Reinhard Hötten • Thorsten Hirsch
Jobcoaching
Die betriebliche Inklusion von Menschen mit Behinderung gestalten BAL ANCE
Beruf
»Das Lernen wird für uns alle weitergehen. Wir empfehlen Ihnen, sich selbst gegenüber die gleiche wohlwollende und förderliche Haltung einzunehmen, die Sie auch gegenüber Ihren Klienten haben.« (Aus dem Vorwort der Autoren)
Reinhard Hötten hat den Aufbau und die Konzeption von Jobcoaching beim LWLIntegrationsamt Westfalen verantwortlich gestaltet. Er leitet die Weiterbildung zum Jobcoach »Unterstützte Beschäftigung« des LWL und der Handwerkskammer Münster. Seit 2013 koordiniert er im Auftrag des Integrationsamtes in Berlin das JobcoachingAngebot der Integrationsfachdienste. Thorsten Hirsch leitet das Institut für berufliche Qualifizierung und Entwicklung in Nottuln / Münsterland. Als Ergotherapeut und Systemischer Berater gestaltet er seit 2002 zusammen mit seinem Team Jobcoaching-Prozesse für Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen und Behinderungen. Für Jobcoaches und andere Fachkräfte der beruflichen Integration ist er als Referent und Supervisor tätig.
Reinhard Hötten und Thorsten Hirsch Jobcoaching
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Reinhard Hötten und Thorsten Hirsch
Jobcoaching Die betriebliche Inklusion von Menschen mit Behinderung gestalten
Reinhard Hötten und Thorsten Hirsch Jobcoaching Die betriebliche Inklusion von Menschen mit Behinderung gestalten ISBN-Print: 978-3-86739-086-6 ISBN-PDF: 978-3-86739-856-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. BALANCE buch + medien verlag im Internet: www.balance-verlag.de © BALANCE buch + medien verlag, Köln 2014 Der BALANCE buch + medien verlag ist ein Imprint der Psychiatrie Verlag GmbH, Köln. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden. Lektorat: Ludwig Janssen, Köln Umschlagbild und Umschlaggestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln Typografie und Satz: Iga Bielejec, Nierstein Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Vorwort
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Einleitung
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Was ist Jobcoaching?
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Geschichte des Jobcoachings
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Einsatzfelder, Angebote und Finanzierung von Jobcoaching
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Fallbeispiele
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Fallbeispiel Bäckerei: »Ich würde gerne Brötchen verkaufen.«
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Fallbeispiel Sekretariat: »Gut, dass Sie endlich da sind.«
20
Fallbeispiel IT-Service: »IT würde mich nicht so unterfordern.«
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Konzeptionelle Grundlagen
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Elemente aus systemtheoretischen Ansätzen
23
Elemente aus der lösungsorientierten Beratung
29
Elemente aus der humanistischen Pädagogik
31
Elemente aus der Ergotherapie
33
Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie
36
Kernthemen im Jobcoaching
37
Behinderungsverständnis im Jobcoaching
37
Der Betrieb als Arbeitsfeld des Jobcoachs
38
Rollenverständnis des Jobcoachs
47
Nähe und Distanz beim Jobcoaching
48
Netzwerkarbeit
50
Weitere Beteiligte am Integrationsprozess
53
Beginn des Jobcoaching-Prozesses: Phase der Auftragsklärung und Planung
57
Umgang mit ersten Eindrücken und Hypothesen
59
Rollen- und Aufgabenklärung
60
Inhalt und Struktur der Klärungs- und Planungsphase
62
Auftragsklärung und Planung beim Fallbeispiel Bäckerei
79
Auftragsklärung und Planung beim Fallbeispiel Sekretariat
86
Auftragsklärung und Planung beim Fallbeispiel IT
96
Lernen des Jobcoachs: Phase der Selbstintegration in den Betrieb
102
Rollen- und Aufgabenklärung
102
Methoden der Selbstintegration
103
Probleme und Grenzen der Selbstintegration
104
Selbstintegration beim Fallbeispiel Bäckerei
105
Selbstintegration beim Fallbeispiel Sekretariat
