recht dicken Ritzlinien (Abb. 3; 12–14). Das Keramikspektrum reicht vom Ende der Phase Flomborn bis zur Mitte der Jüngeren Bandkeramik, Verzierungselemente der Jüngsten Bandkeramik fehlen. 444

98 bearbeitete Steine wurden innerhalb des Siedlungsareals gefunden. Unter dem Material befinden sich keine Produktionsabfälle oder Kerne, dagegen recht viele Trümmerstücke. Viele Geräte zeigen Umarbeitungen und Nutzungsspuren, daher kann von Rohmaterialarmut und schlechter Rohstoffversorgung ausgegangen werden. Bei den meisten Feuersteingeräten handelt es sich um Kreidefeuersteine aus dem belgisch–niederländischen Raum, wohl aus dem Umfeld von Rijkholt. Allerdings scheint der Feuerstein hier aus Schottern aufgesammelt und nicht durch Bergbau gewonnen worden zu sein. Obwohl nahe der Siedlung vorkommend, gibt es auffallend wenige Geräte aus Muschelkalkhornstein16.

5. Die Siedlung von Haßloch „Am Kirchenpfad“

Lage Die Siedlungsstelle von Haßloch liegt im Vergleich zu Kaiserslautern in einem völlig anderen geographischen Raum, im nördlichen Teil der Oberrheinischen Tiefebene, westlich des Rheines. Die Rheinebene ist geprägt durch fluviatile und äolische Ablagerungen aus dem Pleistozän und Holozän. Flächen mit Geröllen und Sanden wechseln sich mit angewehten Lössgebieten ab. Haßloch und das umgebende Gebiet befinden sich auf pleistozänen Geröllen und Sanden aus Hochflutlehm, Terrassensand und Flussschottern 110 m ü. NN, etwa 18 km vom heutigen Rhein entfernt. Im Norden des Ortes erstreckt sich eine größere Lössfläche. Das Gebiet um Haßloch wird von mehreren kleinen Flussläufen durchzogen, welche, vom Pfälzer Wald von Westen kommend, nach Osten in den Rhein entwässern. Forschungsstand Anfang der 1980er Jahre wurde begonnen, mehrere Gebiete der Pfalz durch Luftbilder zu untersuchen. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden 1993 von Rolf Gensheimer Luftbilder in der Umgebung von Haßloch aufgenommen. Auf dem direkt östlich an den Ortsrand anschließenden Acker „Am Kirchenpfad“ zeichneten sich im Getreide die Grundrisse mehrerer Strukturen ab, welche bereits anhand des Luftbildes als bandkeramische Häuser identifiziert werden konnten. Insgesamt 12 bis 14 Baustrukturen waren auf dem Ackergelände und dem östlich anschließenden zu erkennen17.

16 Die Bestimmung der Silexgeräte und deren Herkunft erfolgten durch Dirk Schimmelpfennig, dem an dieser Stelle hierfür mein Dank ausgesprochen werden soll. 17 Helmut B e r n h a r d , Digitale Bildverarbeitung in der archäologischen Denkmalpflege am Beispiel des Amtes Speyer – Möglichkeiten und Grenzen. In: Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, Speyer 2001, S. 54–59.

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Als 1998 auf einem nördlich des Ackers gelegenen Gelände ein Kindergarten gebaut werden sollte, wurden im Bereich des Baugeländes vom Denkmalamt in Speyer vier Suchschnitte angelegt und archäologisch untersucht, in denen allerdings keine bandkeramische Siedlungsaktivität festgestellt werden konnte. Die Siedlung scheint sich also auf das Ackergelände „Am Kirchenpfad“ zu beschränken. Da zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass jenes Ackergelände in absehbarer Zeit zum Bauland werden würde, wurde beschlossen, einen Teil des Geländes in Form einer Ausgrabung zu untersuchen. Dabei wurde im Jahr 2002 der südwestliche Bereich ergraben, der bereits im Luftbild drei sehr deutliche Hausgrundrisse zeigte. Als im Jahr 1998 mit der Grabung begonnen wurde, konnte unter dem Ackerhumus eine 40 cm mächtige Aufschwemmschicht aus lehmigem, braunem Material festgestellt werden, in dem sich keine Befunde abzeichneten. Aus diesem Grund wurde jene Schicht abgebaggert und das erste Planum in der darunter liegenden Schicht aus rötlich-ockerfarbenem Sand-Kiesboden angelegt, in welchem die Hausbefunde hervorragend zu erkennen waren. Erst während der Grabungsarbeiten wurde an Profilen der Grabungsgrenze erkannt, dass die Befunde sich auch durch jene obere Aufschwemmschicht zogen, hier allerdings lediglich durch ein verändertes Trocknungsverhalten vom umgebenden Material zu unterscheiden waren18. Sicherlich gingen durch das Abbaggern jener Schicht Befunde und Funde verloren. Bei Grabungen im nordöstlichen Bereich der Siedlung, welche seit 2008 vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg bis heute durchgeführt werden, wird aus diesem Grund besonderes Augenmerk auf die genaue Dokumentation jener Schicht gelegt. Innerhalb des Grabungsareals der hier vorgestellten Kampagne aus dem Jahre 2002 wurden außer bandkeramischen Befunden auch Gruben aus dem Mittelalter und einige frühbronzezeitliche Gräber der Adlerberg-Gruppe aufgedeckt. Hausgrundrisse Entsprechend dem Luftbild konnten drei Hausgrundrisse mit Nordwestwandgräbchen, Wandpfosten und Jochreihen sowie der fragmentarische Teil eines möglichen vierten Hauses ganz im Süden freigelegt werden, welches größtenteils außerhalb der Grabungsgrenze lag (Abb. 4). Die vier Häuser können nicht zeitgleich gestanden haben, da sie zu nahe beieinander lagen und sich teilweise sogar im Grabungsplan überschneiden. Deutlich sind bei allen Häusern die Wandgräbchen im Nordwesten zu erkennen, in denen keine Bohlen, sondern, definitiv im Profil erkennbar, eng stehende Pfosten eingebracht waren. Auch in Haßloch sind die Innenpfosten der Häuser größer und reichen tiefer in den Boden als die der Außenreihen. Etliche Pfostengruben der Außenreihen haben sich auf Grund geringer Tiefe nicht erhalten. Auch hier wurden keine 18 Z e e b - L a n z / F i s c h e r (wie Anm. 8) S. 31–33.

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Abb. 4: Grabungsplan Haßloch „Am Kirchenpfad“.

Längsgruben beobachtet. Zunächst bestand die Annahme, dass das Fehlen der Längsgruben für eine primäre und hauptsächliche Nutzung der Gruben zur Lehmentnahme spräche, da der dortige kiesige Sandboden nicht geeignet war, um Lehm zu entnehmen. Bei den späteren Grabungen der Universität Heidelberg im Nordosten des Ackers wurde das erste Planum weit höher angelegt, hier haben sich Längsgrubenbefunde entlang eines Hausgrundrisses mit etlichen Funden darin erhalten19. 19 Noch unpublizierte Grabung des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg aus den Jahren 2008 und 2009; durchgeführt von Carsten Casselmann / Roland Prien.

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Funde Die Funde konnten eindeutig größeren Gruben zugeordnet werden, im Gegensatz zu Kaiserslautern wurden aus den Pfostengruben kaum Funde geborgen. Zu den 180 bandkeramischen Funden gehören 103 unverzierte und 22 verzierte Keramikscherben, 50 Tierknochen und -zähne, vier Brocken Hüttenlehm und ein Steingerät. Von einer Datierung der Hausgrundrisse anhand einzelner Scherben muss auch hier abgesehen werden, da die aus Gruben und Grubenkomplexen stammenden Scherben auf Grund der nahe beieinander liegenden, sich überschneidenden Grundrisse der Häuser nicht einzelnen Hausgrundrissen zugeordnet werden können. Betrachtet man das gesamte verzierte Material, so ist der Beginn der Besiedlung bereits im frühen Flomborn zu vermuten, wie ein recht gut erhaltenes Randstück eines Kumpfes mit geschwungener S-Form (Abb. 5; 1) und weitere Scherben mit geschwungenen Bändern aus Ritzlinien, begleitet von Einstichen, zeigen (Abb. 5; 1, 2, 4–6). Hinweise für eine Besiedlung bis in die Mittlere Bandkeramik liefert ein Kumpffragment mit einer Reihe von Einstichen unter dem Rand, unter der sich eine randparallele Ritzlinie befindet, sowie ineinandergeschachtelte Rauten, welche die gesamte Gefäßoberfläche überziehen (Abb. 5; 7). Verzierungen der Jüngeren und Jüngsten Bandkeramik kommen nicht vor.

6. Untersuchung der Lage bandkeramischer Siedlungen in der Pfalz Seit der Erforschung der Umwelt bandkeramischer Siedlungen spielt der Lössboden eine besondere Rolle, da die Bandkeramiker augenscheinlich bevorzugt Standorte wählten, die auf oder nahe von Lössvorkommen lagen. Wurde zu Beginn der Forschung angenommen, dass dies das wichtigste oder gar einzige Kriterium für die Wahl einer Siedlungsstelle war, konnten zunehmend weitere Standortfaktoren ermittelt werden, welche maßgeblich die Lage der Siedlungen zu bestimmen schienen. Eine ausführliche Untersuchung, welche mehrere Kriterien der Standortwahl berücksichtigte, wurde 1971 von Burchard Sielmann vorgelegt. Seine Untersuchungen, sowie folgende weiterer Autoren20, beschäftigten sich zunehmend mit weiteren Umweltfaktoren wie etwa Bodensubstrat, Gewässernähe, Relief, Temperatur, Windrichtung, Niederschlag und Vegetation. Zusammenfassend ist darüber zu sagen, dass in Arealen gesiedelt wurde, welche eine leichte Hangneigung meist Richtung Südosten aufweisen, eine jährliche Niederschlagsmenge von 500 – 800 mm pro Quadratmeter besaßen, nahe an Gewässern und in den wärmsten Regionen lagen.

20 Vgl. Anm. 10.

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Abb. 5: Keramik Haßloch „Am Kirchenpfad. M 1:2. Bei dem Versuch, die gesamten pfälzischen Siedlungsstellen auf die 1971 von Sielmann vorgeschlagenen Standortfaktoren zu untersuchen, können in Bezug auf die Faktoren Temperatur und Niederschlag keine absoluten Daten angegeben werden. Konkrete Werte aus der Zeit der Bandkeramik fehlen, die Verteilung der Werte auf Grund des Reliefs entspricht allerdings den damaligen. Somit ergibt sich eine relative Verteilung der Klimawerte. 449

Von insgesamt 229 bandkeramischen Fundstellen konnte von 206 die exakte Lage bestimmt werden, 182 können durch das Vorhandensein großer Fundansammlungen und Vorhandensein von Befunden als Siedlungsstellen bezeichnet werden. Die meisten Siedlungen, 141 an der Zahl (77%), liegen auf Lössboden, nur 31 (23 %) auf anderen Böden. Viele Fundstellen befinden sich auf sogenannten „Randlagen“, nicht selbst auf Löss liegend, aber nahe von Lössvorkommen. Geht man davon aus, dass bandkeramische Siedlungen nicht immer unmittelbar auf Löss errichtet wurden und der Löss vorrangig wichtig für den Ackerbau war, besteht die Möglichkeit, dass sich die Felder etwas entfernt der Siedlungen befanden. Deutlich zeigt sich auch der Bezug zu weiteren Standortfaktoren. Die bevorzugte Lage der Siedlungen nahe von Fließgewässern ist sowohl bei den Fundstellen der Rheinebene als auch bei der Siedlung von Kaiserslautern nachzuweisen. Bei weitem die meisten Siedlungen der Pfalz liegen in Gebieten der zweiten bis vierten Niederschlagszone, wobei einige wenige Fundstellen in Gebieten der ersten, also trockensten liegen. So befindet sich die Siedlung von Haßloch in der zweiten Niederschlagszone, welcher auch ein Großteil der übrigen Siedlungsstellen zuzuordnen ist. Kaiserslautern, obgleich im regenreicheren Pfälzer Wald gelegen, befindet sich dennoch in der noch günstigen vierten Niederschlagszone, in welcher auch mehrere Siedlungen der Rheinebene liegen. Die Zonen 5 bis 8 werden gemieden, keine einzige Fundstelle liegt darin. Bei der Verteilung der Siedlungsstellen in sieben Temperaturzonen, mit der ersten Zone als wärmster und der siebten als kältester, kann festgestellt werden, dass alle Siedlungen in den drei wärmsten Zonen liegen, wobei 59 % innerhalb der ersten Zone liegen, so auch Haßloch. Die Fundstelle von Kaiserslautern liegt in der etwas kühleren zweiten Zone. Die Lage fast aller Fundstellen in der Rheinebene, oder in dem zum Vergleich mit den gebirgigen Regionen des Pfälzer Waldes flacheren Tal der Lauter, zeigt, dass zwar an Hängen und Flussterrassen gesiedelt wurde, steilere Hanglagen und gebirgige Regionen allerdings nicht besiedelt wurden. Demnach liegen die meisten bandkeramischen Siedlungen der Pfalz auf oder nahe von Lössböden, in niederschlagsarmen Regionen und innerhalb der wärmsten Temperaturzonen. Kaiserslautern und Haßloch befinden sich innerhalb der drei günstigsten Niederschlags- und Temperaturzonen, nahe eines Fließgewässers und Lössvorkommens.

7. Schlusswort Es ist deutlich geworden, dass sich seit der Entdeckung der ersten bandkeramischen Funde in den 1870er Jahren einiges getan hat, insbesondere seit den Untersuchungen an der Fundstelle von Herxheim im Gewerbegebiet West rückte die bandkeramische Kultur in der Pfalz zunehmend ins Interesse der 450

Forschung. Die beiden ersten entdeckten Fundstellen mit Hausgrundrissen – Kaiserslautern und Haßloch – lagen nicht auf dem für die Bandkeramik typischen Lössboden oder direkt randlich am Löss, sondern einige hundert Meter entfernt. Durch die Untersuchung mehrerer Standortfaktoren an jenen beiden Siedlungsstellen und den weiteren bis 2009 bekannten Siedlungsstellen der Pfalz konnte ermittelt werden, dass das Bodensubstrat nicht maßgebliches Kriterium für die Wahl eines Standortes war, sondern eher scheint es, als wurden bevorzugt die wärmsten und niederschlagsärmeren Regionen aufgesucht, wobei sehr trockene Regionen komplett gemieden wurden. Trotz des direkt vor Ort fehlenden Lösslehms und der Tatsache, dass Gruben und Pfostenlöcher schwerer auszuheben waren und teilweise nur in die oberen Erdschichten eingebracht wurden, ließen sich die bandkeramischen Siedler nicht davon abhalten, in vom Bodensubstrat her ungünstigeren Regionen zu siedeln, solange die Klimaverhältnisse warm und trocken waren. Gänzlich ohne Lössboden auskommen mussten die Siedler der beiden vorgestellten Siedlungen jedoch nicht – im Norden befanden sich jeweils, zwischen acht bis 15 Gehminuten entfernt, Lössflächen, die für den Ackerbau genutzt werden konnten.

