DIE DEMOKRATIE ALS BAUHERR

*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995 DIE DEMOKRATIE ALS BAUHERR Marcel Meili, 1995 We...
8 downloads 2 Views 68KB Size
*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995

DIE DEMOKRATIE ALS BAUHERR Marcel Meili, 1995 Wenn wir heute die Rolle des Bauherrn in der Demokratie diskutieren, so geschieht dies vor einem genau umrissenen Hintergrund: Die Demokratie selbst als Bauherr, der Staat also – wenn Sie mir nur für diesen Vortrag diese unzulässige Verkürzung erlauben –, dieser Staat hat in diesem Jahrhundert kaum je einen so schwierigen Stand im Bauen gehabt wie im Augenblick. Es erscheint mir offenkundig, dass die Bauherrenrolle in dem Moment intensiv beschworen wird, in dem den Architekten der Verlust eines vertrauten und mehr oder weniger verlässlichen Partners in Sachen Städtebau- und Architekturqualität droht. Lassen wir vorerst noch die Frage offen, wie segensreich diese Ehe in den letzten 70 Jahren tatsächlich gewesen ist. Zweifellos aber berührt diese Beziehungskrise zwischen den Architekten und dem Staat den zentralen politischen Topos der Architektur in diesem Jahrhundert. Was ist nun aber geschehen in den letzten Jahren? Unter den Einwirkungen verschiedenster Entwicklungen hat der Staat begonnen, auch die Strategien seiner Architekturpolitik zu überdenken und neu auszurichten. Stichworte dazu wären etwa Deregulierung, Verknappung der öffentlichen Mittel, Bedeutungsverlust von Grenzen. Im Zentrum stehen dabei die eingeschränkten finanziellen Ressourcen. Vorab Städte sind der Erkenntnis ausgesetzt, dass sie angestammte Bauaufgaben gar nicht mehr erfüllen können. Sie beginnen deshalb, Wege zu suchen, um neue Geldquellen zum Sprudeln zu bringen. Eines der frühen mir bekannten Beispiele dazu war Ende der 70er-Jahre die Stadt Luzern mit den Bundesbahnen. Da die Mittel fehlten, um den ausgebrannten Bahnhof neu aufzubauen, verfiel man auf die listige Idee, den neuen Bahnhof gewissermassen als räumliche Lücke zwischen einem Hotel und einer Menge kommerzieller Funktionen zu konzipieren. Diese wohlfeile Ritze wurde dann von Santiago Calatrava auf spektakuläre Art in Form gegossen und bildet seither ein neues Wahrzeichen der Stadt. Dieses und einige andere Bauwerke müssen nun als Illustrationen für eine neue architekturpolitische Vokabel herhalten: Synergie. Vereinfacht gesagt meint dies, dass eine finanziell ausgehungerte und politisch gebeutelte Stadt mit ihren Aufgaben auf den Markt geht. Dort sucht sie sich unter den kräftigen privaten Bauträgern jene zusammen, deren Interessen vermuten lassen, dass sich in ihren Bauvorhaben Raum findet, um darin öffentliche Aufgaben und Anliegen sozusagen mitfahren zu lassen. Immer noch verfügt der Staat dabei über eigene Mittel, um diesem Handel Leben einzuhauchen: etwas Geld, vor allem aber baurechtliche Gutschriften, um das Angebot attraktiv zu machen. Natürlich ist dieses Synergiemodell sehr vereinfacht beschrieben. Der Begriff soll hier ja lediglich für die Summe relativ neuer staatlich-privater Kooperationsmodelle stehen. Dabei müssen wir festhalten, dass für den Staat wesentlich mehr auf dem Spiel steht als neue Finanzierungstypen. Es sind alle Werkzeuge mitbetroffen, mit Hilfe derer die staatlichen Institutionen einst angetreten sind, die moderne architektonische Entwicklung der Städte im Sinne öffentlicher Interessen zu beeinflussen. Diese Instrumente sind nach dem Ersten Weltkrieg gerade hier in Deutschland geschmiedet worden, und ich brauche sie deshalb nur kurz in Erinnerung zu rufen. Im Wesentlichen waren es drei: •

die kommunalen Pläne und Bauverordnungen



dann Subventionen, deren Vergabe an Qualitätsmerkmale gebunden waren

1

*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995



und schliesslich einzelne Stadtbauämter als Architekturbüros oder Bauherren, die für sich eine fortschrittliche Vorreiterrolle in Anspruch genommen haben.