106
Selbstintegration beim Fallbeispiel IT
108
Realisieren von Lösungen: Phase der Intervention und Veränderung
111
Rollen und Aufgabenklärung
111
Wirkungen von Interventionen
113
Die Wahl der »richtigen« Intervention
116
Beispiele typischer Interventionen und Methoden
119
Interventionen beim Fallbeispiel Bäckerei
123
Interventionen beim Fallbeispiel Sekretariat
132
Interventionen beim Fallbeispiel IT
140
Vertrauen und Loslassen: Phase der Stabilisierung und des Abschieds
149
Gewinnung, Aufgaben und Anleitung eines Paten
150
Verlängerung des Jobcoachings
151
Weiterführende Unterstützungsangebote
151
Abschied im Jobcoaching
152
Stabilisierung und Abschied beim Fallbeispiel Bäckerei
152
Stabilisierung und Abschied beim Fallbeispiel Sekretariat
153
Stabilisierung und Abschied beim Fallbeispiel IT
155
Störungen im Prozess
157
Stagnation im Jobcoaching
158
Krisen im Jobcoaching
161
Professionelles Handeln in Krisen
163
Qualitätsaspekte beim Jobcoaching
168
Strukturqualität
168
Überlegungen zur Ergebnisqualität
169
Ein Blick in die Zukunft
171
Die weitere Entwicklung des Jobcoachings
171
Jobcarving: gleiche Methode, andere Aufgabenstellung
172
Literatur
179
Internetquellen
185
VERZEICHNIS DER ARBEITSHILFEN Arbeitshilfe 1: Analyse von Handlungen und Arbeitstätigkeiten (Selbstintegration, Intervention) Arbeitshilfe 2: Reflexionsbogen Jobcoaching (Intervention, Qualitätsentwicklung) Arbeitshilfe 3: Informationserhebung und Planungsdokumentation Arbeitshilfe 4: Ausbildungs- und Arbeitsanamnese (Auftragsklärung und Planung) Arbeitshilfe 5: Systemische Fragen im Jobcoaching (Auftragsklärung und Intervention) Arbeitshilfe 6: Kopplungsfenster (Auftragsklärung und Planung) Arbeitshilfe 7: Kollegiale Fallberatung beim Jobcoaching Arbeitshilfe 8: Tätigkeitsanalyse beim Jobcarving Arbeitshilfe 9: Interviewfragen Jobcarving Arbeitshilfe 10: Workshop Jobcarving
Die Arbeitshilfen finden Sie unter: http://www.balance-verlag.de/ buecher/detail/book-detail/jobcoaching.html.
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Vorwort
Jobcoaches haben den Ruf, »Handwerker« der betrieblichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu sein. Ihre Arbeitsweise ist ergebnisorientiert, kreativ und pragmatisch. Es finden sich in diesem Buch drei ausführliche Fallbeispiele, die dies anschaulich zeigen. Parallel dazu wird ein methodisches Praxiskonzept vorgestellt, das die Arbeitsweise des Jobcoaches erklärt und zur Ausführung anleitet. Man kann dieses Buch also als Fallbuch über betriebliche Inklusion oder als Handlungsanleitung lesen, je nachdem, welchen Bedarf der Leser hat bzw. welchen Zugang er bevorzugt. Die langjährigen Aktivitäten des LWL-Integrationsamtes Westfalen im Bereich des betrieblichen Arbeitstrainings für Menschen mit Behinderungen bildeten für uns den Ausgangspunkt unserer Tätigkeit als Jobcoach. Hier entwickelte sich ein intensiver Fachdiskurs, der bis heute anhält. Zu Beginn hatten wir kein ausformuliertes Konzept für unsere Arbeit. Mehrere Jahre Praxiserfahrung waren erfolgreich und gaben uns Orientierung für das weitere Vorgehen. Erst sehr viel später haben wir unser eigenes methodisches Handeln noch einmal systematisiert und umfassender verstanden. Gemeinsam mit vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen haben wir Teile des Konzepts entwickeln und in der Praxis erproben können. Wir haben uns dafür immer wieder wechselseitig nach unserem konkreten Vorgehen befragt, was wir in einem Fall getan haben, welche Überlegungen uns geleitet haben und was dabei in der Rückschau als Erfolgsfaktor zu erkennen war. Ursprünglich beide aus der Ergotherapie kommend, haben wir das Praxiskonzept schrittweise um lösungsorientierte und systemische Ansätze erweitert. In Verbindung mit den Konzepten anderer entstand nach und nach das vorliegende Praxiskonzept. Dabei machten wir die Erfahrung, dass unsere konzeptionelle Arbeit immer wieder hilfreiche Ideen für unsere praktische Arbeit aufzeigte und sie damit weiter profiliert und professionalisiert hat. Dieses Konzept bildet heute auch die Grundlage unserer Schulungen und Weiterbildungen. Wir haben sowohl persönlich wie auch in der Ausbildung von Jobcoaches erlebt, welche Bedeutung einem klar struk-
