„Die besten Frauen der Welt“ Ein Vergleich der Darstellung von Frauen- und Männerfußball

Julia Weinmann Matrikelnummer 01103778315 15.03.2010, 16. Semester Fachhochschule Köln, Köln International School of Design Diplomstudiengang Design Betreut durch Professorin Dr. Uta Brandes Nebenthema im Lehrgebiet Gender und Design

Danksagung Diese Arbeit hätte nicht geschrieben worden können ohne die Hilfe vieler Personen, die mich auf ganz unterschiedliche Weise unterstützt haben. Mein Dank geht an Frau Pro­fessorin Dr. Brandes, für stets offene Kritik während meines Studiums und die Be­ treuung dieser Arbeit. Das hat mich inspiriert und angespornt! An mein schier uner­ müdliches Korrektorinnenteam: Eika Auschner, Christiane Haenraets, Anne Nellen, Susanne Lucia Parthen und Miriam Seifert: ohne Eure Hilfe beim Polieren würds jetzt sicher ziemlich kratzen. An Angela Allgaier, für das Zumuten extrem langweiliger Bildkorrekturen und Blocksatzüberprüfung, für Tee und Beruhigung. An meine Mama fürs Bemuttern, als ich es brauchte. An das Vorstandsteam des designerinnen forums e.v. fürs Ideegeben für diese Arbeit. An Elias und Leila fürs Heißdenken für mich. An Ricardo und Les fürs An-Mich-Glauben. Und schließlich, vielleicht am wichtigsten, an all die, die versucht haben, mir die At­mo­ sphäre in meiner Schreibstube so schön wie möglich zu machen: Edgar, Susanne, Alba, Mårla, Monika, Mine, Fanny, Kirsten und all die anderen, die ich mit meinem müden Kopf grade vergesse. Vielen Dank!

Inhalt I. Vor dem Spiel

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I.1 Dopingprobe



I.1.1 Theoretische Chemie

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I.1.2 Angewandte Chemie

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I.2 Das Stadion

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Ecke: Organigramm des Fussballs

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I.3 Die Fankurve

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I.4 Einlaufen der Mannschaft

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II Anpfiff: Wo spielt die Musik?

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II.1 Erste Halbzeit von den Rängen aus: Fußballzeitschriften



II.1.1 Sportmagazine für Männer

24



II.1.1.1 Kicker

24



II.1.1.2 11 Freunde

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II.1.1.3 Zusammenfassung

35



II.1.1.4 Frauen in Sportmagazinen für Männer  37

Trophäengestaltung

39 II.1.1.5 Zusammenfassung:

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II.1.2 Zeitschriften für Frauenfußball

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II.1.2.1 frauenfussball magazin

42



II.1.2.2 11 Freundinnen

50



II.1.2.3 Zusammenfassung

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II.1.2.4 Männer in Frauensportmagazinen

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Strafraum: Homosexualität als Störfaktor

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II.2 Zweite Halbzeit vom Rasen aus: Homepages



II.2.1 Homepages von Fußballerinnen

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II.2.2 Homepages von Fußballern

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III Trikottausch: Rollenangebote

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III.1 Rollenangebote für Männer

Ragnarök in Adidas

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III.2 Rollenangebote für Frauen

IV Revanche

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Bibliographie

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I. Vor dem Spiel Im Zuge des cultural turns haben wir gelernt, Kultur nicht als bloße Ansammlung materieller Dinge, sondern vielmehr als einen Prozess, als Praktiken und Regeln, mit denen wir Bedeutung generieren, wahrzunehmen. Damit wurde die Frage re­ levant, wie die Vorstellungen einer Gesellschaft deren Sozialleben strukturieren. Unser Blick wurde geschärft für die Pluralität der gleichberechtigt und zeitgleich getroffenen Interpretationen unserer Welt, für die mannigfaltigen Parallelwelten, die in unserer Gesellschaft aufblühen. Dabei ist das Visuelle in den Industrie­nationen zweifellos ein zentra­ les Instrument zur Konstitution, Strukturierung und zum Verständnis unserer Le­benswelt. Bilder der Werbung, Überwachungskameras, Infobild­schirme, Kar­ ten prägen den Stadtraum, Fernsehen, Magazine, Fotografien, Illustrationen, Filme, Gemälde, Zeitungsbilder und medizinische Bildgebungsverfahren unser Privatleben. All these different sorts of technologies and images offer views of the world; they render the world in visual terms. But this rendering, even by photographs, is never innocent. These images are never transparent windows onto the world. They interpret the world; they display it in very particular ways. Rose 2007: 2

Diese spezifischen Interpretationen gilt es zu untersuchen, wenn wir verstehen wollen, wie unsere Welt warum aussieht. Wir als Interpretierende kommen aus einer Denk- und Wissenstradition, wir kommen von einem bestimmten sozia­ len Ort, und all das bildet quasi die Atome unseres kognitiven Körpers1. Wenn wir unsere Welt bewusst bewohnen und verstehen wollen, warum bestimm­ te Prozesse so ablaufen, wie sie es tun, warum manche Interpretationen je nach Betrachtungsstandpunkt näher liegen, müssen wir diese Atome so gut wie mög­ lich isolieren und beobachten. Nach meinem Berufsverständnis liegt es in unserer Verantwortung als DesignerInnen, darüber nachzudenken, wie unsere Gesellschaft ist und wie sie sein könnte. Nicht alleinverantwortlich, aber über unsere Verantwortung als Gesellschaftsmitglied hinaus. Dabei sollten DesignerInnen beherzt und verstärkt in die Laborkittel der Chemiker schlüpfen, die die Reaktionen der kognitiven Atome beobachten und in Gang setzen. Dies sollte nicht MarktforscherInnen, PhilosophInnen oder KulturwissenschaftlerInnen allein überlassen werden; spielen schließlich bei der Analyse des Ist-Zustandes wie beim Entwurf ei­ nes Soll-Zustandes unserer Welt designimmanente Qualitäten und Methoden Schlüsselrollen: wir beschäftigen uns mit der Wirkung und der Emotionalität von Bildern und Gegenständen, wir suchen nach verschiedenen Wegen, eine Botschaft möglichst klar zu vermitteln. Gute DesignerInnen sollten also wie EthnologInnen in der Lage sein, aus der alltäglichen (Wahrnehmungs-) Rolle herauszuschlüpfen und sich einer zweiten Sozialisation, dieses Mal mit genauer Protokollierung dessen, was ih­ nen tradiert wird, zu unterziehen. Nur so wird es möglich, die scheinbare Natür­ lichkeit der uns umgebenden Phänomene in ihre kognitiven Atome oder mindes­ tens Moleküle aufzulösen und so maximale Freiheit zur Erstellung völlig neuer Materien zu erlangen. Dabei kann es nicht ausbleiben, dass einige Moleküle sich nicht so einfach auflösen lassen: viele der Prozesse, mit denen wir die Welt wahr­

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Foucault spricht an anderer Stelle von „Atomen des Diskurses“, die mir den oben genann­ten kognitiven Atomen verwandt scheinen; dazu mehr im Abschnitt I.1.1.

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nehmen, sind so eingespielt und bewährt, dass uns die mentalen Substanzen zur Isolierung der Atome fehlen. Die vorliegende Arbeit ist ein Protokoll einer solchen Mole­kül­ isolierung. Die Untersuchungssubstanz ist die Darstellung von Fußball in den Medien, und der von mir bearbeitete Molekülkomplex ist unsere Vorstellung von Geschlechter­rollen. Die vorgefundenen Atome und kleineren Molekül­gruppen werden im Laufe dieser Seiten vorgestellt; ich zähle darauf, dass dieser Arbeit viele weitere folgen werden, und dass, vielleicht noch wichtiger, die kritische Rezeption und Reproduktion von scheinbaren Wahrheiten zunimmt. Dass Fotos weiter entnaturalisiert werden, statt sie als Belege einer Faktizität zu lesen, die so nie existiert hat. Dass Lese- und Formatgewohnheiten von DesignerInnen nicht von diesen und den LeserInnen ihrer Produkte als Vorwand genommen werden, Botschaften zu zementieren, die sie bei genauerem Überlegen nie absenden woll­ ten. Dass wir unsere Spiel-Räume zur Neu-Interpretation und zur Neugestaltung der Welt nutzen und anderen die Nutzung dieser Räume erlauben.

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I.1 Dopingprobe I.1.1 Theoretische Chemie Welche Verfahren lassen sich verwenden, um die in der Einleitung postulier­ ten kognitiven Atome aus ihren teils sehr langkettigen und räumlich komplexen Verbindungen zu isolieren? Theoretisches Futter liefert mir hier die Diskursanalyse nach Foucault. Über dieses Thema ist, teilweise sehr kontrovers, viel geschrieben worden; ich werde hier nun zunächst versuchen, den meist recht blumig definierten Diskursbegriff Foucaults zu erschließen, um im Teil I.1.2 die für mein Thema re­ levanten Forschungs­fragen aufzulisten. Um nicht wieder in die Naturalisierungs­ falle zu tappen, ist es dabei wichtig, immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass jeder Diskurs zwangsläufig ein Konstrukt des Forschenden ist, da dieser unter­ stellt, dass den ermittelten empirischen Daten eine verbindende Struktur und ein Zusammenhang zugrunde liege (Keller 2007: 79). Ein Diskurs ist ein System der Strukturierung (und damit implizit der kog­nitiven Erschließung von Phänomenen), das an einem spezifisch definierten historischen, sozialen und kulturellem Ort gültig ist. Es produziert Aussagen, und zwar Aussagen, die dadurch, dass sie von eben jenem Ort des legitimierten Sprechens aus getroffen werden, als wahr gelten. Das Sagbarkeitsfeld kann durch direkte Verbote und Einschränkungen, Gesetze, Richt­linien, An­spie­lungen, Implikate, explizite Tabuisierungen aber auch durch je­ weils (mehr oder minder) gültige Normen, Konventionen, Verinnerlichungen und sonstige Be­wusst­seinsregulierungen eingeengt oder auch überschritten werden. (Jäger 2007: 35)

Der Diskurs produziert, verwirft und bestätigt also Wissen und Be­ deu­tung. Dies tut er durch „einen gemeinsamen Redegegenstand, also einen im kul­turellen Wissen schon konstituierten oder sich konstituierenden ‚Objekt­ber­ eich‘“ sowie durch regelmäßige (und durch die ihm eigenen Regeln strukturier­ te) Äußerungen (Richter/­Schönert/­Tietzmann 1997:  19f. zitiert nach Singh 2008: 34). Der Diskurs ist dabei nicht nur strukturiert durch die vorliegen­ den diskursiven Regeln, die Diskursort, Diskursteilnehmer und als wahr gelten­ de Äußerungen betreffen, sondern auch durch Institutionen, die wiederum aus Dis­kursen hervorgehen. Zudem gibt es auch diskursive Ereignisse, die: „vor allem medial und politisch“ so betont werden, dass sie die Richtung und Qualität ihres Diskursstranges maßgeblich beeinflussen ( Jäger 2007: 27)2. Foucault 2009:  213 ergänzt, „[…], dass der Diskurs nicht für die Gesamt­heit der Dinge gehalten werden darf, die man sagt, und auch nicht für die Art und Weise, wie man sie sagt. Der Diskurs ist ganz genauso in dem, was man nicht sagt oder was sich in Gesten, Haltungen, Seinsweisen, Verhaltensschema­ ta und Gestaltungen von Räumen ausprägt. Der Diskurs ist die Gesamtheit er­ zwunge­ner und erzwingender Bedeutungen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse durchziehen.“ 2

Sarasin 2003: 37 führt weiterhin aus, dass Diskurse nicht nur durch die oben skizzierte Diskursordnung strukturiert werden, sondern auch durch ihre sprachliche Natur (daher mit polysemischem Zeichensystem) und die „Eigenlogik der entsprechenden Medien: Dis­kurse sind auf Medien angewiesen, die in ihrer je spezifischen materiellen und sozialen Eigenart Bedingungen des Aussagens darstellen und die Rezeption beeinflussen, noch lange bevor ein Autor etwas sagen wollte.“

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Bublitz et al. 1999: 10f. postulieren dabei mit Foucault, dass mo­ derne Gesellschaften diskursiv erzeugte Wahrheiten verehren, dass dahinter aber eine Angst „vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen all jener Aus­sagen, vor (…) jenem großen unaufhörlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses“ stecke (Foucault 1974 nach Bublitz et al 1999: 10). Daher ist eine strikte Kontrolle, Selektion und Organisation des Diskurses ebenso not­ wendig wie Verbote und Schranken, so dass die Einbringung „wilden Materials“ nicht völlig unkontrollierbar geschehen kann. Die Kontrolle funktioniert über Ritualisierung und Tabuisierung von Inhalten und Gegenständen, „sie erfolgt auf der Ebene des Diskurses, nicht jen­ seits oder außerhalb des Diskurses, nicht jenseits oder außerhalb der Macht.“ (Bublitz et al 1999: 11). Diskurse sind also, so Bublitz et al 1999: 12 weiter, ent­weder „Ordnungshüter“ oder „Rebellen“ „gegen oder für einen bestehenden Macht-Wissen-Komplex“, die Strukturen hervorbringen, die gleichzeitig bewah­ ren wie verändern und die zwischen Alltagsethik, Denkformen und institutionel­ len Praktiken Verbindungen schließen. Diskurse steuern den Abgrenzungsprozess der Gesellschaft gegen das Anormale, Unvernünftige, Falsche. Diskurse werden über Dispositive, institutionalisierte Infrastruktur, im Alltag verankert, die als Interventionsinstrument von Diskursen fungieren. Bei­spiele für Dispositive sind etwa Zuständigkeitsbereiche, Technologien, Sank­ tions­instanzen, Ausbildungsgänge. (Keller 2007: 63) Es existiert natürlich in einem bestimmten Bereich nicht nur ein Diskurs, sondern mehrere miteinander konkurrierende. Jede Kultur besteht aus vielen Diskursgemeinschaften, das heißt, Gemeinschaften, die eine „Sinn­ vorstellung“ teilen, die bestimmte „Bedeutungszuordnungskonventionen“ tei­ len, kurz „Gruppen, die durch die Anerkennung und Befolgung relativ homoge­ ner Aussagen­systeme (Doktrinen, Ideologien, Diskurspositionen, „Wahrheiten“) zusammen­gehalten werden.“ ( Jäger 2007: 30f ) . Das kleinste Element des Diskurses ist die Aussage. Foucault unter­ scheidet dabei ( Jäger 2007:  26) zwischen den eher zufälligen Äußerungen und den „Atomen des Diskurses“, festen Aussagen, deren Äußerung zu keinem Zeitpunkt falsch ist und deren Inhalt nur gering variiert. Mit Aussage bezeichnet die Diskursanalyse also nicht einzelne Sätze, sondern die Synthese aus verschiede­ nen Texten3. Das nächst größere Element ist das Diskursfragment (also ein Text oder Textfragment, der oder das ein bestimmtes Thema behandelt), das danach der Diskursstrang (monothematische Diskursverläufe) und schließlich der gesell­ schaftliche Gesamtdiskurs zu einem bestimmten Oberthema, der alle miteinan­ der verflochtenen Diskursstränge vereint. ( Jäger 2007: 25)

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Text muss hierbei nicht Schriftstück bedeuten; ein Text kann ebenso ein Bild, eine Handlung, eine Website, ein Produkt sein. Große Teile der Diskursanalyse untersuchen allerdings bisher sprachliche und schriftliche Äußerungen, wohl auch, weil KulturwissenschaftlerInnen häufig die Kompetenz zur Untersuchung von z.B. Formsprache abzugehen scheint; dies ist ein weiterer Hinweis für die Unumgänglichkeit der Einbindung von Designern in Prozesse, die versuchen, Kulturen zu „lesen“ Die im Rahmen einer Diskursanalyse zu untersuchenden Daten gruppiert Keller 2007: 82f in vier Gruppen: textförmige Daten wie Bücher, Gesetzestexte, Satzungen, Zeitungsartikel, Gebrauchsanweisungen, Interviewprotokolle, Blogeinträge, audiovisuelle Daten wie Werbetrailer, Bilder, Filme, Fernseh- und Rundfunkreportagen, Lieder, „Vergegen­ ständlichungen in Objekten“ wie Sportstadien, Bälle, Stulpen und soziale Praktiken (etwa Demonstrationen, das Singen der Nationalhymne, andere symbolische Gesten).

Wichtig ist es, dabei zwischen Text- und diskursiver Wirkung zu un­ terscheiden. Einzelne Texte oder Textfragmente wirken in Hinsicht auf den Gesamtverlauf des Diskurses kaum spür- und noch schlechter nachweisbar; erst durch die ständige Wiederholung von „Inhalten, Symbolen und Strategien“ er­ zeugt der Diskurs seine Wirkung, indem er wie durch stetige Ablagerung von Mineralien Wissensstalaktiten bildet ( Jäger 2007: 32). Verkürzt zusammengefasst untersucht Diskursanalyse also den Diskurs als „Fluss von Wissen durch die Zeit“ ( Jäger 2007: 15). Dabei gilt es, heraus­ zufinden, wie nichtsprachliche Dinge wie Praktiken, Gesten und Gegenstände ihre Bedeutung erlangen (Sarasin  2003:  36) und welche Rolle Institutionen, Normen und Konventionen spielen (Keller 2005: 11). In der vorliegenden Arbeit werden bestimmte Diskursfragmente aus verschiedenen Diskurssträngen (etwa Geschlechterrollen, Kommerzialisierung, Gewalt, Integration und Abgrenzung) des Fußballdiskurses genauer betrachtet. Bei den Diskursfragmenten handelt es sich vor allem um Texte aus dem Fußball gewidmeten Magazinen und Websites (siehe Kapitel II.1 und II.2). Für eine klassische Diskursanalyse wären viele Faktoren zu unter­ suchen4, darunter die beteiligten Akteure, deren Interessenlage, Ressour­cen und Strategien, den historischen, kulturellen und sozialen Aussageort, die Adres­ saten, die Traditionen der einzelnen Äußerungen, ihr erstes Auftreten im Gesamt­ diskurs, Entstehung des Diskurses und der Infrastruktur, auf der er aufgebaut ist, Veränderung im Laufe der Geschichte, manifeste und latente (etwa moralische oder ästhetische Bewertungen oder Wahrnehmungsschemata) Inhalte, rhetori­ sche Mittel und materiale Praktiken, verwendete Symbole und Metaphern, insti­ tutioneller Rahmen, Textsorte, Autoren des Textes, Verhältnis zu konkurrieren­ den, benachbarten und übergeordneten historischen wie aktuellen Diskursen und die gesellschaftlichen Folgen des Diskurses. Nach dieser Kurzübersicht verwundert es nicht, dass Diskursanalysen gewöhn­licherweise in großen Forscherteams in Untersuchungen, die teilwei­ se Jahre dauern, geleistet werden, und ebenso wenig kann verwundern, dass die­ se Arbeit das nicht leistet. Nichts destotrotz lässt sich die Diskursanalyse auch für diese Arbeit fruchtbar machen, indem sie die zu untersuchenden Texte nicht als individuelle Äußerungen, sondern als Bausteine, Foucaultsche Diskursatome, ei­ nes größeren Zusammenhangs liest und deutet. Ich werde in der Analyse der aus­ gewählten Medien häufiger auf Wiederholungen und Variationen im Diskurs hinweisen, und auch die hier eingeführte Terminologie gebrauchen, um auf diese größeren Zusammenhänge hinzuweisen.

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Vor allem wäre in diesem Fall mein Archivkorpus viel zu klein, da sich die Diskursanalyse eben mit den Mustern der Einzeläußerungen im Diskursstrang beschäftigt. Siehe für eine umfangreiche Liste von Analysekriterien etwa Jäger 1999: 175ff. oder Keller 2005: 257ff. Die Korpusbildung stellt den Forschenden angesichts der schier unergründlichen Menge der möglichen Archivbestandteile bereits vor methodische Fragen. Keller 2007:  86 nennt einige der wichtigsten: Welche Daten passen zu den Forschungsfragen? Welcher Zeitraum, welche sozialen und physischen Räume sollen erfasst werden? Stehen die entsprechenden Daten zur Verfügung und welcher Datenumfang kann im Rahmen der verfügbaren Ressourcen bearbeitet werden? Auf welche Merkmale hin sind diese Quellen selektiv (dies unter der Annahme, dass zwangsläufig alle Quellen mindestens in Aspekten selektiv sind) und nach welchen Kriterien treffen sie ihre Vorauswahl? Wie kann man diese Selektivität bei der Untersuchung berücksichtigen? Wann und mit welchen Begründungen wird die Datensammlung als abgeschlossen angesehen?

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I.1.2 Angewandte Chemie Um die von mir ausgewählten Diskursfragmente analysieren zu können, prüfe ich sie gegen alle oder einiger der im Folgenden vorgestellten Forschungsfragen ab. Dabei habe ich mich vor allem von Jäger 1999: 175ff und Rose 2007 inspirie­ ren lassen.

1. Sprachliche Ebene Hier betrachte ich die sprachlich-rhetorischen Mittel wie Argumenta­tions­ strategien, (Brüche in der) Logik, Komposition, Anspielungen, Symbolik, Rede­ wendungen, Sprichwörter, Wortschatz und Wortschöpfungen und Stil. Kommt es zu Bildbrüchen der verwendeten Sprachbilder, erinnert der Text an eine be­ stimmte literarische Gattung, wird eher Hoch- oder Um­gangs­sprache verwendet, Auf­fällig­keiten bei Anfängen, Schlüssen und Abschnitts­übergängen, wodurch wird Textkohärenz hergestellt (Wiederaufgreifen von Worten, Konjunktionen…), welche syntaktischen Mittel werden verwendet (Länge, Unterordnung der Sätze, Vergleichs­sätze, Komplexität, Lesbarkeit, Verständlichkeit…)?

2. Formal-ästhetische und semiotische Ebene Hier geht es um die Oberfläche des Textes: wie ist er durch Layout gegliedert, welche Fotos, Grafiken enthält er und wie wird die Beziehung zwischen sprach­ lichen und bildlichen Elementen gestaltet? Wen spricht die Gestaltung an, wel­ chen Lese- und Sehgewohn­heiten versucht der Autor zu entsprechen? Sarasin 2003: 38f. weist auf den Erkenntnisgewinn hin, wenn man wirt­schaftliche wie technische Hintergründe der Buchproduktion untersucht: „Autoren und Verleger versuchen deshalb, ‚Protokolle‘ möglicher Lektüren schon im Buch einzuschreiben und dessen Rezeptionsweisen durch typografische Ver­ fahren, Leseanleitungen etc. vorzuschreiben, um damit bestimmte Sinneffekte zu er­zeugen.“ Über Umfang, Preisgestaltung, Typografie und Vertriebsweisen wer­ den bestimmte Untergruppen der Gesamtgesellschaft angesprochen; die enthal­ tenen Leseanweisungen heißen mit Gérard Genette „Paratexte“: jene „Elemente eines gedruckten Textes, die auf ihn hinweisen, ihn einleiten, ihn in einen thema­ tischen Zusammenhang stellen, Hinweise auf seinen richtigen Gebrauch geben, seine Bedeutung unterstreichen und seinen Sinn erläutern: Titel und Untertitel, Illus­trationen, Vorworte, Adressaten, Klappentexte, Inserate und Ähnliches.“ (Sarasin 2003: 38). Zur Analyse der Bilder selbst hat sich das Buch von Rose 2007 als sehr fruchtbar erwiesen. Sie schlägt unter anderem5 folgende Analysekriterien vor (40ff.): 1. 2. 3.

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Inhalt Was ist tatsächlich auf dem Bild zu sehen?



Farbigkeit Farbton, Sättigung und Tonwert, Kontraste



Inszenierung der Räumlichkeit Wie wird der dreidimensionale Raum auf dem Bild dargestellt? Wie sind die Flächen des Bildes verbunden oder isoliert? Entsteht ein dynami­ scher oder statischer Rhythmus? Entsteht ein einfacher oder komplexer

Rose stellt 12 verschiedene Verfahren der Bildanalyse vor, die sich für unterschiedliche Quellen und Forschungsvorhaben eignen, und in jeweils unterschiedlichem Maße auf Produktion, Bild selbst und Rezeption eingehen.

Raum? Auf welcher Höhe liegt der Fluchtpunkt? Wo befindet sich der Betrachterstandpunkt? 4.

Lichtsituation

5.

Atmosphäre

3. Inhaltliche Ebene Diese Ebene wird von den beiden anderen Ebenen gestützt und ist nicht los­gelöst von ihnen zu betrachten. Hier geht es um die Entschlüsselung der in 1 und 2 vor­ gestellten Kommunikationsmittel: Welche Botschaft wird vermittelt mittels wel­ cher sprachlichen und propagandistischen Mittel? Wie gut funktioniert das? Welche Zielgruppe wird angepeilt? Soll der Gesamtdiskurs gestützt oder verän­ dert werden? Zusätzlich geht es hier auch um das Verhältnis zu den anderen Texten und Textfragmenten im Diskursstrang. Welches Menschenbild, Gesellschaftsund Sportverständnis, welche Zukunftsvorstellung werden transportiert? Mit diesem recht generellen Versuchsaufbau werde ich hier schließen, gemäß des Mottos: This book offers some guidelines for investigating the meanings and effects of vis­ ual images. But the most exciting, startling and perceptive critics of visual im­ages don’t in the end depend on their sound methodology, I think. They also depend on the pleasure, thrills, fascination, wonder, fear or revulsion of the person look­ ing at the images and then writing about them. Successful interpretation depends on a passionate engagement with what you see. Use your methodology to disci­ pline your passion, not to deaden it. Rose 2007: xv.