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SABINE SCHADE-LINDIG

KUNST ODER KULT – FIGÜRLICHE PLASTIKEN AUS BAD NAUHEIM–NIEDER-MÖRLEN UND DER GEOGRAPHISCHEN WETTERAU

Die ersten Ackerbauern besiedelten nicht nur erfolgreich den mitteleuropäischen Raum, sondern kultivierten die Keramikherstellung und vor allem deren Verzierung auf höchstem Niveau. Tausende verschiedene Bandmustertypen können wir heute unterscheiden, die damals ebenso Mode- und Zeitgeist widerspiegelten wie auch regionale Zusammengehörigkeit. Neben der vielfältigen Gebrauchskeramik wie Kochtöpfe, Vorratsgefäße, Flaschen, Butten und kleine und große rundbauchige Kümpfe tritt eine weitere Keramikgruppe hervor, die uns viel über die Kultur verraten kann – die figürlichen Plastiken. Da schon aus der Altsteinzeit viele Frauendarstellungen überliefert sind, die gerne als „Muttergöttinnen“ und „Idole“ bezeichnet wurden, haben sich diese Bezeichnungen der figürlichen Darstellungen, auch für die bandkeramischen, erhalten. In wieweit wir es bei den vielgestaltigen Plastiken wirklich mit „gotthaften Darstellungen“, „Priestern“ oder „Clanfiguren“ zu tun haben, die einst eine Lineage oder Großsippe beschützten, wird anhand archäologischer Funde nicht abschließend zu klären sein. Die Einheitlichkeit der Gesamterscheinung einzelner Typen bei detailgetreuer Wiedergabe spezieller Zierelemente, und das über weite Distanzen hinweg, zeigt trotzt all ihrer Varianz, dass offenbar strenge Schemata zu Grunde lagen. Auch das regional sehr unterschiedlich häufige Vorkommen wiederspricht einer profanen Deutung als Keramikpüppchen – also Kinderspielzeug. Zuletzt soll auch auf die Formenentwicklung im Verlauf der bandkeramischen Kultur eingegangen werden, was natürlich nicht allumfassend geschehen kann, sondern an einigen Beispielen aus der zentralörtlichen Siedlung von Bad Nauheim–Nieder-Mörlen und der umliegenden geographischen Wetterau versucht werden soll. Die Siedlung von Nieder-Mörlen musste im Vorfeld einer Neubebauung notgegraben werden, wozu die h e s s e n A R C H Ä O L O G I E d e s L a n d e s a m t e s f ü r D e n k m a l p f l e g e vier Grabungsjahre zwischen 1997 bis 2001 eingeräumt bekam. Nur knapp 3 ha der ehemals etwa 8 ha umfassenden Siedlung der Bandkeramiker konnten untersucht werden, da eine noch nie beobachtete Befunddichte bzw. Befundüberlagerung angetroffen wurde. Über einen Zeitraum von knapp 400 Jahren, vom Anfang des frühesten Flomborns an (5.300 v. Chr.) bis zur ausgehenden Linearbandkeramik (LBK, 4.900 v. Chr.), wurden auf einem weiten, offenen Hochplateau auf engstem Raum, unsichtbar 453

Abb. 1: Blick auf die Grabung bei Nieder-Mörlen von Westen. Rot markiert die Gesamtgrabungsfläche, vorne im Bild der Kreisgraben mit Hausbefund am westlichen Rand der Siedlung (Foto Schade-Lindig).

begrenzt, immer wieder die Häuser nächster Generationen übereinander gebaut. Dieser Befund ist für diese Kultur ungewöhnlich, da wir von ihr ein weit ausgedehntes, raumgreifendes Siedlungsverhalten kennen, bei dem neue Häuser neben alte gebaut werden und so große Areale für die Weiler und Dörfer erschlossen werden. Aber auch vieles andere sollte sich bei dieser Siedlung als ungewöhnlich erweisen. Einige Fundkategorien traten in ungewöhnlich großen Mengen auf, so beispielsweise Spinnwirtel und Webgewichte1, geschliffene Hämatitfarbsteine2, Miniaturgefäße aus Ton und nicht zuletzt die figürlichen Plastiken3, die hier Thema sind. Über 120 Fundstücke dieser Gattung wurden in dem ergrabenen Siedlungsausschnitt geborgen. Rechnet man dieses Fundaufkommen auf die nicht gegrabenen Restflächen hoch, so könnten in dieser Siedlung über 300 solcher Sonderfunde vorkommen – weit mehr, als an allen bekannten Plätzen bisher beobachtet wurden. Bemerkenswert ist auch der Grundriss eines Sonderbaus, wie er bisher in dieser Form gänzlich unbekannt ist. Am oberen Rand der Siedlung wurde der Grundriss mittels einer großflächigen geophysikalischen Prospektion entdeckt. In Kuppenlage, erhaben auf der höchsten Geländestelle, lag der Hausgrundriss, stark nach Norden orien1 Sabine S c h a d e - L i n d i g / Astrid S c h m i t t, Außergewöhnliche Funde aus der bandkeramischen Siedlung Bad Nauheim–Nieder-Mörlen, „Auf dem Hempler“ (Wetteraukreis): Spinnwirtel und Webgewichte. Germania 81, 2003, 1–24. 2 Julian S p o h n, Die Hämatitfunde aus Nieder-Mörlen und Umgebung , Ungedruckte Magisterarbeit Universität Heidelberg. 3 S c h a d e - L i n d i g , Idole; S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen.

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tiert, wie es typisch für die älteren Gebäude dieser Kultur ist. Erstaunlich ist, dass es sich dabei noch um einen Haustyp der ältesten Bandkeramik handelte, die man an diesem Siedlungsplatz ansonsten nicht vorfindet, auch war dieses Gebäude als einziges nicht mit späteren Häusern überbaut. Anstelle einer Rückwand an seinem schmalen Nordwestende setzt dort ein kleiner Kreisgraben von etwa 31 m Durchmesser4 an (Abb. 1). Das Grabenprofil lässt auf den Einbau einer Palisade schließen, die einen kreisrunden Platz einhegte, der nur eine große Nordwestgrube am Kopfende des Hauses beherbergte. Aus dieser Grube stammt ein in Hockerstellung bestattetes, nur sechs Monate altes Baby, welches Keramik der frühesten Flomborn-Stufe mit in die Grube bekam. Alles in allem ein Befundensemble, welches ungewöhnlicher nicht sein könnte und im Zusammenspiel mit den vielen Sonderfunden Spekulationen über einen Marktplatz, einen Platz für rituelle Handlungen oder Ähnliches hervorruft, wie es zuletzt auch Jens Lüning für andere Orte zu rekonstruieren suchte5. Nun aber zu den figuralen Darstellungen, die sicher ihre Ursprünge im südosteuropäischen Frühneolithikum haben und aus den Traditionen Anatoliens und Vorderasiens erwachsen sind. Sie zeigen, wie bald sich die sich nach Westen ausbreitenden Bandkeramiker von ihrem ostbalkanischen Ursprungsraum zu lösen suchten, wozu sie u.a. eigenständige Motive kreierten. Die älteste LBK zeigt sich noch eng mit den Karpaten verbunden, und es scheint, als habe man diese Traditionen unbedingt mitnehmen oder beibehalten wollen. Leicht nachzuvollziehen ist dies an kleinen Kopffragmenten, die als Vollplastiken gearbeitet, menschliche oder tierische Maskengesichter mit einer gelockten Haartracht aus dicht gesetzten buckeligen Erhebungen zeigen6. Aus der geographischen Wetterau ist ein Stück aus Frankfurt–Niedereschbach7 bekannt, das eine lange, schnabelartige Mundpartie aufweist. Die Locken sind mit Hämatit rot eingefärbt, was sich auch an anderen Fundstücken beobachten lässt (Abb. 28). Ver4 Sabine S c h a d e - L i n d i g / Guntram S c h w i t a l l a, Die Kreispalisadenanlage des bandkeramischen Zentralortes Bad Nauheim–Nieder-Mörlen (Wetteraukreis). Archäologische Perspektiven. Festschrift Jens Lüning. Jörg Eckert u.a. (Hrsg.). Internationale Archäologie, Studia honoria 20 (Rahden 2003) 351–359. 5 Jens L ü n i n g, Krisen – Kulturwandel – Kontinuitäten. Internationale Tagung in Herxheim. In: Andrea Zeeb-Lanz (Hrsg.) Internationale Archäologie Tagung, Kongress 10 (Rahden 2009) 129–191. 6 Jens L ü n i n g, Frisuren, Ihr Hauptschmuck ist ihr Hauptschmuck. In: Jens Lüning (Hrsg.) Die Bandkeramiker. Erste Steinzeitbauern in Deutschland (Rahden 2005) 221–232. 7 Andrea H a m p e l, Bemerkenswerte Fundstücke aus der linienbandkeramischen Siedlung in Frankfurt a. M. – Niedereschbach. Germania 67, 1989, 149–157. D i e s., Ein ältestbandkeramischer Siedlungsplatz bei Frankfurt a. M. Niedereschbach. Beitr. zum Denkmalschutz in Frankfurt am Main 10 (Frankfurt 1992). 8 Abbildungsnachweis Abb. 8: 1 Bicske, Aba, Kom. Fejér (aus J. M a k k a y, A Bicskei Neolithikus Telep és Temetö. Bull. Mus. Roi Saint-Étienne, Sér. D 104: Texte de guide de présentation de lé exposition 1975 (Székesfehérár 1975) Abb. 2). 2 Vel´ký Grob (aus: L ü n i n g Trachten, Abb. 383). 3 Niedereschbach (Anm. 7, Abb. 3). 4 Eilsleben (aus: Dieter K a u f m a n n, Kultische Äußerungen im Frühneolithikum des Elbe-Saale-Gebietes. In: F. Schlette/D. Kaufmann (Hrsg.) Religion und Kult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (Berlin 1989) Abb. 2c). 5 Eitzum (aus: S t e i n m e t z 1998, Abb. 1). 6 Münzenberg-Gambach (aus: S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Prezionsen, Abb. 8).

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Abb. 2: Köpfe mit Lockenfrisur (ohne Maßstab). 1 Bicske, Aba (Ungarn). 2 Vel´ký Grob (Slowakei). 3 Niedereschbach. 4 Eilsleben (Sachsen-Anhalt). 5 Eitzum (Niedersachsen). 6 Münzenberg-Gambach.

gleichbar ist ein Fund aus Eilsleben, Bördekreis9 (Sachsen-Anhalt), der sich aber durch ein menschenartiges Gesicht und auch weibliche Körperformen mit Brüsten unterscheidet. Das Kopffragment aus Eitzum ist letzterem sehr ähnlich und kann ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt werden10. Zwei ganz besondere Stücke aber stammen aus der Slowakei (Vek´ký Grob) und Westungarn (AbaÁngyihegy)11. Beiden gemein ist der schnauzenartige Mund, wie er bereits für Niedereschbach beschrieben wurde und letzteres Stück damit nah an den Ursprungsraum der bandkeramischen Ausbreitung stellt. Die Fundorte der zwei Exemplare mit der Darstellung menschlicher Züge hingegen liegen weiter nördlich und zeigen mit ihren menschlichen Gesichtern bereits eigenständige Formen. Alle Funde stehen im Fundkontext der ältestbandkeramischen Kultur ,und dieser Typ wird in der folgenden Flombornzeit der westlichen LBK nicht mehr hergestellt. Dieses Verteilungsmuster, welches die Ausbreitung der frühen bandkeramischen Kultur nachzeichnet, begründete die These, dass hier so genannte Clanabzeichen einer Sippe die Wege der „Auswanderung“ oder „Ausbreitung“ dokumentieren12. Eine Figurine könnte als „Schutzgottheit/-symbol“ 9 Dieter K a u f m a n n 2002, Kultische Funde und Befunde aus dem linienbandkeramischen Erdwerk von Eilsleben, Bördekreis, westl. von Magdeburg. Prehistoria Alpina 2002, 125–136. 10 Wolf-Dieter S t e i n m e tz, Gottesdarstellung – Ahnenfigur – Kunstobjekt? Ein Idolfragment aus der frühen Jungsteinzeit. Archäologie in Niedersachsen 1, 1998, 25–27. 11 Bei Jens L ü n i n g , Fußnote 5, Abb. 383 u. 386 zusammengefasst abgebildet. Auf diese spezielle Frisurenerscheinung gehen Gallay und Hansen ein. Gretel G a l l a y / Svend H a n s e n , Ein bandkeramischer Statuettenkopf aus Nidderau-Ostheim, Main-Kinzig-Kreis, Hessen. Germania 84, 2006, 250ff. 12 Jörg P e t r a s c h , Religion in der Jungsteinzeit. Glaube, der die Gemeinschaft zusammenhält. In: W. Mengin u. D. Planck (Hrsg.) Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland. (Stuttgart 2002) 143.