Diese Spielanordnung hat uns eine mittlerweile etwas vergilbte Liste von pfiffigen Stadtbaumeistern beschert, die mit etwelchem politischem Geschick und klarer architektonischer Überzeugung auf diese oder die andere Weise ihre Städte ein wenig umgekrempelt haben. Und sie haben uns dabei bemerkenswerte Zeugnisse der modernen Architekturgeschichte hinterlassen: Ernst May, Bruno Taut, Max Berg u.a. Seit dieser «heroischen» Zeit ist zu den drei klassischen Instrumenten nur noch ein einziges neues dazugekommen. Nach dem Krieg begannen die Staaten, allen voran Frankreich, neue Kooperationsformen zwischen Architekten und Unternehmen zu erzwingen. Und auch dies geschah mit klaren Modernisierungszielen: Man hatte einen Rationalisierungsschub der völlig zersplitterten Bauwirtschaft im Auge. Ich glaube, dass sich der Staat als Bauherr seither im Wesentlichen immer nur auf diese vier Werkzeuge verlassen hat: Recht, Subvention, Organisation des Bauprozesses und Vorbildrolle. Sie sehen, dass ich hier Begriff «Bauherr» weit und etatistisch verwende. «Bauherr» hiess beim Staat während Jahrzehnten, eine gewisse Herrschaftsfunktion über die architektonische und städtebauliche Entwicklung eines Landes auszuüben, auch jenseits der eigenen Bauwerke. Diese Rolle ist heute unter Druck geraten. Es ist offensichtlich, dass der Staat in diesem politisch-wirtschaftlichen Joint Venture an Spielraum eingebüsst hat, seine Ziele breit durchzusetzen. So weit, so schlecht. Aber ist das alles wirklich so schlecht? Bedeutet es zwangsläufig, dass die Demokratie als Bauherr ausgepowert wird? Eindeutig pessimistisch lässt sich diese Frage nur beantworten, wenn man von einer heroisch verklärten Rolle des Staates in den letzten 70 Jahren ausgeht und wenn man von vornherein unterstellt, dass die Länder, die Kommunen als Bauherren im neuen Dispositiv gewissermassen «keine Chance haben». Ich bezweifle beides. Ich könnte allerdings auch nicht einfach das Gegenteil behaupten, und mithin ist meines Erachtens der Staat als Bauherr tatsächlich in bedenkenswerten Schwierigkeiten. Wie lässt sich diese Zwangslage genauer beschreiben? Wenn die Städte tatsächlich aus einer geschwächten Position heraus operieren, so wird die erste und lebenswichtige Frage lauten: Wie gelingt es unter diesen Bedingungen überhaupt noch, die nötigen staatlichen Aufgaben zu realisieren? Also Schulen, Sozialwohnungen, kulturelle Institutionen? Bis anhin war die Verwirklichung dieser Aufgaben nicht allein an das Kriterium der Machbarkeit geknüpft, sondern auch an bestimmte architektonische und städtebauliche Qualitätsmerkmale. Architektonische «Qualität», wie immer sie verstanden wurde, war demnach als Teil des öffentlichen Interesses und mithin ein Teil des staatlichen Auftrags. Diese Verkoppelung ist zentraler Bestandteil des heimlichen Vertrags gewesen zwischen dem Staat und den Architekten, und es ist dies der Grund, warum wir Architekten nervös reagieren, wenn es dem Staat als Bauherr schlecht geht. Mit dieser Gleichung ist es schwierig geworden. Die Administrationen müssen nun mit ihren Aufgaben auf dem Markt auf Partnersuche gehen. Dabei werden sie in einen Handel eingebunden, wo sie auch Anreize und Rechte verkaufen müssen, die ursprünglich zum Zwecke der Qualitätsförderung entwickelt worden waren.