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I.2 Das Stadion Die historischen Ursprünge des Fußballs sind umstritten und für diese Arbeit nicht von Relevanz. Hier interessiert uns Geschichte nur insoweit6, als diese hilft, mit­zuerklären, wie sich Fußball als Symbol von Identifikation entwickelt hat, wel­ chen Geschmack das Wort heutzutage im Mund hinterlässt. Bereits seit dem 10. Jahrhundert sind in Europa Fußballpartien be­ kannt. „Volksfußball“ gilt als wild, rau, unzivilisiert und riecht nach Klassenkampf, weswegen er häufig verboten ist. Feministische Sportwissenschaftlerinnen (siehe z.B. Jöcks 1999: 292) berichten auch von Frauenfußballspielen in schottischen Dörfern im 18. Jahrhundert, die der Brautschau dienten. Mitte des 18. Jahrhunderts wird Fußball dann, im Zuge der Zivilisation der Gesellschaft und speziell der Unterschicht7 und mit dem Wegbrechen seiner ur­sprünglichen Klientel durch die erste Industrialisierungswelle, von englischen Privat­schulen reglementiert und in seine heutige Form gebracht. Dabei sollen nicht nur die Wilden zivilisiert, sondern bei den bereits Zivilisierten Schmerz­ resistenz und Durchsetzungsvermögen gefördert werden (vergleiche Jöcks 1999: 297). 1849 werden in Eton die Regeln, nach denen mehr oder weniger heu­ te noch gespielt wird, schriftlich festgehalten, 1863 die Football Association (FA) ge­gründet. Die Existenz der Regeln macht Zuschauen verhältnismäßig gefahr­ los möglich, und zwischen 1850 und 1900 wird Fußball ein immer beliebterer Massen- und Zuschauersport. In der Öffentlichkeit ausgeübter Sport ist für Frauen tabuisiert; er widerspricht den Vorstellungen vom weiblichen Körper, der schwach zu sein hatte, mit Tendenz zur „Schwindsucht“8. Es wird vermutet, Sport führe zur Vermännlichung, da er die Gebärmutter im Körper auf und abhüpfen lasse, was zwangsläufig in einer Schwächung dieser resultiere (Meier 2005: 80). Dennoch ist Frauenfußball keine seltene Erscheinung. Dabei sind die Sporthosen ein Stein des Anstoßes; zu Recht wird ver­ mutet, dass Frauen sich mittelfristig nicht mit dem Tragen von Hosen zufrie­ den geben, sondern sich begehrlich nach weiteren Privilegien der Männer aus­ strecken werden. Dennoch gründet schon 1894 Nettie Honeyball das erste of­ fi­zielle Frauenteam, ein Jahr später spielt dieses vor 10.000 Zuschauern und zwar in Knickerbocker. Obwohl es in Privatschulen auch von Mädchen im Sport­ unterricht gespielt wird, ernten Fußballerinnen bei öffentlichen Spielen viel Spott, bis es 1902 zu einem staatlichen Verbot durch die britische Regierung kommt ( Jöcks 1999: 293). Mittlerweile gibt es durch das Entstehen einer breiteren Mittelschicht erst­mals Freiräume für Breitensport (vergleiche auch Meier 2004: 80f ). Die ar­bei­ ten­den Massen interessieren sich wieder verstärkt für Fußball. Lenhard 2002: 46 deu­tet die Attraktivität des Fußballs für Proletarier mit der Darstellbarkeit eige­ ner Werte und Lebenserfahrungen (etwa Kraft, Härte, Robustheit, Ausdauer, List, Ge­schicklichkeit) sowie mit einer preiswerten Möglichkeit, der Monotonie des All­tags zu entfliehen. Zudem festige es das „klasseninterne Gemeinschaftsgefühl“,

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Im Folgenden halte ich mich, soweit nicht anders notiert, an die Ausführungen von Len­ hard 2002: 44ff. Vergleiche Elias/Dunning 2003. Vergleiche Meier 2004: 81. Für eine Übersicht der mit Weiblichkeit verbundenen Mythen und Fantasien siehe von Braun 2007.

indem es zumindest auf dem Spielfeld potentielle Siege über die herrschende Klasse ermögliche.9 1883 ist das erste Jahr, in dem eine aus der Arbeiterklasse stammen­ de Mannschaft das FA-Cupfinale gewinnt, nach und nach ziehen sich daraufhin Bürger­tum und Aristokratie aus dem Spiel zurück. Durch die rasch ansteigenden Zuschauerzahlen ist es schon 1885 möglich, Profisportler zu bezahlen, ab 1888 gibt es die erste nationale Liga der Welt, die Football League. Von England breitet sich der Fußball als Massensportart aus, in ande­ ren Ländern sehr schnell, in Deutschland zunächst eher schleppend. Das Spiel wird als „englische Krankheit“ (Lenhard 2002: 49) bezeichnet und vor allem von der Turnerbewegung als undeutsch charakterisiert. Dennoch wird ab 1874 Fußball nach und nach an Gymnasien im Sportverein eingeführt und 1900 der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gegründet. In Bayern bleibt es allerdings bis 1913 verboten. Zunächst ist Fußballspielen, analog zu England, vor allem an den Schulen verbreitet und viele der erfolgreichen Bundesligaclubs (HSV, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt, VfB Stuttgart) gehen aus Schülermannschaften hervor. Langsam bilden sich Vereine aus katholischen Vereinigungen (Borussia Dortmund), aus Turnvereinen (FC Bayern München) und aus informellen Zusammenschlüssen von Nachbarn (FC Schalke 04) heraus. Die Jahre des ersten Weltkriegs sind in England eine Blütezeit des englischen Frauenfußballs: die FA hat sich überlegt, Frauenspiele als Wohl­ tätigkeitsevents zu vermarkten. Meier 2004: 87 kommentiert dies so: „Die In­ dustriearbeit [in den Fabriken als Ersatz für die kriegsbedingt abwesenden Männer, JW] bewirkte eine klassenübergreifende Frauensolidarität, führte zur Auflösung von Mythen über weibliche Zurückhaltung, Verletzlichkeit und Passivität und förderte so die Gründung von Frauenteams. Die stetige Forderung nach weiblicher Emanzipation verlief parallel zu dieser Entwicklung.“ Das be­ rühmteste Team der 1920er Jahre hieß Dick Kerr’s Ladies10. Obwohl 1920 internationale Frauen-Länderspiele stattfinden, wird 1921 Fußball zumindest in England für Frauen erneut verboten, da es sich für Frauen nicht eigne. Der FA angeschlossene Clubs werden bestraft, wenn sie ihre Infrastruktur den Fußballerinnen zur Verfügung stellen. So erlischt 1921 der Frauenfußballboom wieder (Meier 2004: 82ff.). In Deutschland kann sich der Frauenfußball zuerst nicht durchsetzen, besonders, da aus Angst vor gesundheitlichen Schäden dieser aus langweiligem Im-Kreis-Spielen besteht. Im Nationalsozialismus wird die Sportart11 als „nicht dem Wesen der Frau entsprechend“ sanktioniert. Nach dem Krieg kommt es zur Einführung des Profitums auch in Deutschland – und nach dem gesteigertem Interesse von Frauen am Fußball 1955 9

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Die Deutung leuchtet ein, bei genauerem Betrachten wird aber klar, dass diese Zuschreibungen auch für mehrere andere Sportarten hätten gemacht werden können (allen voran der frühere Konkurrent Rugby, der auch aus dem Volksfußball entstanden und dann an einer Public School in Rugby seine heutige Form erhielt). Sportarten eignen sich also, wie alle kulturellen Gegenstände, zur Aufladung mit Symbolen, eine Zwangsläufigkeit besteht jedoch nicht. Dieser Name lässt erahnen, dass diese Teams von der FA als Publikumsattraktion in der Tradition der freak shows konzipiert waren: Dick Kerr hier als Zirkusbesitzer, der sein Team sogar nach Australien schickte. Andere Sportarten, die von dieser Einschätzung betroffen waren, waren Skispringen, Boxen, Bobfahren, Radrennen, Ringen, Langstreckenlauf. Diese Information wie die des gesamten Absatzes entnehme ich Jöcks 1999: 293.

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zu einem Verbot des Frauenfußballs in Deutschland durch den DFB (Meier 2004: 85). Das Interesse der Frauen steht sicherlich auch in Verbindung mit dem „Wunder von Bern“, bei dem ein überraschender Sieg gegen Ungarn dem deut­ schen Nationalstolz zum ersten Mal nach dem Ende des zweiten Weltkriegs eine Gelegenheit zum Aufblühen bietet12. Wir „sind wieder wer“13. Daraufhin schoss das Interesse am (organisierten) Fußballspielen bei Männern wir Frauen in die Höhe. Nachdem sich FIFA und UEFA 1969 immer noch standhaft weigern, Frauenfußball zu akzeptieren, wird in diesem Jahr die FIEFF (Confederation of Independent European Female Football) gegründet, die 1970, durch Martini  & Rossi gesponsert, die erste inoffizielle WM der Frauen in Italien ausrichtet. Um den offensichtlich wild entschlossenen Frauen nicht komplett unbeaufsichtigt und unkontrolliert das Feld zu überlassen, empfiehlt die UEFA nach der im Jahr darauf stattfindenden zweiten Frauen-WM14 ihren Mitgliedern, Frauenverbände in Zukunft zuzulassen und die Organisation dieser zu übernehmen. Der DFB tut dies am 30.10.1970, am meisten Zeit lassen sich in Europa damit die Italiener (1986). Trotzdem dominieren letztere den Frauenfußball der 1970er und 1980er, da sie durch private Förderer und Firmensponsoren über viel Geld verfügen, mit dem sie ausländische Topspielerinnen einkaufen können. (Meier 2004: 80ff.) Seit dem Ende der 1980er Jahre gibt es laut Meier 2004: 87 keine an­ dere Sportart mit derartigen Zuwächsen, was sich auch in sportlichen Erfolgen zeigt. 1982 gibt es die erste offizielle deutsche Frauen-Nationalelf, 1989, 1991, 1995, 199715, 2001, 2005 und 2009 wurden diese Europameisterinnen, 2003 und 2007 Weltmeisterinnen16. Die deutschen Männer sind dagegen etwas abgeschla­ gen: zwar waren diese seit 1930 drei Mal Weltmeister, aber sie haben den Titel noch nie siegreich verteidigt, und drei gewonnene Europameisterschaften seit 1960 lassen diese von den Erfolgen der deutschen Frauen träumen. Weltweit ist Frauenfußball seit 1996 als olympische Disziplin zu­ gelassen, 2006 waren bei der FIFA 26 Millionen Fußballerinnen aus über 100 Nationen weltweit registriert; dies entspricht einem Anteil von etwa 10% aller Fußballspielenden sowie einem Wachstum von 54% seit dem Jahr 2000. 23% dieser Spielerinnen kommen vom nord- oder zentralamerikanischen Kontinent, 11% vom südamerikanischen, Europa und Ozeanien teilen sich den dritten Rang mit jeweils 10%, danach kommen Asien mit 6 und Afrika mit 3%. Diese Zahlen unterscheiden sich gravierend von denen der Fußballer, wo Asien mit 33% den höchsten Fußballeranteil hat, gefolgt von Europa mit 23%, Afrika mit 17%, 12

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Peinlicherweise, so zumindest http://de.wikipedia.org/wiki/Wunder_von_Bern, verloren vor lauter patriotischem Fieber die Spieler den Kopf und sangen statt der Nationalhymne („Einigkeit und Recht und Freiheit…“) die erste Strophe des Deutschland („Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt,
wenn es stets zu Schutz und Trutze
brüderlich zusammenhält,
von der Maas bis an die Memel,
von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt!“). Vergleiche auch http:// www.das-wunder-von-bern.de/hintergrund_bedeutung.htm, jeweils letzter Zugriff 15.2.2010. Interessanterweise findet sich genau diese Redeweise fast jedes Mal, wenn von den Auswirkungen Berns auf das Wirtschaftswunder und auf das Selbstgefühl der Deutschen gesprochen wird, es scheint, als sei dies der kanonisierte Kommentar. Leider ist es mir nicht gelungen, einen Urheber des Kommentars ausfindig zu machen; wie so oft bei ritualisierten Aussagen verschwindet der Autor im Dunklen. Die in Mexiko stattfindende WM schaffte es leider nur durch die Schlägereien im Halbfinale zwischen Mexiko und Italien in die Presse. Bis 1997 fanden die Europameisterschaften im Zweijahrestakt statt, mittlerweile wie bei den Männern alle vier Jahre. Die ersten offiziellen FIFA-Weltmeisterschaften der Frauen wurden 1991 in China veranstaltet.

Nord- und Zentralamerika mit 16% und Südamerika mit 11% (Ozeanien 0%).17 Hier wäre eine genauere Untersuchung der Einstellungen zu Fußball auf den un­ terschiedlichen Kontinenten mit anschließendem Versuch der Erklärung der gro­ ßen Verbreitungsunterschiede interessant.

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http://de.fifa.com/mm/document/fifafacts/bcoffsurv/bigcount.­statspackage%5f7024.pdf, letzter Zugriff 15.2.2010.

Ecke: Organigramm des Fussballs Neben zahllosen informellen Teams, die mehr oder weniger regelmäßig und mehr oder minder regelkonform gemeinsam Fußball spielen, gibt es auch den in Vereinen oder Clubs organisierten Fußball. Diese schließen sich zu einem Fußballverband zusammen; in Deutschland ist das der 1900 gegründete Deutsche Fußballbund (DFB)1. Dort sind etwa 26.000 Vereine, 178.000 Mannschaften und 6,7 Millionen Mitglieder vereint. Der DFB organi­ siert unter anderem den Kampf um den Deutschen Meisterschaftstitel und den DFB-Pokal, jeweils für Männer und Frauen. Er ist im Kontinentalver­ band Union des Associations Européennes de Football (UEFA)2 orga­ nisiert, die 1954 gegründet wurde und 53 nationale Verbände erfasst. Die UEFA organisiert unter anderem die Europameisterschaften (EM) und die jeweiligen Junioreneuropameisterschaften; außerdem die Champions League. Sie ist wiederum in der Fédération Internationale de Football Association (FIFA)3 erfasst, die als 1904 gegründeter Weltfußballverband Obergewalt über Regeln innehat und in der alle sechs Kontinentalverbände Mitglied sind. Von der FIFA werden unter anderem Weltmeisterschaften, Junioren-Weltmeisterschaften, Klub-Weltmeisterschaft und das olympi­ sche Fußballturnier organisiert. Hier werden in Kommissionen bestimm­ te Aspekte des Fußballs bearbeitet, etwa Ethik und Fairplay, Frauenfußball, rechtliche Fragen, Marketing und Medien… 1 2 3

http://www.dfb.de/index.php?id=46, letzter Zugriff 20.2.2010. http://de.uefa.com/index.html, letzter Zugriff 20.2.2010. http://de.fifa.com/index.html. letzter Zugriff 19.2.2010.

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I.3 Die Fankurve Was aber genau gibt Fußball eine solche Faszination, worin besteht seine Be­ deu­tung? Mit Lehnhard 2002 werde ich versuchen, diese komplexe Frage am Bei­spiel einer Region, dem Ruhrgebiet, zu einer bestimmten Zeit, den 1920er bis 1960er Jahren, zu verstehen. Dieses historische Beispiel soll helfen, das Erbe des Fußballs ins Bewusstsein zu rufen, denn zumindest für die Konstruktion der Rollen für Spieler18 und Fans ist es von Bedeutung, ob als Abgrenzungs- oder als Sehn­suchts­bild. Lenhard 2002:  55ff. vermutet, dass Fußball in „unserer triebre­ duzierten Gesellschaft“ „elementare Bedürfnisse nach Identifikation“ abdeckt und ein Ventil für aufgestaute Gefühle bietet19. Er weist darauf hin, wie kon­ fliktbesetzt „insbesondere von intellektuell-aufgeklärter Seite“ in Deutschland der Nationalstolz normalerweise erlebt wird und deutet Fußball hier als große Ausnahme, auch einmal legitimerweise am nationalen Siegestaumel teilzuneh­ men und unterschwellige Konflikte und Rivalitäten auf sportlicher Ebene zu lö­ sen. Weiter beinhalte Fußball alle formalen Kennzeichen des Festes, des Spieles, der Religion: das Heraustreten aus dem Alltag (ggf. begleitet durch das Anlegen einer speziellen Kleidung), die Aufhebung der normalen Regeln (bei gleichzeitig anderem Set von Regeln von festgelegter Dauer) und das ganze regelmäßig. Fußball funktioniert als Symbol (für Klassenzugehörigkeit, Rollen­ verständnis etc), benutzt selbst aber auch zahlreiche Symbole und symboli­ sche Handlungen (Rituale). Als Beispiele fallen die Vereinsfarben und -emble­ me, Schals, Fahnen, Autokorsos, La Ola-Wellen direkt ins Auge, Spieltage sind Festtage, Bälle, Tornetze, Trikots, Rasenstücke oder Stadien werden mit ma­ gischen Eigenschaften ausgestattet, Spieler werden mit Heiligen- oder zumin­ dest Priesterfunktion ausgestattet, Fans richten zuhause oft kleine Altäre ein etc. (Lenhard 2002: 59f.). Fußball, so Lenhard 2002:  71ff. weiter, habe daher besonders in Gegenden mit gewaltigen sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen eine festi­ gende, integrative Funktion inne. Dies spiegle sich auch in den ethnisch gemisch­ ten Teams wieder. Gerade im Ruhrgebiet gäbe es eine enorm starke Identifikation der Fans mit den Spielern, weil diese meist aus ähnlichen Verhältnissen gekom­ men seien20. Jeder Sieg der Spieler sei also auch ein Zeichen dafür gewesen, dass es trotz widriger Umstände möglich sei, über die äußeren Gegebenheiten des Lebens zu triumphieren. Dies gilt besonders, weil sich Fußball wie kaum eine an­ dere Sportart unabhängig von finanziellen Ressourcen spielbar ist: zur Not tut es Müll als Ball, das Spielfeld kann flexibel gedacht/gestaltet werden.21 Aufgrund der architektonischen Situation im Ruhrgebiet, mit homo­ genen Siedlungen und hoher sozialer Kontrolle, hätten gerade Einwanderer, 18 19 20

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Nicht Spielerinnen, denn deren Organisation und Geschichte kommt bei Lenhard nicht vor, und leider nach meinem Wissen auch an keiner anderen Stelle. Elias/Dunning 2003: 99 prägen dafür den Begriff „eines kontrollierten und gewaltlosen mimetischen Kampfes“. Spätestens hier ist es wichtig, noch einmal gewahr zu werden, dass Lenhard, wenn er von Fußball schreibt, eben nur Männerfußball meint. Ähnliche Untersuchungen über die Anfänge des Frauenfußballs oder das heutige Zuschauerprofil habe ich nicht finden können, wenn wir allerdings den Berichte über die Vermarktung der ersten Frauenspiele als wohltätige Ereignisse, zu denen 10.000 Zuschauer wie in ein Kuriositätenkabinett kamen, Glauben schenken, ging es bei diesen wohl eher um das Exotische als um das Vertraute. Fußball verkörpert in vielen ärmeren Ländern auch heute noch die Hoffnung, in den Industriestaaten ohne Eigenkapital zu Geld zu kommen. Dass dieser Traum nur in sehr wenigen Fällen in Erfüllung geht, tut seiner Beliebtheit keinen Abbruch.

die sich über Fußball mit anderen Migranten, aber auch mit ihren deutschen Kollegen vernetzt hätten, aufgrund der doppelten Stigmatisierung als Ausländer und Arbeiter, sehr starke Solidaritätsgemeinschaften aufgebaut, die das Wah­ren einer kulturellen Identität, traditioneller Werte und deren angemessene „Trans­ formation in die industriekapitalistische Wirklichkeit“ (72) ermöglicht habe. Auch nach der Karriere blieben die meisten Spieler in ihrem Stadtviertel wohnen, wo sie etwa als Tabakwarenladen-, Kiosk- oder Kneipenbesitzer gearbeitet hätten. Durch diese Greifbarkeit des Spielers für die Fans habe das Fußballnetz neben den erwähnten symbolischen und rituellen auch aus dicht geknüpften, alltäglichmenschlichen Strängen bestanden. Ähnlich war die Situation auch andernorts in Europa, so etwa in den englischen Industriestädten oder den Wiener Vorstädten (81f.)22 So weit überzeugt die Analyse. Aber sie ist schwerlich typisch für das Verhältnis zwischen Fans und Spielern heute. Lehnhard 2002: 83f. beschreibt selbst, wie nach dem 2.  Weltkrieg die Viertelsidyllen nach und nach von den Groß­clubs abgelöst werden; statt um die Dominanz im Vorgarten geht es nun um die Vorherrschaft im Revier, analog zum beginnenden Prozess der Globalisierung. Zechenschließungen und Professionalisierung der bisherigen Amateure tragen ihr Übriges bei, um die reale Nähe, wenn auch nicht die von den Fans imaginier­ te, verschwinden zu lassen. Die Identifikation der Fans mit dem Fußball hat sich dabei nicht verändert, wie Lehnhard 2002: 85 richtig feststellt, wohl aber die Gründe für diese Identifikation. Hier hebt Lehnhard 2002: 97 die Möglichkeit zum hem­mungs­losen Fühlen hervor: „Wo sonst kann man innerhalb kürzester Zeit sämtliche Extremata der Gefühlsskala zwischen Durchatmen und Entsetzen, Ausgelassenheit und Empörung, Hoffen und Bangen, Begeisterung und Unmut, Erwartung und Ent­ täuschung, Freude und Trauer durchleben. Wann, wenn nicht während eines Fußballspiels, ist es erwachsenen Menschen heute in aller Öffentlichkeit noch gestattet, sich zu umarmen und anzuschreien, zu weinen und zu jubeln […]?“ Er beschreibt ab Seite 103, wie die Intensität dieser Gefühle das andere Leben re­ gelrecht verblassen lässt, wie Kommunikation im Vorfeld des Spiels unmöglich ist durch eine nervöse Unruhe und Erwartung. Dies ist der grenzenauflösende, rauschhafte Aspekt des Fußballs. Es gibt auch einen begrenzenden Aspekt: Identifikation, siehe Bour­ dieu 1987, ist mit Grenzziehung verknüpft. Diese Grenzen bestimmen, zu wel­ chen Gruppen wir gehören wollen und zu welchen nicht. Im Distinktionskampf ist die Entscheidung, zu welchem Team man hält, eine vielseitig kulturell co­ dierte Kampfansage: wer Bayern München–Fan ist, wird es in einer Ehe mit ei­ ner Anhängerin des FC St. Pauli schwer haben. Diese kulturellen Codes treffen Aussagen über Klassenzugehörigkeit, Lebensentwürfe und persönliche Ethik. Es wird aber noch komplizierter: kulturell codiert ist nicht nur, wel­ chen Verein wir anfeuern, sondern auch, mit welchen Mitteln und ob wir ein­ zelne Spieler oder eher das Team23, abstrahiert von aktuellen Gegebenheiten, endlos fortbestehend als etwas, was uns mit unseren Vorfahren und unse­ ren Enkelkindern verbindet, bewundern und feiern. Das Bewundern einzelner Spieler etwa ist ein Frauen zugeschriebenes Verhalten, das einerseits vorwurfsvoll 22 23

Vergleiche hierzu auch Horak/Marschik 1997. Oder, anscheinend am verwerflichsten, ob wir gar ein Team nur so lange unterstützen, wie dieses sportliche Erfolge vorweisen kann. Siehe zu einer empörten Abhandlung über illoyale, taktische Fans Lenhard 2002: 174f.

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kommentiert wird, andererseits so aber weibliche Fußballfans wieder erklärbar macht und daher mit einer Art von nachsehender Gefasstheit getragen werden muss. Klar wird vermittels dieser Koordinaten vor allem: die sind nicht wie wir (Männer, die das Richtige gut finden). Dazu passt auch, dass es im von Lenhard 2002: 242 zitierten Borussenlied wie folgt heißt: „Als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen, und der wurd auch von seinem schon mitgenommen: Borussia verbindet Generationen.“ Generationen von Männern, offenbar.

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I.4 Einlaufen der Mannschaft

Und genau hier betreten wir die Arena des doing gender: wie Kreisky/Spitaler 2006b:  8 mit Bourdieu 2005:  132f. argumentieren, lernen Jungen schon als Kinder, „gesellschaftliche Spiele anzuerkennen, deren Einsatz irgendeine Form von Herrschaft ist“. Damit verknüpft lernen sie früh, dass es sich um diese Herrschaft zu kämpfen lohnt, weil für sie ein Platz unter den Gewinnern vorge­ sehen ist. Männlichkeit24 und Sport – diese Verbindung ist alt, mindestens so alt wie Schulen und Militär. Fußball im Besonderen ist in all den Ländern, in de­ nen Fußball Nationalsportart ist, ein männlicher Sport, in dem sich Frauen eine andere Position als die der Kuriosität mühsam erkämpfen müssen25. (Kreisky/ Spitaler 2006b: 8) Geschlecht, oder genauer Gender, wird im täglichen Leben insze­ niert, reproduziert und transformiert. Es ist in allen gesellschaftlichen Strukturen, Konventionen und Institutionen verankert, und ist dabei sowohl etwas, was wir „tun“ (doing gender) als auch eine Kategorie, die so normalisiert ist, dass sie all unsere gedanklichen Kategorien durchkreuzt und durchzieht. Diese Kategorien werden diskursiv erzeugt und in sozialen Praktiken, wie unter anderem auch Fußball, bestätigt. Die Medien tragen einen großen Teil zur Konstruktion der Ge­ schlechter­rollen bei, die dann einstudiert werden, bis sie internalisiert und natu­ ra­lisiert sind. In unserer Gesellschaft herrscht, wie bekannt, das System der Zwei­ geschlechtlichkeit, und in Interaktionen wird das als jeweils der geschlechtlichen Iden­tität entsprechende Verhalten positiv sanktioniert (und das andere entspre­ chend negativ). (Pfister 2004: 62ff.) Im Falle des Sportes ist durch eine direkte Verknüpfung mit dem Körper eine besonders ausgeprägte Naturalisierungstendenz zu beobachten; so scheint sich hier die These von den (leistungs)stärkeren, ausdauernderen, aggres­ siveren, härteren Männern zu bewahrheiten, ohne dabei zu berücksichtigen, dass „Sport auf sozialen Vereinbarungen basiert und von Männern für Männer entwi­ ckelt wurde und sich an den Vorlieben, Stärken und Lebenszusammenhängen der Männer orientiert“ (Pfister 2004: 63). Das Schwierige am System der postulierten Zweigeschlechtlichkeit ist die Tendenz, Eigenschaften, die für das eine Geschlecht angenommen werden, als exklusiv für dieses Geschlecht zu werten und dem anderen die entgegengesetz­ te Charakteristik zuzuschreiben (also Männer stark = Frauen schwach) oder im bestmöglichen Fall noch eine „Ausgleichseigenschaft“ zu suchen (etwa Männer stark = Frauen schön). Fußball kann also nur der Sport eines Geschlechtes sein26. Die Argumentation kann groteske Auswüchse annehmen, wie etwa das vielzi­ tierte Bonmot (oder eher Mauvaismot) des holländischen Psychologen Fred 24

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Um uns die Foucaultsche Freiheit nicht zu nehmen, sollte klar sein, dass ich Männlichkeit nicht als natürliche Kategorie, sondern vielmehr als Pluralität „soziale[r] und politische[r] Konstrukte, die kulturellen Differenzen aufweisen sowie historischen Veränderungen unterliegen“ begreife (Kreisky 2006: 29). Dies könnte auch die FIFA-Zahlen zu den Wachstumsraten der registrierten Spieler und Spielerinnen erklären: in den Ländern, in denen Fußball nicht mit der nationalen Geschichte verknüpft, also relativ jung, ist, wie beispielsweise in Nordamerika und Ozeanien, bietet er Frauen tendenziell mehr Einstiegsmöglichkeiten und ist damit attraktiver. Mittlerweile dürfte klar sein, dass die Vereinnahmung eines Sports als weiblich oder männlich willkürlich ist (siehe hierzu auch Brandes 2005); so gilt Fußball in den Vereinigten Staaten beispielsweise als Sport für Frauen und Schwule (vergleiche Markovits/Hellerman 2002).