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bei der großen Landnahme Richtung Westen mitgeführt und bei speziellen Anlässen rituell zerstört und entsorgt worden sein. An anderem Orten wurde sie neu reproduziert, dabei leicht verändert und der Zyklus begann erneut. Eine solche Weiterentwicklung liegt nun mit einem neuen Fundstück aus Münzenberg-Gambach13 sogar aus der folgenden Flombornzeit vor. Die ehemals vollplastische Figur wird hier als Flachplastik an einem Schalenrand aufsitzend, tradiert. Die Vorderseite des Randzipfels zeigt ein menschliches Gesicht mit kleiner, plastischer Nase, der Hinterkopf wird von den typischen Knubbeln – der Lockendarstellung – geziert. Eine solch extreme Reduktion der Ursprungsgestalt deutet sich schon bei einem Fund aus Ammerbuch-Reusten (Baden-Württemberg14) an, der fälschlicher Weise als Kleingefäß publiziert wurde. So kann man die weite Reise und Entwicklung eines Figurinentypes verfolgen: für die Hersteller zuerst zwingend darzustellende Merkmale wie die Lockenfrisur und die tiergestaltige Schnauze verwandeln sich in der westlichen LBK in ein menschliches Gesicht und werden zuletzt reduziert zu Zierelementen an Gefäßwänden. An den wenigen Fundexemplaren, die aber so vollständig wie möglich zusammengestellt wurden, zeigt sich, wie extrem selten diese Fundgattung ist und wie stark die einzelnen Exemplare jeweils zerstückelt worden sind. Alle plastischen Darstellungen weisen Fragmentierungen auf, die weit über ihre Sollbruchstellen hinausreichen. Nach der Zerstörung gelangten sie anschließend in keinem Fall in vollständiger Fragmentzahl in eine Grube. Selbst bei großflächigen Grabungen lassen sich die Idolfragmente nicht mehr wieder zu vollständigen Stücken zusammensetzen, sodass man von einer gezielten Zerstörung und einer Verbringung der Bruchstücke an verschiedene Orte sprechen darf. Diese Verfahrensweise nimmt zur Flombornzeit hin noch stärker zu. Nachdem die erste Ausbreitungswelle der ältesten LBK, von den Karpaten ausgehend, den Westen erschlossen hatte, bildete sich hier nun eine eigenständige bandkeramische Tradition heraus. Die Häuserkonstruktion und ihre Ausrichtung wurden abgewandelt, die Tonverarbeitung, Gefäßformen und das Aufbringen der Muster verändert, und auch vor den Tonplastiken machte diese Entwicklung nicht halt. Der „Lockenkopf“ verschwindet, wogegen anscheinend männliche Figurinen mit hutartigen Kopfbedeckungen zunehmen (Abb. 3). Der Hinterkopf wird dabei stark übertrieben herausgearbeitet, und in seltenen Fällen ist ein solcher Hut auch auf seiner Oberseite verziert gewesen, so zeigen es zumindest Fragmente aus Nieder-Mörlen und Sulzbach i. T15. Zusätzlich kann 13 S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, 95f, 112f. 14 Ein Tonfragment einer „Hohlfigur“ oder eines nicht näher rekonstruierbaren Gefäßes aus Ammerbuch-Reusten, Kr. Tübingen weist noch dicht gesetzte Buckelchen auf, die eine Lockenfrisur wiedergeben könnten. Aufgrund der Krümmung der Scherbe ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass ein Gefäß vorliegt (Jens L ü n i n g / Ulrich K l o o s u.a., Westliche Nachbarn der bandkeramischen Kultur: La Hoguette und Limburg. Germania 67, 1989, Abb. 18,8.) 15 S c h a d e - L i n d i g, Idole, Abb. 4,4; S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, 114f. Abb. 9. Abbildungsnachweis Abb. 3: 1 Nieder-Mörlen. 2 Nerkewitz (aus: K a u f m a n n, Kultgegenstände, Abb. 2d). 3 Nieder-Mörlen (S c h a d e - L i n d i g, Idole, Abb. 4,2). 4 Bojanovice Tschech. Repbl. (aus: Olaf H ö c k m a n n, Menschendarstellungen in der bandkeramischen

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über der Stirnpartie eine kleine Wölbung die Kopfbedeckung kennzeichnen, wie es deutlich an kleinen walzenförmig gearbeiteten vollplastischen Figürchen zu sehen ist. Die Kopfplatte mit einem stilisierten Gesicht, kleinen Stummelärmchen oder einer Brustdarstellung wie in NiederMörlen (Abb. 4), umschreibt eine Gruppe, zu der auch Stücke aus Nidderau-Windecken (Hessen) und Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) zählen16. Ihnen allen ist auch ein Verzierungsmuster gemein, nämlich seitlich den Körper umspielende Spiralmuster. Weitere Körperfragmente lassen dann immer mehr den „Figurentyp der Flombornzeit“ erkennen, der soAbb. 3: Figurinen mit hutartigem Kopf- wohl in kleinen walzenförmigen Vollschmuck (ohne Maßstab). 1 Nie- plastiken vorkommt, aber auch in der-Mörlen. 2 Nerkewitz (Thüringen). 3 Nieder-Mörlen . 4 Bojano- großen hohl- oder vollplastisch gearvice (Tschechische Republik). beiteten Standfiguren sowie in sol5 und 8 Boskovštejn (Tsche- chen, die eine Sitzhaltung einnehmen. chische Republik). 6 Nieder-Mör- Alle zeigen ähnliche Muster rund um len. 7 Sulzbach im Taunus. den Rumpf, entlang der Beine und vor allem seitlich auf der Hüfte. Häufig sind Geschlechtsmerkmale angedeutet, wobei eine Trennung zwischen rein männlichen oder weiblichen Attributen wenig ersichtlich ist. Wir beginnen mit einem Fragment aus Nieder-Mörlen, dass von einer massiv gearbeiteten, großen Figur stammt, die mindestens eine Stehhöhe von über 30 cm hatte. Umso unscheinbarer ist das bis zur Bauchhälfte erhaltene Reststück einer Körperseite. Im Bereich der seitlichen Hüfte ist eine zu einem Viertel geöffnete Spirale eingeritzt, die aus einem „Bauchgürtelband“ herauswächst, um dann in die Beinverzierung überzugehen (Abb. 5). Diese kleine, weiter nicht interpretierbare Verzierung ist unverkennbar und nur auf figuralen Plastiken und

Kultur. Jahrb. des Römisch Germanischen Zentralmuseums Mainz 1065 (1967) Abb. 1,6). 5 und 8 Boskovštejn Tschech. Repbl. (aus: H ö c k m a n n ebd., Abb. 1,8.1). 6 Nieder-Mörlen (S c h a d e - L i n d i g, Idole, Abb. 4,6). 7 Sulzbach i.T. (aus: S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, Abb. 9). 16 Abb. 4 Walzenförmige Figuren. 1 Nieder-Mörlen (aus: S c h a d e - L i n d i g, Idole, Abb. 4,1). 2 Windecken (Britta R a m m i n g e r, Zur bandkeramischen Besiedlung im unteren Niddertal. Studien zur Siedlungsarchäologie III. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 94, 2003, Taf. 37B). 3 Quedlinburg (H ö c k m a n n, Anm. 15, Abb. 1.3). 4 Wetzleinsdorf (aus: H a n s e n, Menschenbilder, Abb. 501, 4). 4 Sulzfeld (E n g e l h a r d t, Götteridole, Abb. 11).

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Abb. 4: Walzenförmige Figuren (ohne Maßstab). 1 Nieder-Mörlen. 2 Nidderau-Windecken. 3 Quedlinburg (Sachsen-Anhalt). 4 Wetzleinsdorf (Österreich). 5 Sulzfeld (Bayern).

Abb. 5: Stehende Figuren mit Hüftspirale (ohne Maßstab). 1 Nerkewitz (Thüringen aus: L ü n i n g Trachten Bild 464). 2 Nieder-Mörlen. 3 Ballstädt (Thüringen, nach H a n s e n, MENSCHENBILDER umgezeichnet und ergänzt, Taf. 499,1). 4 Schweinfurth (Bayern, aus: H a n s e n ebd., Taf. 507,4).

dort ausschließlich auf den Hüften verwendet worden. Diese Einzigartigkeit erlaubt es, eine Vielzahl von stark fragmentierten Keramikstücken überhaupt erst derartigen Figurinen zuzuweisen. Im Falle von Nieder-Mörlen ließ sich die stehende Figur nach einer besser erhaltenen Fundparallele aus Nerkewitz (Thüringen) ergänzen. Mit weiteren Fundstücken aus der Siedlung Nieder-Mörlen, die zwar nicht anpassten, aber in ihrer Größe nahe lagen, wurde eine Figur mit Hut von etwa 30 cm Höhe rekonstruiert, die bei vollständiger Beinrekonstruktion 459

mit Standfüßen sogar noch länger werden würde. Eine solche Beinverlängerung über den Rumpf“stumpf“ hinaus, schlug Jens Lüning im Fall von Nerkewitz vor. Die Ergänzung von einzeln gefertigten Beinen mit Füßen liegt nahe, da gerade solche Fundstücke relativ häufig vorkommen. In Nieder-Mörlen fanden sich allein 13 Beinstücke mit menschlich anmutenden Abb. 6: Sitzende Figuren mit Gefäßen (ohne Maßstab, Füßen. Abbildungsnachweis Fußnote 19). 1 NiederEine andere Variante Florstadt. 2 Erfurt (Thüringen). 3 Kökénydomp (Ungarn). 4–5 Nieder-Mörlen. 6 Maiersch dieses Figurentyps wird (Österreich). 7 Kronberg. 8 Untereisenheim auf einem Hocker oder (Bayern). 9 Hohenaltheim (Bayern). 10 Zilgen- Thron in sitzender Posidorf (Bayern). tion dargestellt. Die Muster, die diese Körper verzieren, entsprechen auch denen der stehenden Figuren – so finden sich auch die Hüftverzierungen wieder. Nach einem besonders gut erhaltenen Fund aus Erfurt können sowohl für Nieder-Mörlen (Abb. 6) als auch für das nahe gelegene Nieder-Florstadt derartige Figuren rekonstruiert werden. Auch die Spiralverzierung am Rücken, wie sie bei den kleinen walzenförmigen Figuren zu beobachten ist, wiederholt sich bei „sitzend“ gestalteten Hohlfiguren. Spannend ist die Frage nach der Funktion dieser „Sitzgötter“, da es sich immer um Hohlplastiken handelt und man Flüssigkeit in sie hineingießen kann. Dabei können die Körper anstelle eines Kopfes in ein offenes Gefäß übergehen, oder die Figuren halten kleine Töpfchen oder Kessel vor ihrem Körper, die auf den Knien aufliegen können. Aber hiermit nicht genug, denn kleine Austrittslöcher von den Kesselchen aus in den Körper der Figur machen es wahrscheinlich, dass es „Anwendungen gab“, bei denen Flüssigkeit in das kleine Gefäß gegossen und von der Figur „aufgenommen“ werden konnte. Viele Miniaturgefäßfunde zeigen an Bruchstellen Ansätze von Fingern oder Armen oder waren mit dem Körper von Sitzfiguren verbunden. Damit lassen sich auch aus diesen speziellen Miniaturgefäßen ganze Figuren im Sinne von „Kesselgöttinnen“ rekonstruieren. Auch wenn wir uns bislang nur anhand von stark ergänzten Fragmenten ein Bild von den Figurinen der westlichen Bandkeramik machen können, heben sich die Formen und Verzierungen doch deutlich von jenen im Karpatenbecken

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ab. Gefäßbruchstücke mit plastisch herausgearbeiteten Händen, die den Topf halten, sind besonders beeindruckend und lassen keinen Zweifel an der Rekonstruktion einer menschlichen Sitzfigur (Abb. 617). In Nieder-Mörlen konnten bei den mehr als 120 Miniaturgefäßfragmenten wenigsten acht Stücke erkannt werden, die Durchbohrungen der Wand mit Bruchansätzen zu einer weiteren Keramik aufweisen. Manche Bruchkanten tragen Spuren von applizierten Händen oder zeigen Übergänge zu einer weiteren Keramik oder Figur. Damit lassen sich allein für diesen Ort mit den Kesselchen und hohlplastischen Rumpfstücken mehr als elf solcher Figuren postulieren.

Interpretationen der menschlichen figürlichen Darstellungen Körperschmuck, Bemalung – Kleidung? Wenn menschliche Figuren getöpfert und ihnen Gegenstände aus dem uns bekannten Fundrepertoire in die Hand gegeben wurden, wer wurde dann dargestellt? Kann man aus den geschmückten Körpern Rückschlüsse auf reale Körperverzierungen, Kleidung oder spezielle Trachten schließen? Heiner Behrends18 stellte in den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts seine Rekonstruktion einer Ganzkörperbemalung nach dem Vorbild einer Figuralplastik vor. Jens L ü n i n g setzte dem knapp zehn Jahre später die Auslegung als gewebte und geschneiderte Kleidungsstücke mit aufgenähten bunten Stoffmustern entgegen19 (Abb. 7). Eine kontroverse Diskussion zu diesem Thema ist nun entbrannt, bei der die Grundlage jedoch ausschließlich die verzierten Figürchen sowie wenige, reich ausgestattete Grabbefunde bilden. In groben Zügen zusammengefasst, sind folgende Hinweise zum Erscheinungsbild der Bandkeramiker überliefert. Aus Gräbern stammt SpondylusSchmuck sowohl als Armreif, am Oberarm sitzend, als Gürtelschnalle im vorderen Beckenbereich und als röhrenförmige Perlen um Hals und Kopf liegend20. 17 Sitzende Figuren mit Gefäßen. 1 Nieder-Florstadt (aus: Michael G o t t w a l d, Christoph R ö d e r, Sabine S c h a d e - L i n d i g, Eine seltenes Fragment einer jungsteinzeitlichen Göttin. Hessen Archäologie, 2002 (2003) Abb.20). 2 Erfurt (aus: E n g e l h a r d Götteridole, Abb. 2). 3 Kökénydomp (Ungarn, aus: H a n s e n, Menschenbilder, Taf. 233,1). 4–5 Nieder-Mörlen (aus: S c h a d e - L i n d i g , Idole, Abb. 20,100–101). 6 Maiersch (aus: H a n s e n, Menschenbilder, Taf. 501,2). 7 Kronberg (aus S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, Abb. 10). 8 Untereisenheim (aus: Ludwig W a m s e r, Eine gefäßhaltende Idolfigur der frühen Linearbandkeramik aus Mainfranken. Jahresber. Bayer. Bodendenkmalpflege 21, 1980, Abb. 6,5–8). 9 Hohenaltheim (aus: Heiner S c h w a r z b e r g, Zur Abbildung von Gesicht und Menschlichem Körper auf der Gefäßkeramik des 6. und 5. Jahrtausends v. Chr. in Süddeutschland. Vorträge des 28. Niederbayer. Archäologentages (2010) 137–164, Abb. 3,3. 10 Zilgendorf (W a m s e r ebd. Abb. 2,8). 18 Rolf-Heiner B e h r e n d s, La nécropole rubanée des Schwetzingen (Kr. Rhine-Neckar, BadenWurtemberg). In: Christian Jeunesse, Le neolithique danubien et ses marges entre Rhin et Seine. Cahiers de l´Association pour la Promotion de la Recherche Archéologique en Alsace (Strasbourg 1997) 17–29, Fig. 9. 19 L ü n i n g,Trachten. 20 Beispielhafte Auswahl und zusammenfassende Betrachtung bei N i e s z e r y, Gräberfelder 173– 195; Vladimír P o d b o r s k ý, Spondylusschmuck in den Gräbern des Volkes mit Linearband-

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Abb. 7: Beinverzierungen der Flombornphase (ohne Maßstab). 1 Nieder-Mörlen. 2 Butzbach-Griedel. 3 Butzbach-Nieder-Weisel. 4 Wiesbaden-Erbenheim. 5 Randersacker-Lindelbach (Bayern). 6 Schweinfurt (Bayern). 7 FrankfurtNiederursel. 8 Zilgendorf (Bayern). 9 Schwanfeld (Bayern). 10 Messelhausen (Baden-Württemberg). 11 Rüsselsheim-Bauschheim. (alle S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 5). 12 Rekonstruktion von Körperbemalung nach B e h r e n d s (Anm.17). 13 L ü n i n g Trachten Bild 466.