2

*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995

Diese Mittel werden nun unter dem Blickwinkel des wirtschaftlichen Vorteils in den Handel eingebunden: Ausnützungsrechte, Bauhöhen, Erschliessungsregeln, Sonderbauvorschriften ... Die Frage ist nun, ob dieser Handel zwangsläufig zu Lasten des alten Qualitätsauftrags gehen muss. Ich glaube, zumindest nicht zwangsläufig. Ich denke allerdings, dass die Administrationen völlig neue Verfahrensweisen entwickeln müssen, wenn sich ihre Qualitätsziele in der Hitze der neuen Händel nicht von vornherein verflüchtigen sollen. Anhand eines Beispiels, in das wir selber verwickelt sind, möchte ich Ihnen zunächst zeigen, dass es tatsächlich schwierig geworden ist, mit den überkommenen Strategien kommunaler Baupolitik erfolgreich zu operieren. In Zürich, fast am See, gibt es ein fantastisches Grundstück in städtischem Besitz, auf dem sich ein öffentliches Parkhaus befindet. In dieser Lage, wo der Quadratmeter wohl gegen CHF 10 000.– kostet, hat sich die Stadt entschlossen, den Boden rentabler zu vermarkten, und zwar in Form eines Kongresshotels mit öffentlichem Parkhaus. Dafür wurde unter Hotelketten eine Konkurrenz für ein Baurecht eröffnet. Bedingung war, unter anderem, ein Architekturwettbewerb. Der sollte beherrscht werden von einer Fachjury, die 12 Büros aus dem In- und Ausland einladen konnte. Absicht des Stadtrats war es, seine qualitativen Ziele über das Programm, die Jury und die Teilnehmer derart in die Bauaufgabe einzuflechten, dass diese sich in der Eigendynamik der Operation «wie von selbst» verwirklichen würden. Den Zuschlag erhielt ein amerikanischer Hotelkonzern und zwar mit der Begründung, dass er, neben den Mitteln, über eine bestechende Konzernstrategie verfüge. Diese Marketingstrategie besagt, dass man aus den neuen Hotels keine Inseln des American Way of Life mehr machen wolle. Die Hotels der Zukunft sollen ein Ausdruck der jeweiligen örtlichen Kultur sein, die damit den Gästen bis ins Schlafzimmer hinein nahegebracht werden soll. Was ist passiert? Der Wettbewerb fand statt, und dann gingen die Schwierigkeiten los. Die Amerikaner verschreckten die jungen, siegreichen Architektenkollegen in der Arbeit derart radikal, dass diese sofort das Handtuch warfen und den Konzern an uns als Zweite weiterwiesen. Wir nahmen, vielleicht etwas gar keck, diese Herausforderung an und verwenden seither alle unsere Energie und Phantasie darauf, in diesem sehr begrenzt kompatiblen Dreieck zwischen der Stadt, dem Konzern und unserer Architektur zu vermitteln. In der konkreten Arbeit sind nämlich sehr schnell zwei Dinge klar geworden: Unter regionaler Kultur versteht ein Amerikaner explizit das Aufhängen von Bildern von Schweizer Malern – und von Gegenständen aus jenen Lebensbereichen, die er für Schweizer Brauchtum hält. Selbstverständlich vor dem Hintergrund einer Hotelhalle, die ein Büro aus Palm Springs eingerichtet hat. Europäische Baukultur beispielsweise interessiert den Konzern nicht, Städtebau schon gar nicht. Umgekehrt musste die Stadt beim Anschwellen der Krise einigermassen konsterniert feststellen, dass sie mit dem Wettbewerb beinahe alle Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen aus der Hand gegeben hatte: Im Konflikt mit dem Siegerteam beispielsweise war die Stadt völlig machtlos ... Warum erzähle ich dies so genau? Ich denke, dass hier, politisch und administrativ betrachtet, vieles ziemlich «traditionell» angelegt war – und damit ernsthaft vom Scheitern bedroht ist. Warum? Erstens, denke ich, braucht es in so einem Deal eine viel genauere Fassung dessen, was die Öffentlichkeit, die Stadt eigentlich erreichen will. Zweitens kann man eine Synergie nicht auf der Vorstellung einer einfachen Vertragsregelung in Form von «Abmachungen» und «Dispositiven» anstreben, schon gar nicht bei Amerikanern. Und schliesslich muss man auch über den ganzen Prozess hin ein paar