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J. J. Buytendijk von 195327: „…das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob dar­ um Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das NichtTreten weiblich.“ Da in einer sehr eingeschränkten Vorstellung28 die Stärke des Mannes mit seiner Athletizität verknüpft wird, ist es gemäß des Gesetzes der binär auf die Geschlechter verteilten Zuschreibungen wichtig, Frauen als Sportlerinnen zu tri­ vialisieren. Häufig passiert dies, wie wir in Kapitel II noch sehen werden, über eine Reduzierung auf ihre sexuelle Attraktivität oder über das Benutzen von ver­ niedlichenden Namen und Beschreibungen. Berichte über Sportlerinnen be­ inhalten häufig, siehe auch Pfister 2004:  68, Details über Familienstand und Privatleben, interpretieren Verhalten wie Nervosität oder Emotionalität als „weib­ liches Verhalten“ und erklären sportliche Erfolge als Resultat von Glück oder Zufall, weniger als Resultat harten Trainings und generell guter Vorbereitung. Für Frauen, die Fußball spielen, ist daher die Spannung zwischen Erwartung an ihre Geschlechterrolle und ihren eigenen Vorlieben, Gefühlen und Erwartungen, ein schwieriges Balancespiel (vergleiche Jöcks 1999: 298). Angesichts dieser Strukturen verwundert die weit vorherrschende Homo­phobie im Sport nicht, bringt nämlich spätestens diese den Zwei­geschlecht­ lich­keitszwang ins Wanken. Auf einmal sieht die Sache nicht mehr so einfach aus: ist ein homosexueller Mann auch ein Mann, oder kann man ihn als „Schwuchtel“ aus der Referenzgruppe Mann, die zum Überprüfen des eigenen Verhaltens wie dem aller Männer dient, ausklammern? (vergleiche den Exkurs Strafraum) Dass sich die sexualisierte Darstellung von Fußballern und die öffent­ liche Diskussion von Details ihrer persönlichen Lebensführung langsam auch bei Spielern einbürgert, macht die Situation für keines der beiden Geschlechter besser oder einfacher. In einer Welt der sich wandelnden Männlichkeitsbilder29 dient Männern die „Bezugnahme auf die scheinbar authentischen, rauen und proletarischen Milieus des Fußballs“ (Kreisky/Spitaler 2006b:  9) als Entspannungspause im Rennen um die eigene Identität. War früher klar, dass Männlichkeit auf der Straße, beim Militär und in der Fabrik oder dem Bergwerk wesentlich geprägt wurde, bleibt heute davon vor allem das wesentlich pluralisti­ schere Arbeitsleben und die Freizeitgestaltung (Kreisky 2006: 21). „Mit dem weltweiten Hype neoliberaler Politik und aggres­­siver Aus­dehnung der Marktförmigkeit allen Lebens, rapide zunehmender (Re-) Kommodifizierung von Körperlichkeit und radikaler Marktorientierung vie­ ler Mega-Fußballklubs geraten auch herkömmliche maskuline Fußballkulturen in Turbulenzen“ (Kreisky 2006:  22). Neue Märkte, unter anderem der der weib­lichen Fans, sollen erschlossen werden. So erhält die Debatte um die Kommerzialisierung des Fußballs mit den angeblich weniger loyalen Fans neu­ 27 28

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Hier zitiert nach http://www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/136473.html, letzter Zugriff 17.2.2010. Diese Einschränkungen müssten meiner Meinung nach für jeden Mann Motivation genug sein, offenere Geschlechterrollen und ein System abseits der Zweigeschlechtlichkeit zu fordern. Aber es gibt, neben der (durchaus auch bei mir vorhandenen) Unsicherheit, wie ein solches System aussehen könnte, eben auch viel zu verlieren, oder, wie Kreisky 2006: 29 formuliert: „Der Wunsch nach dauerhafter Sicherung erlebter Begünstigungen des Mannseins nährt Überlegenheitsideologien von Männlichkeiten.“ Ohne hier genauer auf das Thema eingehen zu können, erscheint logisch, dass im Zuge der Emanzipationsbewegung der Frauen, die neue Gebiete für sich erobern konnten, Männern an vielen Stellen das komplementäre Gegenüber, welches für eine Identifikation notwendig wäre, fehlt. Wo weder durch Abgrenzen noch durch Zuordnen zu einer geeinten Gruppe ein eindeutiges Drehbuch für die eigene Geschlechterrolle existiert, das System aber gleichzeitig auf einer Binarität beharrt, sind Konfusion und Frustration vorprogrammiert.

en Zuschnitts einen Geschlechteraspekt. Für viele traditionelle Fans sind Zu­ schauerinnen der Inbegriff dessen, was ihnen Identifikationsbühne und Freiraum zu rauben droht (Kreisky/Spitaler 2006b: 10); eine bisher stabil scheinende Welt wird durch ihre Anwesenheit in Frage gestellt. „Frauen stören allein durch ihre Sichtbarkeit in der maskulin kodierten und männerbündisch organisierten Domäne des Fußballs.“ (Kreisky 2006: 22f.). Fußball war, wie schon der geschichtliche Kurzabriss gezeigt hat, nicht immer ausschließlich männlich geprägt. Dies geschah erst im Zuge der Wiederaneignung durch große Bevölkerungsgruppen, als Fußball zuneh­ mend ein Instrument des Klassenkampfes wurde: Kampf ist nun mal eine männliche Domäne (vergleiche Kreisky 2006:  23ff.30). Dass gerade Fußball sich als Selbstdarstellungsfeld eignete, liegt an seiner langen Geschichte der Ventilfunktion, die laut Elias/Dunning 1982:  102 „eine kontrollierte Form der Konfliktbewältigung“ darstellte. Auf dem Sportfeld in ritualisierter Form Aggression und Dominanz zu verhandeln, lernten dann die Schüler der teuren englischen Privatschulen, allerdings hier überformt durch Selbstdisziplin, eben gemäß der Eliasschen These des Zivilisationsprozesses. Dass Fußball in einer Zeit wichtiger wurde, in denen das Mili­tär im Gegensatz zu heute ein (auch quantitativ) bedeutsamer Ort der Männ­lich­ keitskonstitution war, zeigt sich auch heute noch an der Betonung von soldati­ schen Tugenden wie Ehre, Pflichterfüllung und Kameradschaft31. Die Ära des Kapitalismus brachte Disziplinierung und (Selbst-)Zivilisierung als Werte in das Spiel ein: Fairness kam als Begriff zunächst in der Wirtschaftssprache und erst danach im Vokabular des Sportes vor. Disziplinierung war etwas, das nach An­ sicht der herrschenden Klassen der Proletarier brauchte, einerseits, um seine Arbeitskraft möglichst gut verwerten zu können, andererseits, um die Gesellschaft vor seiner angeblichen Triebhaftigkeit zu schützen. (Kreisky 2006: 29f.) Mit der zuneh­menden Neoliberalisierung und Kommerzialisierung werden wiederum neue Werte in den Fußball eingebracht: Emotionslosigkeit, Dominanzgebahren statt Teamwork, Styling statt Kraftprotz usw. Diese verschiedenen Facetten wer­ den je nach Kontext betont oder heruntergespielt; sie sind aber alle im Symbol Fuß­ball enthalten. So wird Fußball nicht nur benutzt, um sich gegenüber Nicht­männ­ lichem (also Weiblichem), sondern auch gegenüber konkurrierenden Männ­ lichkeits­bildern abzugrenzen. „Im sozialen Feld des Fußballs äußert sich dieses Abgrenzungs­bedürfnis in nationalem Chauvinismus, in Rassismus, in Sexis­­mus und in Homophobie“ (Kreisky 2006: 31). Interessant ist, wie bereits Brandes 2005: 56 analysiert, dass Fußball mit einer Reihe von Eigenschaften assoziiert wird, die normalerweise Frauen zuge­ schrieben werden. Den Aspekt der Emotionalität kann man dabei nicht überbe­ tonen: in unserer Gesellschaft gelten Frauen als das emotionale, Männer als das ra­ tionale Geschlecht. Im Fußball gibt es eine Art Freibrief für Männer, die Gefühle, die sonst keinen Platz finden, auszuleben, und zwar teilweise derart dramatisiert, dass jeder Regisseur den Schauspieler mit der Kritik „überspielt“ von der Bühne 30

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Oder auch Jöcks 1999: 298: „Männliche Attribute wie Kampf, Leistung und Gewinn und daraus hervorgehende Eigenschaften wie Aggressivität, Aktivität und Durchsetzungsvermögen, die im Fußballspiel zum Tragen kommen, stehen im Widerspruch zur traditionellen Geschlechterrolle der Frau.“ Ein anderes Indiz sind die Sprachüberreste aus martialischeren Zeiten: Kreisky 2006: 35 nennt etwa Schießen, Gegner, Angriff, Kampf, Stärke, Hingabe, Treue. Sie weist auch darauf hin, dass Fußball oft als Dienst am Vaterlande verstanden wird.

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schicken würde. Schwalben, Drohgebärden an den Schiri, Mannschaftsknuddeln, Weinen, Um-Sich-Schlagen, all diese Verhaltensweise wären außerhalb des Spiel­ feldes ein Grund, den betreffenden Mann wenn nicht gleich zu disqualifizieren, so ihn doch zumindest als Anwärter für eine gelbe Karte zu betrachten. Kreisky 2006: 33f. deutet dies damit, dass Fußball wie ein Männerbund funktioniere: er erlaube als eine Art emotionales Reservat „echte männliche Leidenschaften“. Männerbünde schlössen mindestens implizit Frauen aus und festigten die Beziehungen zwischen den Mitgliedern vor allem emo­ tional und häufig auch homoerotisch. Sie seien hierarchisch mit einer starken Führung und treuen Anhängern klar gegliedert, daher sei jedem sein Platz klar, keiner leide unter sozialer Desorientierung. Verbindend wirkten neben gemein­ samen Werten (vor allem konservativer Natur: Treue, Unterwerfung, Gehorsam, Gefolgschaft, Kameradschaft) Initiationsriten, Zeremonien, Sprachformeln. Hier würde ein klares Außen und Innen definiert, so dass klar sei: wer nicht einer von uns ist, ist gegen uns. So würden scheinbar soziale Gegensätze aufgelöst (eine Tatsache, die sich im Integrationsdiskurs im Fußball niederschlägt, siehe Kapitel II.1.1.2.b). Gleichzeitig würde dies die starken Abwehrbewegungen etwa gegen Homosexuelle und Frauen, potentiell auch gegen andere Nationen, erklären. Im nächsten Schritt werden wir uns das Diskursfeld genauer an­ schauen und die Fronten markieren, an denen diese Abgrenzungs- und Identifi­ kationsprozesse stattfinden. Wir sind sozusagen live dabei, wenn Gender gemacht wird.

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II Anpfiff: Wo spielt die Musik? Mittlerweile dürfte klar geworden sein, dass Fußball neben der direkten Erfahrung auf dem Fußballplatz oder im Stadion in vielen Medien verhandelt wird: etwa in Gesprächen unter Fans, mittels Sportbekleidung und Ballgestaltung, Kinder- und Jugendbüchern, Fernsehübertragungen von Spielen, in Filmen, im Rundfunk, in Fan­portalen und Onlinezeitschriften, in Werbung und Onlineshops von Sport­ bekleidungsherstellern, auf Internetseiten von Sportvereinen, in Sport­mu­seen, of­ fiziellen Broschüren der Bundes- und Landesregierungen, in Tages- und Wo­chen­­ zeitungen sowie in speziellen Sportmagazinen. Angesichts der Fülle und Vielfältigkeit dieses Materials sowie des zeit­ lich sehr begrenztem Umfangs dieser Arbeit leuchtet es ein, dass ich hier nur ex­ emplarisch einige Diskursstränge herausziehen und genauer betrachten kann. Da mich besonders interessiert, welche Rollenmuster und Identi­fi­ka­ tion­s­angebote Männern und Frauen im Zuge des Fußballdiskurses zur Verfügung stehen, widme ich mich besonders zwei Aspekten dieser Frage: einmal desjeni­ gen der Fremdzuschreibung, also ganz konkret: welche Topoi strukturieren die Dar­stellung von Männer- und Frauenfußball? sowie zum anderen derjenige der Selbst­präsentation: wie stilisieren sich Spieler und Spielerinnen? Auch wenn die Mehrheit der Fußballfans nicht oder nur gelegent­ lich selbst Fußball spielt, behaupte ich, dass die stereotypen Rollenbilder von Spielern und Spielerinnen Aussagen treffen, die sich auf die Gesamtgesellschaft über­tragen lassen. Wir können Geschlechterrollen, Umgang mit Aggression, die aus dem Turbokapitalismus resultierende Korruption nicht abstrakt verhan­ deln, sondern tun dies immer anhand von konkreten Kulturgegenständen. Wie ich in Kapitel I.3 dargelegt habe, spielt Fußball in Deutschland eine wichtige Rolle zur Konstituierung nationaler und persönlicher Identität, Fußballer befin­ den sich daher für uns an vorderster Front im Ausfechten all der kleinen Ab­gren­ zungs­prozesse, die zur Konstitution von Gemeinschaft („Wir sind so, die ande­ ren anders“) und zum Entwerfen einer persönlichen Identität („So wie die bin ich nicht.“) nötig sind. Das Analysieren der Selbstdarstellung werde ich anhand der Home­ pages der jeweiligen Nationalteams für die Europameisterschaften 2008 bzw. 2009 vornehmen (siehe Kapitel II.2). Für das Untersuchen der in den Medien vor­geschlagenen Rollenkonstruktionen habe ich aus der Fülle der möglichen Doku­mente Fußballzeitschriften ausgewählt. Dies ist einer Reihe von prag­ matischen wie methodischen Überlegungen geschuldet.

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Im Gegensatz zu rein auditiven Medien (Rundfunk) lassen sich Magazine unter sprachlichen wie visuellen Aspekten untersuchen. Hier lässt sich daher besonders deutlich aufzeigen, welchen Anteil DesignerInnen an der Erschaffung sozialer Realitäten haben. Im Gegensatz zum Fernsehen ist dabei die Rezeption nicht von technischen Geräten abhängig (wie einem Fernseher und im Falle etwa der Frauenfußballbundesliga eines Kabelanschlusses), sondern sie erfolgt direkt mit den Augen. Der Zugang ist auch in finanzieller Hinsicht relativ barrierefrei gestaltet; teilweise sind diese Magazine sogar in öffentlichen Bibliotheken kostenlos lesbar. Auch die Kleinteiligkeit von Magazinen spricht für ihre Auswertung: während man beim Bewegtbild den Narrationsverlauf ins Auge fassen muss, um eine Momentaufnahme sachgerecht analysieren zu können, handelt es sich bei Artikeln bereits um abgeschlossene Bedeutungseinheiten. Besonders das Untersuchen materieller Kultur, wie Wett­kampf­bällen, Trikots und anderer Sportbekleidung, Pokalen (siehe meinen Exkurs dazu) sowie eine Analyse der Unmengen an audiovisuellen Daten wie Spielfilmen, Doku­men­ tationen, Werbung und Spielübertragungen32 wäre für ein genaueres Verständnis des Phänomens Fußball und seine Darstellung sicherlich sehr fruchtbar. Dies ist allerdings hier schlichtweg nicht leistbar.

II.1 Erste Halbzeit Von den Rängen aus: Fußballzeitschriften In Deutschland erscheinen gemäß des Einflusses, den Fußball auf nationale Identität und Selbstidentifikation vieler Gesellschaftsmitglieder innehat, neben den Sportseiten der lokalen wie nationalen Tages- und Wochenzeitungen eine An­zahl an eigenständigen journalistischen Publikationen, die sich mit Fußball beschäftigen. Mit dem Vormarsch der Cultural Studies, der Beschäftigung mit all­ tagskulturellen Phänomenen auch der deutschen Akademiker, wurde im Fußball das auch von mir oben identifizierte Spannungsfeld von Tradition, sportlicher Weiterentwicklung, Arbeiterkultur, Neoliberalismus, kurzum ein Schlachtfeld zwischen Konservatismus und sozialer Gestaltungsmöglichkeit erkannt. Im Zuge der dem Fußball gewidmeten intellektuellen Aufmerksamkeit entstanden, ergän­ zend zu den klassischen Sportzeitschriften, Fanzines und Hochglanzmagazine. Leider bezieht sich diese Vielfalt der berichtenden Medien noch nicht auf Frauenfußball; nach einer Untersuchung von Professor Dr. Dr. Josef Hackforth aus dem Jahre 2005 liegt der Anteil von Berichterstattungen über Frauensport in Zeitungen allgemein zwischen einem und fünf Prozent, über Frauenfußball zwi­ schen 0,1 und 0,5 Prozent33. Es gibt im Moment des Schreibens dieser Arbeit zwei Magazine, die sich mit Frauenfußball beschäftigen34, eines davon als Beileger ei­

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Besonders spannend wäre dabei, bei der Analyse die Spiele auf folgendes Zitat von Meier 2004: 239 hin zu analysieren: „Eine weitere Trumpfkarte des Fernsehens bestand und besteht im paradox klingenden Privileg der ‚Verbesserung der Wirklichkeit‘. Durch einen geschickten Zusammenschnitt der attraktivsten Spielszenen und der schönsten Tore kann z.B. eine mittelmäßige Fußballpartie enorm aufgewertet werden, und die Sportrealität auf dem Rasen entwickelt sich zur Fernsehrealität mit Zeitlupe, Fachkommentar, Hintertorperspektive, Statistiken, usw. Der Attraktivitätsgrad einer Sportveranstaltung kann also durch eine professionelle Aufbereitung im Studio enorm gesteigert werden. Auf der anderen Seite wirken Reportagen über Sportarten, die mit bescheidenen technischen Mitteln erzeugt wurden, im Gegensatz zum aufgemotzten Spielbericht eines internationalen Fußballspiels mit zwölf verschiedenen Kameraeinstellungen, geradezu lächerlich und scheinen langweilig über den Bildschirm zu plätschern.“ Siehe www.fansoccer.de/ffallgemein/kongress/kongress.htm, letzter Zugriff am 9.2.2010. Über das Ausmaß der Berichterstattung in nicht spezifisch dem Frauensport gewidmeten Fußballmagazinen siehe Kapitel II.1.3.

nes kulturwissenschaftlich geprägten Magazins, eines, so vermute35 ich aufgrund Sprachstiles und Themenwahl, ein eher auf ein klassisches Sportpublikum zuge­ schnittenes Heft. Diese beiden sowie die auflagenstärksten Fußballmagazine und Sport­zeitschriften mit Fußballschwerpunkt für Männer sowie eine Kurz­demo­ graphie ihrer Lesergruppen stellt Tabelle 1 vor. Bei der Auswahl der zu analysierenden Stichprobe habe ich mich gegen das an Männer gerichtete Magazin mit dem höchsten Frauenanteil (und übrigens auch an ostdeutschen LeserInnen) in der Leserschaft, BRAVO SPORT, entschie­ den, weil es sich eindeutig an eine andere Alterszielgruppe wendet als die ande­ ren Magazine und so den Vergleich verzerren würde. Mir war von Anfang an klar, dass ich gerne jeweils ein Exemplar für die Bildungselite und für die Mehrheit der Bevölkerung analysieren möchte, um festzustellen, wie sich Klassenzugehörigkeit auf die soziale Konstruktion von Geschlecht auswirkt. Fest steht, dass sich Sprache und Gestaltung dieser Magazinsorten klar unterscheiden; hier gibt es offensicht­ lich mehrere konkurrierende Diskurse, und sie bieten, so meine Arbeitshypothese unterschiedliche Rollenbilder für Fußballerinnen und Fußballer36. Ebenso erschien es mir unabdingbar, die beiden explizit an Frauen gerichteten Magazine zu untersuchen, da, wie oben erwähnt und in meinen Ergebnis deutlich sichtbar, ich sonst schlicht und einfach über die Darstellung von Frauen­fußball nichts aussagen könnte, da dieser in den „allgemeinen“ Fußball­ magazinen so gut wie nicht vorhanden ist37. Die Magazine, die sich offiziell an beide Geschlechter richten, die aber weder wesentlich über Frauen im Sport noch über Sport aus der Sicht von Journalistinnen berichten, werde ich im Folgenden Sport­magazine für Männer nennen. Von den ausgewählten Medien (Kicker, 11  Freunde, Frau­en­ fuss­ball Magazin und 11  Freundinnen) habe ich jeweils zwei Ausgaben auf Gestaltung und Inhalt untersucht. Tabelle  2 listet die jeweilige Anzahl der nament­lich gekennzeichneten Artikel38, die der Titelthemen, die Seitenzahl, die der Anzeigen (in der Annahme, dies sage etwas über Attraktivität für die relevan­ te Industrie sowie über das Budget der Redaktion aus), die Anzahl von Artikeln über Fußball oder mit Fußball verknüpften Themen39 und wie viele von diesen Fuß­ballartikeln von einer Frau (mit-)verfasst wurden.

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Aufgrund fehlender Mediadaten bleibt dies eine Annahme; die mehrfachen Anfragen an den Verlag blieben unbeantwortet, vermutlich aus Mangel an entsprechenden Daten. Faktisch unterschieden sich diese weitaus weniger als erwartet. Vielmehr differieren vor allem die Darstellungsweise dieser Rollenbilder (vergleiche Kapitel III), die Reflexivität darüber sowie das in den Fußballdiskurs eingebrachte Material, das nicht direkt in Rollenbilder mündete. Hier lässt sich gut nachvollziehen, wie Frauen tatsächlich bei Verwendung des generischen Maskulinums gewöhnlich „mitgemeint“ und berücksichtigt werden: gar nicht. Wie KREISKY 2006: 27 richtig feststellt: „Niemand käme auf die Idee, lokale, regionale, nationale oder internationale Fußballwettkämpfe extra als Männerfußball auszuweisen. Das ist eben einfach Fußball (Spitaler 2005: 136). Frauenfußball dagegen muss geschlechtlich markiert werden […].“ Diese Unterscheidung ist relevant, da etwa Kicker sehr viele kurze, nicht gekennzeichnete Artikel hat. Diese habe ich in der Tabelle nicht berücksichtigt. Zur Erläuterung, was ich als verknüpftes Thema empfand: eine Auflistung von Musiktiteln mit Fußballbezug oder einen Bericht über Doping, in dem unter anderem auf den Fall Maradona eingegangen wurde, habe ich als mit Fußball verknüpftes Thema gewertet, einen Bericht über Bobfahren oder Autotests nicht.

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KickerT1

Sport BildT2

Zweimal wöchentlich

Erscheinungs­weise

2,30 (Mo), 1,80 (Do)

Preis in Euro

Verkaufte Auflage montags 249.899, donnerstags 219.359 Exemplare.

Auflage in Exemplaren

95%

93%

Männer­anteil Leserschaft

40–59: 37%

20–29 Jahre alt: 21,1%. 40–49 Jahre alt: 21,8%.

Häufigste Alters­ gruppe Leserschaft

Mittlere Reife 34,6%, Hauptschulabschluß mit Lehre: 29,6%.

Häufigster Bildungs­abschluß Leserschaft

14–29: 80%

Verkaufte Auflage: 437.516.

79%

11% Fach-/Hochschulreife. Angesichts des geringen Alters der LeserInnen scheint dies tendenziell hoch.

1,50

Wöchentlich

Gedruckte Auflage 30.000

91,5%

51,9% Hochschulabschluß

Gleich 11 Freunde (keine gesonderte Untersuchung des Leserprofils seitens des Verlages)

20–29 Jahre alt: 31,3%

28% Mittlere Reife. Sonst nur 16% Fach-/Hochschulreife angegeben, keine Zahlen zu unteren Bildungsabschlüssen.

4

Verkaufte Auflage 66.520

Verkaufte Auflage: 155.964

10 x jährlich

3,90

1,95

frauen­fussball magazinT4 Monatlich.

Gratis

14täglich

11 FreundeT5

Quartalsweise als Beileger der 11 Freunde

Bravo SportT3

11 Freundinnen

22

Gedruckte Auflage 200.000 + Sonder­auflage, die an Frauenfußballvereine und Regionalverbände des DFB verschenkt wird.

T1 Von http://www.olympia-verlag.de/kicker/media.aspx, letzter Zugriff am 4.2.2010. T2 Von http://www.axelspringer-mediapilot.de/artikel/Quartalsauflagen-Zeitschriften-Quartalsauflagen-der-Zeitschriften_724355.html sowie http://www.ma-reichweiten.de/index.php?fm=1&tt=1&mt=1&vs=3&m0=0&m1=-1&m2= 1&m3=-1&b2=0&vj=1&ms=25&mg=g14&bz=0&d0=0&rs=24&d1=1&vr=3&d2=2&sc=000&d3=-1, letzter Zugriff am 4.2.2010. T3 Von http://www.ma-reichweiten.de/index.php?fm=1&tt=1&mt=1&vs=3&m0=0&m1=-1&m2=-1&m3=-1&b2=0&vj=1&ms=25&mg=g14&bz=0&d0=0&rs=24&d1=1&vr=3&d2=2&sc=000&d3=-1, letzter Zugriff am 4.2.2010. T4 Von http://www.m-m-sports.com/media/mediadaten/FFMagazin2009Digital.pdf, , letz-ter Zugriff am 4.2.2010. T5 Von http://www.11freunde.de/download/mediadaten2010.pdf, letzter Zugriff am 4.2.2010; dies ist die Quelle für die Mediadaten von 11 FREUNDE wie 11 FREUNDINNEN.