Die Verzierungen im Bereich des Haupthaares können auch aus Schneckenhäusern bestehen und bei Frauengräbern mit einem verzierten Haarsteckkamm ergänzt werden. Schnecken und Muscheln können aber auch über den gesamten Körper verteilt liegen21. Bei letzterem, wie aber auch bei dem Kopfschmuck, ist davon auszugehen, dass die Zierelemente auf einem Untergrund fixiert waren, der angezogen werden konnte. So postulierte Norbert N i e s z e r y bereits 1995 ein Haarnetz, dass mit Schneckengehäusen dicht benäht war22. Die am Körper liegenden Zierelemente in Form von Schnecken oder Perlen, mit Ausnahme von Anhängern und Gürteln, befestigte man dagegen an der Kleidung. Ob diese aus Leder oder gewebten Stoffen bestand, kann ohne Befund nicht geklärt werden.

keramik in Vedrovice. V. P o d b o r s k ý a k o l. (Hrsg.), Zwei Gräberfelder des neolithischen Volkes mit Linearbandkeramik in Vedrovice in Mähren. Ústav archeologie a muzeologie Filozofická fakulta Mosary-Kovy univerzity (Brno 2002) 235–255. 21 Vladimír O n d r u š, (wie Anm. 18) 112, Abb. 117a. 22 N i e s z e r y, Gräberfelder, 191. Rekonstruktion bei L ü n i n g, Trachten, 57.

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Bei den anthropomorphen Plastiken lassen sich nun anhand von Musterverläufen Deutungen zu möglichen Kleidungsstücken, Schmuck oder anderweitigen Körperverzierungen ableiten. Eng an die Mustergestaltung auf Gebrauchskeramik angelehnt, kommen auf den anthropomorphen und zoomorphen Plastiken typische Linienbänder in Spiral- und Winkelform vor. Darüber hinaus gibt es aber auch Muster, die nahezu ausschließlich auf Tonplastiken zu finden sind. Außerdem sind ganz offenbar auch reale Dinge wiedergegeben, die mitnichten nur Verzierungen darstellen, wobei gilt, dass ausschließlich Figuren der ausgehenden Bandkeramik solche Kennzeichen tragen. Beispielsweise findet man den Oberarm umlaufende, doppelte Ritzlinien bei Stücken aus Immenhausen und aus Nieder-Mörlen, die aller Wahrscheinlichkeit nach den aus Gräbern bekannten Spondylusring, der am Oberarm getragen wurde, wiedergeben23. Knochen- oder Geweihknebel, die wir ebenfalls aus Gräbern kennen und die sicher ein Gewand verschlossen24, sind vermutlich bei der Figur aus Florstadt-NiederMockstadt dargestellt25. Obwohl wir diese beiden Fundtypen häufig in Gräbern finden, ist deren Wiedergabe an Tonplastiken ausschließlich bei jüngerbandkeramischen Figuren zu beobachten. Noch auffälliger ist das Fehlen der regelmäßig im Grabspektrum repräsentierten Gürtelschließen aus Spondylus, deren Wiedergabe auf den Tonfiguren mühelos hätte erfolgen können. Knebel und Gürtel, die Gewänder gehalten haben, sind somit in Gräbern häufig überliefert, auf Tonplastiken der Flombornzeit fehlen sie hingegen. Die Figürchen tragen dagegen flächig den Köper einnehmende Muster, die nur selten ein „Kleidungsoberteil“ oder „-unterteil“ erkennen lassen. Häufig sind Bandmuster, die rund um die Taille verlaufen und als Gürtel interpretiert werden können. Hierzu gibt es Varianten von ein oder zwei Begrenzungslinien, die von paarig gesetzten oder einfachen Einstichen begleitet werden. Bei einigen dieser Bänder hängen zudem kurze Ritzlinien hinab, die auch durch zwei weitere kurze Striche gekreuzt sein können. Dazwischen finden sich waagerecht angeordnete Strichbündel oder andere Varianten von Kurzstrichen (Abb. 8). Dieses Grundmunster lässt sich derzeit bei zehn Idolen in unterschiedlichen Varianten feststellen. Dabei kommen die Gürtel auch einlinig vor, sind aber immer mit „Anhängern“ versehen26. Dennoch fehlt bei allen eine Wiedergabe oder Andeutung der großen Gürtelschließen, wie sie aus den Gräbern überliefert sind. 23 Zwei jüngerbandkeramische Figuren mit doppelten Linien am Oberarm: Jürgen K n e i p p, Der bandkeramische Zentralplatz von Immenhausen, Ldkr. Kassel. Ergebnisse der Ausgrabung 1999. In: Festschrift Jens Lüning, Archäologische Perspektiven. Internationale Archäologie 20, 2003, 370, Abb. 10. S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, Abb. 11,2. 24 Dieter K a u f m a n n, Gewandknebel der frühen Bandkeramik. Varia Neolithica III Hrsg. Hans-Jürgen Beier u. Rolf Einicke (Langenwiesbach 2004). 45–55. Wiesbaden-Erbenheim, Fundber. Hessen 41, 2001 (2006) Abb. 22. 25 Frank L o r s c h e i d er / Christopher P a re, „Eine Totenstadt in der Wetterau“ – Ausgrabung 2003 in Florstadt-Nieder-Mockstadt. HessenArchäologie 2003 (2004) 53–55. Jüngerbandkeramische Figurine. 26 Nieder-Florstadt (Anm. 17) und Erfurt (siehe Ende der Fußnote) mit einfachem Band. – Schade-Lindig, Idole, Abb. 4,1: einfaches Band, ebd. Abb. 20,100: damals noch unbestimmbares Stück, wird wohl den hinteren Sitzbereich einer Figur mit „Gürtel“ darstellen, links ist die

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Abb. 8:

Beispiele von „Gürteln“ (ohne Maßstab). 1 Idealisierte Figur mit Gürtel- und Beinverzierung (S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 4). 2 NiederMörlen. 3 Erfurt (Thüringen). 4 Nieder-Florstadt. 5 Ballstädt (Thüringen). 6 Mannheim-Vogelstang (Baden-Württemberg). 7 Maiersch. 8 Leonberg (Baden-Württemberg, alle S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e ebd. Abb. 1). 9 Stilisierte Gürtelmuster mit Anhängern (S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e ebd., Abb. 2).

Regelhaft erscheint auf den Figuren mit „Gürteln“ das bogenförmig, fast kreisrund verlaufende Muster seitlich auf den Oberschenkeln. Eine nur schwer für den Kleidungsbereich interpretierbare Erscheinung. Erstaunlich ist, dass trotz dieser Vollkörperzier bei solchen Figuren auch einige Ritzlinien das weibliche Schamdreieck und mittig sitzend, den Schlitz der Schamlippen27 oder bei Rundung der typischen Hüftverzierung bandkeramischer Idolfiguren zu erkennen. – Sabine L i n d i g, Das Früh- und Mittelneolithikum im Neckarmündungsgebiet. Universitätsforsch. Prähist. Archäologie 85, 2002 Taf. 119, 545, Mannheim-Elkersberg, damals als Schöpfer vermutlich falsch rekonstruiert. Es liegt wohl eher ein zur Hälfte erhaltener Rumpf vor, mit dem Ansatz eines vollplastischen Beines. Entsprechend könnte auch das Stück aus Zilgendorf zu einer Figur rekonstruiert werden (ebd. S. 45, Abb. 25). – Das Stück aus Leonberg (Baden-Württemberg) ist falsch orientiert, muss 90° im Uhrzeigersinn gedreht werden. Es zeigt den Rücken einer Figur, oben der Gürtel, rechts und links die typischen runden Hüftverzierungen, in: Erwin K e e f e r, Steinzeit. Katalog Württembergisches Landesmuseum Stuttgart (Stuttgart 1993) 97d. – Ballstädt, H a n s e n, Menschenbilder, Taf. 499,1, hier scheint der Gürtel sehr breit, aber mit den typisch paarig angeordneten Stichen und einem dreizipfligen Anhänger an der Hüftseite versehen; das zweite Stück Taf. 499,2 deutet das Muster im unteren Bereich nur an, wird verm. aber auch zu dieser Gruppe gehören. – In Nerkewitz, K a u f m a n n, Kultgegenstände, Abb. 2d, liegt nur eine einfache Linie mit einfachen Einstichen vor, die aber aufgrund des Verlaufes auch einen Gürtel andeuten könnte, ebenso bei der sitzenden Figur von Erfurt, E n g e l h a r dt, Götteridole, Abb. 2, wo aber die sogenannten Anhänger dargestellt zu sein scheinen. 27 M. G o t t w a l d u. a. (wie Anm. 17), H a n s e n, Menschenbilder, Taf. 506, 14 und zusammenfassend aufgelistet Geschlechtsmerkmale S. 296 f.

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Abb. 9: Figuren mit Darstellung von Genitalien und oder Schurz (ohne Maßstab). 1 Draßburg. 2 Nieder-Florstadt. 3 Nerkewitz (Thüringen). 4 Ballstädt (Thüringen). 5 Herxheim (Rheinland-Pfalz). 6 Wehlitz (Sachsen). 7 Nieder-Mörlen. 8 Schweinfurt (Bayern). 9 Cifer. 10 Hohenaltheim (Bayern).

männlichen Idolen, die Genitalien28 wiedergeben (Abb.9). Auch Darstellungen von Brüsten, der Brustwarzen oder der Bauchnabel sind nicht selten29. Das alles kann natürlich vielerlei Gründe haben, spricht aber zunächst einmal dafür, dass hier kein den Körper bedeckendes Kleidungsstück abgebildet wurde. Wir wissen weder, welche Personengruppe als Tonfigur wiedergegeben, welche Art 28 L ü n i n g, Trachten, 53. Abbildungsnachweis Abb. 9: 1 Draßburg (aus: H a n s e n, Menschenbilder, Taf. 503,6). 2 Nieder-Florstadt (siehe Abb. 6,1). 3 Nerkewitz (siehe Abb. 5,1). 4 Ballstädt (siehe Abb. 5,3). 5 Herxheim (aus: H a n s e n ebd., Taf. 506,14). 6 Wehlitz (aus : H a n s e n ebd. Taf. 499,6). 7 Nieder-Mörlen. 8 Schweinfurt (siehe Abb. 5,4). 9 Cifer (aus: H a n s e n ebd, Taf. 505, 1). 10 Hohenaltheim (aus: Bayer. Vorgeschichtsblätter BH 18, 2004/2005, Abb. 130,7). 29 Überblicksartig und nicht vollständig bei H a n s e n, Menschenbilder, Brunn Taf. 498, 1, Wehlitz Taf. 499,6, Eilsleben Taf. 501, 9, Kraków-Nowa Huta Taf. 503,1, Draßburg Taf. 503, 6, Nieder-Mörlen Taf. 503, 9, Bicske Taf. 504, 2, Erfurt Taf. 507, 2.

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von „Tracht“ abgebildet wurde und noch wie viel Realismus sich hinter den tönernen Darstellungen verbirgt. Es ist aber anzunehmen, dass es sich bei den Trachtmerkmalen der Tonfiguren nur in wenigen Fällen um alltägliche Kleidung oder die in den Gräbern überlieferte Ausstattung handelt. Zwischen der Ausstaffierung der Toten und der Darstellungsweise an Tonplastiken zeichnen sich klare Unterschiede ab. GegenAbb. 10: Ausgewählte Gräber und Idolfragmente der stände, die in Gräbern jüngsten LBK (ohne Maßstab). 1 und 7 Aiterho- überliefert sind, aber anfen (Bayern). 2 Rockenberg. 3 Haubenrekon- und ausziehbar sind, wie struktion und 9–11 Gürtelrekonstruktionen vom Schmuck- und SchließHessentag in Heppenheim 2003. 4 WiesbadenErbenheim. 5 Nieder-Mockstadt. 6 Vedrovice gegenstände, treten an (Tschechische Republik). 8 Erkelenz-Kückho- Tonplastiken selten auf. ven (Nordrhein-Westfahlen). 12 Nieder-Mörlen. In Gräbern sind Gürtelschnallen, die eine Unterbekleidung hielten, dagegen häufig. Knochenknebel, die Kleidung verschließen, sind ebenso in Gräbern regelmäßig, bei Figurinen nur einmalig im jüngerbandkeramischen Kontext aufgetreten. Perlenbesetzte Schmuckhauben kommen gelegentlich im Grabkontext vor, sind als Trachtmerkmal aber nur bei einem einzigen Idolfund zu beobachten – einem Lesefund aus Rockenberg, der aufgrund seiner vielen Einstichmuster in die späte LBK datiert wird (Abb. 10)30. Ebenso verhält es sich beim Schneckenschmuck am Körper, der in wenigen Gräbern belegt, aber wieder nur bei jüngstbandkeramischen Idolfrag-

30 Olaf H ö c k m a n n, Ein ungewöhnlicher Statuettenkopf aus Rockenberg, Wetteraukreis. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 32, 1985, 92–107. Abbildungsnachweis Abb. 10: 1 und 7 Aiterhofen (aus: N i e s z e r y, Gräberfelder, Abb. 100 und 97). 2 Rockenberg (Höckmann ebd.). 3 Haubenrekonstruktion und 9–11 Gürtelrekonstruktionen vom Hessentag in Heppenheim 2003 (Foto Schade-Lindig). 4 Wiesbaden-Erbenheim (siehe Anm. 24). 5 Nieder-Mockstadt (Anm. 25). 6 Vedrovice (Anm. 20, Abb. 117a). 8 Kückhofen (aus: Jutta L e h m a n n, Der bandkeramische Siedlungsplatz von Erkelenz-Kückhofen. Rheinische Ausgrabungen 54, 2004, Taf. LII-LIII). 12 Nieder-Mörlen (aus: S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, Abb. 11,2).