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Vorwort
turierten Konzept zukommt. Es kann wesentlich dabei helfen, die Vielzahl von Eindrücken und Informationen in den oft unübersichtlichen Situationen im Betrieb auf die relevanten Inhalte zu reduzieren und so beim methodischen Vorgehen handlungsfähig zu bleiben. Mit diesem Buch hoffen wir, Ergebnisse und Erfahrungen unseres eigenen Lernprozesses zusammenzufassen, sodass sie jetzt auch von anderen genutzt werden können. Das Lernen wird für uns alle weitergehen. Wir empfehlen Ihnen, dabei sich selbst gegenüber die gleiche wohlwollende und förderliche Haltung einzunehmen, die Sie auch gegenüber Ihren Klientinnen und Klienten haben. Wir bedanken uns für das Vertrauen, das uns von den Menschen entgegengebracht wurde, mit denen wir in unserem Berufsleben lernen und arbeiten durften. Wir danken auch folgenden Personen für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches: Dr. Peter Beule, Wiebke Brüggemann, Claudia Daldrup, Theo Feller, Matthias Finke, Yvonne Jonen, Dr. Rüdiger Rhein, Annett Schellenberg, Jörg Schlange und unserem Lektor Ludwig Janssen. Viel Spaß bei der Lektüre und viel Erfolg bei der Arbeit. Reinhard Hötten und Thorsten Hirsch
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Einleitung
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Fachkräfte, die als Jobcoach arbeiten oder vorhaben, dies zu tun. Das sind insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Unterstützten Beschäftigung, in Integrationsfachdiensten, Werkstätten für behinderte Menschen, Berufsbildungswerken, Beruflichen Trainingszentren, innovativen Projekten jedweder Art sowie freiberufliche Jobcoaches. Darüber hinaus kann das Buch für alle interessant sein, die verstehen möchten, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Betrieb gestaltet werden kann und welche Unterstützung Jobcoaching dabei bietet. Beispielhaft seien Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Menschen, Personalverantwortliche, Arbeitgeber, Casemanager, Mitarbeiter von Leistungsträgern, Förderschullehrer, Ausbilder oder die betroffenen Menschen selbst genannt.
Was ist Jobcoaching? Jobcoaching ist die methodisch fundierte Unterstützung der betrieblichen Inklusion eines Menschen mit Behinderung an seinem Praktikums- oder Arbeitsplatz durch Förderung der hierfür notwendigen individuellen und betrieblichen Lernprozesse. Primäre Ziele sind ein möglichst effektives und störungsfreies Arbeitsverhältnis sowie ein Kompetenzerwerb von Klient und Betrieb. Mit diesem Verständnis von Jobcoaching wird die Tätigkeit des Jobcoachs auf Aktivitäten im Betrieb fokussiert. Deren methodische Gestaltung ist der Kern des vorliegenden Buches. Die Chancen für Menschen mit Behinderungen, einen angemessenen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, sind sehr unterschiedlich. Einige sind auf betriebliche Einzellösungen angewiesen. Diese gemeinsam mit allen Beteiligten zu entwickeln ist die Kernaufgabe von Jobcoaching. In vielen Prozessen haben wir bei unserer Arbeit sehr ermutigende Entwicklungen erlebt, von denen wir einzelne im
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Einleitung