Tabelle 1

3 ganzseitig, 1 halbseitig; 2 ganzseitig für Kicker

88

91

3

0

0

Davon von einer Frau

80

1 für eigene Produkte

29

Anzeigenzahl

8

48

13 ganzseitig, 5 ¼ Eigenprodukte, halbseitig 3, Drittelseite 5, 1 2/3, 2 ¼

Artikel­zahl 98

11

132

Artikel über Fußball

Kicker #4

91

6

1

Seitenzahl inklusive Cover

Kicker #5

29

40

Titel­ themenzahl

11 Freunde #95

15 ganzseitig, 5,5 Eigenwerbung, 2 ¼, 3 1/3, 6 1/8

6

132

45

3

5

53

6

40

3 ganzseitige, 1 halbe Seite, 2 Eigenprodukte

8

7

11 Freunde #98

60

4 ganzseitige

9

60

4

34

Sechs ganzseitige, 1 viertelseitige, 5 für 11 Freunde oder andere Eigenprodukte

5

53

4

50

45

frauenfussball magazin #02/10

8

3

frauenfussball magazin #12/01

11 Freundinnen #1

9

1 halbe Seite, 2 ganzseitige, 3 ganzseitige Eigenwerbung, 4/8 Eigenwerbung, ½ Eigenwerbung

11 Freundinnen #2

Tabelle 2

23

II.1.1 Sportmagazine für Männer II.1.1.1 Kicker Kicker Sportmagazin erscheint seit dem Jahr 1920 und ist damit die älteste heute noch erscheinende Sportzeitschrift (zum Vergleich: Sport Bild gibt es seit dem Jahr 1988). Ihre Auflage ist wesentlich geringer als die von Sport Bild, aber im Gegensatz zu dieser handelt es sich um ein ausgesprochenes Fußball- und nicht um ein allgemeines Sportmagazin. Der Selbstanspruch ist vor allem das zeitnahe Reagieren auf Ereignisse in der Welt des Fußballs (siehe http://www.olympia-ver­ lag.de/kicker/index.aspx, letzter Zugriff 8.2.2010) und das Veröffentlichen von, wenn möglich exklusiven, Nachrichten. Dementsprechend beinhaltet das Heft kaum lange Porträts oder Hintergrundanalysen, sondern sehr viele Statistiken, Personalia und kurze Spielberichte. Kein Artikel erstreckt sich über mehr als zwei Seiten. So gibt es, im Gegensatz zu 11 Freunde oder 11 Freundinnen, auch keine Fotos, die sich über die ganze Seite oder gar Doppelseite ziehen. Das 32 Mitarbeiter große Redaktionsteam umfasst zwei Frauen, aller­ dings ist von den namentlich unterzeichneten Artikeln über Fußball keiner von einer Frau verfasst. In Heft #4, indem tatsächlich immerhin eine Frau für einen Artikel verantwortlich zeichnet, handelt dieser vom Bobfahren. Vermutlich ar­ beiten die beiden Frauen viel an der Zusammenstellung der Kurznachrichten, Umfragen, Termine und Personalia, die anonym bleiben.40 Im zehnköpfigen Layout-Team gibt es ebenfalls zwei Frauen. Der Kicker erscheint zweimal wöchentlich, und das Konzept der bei­ den Ausgaben unterscheidet sich geringfügig. Die Montagsausgabe hat 32 zusätz­ liche Seiten, die nicht wie die komplette Donnerstagsausgabe und der Rest der Montagsseiten auf Zeitungspapier gedruckt sind, sondern auf einem geschlos­ senen Illustriertenpapier. Fotos erscheinen dadurch weniger stark gerastert, na­ türlicher, die Farben brillieren mehr. Diese Seiten sind im Gegensatz zu den Zeitungsseiten, die völlig lose jeweils als Doppelseite gefalzt beiliegen, auch ge­ heftet. Die Gestaltung der Zeitschrift wirkt, als sei sie größtenteils der Ökonomie des Druckes geschuldet: größtmögliche Ausnutzung der Seite (abge­ sehen von den sehr breiten Außenrändern des Satzspiegels), Textspalten je nach Textumfang ohne erkennbares System unterschiedlich breit, Verwendung von möglichst schmal laufenden Schriften und eher kleinformatige Fotos bis hin zur Briefmarkengröße. (Siehe Tafel 1 Abbildung 1) Ein in den anderen Magazinen nicht auftretendes Gestaltungsmittel wird im Kicker häufig genutzt: die gemeinsame Abbildung von Reportern mit Sportlern. Dies deute ich als Authentifizierungsversuch: wir waren wirklich da, die Interviews sind nicht gefälscht. Woher dieses Bedürfnis nach Nachprüfbarkeit stammt, kann ich nicht sagen. Die restlichen Fotos stammen fast alle von Bildagenturen und werden nicht, wie etwa bei 11  Freunde, teilweise für das Heft nach Vorgaben des Art Directors angefertigt. Es werden fast ausschließlich Bilder einer der folgenden drei Kategorien gezeigt: •

Bilder, die den Spieler und seinen Ball in ungestörter Zweisamkeit zei­ gen; (siehe Tafel 2 Abbildungen 2–5)



Zweikampf- oder Foulbilder; (siehe Tafel 2 Abbildungen 6–9)

40

Und damit hätten wir die Ergänzung für die von Kicker selbst zitierte Volksweisheit „Wer schreibt, der bleibt!“ (Ausgabe 5, S. 9): Aber nur, wenn’s auch einer mitkriegt.

24



Sammelbildchen, d.h. die klassischen Frontalporträts, die sonst als Auf­ kleber in Paniniheftchen geklebt werden, die häufig mit mehr oder weni­ ger nahe liegenden Überschriften versehen sind („Der Unver­wüst­liche“, „Der Spät-Starter“, „Der Unerwartete“, „Der Verkannte“, „Der Rück­ halt“, „Der Herrscher“, „Der Debütant“, „Der Reservist“, alle Beispiele aus Ausgabe 4); (siehe Tafel 3 Abbildungen 10–13)



Bilder, auf denen eindrucksvolle Gestik oder Mimik eines Spielers oder Trainers im Mittelpunkt stehen. (siehe Tafel 3 Abbildungen 14–21)

Ob es am weniger attraktiven Kundenprofil, an der Erscheinungsweise oder an der schlechteren Marketingtätigkeit liegt, im Vergleich zu 11 Freunden (und das beinhaltet 11  Freundinnen) gibt es wesentlich weniger Werbung. Ob die etwas beliebig wirkende Gestaltung tatsächlich aus ökonomi­schen Grün­ den erfolgt (keine Investitionen etwa in geeignete Redaktionssysteme, in ein Grafikteam, das die Arbeit mit Elan und Motivation erledigt oder in ein gutes Gestaltungskonzept) oder ob es sich hier um einen „feinen Unterschied“ han­ delt, mit dem sich das Magazin an den (habituell eingeschriebenen) Geschmack der Leserschaft anpasst, bleibt offen. Hier wäre eine Untersuchung zum gra­ fischen Geschmack der „tendenziell bildungsfernen“ Schichten im Stile von Bourdieu 1987 hochinteressant. Im Gegensatz zu den kulturwissenschaftlich geprägten Zeitschriften ist die Analyse von Sprachgebrauch, Metaphern und Symbolen und den da­ rin zum Ausdruck kommenden Weltvorstellungen aufgrund der oft satzbau­ steinartigen, klischeegesättigten Sprache sehr schwierig. Ein gutes Team ist ein „Branchenprimus“, der hoffentlich genug „Eigengewächse“, das heißt, Nach­ wuchsspieler hat, „Jungspunde“ und „Durchstarter“, die man „ins kalte Wasser werfen“ muss, die ein „Bollwerk“ bilden oder die Abwehr vom „gegnerischen Gehäuse“ weglocken. Zum Glück „hält Manuel Neuer hinten dicht“. Diese Satz­ hüllen wirken nicht bewusst gewählt, sondern eher wie eine instinktiv geworfe­ ne Nebelbombe, hinter der sich Person und Ansichtsweisen des Autors verste­ cken41. Durchsetzt mit Klammern und Zahlen fällt es trotz ihrer Kürze schwer, die Sätze, oftmals gar nur Satzfragmente, wirklich zu lesen, statt sie so zu überflie­ gen, wie man dies etwa gewöhnlich bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Inhaltsstoffauflistungen tut. Ähnlich wie diese Textgattungen bieten die Texte in Kicker wenig spezifische Bilder oder Emotionen, so dass nur die reine, freie Projektionsfläche bleibt: jeder kann sich seine(n) Helden so vorstellen, wie er ihn braucht. Natürlich transportiert auch stark abgenutzte Sprache, genau wie ste­ reotype Bilder, implizite Wertvorstellungen; diese sind allerdings häufig nur sehr subtil wahrnehm- und damit schwerer dekonstruierbar. Im Folgenden werde ich bei zwei Einzelheften versuchen, die glatte Oberfläche zu knacken, um möglichst viele der enthaltenen Normen und eingebrachten Themen sichtbar zu machen. II.1.1.1.a Kicker #4, 11.1.2010

Das Cover ziert eine Fotografie von Jerome Boateng. Hinter seinem Kopf leuch­ tet die Sonne wie ein Heiligenschein auf blauem Himmel, seine Hände sind zum Klatschen wie in klassischer Betposition erhoben. Er lächelt, alle sichtba­ ren Körperteile sind nackt. Durch seine haarfreie Brust, seinen rasierten Kopf, die 41

Analog verhält es sich mit dem Einsatz der austauschbar wirkenden verwendeten stock photos.

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weißen Zähne, die Tätowierungen an Armen und Schultern sieht er aus wie ein Hip-Hop-Heiliger. Es ist keinerlei Hintergrundinformation erkennbar, nur blau­ er Himmel. Es lässt sich ohne entsprechendes Vorwissen oder ohne die Bild­legen­ den zu lesen dadurch nur sehr schwer in den Fußballkontext einbinden. Dies und die untypische Pose unterscheidet es von allen anderen abgebildeten Spielern im Heft wie auf der Titelseite (und auch im Vergleichsheft Nummer 5). (Siehe Tafel 4, Abbildung 22)

Über Boatengs Oberarme verläuft die Schlagzeile „Nicht jugendfrei! [kleiner] Immer mehr Young­ster dominieren in den Spitzenklubs“; zwischen linkem Oberarm und Brust steht in klein, „Top-Talent: Jerome Boateng (21)“. Auf seinem linken Arm ist ein kreisrundes gelbes Farbfeld mit der Aufschrift „Die Klubs im Test [größer] Was besser werden muss“ zu sehen; hier ist nicht erkenn­ bar, ob und welchen Zusammenhang dieser Artikel mit Boateng hat. Das Logo sitzt durch einen Schlagschatten vom Rest der Seite abgetrennt oben, Stefan Kießling, „im Ballbesitz“, rennt auf das Logo zu. Insgesamt leidet die Titelseite an mangelnder Gliederung: sie zerfällt optisch durch den Einsatz von farbigen Hintergrundfeldern hinter jedem der anderen sieben Titelthemen in mehrere Teile. Wie oft bei schlecht gegliederten Texten gibt es zu viele Einzelelemente, deren Hierarchie untereinander unklar bleibt. Boatengs Nacktheit wird durch die Unterschrift „Nicht jugendfrei“ be­tont; dass auf dem Bild nur Himmel und sein Körper zu sehen ist, verstärkt die Ikonenhaftigkeit. Es ist das einzige Bild im Kicker, das einen nicht vollstän­ dig bekleideten Fußballer zeigt. Denkbar, dass er sich das Trikot im Siegesrausch vom Kör­per gerissen hat, obwohl die Fotografie nichts Frenetisches, sondern et­ was fast Andächtiges hat. Ohne an dieser Stelle das Thema der Kolonialisierung des Blickes ernst­ haft thematisieren zu können42, drängt sich die Frage auf, ob ein ähnliches Porträt eines weißen Spielers im Kicker auch denkbar ist, ob das alte Vorurteil von der Naturhaftigkeit (und damit größerer Natürlichkeit wie Sinnlichkeit) Schwar­ zer hier die Fotogestaltung mitprägt. Das Bild drückt Lebensfreude, aber auch Demut aus, eine, wie sich immer wieder zwischen den Zeilen, besonders auch aus den Leserbriefen, herauslesen lässt, ideale Kombination für einen Mannschafts­ sportler. Der entsprechende Artikel (S. 6–7) beschäftigt sich mit der Nach­ wuchs­förderung und der zunehmenden Bereitschaft auch großer Vereine, jun­ ge Spieler einzusetzen, ein Effekt, der, so Kicker, die „Attraktivität der Liga“ steigert. Ein Schelm, wer hier an den nackten Körper der Titelseite denkt. Der Text lobt die „vorbildliche Integration43“ der „Rasselbande“, eine Inflation des Qualifikators „Spitzen„ befremdet: „Ein neuer Spitzenwert für Spitzentalente bei Spitzenklubs“ (6). 42

43

26

Als Klassiker und exzellente Einführung ist hier Said 1979, empfehlenswert ebenfalls Schmidt-Linsenhoff 2005 oder Schneider 2003. Es reicht jedoch auch das kritische Ansehen eines Filmes wie Die weisse Massai, um zu wissen, von welchem Stereotyp ich spreche. Integration ist ohnehin ein wichtiges Motiv im Fußball, wie wir im Kapitel II.1.1.2.b sehen werden. Ob Migranten, Frauen, Menschen aller Altersgruppen und Körperformen, ein zentraler Mythos des Fußballs ist, dass auf dem Spielfeld oder der Tribüne alle Platz finden. Generell stellt sich bei der Verwendung des Begriffes Integration die Frage, ob er impliziert, dass diejenigen, die integriert werden, ihre Andersartigkeit aufgeben müssen (siehe die Diskussion in den USA um salad bowl und melting pot), ganz abgesehen vom Unterschied zwischen Realität und Anspruch.

Ähnlich subtil wie das Integrationsmotiv taucht ein weiteres Thema im­ mer wieder auf, das nach der Frage vom Eigentum am Profikörper. Gehört er sich selbst, dem Verein, dem Trainer? Die Debatte wird in unterschiedlichen Arenen geführt: so im Bericht über Breno (14), in den Meinungsverschiedenheiten über das Gewicht des Spielers (sein Trainer sagt, er müsse ein bis zwei Kilo abnehmen, er selbst ist mit seinem Gewicht zufrieden), im Bericht über Spielerausleihen (15– 16), im Gespräch mit Bayern München-Trainer Louis van Gaal über Zahn- und Fußpflege (24–25), in der Diskussion um das Nicht-Erscheinen zum Training von unter anderen Zé Roberto (26), der Doppelseite über Doping (S. 72–73), in der auf den Betrug am Zuschauer, „der erwartet, dass es sauber zugeht“ (72) hinge­ wiesen wird, sowie natürlich in der allgegenwärtigen Diskussion um Verletzungen und den Zeitpunkt, an dem mit dem Training wieder begonnen werden solle. Die fast ausschließliche Abbildung der Fußballer in den jeweiligen Vereinstrikots lässt sich vor diesem Hintergrund so deuten, dass hier das Recht des Fans an der funktionierenden Maschine eingefordert wird: ein Profi als Person interessiert nicht, private Details kommen im Gegensatz zur (hier nicht weiter untersuchten) Darstellung von Profifußballern etwa in Bild nur äußerst sparsam vor. Der in 11 Freunde omnipräsente (siehe Kapitel  II.1.1.2) Gewalt­ diskurs44 wird in Kicker ebenfalls nicht offen thematisiert. Lediglich im Bericht über den Fairplayer der Saison, Heiko Butscher, wird erwähnt, dass pro Partie an einem Bundesligaspieltag im Schnitt etwa 32mal gefoult wird und dass es im Schnitt zu 230 Zweikämpfen kommt. 45 Und obwohl Kicker diese Auszeichnung selbst eingeführt hat und im Internetpendant www.kicker.de eine akribische Liste führt, in der alle Spieler nach fairem Verhalten benotet werden, scheint das in kei­ nem Widerspruch zu der Aussage von Arminia Bielefelds Torwart im Interview auf Seite 52 zu stehen, ihnen fehle momen­tan beim Spielen die Aggressivität. Wie in 11 Freunde liegt hier in der Kicker-Redaktion ein gewaltiger blinder Fleck in der Eigenwahrnehmung. Das im Cover anklingende Demutsmotiv wird im Interview mit Eljero Elia (10) wieder aufgenommen. Fast schon ritualisiert ist hier das Streben nach Selbstverbesserung, verbunden mit der ewigen Beteuerung, bisher habe einen noch niemand in Höchstform spielen gesehen. Es wird noch einmal deutlich, dass eines bei allem Können im Fußball fast unverzeihlich ist: Arroganz. Der einzelne ist nichts, das Kollektiv alles46. Dies steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen vieler Fans, die einen persönlichen Sporthelden haben (und auch fordern), wenn­ gleich sie gleichzeitig Anhänger eines Vereins, meist desjenigen des Heldens, sind47. II.1.1.1.b Kicker #5, 14.1.2010

Die untersuchte Donnerstagsausgabe beginnt mit einer Titelseite, die mit 11 Titelthemen keinem davon wirklich viel Platz einräumt. (Siehe Tafel  5 Ab­bil­ dung 23) Vor uns liegt ein Heft, das nicht zum Vergnügen publiziert wird, son­ 44

45 46 47

Wenn ich von „Gewalt“ und „Gewaltdiskurs spreche, ist es wichtig, dies nicht als normative Kategorie zu verstehen. Im folgenden meine ich mit Gewalt jede Krafteinwirkung auf Menschen oder Sachen, deren Ausmaß potentiell schädigend wirkt. Tendenziell neigen Gewaltverhältnisse dazu, asymmetrisch zu sein. Angesichts dieser Zahlen verwundert vermutlich nicht, dass Butschers Verein, der FC Freiburg sich zum jetzigen Zeitpunkt am hinteren Tabellenende (18. Spieltag Platz 15) befindet. Perfiderweise ist im Fall eines verspielten Balles diese Maxime meist nicht mehr gültig; hier kommt es teilweise zu heftigen Anfeindungen einzelner Spieler von Fans wie Reportern. Ein Verhalten, das Frauen häufig vorgeworfen wird.

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dern einen Bildungsauftrag hat: Mehr Fußballstatistiken für das Volk! Ein gu­ tes Drittel dünner, aber mit fast der gleichen Artikelzahl ausgestattet sind diese damit zwangsläufig kürzer als in der Montagsausgabe, was die Texte fast kom­ plett auf Kurznachrichten, 4-Fragen-Interviews sowie Statistiken und Ranglisten reduziert. Auch die Fotos fallen (noch) eine Nummer kleiner aus als in der Montagsausgabe, durch­aus angemessen beim verwendeten Zeitungspapier. Sei’s drum, wie die Vereine müssen eben auch die Leser durchs „Stahlbad“ (26). Diese Verknappung führt bei der Lektüre dazu, dass das beherrschen­ de und einzige nach der Lektüre des Hefts bewusst wahrgenommene Thema konsequenterweise Konkurrenz um den Stamm(spiel)platz ist. Die unter vie­ len Artikeln gezogene „Gewinner & Verlierer“-Bilanz und die fast ausschließlich auf Transfer, Ersatzmänner für verletzte Spieler und Personalideen ausgerichte­ ten Berichte rufen ständig in Erinnerung, dass es eben nur wenige wirklich schaf­ fen können, und dass die Spieler einer Mannschaft nicht nur mit allen anderen Mann­schaften, sondern, oft viel schärfer, auch untereinander konkurrieren.

II.1.1.2 11 Freunde Bei 11 Freunde  –  Magazin für Fussballkultur handelt es sich um ein im Jahr 2000 entstandenes Fußballmagazin, dass sich aus dem Umfeld des un­ ab­­hän­gigen kostenlosen Musikmagazins Intro entwickelt hat. Das geschah laut Website48 aus dem Bedürfnis nach einem „intelligenten, humorvollen, ver­eins­unabhängigen Magazin mit ästhetischem Layout“ und „statt nur ge­ sichtslose[n] Statistiken und Spielberichten […] mit hintergründigen, aber fri­ schen Reportagen“. 11 Freunde scheint für Sport das anzustreben, was brand­ eins für Wirtschaftsmagazine leistet: LeserInnen zu aquirieren, die vor Existenz des Heftes an der Sparte eigentlich nicht interessiert waren. Das Heft ist durch die gekonnte Gestaltung hervorragend zum Di­stink­ tions­gewinn geeignet. Hier wird Fußball zelebriert, aber, und darauf wird Wert gelegt, stilvoll und intelligent. Mit den Rezeptionsgewohnheiten des gemeinen Fußballfans will man nichts zu tun haben, die Leserschaft gibt sich mit Sinn für gestalterischen Humor wie für die Quintessenz moderner grafischer Gestaltung (viel Weißraum, ruhiges Layout, überlegte, nicht zu konservative, aber immer gut lesbare Typographie, teilweise Einsatz von Illustrationen anstelle von Fotos). Die Redaktion inklusive Chefredakteur, stellvertretendem Chefre­dak­ teur und Chef vom Dienst ist komplett männlich, auch wenn unter den Schrei­ benden Frauen sind. Bildredaktion und Heftgestaltung hingegen sind in aus­ schließlich weiblicher Hand, vielleicht ein Grund, warum das Heft von mehr Frauen als Kicker oder Sport Bild gelesen wird49. Das Heft ist relativ dick (130 Seiten plus Umschlag), hat eine feste Klebebindung und ist abgesehen vom Umschlag, der satiniert und etwas fester ist, auf einem nicht-ganz weißen offenen Papier gedruckt. So entsteht der Eindruck eines hochwertigen Recyclingpapiers, auch hier kennerisches Understatement. Dass der Fotodruck dadurch etwa bei großen farblich homogenen Flächen körnig wirkt, wird billigend in Kauf genommen – man weiß, was man hat, und wer das als Zeichen minderer Qualität deutet, gehört wohl sowieso nicht zur Zielgruppe des Heftes. (Siehe Tafel 6, Abbildungen 24-25) 48 49

28

http://www.11freunde.de/ueberuns, letzter Zugriff 4.2.2010. Allerdings, wie oben bereits erwähnt, von deutlich weniger Frauen als die Bravo Sport, deren Macher ironischerweise als Zielgruppe 10–19jährige Jungen angeben.

Die Typographie besteht aus einem geschickten Mix einer Grotesk­ schrift (für Überschriften, Bildunterschriften, teilweise Betonungen im Text, Kurz­ mitteilungen) und einer Serifenschrift (für Unterüberschriften und Fließtext), je­ weils mit flexiblem Einsatz von Schriftschnitt. Diese Hierarchie wird bei kürzeren Texten manchmal umgedreht. Die Titelseite hat deutlich weniger Titelthemen als bei Kicker; die­ se nehmen auch weniger Platz ein als bei den anderen Zeitschriften und der Logo­ schriftzug steht nicht isoliert, sondern ist in die Gestaltung des Titels einbezo­ gen. Die Gestaltung und die Zielgruppe – überdurchschnittlich gebilde­ te, mitteljunge gutsituierte Männer – scheinen gut aufeinander abgestimmt. Dies wird sicherlich auch durch die im Vergleich zu anderen Zeitschriften sehr hohe Anzeigendichte ermöglicht. Im Folgenden werde ich auf die Themen, Sprache und Bildsprache zweier Ausgaben genauer eingehen. II.1.1.2.a 11 Freunde # 95 Oktober 2009

Auf dem Titelblatt ist Michael Ballack, Kapitän der deutschen National­mann­ schaft, in Straßenbekleidung abgebildet. Der Ausschnitt ist so gewählt, dass Ballack immobilisiert wirkt: Arme und Beine stoßen ebenso an den Formatrand wie der Kopf, den Ballack leicht schräg hält. Er scheint sich an der Bank, auf der er sitzt, festzuhalten, der Kopf verdeckt teilweise das Zeitschriftenlogo, wo­ durch sich ein fast dreidimensionaler Eindruck ergibt. Über die Brust seines T-Shirts läuft ein an eine Blutspur gemahnender Schmierstreifen. (Siehe Tafel 7, Abbildung 27)

Der hellste Punkt des Bildes ist abgesehen von der weißen Wand, die etwa in Kinnhöhe Ballacks beginnt, der entblößte Kehlkopf, der auch vom leicht nach oben gereckten Kinn nicht verschattet wird. Es ist das Porträt eines der Kamera Ausgelieferten50, der Blick beinahe melancholisch, die schweißglän­ zende Stirn im Gegensatz zu den Wangen nicht abmattiert. Dass Ballack nicht alltäglich, glatt, zufrieden porträtiert werden wird, wird durch die rot unterleg­ te Schlagzeile „Ballack! [darunter kleiner] Die seltsame Karriere eines Weltstars“ bestätigt. Auf diesen Schriftzug leitet die Blutspur des T-Shirts das Auge hin, die anderen Titelthemen (Torwart Jörg Butt, englische Hooligans, Fanartikel und das enthaltene Stadionposter) halten sich links oben optisch sehr zurück. Das einzige um die Aufmerksamkeit konkurrierende Element der ansonsten in dunk­ len Tönen mit roten Akzenten gehaltenen Titelseite ist eine kleine Abbildung des Covers der ersten 11 Freundinnen, dessen Grün fast wie eine Antithese zum Foto Ballacks wirkt. Nach Aufschlagen des Heftes wird man auf der ersten rechten Seite vom unter „Post aus der Redaktion“ betitelten betont locker gehaltenen Editorial begrüßt, das mit den Worten „Liebe Leserinnen und Leser“ beginnt. Da die Zeile nach Leserinnen (bewußt) umgebrochen ist, bleibt das Auge zunächst an der Zeile „Liebe Leserinnen“ hängen. In der im Internet (www.11freunde.de/dasheft) replizierten Variante dieses Editorials werden hingegen die Leserinnen gar nicht direkt angesprochen.

50

Dies korrespondiert mit der Beschreibung des Kampfes von Ballack gegen die Vereinnahmung seiner Privatperson durch die Medien (und damit indirekt den Fans).