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menten aufgegriffen wurde31. Der Spondylusarmreif dagegen, dessen Öffnung bei den Originalfunden recht eng erscheint, konnte vermutlich nicht mehr abgelegt werden, da er in jungen Jahren angezogen wurde und einwuchs. Daher findet er sich in allen Quellen – sowohl in Gräbern, als auch an den Armen der Plastiken dargestellt. Jedoch muss auch hier angemerkt werden, dass auch er bisher bei flombornzeitlichen Figuren noch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Bis auf einige Halsketten scheint bei der Gestaltung der flombornzeitlichen Figuren auf die aus Gräbern überlieferten Attribute des täglichen Lebens, verzichtet worden zu sein. Zumindest decken sich Grabausstattungen nicht mit denen der Idolverzierungen, was zeigt, dass die Figuren speziellen, rituellen Momenten vorbehaltene Trachten wiedergeben. Dabei scheint man nur schwerlich Begrenzungslinien von Kleidungsstücken oder Gegenständen zu erkennen. Umlaufende oder V-förmige Linien um den Hals gelten für L ü n i n g (2006) als Halsausschnitt von Oberbekleidung oder als Verzierungsgrenzen, die zu jeweils besonderen Mustern auf den Kleidungsstücken gehören. Dazu ist jedoch anzumerken, dass am Anfang der Textilherstellung, aber auch der Lederverarbeitung, völlig andere Prioritäten in der Stoffverarbeitung galten, als wir sie heute kennen. Gewebe erhalten auf natürliche Weise Webkanten, stellt man sie auf einem einfachen Webstuhl her. Diese Kanten festigen das Gewebe, und der Stoff kann nicht ausfransen oder sich auftrennen. Zerteilt man die Stoffbahnen, müssen die zerschnittenen Stücke „versäubert“, d. h. möglichst alle Fäden einzeln fixiert und mehrfach festgenäht werden, damit sich das Gewebe nicht auflöst. Dieser erhebliche Aufwand war allen Webern bewusst und hatte zur Folge, dass bis weit in die Germanische Zeit hinein Gewebe nur selten zerteilt wurden und die Kleidungsschnitte den gewebten Stoffbahnen folgten. Tuniken oder Hosenfunden aus dem Moor liegen rechteckige Stoffbahnen zugrunde, die, direkt vom Webstuhl kommend, lediglich aneinander genäht, aber in keinem Fall zerschnitten wurden. Dass es sich bei Lederhäuten anders verhält, ist erst einmal richtig, dennoch werden auch hier so wenig Einschnitte wie möglich vorgenommen, da auch Leder an Einschnitten leicht weiter einreißt. Insofern stellt sich die Frage, ob es sich bei den runden und V-förmigen Linien entlang des Halses und im Brustbereich der Figuren nicht eher um Darstellungen von Halsketten handelt. Diese aus Gräbern bekannten Muschel-, Schnecken- und Marmorketten können aufgrund der dichten Perlenfolge nahezu rund um den Hals anliegen oder aber, durch einen einzelnen Anhänger beschwert, mehr oder weniger V-förmig hängen32. Wäre dem so, fehlen in der Tat Hinweise auf Kleidungsdarstellungen am Körper der Tonfiguren, und zugleich erhärtet sich der Eindruck von Nacktheit, die mittels Bemalung verziert wurde.

31 Grabbefund wie Anm. 21, Idolfragment aus dem Brunnen von Kückhofen (Anm. 30) Taf. LIILIII. 32 L ü n i n g, Trachten, 53 Abb. Die Figur aus Eilsleben könnte mit mehrteiligem Anhänger rekonstruiert werden.

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Die Gürteldarstellungen an Idolen können bedeuten, dass sie einen Schurz hielten, der vorne dreieckig zulaufend bis zu den Knien herabhing. Ein solches Dreieckstuch ließe sich bei den stehenden Figuren von Nerkewitz33, zwei mal in Nieder-Mörlen34, Ballstädt35, Brunn36 und Schweinfurth37 ableiten (Abb. 9). Dabei erscheint es nicht eindeutig, ob es sich bei diesen Dreiecken nicht auch um Darstellungen des Schamdreieckes handelt. Auch die Spiralen seitlich der Hüften lassen sich mittels Bemalung wesentlich einfacher erzeugen als in ein Kleidungsstück einarbeiten. So liegt die Interpretation weitgehender Nacktheit, mit Gürtel und eventuell einem Schurz, näher als die von Kleidungsdarstellungen. Ähnlich wurde auch in der ständigen Ausstellung des Frühneolithikums in Halle rekonstruiert38. In die dortigen Lebensbilder sind sowohl Informationen aus Grabfunden, wie Halsketten, Spondylusarmringe und -gürtelschließen, als auch von Figuralplastiken, wie ein Schnur- oder Gewebegürtel, der einen Fellschurz hält, eingeflossen. Das Fell, das die Scham bedeckt, ist vermutlich frei rekonstruiert und scheint keinem Vorbild zu folgen. Die Rumpfverzierung an den Tonfiguren wurde als Körperbemalung wiedergegeben. Es blieb dabei jedoch unbeachtet, welche Trachtmerkmale aus Grabfunden zur alltäglichen Kleidung gehörten und welche Personengruppe wiederum als Tonplastiken dargestellt worden sind. Beide Quellen sollten jedoch nicht vermischt werden, da, wie oben erläutert, unterschiedliche Lebenssituationen oder Personenkreise dargestellt worden sind. Insgesamt betrachtet, scheint der Gedanke an Körperbemalung, der hier nach zehn Jahren wieder aufgegriffen wurde, aus den oben angeführten Gründen nahe liegend. Gerade die auf den Hüften aufgetragenen Spiralmuster, die typischen Tannenzweigmuster auf dem Rücken und die oft mehrlinigen großformatigen Spiral-, Mäander- und Winkelmuster auf den Körpern erscheinen gemalt oder vielleicht sogar in die Haut eingebracht (tätowiert) nachvollziehbarer als auf Gewebe oder Leder genäht und gestickt. Dass Hämatitfarbe zumindest zeitweise den Körper zierte oder schützte, zeigen die roten Puderspuren in Körpergräbern hinlänglich. Betrachtet man die umfassende Zusammenstellung der Osteuropäischen Idole von H a n s e n (2007), kommt man unweigerlich zum Schluss, dass auch dort – ungeachtet regionaler oder zeitlicher Differenzen – der überwiegende Teil der dargestellten Körper wohl unbekleidete Personen mit Vollkörperbemalung wiedergeben, die vielleicht noch einen Gürtel mit und ohne Schurz vor der Scham trugen. Die am ganzen Körper verzierten Figuren erinnern mit ihren Spiralen und den vielen parallel verlaufenden Linien an nasse Fingerbemalung, bei der der gesamte Körper mit Farbe versehen und die Muster mit den Fingern in die noch feuchte Farbe hineingezo33 34 35 36 37 38

H a n s e n, Menschenbilder, 499,4. S c h a d e - L i n d i g, Idole, Abb. 6,21; 19, 99; 28. H a n s e n, Menschenbilder, 499,1. Ebd., 498,2. Ebd., 506, 4. Harald M e l l e r (Hrsg.), Lebenswandel. Früh- und Mittelneolithikum. Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Band 3 (Halle 2008) Abb. S. 209.

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gen werden. Eine noch heute vielfach zu beobachtende Ziertechnik39, die auch bei den Rekonstruktionen in der Ausstellung Halle angewendet wurde40. Natürlich unterscheidet sich der Aufbau der bandkeramischen Muster sehr von dem der Figuren aus dem Balkan, aber es scheint aufgrund der oben angeführten Fundstücke aus Gräbern sowie der wiederholt auftretenden Wiedergabe der Genitalien, des Bauchnabels, von Brustwarzen und sogar von Analöffnungen sehr widersprüchlich, sollten diese Einblicke trotz Kleidung gewährt worden sein. In wieweit die Realität Vorbild für die Gestaltung der Tonfiguren war und wie viel Symbolcharakter hinter den Darstellungen steckt, muss sowieso offen bleiben.

Ti e r d a r s t e l l u n g e n i n d e r B a n d k e r a m i k Leider sind die Fragmente von Tierdarstellungen häufig unspektakulär, weil es sich meist nur um kleine Bruchstücke handelt, so dass sich ein kleines Stummelfüßchen, eine unscheinbare Wandscherbe einer Hohlplastik oder ein abgebrochenes Endstück eines Hornes kaum noch erkennen lassen. Ohne die ergänzenden Informationen von besser erhaltenen Vergleichsfunden wären die tönernen Darstellungen aus dem Tierreich oft gar nicht zu deuten. Die bandkeramischen Bauern haben ihre domestizierten Nutztiere in vielgestaltiger und meist stilisierter Weise in Ton wiedergegeben. Aber auch diesen Figuren ist eine totale Zerstörung und Verbringung der Fragmente in unterschiedliche Siedlungen nicht erspart geblieben. Am häufigsten überdauerten die vollplastischen Beinfragmente, die man gut anhand der gespreizten Zehen der Gruppe der Paarhufer wie Rind, Schaf/Ziege oder Schwein zuordnen kann. Aus Nieder-Mörlen sind besonders schöne Exemplare auch mit Gelenkdarstellungen anzuführen (Abb. 11). Woran diese teils großen Beine angesetzt waren, ob an Kümpfen, die lediglich ein appliziertes Tiergesicht trugen (Bsp. Hienheim Abb. 13 (Ldkr. Kelheim)41), oder aber an vollplastisch gestalteten Hohlplastiken, bleibt offen, man kann für jede Variante Beispiele benennen. Weiter sind Kleintierdarstellungen anzuführen, die vollplastisch aus Ton geformt wurden, häufig unverziert und eher unbeholfen geformt sind und wenig eindeutig eine Spezies wiedergeben (Abb. 13). Die imposantesten Nutztiere waren wohl die domestizierten Auerochsen mit ihren ausladenden Hörnern. Umso mehr erstaunt die stilisierte Wiedergabe, die

39 In allen Kontinenten lassen sich Körperbemalungen nachweisen. Von flächig aufgetragenem Hämatit-Fettgemisch zum Schutz der Haut über alltäglichen Köperschmuck bis zu aufwändigen Zierden zu Fest- und Initiationsriten, gemalt, tatauriert oder grob mit den Fingern in den noch feuchten flächigen Farbauftrag eingezogen. Dem Variantenreichtum sind hier keine Grenzen gesetzt, so dass auf Einzelzitate verzichtet wird. 40 Harald M e l l e r (wie Anm. 38) Umschlag 1 – Titelbild. 41 E n g e l h a r d t, Götteridole, Abb. 6.

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Abb. 11: Beine mit Andeutung von Gelenken und geschlitzten Hufen (ohne Maßstab). 1–2,4,6 Nieder-Mörlen (S c h a d e - L i n d i g , Idole, Abb. 15, 65.66, Abb. 16, 75.70. 5 Kronberg, 7 Wiesbaden-Igstadt (5 und 7 S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 12, 4.2. 5 Butzbach (J o c k e n h ö v e l , Vorgeschichte, Abb. 66,8).

die Tierkopffunde aus Nieder-Mörlen und Kilianstädten zeigen (Abb. 12). Wie Karikaturen wirken die flachgesichtig und breitschnauzig gestalteten Köpfe mit ihren kleinen Mündern, Augen und Nüstern; die abgebrochenen Hornansätze lassen aber an der Deutung als Rinderdarstellungen keinen Zweifel. Interessant ist, dass es bisher nur diese zwei großen Köpfe von vermutlich hohlplastischen Figuren gibt, alle weiteren Darstellungen beschränken sich auf kleinformatige und noch stärker stilisierte Gefäßappliken. In Westungarn ist ein stolzes vollplastisches Rind mit einer Körpergestaltung gefunden worden, das mit massiv walzenförmigem Körper und kleinen Stummelfüßen42 vergleichbarer Machart wie die „Schweinefiguren“ aus der Wetterau ist (Abb. 12,13). Der ungarische Rinderkopf zeigt aber keinerlei Ähnlichkeit mit den oben angeführten hessischen Exemplaren. Seine Gestaltung ist naturalistischer und weist eine klassische, nach vorn zulaufende Schnauze auf, die im vordersten Bereich anstelle

42 Esther B á n f f y, Eine Tierfigur aus der Entstehungsphase der Bandkeramik. In: Prehistoric Studies in memoriam Ida Bugnár-Idllsjd. Anataeus 25 (2002).

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Abb. 12: Ausgewählte Rinderplastiken (ohne Maßstab). 1 Nieder-Mörlen (S c h a d e L i n d i g , Idole, Abb. 15,64). 2 Kilianstädten (Ramminger, wie Anm. 16 Taf. 38). 3 Schöffengrund-Niederwetz (S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 14). 4 Hienheim (Engelhardt wie Anm. 41). 5 Pityerdomp (Ungarn, B a n f f ý Anm. 42).

der Nüstern eine durchlochte Nasenpartie hat. Man assoziiert hier sofort den uns bekannten Zügelführungsring, den man auch aus einem organischen Material hätte eingesetzt haben können. Diese Rekonstruktion als Führungshilfe des Ochsen ist jedoch zwiespältig, da man auch bei den Ziegenköpfen regelhaft solche durchlochten Schnauzen findet (siehe unten). Der Aufbau des Körpers vom Rind aus Pityerdomp wurde also in der westlichen LBK weitergeführt. Dies lässt sich besonders eindrücklich bei den gut erhaltenen Schweinekörpern aus Butzbach–Nieder-Weisel und aus Bad Nauheim–Nieder-Mörlen nachvollziehen43 (Abb. 13). Nur fünf km voneinander entfernt liegen die Fundstellen, und die Fragmente lassen sogar annehmen, dass im Fall von Nieder-Weisel ein Weibchen und im Fall von Nieder-Mörlen ein männliches Tier mit leicht aus dem Körper hervor gewölbten Hoden dargestellt worden sind. Hinzu kommen die prägnanten Schnauzendarstellungen, die sich mit

43 S c h a d e - L i n dig, Idole, Abb. 10,31. Cornelius A n k e l / Walther M e i e r - A r e n d t, Eine linearbandkeramische Tierplastik aus Nieder-Weisel, Kr. Friedberg. Germania 43, 1965, 1–8.

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Abb. 13: Ausgewählte Schweineplastiken (ohne Maßstab). 1 Butzbach-Nieder-Weisel (A n k e l / M e y e r - A r e n d t , Anm. 41). und 2.4.6.8 Nieder-Mörlen (S c h a d e - L i n d i g , Idole, Abb. 10, 31; 9, 33.34; 13,51). 3 Glauberg und 5 Butzbach-Nieder-Weisel (S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 13,1.3). 7 Bad Homburg-Nieder-Erlenbach (Zeichnung Schade-Lindig).

ihren Nasenöffnungen unverkennbar als Schweinerüssel erkennen lassen. In der umliegenden Landschaft der Wetterau fanden sich bemerkenswert viele Teile solcher Schweinefiguren (Abb. 12). Mindestens fünf Fragmente geschlossener Großplastiken stammen aus Nieder-Mörlen, hinzu kommen das Schwein von Nieder-Weisel, vom Glauberg sowie kleine vollplastische Vertreter und Appliken, die allerdings stark stilisiert sind. Sie stammen ebenfalls aus NiederMörlen sowie aus Nieder-Erlenbach, Nieder-Weisel und Großseelheim44. Interessanter Weise korrelieren die Höhe des Fundaufkommens von Schlachtabfällen in dieser Region mit der hohen Anzahl von keramischen Darstellungen, so dass man für beide Fundkategorien von einer „schweinereichen“ Wetterau im Vergleich mit anderen Siedlungslandschaften sprechen kann. Die Deutung einiger solcher hohlplastischen Fragmente ist aber nur möglich, da bei ihnen aufgrund der ungeglätteten und roh belassenen Scherbeninnenseite ein geschlossener Hohlkörper vermutet werden darf, wie er bei den oben beschriebenen Tie44 Schade-Lindig, Idole, Abb. 13, 51; S c h a d e - L i n d i g / S c h a d e, Preziosen, Abb. 13, Abb. 20.

