Die canine manuelle myofasziale Triggerpunkttherapie: Schmerzbehandlung bei Hunden

Die canine manuelle myofasziale Triggerpunkttherapie: Schmerzbehandlung bei Hunden Das myofasziale Schmerzsyndrom wird Wissenschaft und Praxis nicht ...
Author: Irmela Küchler
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Die canine manuelle myofasziale Triggerpunkttherapie: Schmerzbehandlung bei Hunden

Das myofasziale Schmerzsyndrom wird Wissenschaft und Praxis nicht nur in der Humanmedizin künftig immer mehr fordern. Auch in der Veterinärmedizin und Tierphysiotherapie wird die kritische und verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit Ursachen und Behandlungsalternativen zunehmend in den Blickpunkt rücken. Gerade chronische Schmerzen haben einen enormen negativen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Diesem gilt es entgegenzuwirken. FBZ-vet verfolgt den Anspruch, hier aus praktischer und wissenschaftlicher Sicht einen zielführenden Beitrag zu leisten.

Der Triggerpunkt: Ausgangspunkt für das myofasziale Schmerzsyndrom Bei der Erforschung und Weiterentwicklung geeigneter Therapien und Behandlungstechniken bei Schmerzen setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, die Prof. Karl Lewit bereits vor vielen Jahren als einer der führenden europäischen Manualtherapeuten gewonnen hat: „Der Triggerpunkt, wie er heute definiert wird, ist gewiss die häufigste Manifestation des Schmerzes im Bewegungssystem, wenn nicht im Organismus überhaupt.“ Lewits Standpunkt wird gestärkt durch repräsentative Untersuchungen wie z.B. der von Gröbli und Peilich (2008). Die beiden Wissenschaftler haben festgestellt, dass sich bei bis zu 85% aller Patienten mit chronischen Schmerzen ein zugrunde liegendes myofasziales Schmerzsyndrom diagnostizieren lässt. Es gibt Untersuchungen, die auch bei Hunden mit Lahmheiten ein myofasziales Schmerzsyndrom nachweisen konnten. Eine in 1991 publizierte Forschungsreihe an 48 Hunden bewies eindeutig den Zusammenhang von Lahmheiten und Triggerpunkten. In dieser Untersuchung wurden 7 Triggerpunkte identifiziert. Die Triggerpunkte befanden sich im M. triceps brachii, M. infraspinatus, M. pectineus, M. peroneus longus, M. glutaeus medius, M. iliocostalis lumborum und dem M. quadriceps femoris. (Janssens 1991). Travell u. Simon untersuchten im Jahr 2004 elektronenmikroskopisch einen Triggerpunkt im M. graciles eines Hundes und bewiesen ebenso zweifellos die Existenz von Triggerpunkten auch bei Hunden.

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In der Humanmedizin werden 3 Hauptdiagnosekriterien und 8 ergänzende Nebendiagnosekriterien zur Identifizierung eines myofaszialen Triggerpunktes beschrieben. Zur möglichen Übertragkeit dieser Aspekte auf die canine manuelle myofasziale Tirggerpunkttherapie werden diese in Anlehnung an Gautschi, R. (2010) hier aufgeführt. Hauptdiagnosekriterien: 1.

Hartspannstrang – Bei der Palpation eines Muskels, quer zu seinem Faserverlauf, ist ein verspanntes Muskelbündel zu tasten

2.

Maximale Druckempfindlichkeit – Innerhalb dieses verspannten Muskels kann eine druckschmerzhafte Stelle palpiert werden

3.

Reproduktion der Symptome – Durch die Palpation der druckschmerzhaften Stelle können Beschwerden provoziert werden, die der Patient als sein Beschwerdebild erkennt.

Nebendiagnosekriterien: 1.

Ausstrahlende Schmerzen oder andere übertragene Phänomene – Schmerzen und Dysästhesien in einem umschriebenen Ausstrahlungsgebiet können vorkommen

2.

Gewebeverdichtung – innerhalb des Hartspannstranges finden sich Verquellungen im Gewebe

3.

Lokale Zuckungsreaktion – eine mögliche sicht- und palpierbare Kontraktion des verspannten Muskelfaserbündels. Hong konnte 1994 durch eine Untersuchung an Kaninchen diese lokale Zuckungsreaktionen als spinale Reflexantworten ohne kortikale Einflüsse beschreiben.