Buch darstellen. Jobcoaching ist dabei sowohl bei neuen wie bei bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen einsetzbar (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. 2010). Jobcoaching firmiert unter verschiedenen Bezeichnungen. Häufig synonym verwendet wird der Begriff »Betriebliches Arbeitstraining«. In der Unterstützten Beschäftigung (UB) wird von Innerbetrieblicher Qualifizierung (InbeQ) gesprochen, die Fachkräfte heißen Qualifizierungstrainer. Unabhängig von der Bezeichnung ist es der besondere Ansatz von Jobcoaching, den Integrationsprozess direkt am Arbeitsplatz zu begleiten. Hierfür ist es notwendig, dass der Jobcoach am Arbeitsalltag teilnimmt und bereit ist, sich in die betrieblichen Abläufe zu integrieren. Das bedeutet konkret, Arbeitskleidung zu tragen, mitzuarbeiten, an Pausen teilzunehmen und damit die Arbeitssituation aus der Perspektive des unterstützten Arbeitnehmers, der Kollegen und der Vorgesetzten zu erleben und zu verstehen. Dies sind Beispiele für das, was wir Selbstintegration nennen. Sie ist der Schlüssel, der die Tür in den Betrieb öffnet. Daher ist Selbstintegration ein unverzichtbares Profilelement im Jobcoaching. Durch den engen Bezug zum Arbeitsalltag ihrer Klientinnen und Klienten erleben Jobcoaches deren unterschiedliche Anforderungen genauso hautnah wie ihre Fähigkeiten und Grenzen. Auf dieser Basis entwickeln sie lösungsorientiert Ideen, wie Inklusion gefördert werden kann. Parallel und eng verzahnt bieten sie Mitarbeitenden und Vorgesetzten unter anderem Beratung bei der Gestaltung von Arbeitsanforderungen und Arbeitsabläufen, bei der Entwicklung der Zusammenarbeit oder Fragen des Führungsstils an. Dabei spielt die Kommunikation eine wesentliche Rolle: Einerseits beginnen Missverständnisse und Unsicherheiten oft klein und unscheinbar, können sich aber ohne Klärung zu massiven Problemen auswachsen. Andererseits beginnt Veränderung häufig mit einer neuen Art und Weise, die Situation zu sehen und auf eine neue Art darüber zu sprechen. Jobcoaching bedeutet also die Verzahnung zweier Entwicklungsprozesse: dem des Arbeitnehmers beim Erlernen der Arbeitsaufgaben sowie dem des Betriebes im Umgang mit den behinderungsbedingten Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitnehmers. Grundsätzliche Voraussetzung für die Beratung ist ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zum Ratsuchenden. Ohne dieses erreicht auch ein
Geschichte des Jobcoachings
sinnvoll und richtig erscheinender Rat sein Gegenüber selten. Jobcoaches profitieren hierbei von ihrer besonderen Rolle im Betrieb: Sie erarbeiten sich meist eine hohe Akzeptanz nicht nur beim unterstützten Arbeitnehmer selbst, sondern auch bei allen anderen im Arbeitsumfeld. Durch ihre häufige Präsenz können sie unmittelbar bei Fragen oder Problemen zurate gezogen werden. Dies erleichtert es, im Arbeitsalltag Blockaden zu lösen und Brücken zu bauen. So werden sie zunehmend auch von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten geschätzt. Es geht dabei häufig um konkrete Themen aus dem Arbeitsalltag. Gelingt es dem Jobcoach, eine Lösung für Probleme zu finden, und erfahren die Beteiligten, dass auch ihre Anliegen aufgegriffen werden, gewinnt er schrittweise Vertrauen, und die Arbeit an einer tatsächlichen Integrationslösung erfolgt zunehmend gemeinsam. So können neue Chancen bei der Gestaltung der Teilhabe am Arbeitsleben und gelebte Inklusion entstehen.
Geschichte des Jobcoachings Die Wurzeln des Jobcoachings liegen in zwei Bereichen: einerseits im Konzept der Unterstützten Beschäftigung, das schwerpunktmäßig bei neuen Arbeitsverhältnissen zur Anwendung kommt, und andererseits im Bereich der Unterstützungsangebote der Begleitenden Hilfen für Menschen mit einer Schwerbehinderung bei bestehenden Arbeitsverhältnissen. Konzeptionelle Entwicklungen der Methodik haben ihren Ursprung in beiden Bereichen.
Jobcoaching in der Unterstützten Beschäftigung Ende der 1970er-Jahre wurde das Konzept der Unterstützten Beschäftigung (Supported Employment) im angloamerikanischen Raum entwickelt, in dem Jobcoaching einen zentralen Stellenwert hat. Die Aufgaben der Unterstützten Beschäftigung umfassen jedoch nicht nur die intensive Begleitung durch einen Jobcoach am Arbeitsplatz, sondern alle Aktivitäten und Maßnahmen, die zur Aufnahme einer bezahlten Beschäftigung notwendig sind, wie beispielsweise die Suche eines geeigneten Praktikums- oder Arbeitsplatzes (vgl. Doose 2012, S. 184).
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