29

Im Editorial wird neben der Einführung des Hooligan-Themas und der Zusammenfassung einer vom Magazin ausgerichteten Gala für den Spieler der Saison 2008/09 auch 11 Freundinnen vorgestellt. Dies geschieht über ein Zitat von Sepp Herberger, in dem er feststellt, dass Fußball keine weibliche Sportart sein könne, da es ein Kampfsport sei – „eine einleuchtende Beweisführung“, wie die Redaktion findet. Trotzdem sei „Frauenfußball im Jahre 2009“ eine faszinie­ rende Sportart, daher die Würdigung in einer eigenen Zeitschrift. Unterschrieben wird dies „Frauenbewegt: die 11 Freunde-Redaktion“. Nach dem doppelseitigen Inhaltsverzeichnis belegt ein über Seite 6 und 7 laufendes Foto eindrucksvoll die These vom Fußball als Kampfsport: unter der Bildüberschrift „Bolivianischer Can-Can“ werden wir Zeuge, wie ein Fußballer (Leonardo Medina) getroffen vom Fuß seines Gegners (Sergio Jauregui) quasi durch die Seite zur Ecke hinausfliegt. Es ist ein Bild, das die Wucht des Trittes eindrücklich transportiert, Jaureguis Körper erstreckt sich fast diagonal von der oberen rechten Ecke der Seite bis etwa zur Hälfte der linken Seite, die gesamte rechte Seite fungiert also als Schwungbahn des Körpers. Die Horizontlinie liegt unter dem Schritt Jaureguis, so dass der Stollenschuh nicht nur auf den bemit­ leidenswerten Medina, sondern auch auf den Betrachtenden herunterzukommen scheint. Der Bildkommentar („Mit einem Fußtritt beschließt Sergio Jauregui vom Club Blooming seinen Disput mit Gegenspieler Leonardo Medina von Oriente Perrolero. Die Attacke im bolivianischen Stadtderby von Santa Cruz brachte dem Nationalspieler ein Jahr Sperre ein.“) erwähnt zwar die vergebene harsche Strafe, enthält sich aber sonst jeder negativen Wertung; durch die Verwendung der Bezeichnung „Can-Can“ entsteht im Gegenteil eher der Eindruck von tänze­ rischer Virtuosität und Beweglichkeit. (Siehe Tafel 8, Abbildung 28) Nach zwei weiteren Fotodoppelseiten (mit französischen Fans und den deutschen Frauen als Siegerinnen im EM-Finale, zu letzterem Bild siehe II.1.3.2) fol­gen sieben Einzelseiten (mit jeweils einer Seite Werbung daneben) unter der Rubrik „Kurzpass“. Hierbei handelt es sich um die auch in anderen Formaten üb­ lichen Kurznachrichten, die nicht genügend Material für einen ganzen Artikel bieten. In 11 Freunde werden hier jedoch anders als etwa in Kicker häu­ fig skurrile Meldungen veröffentlicht, etwa über Rechtschreibfehler auf UEFAPlaketten, Superheldenkostüme im Fanshop des FC Chelsea oder eine wegen Drogen­besitzes und –anbaus verhaftete Ex-Spielerfrau. Auf Seite 28 beginnt unter dem Titel „Der Unvollendete“ das Ballack­ porträt, das sich über zwölf Seiten erstreckt. (siehe Tafel  8, Abbildungen 29–31) Der Spieler wird dargestellt als Anti­these des Geniekults, als echter Teamplayer, als einer, der eine intelligente Trennung zwischen Privatleben und Beruf hin­ bekommt. Dies, so der Artikel, werde ihm im stets nach der Überfigur suchen­ den deutschen Fußball zutiefst verübelt, seine Zurückgenommenheit werde als Führungsschwäche interpretiert51. Deutsch­land, das „den Zug in die Moderne“ verpasst habe (30) sei Ballack gegenüber sehr undankbar, nur weil er kein „Egomane“ (31) wie Oliver Kahn (der weiter vorne im Blatt aufs Korn genom­ men wurde) sei. Der Mythos des „ewigen Zweiten“ wird mehrmals thematisiert, jedoch so umgedeutet, dass Ballack einfach nicht genügend Mitspieler seines Ka­ 51

30

Eine besonders aussagekräftige Passage scheint mir folgendes Zitat zu sein: „Seit Franz Beckenbauer dem überforderten Bundestrainer Helmut Schön bei der WM 1974 die Aufstellung diktierte, hat es für einen außerordentlich begabten Spieler nicht mehr gereicht, seinem Potenzial nur auf dem Platz gerecht zu werden. Seitdem musste der Leader zusätzlich auch in der Kabine und vor den Mikrofonen das Alphamännchen geben.“

libers habe, mit denen es für den ersten Platz reichen würde. Hier wird eine der möglichen Rollen des männlichen Spielers (siehe Kapitel III), die des Denkers, des Feingeistes, geradezu exemplarisch vorgeführt. Bei der Fotoauswahl scheint es den Bildredakteuren wichtig gewe­ sen zu sein, die Aufgeschlossenheit und Teammentalität Ballacks zu zeigen und so gegen den Vorwurf der Arroganz, des „Prada-Profis“ (30) anzugehen. Die ein­ führende Doppelseite zeigt Ballack im T-Shirt des Titelbilds, diesmal allerdings mit einem Cardigan darüber und in weitaus entspannterer Pose. Seine auf den Knien aufgestützten Arme führen das Auge auf sein Gesicht zu. Er lächelt nicht, sieht aber offen und zufrieden aus. Im Hintergrund warmes Rot, die Überschrift ins Bild laufend, der Satz flatternd entsteht eine Atmosphäre von ungezwunge­ ner Privatheit. Die anderen Fotos zeigen Ballack zweimal beim Herzen und/oder Küssen von Mannschaftskollegen, einmal selbstkritisch mit der Hand vor den Augen nach dem Verschießen eines entscheidenden Balles, einmal beim erbosten Gestikulieren mit dem Schiedsrichter und einmal beim traditionellen Münchner Bier­bad. Auf all diesen Bildern ist Ballack in der Montur seines jeweiligen Teams zu sehen, es wird hier also nicht der private Ballack gezeigt, sondern der Spieler. Dieser wird als „typischer“ Spieler inszeniert, einer, der bei den Ritualen mit­ macht, der für sein Team kämpft, und emotional tief mit diesem verbunden ist. Im „Interview des Monats“ mit Vereinspräsident Strutz und Manager Heidel von Mainz 05 (S. 43–47) wird die im Porträt Ballacks angesprochene zu­ nehmende Kommerzialisierung und das damit verbundene Medienspektakel wie­ der aufgegriffen. Strutz und Heidel werden hier als begeisterte Fans ihres eige­ nen Vereins dargestellt, die aus Leidenschaft ihrem Beruf nachgehen und frei von der Leber weg reden, die keine weitere Professionalisierung und Expansion an­ streben, sondern eine Konsolidierung ihres Vereins bei gleich bleibender Mo­ ti­vation von Spielern und Fans. Der Aufstieg von Mainz  05 habe die gesam­ te Stimmung in der Stadt nachhaltig positiv beeinflusst und sie von einer „Stadt ohne Emotionen“  (47) zu einem lebendigen Ort gemacht. Die beiden Männer sind also im Prinzip Philanthropen, und Fußball in seiner reinen Form stellt ihre Waffe zur Läuterung der Welt dar. Die Fotos zeigen die Männer in Jeans und graubraunen Jacken im leeren Stadion, bis auf das Porträt eines etwas angespannt wirkenden Heidels sehen sie wie Freunde aus, die gemeinsam eine gute Zeit er­ leben. Dies sind keine Glamourshots. Da sich das Grau ihrer Jacken in jedem Bild auch in der Architektur des Stadions wieder findet, wirken sie besonders zu Hause. Zudem wird dem Stadion in den Bilden extrem viel Raum eingeräumt: auf zwei von vier Fotos sind die Männer sehr klein, fast im Hintergrund des Bildes zu sehen. (Siehe Tafel 9 Abbildung 32) Der mit „Das Methusalem-Komplott“ betitelte Bericht über HansJörg Butt (Seite 68–73) stellt einen weiteren Typ des Fußballers vor: die treue Kampfmaschine. Der „Mann, der aus dem Halbdunkel kommt“ (70) spiel­ te, damit seine Mannschaft den ersehnten Aufstieg schaffte, mit dreifacher Bänderruptur „heiß wie Frittenfett“ (69), dabei jedoch stets mit Verständnis für seine Mitspieler. Entsprechend zeigen die Bilder einen durch den Weißraum der Seite fliegenden oder auf Textbalken sitzenden Butt: natürlich im Trikot, sonst ohne Kontext, jederzeit an jedem Ort einsetzbar. (Siehe Tafel 9 Abbildung 33)

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Die bei Ballack be­klag­te Emotionslosigkeit52 wird an Butt gelobt, kreiert sie doch einen Spieler, der keine lästige psychologische Aufarbeitung benötigt: „Diskretion bis an die Grenzen der Selbstzerfleischung, mehr als untypisch im von Exzentrikern durchsetzten Gewerbe der Bundesliga-Torhüter“ (71). Er ist halt kein „schäumender Dampf­plauderer“ oder „schräger Spaßvogel“ (72). Von diesen gibt es etwas zu hören im Vorabdruck des Buches „Dem Fußball sein Zuhause“ von Ben Redeling auf den Seiten 74–76. Im vorgestellten Ausschnitt geht es um Alkoholkonsum im Profifußball. Wie von echten Männern erwartet, gibt es „spektakuläre Eskapaden“ der „trinkfesten Fußballhelden“ (74). Auch der Fall des „tragischerweise totgesoffenen“ Trainers Branco Zebec wird eher mit einer „boys will be boys“-Einstellung kolportiert. Bier und Fußball, das gehört halt zusammen, und wer keinen Alkohol verträgt, versteht auch keinen Spaß53. Im „Land mit Löchern“ (Seite 88–97) wird erneut die Kommerz­iali­ sierung des Fußballs beklagt, diesmal nicht auf die Bundesliga bezogen, sondern auf Italien. „Es geht immer weniger um die 90 Minuten, in denen zwei Mannschaften versuchen, ein Fußballspiel zu gewinnen. Wichtiger ist das Drumherum, die vielen Worte, die täglich von Dutzenden Fernseh- und Radiosendern ausgestrahlt und in drei täglich und landesweit erscheinenden Sportzeitungen gedruckt werden. […] Das Spiel wurde durch Geschäfte und Gerede in den Hintergrund gedrängt.“ (94). Es wird auf den Zusammenhang zwischen den Spitzengehältern der Spieler und der Vermarktungsmaschine hingewiesen, mit der schüchternen Überlegung, dass die Krise, die den italienischen Fußball gerade beutelt (Spieler würden mehr nach den verkauften Trikotzahlen als nach der Leistung auf dem Feld ausgesucht), demnächst auch im restlichen Europa ankommen könne. Hooligans werden als Fuß­ballbegeisterte beschrieben, bei denen dann „die Leidenschaft in Fanatismus“ um­kippe (97). Aber die große Stärke des italienischen Fußballs sei eben auch gra­ de die Begeisterung und Leidenschaft, mit der Italiener Fußball feierten: so sei die Zeitung mit den meisten Lesern Italiens (und das tagtäglich) die Gazzetta dello Sport. Die den Artikel begleitenden Bilder sind farblich stark entsättigt, ha­ ben daher einen Grauschleier. Thematisch ein verblüffender Mix aus Bildern der Fans (eine jubelnde Menge mit einem besorgt aussehenden Priester, ein Blick aus einem Krankenhaus heraus auf einen Fußballplatz (siehe Tafel  10 Abbildung  34), demonstrierend, von den Balkonen eines Wohnhauses herunter, im Stadion kon­ sterniert, hinter Gittern in der Schlange vorm Kassenhäuschen), einem „Devo­tio­ na­lien­händler“, wie der Artikel den alten Mann mit seinem überfüllten Tapezier­ tischchen betitelt, einer nach unten führenden Treppe in einem Stadion und den ausgeschnittenen verbleichten Fotografien von zwei Stars auf einem grauen Latten­zaun. Viele dieser Bilder hätten auch als Illustration von Artikeln über so­ ziale Brennpunkte getaugt, oder für einen Bericht über Gefängnisse oder andere Institutionen. Die Farbgebung mit dem durchgehenden Querformat erzeugt eine 52

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Um es noch einmal überdeutlich zu erklären: Bei Ballack wird die Distanziertheit reklamiert, da er sich so um die Liebe des Publikums bringe, nicht, weil er daher schlechter spiele. Es wäre interessant, anhand einer größeren Stichprobe, etwa von Spielberichten, zu untersuchen, ob Fußball gemäß des Mythos zwar fanatisch begleitet, aber emotionslos gespielt sein sollte, oder ob damit das vielbeschworene „Ballgefühl“ zu kurz käme. Interessant wäre es hier, der Frage nachzugehen, welche anderen (geschlechtscodierten) Nahrungs- und Genußmittel im Fußball eine Rolle spielen. So merkt Andreas Beck, deutscher Nationalspieler, auf http://www.zeit.de/sport/fussball/2009-10/beck-russland-essen-marzipan, letzter Zugriff 6.2.2010, an, dass er keinen vegetarischen Fußballer kenne. Zur Geschlechtscodierung von Nahrungsmitteln siehe etwa Setzwein 1997 oder Sandgruber 2006.

Schwere und Tristesse, die nicht einmal durch die Bilder mit den fröhlich wirken­ den Zuschauern (Priester und Balkone) konterkariert werden. Die konsequente Ein­haltung des Gestaltungsrasters (hier rigider als in anderen Artikeln) trägt zum Gefühl der Zwanghaftigkeit und Leblosigkeit bei. Die Ambivalenz, die sich aufdrängt, wenn man in einem Medium die Omnipräsenz der Medien kritisiert sieht, wird auf der nächsten Doppelseite (98/99) wunderbar reflektiert. Die linke Seite beschreibt, „Welle Wahnsinn“ beti­ telt, die absurde Aggressivität vieler Profispieler und den Versuch der Vereine, die­ se „Amokläufe“ in den Griff zu bekommen. Auf der rechten Seite findet sich eine Werbung fürs d:sf, in der ein Spieler gerade zum Foul ansetzt, um seinen Gegner um den Ball zu bringen, mit der Unterschrift „2. Liga kommt von 2-Kampf.“ Einerseits sind Zweikampfbilder (nicht nur in 11 Freunde) sehr be­ lieb­te Fußballmotive (im besprochenen Heft etwa auf Seite 5/6, 83, 85, 118), wird ein Fußballschuh einer Firma namens „Under Armour“ präsentiert, der mit dem Spruch „Eine tödliche Waffe, die durch Schnelligkeit und Stärke verheeren­ den Schaden anrichtet“ beworben (113) wird, ist die Durchsetzungsfähigkeit der Spieler ein zentrales Gütekriterium und immer wieder wird der Kampf als zentra­ les Element im Fußball betont, andererseits soll das ganze ohne Aggression von­ statten gehen – eine schwer zu verstehende, wenn nicht gar unauflösbar ambiva­ lente Doppelbotschaft. Diese Doppelbotschaft ist auch im Artikel über Hooligans (Seite 100– 107) hörbar. So wird einerseits vom „Leben zwischen Chaos und Wahnsinn“ (100) gesprochen, andererseits werden als Gründe für Hooliganismus neben „Adrenalin“ Integrität des eigenen Territoriums, Stolz, Identität, Kameraderie, Respekt, Humor und Eskapismus genannt – bis auf letzteres sämtlich positiv kon­ notierte Begriffe. Die porträtierten Männer wirken zerrissen zwischen Eros und Thanatos, und interessanterweise wirkt hier das normale Leben eher wie Thanatos. Nur der Preis des Eros – abgeschnitten zu sein von normalen Beziehungen, ge­ sundheitliche, finanzielle und rechtliche Konsequenzen – löst die Probleme der Männer aus, nicht etwa die von ihnen ausgeübte Gewalt selbst. Die begleitenden Porträts spiegeln diese Widersprüchlichkeit des Artikels gut wider. (Siehe Tafel 10 Abbildung 35) Das einleitende Gruppenporträt, das durch die Unbündigkeit mit der Überschrift „Böse Buben“54 den Inhalt der Überschrift zusätzlich in Frage zu stellen scheint, zeigt einen der Vorgestellten, Pat Dolan, schwarz gekleidet in klassischer Türsteherpose, mit vor dem Körper verschränkten Armen, drohend von oben herabblickend. Zu seiner Linken reckt Mark Gregor herausfordernd das Kinn hoch. Beide fokussieren auf den gleichen Punkt, die Kamera bzw. den Betrachter des Fotos. Nur Djelal Ispanedi blickt eher defensiv an der Kamera vorbei und sieht mit hängenden Schultern wenig kon­ frontativ aus. Die Einzelporträts von ihm und Mark Gregor wirken auch eher harmlos, wenn nicht gar sympathisch – dies sind Männer mit einer Geschichte, was für eine, erschließt sich nicht auf den ersten Blick  –  ein Effekt, der durch die einfarbig schwarzen Hintergründe verstärkt wird. Pat Dolan dagegen blickt auch im Einzelbild sehr finster drein, nach Lektüre des Textes schleicht sich der Verdacht ein, dies sei eine gekonnte Inszenierung seinerseits, als habe er das Gefühl, dies seiner Vergangenheit (und wohl noch immer Identifikationsgruppe) quasi aus Imagegründen schuldig zu sein. Und er bringt auch das Dilemma auf 54

Die Ironisierung der Straftaten der Porträtierten scheint mir in diesem Zusammenhang bezeichnend.

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den Punkt: „Diese ganze Hooligandiskussion ist doch bigott. Die Leute machen sich was vor, wir werden schon als Kinder zum Kämpfen und Gewinnen erzogen.“ (106). II.1.1.2.b 11 Freunde # 98 Januar 2010

Das zweite untersuchte Heft erweitert den oben vorgestellten Themenkreis nicht wesentlich. Die Titelseite (siehe Tafel 11 Abbildung 36) greift das in Heft 95 einge­ führte Gewaltthema55 unter „Fußballfans sind Verbrecher oder: wie Justiz und Polizei sie dazu machen wollen“ mit einer Illustration eines Fußballfans während seiner Verhaftung durch zwei Polizisten wieder auf. Die Polizisten sind mit Helm und Schlagstock ausgerüstet, der Fan hat seine Hände auf den Rücken gefesselt. Der Stil der Illustration ist an Stencil-Graffitis angelehnt, ebenfalls eine kulturelle Äußerung mit der Tendenz, kriminalisiert zu werden. Die dargestellte Situation wirkt schon wegen der völligen Ausgeliefertheit des etwas dicklichen Fans be­ drohlich, die Polizisten wirken wie Stormtrooper. Im dazugehörigen Artikel (Seite 114–121) wird trotz der beschriebe­ nen Ausschreitungen (ein verwüsteter Hauptbahnhof, in einen Hinterhalt ge­ lockte Polizisten, die mit Steinen, Flaschen und Nebelgranaten attackiert wur­ den) ein Ansteigen der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballfans bestritten. Das Gewaltproblem habe schon immer existiert, nur habe sich das Verhältnis zu den Polizisten verschlechtert, da diese schon am Bahnhof mit rauem Ton und un­ ter Einsatz von „martialisch gerüstete[n] Einheiten“ (116) auf die Fans losgingen. Die „verhärtete[n] Fronten“ (120) werden beklagt, ebenso wie die nicht themati­ sierte Polizeigewalt. Der Artikel endet mit der Aufforderung, Polizei und Politik sollten doch mit den Fans in einen Dialog treten, um gemeinsam Pläne zu entwi­ ckeln „wie denn nun die Fußballgewalt sinnvoll zu bekämpfen ist“. Die komplett in rot/schwarz gehaltenen Fotos (siehe Tafel  11 Ab­bil­ sind durch einen Photoshopfilter verfremdet und haben alle das selbe quadratische Format, welches jeweils ohne Textkontakt auf einer Einzelseite steht. Dies transportiert einerseits die Festgefahrenheit der Situation, historisiert ande­ rerseits die Bilder in einem Maße, das eine kritische Auseinandersetzung schwie­ rig macht. Man denkt an ikonische Bilder der politischen Auseinandersetzung (Che-Porträt, RAF-Fahndungsfoto, der erschossene Benno Ohnesorg); die Bilder erscheinen weniger Darstellung einer noch in der Verhandlung befindli­ chen Gegenwart, sondern vielmehr kanonisierte Zusammenfassung eines abge­ schlossenen Prozesses. dung  37)

Auch für diese Wiederholung der in Ausgabe 95 getätigten Äußerung, die wenig zur Aktualisierung des Gewaltdiskurses beiträgt, diesen vielmehr nur bestätigt, gilt meine oben angebrachte Kritik. Außerdem verwunderlich, dass das „Es war doch schon immer so“-Argument bei (zumindest gemäß Selbstanspruch) reflektierten Menschen nicht automatisches Misstrauen gegenüber der eigenen Argumentation hervorruft. Auf den ersten beiden einleitenden Fotodoppelseiten (siehe Tafel  12 Ab­bildungen 38–39) dieses Heftes geht es ebenfalls um die Auseinandersetzung mit

dem Thema Aggression: eine Kampfszene mit einem am Boden liegenden Spieler, der unter den Beinen seines Gegners angestrengt versucht, sich wieder aufzurich­ 55

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Elias/Dunning 2003: 105f. deuten das zunehmend rauere Spiel übrigens mit einem durch steigende soziale Spannungen ausgelösten Entzivilisierungsschub. Auch dieser Gedanke hätte eine Diskussion in den entsprechenden Medien verdient. Siehe zu einer weitergehenden Auseinandersetzung auch Dunning 2003.

ten („Am Boden der Tatsachen“, S. 10-11) sowie ein feierndes Publikum (das Bild zeigt die in der Bildunterschrift festgestellten „kriegsähnliche[n] Zustände“ aller­ dings keineswegs, S. 12–13). Auch im Bericht „Eine Insel mit zwei Toren“ (S. 30–41) wird das Thema angesprochen. Zunächst wird dort aber ein weiteres zentrales Fußballmotiv vor­ gestellt: Fußball als Integrationsmedium. Hier wird von der kleinsten Liga der Welt auf den Scilly-Inseln berichtet, in der jeder ohne Rücksicht auf körper­ liche Verfassung oder Alter mitspielen darf. Idylle und Harmonie im gesamten Inselzusammenleben würden von der Liga gefördert. (Siehe Tafel 13 Abbildung 40) Diese Kameradschaft wird zum Teil am gemeinsamen Durchleben von Aggression festgemacht. So erzählt ein Spieler von einem Match, in dem er nach vier Toren vom Trainer gefragt wurde, ob er ausgewechselt werden wolle. Er ant­ wortete, dass er noch zwei Minuten spielen wolle, worauf sein Gegner ihm mit den Worten „Du gehst jetzt!“ die vordere Zahnreihe einschlug. Er brach seinem Gegner daraufhin das Fußgelenk, dann gingen sie nach ein paar Pints gemeinsam zum Arzt. Der Artikel kommentiert dies mit den Worten „Diesen besonderen Geist, in England nennen sie ihn sportsmanship, beschwören sie auf der ganzen Welt, doch vermutlich nirgendwo so sehr wie im britischen Fußball.“ (36) Der schlechte Einfluss der lokalen Schule und des restlichen Großbritanniens, der ver­ breite, beim Sport ginge es doch nur ums Mitmachen, sei mittlerweile zum Glück wieder einigermaßen besiegt, inzwischen komme es wieder zu Blutgrätschen, Tacklings und Zweikämpfen. Die verwendeten Fotos (siehe Tafel 14 Abbildungen 412–44) lassen die­ se Sehnsucht nach Körperkontakt besser verstehen als alle Worte: alle Fotos außerhalb des Fußballkontextes zeigen nur weite Öde und Bezugslosigkeit. Gegenstände wirken grundsätzlich etwas würdelos gealtert und haben eine Fußballfunktion: eine alte Tafel mit dem Schatten alter Inschriften für die Taktikbesprechung, ein Haufen verdreckter Stutzen, die gesammelten Pokale der zwei Vereine. Die Porträts der Spieler betonen deren Heterogenität und sind die einzigen, die einen Rotstich haben; alle anderen Fotos weisen einen Grau-BlauStich auf, wirken also kälter. Auch der Kommerzialisierungsdiskurs wird mehrmals im gleichen Tenor wie im vorherigen Heft angesprochen, unter anderem im Interview mit Kuranyi und im Bericht über den am Rande des Abgrunds manövrierenden Vereins Union Solingen. Hierbei wird allerdings gar kein neues Material einge­ bracht, der Diskurs vielmehr durch Wiederholung legitimiert. An einer Stelle flammt kurz das Thema Homosexualität und Fußball auf, indem in einer Satire über die Wettskandale ein durch seine sexuellen Präferenzen erpressbarer Linienrichter erwähnt wird (52). Dieses Thema wäre für das Verständnis der unterschwellig mitschwingenden Geschlechtermodelle si­ cherlich sehr interessant gewesen, leider beschränkt es sich auf diesen Nebensatz.

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II.1.1.3 Zusammenfassung: Sportmagazine für Männer •

Fußball heißt für diese Magazine immer Männerfußball; wie Simone de Beauvoir schon feststellte56, ist das Allgemeine immer der Mann, die Abweichung davon die Frau. Dies mag auch daran liegen, dass nur eine verschwindend geringe Zahl von Frauen in diesen Medien über Fußball schreiben darf.



Die stark ritualisierte Sprache, besonders in den proletarisch gepräg­ ten Magazinen, in Anleihen jedoch auch in den kulturwissenschaftli­ chen, ermöglicht dem Leser ein müheloses Wiedererkennen der kultu­ rell sanktionierten Werte, bietet ihm sozusagen ein Sinn-Zuhause. Dies scheint umso wichtiger zu sein, je weniger kulturelles Kapital (im Sinne von mühelosem Decodieren der Zeichen und Einschreiben von neuer Bedeutung) dem/der LeserIn zur Verfügung steht.



Auffällig erscheint mir die von Akademikern stärker eingeforderte hier­ archische Gliederung der Themen (etwa durch grafische Gestaltung und Zwischenüberschriften); möglicherweise hängt dies mit der größeren Vertrautheit dieser Gruppe mit gewöhnlich stark strukturierten (wissen­ schaftlichen) Texten zusammen. Dies koinzidiert mit den Grundsätzen moderner grafischer Gestaltung. Die Kenntnis um die Konventionen und das Einhalten dieser ist für das Medium 11  Freunde, auch im Vergleich zu anderen kulturwissenschaftlichen Fußballzeitschriften wie etwa dem österreichischen ballesterer überaus wichtig, so dass ein erheblicher Distinktionsgewinn dahinter vermutet werden kann.



Die behandelten Inhalte überschneiden sich stark zwischen beiden Magazingruppen, auch wenn die Nuancen und zur Illustration her­ beigezogenen Inhalte sich häufig leicht unterscheiden. Die von mir er­ kannten „globalen Inhalte“ sind Integration, das Verhältnis zwischen eigener Leistung und Zusammenarbeit in der Gruppe, welches häu­ fig über Demut und Arroganz codiert wird sowie die einerseits beklag­ te, andererseits durch den Anspruch von Fans und Medien geforderte Kommerzialisierung.



Rein proletarische Themen sind die scheinbare Allgegenwärtigkeit von Konkurrenz sowie das Verhältnis zum und Recht auf den Körper (viel­ leicht aus der historischen Erfahrung des Verleihens des eigenen Körpers heraus). Der intellektualistische Diskurs negiert die Beanspruch­ung des Profikörpers durch Außenstehende etwa in der Alkoholdebatte, in der das Recht zur völligen Autonomie, falls gewünscht bis zur Selbst­ zerstörung, postuliert wird. Hier nimmt der proletarische Diskurs ei­ nen fast puritanischen Zug an, indem der perfekt auf die zu erfüllende Funktion zugerichtete Körper eingefordert wird.