4.

Reproduktion der Symptome durch Muskeldehnung – eine endgradig eingeschränkte Bewegung könnte ein Hinweis auf einen aktiven Triggerpunkt sein.

5.

Reproduktion der Symptome durch Muskelkontraktion

6.

Muskelschwäche ohne primäre Atrophie

7.

Propriozeptive Störungen wie z.B. Gangunsicherheiten

8.

Autonome vegetative Reaktion, wie z.B. vermehrte Schweißsekretion, vermehrte Piloreatkion, Temperaturveränderungen der Haut etc..

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Die canine manuelle myofasziale Triggerpunkttherapie: Diagnosekriterien

Bei kritischer Betrachtung der zuvor dargestellten humanmedizinischen Erkenntnisse komme ich nachvollziehbar zum Schluss, dass diese konzeptionellen Überlegungen nicht uneingeschränkt auf unsere Hundepatienten übertragbar sind. Hunde sind im Gegensatz zu Menschen naturgemäß nicht in der Lage, sich zum Ausstrahlungsgebiet und zur Art von Schmerzen zu artikulieren. Die Reproduktion der Symptome durch Palpation (=Tasten) als Hauptdiagnosekriterium, die Reproduzierbarkeit der Schmerzen durch Muskelkontraktion sowie ausstrahlende Schmerzen oder andere übertragbare Phänomene als Nebendiagnosekriterien sind für die Entwicklung eines tragfähigen Konzepts für die canine manuelle myofasziale Triggerpunkttherapie unbrauchbar. „Therfore, we can only diagnose a TP-induced claudication if we cannot find bone, joint, or neurologic abnormalities, and we do find TP that disappear after treatment together with the original lameness.” (Janssens, LA 1992) Nachfolgende Grafik stellt die Diagnosekriterien dar, die sich aus unserer Erfahrung und Praxis bei der Identifizierung eines Triggerpunktes beim Hund wiederholt bestätigt haben:

Ursachen für die Entstehung von Triggerpunkten: Prädisponierende, auslösenden und aufrechterhaltende Einflussfaktoren

Die Pathophysiologie zur Entstehung von myofaszialen Triggerpunkten ist m.E. schon recht gut erforscht. Aufgrund der einzelnen pathophysiologischen Veränderungen hat sich das Energiekrisen-Modell etabliert.

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Ein auslösender Faktor für eine Energiekrise kann ein direktes Trauma im Muskel sein. Fernern können akute und chronische Überlastungen der Muskulatur ebenfalls zur Entstehung von Triggerpunkten im betroffenen Muskel oder in dessen Synergisten bzw. auch Antagonisten führen. Triggerpunkte in einem Muskel, die durch ein direktes Trauma aktiviert wurden, werden als primäre Triggerpunkte bezeichnet. Triggerpunkte in den Synergisten bzw. Antagonisten eines betroffenen Muskels werden als sekundäre Triggerpunkte bezeichnet. Hinsichtlich der Ursachen für die Entstehung von Triggerpunkten können wir auch bei Hunden zwischen prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren unterscheiden. Typische prädisponierende Faktoren sind ein reduzierter Allgemeinzustand, systemische Erkrankungen oder auch ein schlechter Trainingszustand der Muskulatur. Aufrechterhaltende Faktoren können Kälte und Nässe sein. Wie schon oben beschrieben kann ein direktes Trauma, z.B. durch ein Anpralltrauma beim Sprung über die Hürde, Bodychecks beim Spielen mit anderen Hunden, dem Ausgrätschen auf glattem Untergrund zur Aktivierung eines Triggerpunktes führen. Im Falle unserer Hundepatienten sehe ich die chronische Überlastung als eine der häufigsten Ursachen für die Entstehung von Triggerpunkten. Die Überanstrengung der Vordergliedmaßenmuskulatur, ausgelöst durch Lahmheiten der Hintergliedmaße, repetitive Bewegungsabläufe bei der Arbeit oder beim Sport, einseitiges Training im Sport, aber auch ein unökonomisches Bewegungsverhalten, wie wir es häufig bei neurologischen Patienten sehen, sind nur einige Beispiele für chronische Überlastungen der Muskulatur. Weitere Trigggerpunkt aktivierende Faktoren: • • •