3

*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995

Karten in der Hand behalten, die man von Fall zu Fall zu spielen in der Lage ist, denn ganz ohne Druck wird es nie gehen ... Der wichtigste Punkt ist mir der zweite. Ich glaube, es ist eine wirkliche Kunst, mögliche gemeinsame Bedürfnisse aufzuspüren und daraus einen Handel zu bauen, der für beide Seiten reizvoll ist. Die Stadt, die verdienstvollerweise architektonische Qualitätsziele im Auge führte, hatte keine taugliche Strategie erarbeitet, diese Absichten mit dem Konzern zusammen zu einem gemeinsamen Anliegen zu entwickeln. Für den Konzern waren diese Qualitätsziele immer nur ein unverständliches Übel, das man er mitkaufen musste. Bei der erstbesten Gelegenheit suchte er den Abgang aus diesem Labyrinth, dessen Sinn ihm nie klar geworden war. Sehen Sie, das scheint mir die entscheidende Klippe in diesem Handel zu sein, zumindest was die vielbeschworene architektonische Qualität betrifft. Früher waren die Kriterien dieser Qualität gewissermassen staatlich dekretiert, und zwar als Ergebnis einer geschlossenen Fachabsprache zwischen den freien Architekten und jenen der Administrationen. Nun wird dieses Qualitätskriterium nicht gerade öffentlich, aber es wird zu einer Art Währung in einem komplizierten Handel zwischen Architekten, Verwaltung und Investor, nicht selten auch mit der Öffentlichkeit. Der erste, interessante Versuch nun, ein «architektonisches Mass» in diesen Handel einzuwirken, waren die Gestaltungsbeiräte. Sie werden aber nicht ausreichen. Denn in diesem neuen Dispositiv muss Qualität ständig neu ausgehandelt und definiert werden, sie kann nicht mehr einfach vorausgesetzt oder von Experten dekretiert werden. Und darum ist sie auch ein Problem des Überzeugens geworden: Sie muss schrittweise erarbeitet und kommuniziert werden. Natürlich weiss ich, dass das nicht ungefährlich ist. Klar werden wir dann auch in Kauf nehmen müssen, dass die Qualität anders beurteilt werden wird, z. B. in Form von Corporate Identity oder im Image jenes Politikers, der unbedingt einen Richard Meier haben will. Und dies ist tatsächlich gefährlich. Aber angenommen, es gelingt einem Stadtbaumeister oder Politiker, jenen Hotelkonzern davon zu überzeugen, dass man in Europa mit «anspruchsvoller Architektur» auch auf den Markt gehen kann, wie das Europäische Grossbanken im Moment testen, dann ist eventuell doch etwas gewonnen. Und wenn wir uns derart über die Corporate Identity aufregen, so müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass van Nelle, Johnson oder vor allem Olivetti dies schon vor 60 Jahren gemacht haben. Ich finde die Resultate grossartig. Aber dies sind Nebenargumente. Viel grundlegender scheint mir, dass man im Synergiemodell einen relativ neuartigen, verwinkelten Prozess mit sehr eigenwilligen Diskussions- und Entscheidungsproblemen sehen muss. Und man scheitert von vornherein, wenn man sich diesen Prozess als einen klassischen, frontalen Verhandlungsfall vorstellt, in dem Erfolge allein mit Verhandlungslist zu holen sind. Es sind eher Prozesse, die über lange Zeit auf kluge Art moderiert werden müssen. Und ich könnte mir vorstellen, dass derjenige, welcher das tut, nennen wir ihn «Moderator», in Zukunft die zentrale Figur für den Erfolg dieser Bauprozesse ist. Lassen Sie mich zu dieser Figur als Versuch ein paar Stichworte im Sinne eines Anstosses für die Diskussion geben. Zunächst: Der Moderator kann und wird nicht der Architekt sein. Er ist Partei der Architektur und muss es in Zukunft noch viel mehr sein. Ich glaube aber auch kaum, dass der Stadtbaumeister, den wir kennen, mit seiner angestammten Aufgabe, seinem Spielraum und seiner in den Apparat eingebundenen Funktion dazu in der Lage ist. Vielmehr kann man sich diesen «Moderator» als eine Art Treuhänder – auch öffentlicher Interessen – am Rande oder knapp ausserhalb der Administration vorstellen, ausgestattet mit