Eine Sonderstellung nimmt in all diesen Themen der Aspekt Gewalt und Aggression ein. Ihm scheint, vielleicht im Kontext der Konzeptualisierung von Geschlecht, eine zentrale Stellung zu gebüh­ ren. Die Verhandlung in den untersuchten Medien erfolgt dabei mit ei­

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„Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen.“ De Beauvoir 1992: 12. Vergleiche auch Kreisky 2006: 26f: „So muss es quasi natürlich scheinen, dass Männer Fußball spielen und daher auch die Inszenierung des Fußballs maskulin zu sein hätte. Frauenfußball erscheint dann stets als das Andere, als das Partikulare, das männlich Universalem notwendig unterlegen bleibt.“

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nem beachtlichen Mangel an Stringenz, vermutlich wegen erheblicher eigener Ambivalenz. Diese ist in 11 Freunde präsenter als im Kicker, wohl weil etwa die Kritik von sogenannten „Alphamännchen“ im aka­ demischen Diskurs deutlich ausgeprägter ist als im traditionell hierar­ chischer aufgebauten proletarischen. Der Gewaltdiskurs wird häufig über das gemeinsame Durchleiden gegenseitig zugefügter oder erlebter Gewalt („Leidensgemeinschaft) mit dem Integrationsdiskurs verknüpft.

II.1.1.4 Frauen und Fußball in Sportmagazinen für Männer Wie bisher nur behauptet wurde, kommen Frauen sowohl als Fans wie als Sportlerinnen in den beiden hauptsächlich an Männer gerichteten Magazinen kaum vor. Dies möchte ich nun mit der Analyse jeder einzelnen Situation, in der im untersuchten Material Frauen erwähnt werden, belegen. In der anschließen­ den Zusammenfassung geht es mir vor allem darum aufzuzeigen, welche Iden­ ti­fikationsmöglichkeiten die beiden vorgestellten Magazine Spielerinnen und weiblichen Fans bieten.

II.1.1.4.a Kicker #4 Auf der „anstoß“ betitelten Gemischtwarenseite 4 (siehe Tafel 15 Abbildung 45) finden sich gleich drei Hinweise auf Frauen: unter einem Foto, auf dem ein Ball mit den Lippen von Cristiano Ronaldo kollidiert, ist die Bildunterschrift „Ballverliebt. Komm her mein Schätzchen! Viele weibliche Fans von Superstar Cristiano Ronaldo wären glücklich, eine so zärtliche Zuwendung zu erfahren wie dieses Spielgerät.“ Darunter ist eine Abbildung der Pokale des „damenhaften Spitzenklubs“ Juventus Turin57 abgedruckt. Schließlich wird ein Paar juwelenver­ zierte Fußballschuhe von Rio Ferdinand mit dem Kommentar gezeigt „Frauen würden für solche Bling-Bling-Glitzersteinchen sterben“. Nach den Vorstellungen der Kicker-Redaktion wollen Frauen also von ihren Sporthelden geküsst werden, hegen eine unverhältnismäßige Liebe zu Juwelen, und damenhaft ist ein zumindest ungewöhnliches, wenn nicht abwer­ tendes Attribut für einen Fußballvereins (insbesondere eines „Spitzenklubs“). Danach ist erst wieder auf S. 63 von einer Frau die Rede: es handelt sich um die Motorradfahrerin (also explizit keine Fußballerin) Tina Meier, deren Mut und Risikobereitschaft herausgestellt werden. Der Artikel betont mehrmals, dass sie als Privatfahrerin antritt, die keine bestimmte Fahrzeit anpeilt, daher sportlich nicht im Konkurrenzkampf steht. Das unterscheidet sie von Zweierbobfahrerin Sandra Kiriasis (70–71); der Bericht über sie ist übrigens der einzig explizit von einer Frau geschriebene. Olympiasiegerin Kiriasis strebe sportlichen Erfolg sehr diszipliniert an, dieser scheinbare Konflikt mit der Frauenrolle wird aber auch gleich erklärend aufgelöst: „‚Ich war meinem Vater ein besserer Sohn‘, sagt die Sportsoldatin. Sie ist ein Technikfreak. Ein Polizeiauto stand bei der damals zwei­ jährigen Sandra auf dem Wunschzettel. Nix Puppen.“

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Hier stehe ich vor einem Rätsel: „damenhaft“ wegen der von 1897–1903 verwendeten rosafarbenen Trikots (http://de.wikipedia.org/wiki/Juventus_Turin, letzter Zugriff 8.2.2010)? Wegen der Manipulation der Ligaspiele (Frauen als hinterlistige Schlangen)? Oder wegen der günstigen Finanzlage, die jedem Spieler die darunter abgebildeten „Bling-Bling-Glitzisteine“ erlauben würde?

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II.1.1.4.b Kicker #5 In der Leserumfrage 2009 (Auswertung S. 19–21) wurden (neben vielen ande­ ren Fragen) zwei Fragen zum Thema Frauenfußball gestellt; die nach dem WMBesuch 2011 (32% der Kicker-Leser planen dies, nur geringfügig mehr als 2008) und die Frage, ob die Leser sich sehr (14%, 2008: 13%), weniger (64 %, 2008: 67%) oder gar nicht (21%, 2008: 19%) für Frauenfußball interessieren. Die ersten Umfragewerte werden positiv gedeutet („Jeder Dritte will Frauen un­ terstützen“), letztere negativ („Die Ignoranzquote ist gestiegen.“). Neben die­ sen Umfragewerten ist ein Foto der lächelnden Steffi Jones zu sehen, bei dem die Bildunterschrift erklärt, diese hoffe, dass mehr Kicker-Leser als bisher Karten für die WM kauften. Die einzig andere Erwähnung findet sich durch den Hinweis auf das bei www.kicker.de stattfindende Managerspiel, bei dem die Mitspieler selbst Teams aus den Bundesligaspielern zusammenstellen können. Im Artikel (47) fin­ det sich der Satz „Wider dem Klischee spielen auch die beiden teilnehmenden Frauen (Plätze zwei und fünf ) eine gute Rolle, nahezu alle Liga-Mitglieder ken­ nen sich auch untereinander.“

II.1.1.4.c 11 Freunde #95 11 Freunde scheint zunächst eine wesentlich aufgeschlossenere Einstellung dem Frauensport gegenüber zu hegen, zeigen sie doch immerhin weibliche Spie­ lerinnen sowie Fans und veröffentlichen außerdem die weiter unten analysier­ te 11 Freundinnen. Jedoch scheint mir die oben bereits zitierte im Editorial angesprochene (pseudoironische) Infragestellung der Eignung von Frauen zum Fußballspiel bezeichnend für das gesamte Heft: einerseits will man sich nicht mit Sepp Herberger so weit aus dem Fenster lehnen, Frauen die Fußballfähigkeit ab­ zusprechen (und ist, zumindest „Frauenfußball im Jahre 2009“ ja auch „eine fas­ zinierende Sportart“), andererseits (immer an den Leser denken) sieht man eben doch überzeugende Belege dafür, dass Fußball eigentlich eine Männersportart ist, und wenn überhaupt, Frauenfußball eine andere. Hier wird die prinzipielle Auseinandersetzung mit der Frage, ob Aggression ein männliches Prinzip bzw. Privileg, ob Aggression immer schlecht, ob und in welchem Maße Fußball aggressiv sei und sein sollte, vermieden. Hinter dem breiten Rücken von Fußball­legende Sepp Herberger kann man sich wunder­ bar verstecken, während man gleichzeitig seine unterschwelligen Ressentiments Frauen gegenüber spazierenführen kann. Mit diesem Herumlavieren stößt man, so das Kalkül, weder den traditionellen Leser noch potentielle neue Leserinnen zu sehr vor den Kopf und kann, je nach Erfolg der Etablierung des Frauenfußballs als Breitensports, hinterher immer noch die Pionierposition in seiner Förderung bzw. die Skepsis „von Anfang an“ reklamieren. In der einleitenden Fotostrecke (siehe Tafel 16 Abbildung 46) ist eine Doppelseite dem EM-Sieg der deutschen Frauen gewidmet. Unter der Bild­ unterschrift „Neue Mädels, alte Siege. Derweil bei den Herren jeder Gene­ rationswechsel zu Problemen im Betriebsablauf führt, machen die jungen Damen weiter, wo die älteren aufgehört haben: Kim Kulig, Celia Okoyino da Mbabi und Fatmire Bajramaj feiern den fünften EM-Titel in Folge“ sieht man die drei Spielerinnen mit der Trophäe. Alle drei sind sichtlich bewegt, umarmen jedoch im Gegensatz zu den im Hintergrund verschwimmenden Kolleginnen (und zu den aus allen Sportschau-Ausstrahlungen bekannten männlichen Siegerknäu­eln) nicht einander, sondern den Pokal. Alle drei wirken jung, ansprechend zurechtge­

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macht (da Mbabi und Bajramaj sind sehr gut manikürt, Kulig und Bajramaj tra­ gen im Jargon der Frauenzeitschriften „leichtes Tagesmake-up“) und in keiner Weise bedrohlich oder vermännlicht. Das Foto vermittelt gut die Freude am Sieg, am Sport und am Im-Rampenlicht Stehen. Auf Seite 40–41 zeigt die Rubrik „Heimspiel Stammplatz“ Karin Gehres, einen weiblichen Fußballfan, die das Stadion ihres Vereins vorstellt. (Siehe Links ganzseitig ist sie mit Schal des FSV Frankfurt abgebildet. Sie wirkt freundlich und entspannt, dabei aber bodennah, die Tribüne im Hintergrund ist extrem unscharf und überbelichtet, so dass nicht klar erkennbar ist, wo sich die Frau befindet. Von den fünf rechts abgebildeten Bildern des Stadions zeigen drei

Trophäengestaltung1 (siehe Tafel 17) 1) Bundesliga Die Schale der Männer, auch Salatschüssel genannt, wurde 1949 ange­ fertigt, übrigens in den Werkschulen Kölns von Elisabeth Treskow. Alle Deutschen Meister seit 1903 sind auf ihr eingraviert. Sie hatte ursprünglich einen Durchmesser von 50 cm, musste aber 1981 wegen Platzmangels auf 59 cm erweitert werden. Sie wiegt 11 Kilogramm und ist mit Turmalinen besetzt. Die Meisterschale der Frauen wurde erstmals für den Deutschen Meister (warum eigentlich nicht Meisterin?) 2009 entworfen (vorher gab es einen Pokal). Das Design ist an das der Männer angelehnt, hat ei­ nen Durchmesser von 50 cm und wiegt 7,1 Kilogramm. Alle Deutschen Meisterinnen seit 1974 sind verzeichnet. Obwohl die Zusammengehörigkeit der Schalen erkennbar ist, wirkt die Ausführung der Frauen wuchtiger. Dies liegt unter anderem daran, dass die Turmaline bei den Männern geschickt in die Kreisform eingearbeitet wor­ den sind; es ergibt sich eine organische, fast blütenartige Struktur. Auch die Textfelder für die Meister sind nicht mit graden Linien begrenzt, son­ dern weisen einen Schwung auf. Die Turmaline der Männer, die von gol­ denen Lorbeerkränzen bzw. einer schlichten Goldumrandung umfasst sind, wirken weniger wuchtig. Die gesamte Gestaltung erinnert an einen römischen Schild, ist von einer klassischen Eleganz, die der weiblichen Variante abgeht. Die Schale der Frauen mit den satellitenartig angeordne­ ten Turmalinen wirkt, sicherlich auch durch das prominente DFB-Logo mit all seinen Zacken, technischer. 2) Europameisterschaft Wie um dies auszugleichen ist der Pokal für die Europameisterschaft der Frauen schwer auf weiblich getrimmt. Das männliche Äquivalent sieht aus, wie man sich einen Pokal vorstellt: mit Henkeln, klassizistischen Elementen und vor allem: groß (über 60 cm Höhe). Der 42 cm hohe Pokal der Frauen, angelehnt an das Logo der Frauen-Europameisterschaft, könnte auch ein esoterisches Windspiel sein: zwei ineinander verschlungene koni­ sche Formen, die obere mit einer Glaskugel, die jede New Age-Hexe verzü­ cken würde. In der Sprache der DFB-Website nennt sich das: „So entstand ein zeitgemäßes Design. Fließende Linien dominieren.“ 1

Für Informationen über die Trophäen siehe php?id=504414, letzter Zugriff am 11.2.2010.

http://www.dfb.de/index.

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3)Weltmeisterschaft Dieser Trend (gemäß dem Motto „Frau mags lieber schlank“, so O-Ton der DFB-Website) setzt sich beim Pokal für die Weltmeisterschaft fort. Während der Pokal der Männer aussieht, als würden verhungerte Gespenster den Erdball tragen2, ist der Pokal der Frauen ein sich von einer engen Basis nach oben erweiterndes Band, das sich um einen Ball schlingt. Organisch wie rhythmische Sportgymnastik. 4) DFB-Pokal Auch der DFB-Pokal folgt der Linie für die Männer: ein klassischer Becher mit allerlei Ornamenten. Der Frauenpokal sieht dagegen aus wie eine Bewegungstudie (und ist im Gegensatz zum goldenen Pokal der Männer silbern). Mit den Worten des DFB: „Die starke Taillierung und die nach oben strebenden Linien, die sich über den Ball fortsetzen, unterstützen den sportlichen, femininen und dynamischen Eindruck.“ 2

Was angesichts der Politik der südafrikanischen Regierung, die das Geld für den Stadionbau zusammengekratzt hat, indem sie Schulen schloss, siehe etwa Rüttenauer 2009 in der tageszei­ tung oder http://www.zeit.de/sport/fussball/2010-01/kapstadtstadion-eroeffnung-wm, letzter Zugriff 7.2.2010), als ungewöhn­ lich aktuell erscheint.

Nahrungs- oder Genußmittel beziehungsweise Verkaufsstände. Die anderen bei­ den sind architektonische Details der alten und neuen Tribüne. Durch das offe­ ne Lächeln und dem Schwerpunkt auf das leibliche Wohl entsteht der Eindruck der Stadionmama, die ein Auge darauf hat, dass niemand vom Fleisch fällt. Der begleitende Text bleibt vage, fast kindlich. In der Vergleichsausgabe #98, in der ein Mann seinen Blick aufs Stadion vorstellt, werden die einzelnen Fotos nicht kommentiert (obwohl auch hier die Motive nicht klarer zu erkennen sind), dem Fan wird dafür an dieser Stelle jedoch eine markante Überschrift („Seit meiner Scheidung habe ich kein Spiel verpasst“) zugestanden. Bei Karin Gehres dagegen, die ohne Überschrift auskommen muss, bleibt völlig unklar, ob und was sie mit den Spielen verbindet, außer, dass es sich beim Stadion um einen Ort handelt, an den sie eine Bindung hat. Auf Seite 82-83 wird ein Manga vorgestellt, in dem auch „der in Japan zunehmend populäre Frauenfußball“ eine Rolle spielt. Da dieser auf der abgebil­ deten Beispielseite nicht abgebildet wird, entzieht sich die Differenz zwischen ja­ panischer und deutscher Darstellung von Frauenfußball der Analyse. Im Artikel über Fußball in Italien wird auf die Schwierigkeiten für Frauen, Spielen als Zuschauerin beizuwohnen, hingewiesen (95). Dies wird mit der exzessiven Gewaltbereitschaft der italienischen Männer erklärt; Frauen könn­ ten nicht einmal auf die Toilette gehen (da Männer diese aus den Fassungen reißen, so zumindest die indirekte Erklärung. Ungesagt schwingt aber die Möglichkeit von sexueller Gewalt mit).

II.1.1.4.d 11 Freunde Ausgabe #98 Die einzige Erwähnung des Frauenfußballs findet in diesem Heft auf Seite 92 statt, und da ironischerweise im Erfahrungsbericht eines Briten über deutschen

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Fußball, in dem er erstaunt feststellt, dass im „RBB Sportplatz“ die Höhepunkte der weiblichen Bundesliga gezeigt werde, etwas, was im britischen Fernsehen Seltenheitswert habe. Anscheinend haben deutsche Fußballerinnen also keinen Grund zur Klage über ihre Repräsentation in den Medien.

II.1.1.5 Zusammenfassung: Frauen in Sportmagazinen für Männer Die Beschreibungen, die sich in Kicker und 11  Freunde für Frauen finden, sind vernichtend: •

Frauen interessieren sich höchstens aus den falschen Gründen (attrakti­ ve Spieler, gutes Essen, Juwelen, Glitzerschuhe) für Fußball.



Stadionbesuche können für Frauen gefährlich sein.



Frauen treiben, wenn sie „richtige Frauen“ sind, Sport nicht etwa aus Spaß am Wettbewerb, sondern um sich selbst zu verwirklichen und zah­ len ihre Teilnahme an Wettkämpfen aus eigener Tasche. Frauenfußball ist daher eine andere, weniger kämpferische und weniger komplizierte Sportart als Männerfußball (und das ist auch gut so).



Frauenfußballerinnen müssen daher nicht schlecht aussehen (wie uns ja Sepp Blatter 2004 im Sonntagsblick sagte: „Heutzutage spielen schöne Frauen Fußball. Entschuldigung, dass ich das sage58“). Attraktivität ist schließlich ein wichtiges Kriterium bei Frauen; eine Frau, der es wich­ tig ist, nach konventionellen Maßstäben schön gefunden zu werden, gefährdet die Geschlechterordnung nicht so stark, wie eine, die diese Maßstäbe an sich ablehnt.



Frauenfußball könnte also auch männliche „Fußballfans“, sprich Leser der Magazine, die angeblich die gesamte Breite des Sportes abdecken, interessieren. In der Tat ist man bei Nichtinteresse „ignorant“, was an­ gesichts des Beharrens, es handele sich um zwei verschiedene Sportarten wenig logisch erscheint.

58

Zur Debatte um Blatters Äußerung siehe etwa http://www.rp-online.de/sport/fussball/ Fifa-Chef-Blatter-will-engere-Shorts-fuer-Fussballerinnen_aid_33978.html oder http:// www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,282316,00.html, letzter Zugriff 11.2.1010)

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II.1.2 Zeitschriften für Frauenfußball II.1.2.1 frauenfussball magazin frauenfussball magazin entstand 2003 als Nachfolger der 1993 entstande­ nen die da, die 1998 wieder eingestellt wurde. Beide wurden von Monika KochEm­sermann, früher Trainerin und Managerin des FSV Frankfurts, gegründet59. Diese plante damals „eine Mischung aus Kicker und Gala“, so http://www.ber­ linonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2004/0216/media/0026/ index.html, letzter Zugriff 9.2.2010. Nach diesem Bericht sollten auch Kosmetik, Mode, Musik, Wellness und Reise thematisiert werden, die Zielgruppe seien 13– 30 Jahre alte Mädchen und Frauen. Dieses Konzept scheint, so es jemals wirklich umgesetzt wurde, mittlerweile von der aktuellen Chefredakteur­in Martina VossTecklenburg (ehemalige Nationalspielerin, jetzt Trainerin) verworfen worden zu sein, vom Stil einer Gala merkt man abgesehen von Papier- und Druckqualität zunächst nichts. Von einer umfassenderen weiblichen Re­präsentanz allerdings auch nicht, besteht die zehnköpfige Redaktion doch aus neun Männern, in Heft 2/10 sind inklusive Editorial genau drei der 53 Artikel von Frauen verfasst. In Heft 12/01 sind es inklusive Editorial und zwei ebenfalls von der Chefredakteurin unterzeichneten Antworten auf Leserbriefe60 satte sechs von 45 Artikel.61 Zwischen den beiden Heften (Doppelausgabe Dezember 2009/ Januar 2010 und Ausgabe Februar 2010) fand ein Redesign statt, daher werde ich auf Einzelheiten des Layouts in den jeweiligen Abschnitten eingehen. Bis zum Redesign wurde das Layout von einem Mann gemacht, mittlerweile obliegt diese Aufgabe einer Frau. Den Satz erledigte seit jeher eine Frau. Etliche Grundsätze sind gleich geblieben: die Artikellänge überschrei­ tet niemals zwei Seiten, es gibt viele Kurznachrichten. Weiterhin gibt es jeweils eine Einheit mit Techniken für Spielerinnen, was darauf deuten lässt, dass, an­ ders als bei den anderen untersuchten Magazinen, die Redaktion davon ausge­ hen kann, dass die LeserInnen selbst auf ambitionierten Niveau spielen. In der Mitte findet sich je ein herausnehmbares Poster einer Spielerin, was vermutlich der Orientierung auch an jüngere Mädchen als Leserinnen geschuldet ist. Auf dem Cover ist jeweils eine nicht namentlich genannte Fußballerin in einer Einzelsituation mit dem Ball und angestrengtem Gesichtsausdruck ab­ gebildet. Die Spielerin wirkt dabei jung, sportbegeistert, sympathisch, we­ der übermäßig glamourös noch dem Klischee des „Mannweibs“ entspre­ chend. Für Laien ist durch die mangelnde Bildunterschrift nicht erkennbar, ob das Foto inhaltlich zu einem Titelthema gehört. Hier lässt sich gut festma­ chen, was sich an vielen anderen Punkten feststellen lässt: die Medienkompetenz und Professionalität der Repräsentation des Frauenfußballes schwächelt vieler­ orts. Wie sollen Fußballerinnen bekannt werden, wenn selbst in ihnen gewid­ meten Heften ihre Namen nicht die Titelseite zieren? Dies gilt nicht nur für das Coverporträt, auch die anderen Titelthemen nennen nicht eine Spielerin. Hier wird optisch eine These vorgestellt, die später mehrfach in den Interviews ver­

59 60 61

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http://www.fussballammittelrhein.de/archiv/fam-de-503-archiv-f-ffmagazin.htm, letzter Zugriff 9.2.2010. Übrigens tatsächlich Leser- und nicht Leserinnenbriefe; der einzige Leserinnenbrief bleibt unbeantwortet. Am Mangel an qualifizierten Sportjournalistinnen liegt dies sicher nicht, sind doch immerhin 9,54% aller im Verband Deutscher Sportjournalisten organisierten Mitglieder weiblich (http://www.taz.de/1/sport/artikel/1/und-ferner-liefen/, letzter Zugriff 10.2.2010).

stärkt wird: im Frauenfußball geht es nicht um einzelne Spielerinnen, sondern um die Mannschaft. Die Fotogröße liegt etwa zwischen dem Briefmarkenformat des Kickers und den Doppelseitenformaten von 11 Freunde. Die Fotos stammen größtenteils von denselben Bildagenturen, die auch Kicker nutzt, ergänzt durch von den Verfassern der Texte selbst geschossene Fotos. Die Motivauswahl ist der des Kickers ziemlich ähnlich62, allerdings ergänzt mit den folgenden (sich teilwei­ se überschneidenden) Kategorien •

Spielrandbilder (leere Stadienränge, Schiedsrichterinnen landschaft­liche Szenerie); (siehe Tafel 18, Abbildungen 48–49)

und



Pausenhofbilder (Fotos, auf denen das spielerische Herumtollen be­ tont wird oder die Spielerinnen „gruppenkuscheln“); (siehe Tafel 18 Ab­ bildungen 50–51)



Bilder, auf denen ein Moment der fehlenden Ballkontrolle festgehalten wird und dies dem Gesicht der Spielerin auch deutlich anzusehen ist; (siehe Tafel 19 Abbildungen 51–52)



andere

unvorteilhaft

aussehende

Porträts63.

(Siehe

Tafel 19

Abbildungen 53–54)

Auf Seite drei steht das von der Chefredakteurin handschriftlich un­ terschriebene Editorial. Auch das neben dem Editorial stehende Foto (sie­ he Tafel  20 Abbildung  55) der Chefredakteurin folgt den Spielregeln, nach de­ nen Fußballerinnen möglichst unbedrohlich dargestellt werden müssen; es hätte auch in einem Werbeprospekt der Juwelierkette Christmann erscheinen können: Eine blonde Frau mit nach hinten frisiertem „flotten Kurzhaarschnitt“, ganz in weiß gekleidet, was wunderbar mit dem weißen Hintergrund, dem roséfarbe­ nen Lipgloss, den blauen Augen mit weißem Perlmuttglanzlidschatten sowie der French Manicure harmoniert. Ums Handgelenk eine sportliche, aber durch­ aus im Frauensortiment besagten Juweliers zu findende große Armbanduhr mit Edelstahlgliedkettenarmband, weißgoldene schlichte Ohrringe, ein mehrreihi­ ges Streucollier aus schwarzen Tahiti- und weißen Südseeperlen. Eine geschick­ te Mischung aus gepflegtem Mittelstand und sportlichem Vorbild, blickt uns Martina Voss-Tecklenburg mit in die Hand gestütztem Kinn nachdenklich und freundlich an. II.1.2.1 a Ausgabe 12/01 Dezember 2009/Januar 2010

Die Titelseite ist visuell überladen und voller disparater Elemente: Das die Titelseite zierende Logo, ist ein rotes Rechteck, in dessen oberer linker Ecke kryptisch anmutend in weiß „FF Magazin“ zu lesen ist. Die linke untere Ecke des Buchstabens F werden von zwei grüne Pfeilspitzen, die nach rechts zeigen, an­ geschnitten. Deutlich darunter steht, ebenfalls in weiß, aber in einem anderen Schriftschnitt „Mädchen- und Frauenfußball“. „Mädchen“ ist dabei, vermutlich 62

63



Die technische Qualität ragt leider oft nicht im Entferntesten an die überwiegend von professionellen Sportfotografen aufgenommenen Bilder heran. Ist die Bildauswahl im Kicker auch häufig uninspiriert, erreicht das frauenfussball magazin oft nur das Niveau mittelschlechter Urlaubsdias. Nachdem ich meine Fairness und forscherische Offenheit ob der Menge der zu bemängelnden Details schon in Zweifel stellte und mir bei Formulierung dieser Kategorie Polemik unterstellte, fand ich bei Meier 2004: 255 genau dieselbe Kategorie; offensichtlich handelt es sich zumindest um eine nachvollziehbare Polemik. Interessanterweise besteht neben diesem Bestreben, Spielerinnen in ihrer professionellen Rolle als unattraktiv darzustellen, auch die Bemühungen, Spielerinnen als Frauen attraktiv zu inszenieren.