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Abb. 14: Ausgewählte Ziegenprotome (ohne Maßstab). 1 Rekonstruktion des Fundes 86 aus Nieder-Mörlen nach dem Gefäß aus Bicske (Ungarn, Anm. 8). 3–5.6.8.9 Nieder-Mörlen (Schade-Lindig, Idole (Abb. 18). 7. Bad Camberg ( S c h a d e L i n d i g / S c h a d e , Preziosen, Abb. 3,2).

ren zu beobachten ist. Besonders gut lässt sich das beim weitgehend erhaltenen Schweinekörper aus Nieder-Mörlen erkennen, dessen Gesäß mit einer dicken Tonplombe verschlossen wurde. Eine weitere Tiergruppe bilden die Ziegen, die anhand ihrer parallel stehenden und nach hinten gebogenen Hörner gut zu erkennen sind (Abb. 14). Es ist nicht klar, warum diese Tiere am häufigsten als Griffappliken an Gefäßen, aber selten als vollplastische Figuren gefunden werden. Die langen, steil nach oben und nach hinten ragenden Hörner ließen sich wohl am ehesten entlang einer Gefäßwand realisieren. Der Kopf wurde an der Wand angebracht, und die Hörner konnten dann dem Gefäßverlauf folgen und sogar im Bereich der Spitzen wieder zurückgebogen an der Wand fixiert und damit stabilisiert werden. Rekonstruiert man Funde aus Nieder-Mörlen nach einem Gefäß aus Bicske45, Komitat Fejíer (Westungarn), lassen sich mindestens fünf ähnliche Ziegenkopfgefäße postulieren. Interessant sind in Nieder-Mörlen die durchgängig durchloch45 K a u f m a n n 1989, Anm. 8.

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ten Schnauzen, die schon beim westungarischen Rind aus Pityerdomp bemerkt wurden. Unabhängig davon, wie reduziert die Merkmale von Schnauze, Augen und Hörnern wiedergegeben wurden, der Schnauzenzipfel ist in annähernd jedem Fall aus Nieder-Mörlen gelocht. Nun erweitert ein Neufund aus Bad Camberg, im Goldenen Grund, westlich der Wetterau gelegen, das „Ziegenspektrum“ um eine realistische, plastische Ziegendarstellung, die wohl am ehesten zu einer vollplastischen Figur gehörte. Der lange, massive Hals lässt dies zumindest erwarten. Es bleibt jedoch der Phantasie überlassen, ob der Körper geschlossen oder als halboffenes Gefäß gestaltet war.

Interpretationen der zoomorphen Plastiken der Bandkeramik Bei den gut erhaltenen Tierdarstellungen fällt auf, dass, wie bei den menschlichen Darstellungen auch, Geschlechtsmerkmale dargestellt und damit die reproduktiven weiblichen Tiere eindeutig von den starken männlichen Tieren differenziert wurden. So zeigt es sich bei dem wohl weiblichen Schwein von Nieder-Weisel und dem männlichen aus Nieder-Mörlen, bei dem die innen liegenden Hodenwölbungen nahezu naturgetreu dargestellt sind. Weiter scheint es an diesem Fundplatz auch wilde Vertreter dieser Rasse gegeben zu haben, so sind zwei Köpfe mit den typisch für Wildschweine ausgeprägten Rüsseln gefunden worden. Aufgrund der starken Fragmentierung der Tontiere gingen viele derartiger Merkmale verloren, jedoch ist generell die Parallele zu den menschlichen Figurinen klar zu erkennen. Details zu Geschlecht oder Bemuskelung wurden akribisch wiedergegeben, und bei aller Individualität der Tierplastiken zeichnen sich auch hier gewisse Uniformitäten ab und lassen ein gewisses Spektrum an Darstellungsweisen erkennen. Am Ende eines jeden „Gebrauches“ dieser Tiere stand dann das Zerschlagen und Verteilen der einzelnen Fragmente auf den allgemeinen Abfall. Im Falle der Tierdarstellungen regte K a u f m a n n bereits 198546 die Wiedergabe einer rituellen Schlachtung als Zerstörungsgrund an. Ob sich die Tierdarstellungen insofern von den menschlichen Figuren abheben und ob es hierfür vielleicht neue Hinweise aus dem Nieder-Mörlener Fundmaterial gibt, soll im Folgenden betrachtet werden. Das Schwein zeichnet sich durch eine hohe Reproduktionsrate aus und ist ein wichtiger Fleischlieferant. Gleichzeitig gilt es aber aufgrund seines Fressverhaltens auch als Nahrungskonkurrent gegenüber dem Menschen. Die Haltung von Schweinen mit wesentlich höheren Nahrungsansprüchen als Schafe oder Ziegen ist damit auch ein Zeichen des Wohlstands. In der landwirtschaftlichen Gunstlandschaft Wetterau konnten sich die Bandkeramiker, nach den zahlreichen Schlachtabfällen, die aus Siedlungsgrabungen gewonnen wurden, zu 46 K a u f m a n n 1989, Anm. 8.

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schließen, wohl viele Schweine „leisten“. Dabei kam einigen ein derartiger Stellenwert zu, dass von ihnen ein tönernes Abbild, mit schmückenden Mustern verziert, geschaffen wurde. Mit Linienmustern geschmückt war auch die Rinderdarstellung aus dem westungarischen Pityerdomp. Beide Tiergattungen konnten demnach die aus der Gebrauchskeramik bekannten Bandmuster tragen. Auch hier lässt sich aber die Frage stellen, ob mit den Zierlinien nicht auch Gegenständliches in Form bunter Decken47 oder Schmuckbänder dargestellt wurde, die beispielsweise zu speziellen Anlässen, wie vor der Schlachtung, aufgelegt wurden. Die Kopfverzierung an einem Schweinekopf aus Nieder-Mörlen erinnert an Stirnschmuck, wie man ihn heute noch beim Almabtrieb bei Rindern findet. Vielleicht stellen die Muster auch eine Fellbemalung dar. Jedoch bieten sich hierfür weder die borstige Decke der Schweine noch das lockige Fell der Rinder besonders an. Ob Festschmuck oder Kennzeichnung von Besitzverhältnissen zur Gemeinschaftshaltung großen Herden48, eine Farbpaste bleibt immer wenig witterungsbeständig und nur für kurzfristige Markierungen sinnvoll. Außerdem könnte der Schmuck auch nur symbolisch auf die Plastiken beschränkt gewesen sein und eine rituelle Schutzfunktion inne gehabt haben. Da auch diese Plastiken eindeutig zerschlagen wurden, ist die Annahme einer rituellen Schlachtungszeremonie nicht abwegig. Zur Bekräftigung dieser Hypothese fällt bei einem Nieder-Mörlener Schweinekörper (Abb. 1349) ein Muster auf, das an einer nicht einsehbaren Stelle am Bauch zwischen den Beinen sorgfältig ausgeführt worden ist. Es handelt sich um eine Linie, die beidseitig von ovalen Einstichen gesäumt wird und vom After bis unter den Hals reicht. Stellt man das Tier auf seine Beine, so ist sie nicht zu sehen und scheint, anders als die Muster auf den Flanken, kaum der Zierde gedient zu haben. Ihr Verlauf von After zu Hals gilt noch heute als Eröffnungsschnitt beim Entweiden von Schlachttieren. Der zunächst ungewöhnlich lang erscheinende Schnitt ermöglicht ein gutes Arbeiten im Bauchraum und vereinfacht außerdem das anschließende Ablösen der Schwarte. Vielleicht kann man hier Ansätze erkennen, die eine Interpretation als Votivschlachtung und Zerlegung zumindest einiger Tontiere untermauern. Eine ähnlich ungewöhnliche Verzierung findet sich auch bei

47 Im Falle der Verzierung des Schweines von Nieder-Weisel möchte man fast eine Art Decke in die rechteckige Umfassung des Spiralmusters auf den Flanken interpretieren. Vergleichbares, was eine solche These stützen könnte, ist jedoch noch nicht gefunden worden. 48 Die Nutzlandbedarfsrechnungen für die Mörlener Bucht von C. Schade machten deutlich, dass dort ohne eine transhumante Tierhaltung der Flächenbedarf an Waldweide deutlich überschritten wurde. Die Vermutung, dass hierzu der nahe gelegene Taunus aufgesucht wurde, konnte anhand von Multi-Isotopenanalysen von bandkeramischen Bestattungen und Schlachtvieh aus Nieder-Mörlen untermauert werden. Viele der jungen Bandkeramiker und der Rinder zeigten die charakteristischen Strontium-Werte des nahen Taunus. Christoph S c h a d e, Die Besiedlungsgeschichte der Bandkeramik in der Mörlener Bucht / Wetterau. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 105, Bonn 2004, 235ff. Olaf N e h l i c h / Sabine S c h a d e L i n d ig, Migration und Mobilität in der Bandkeramik – Multiisotopenanalyse an Menschen und Tieren aus Bad Nauheim-Nieder-Mörlen (Hessen), Fundberichte aus Hessen 50, 2010 (2012) 69–91. 49 S c h a d e - L i n d ig, Idole Abb. 10,31.

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der Rinderfigur aus Pityerdomp50. Eine lange Linie verläuft entlang des gesamten Rückens von der Schnauze bis zwischen die Hinterbeine, ohne dabei besonders dekorativ zu wirken. Diese Verzierung oder deren als Schnittlinie interpretierter Verlauf entspricht allerdings nicht der üblichen Körperöffnung beim Häuten. Zum Zerlegen des Tieres ist ein solcher Rückenschnitt jedoch sehr wohl möglich. Beim Rinderkopf aus Nieder-Mörlen zieren jeweils drei Linien, die ebenfalls von kleinen Strichen begleitet werden, die Seiten des Halses. Zunächst erscheint dies wie ein Ziermuster, findet sich aber bei einem Neufund eines jungbandkeramischen Rinderkopfes aus Schöffengrund-Niederwetz in ganz ähnlicher Weise wieder. Bei diesem mit Abstand realistischstem Rinderkopf aus Hessen, liegt unter der Kehle halbseitig verlaufend, ein dreiliniges Band, das von Strichpaaren begleitet wird (Abb. 12, 3). Diese Verzierung war für den Betrachter beim stehenden Tier nicht sichtbar, und ein dekoratives, symmetrisches Muster kann hier auch nicht erkannt werden. Die Lage der Linien, seitlich unter dem Hals, dort wo die Hauptschlagader verläuft, könnte im weitesten Sinne wieder ein Hinweis auf den Tötungs- und Schlachtungsvorgang sein. Dabei erinnern die Linien mit ihren rechts und links liegenden kurzen Strichen bei all den Tieren am ehesten an eine Naht. Dennoch fällt auf, dass diese Linienvariante bisher noch nicht als Schmucklinie auf den sichtbaren Körperpartien von Tontieren als Muster Verwendung fand.

Die Figurale Plastik der „Nachflombornzeit“ und der Zerfall normierter Darstellungen Da plastische Darstellungen allgemein zur mittleren LBK hin stark abnehmen und wir es gegen Ende der Bandkeramik nur noch mit einzelnen Funden zu tun haben, können anthropomorphe und zoomorphe Darstellung hier zusammengefasst werden. Obwohl die an Idolen überreiche Siedlung von NiederMörlen bis zum Ende der bandkeramischen Kultur besiedelt war, zeugen nur ganz wenige kleine Bruchstücke von dem einstigen künstlerischen Reichtum. Ein kleines Ärmchen mit Linienzier, welche Spondylus-Armringe vermuten lässt, und eine kleine Knubbe, die ein wenig an eine tiergestaltige Darstellung erinnert, bilden den Gesamtfundus am Ende. Ebenso fundarm ist die umliegende Wetterau, von wo nur noch wenige Einzelfunde zu nennen sind. Diese weisen nur noch wenige künstlerische Verbindungen zu den altbekannten Figurinen auf. So fällt der berühmte Altfund aus Rockenberg auf, der ein Männchen mit einem sorgsam stichverzierten Kopf oder einer Frisur zeigt. Weitere Einstiche zieren abwärts den Körper. Dieser Zierstiel ist typisch für die jüngere LBK, jedoch keinesfalls zwingend für diese Zeit. Die den Kopf umschließenden Stich50 B á n f f y (wie Anm. 42).

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reihen erinnern vielmehr an Gegenstände, die in Gräbern beobachtet werden: um den Oberkopf liegende Perlenketten sowie kleine Schneckenanhäufungen am Schädel lassen Zierhauben oder Netze mit derartigem Besatz vermuten (Abb. 13). Stichverzierung findet man auch bei der jüngerbandkeramischen walzenfömigen Figur aus Florstadt, die eine Reihe kleiner Knebel vor dem Rumpf aufweist. Auch dies ist aus Gräbern wohlbekannt (Abb. 13), hingegen bei flombornzeitlichen Figuren nicht zu finden. Am Oberrhein im Braunkohlegebiet, wo eine bandkeramische Siedlung nach der anderen nahezu flächig ausgegraben wird, ist stets jedes noch so kleine Idolfragment eine wahre Sensation. Die Seltenheit dieser Fundkategorie macht es umso interessanter, dass ein noch relativ großes Fragment einer völlig zerstörten jungbandkeramischen „SitzGöttin“ in den Brunnen von Erkelenz-Kückhoven geworfen worden ist51. Ihre Stichverzierung um die Hüfte herum ist einzigartig und die Andeutung des weiblichen Geschlechtes zwischen den Beinansätzen ebenfalls ungewöhnlich. Hier schließt direkt eine ebenfalls sehr gut erhaltener „Sitzgott“ aus dem Norden Hessens aus Immenhausen an, der eine Art Gefäß in den Armen hält. Dieses geht aber direkt als große Öffnung in den Körper über und erweckt eher den Eindruck eines geöffneten Brustkorbes52. Die Stich- und Linienverzierungen bei diesem Stück sind mehr als eigen und haben keine Entsprechungen in der Flombornzeit. Hierzu zählen auch die Doppellinien am Oberarm, die man so sehr bei den älteren Figuren vermisst, scheinen diese doch die typischen Armringe darzustellen, die in Gräbern so häufig sind. Auch bei den Tierdarstellungen setzt sich der „Realismus“ durch, so wurde aus der Verfüllung eines jungbandkeramischen Erdwerkes bei Schöffengrund der tönerne Kopf eines sehr naturalistisch dargestellten Rindes geborgen. Obwohl die Hornspitzen abgebrochen sind, ist am Fragment die volle Pracht eines naturgetreuen Ochsen zu erkennen: ein großer Stirnhöcker erhebt sich über der Schnauze und läuft beidseitig in die nach vorne gebogenen Hörner, die mit einer Verdickung am Ansatz noch realistischer erscheinen. Das offen stehende, große Maul scheint zu rufen. Selbst die hinter den Hörnern liegenden Ohren sind absolut detailgetreu wieder gegeben und der Ansatz zum Rücken des Tieres lässt auf eine hoch aufgewölbte Schulter schließen. Diese Tierdarstellung hat keine Ähnlichkeit mit den flombornzeitlichen Rinderköpfen, die im oberen Teil beschrieben wurden.