Schmerzafferenzen bedingt durch Störungen anderer Funktionskreise, die ebenfalls reflektorisch zu einer Spannungszunahme der Muskulatur und damit zur Überlastung führen. Angst und Stress Nährstoffmangel

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Triggerpunkte: Induzierte Störungen, Behandlung und Therapie Triggerpunkte können mannigfaltige Störungen auslösen, wobei hier zwischen direkten und indirekten Störungen unterschieden werden kann. Schmerzen, Störungen der Motorik, vegetativ-trophische Störungen, artikuläre Dysfunktionen, Ödeme, Bewegungseinschränkungen sind nur einige Beispiele für Triggerpunkt induzierte Störungen. Bei der Behandlung von Triggerpunkten Behandlungstechniken unterschieden werden.

kann

zwischen

invasiven,

apparativen

und

manuellen

In der Humanmedizin hat in den 80er Jahren Dejung eine manuelle Triggerpunkt-Therapie entwickelt. Dieses Konzept setzt verschiedene manuelle Techniken und ergänzende Maßnahmen ein. Die in der Humanmedizin verwendeten manuellen Techniken sind schmerzhaft! „Die beschriebenen manuellen Techniken sind schmerzhaft. Sie verlangen eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Es ist notwendig, den Patienten über Sinn und Zweck des Schmerzes während der Therapie zu informieren.“ (Gautschi, R. 2010) Dieser Sachverhalt verdeutlicht für mich, dass humantherapeutische Maßnahmen deshalb nicht ohne grundlegende Differenzierung auf den Hund übertragen werden können. Schmerzauslösende Techniken sind m.E. in der Hundephysiotherapie nicht nur kontraproduktiv, sondern schlicht und ergreifend auch gefährlich. Die Auswirkungen auf Physis und Psyche sind nicht berechenbar, da sich dem Hundepatienten der Sinn und Zweck des Schmerzes während der Therapie nicht erschließen kann. Die manuellen Techniken müssen aus meiner Sicht so angewendet werden, dass wir immer in der Komfortzone des Hundes bleiben. Sie werden feststellen, dass trotz dieser Einschränkung gegenüber der Humantherapie die Behandlungserfolge dennoch sehr gut werden. Wichtig ist, dass die den Triggerpunkt prädisponierende, auslösende bzw. aufrechterhaltende Faktoren möglichst abgestellt werden. Die Miteinbeziehung des Patientenbesitzers mit Heimübungen ist für einen nachhaltigen Therapieerfolg von größter Bedeutung.

Literaturhinweise: Gautschi Roland, Manuelle Triggerpunkt-Therapie, physiofachbuch, Thieme, Stuttgart 2010 Janssens LA, Trigger points in 48 dogs with myofascial pain syndromes, Veterinary Surgery, 1991 Janssens LA, Trigger point therapy, e-journal – problems in veterinary medicine, 1992 Richter P., Hebgen E., Triggerpunkte und Muskelfunktionsketten, 2. Auflage, Hippokrates Verlag, Stuttgart 2007 Zur Autorin: Christiane Gräff, MSc, Physiotherapeutin für Mensch und Hund, Zusatzqualifikationen in Sportphysiotherapie (IAS), Osteopathie (AVT College), Lymphdrainage (Földi). 2012 Erlangung des akademischen Grades Master of Science. Publikation zusammen mit Dr. med. vet. Silke Meermann: Osteopathie beim Hund, 2009, Ulmer Verlag. Seit 2003 Tierphysiotherapeutin in eigener Praxis Fit for Vet's, seit 2007 fachliche Leiterin des interdisziplinären Fortbildungszentrums FBZ-vet in Karlsdorf-Neuthard. Copyright 2012: Sämtliche Texte, Bilder, Grafiken sowie das Layout dieser Seiten sind urheberrechtlich geschützt. Jede Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung, Sendung und Wieder- bzw. Weitergabe der Inhalte bedarf dem Einverständnis bzw. der schriftlichen Genehmigung der FBZ-vet – Christiane Gräff und Bettina Walker GbR, Neuwiesenstraße 4, 76689 Karlsdorf-Neuthard.

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