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um die beiden Zeilen als Block erscheinen zu lassen, deutlich gesperrt und wirkt dadurch betont. Dieser Betonung des Wortes Mädchen wird durch die rechts ne­ ben dem Logo angeordneten Worte „Frauen (in rot) Fussball (in einem ande­ ren Grün als das des Pfeiles), jeweils mit weißem Schlagschatten“ widersprochen. Im gesamten Logo und Namensschriftzug werden ausschließlich Majuskula ver­ wendet, was die Schrift aus der Entfernung schwer lesbar macht; die Verwendung von nicht direkt mit Fußball assoziierten Pfeilspitzen machen das Erkennen als Frauenfußballmagazin durch den vorbeieilenden potentiell Interessierten un­ wahrscheinlich. (Siehe Tafel 20 Abbildung 56) Die anderen Titelzeilen haben einen schwarzen Schlagschatten; sie sind gelb und weiß. Sie sind vage um den Körper der auf den Leser/die Leserin zurennenden anonymen Spielerin angeordnet. Diese hat ein vor Anstrengung fast schmerzvoll verzogen wirkendes Gesicht. Das Editorial ist übertitelt mit „Countdown zur WM 2011 hat begon­ nen – DFB gibt Gas und hat ERFOLG“, ganz so, als sei Erfolg, das letzte, mit dem die Verfasserin gerechnet hätte. So bezeichnet sie auch die Vorbestellung von 100.000 Karten nach einigen Tagen als „Wahnsinn“. Sie führt dies auf die „mas­ sive, tolle Werbung“ des DFB zurück. Das Editorial ist trotz dieser informellen Sprache wie ein Grußwort aus einer politischen Broschüre gehalten: gießkan­ nenartige Verwendung von Schlagworten, ohne diese mit realen Inhalten oder Emotionen zu verknüpfen, diplomatisch und ähnlich der Satzhülsen aus dem Kicker letztendlich inhaltsarm. Unter dem Editorial, in dem die Lesenden gesiezt werden, steht eine Werbezeile, die links das Logo zeigt, in der Mitte einen gelben Balken, wel­ cher zum Besuch der Website mit den Worten „Klickt rein, macht mit!“ ein­ lädt. Rechts wird das Textfeld durch eine rote sternartige Form angeschnitten, die wie ein Sonderangebotsaufkleber wirkt. Dieser verkündet „Das kickt!“. Diese Mischung der Anspracheebenen ist symptomatisch für das ganze Heft; die ein­ zelnen Elemente wirken nicht integriert, es scheint, als ob niemand sich überlegt, welche Botschaft man wem wie übermitteln wolle. Die Schriftauswahl ist ähnlich konfus: Für den Fließtext wurde eine recht klein gesetzte Helvetica gewählt  – nicht gerade eine Schriftart, die gro­ ße Textmengen besonders lesefreundlich gestaltet, vor allem nicht, wenn man sie ohne sorgsame händische Nachkorrektur in einen Blocksatz zwingt. Für Überschriften wird die „The Mix Bold“ eingesetzt, eine Schrift, die Lucas van Groot für das niederländische Verkehrsministerium entwickelt hat64. Dynamik sieht anders aus, Lesbarkeit auch. Das Heft setzt an vielen Stellen auf den von der Titelseite bekannten Rot-Grün-Kontrast, eine auf Dauer das Auge etwas anstrengende Kombination. Die Seiten folgen einem simplen Layout-Raster (siehe Tafel 21 Abbildung 57), das meist recht strikt eingehalten wird: oben links auf der Doppelseite wird ne­ ben dem Logo die Unterkategorie angegeben, welcher der Text angehört, da­ runter ein oder mehrere Fotos, die links mit dem Text bündig anfangen und bis zum Bund oder sogar über ihn hinaus laufen. Links daneben gibt es die Bildunterschriften in rot auf grauem Textkasten, darunter die Überschrift und der zweispaltig gesetzte Text mit mehreren Zwischenüberschriften. Oben rechts 64

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http://www.lucasfonts.com/fonts/themix/about/, letzter Zugriff 12.2.2010. Die Schrift wird viel im öffentlichen Raum eingesetzt und wirkt sehr nüchtern, informativ und eher statisch.

finden sich in Rot eine Titelunterschrift, Text, Bilder und eventuell ein Kasten mit Zusatzinformationen. Dieses Layoutschema wird nur in der Rubrik „Girls“, die über Nachwuchsspielerinnen berichtet, unterbrochen, die daher unter allen Seiten direkt hervorstechen. Hier steht der Text auf Farbfeldern abwechselnd in weiß und schwarz und die im abgerundeten Rahmen steckenden Bilder und Bildunterschriften sind nicht so statisch positioniert. Durch dieses etwas eintönige Layout in Verbindung mit den wenig spannungsreichen Fotos entsteht schnell der Eindruck, es hier, ähnlich wie beim Kicker, mit hohlen Inhaltscontainern zu tun zu haben, die so tun, als seien sie ge­ füllt, dies bei genauerer Betrachtung aber nicht sind. Diesem Verdacht halten die Inhalte nur teilweise stand. Die ersten Seiten (6–7) bringen wie bei den anderen Magazinen vor allem Kurznachrichten. Hier fällt auf, dass diese zwar nicht so skurril wie bei 11 Freunde sind und in der Struktur (Personalia, Spielberichte) auch denen des Kickers ähneln, dafür aber offener über Streits, Kündigungen usw. berichten. So wird die Trennung vom bisherigen Trainer des SC Freiburgs damit kommen­ tiert, dass die Spielerinnen mit dem neuen Trainer das nächste Spiel direkt ge­ wonnen wurde, dass die Trainerin Sissy Raith von Männerverein TSV Echting gekündigt wurde, denn es sei, so der Vereinschef „für einen Mann, der nach einem harten Arbeitstag ins Training kommt, vielleicht doch besser, sich nicht mit ei­ ner Frau auseinandersetzen zu müssen“, dass es zu unüberbrückbaren Differenzen zwischen Shelley Thompson und dem Vfl Wolfsburg gekommen sei und man kei­ ne gemeinsame Lösung habe finden können. Diese Tendenz, über Zwietracht und Personalstreitigkeiten zu berich­ ten, findet sich auch an anderen Stellen im Heft, so z.B. im Artikel über den DFBPokal (18–19) sowie über Tennis Borussia (18–19). Im letztem Artikel wird sie auf die Spitze getrieben: Im Zuge der Entlassung einer Trainerin wird eine „Duschaffäre“ erwähnt, nach der diese mit dem Co-Trainer „Spannungen“ zu er­ leiden gehabt habe, es wird jedoch nicht weiter darauf eingegangen, was darunter zu verstehen sein könnte, woher diese Gerüchte kommen usw. Gleichfalls in diesen Kontext passt der Hinweis eines Redakteurs auf die Lieblingskaffeekette der Nationalelf (24) in einem Artikel über eine Schiedsrichterin (die mit der Nationalelf gar nichts zu tun hat). Da nicht von be­ zahlter Schleichwerbung ausgegangen werden kann, handelt es sich hier augen­ scheinlich um das wollüstige Gefühl des Klatschsüchtigen, dem Gegenüber zu bedeuten, dass er im Besitz von Informationen ist, die dem anderen fehlen. Dazu passt auch das Sprechen in kaum kodierten Andeutungen („jenem amerikani­ schen Röster, bei dem auch die Nationalspielerinnen bevorzugt einkehren.“) und die erst einige Sätze weiter vermerkte Auflösung. Vielleicht kommt hier die von Monika Koch-Emsermann eingangs erwähnte gewünschte Gala-Nähe zum Zuge. All dies liest sich konfliktbeladener als die nichts sagenden Neuigkeiten im Kicker. Vielleicht hat unter der emotionalen Unausgeglichenheit auch das Rechtschreibvermögen des Lektors gelitten; auf den ersten Blick fallen meh­ rere Fehler auf. Generell hätte dem Heft eine sorgfältigere Redaktion gut ge­ tan, teilweise widersprechen sich Artikel im Laufe nur einiger Absätze, wer­

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den halsbrecherisch die Metaphern gemischt oder wurden Satzfragmente von Vorgängerversionen nicht gelöscht65. Die Seiten 8 bis 11 widmen sich der 2010 anstehenden U20Weltmeisterschaft (die wie die Gesamtweltmeisterschaft in Deutschland stattfin­ den wird und als Testlauf für diese gilt). Auf Seite 8 ist das Logo (siehe Tafel  22 Abbildung 58) abgebildet, das Rainer Hennies, der Autor des Textes (und fast aller anderen, inklusive den Kurznachrichten) wie folgt beschreibt: „Eine Fußballerin nimmt dynamisch und filigran den Ball in der Luft ab und schmettert ihn ins Tor.“ Diese Beschreibung scheint mir höchst fantasievoll; weder ein Tor noch ein fili­ granes Moment sind sichtbar. Der Blickfang des Logos sind eindeutig die gewal­ tigen Stollen des Schuhs, der auf uns zukommt und den Ball ins Nirvana aus der angedeuteten Arena hinausbefördert. Im nächsten Artikel zum selben Thema erklärt die bei der FIFA für Frauenwettbewerbe verantwortliche Tatjana Haenni, dass Frauenfußball kei­ ne Konkurrenz für Männerfußball, sondern eine eigene Sportart sei. „Den Leuten, die die Spiele [der U20-WM] gucken wollen, ist egal, ob zwei Tage vorher die Männer-WM zu Ende gegangen ist oder nicht.“ (10); diese seien an den Frauenspielen interessiert. Sie gibt offen zu, dass Frauenfußball bezüglich Medienabdeckung, Professionalität und wirtschaftlicher Unterstützung Mängel aufweist. Sexismus wird auf S. 11 zum zweiten Mal angesprochen, wo der Manager des FC Augsburg auf die Frage, warum die dortige Frauenmannschaft es im Gegensatz zum Männer-Zweitligisten schaffe, das Stadion zu füllen antwor­ te, dass es daran läge, dass Frauenbeine attraktiver als Männerbeine seien. Dies wird nur mit einem trockenen „Aua“ kommentiert. Dennoch wird gerade dieses Klischee mehrfach wiederholt; etwa, wenn es um den Unterschied zwischen Pele und Marta aus Peles Sicht geht (45). Bei der Beinform scheint es sich also um ei­ nen der wenigen Bereiche des Sportes zu handeln, in dem Frauen eindeutig einen Schritt voraus sind. Im Artikel „Schon über 15.000 Tickets weg“ wird noch ein­ mal der Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball betont; so habe Frauenfußball einen starken „Familien- und Basisbezug“ und daher verlaufe auch die Kartenabgabe für die WM 2011 anders als die der Männer-WMs, die nicht so „fanfreundlich“ sei. Die verwendeten Grafiken stammen von der FIFA – offen­ sichtlich ist dort kein gelernter Designer dafür zuständig, sondern werden die­ se ziemlich dilettantisch erzeugt. Vielleicht daher der nicht besonders begeistert wirkende Blick von Steffi Jones auf Wolfgang Niersbach, Generalsekretär und lange Jahre Direktor für Kommunikation beim DFB. (Siehe Tafel 22 Abbildung 59) Bei jedem vorgestellten Verein wird neben den Fotos der Spielerinnen der Trainer abgebildet. In den Magazinen über Männersport dagegen wer­ den Trainer nur abgebildet, wenn es im Artikel explizit um sie, und nicht um ein Vereinsporträt, geht. Vielleicht, weil, wie der Artikel über Borussia Mönchengladbach den Trainer lobt: „Jedes Training bei ihm ist ein Erlebnis, be­ sonders wenn Baumann selbst mittut. Dann geht die Post ab.“(26) Wenn nur die 65

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So etwa der Artikel über die schwedische Liga (36–37): „Denn in Schweden wuchsen die Ausgaben schneller als die Einnahmen schon länger, klagen die Vereine. […] Jetzt gibt es weiteren erheblichen Aderlass im Personal. Nur durch Abspecken konnte die Lizenz gerettet werden. Auch Linköping hat abgespeckt; die Brasilianerinnen sind auf Dauer zu teuer und rechtzeitig verkauft. Schmalhans ist neuerdings wieder Küchenmeister. Und holte trotzdem das Double.“

Spielerinnen „mittun“, dagegen anscheinend nicht. Daher kann es dann auch nicht überraschen, wenn das Lob über das Team nicht etwa die Spielstärke der Spielerinnen hervorhebt, sondern „Die sind top ausgebildet“ (27). So werden die etwaigen Erfolge eines Teams demjenigen zugeschrieben, der aus diesem Haufen von Kieselsteinen ein täuschend echt wirkendes Collier zugeschliffen hat. Dass alle abgebildeten Trainer äußerst skeptisch, wenn nicht gar offen unzufrieden aussehen (siehe etwa Tafel 21 Abbildung 57), zeigt noch einmal, wer wirklich die Arbeit leistet – nicht die Spielerinnen jedenfalls. Wenn dann doch mal eine Spielerin eine Torchance nutzt, tut sie das immer „eiskalt“ (etwa 19, 35). Da wirkt das verzweifelte Kämpfen66 der sportlich herausragenden schwedischen Liga (36–37) gegen den Konkurs fast wie ausgleichende Gerechtigkeit: wenn Frauen sogar meinen, sich ausziehen zu müssen, um ihren Fußballverein zu ret­ ten, sind sie so emotional involviert, dass es besser für sie ist, wenn der Verein plei­ te geht. Analog zur gehäuften Verwendung unschmeichelhafter Porträts wer­ den hier die Vereine stärker als in den für Männer konzipierten Medien harsch kritisiert; so wird der Kommentar eines Bundesligatrainers abgedruckt, der sich darüber beschwert, dass seine Mannschaft die gefallenen sechs (!) Tore alle in der ersten Halbzeit schoss: „Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Zuschauern. Wir können nicht einfach aufhören zu spielen“ (17). Eine sol­ che Kritik wäre im Männerfußball undenkbar; jeder Trainer wäre zu Recht stolz auf sein torstarkes Team. Aber auch die Journalisten des frauenfussball ma­ gazins kritisieren schärfer als diejenigen der Männersportmagazine; so auf Seite 18: „Ohne dem Geschehen vorwegzugreifen: Große Überraschungen sind auch in diesen Duellen nicht zu erwarten“ und man solle doch im DFB-Pokal bitte den aus der jeweils unteren Liga kommenden Vereinen Heimrecht einräu­ men, „um wenigstens etwas die Spannung zu erhöhen“. Kein Wunder, dass die Bundesligatickets sich schleppend verkaufen, wenn die Presse so berichtet. Auch andere Ligen werden abgekanzelt: so lässt sich Kroatien „sogar“ von „Fußballzwerg“ Faröer-Inseln „abhängen“, so dass man sehr weit „internatio­ nal hinterherhinkt“, und auch auf Vereinsebene „nicht viel los“sei (42–42). Wenn tatsächlich, wie der Untertitel verheißt, in Kroatien „der Frauenfußball erst am Anfang“ steht, warum hat man dann nicht über ein anderes Land berichtet? In den Magazinen für Männer finden sich keine Berichte über etwa Sibiriens Ligen. Den harten Umgang mit den Spielerinnen bemängelt sogar ein Leserbrief, der die Bezeichnungen „die Beständige“ für Birgit Prinz und „die Verbrauchte“ für Kerstin Stegemann „danebengegriffen und unglücklich“ fin­ det und sich wünscht, „Sie hätten eine charmantere oder wertschätzendere Bezeichnung gefunden“ (56). Dies wird von der Chefredakteurin höflich abgebü­ gelt: „Wir nehmen die Kritik aber auf und werden das besprechen“. Damit ist sie immerhin, wenn auch in unzureichender Form auf den Brief eingegangen, eine andere sehr interessante Kritik (57) wird keiner Antwort für würdig erachtet. Hierin kritisiert die Leserin einen Artikel aus dem Septemberheft 2009, in dem die These aufgestellt wurde, dass von Frauen in den Niederlanden „Entscheidungen gemeinschaftlich nach reiflicher Diskussion und 66

Es handelte sich hier um eine in Fußballerinnenkreise sehr kritisch wahrgenommene Werbeaktion, bei der sich die Frauen mit nacktem Oberkörper und auf den Rücken gemalten Spielerinnennummern ablichten ließen, um mehr Zuschauer ins Stadion zu locken. Siehe hierzu auch 11 Freundinnen 01:  8 und http://www.sueddeutsche.de/ sport/399/479885/text/, letzter Zugriff 13.2.2010,

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Anhörung aller Meinungen getroffen werden.“ Gemäß dieser These seien deshalb die Niederländerinnen schlechte Fußballerinnen, denn Fußball brauche nun ein­ mal keine Basisdemokratie, sondern Hierarchie. Lesbische Frauen hätten sich da­ gegen eher auf den Fußball einlassen können, da sie eine „Nische gebraucht“ hät­ ten. Die Leserin, selbst ehemalige Profispielerin sowohl in Deutschland wie in den Niederlanden, bestreitet dies nun vehement und mit guten Argumenten. Leider sieht sich die Redaktion scheinbar zu intellektuellen Auseinandersetzungen auf diesem Niveau nicht in der Lage, „steht da noch ganz am Anfang“, wie die kroa­ tische Liga. Wie als Ausgleich für die abwertenden Beschreibungen an anderer Stelle werden den Teams häufig Kosenamen verpasst: aus den Spielerinnen des Vereins 1. FFC Turbine Potsdam werden die „Torbienen“, werden die Spielerinnen von Tennis Borussia die „Veilchen“ oder, schlimmer noch, „Veilchenladys“ (ver­ mutlich wegen den dunkelvioletten Trikots), die Spielerinnen von Borussia Mönchengladbach „Fohlen“ genannt (26), die des FC Santos „Sirenen“(44). Das „Bauchgefühl“ der Schiedsrichterin (25), die „jugendliche Un­ be­­kümmertheit“ der Spielerinnen (19), das „Meckern“ bei Entscheidung­en des Schiedsrichters (45) und die „Achterbahn der Gefühle“ (55) sind Be­schrei­ bungen, die sich im Männerfußball nicht finden würden; der Witz, der drei Schiedsrichterinnen nach einer Schiedsrichterbeobachtung empfängt, „Ihr wart gut, ihr dürft was essen“ (25) würde bei männlichen Schiedsrichtern sicherlich er­ hebliche Irritation auslösen. „Vier Schwedinnen im Angebot“ (40) klingt nach ei­ nem 70er Jahre-Erotikfilmchen, aber zum Glück leitet der Titel „Strahlefrau mit Familiensinn“ (46–47) über Mia Hamm gleich wieder ins Nachmittagsprogramm über. Nicht untypisch für Berichte über sie werden ihren Zwillinge und ihrer glückliche Ehe ein beträchtlicher Anteil eingeräumt67. Die „blendend aussehen­ de“ Ikone muss dann immer betonen, dass die Verantwortung „zuerst für meinen Ehemann, jetzt auch insbesondere für die Kinder“ die Lücke, die der Profisport hinterlassen hat, bestens zu füllen weiß (46). Ganz, wie es sich für „Soccerbarbie“ (47) gehört. Der Familiensinn muss offenbar noch in anderen Fällen betont wer­ den. Da scheint die Welt in Ordnung, wenn eine brasilianische Spielerin als Jah­ resgehalt in einem südkoreanischen Club 31.000 US-Dollar bekommt: „Da bleibt noch genug, um die vier Geschwister und die Eltern zu unterstützen. Das hat die 34-jährige bislang immer getan.“ (38). II.1.2.1.b Ausgabe 2/10 Februar 2010

Auf dem Cover (siehe Tafel  23 Abbildung  60) rennt diesmal eine anonyme Tor­ wärtin auf uns zu, ihr Blick geht sorgenerfüllt an uns vorbei; in ihre untere Körperhälfte prallen der schwarz hinterlegte Textblock mit den Titelthemen. Ihre rechte Körperhälfte ist matschbedeckt; sie ist sich offensichtlich nicht zu scha­ de, für ihr Team auf dem Boden herumzurutschen. Der einzige Personenname auf der Titelseite ist der eines Mannes, Peter Schreiner, der die Trainingstipps im Heft verfasst hat. Über dem Kopf der Torwärtin explodiert der neue Logoschriftzug; die „Grunge“-Optik mit Fleckentexturen, stempelähnlichen Buchstabenfragmenten und motivationslosen Schwüngen und Ranken findet sich seit dem Redesign 67

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Oder weiß jemand ohne zu googlen, wie viele Kinder etwa Wayne Rooney hat?

im gesamten Heft. Meint man, auf jeden Fall dekorativ wirken zu müssen? Will man sich vom klassischen Zeitschriften-Layout des Kickers absetzen? In je­ dem Fall scheint nach Ansicht des Verlags ein innerer Zusammenhang zwischen Frauenfußball und dieser Ästhetik zu bestehen, verwendet er diese auch für die Gestaltung seiner Frauenfußball-Statistikbücher, wie aus der Werbung im Heft 12/01 ersichtlich wird. (Siehe Tafel 24 Abbildung 61) Die typografische Vielfalt wirkt inkonsequent: Große Zahlen sind in einer Sans-Serif-Schrift gesetzt, für bestimmte Headlines wird eine Sten­ cilschrift sowie Helvetica für den einleitenden Absatz verwendet. Als Text- und Headlineschrift dient Verdana. Diese als Bildschirmschrift entwickelte Type ist weder besonders platzsparend noch ideal lesbar, und sieht auch gedruckt nicht besonders elegant, interessant oder seriös aus. Eher so, als habe jemand, der nicht viel von Gestaltung versteht, nach einer Schrift gesucht, die keine Voreinstellung von Word ist („modern“, „exklusiv“) und die nichts kostet, da sie bei fast allen Betriebssystemen schon enthalten ist. Die vorherrschenden Farben sind nun nicht mehr Rot-Grün, son­ dern Blau-Grün. Dadurch entsteht mehr optische Ruhe, die allerdings durch die Grunge-Störelemente direkt wieder zunichte gemacht wird. Auch die anschei­ nend völlig willkürliche Textspaltenbreite verhindert ein ruhiges Lesen. (Siehe Tafel 24 Abbildung 62)

Vermutlich liegt der Grund für das mittelprächtige grafische Konzept des Heftes darin, dass es weder durch Auflage noch durch Werbekunden finanziell abgesichert ist68, und daher bei der Entwicklung des neuen Layouts einfach nicht genug Geld ausgeben wollte. Dies führt zu einem semiprofessionellen Aussehen, das wiederum weniger Werbekunden und LeserInnen, die nicht sowieso schon an Frauenfußball interessiert waren, anspricht, wodurch dann wenig Geld da ist… Wenden wir uns wieder dem Inhalt zu. Es gibt viele Wiederholungen der im ersten Heft getroffenen Äußerungen – auch hier wieder die Überbetonung des Trainers, die harsche Kritik („so schlecht war noch nicht Mal (sic) vor Jahren der FSV Frankfurt, der später ohne Sieg abstieg“ (18), auch hier der Hang zum Skandalösen, auch hier bei jedem kleinen Zugeständnis eine Lobrede auf den DFB. In dieser Ausgabe wird sogar der Trainermythos noch weiter zugespitzt, wenn über den SC Fürstenfeldbruck (24–25) berichtet wird, dass die Loyali­ tät zum Trainer sogar so weit gehen kann, dass ein geschlossener Verein aus die­ sem austritt, nachdem der Vorstand den Trainer entlässt. Wenn man sich die Fotos dazu anschaut (siehe Tafel  25 Abbildung  63), kommen sofort Fragen des Machtmissbrauchs und der anschließenden Identifikation mit dem Aggressor auf: der Trainer Ozman Akyüz wird in beiden Fotos sehr dominierend darge­ stellt; auf der linken Seite sieht man nur ihn, wie er mit ausgestrecktem rechtem Arm und missbilligendem Blick auf etwas außerhalb des Bildrahmens deutet, die Linke skeptisch in die Hüfte gestützt. Dass die Mannschaft etwas nicht zu sei­ ner Zufriedenheit gelöst hat, transportiert auch das andere Bild rechts unten, an dem er eine Spielerin an der Schulter anfasst, das Kinn nach oben gereckt. Sie weicht seinem Blick aus und schaut zu Boden, das Gesicht verzogen. Das drit­ te den Artikel illustrierende Bild zeigt die Spielerinnen mit den Köpfen zusam­ men beim „Einschwören des Teams“, wie die Bildunterschrift (25) erklärt. In kei­ nem der Bilder wirken die Spielerinnen selbstbestimmt oder auch nur zufrieden. 68

Die Werbekunden sind von Heft zu Heft bis auf eine Ausnahme die gleichen, die Anzeigen sitzen oft sogar an der gleichen Position, und insgesamt gibt es nur sehr wenige Anzeigen, die nicht den Verlag selbst bewerben.