4

*** Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich | Die Demokratie als Bauherr | Marcel Meili | 1995

dem Wissen um die Mechanik wirtschaftlicher Prozesse, mit dem Talent einer guten Kommunikationsgabe und mit Kultur. Jawohl, mit Kultur. Das heisst: mit wirklichem Interesse an der Architektur, die ja vorläufig immer noch auch Kultur ist. Architekt braucht er nicht unbedingt zu sein, schon viele heutige Stadtbaumeister kennen ja oft das konkrete Bauen eher noch vom Hörensagen. Aber er muss vor allen Dingen über die Fähigkeit verfügen, im Unterholz von Interessen jene Grundadern aufzuspüren, die in etwa parallel verlaufen und zusammengelegt werden könnten. Dass ein gewichtiger Strom dabei das Interesse an architektonischer Kultur sein muss, versteht sich aus meinen Erörterungen von selbst. Stoff für Konflikte bleibt also immer noch genug ... Nun werden Sie einwenden, dass das Einzelfälle seien, dass solche aufwendigen Prozesse allenfalls bei grossen Bauten Erfolg haben könnten, dass sich damit nicht eine ganze Stadt ordnen liesse. Und dass ich zu viel Hoffnung in eine einzelne Figur setze. Mag sein, dass Sie recht behalten. Zunächst muss ich aber entgegnen, dass es mir nicht so sehr um die Person geht, als um das Verfahren, wofür diese Figur steht. Im Übrigen bin ich mir ja gar nicht so sicher, ob dieses Verfahren wirklich so wünschbar ist in Bezug auf die architektonische Kultur, der ich mich verpflichtet fühle. Die Begründung, warum sich mir solche Überlegungen aufzwingen, zielt in die umgekehrte Richtung: Ich denke, dass das Hauptmotiv hinter dieser Entwicklung, die Schwächung des Staates, im Moment kaum aufzuhalten ist und dass in dieser Lage neue Strategien einfach unausweichlich sind. Eigene Erfahrungen und jene von Kollegen haben mich gelehrt, dass uns der Staat als Bauherr tatsächlich entgleiten könnte, wenn er in diesen neuen Kooperationsformen nicht tauglichere Verfahren entwickelt. Mit «uns» meine ich nicht nur uns Architekten, sondern die Öffentlichkeit ... Und schliesslich möchte ich den Skeptikern nochmals einen häretischen Blick in die Geschichte empfehlen. Im Grunde ist vieles von dem, was wir hier erproben müssen, doch nicht so neu. Schauen Sie sich einmal das Berlin Martin Wagners, das Hamburg eines Fritz Schuhmacher oder das Rotterdam eines Van Eesteren an, und schauen Sie genau: Dann werden Sie sehen, dass alle drei, allen voran Martin Wagner, schon um 1930 neben dem Bauen enorme Energie und einige Intelligenz investiert haben in die wirklich moderne Frage, wie man nun alle am Bauen Beteiligten, also auch die Inverstoren, auf den Weg zu einer neuen Baukultur mitnehmen könnte. Und Wagner hat dabei nicht einmal jenes – für den Sozialdemokraten – heisse Pflaster ausgeklammert: die Kommerzarchitektur der Innenstadt. Im Gegenteil. ***

5