51 K ü c k h o f e n, Anm. 30. 52 Jürgen K n e i p p, Der Bandkeramische Zentralplatz von Immenhausen. Archäologische Perspektiven. Festschrift J. Lüning. J. E c k ert u.a. (Hrsg.) Internationale Archäologie Studia honoria 20 (Rahden 2003) 359–373.

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Schlussbetrachtung Die Anzahl der anthropomorphen und zoomorphen Figuren in der bandkeramischen Ökomene ist stark begrenzt. Sie scheinen regional in sehr unterschiedlichen Mengen gefertigt worden zu sein. Generell scheint nach Westen hin, je weiter vom Ursprungsraum der Karpaten entfernt, die Anzahl der figuralen Plastiken abzunehmen. Die anfängliche Bindung an die „Heimat“ wird mit der Flombornzeit locker bis gebrochen und eine eigene Darstellungsweise gewählt. Bei aller Varianz der bislang entdeckten Figuren scheint über weite Strecken große Uniformität geherrscht zu haben. Wozu die Stücke letztendlich dienten, muss offen bleiben. Fakt ist jedoch, für alle geltend, eine nahezu vollständige Zerstörung und Entsorgung im allgemeinen Abfall, wobei nicht alle Fragmente einer Figur in einer Grube und auch nicht immer in einer Siedlung entsorgt worden sind. Das insgesamt geringe Vorkommen der Tonfiguren und ihre weitgehende Ähnlichkeit schließen eine profane Verwendung als Kinderspielzeug aus. Der Wandel zur jüngeren LBK hin, auf tönerne Darstellungen immer mehr zu verzichten und wenn, dann aber die ursprünglichen Merkmale nicht mehr wiederzugeben, scheint deutlich. Zunehmender Realismus der Darstellungen sowohl bei Tier und Mensch sind zu beobachten. Sollten sich hinter den Tonfiguren religiöse Handlungen und Haltungen verbergen, so ist ab dem Ende der Flombornzeit ein allmählicher Niedergang oder Zerfall der Rituale und der Gedankenwelt zu postulieren. Auch wenn die Figuren aus organischen Materialien weiter gelebt haben könnten, so sind doch am Ende keine Verbindungen mehr zu den ursprünglichen Formen gegeben. Einzig das Zerschlagen der Figurinen bleibt. Und hier scheint sich ein Kreis zu schließen, denn eben dieses Zerstören findet sich am Ende der Bandkeramik in vielfältiger Weise. Ob im Brunnen von Altscherbitz extrem viele Keramikgefäße zertrümmert in den Brunnen geworfen wurden, mehr als hier hätten unbeabsichtigt je hineinfallen können, zumal die meisten als Schöpfgefäße gar nicht geeignet waren, oder solche Funde im Brunnen von Kückhoven auftreten, wo ein Fragment eines großen Sitzidoles im Brunnen landete. Höhepunkt scheint dann das Grabenwerk von Herxheim zu sein, in dem alles, was die bandkeramische Kultur zu bieten hat, zertrümmert, zerschlagen und in den Graben geworfen wurde. Hierbei sind neben der vielen Keramik auch schwer zu zerstörende Gegenstände wie Steinbeile und Mahlsteine zu nennen, die den unbedingten Zerstörungswillen mehr als deutlich machen. Dass dieser darin gipfelt, Menschen – vielleicht aus verschiedenen Regionen – zusammenzuführen, „rituell“ zu töten, um sie anschließend zu zerschlagen, zu zertrümmern, liegt im Ursprung vielleicht in den zerstörten Figürchen der Flombornzeit. Aus der Not heraus, das Unabwendbare doch noch aufzuhalten – den Niedergang dieser Kultur, die durch äußere Einflüsse, wie dem Klima bedrängt, aber auch durch inneren kulturellen Zerfall geprägt war, wurde der Ursprungsgedanke des kulturellen Zusammenhaltes mit seinen ursprünglichen 478

Riten wieder aufgenommen und „in überhöhter Form“ vollzogen. Statt Handlungen an eigens dafür hergestellten Figuren auszuführen, standen nun echte Bandkeramiker für die Riten bereit. Für uns unvorstellbar, mussten deren Leiber entfleischt werden, um die vielfältigen Knochenbrüche, die es vorzunehmen galt, überhaupt vollziehen zu können. Auch wenn hier zuletzt ein sehr weiter Boden gespannt wird, sollte dieser Gedanke bei der weiteren Erforschung der Anlage von Herxheim mit in die Erklärungsmodelle mit einfließen. E N G E L H A R D T , GÖTTERIDOLE Bernd E n g e l h a r d t, Götteridole der ältesten Bauernkultur. In: Bauern in Bayern. Von den Anfängen bis zur Römerzeit (Straubing 1992) 367–369. J O C K E N H Ö V E L , VORGESCHICHTE In: F.-R. Herrmann, J o c k e n h ö v e l (Hrsg.), Die Vorgeschichte Hessens (1990). H A N S E N , MENSCHENBILDER S. H a n s e n, Bilder vom Menschen der Steinzeit. Untersuchungen zur anthropomorphen Plastik der Jungsteinzeit und Kupferzeit in Südosteuropa. Archäologie in Eurasien 20 (Mainz 2007). K A U F M A N N , KULTGEGENSTÄNDE D. K a u f m a n n, Linienbandkeramische Kultgegenstände aus dem Elbe-SaaleGebiet. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 60, 1976, 61–96. L Ü N I N G , TRACHTEN Jens L ü n i n g (Hrsg.) Die Bandkeramiker. Erste Steinzeitbauern in Deutschland (Rahden 2005) 221–232. N I E S Z E R Y , GRÄBERFELDER N. N i e s z e r y, Linearbandkeramische Gräberfelder in Bayern. Internat. Archäologie 16, 1995. S C H A D E - L I N D I G , IDOLE Sabine S c h a d e - L i n d i g, Idol- und Sonderfunde der bandkeramischen Siedlung von Bad Nauheim-Nieder-Mörlen „Auf dem Hempler“ (Wetteraukreis). Germania 80, 2002, 47–114. S C H A D E - L I N D I G / S C H A D E , PREZIOSEN Sabine S c h a d e - L i n d i g, Christoph S c h a d e, Neu entdeckte, keramische Sonderformen der Bandkeramik aus Hessen und unbekannte Preziosen aus Magazinen, Sammlungen und Museen. Fundberichte Hessen 50, 2010 (2012), 93–138. 479

ROUVEN TURCK MIT BEITRÄGEN VON THOMAS TÜTKEN, BERND KOBER UND JOHANNA KONTNY

DEN TOTEN AUF DEN ZAHN GEFÜHLT: ISOTOPENARCHÄOMETRISCHE ANALYSEN ZUR BESTIMMUNG VON MOBILITÄT UND HERKUNFT DER TOTEN AUS DER GRUBENANLAGE VON HERXHEIM BEI LANDAU I. D. PFALZ

Nach den Ausgrabungen im Gewerbegebiet West von Herxheim standen die Archäologen und Anthropologen vor einem unerwarteten und für die Linearbandkeramik (LBK) ungewöhnlichen und einmaligen Befund (siehe Beitrag von A. Z e e b - L a n z in diesem Band): Nicht nur das schließlich als Grubenanlage identifizierte Erdwerk um die einstige Siedlung erwies sich als aufsehenerregend (S c h m i d t 2004), sondern auch die hohe Anzahl an menschlichen Individuen bzw. deren manipulierte Reste (Z e e b - L a n z e t a l . 2009, 117) sowie die Keramik ließen aufhorchen. Letztere war nicht nur außerordentlich in Qualität und Erhaltung, sondern auch die Verzierungsstile ließen auf nicht übliche aus der Pfalz und nahen Orten bekannte Verzierungen schließen (Z e e b L a n z e t a l . 2007; J e u n e s s e e t a l . 2009). Diesen Indizien folgend stellte sich für die Wissenschaftler rasch die Frage, ob die zahlreichen Menschen, die in die Gruben der Herxheimer Grubenanlage eingeworfen wurden, tatsächlich allesamt aus der Region stammten, oder nicht? Eine naheliegende Analysemöglichkeit bezüglich Mobilität und Herkunft von Menschen besteht seit einigen Jahren durch die Analyse von Isotopen, die zu Lebzeiten der Menschen im Gewebe eingelagert wurden (T ü t k e n 2010). Die Fortschritte, die es bei der Erprobung dieses biogeochemischen Analyseverfahrens in den vergangen Jahren zu verzeichnen gab (A l t 2009, 288–291), veranlasste die Arbeitsgruppe des DFG-Teams unter der Leitung von Andrea Zeeb-Lanz, diesen naturwissenschaftlichen Ansatz zu verfolgen: Für den Verfasser, unterstützt durch die Arbeitsgruppe Isotopengeochemie innerhalb des Instituts für Geowissenschaften der Universität Heidelberg unter der Leitung von B. Kober sowie der Arbeitsgruppe Knochengeochemie am Steinmann Institut der Universität Bonn unter der Leitung von T. Tütken, konnte eine zweijährige Anstellung durch die DFG erlangt werden, damit die Isotopenanalysen an einer repräsentativen Individuenzahl im Zuge einer Promotion am Institut für Urund Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie an der Universität Heidelberg durchgeführt werden konnten (Tu r c k 2012). 481

Die Grundlage der Analyse von Mobilität ist dahingehend gegeben, als dass der Mensch durch die Nahrungsaufnahme Isotope und Elemente aufnimmt, die in der Nahrung und dem Trinkwasser seiner geologischen Heimat gebunden sind. Die Bestandteile der Nahrung werden in das Gewebe des Menschen – und somit in oftmals über Jahrtausende hinweg gut erhaltenen Knochen und Zähnen der (prähistorischen) Individuen – eingelagert. Besonders signifikant für die Identifikation unterschiedlicher geologischer Formationen, von denen Menschen ihre Nahrung aufnahmen, ist das Erdalkalielement Strontium (Sr). Dieses liegt unter anderem als Zerfallsprodukt des Rubidium (Rb) 87 als Sr 87 und als stabiles Sr 86 vor. Analog zu den Zerfallsprozessen von radiogenen Isotopen (vgl. 14C-Methode zur Datierung) wird das Verhältnis von 87Sr zu 86Sr analysiert: Desto mehr 87Sr vorhanden ist, desto länger hat der Zerfallsprozess des Rb angedauert – desto älter ist auch die Schicht/das Gestein, von dem der Mensch seine Nahrung aufnahm. Da in Europa etliche, z. T. kleinteilige unterschiedlich alte geologische Formationen anstehen, können verschiedene 87Sr/86Sr-Isotopenverhältnisse im Gewebe der prähistorischen Menschen als Anzeiger für unterschiedliche Herkunft der Menschen interpretiert werden. Kommt man bei der Analyse von Individuen an einer Fundstelle wie Herxheim zu unterschiedlichen Sr-Isotopenergebnisse, so können lokale und ortsfremde Individuen voneinander unterschieden werden (nach T ü t k e n 2010, 40–43). Eine grundlegende Voraussetzung zur Definition von lokalen Individuen besteht in der Analyse von lokalen Böden, Wässern und potentiell lokal lebenden Tieren, aus denen die lokale bioverfügbare Komponente des Strontiums analysiert werden kann (Tu r c k e t a l . im Druck). Für Herxheim kann ein lokaler Wert des Strontiumverhältnisses um 0,7095 errechnet werden (Tu r c k e t a l . 2012), der einem Wert von bioverfügbarem Strontium auf Lössböden in Mitteleuropa entspricht. Eine weitere und sinnvoll ergänzende Analyse bietet die Untersuchung der Sauerstoffisotopenverhältnisse (O), die einst in das Gewebe der Menschen eingebaut wurden: Hier werden die δ18O- und δ16O-Verhältnisse gemessen. Es bestehen regionale Unterschiede im meteorischen Wasser, welches dem Menschen als Nahrungsgrundlage zur Verfügung stand. In Abhängigkeit von Lufttemperatur und Entfernung zum Meer sinkt der δ18O-Anteil im Verhältnis zum 16 immer weiter ab, so dass sich verschiedene Regionen in Europa unterscheiden lassen (T ü t k e n 2010, 38f.). Der Wert des rezenten Niederschlags in Herxheim liegt bei -8,2‰ (T ü t k e n e t a l. 2012; Daten nach GNIP der IAEA). Durch die Kombination der beiden Analyseverfahren können nun menschliche Individuen Regionen zugewiesen werden, die durch den Boden und das Wasser definiert werden, von denen der Mensch seine Nahrung aufnahm. Unterscheiden sich Sr oder O von den lokalen bzw. regionalen Werten, so handelt es sich um ein ortsfremdes, zu Lebzeiten zugereistes Individuum. 482

Von Relevanz bei der Analyse von prähistorischen Isotopen aus vorgeschichtlichem Skelettmaterial ist die Erhaltung der Knochen und Zähne (T ü t k e n 2010, 33–37): Den härtesten Gewebeanteil des menschlichen Körpers stellt der Zahnschmelz dar, der die Zahnkrone und den Zahnhals von Zähnen der Säugetiere und Menschen bildet. Dieser Zahnschmelz bietet nicht nur den Vorteil bester Erhaltung, sondern wird nach seiner Mineralisation im Kindesalter (bzw. beim dritten Molar, dem so genannten „Weisheitszahn“ während der Pubertät) vom Metabolismus des Menschen abgekoppelt und in seiner Zusammensetzung nicht mehr verändert. Werden Zähne der frühen Ausbildung wie der erste Molar (M1) und der dritte Molar (M3) eines Individuums analysiert, so können zwischen Kindheit und Jugend Vergleiche über die Aufenthaltsorte des Individuums und somit eine Mobilität oder Ortskonstanz erkannt werden. Dies bedeutet: Die geochemische Zusammensetzung des Zahnschmelzes entspricht exakt den bioverfügbaren Komponenten des spezifischen Umfeldes, in dem er aufwuchs und seine Jugend verbrachte. Dieses Umfeld lässt sich noch heute durch die eingelagerten Elemente im Zahn bei guter Erhaltung rekonstruieren. Insgesamt wurden 79 Individuen in die Analyse einbezogen. Von diesen 79 Individuen wurde von 19 Individuen sowohl der M1 als auch der M3 beprobt, um einen Mobilitätsvergleich anstellen zu können. Von lediglich drei Individuen konnten nur der dritte Molar untersucht werden, vom größten Teil der Individuen liegen somit Daten des ersten Molars vor. Die Auswahl der zu beprobenden Individuen erfolgt nach folgenden definierten Kriterien (Tu r c k 2012):

1. Archäologischer Befund Durch den archäologischen Befund können Individuen definiert werden, die entweder in der Siedlung oder im Bereich der Grubenanlage aufgefunden wurden. In die Kategorie Siedlungsbestattungen fallen drei vollständige Skelette sowie eine Handvoll Schädel, die in Gruben innerhalb der Siedlung deponiert wurden. Der größte Teil der beprobten Skelettteile stammt somit aus der Grubenanlage.

2. Anthropologischer Befund Die anthropologischen Analysen folgen der Skeletterhaltung. Hier sind insbesondere vollständige Skelette, so genannte Teilskelette und in kleinste Fragmente zerteilte Individuen voneinander zu unterscheiden (siehe auch Z e e b L a n z e t a l . 2007 und B o u l e s t i n e t a l . 2009): Das Gros der erhaltenen Menschenreste gehört der Gruppe der zerteilten Skelette an. In die Analyse flossen zudem zwei Individuen ein, die als Teilskelette angesprochen werden können, sowie rund ein Dutzend vollständige Skelette. 483

3. Zahnerhaltung Nicht alle durch die anthropologische Untersuchung definierten Individuen können in die Analyse einbezogen werden, da die Zahnerhaltung kontrolliert werden muss. Durch den Zeitpunkt der Zahnmineralisation ist es sinnvoll, eine systematische Beprobung vorzunehmen: Nicht bei allen Individuen ist der Zahnschmelz bei den M1 bzw. den M3 so gut erhalten, dass die Zähne beprobt werden können. Die Zähne sind zum Teil durch die Lagerungsbedingungen im Boden, zum Teil aber auch durch Abnutzung und Erkrankung zu Lebzeiten der Menschen in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Auswahl der rund 80 Individuen geht somit auf die hier skizzierten Erhaltungsbedingungen zurück. Die Menge ist statistisch relevant auszuwerten. Damit ist das Ergebnis der Untersuchung repräsentativ. Hervorzuheben ist, dass alle bekannten vollständigen Skelette sowie alle dem Verfasser bekannten Teilskelette und alle Skelette bzw. Skelettteile aus der Siedlungsfläche in die Analysen einflossen. Weitere, aber nicht beprobte Skelettreste fallen in die Kategorie, die mit der Grubenanlage zu verbinden ist. 3. Die Ergebnisse der Analyse Die Ergebnisse der Strontium-Isotopenanalyse (M1) sind in Abb. 1 dargestellt. Die Sauerstoff-Isotopenanalyse wird in Abb. 2 ersichtlich. Die Daten folgen der Ausarbeitung des Verfassers (Tu r c k 2012).

Abb. 1: Gesamtergebnis der Sr-Isotopenanalysen, M1.

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Abb. 2: Gesamtergebnis der O-Isotopen.

Der Blick auf die Strontiumisotopen lässt den Archäologen aufhorchen: Lediglich sieben Individuen können aufgrund der Sr-Isotopensignatur in den Bereich des lokalen, bioverfügbaren (s.o.) Strontiumwertes des Gebiets um Herxheim eingepasst werden. Somit können rund 90% der untersuchten Individuen als ortsfremd identifiziert werden. Darüber hinaus fällt auf, dass der wesentliche Teil der einbezogenen Individuen stark radiogene Werte von über 0,71 beim 86Sr/87Sr-Verhältnis aufweist Die Spitzenwerte liegen bei 0,715. Derartige Daten weisen auf einen dauerhaften Aufenthalt der Individuen während der Kindheit (M1) und der Jugend (M3) in Regionen hin, die eine alte (kristalline) geologische Struktur aufweisen (z. B. A u b e r t e t a l . 2002). Derartige alte geologische Strukturen können beispielsweise mit Buntsandsteinregionen, Granit- oder Schiefervorkommen assoziiert werden. Diese Formationen sind in der Regel mit Mittelgebirgsregionen zu assoziieren. Es können darüber hinaus aber auch noch einige wenige Individuen nachgeweisen werden, die beispielsweise auf muschelkalkartigen Böden gelebt haben (z. B. U f r e c h t und H ö l z l 2006). Menschen, die sich dauerhaft in vulkanisch geprägten Regionen wie etwa dem Kaiserstuhl, dem Vogelsberg oder der Eifel (für letztere vgl. z. B. S c h l e i c h e r e t a l . 1990) aufgehalten haben, können durch die Analysen nicht gefasst werden. Neben den potentiell durch Strontium als lokal eingestuften Individuen (übereinstimmende lokale, bioverfügbare Strontiumkomponente), können ein paar Menschen erkannt werden, die ebenfalls auf Löss, nicht aber in der unmittelbaren Nähe von Herxheim lebten. 485

Werden diese Daten zusammengefasst, so ist auffällig, dass die in Herxheim vorgefundenen Menschen aus mindestens vier verschiedenen Naturräumen stammten. Die wenigsten der Individuen (1. und 2., n = 20 ) stammen dabei aus dem Flachland: 1. Individuen, die auf Löss und damit im Flachland lebten. Diese sind in potentiell lokale (n = 7) und nicht-lokale Individuen zu unterteilen. 2. Individuen, die im Flachland, aber nicht auf Löss lebten (z. B. Muschelkalk). 3. Individuen, die über erhöhte radiogene Werte verfügen und etwa aus Formationen mit Buntsandstein stammen. 4. Individuen mit sehr radiogenen Werten, die ihre Nahrung während der Ausbildung ihrer Zähne in Gebieten mit kristallinem Untergrund wie Schiefer oder Granit zu sich nahmen. Darüber hinaus sind folgende Ergebnisse bemerkenswert: 1. Die Werte der Individuen aus Herxheim zwischen 0,708 und 0,715 entsprechen einer Messspanne, die bislang für keinen anderen bandkeramischen Fundplatz belegt wurde. 2. Der Durchschnittswert aller analysierter Individuen um 0,712 ist ebenfalls bislang in dieser Höhe unbekannt. 3. Auswertungen, die lokale und nicht-lokale Individuen nach Geschlechtern trennen, sind aufgrund der geringen Anzahl von eindeutig zu bestimmenden Individuen nicht möglich. Grundsätzlich ist bezüglich des Alters festzuhalten, dass in Herxheim alle Altersgruppen, beginnend mit Ungeborenen und Säuglingen (HXM 99–101), vorhanden sind. An diesen Daten sind folgende Beobachtungen für bandkeramische Fundstellen überraschend: Archäologen gehen nach den bisherigen Grabungs- und Forschungsergebnissen davon aus, dass frühneolithische sesshafte Menschen eher (wenn nicht sogar fast ausschließlich?) in Lössregionen lebten und dort Dörfer aus Langhäusern errichteten und Ackerbau sowie Viehhaltung betrieben. Die Strontiumsignaturen, die auf einen längerfristigen Aufenthalt der Kleinkinder – und damit natürlich auch ganzer Familien, wenn nicht sogar ganzer Clans oder Sippen – in den Mittelgebirgen hinweisen, sind sehr ungewöhnlich und insbesondere in der in Herxheim vorliegenden Menge auch völlig unerwartet. Zwar können immer wieder vereinzelt frühneolithische Menschen mit (leicht) erhöhten Werten festgestellt werden (z. B. P r i c e e t a l . 2003), doch finden sich diese Individuen dann meist auch in der Nähe von Mittelgebirgszonen wie dem Taunus bei Nieder-Mörlen (N e h l i c h / S c h a d e - L i n d i g 2013) oder dem mährischen Vedrovice bei Brno (Tschechien) (R i c h a r d s e t a l . 2008). Eine unmittelbare Nähe zu einem Gebirge ist, mit Ausnahme des Pfälzer Waldes, in Herxheim nicht gegeben, so dass auch hier Taunus, Schwarzwald oder Odenwald sowie die Vogesen als nächst gelegene Herkunftsgebiete postuliert werden müssen.

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Abb. 3: SR Isotope im Vergleich: M1 und M3 pro Individuum.

Weiterhin aufschlussreich ist, dass ein Abgleich der M1 und M3 der beprobten Menschen ergibt, dass diejenigen Individuen, die ihre Kindheit im Flachland verbrachten, auch im Jugendlichenalter zur Zeit der Mineralisation des M3 in einer vergleichbaren Region lebten (Abb. 3). Analog dazu sind diejenigen Individuen, die beim M1 eine Mittelgebirgssignatur aufweisen, auch über den M3 diesen Regionen zuzuweisen. Tendenziell ist in elf von 18 beprobten Fällen (M1 und M3) festzustellen, dass der M3 sogar radiogener ausfällt als der M1. In lediglich drei Fällen ist der M1 radiogener als der dritte Backenzahn. Aus diesen Beobachtungen können wir schließen, dass zumindest die beprobten Individuen längere Zeit lang in ihren jeweiligen Naturräumen lebten – und die ortsfremden Individuen nicht im Laufe der Jugend ins Flachland in Lössgebiete oder gar nach Herxheim kamen. Der Zeitpunkt des Ortswechsels nach Herxheim bleibt uns somit leider unbekannt. Die Strontiumwerte sind zusammengefasst also erstaunlich heterogen und weisen auf Aufenthaltsräume der Individuen hin, die in diesem Ausmaß unerwartet und auch nicht so leicht zu erkären sind. Die Sauerstoffisotopenverhältnisse bestätigen den heterogenen Charakter der Herkunft der Menschen (Abb. 2 sowie T ü t k e n e t a l . 2012): Ein kleiner Teil der Individuen kann mit dem Großraum der Pfalz korreliert werden, doch bleibt eine eindeutige Zuweisung zu Herxheim in den meisten Fällen vage. Vielmehr sind eindeutige Mittelgebirgssignale vorhanden sowie Ergebnisse, die eine Herkunft sowohl nördlich als auch südlich der Pfalz vermuten lassen. Mit Ausnahme eines Individuums (HXM 21) können jedoch alle beprobten Menschen im westlichen Verbreitungsgebiet der Bandkeramik zwischen der Donau im Osten und dem Rhein im Westen bzw. Süden lokalisiert werden.

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Z u s a m m e n f a s s u n g u n d Au s b l i c k Die Untersuchung der in Herxheim zu Tode gekommenen Individuen in Hinblick auf Mobilität und Herkunft durch Isotopenanalysen belegt einen sehr hohen Anteil an ortsfremden Individuen. Erstaunlicherweise sind diese Individuen Naturräumen wie den Mittelgebirgen zuzuweisen, in denen sich laut gängiger Lehrmeinung der frühneolithische Mensch wenig bis gar nicht längerfristig aufhielt. Eine Korrelation mit der in den Fundkonzentrationen vorhandenen Fremdstilkeramik erscheint ebenfalls auf den ersten Blick kompliziert, da diese in der Regel mit den Siedlungen auf den Lössgebieten einhergeht. Möglicherweise können auf dem spektakulären Fundplatz von Herxheim, der sich durch einen bislang in Europa einmaligen archäologischen wie auch anthropologischen Befund auszeichnet, auch Menschengruppen gefasst werden, die in Form von ,Spezialisten‘ üblicherweise nicht oder nur selten (siehe P r i c e e t a l . 2003; N e h l i c h / S c h a d e - L i n d i g 2013) im bandkeramischen Kontext bestattet wurden. Offenkundig ist jedoch, dass es einen Bevölkerungsteil gegeben haben muss, der in den fundleereren Regionen der Mittelgebirge lebte (Tu r c k 2012). Dieses Phänomen ist nun unter den Archäologen zu diskutieren und Bestandteil der Gesamtauswertung des Expertenteams des DFG-Projekts Herxheim. Die Daten regen zudem an, die Mittelgebirge in zukünftige frühneolithische Forschungskonzepte mit einzubinden. Literaturangaben A l t 2009 Kurt W. A l t , Prähistorische Anthropologie im 21. Jahrhundert. Methoden und Anwendungen. In: Orsolya Heinrich-Tamaska/Niklot Krohn/Sebastian Ristow (Hrsg.), Dunkle Jahrhunderte in Mitteleuropa? Tagungsbeiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittelalter. Rituale und Moden (Xanten, 8. Juni 2006). Möglichkeiten und Probleme archäologisch-naturwissenschaftlicher Zusammenarbeit (Schleswig, 9.–10. Oktober 2007) (= Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 1), Hamburg 2009, S. 273–292. A u b e r t e t a l . 2002 Dominique A u b e r t/Anne P r o b s t/Peter S t i l l e/Daniel V i v i l l e , Evidence of hydrological control of Sr behavior in stream water (Strengbach catchment, Vosges mountains, France). Applied Geochemistry 17 (2002) S. 285–300. B o u l e s t i n e t a l . 2009 Bruno B o u l e s t i n/Andrea Z e e b - L a n z/Christian J e u n e s s e/Fabian H a a c k/Rose-Marie A r b o g a s t/Anthony D e n a i r e, Mass cannibalism in the Linear Pottery Culture at Herxheim (Palatinate, Germany). In: Antiquity 83 (2009) S. 968–982. 488

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R e z e n s i o n s t e i l i m I n t e r n e t - Au f t r i t t d e s H i s t o r i s c h e n Ve r e i n s d e r P f a l z In dem neu gegründeten Rezensionsteil im Internet-Auftritt des Historischen Vereins der Pfalz, herausgegeben von Klaus-Frédéric Johannes, soll das wissenschaftliche Schrifttum zur pfälzischen Geschichte kritisch gewürdigt werden. Selbstverständlich gehören zum Betrachtungsraum auch der Pfalz verbundene Gebiete (also in erster Linie die angrenzenden Territorien - wie das Elsass - und Bayern). Dies soll der wissenschaftlichen Diskussion, auch der Forschungsentwicklung, und Bekanntmachung aktueller Forschungen dienen. Verlage werden gebeten, entsprechendes Schrifttum zur Besprechung an den Historischen Verein der Pfalz – Geschäftsstelle -, Domplatz 4, 67346 Speyer, oder an Herrn Klaus-Frédéric Johannes M. A., Am Pfaffenberg 23, 76831 Ingenheim, zu senden; eine Besprechungsgarantie kann nicht gegeben werden. Ferner wird gebeten, Rezensionswünsche mitzuteilen. Der Umfang einer Besprechung sollte ca. 7000 Zeichen betragen; Ausnahmen sind nach Rücksprache möglich. Eingereicht werden kann jederzeit. Veröffentlicht werden die Besprechungen über die Homepage des Historischen Vereins der Pfalz.

Klaus-Frédéric Johannes

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