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Ebenfalls wie in der ersten Ausgabe hält sich auch diese mit feminis­ tischen Analysen und Forderungen weitgehend zurück; so wird das Bedenken von zwei der U17-Weltmeisterinnen mit einem Laptop als Siegprämie (6) nicht etwa als Unverschämtheit gewertet, ebenso wenig wie das Erscheinen von Schiedsrichtern in Gummistiefeln oder ohne Pfeife (7). Auch die Tatsache, dass Schweizer Teams, die sich Männervereinen anschließen wollen, dann unter Namen wie „Young Boys Bern“ firmieren müssen, verdient als einzige Nebenbemerkung „kurioserweise“ (44). Dazu passt, dass der Bericht über die Toleranz-Kampagne „Res­ pekt  –  kein Platz für Rassismus“ (34-35) so eingeleitet wird: „Respekt und Toleranz sollten eigentlich selbstverständlich sein. Dennoch sind Menschen, die anders sind  –  sei es wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder anderer Dinge, die von der sogenannten Norm abweichen, Schmähungen und auch Gewalt aus­ gesetzt. Dies macht auch vor dem Fußball nicht halt.“ Kein Wort von Sexismus und Homophobie, zwei Phänomene von denen gerade der Fußball besonders betroffen ist. Eine besonders bittere Pille, dass der Redakteur angesichts der Berichterstattung über schwarze männliche Profis erkennt „Selbst in dem ver­ meintlich wohlmeinenden Kommentar von der ‚afrikanischen Gazelle‘ steckt schon Abwertung drin“, er selbst aber ein Team „die Wölfinnen“ (15) tauft und in einem Heft schreibt, in dem von „Werkselfen“ (22) die Rede ist. Das soziale Engagement der Spielerinnen Babett Peter und Bianca Schmidt werden genauso erwähnt wie das Essen, das der FCR Duisburg vor ei­ nem Champions League Spiel gekocht hat, inklusive Menüfolge (7). Zu dieser Familienfreundlichkeit passt dann, dass man eine Spielerin „zwar als menschli­ cher Gewinn, aber in der Bundesliga überfordert“ (16) beschreibt. Und wenn je­ mand wie Susi Becker sich der Verwertung über traditionelle Frauenrollen ver­ weigert, dann bringen ja immerhin noch die floralen Schnörkel eine weibliche Note ins Layout. (Siehe Tafel 25 Abbildung 64)

II.1.2.2 11 Freundinnen Obwohl es sich bei 11 Freundinnen um einen Beileger von 11 Freunde handelt, das Magazin also momentan nicht separat erhältlich ist, halte ich eine Analyse dennoch für interessant, da es einerseits das einzige Magazin ist, das sich mit Frauenfußball als kulturellem Phänomen beschäftigt und vor al­ lem das einzige, in dem tatsächlich mehrheitlich Frauen (mit-)schreiben. Das MitarbeiterInnenteam variiert zwischen den beiden Ausgaben (die erste nennt vier Frauen und zwei Männer, die zweite drei Frauen und einen Mann, jeweils ne­ ben männlichem Chefredakteur und redaktionellem Leiter). Die Art-Direktion besorgen zwei Frauen. Bisher sind zwei Ausgaben erschienen, die erste davon im Oktober 2009; momentan liegt es alle drei Monate der Ausgabe der 11  Freunde bei. Wie unter http://sportsandpress.wordpress.com/2009/09/09/11-freundinnenein-ball-und-ein-magazin/, letzter Zugriff 13.2.2010, vollmundig verkündet, will 11  Freundinnen „weitaus mehr, als nur eine ‚Tochter der 11  Freunde‘ sein! Nach quartalsweisem Erscheinen zum Start (inkl. ‚Beilage/Supplement‘ ih­ res ‚Muttermagazin‘ und separater Verbreitung in der ‚Zielgruppe‘) soll sich die Marke schnellstmöglich ‚emanzipieren‘ und ein eigenständiges Image erlangen. […]Das ambitionierte Ziel des Verlags ist eine mind. 2monatige Erscheinung als Printmagazin mit wachsendem Umfang/Inhalt und eine eigene Webpräsenz, die

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zunächst nur als Subdomain unter http://www.11freunde.de/innen zu finden ist.“ Inwiefern sich diese Ambition über die Monate bis zur WM retten kann, ist fraglich; so fehlt Mitte Februar immer noch der Link auf das im Januar 2010 erschienene zweite Heft auf der „Subdomain“. Auf www.11freundinnen.de konnte man es zwar durchblättern, leider wird allerdings überall die Adresse mit dem Wurmfortsatz kommuniziert. Abgesehen von diesen kleinen Details ist das Heft in Sachen Pro­ fessionalität ein Quantensprung zum frauenfussball magazin. Lay­out­ konzept und Papierwahl bis hin zur Schriftwahl sind denen von 11  Freunde sehr ähnlich, wobei 11 Freundinnen im Vergleich wesentlich mehr Schriften, darunter einige ausgeprochene Displayschriften einsetzt. Hierdurch wirkt das Heft experimenteller, weniger seriös. Außerdem gibt es wesentlich mehr Weiß­ raum, wodurch sich der Eindruck aufdrängt, über Frauenfußball gäbe es so viel nun auch wieder nicht zu sagen – bei 36 bzw. 52 Seiten inklusive Umschlag eine traurige Anmutung. Auf dem Cover ist die Fotografie einer Fußballerin abgebildet, in Freizeitkleidung und vor nicht näher erkennbarem Hintergrund. Der Name der Fußballerin ist neben dem Logo das größte Text-Element der Seite, darunter steht ein kurzes Zitat aus dem im Heft enthaltenen Interview. Die anderen Titelthemen sind, wie schon bei 11 Freunde, wesentlich kleiner gestaltet. Nach dem Aufschlagen des Heftes überfällt einen der erste Schreck. Auf Seite 3 ist jeweils ganzseitig ein Zitat eines berühmten Mannes, der nichts von Fußballerinnen hält, plakatiert; in Heft 1 ist dies zum Beispiel Hermann Neuberger, DFB-Präsident von 1975–1992, der verkündet: „Ich sehe Frauen lie­ ber Tennis als Fußball spielen.“ Im Heft 2 beantwortet Johannes Rau die Frage, ob man Stadien nicht auch nach Frauen benennen könne etwas gereizt mit „Und wie soll dann bitte so ein Stadion heißen? Vielleicht Ernst-Kuzorra-seine-Frauihr-Stadion?“ Nun könnte man meinen, derartige Aussagen disqualifizierten sich von alleine. Ich halte aber das Einräumen einer ganzen Seite69, ohne, wenn auch nur kurz und präzise, die Hirnrissigkeit dieser Zitate aufzuzeigen für unklug, mehr noch, für fahrlässig. Ein trockener Antwortsatz, ein sprechender Rubrikentitel, etwas, um das die Redaktion sonst nicht verlegen ist, würde reichen, um Klischees durch kluge Analysen zu entkräften. So bleibt aber, ähnlich wie beim eben abge­ handelten Zitat aus dem Editorial der 11 Freunde, das schale Gefühl zurück, dass hier jemand das Gesagte zwar nicht selbst gesagt haben will, aber doch ir­ gendwie lustig, mutig, sagenswert findet. Die Farbgestaltung ist in modischen Eiscremefarben gehalten: apfel­ grün, schwimmbadblau, lachsrosa, mauve. 11 Freunde arbeitet dagegen mit stumpferen (beige, grau, taubenblau) oder sehr reinen, leuchtenden Farben (blut­ rot, borussengelb). Wie in 11 Freunde gibt es die Rubrik „Bei der Geburt getrennt“, in der FußballerInnen neben etwas, dem sie angeblich sehr ähneln, abgebildet sind. Während dies auch in 11 Freunde nicht schmeichelhaft ist (Friedhelm Funkel wird mit einer alten, fast zahnlosen Frau, Stefan Kießling mit Catweazle vergli­ 69

Von wahrlich nicht allzu vielen, vor allem, wenn man die Seitenzahl durch die drei Monate teilt, die bis zum Erscheinen der nächsten Ausgabe vergehen. Noch dazu handelt es sich um die erste Seite, auf die das Auge nach Aufschlagen des Heftes findet.

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chen), handelt es sich immerhin bei den Vergleichspersonen um menschliche We­sen. Nicht so bei den Frauen: Ausgabe 1 vergleicht Marta mit dem Alien aus Ridley Scotts Filmen, Ausgabe 2 Inka Grings mit Bibo aus der Sesamstraße. II.1.2.2.a 11 Freundinnen #01 Oktober 2009

Von der Titelseite (siehe Tafel 26 Abbildung 65) lächelt den Betrachter Kim Kulig an; ihre Hände sind hinter dem Rücken verborgen, die Beine im Stehen über­ kreuzt. Hier merkt man, dass Nationalspielerinnen im Gegensatz zu ihren männ­ lichen Gegenparts wahrscheinlich noch kein Grundseminar beim Rhetorik- und Kommunikationscoach belegen müssen; sonst wüsste Kulig, dass beide Gesten als „Nicht-öffnen-wollen“ und damit als schlecht zur Selbstvermarktung gelten. Vielleicht ist die Haltung aber auch als Strategie gegen das Verschwinden zu wer­ ten: für ein Porträtfoto ist sehr wenig von Kulig zu sehen, nur etwa ein Viertel der Seite wird von ihr eingenommen, den Rest füllt die in zwei Grüntönen abge­ stufte Wand. Die hinter dem Rücken verschränkten Arme machen ihre Schultern breiter, mit dem Oberkörper nimmt sie so mehr Raum ein, als ihre verschränkten Beine zunächst suggerieren. Ihre Kleidung ist jugendlich und informell: ein enges, mit einer Totenkopfillustration in Neonpink und Blau bedrucktes weißes T-Shirt, lose geschlungener schwarzer Schal, ausgewaschene Jeans, Freizeitschuhe. Im Editorial wird die Berechtigung des Magazins mit der seit 1894 an­ dauernden Geschichte des Frauenfußballs begründet; das Magazin möchte mit „großen Reportagen, ausführlichen Interviews und opulenten Bildstrecken“ „ein eigenständiges Magazin für einen eigenständigen Sport“ füllen (4). Eine dieser „opulenten Bildstrecken“ schließt sich unter der Rubrik­ überschrift „Laufsteg“ an; hier sieht man unter dem Titel „In Ehrfurcht er­ starrt“ eine Kopfballszene in der EM 2009 (siehe Tafel  27 Abbildung  66). Die Gesichter von Kim Kulig und Melania Gabbiadini sind verzerrt von Schmerz und Schwerkraft, links im Bild steht die halbe italienische Mannschaft und starrt voller Unglauben auf die Szene am Tor; eine von ihnen hält Kulig am T-Shirt fest. Kerstin Garefrekes von der deutschen Mannschaft steht besorgt mitten un­ ter ihnen. Die Szene wirkt aufgrund der Gesichter höchst unprofessionell, so als hätten die Italienerinnen und Garefrekes noch nie einen Ball gesehen. Da allen Spielerinnen bis auf auf Gabbiadini und der italienischen Torwärtin die Füße ab­ geschnitten wurden, versteht man erst auf den zweiten Blick, was genau Kulig und ihre Gegenspielerin solche Kraft kostet: sie befinden sich etwa 50 Zentimeter über dem Boden in der Luft. Die mit „kleinklein“ passend betitelten nächsten Seiten (8-11) ent­ sprechen den üblichen Kurznachrichten, enthalten aber einige Punkte, die unter der Kürze leiden, weil sich etwa Zusammenhänge nicht verständlich darstellen lassen (so etwa der Bericht über die Empfehlung der FIFA an ihre Spielerinnen, die Pille zu nehmen), oder weil sie ohne Erklärung des Kon­textes unprofessio­ nell wirken (so über die Spielerinnensuche per Internet oder die Spielerinnen des FC de Rakt, die in Röcken spielen wollen, siehe Tafel 27 Abbildung 67) oder weil sie eigentlich eine ausführliche Diskussion um Werte, Geschlechterrollen und die Zu­kunft des Fußballes verdient hätten. So etwa in dem Abschnitt „Ladykracher“, der in seiner Gesamtheit lautet: „Oft heißt es, dem Frauenfußball fehle die physische Härte. Ein Klischee, das in der Essener Kreisliga eindrucksvoll widerlegt wurde: nachdem sie gegen die ESG 99/06 schon das elfte Gegentor kassiert hat­ te, verdrosch die Torfrau des SC Türkiyemspor gemeinsam mit einer zuvor ge­ tunnelten Verteidigerin die Schützin nach allen Regeln der Kunst. Erst das Feld

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stürmende Zuschauer beendeten den Tumult. Der Schiedsrichter war da bereits geflüchtet.“ Ich bezweifle, dass die Kritiker des Frauensports die mangelnden Körperverletzungen auf dem Platz vermissen; hier wird sowohl eine Gewalttat als auch Machismus mit dem Mäntelchen der Ironie verkleidet. Diese Ironie hät­ te eher die auf der gleichen Seite gemeldete Werbeaktion von Modelabel Cinque und Mercedes Benz, in der sich die Nationalspielerinnen auf den Karosserien gro­ ßer Wagen mit Allradantrieb anlehnen70, verdient. Das Titelinterview mit Kulig (12–17) beginnt unter der Überschrift „Anerkennung ist wichtiger als Geld“ mit einem Foto von Kulig in einem ge­ flochtenen Liegestuhl, der wie aus einem edlen Spa wirkt. Sie betrachtet, Beine überschlagen, den Himmel, während der Betrachtende sie quasi heimlich mus­ tert. (Siehe Tafel 27 Abbildung 68) Kulig rechtfertigt die Parallelen zwischen ihrem Spiel und dem ihres Idols Figo mit den Worten, man „darf ja auch nicht vergessen, dass er ein sehr mannschaftsdienlicher Spieler ist“ (13), so, als sei dies für Spielerinnen ein wich­ tiges Kriterium. Dies ist die einzige Stelle, an der sie ihr eigenes Spiel beschreibt, bei man nicht daran zweifelt, dass sie dies mit eigenen Worten tut. Wenn sie da­ gegen auf der gleichen Seite über sich selbst sagt „Ich bin technisch gut und habe ein sauberes Passspiel. Das Defensivverhalten muss noch besser werden“, klingt das, als lese sie es aus dem letzten Zwischenzeugnis ab. Insgesamt bleibt das Interview mäßig interessant. Hier stellt sich die Frage, ob man nicht entweder interessantere, hilfreichere Fragen hätte stellen oder für die erste Ausgabe eine erfahrenere, reflektiertere Spielerin hätte auswäh­ len sollen, auch auf die Gefahr hin, dann ein nicht Wellness-Magazin taugliches Cover zu haben. Im Artikel über die Frauenabteilung des FC Bayern, „Und der Gerd kommt mit Kuchen“ (20–23) wird, statt mehr einzufordern, gelobt, wie gut es dieser doch schon ginge; hat sie doch von der Geschäftsstelle einen Raum „im Erdgeschoss des silberfarbenen Amateur- und Jugendhauses (21) für eine Mitarbeiterin, die „die zunehmende Professionalisierung und Organisationsarbeit“ erledigen soll, zur Verfügung bekommen. Prima, da sie sich im Amateurhaus be­ findet, bleibt bis zur Professionalisierung ja auch genug Arbeit. Und die Frauen werden hinaus nach Aschheim zum Trainieren geschickt; dort sei es zwar „be­ schaulich und blass“, aber sie hätten immerhin ihren Rasen alleine für sich und „kein Profiteam verdrängt sie oder engt ihren Fokus ein“ (23). Zusätzlich bringt „Stürmerlegende“ Gerd Müller „für seine Frauen“, wie der Titel schon verrät, immer tütenweise Kuchen mit. Sicherlich trägt des­ sen Verzehr immens zur Professionalisierung bei. Und Uli Hoeneß weiß auch im­ mer, wie sie gespielt haben. Das gilt schon als Förderung im Gegensatz zur frü­ her erlebten Duldung, die ein paar Sätze weiter dann schon als Verachtung und Nichtbeachtung bezeichnet wird. Wenn doch alle im Fußball mit Backwaren und Beachtung zufrieden wären… Kein Wunder, dass Karl-Heinz Rummenigge an­ erkennend anmerkt, die Spielerinnen seien im Vergleich zu den Herren „güns­ tig“ (23). Hier ist der Artikel sehr widersprüchlich, betont er doch einerseits den Vorteil, „Anhängsel“ eines etablierten Vereines zu sein, da so eine langfristige­ re finanzielle Absicherung möglich sei, andererseits wollten (und könnten) die Spielerinnen des FC Bayern nicht zu sehr aus der „Portokasse der Profis“ (will 70

Wollte man den Spielerinnen die Schlüssel der Autos nicht anvertrauen oder warum müssen sie sich auf der Motorhaube räkeln?

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meinen, der Männer) schöpfen. Aber zum Glück „kommt es darauf [auf das Konkurrieren mit der Männerabteilung] auch gar nicht an“. Zumindest „viel­ leicht“ (23). Das illustrierende Foto (siehe Tafel 28 Abbildung 69) von S. 22 legt zu­ mindest keinen Wert auf Eu­phemismen: hier steht eine Spielerin ausgesperrt, hinter ihr die untergehende Abendsonne und blickt resigniert und gleichzeitig sehnsüchtig auf die andere Seite des Zaunes. Und dabei, wie auch der Jugend- und Frauenabteilungsleiter71 des FC Bayerns betont, können die Vereine, die in der Bundesliga der Männer be­ teiligt sind, es sich „gar nicht mehr leisten, im Frauenfußball nicht dabei zu sein“ (21), hier geht es schließlich besonders vor der WM auch um ein erheb­ liches Marketing- und Fanpotential. Hier wird auf die „freundliche und friedli­ che Atmosphäre“ (22) im Stadion bei Frauenspielen verwiesen, die Familien und Frauen anlocken soll; wie sich das mit der in den Kurzartikeln anerkennend be­ schriebenen Prügelei auf dem Spielfeld verträgt, sei dahingestellt. Eindeutig familienfreundlich ist jedenfalls der Bericht (24–25)über eine südafrikanische Großmutterliga, Spielerinnenaltersdurchschnitt 65–70. Fußball wird dargestellt als Mittel zur Depressionsbekämpfung72 und  –  zum Abnehmen. Zur Erinnerung, im Artikel über die kleinste Liga der Welt in 11 Freunde 98, waren viele ebenfalls dicke Männer beim Spielen abgebildet und der Text betonte, Fußball hier nehme keine Rücksicht auf Alter oder Bäuche, aber es wurde nicht einmal unterstellt, die Spieler wären besser dran, würden sie abneh­ men. Vielleicht müssen die Frauen das, weil ihr Artikel wie das Centerfold präsentiert wird: um 90  Grad gekippt, so dass man das Heft ebenfalls drehen muss, um sie betrachten und den Artikel über sie lesen zu können. Schade, dass man den Artikel nicht tatsächlich in die Heftmitte gesetzt hat, das überaus deko­ rative Foto der Damen wäre nämlich in der Tat ein schönes Poster. (Siehe Tafel 28 Abbildung 70)

Auf der Doppelseite 32–33 gibt es ein ähnliches visuelles Schmankerl

(siehe Tafel 28 Abbildung 71): ein Foto der 1933 „unerschrocken“ in einer Herren­

mannschaft mitspielenden Lilian Mitchell: „Sie ging keiner Rauferei aus dem Weg, grätschte und köpfte. Und nahm anschließend ganz selbstverständlich den Massagetermin in der Kabine mit.“ Die Augen aller auf dem Foto befindlichen Männer ruhen auf Mitchell, die dies (oder die Massage) kokett genießt. Hier sieht man deutlich eine mit sich und der Welt zufriedene Frau; wenn das der Lohn der Grätsche ist, verwundert nur, dass es nicht mehr Blut auf den Spielfeldern gibt. II.1.2.2.b 11 Freundinnen #02 Januar 2010

Auf dem Titelbild (siehe Tafel  29 Abbildung 72) strahlt Simone Laudehr in die Kamera, die sie in einem athletischen Schwung von rechts nach links festhält. Die entsprechende Titelzeile dazu heißt passenderweise „Wenn die andere nervt, tre­ te ich“. Ein weiterer visueller Beleg dafür, dass Gewalt eben augenscheinlich doch glücklich macht. 71 72

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Woher kommt eigentlich diese Gleichsetzung von Frauen und Nachwuchs? „Nicht einmal um ihren eigenen Haushalt konnte sie sich kümmern“ (25), so das harsche Urteil über eine der Spielerinnen, bevor sie anfing zu spielen. Indem hier die Verantwortung im Umgang mit gesellschaftlich untragbaren Zuständen in vertrauter Manier an ihre Opfer abgegeben wird, nimmt auch 11 Freundinnen die größenwahnsinnige Vorstellung vom Alleinheilmittel des Fußballs auf.

Das sieht Annike Krahn auf dem Foto von S. 6–7 (siehe Tafel 29 sicherlich anders. Das Bild zeigt sie verletzt auf dem Rasen wäh­ rend des Freundschaftsspiels, vor ihr ein Fernseher, der sie in diesem Moment zeigt, hinter ihr der Schatten eines Mannes. Dieses Bild kann zu hervorragenden Kurzgeschichten inspirieren, so viele Fragen weckt es: wer hat sie wie verletzt? Warum zeigt eine Kamera sie wie eine zerbrochene Puppe auf dem Rasen liegen, aber es ist weit und breit kein Sanitäter zu sehen? Warum hat der geheimnisvolle Schattenmann die Arme verschränkt? Und ist dieser eher wie ein Kinderspielzeug aussehende Ball wirklich der in offiziellen Spielen verwendete Ball? Abbildung 73)

Das auf Seite 10 veröffentlichte Kurzinterview mit Mia Hamm ist trotz des geringeren Platzes, den es im Heft eingeräumt bekommt, wesentlich informa­ tiver als das im frauenfussball magazin abgedruckte Porträt. Wohl auch, weil die Interviewerin kein einziges Mal nach ihren Zwillingen oder anderen Aspekten des Privatlebens fragt, sondern sich auf die Kernkompetenzen von Frau Hamm konzentriert: Frauenfußball. Und da hat diese sehr spannende Einsichten, unter anderem über die Vorbildfunktion, die Fußballerinnen haben: „Wenn du als Fußballerin auf den Platz gehst, musst du dir bewusst sein, dass dein Spiel, dei­ ne Art, den Sport zu leben, eine Wirkung darauf hat, wie er gesehen wird.“ Dies ist genau die Reflexivität und daraus folgende Professionalität, die sonst fehlt. Auf Seite 11 erfahren wir endlich „wissenschaftlich“, was denn nun die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball sind (allerdings nur im Alter zwischen 11 und 15): Mädchen seien offensiv wie defensiv besser, liefen sich bes­ ser frei, deckten Räume effektiver ab. Jungen seien dagegen größer, stärker, dyna­ mischer. Direkt daneben steht ein Artikel, der auch im tratschaffinen frauen­ fussball magazin hätte stehen können und der über die Wechselgerüchte Kim Kuligs vom HSV zum 1. FFC Frankfurt berichtet. Angeblich habe im November eine Umleitung von der von Kuligs Berater Siegfried Dietrich gekauften Domain www.kimkulig.de zur Homepage des Frankfurter Vereins (deren Manager Diet­ rich ist) bestanden. Das wäre in der Welt des Männerfußballs nun zwar auch eine Provokation, an den Wechselbegehrlichkeiten selbst hätte aber niemand et­ was auszusetzen (außer den Fans des HSV). Auf www.ff-forum.net reichen aber schon diese (von einem in fünf Minuten fälschbaren Screenshot genährten) Gerüchte aus, um Benutzer verkünden zu lassen „Oh Kim, mir graut vor dir.“73 Hier hätte ein längerer, ausgewogener Bericht, unter Umständen mit Interviews mit den Betroffenen dem Image des Frauenfußballs mehr genutzt  –  alternativ hätte man auch einfach nichts darüber sagen können, um den Vorwurf der illegi­ timen Machtgier nicht weiter zu stärken. Auf Seite 12 geht es mit der (von mir so betitelten) Reihe „Zitate, die die Welt nicht lesen muss“ weiter; Potsdams Trainer sagt „Als Trainer ist es schon wichtig zu wissen, wer was mit wem hat. Denn wenn ich die eine zur Schnecke mache, ist ja die Partnerin gleich mit beleidigt.“74 Weiter im Gewaltdiskurs geht es auf Seite 14, wo über Hooli­gans, die angeblich zu einem Spiel von Bayer Leverkusen und dem 1.FC Köln anrei­ sen wollten, eine „Erscheinung, die nun wirklich keiner beim Frauenfußball 73 74

Vergleiche http://www.ff-forum.net/board/thread.php?threadid=31476&threadview=0 &hilight=kulig&hilightuser=0&page=1, letzter Zugriff 14.2.2010. Mir ist der Sinn dieser Strategie völlig unklar; eigentlich eignen sich solche Zitate wunderbar, um kritische Punkte zu thematisieren, warum werden diese Chancen wieder und wieder verschenkt?

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[Anmerkung JW: beim Männerfußball schon?] braucht, auch dann nicht, wenn es um die Tabellenspitze und den Aufstieg geht.“ Auf S. 16 folgt ein Kurz­ bericht(siehe Tafel 30 Abbildung 74) über die ob ihrer Gewalttätigkeit bekannt ge­ wordene Elizabeth Lambert, die nun „auf Anweisung der Liga zum Psychiater“ muss. Hier wäre abermals ei­­ne Kontextualisierung des Ereignisses interessant ge­ wesen: ist das Phänomen, dass Spieler und Spielerinnen in diesem Ausmaß auf dem Spielfeld ausrasten, bekannt? Was geschieht mit diesen? Wel­che Rolle hat der/die Schiedsrichterin? Kann man solche Eruptionen auf dem Platz vorherse­ hen und präventiv agieren? Welche Motivationen liegen vor? usw. Vielleicht hilft ein Konzept von Simone Laudehr um zu erklären, wa­ rum die einen schwören, Frauenfußball sei genauso hart wie Männerfußball und die anderen einen weniger auf Körperkontakt ausgelegte, technisch saube­ re Spielart der Fraeun ausmachen wollen. Laudehr macht in ihrem Interview (18– 24) einen Unterschied zwischen Mädchen- und Frauenfußball. Frauenfußball sei schneller und aggressiver, man benötige dafür Körpermasse, die man sich antrai­ nieren müsse. „Wenn Du beim Mädchenfußball den Ball verlierst, ist er eben weg. Bei den Frauen musst du hinterher und die Gegnerin notfalls umhauen. Wenn die andere mich nervt, gebe ich ihr einen Tritt, keinen bösartigen oder verletzen­ den, einfach nur Beinchen stellen. Im Frauenfußball zeigt man mit einem harten Zweikampf: Hier nicht, heute nicht, nicht mit mir!“ (20) Gemäß den provokanten Aussagen von Laudehr sind die Fotos von ihr im Vergleich zu denen von Kulig (beide sind von Fotografen im Auftrag der Zeitschrift gemacht), wesentlich dynamischer (siehe Tafel  30 Abbildung 75). Hier steht vor uns keine Yogakursteilnehmerin, hier ist jemand kribbelig, voller Energie und Schabernack. Ergänzt wird das durch ein Porträt, das doch wieder in einer Wellness-Beilage hätte erscheinen können (siehe Tafel  30 Abbildung  76): Laudehr von vorne, nur bis zum Kinn fotografiert, den Kopf leicht schräg, den Blick leicht melancholisch, den Mund verletzlich (22). Dazu passt die Selbstcharakterisierung als eine neue Generation „die sich fürs Spiel auch mal schminkt“. Lässt sich dies als Codierung für „keine Lesbe alter Schule“ lesen?75 Ich denke schon, denn sie sagt weiter: „Ich finde es generell schön, dass man als Fußballerin auch weiblich aussehen und auf sein Äußeres ach­ ten darf. Klar ist das dann für die Männer anziehend. Warum auch nicht?“ (21) Im nächsten Satz wird dann klar, dass Laudehr hier für Toleranz wirbt: „Ich bin zufrieden mit meinem Aussehen, und wenn es anderen gefällt, egal ob Männern oder Frauen, dann ist das schön.“ Ab Seite 28 gibt es erstmals ein wenig theoretische Diskussion: Was muss sich jetzt im Frauenfußball ändern? Die Redakteure in Zusammenarbeit „mit vielen prominenten Figuren“ kommen zu folgenden Kernfolgerungen (28– 32): Es fehle an Professionalität. Zu­nächst im Training, dies wirke sich auf Sponsoren, Spielerinnen, Medieninteresse aus. Hier wird die Forderung nach Vollzeit- statt ehrenamtlichen Trainern (nicht Trainerinnen) laut. Spielerinnen sollten sich immerhin im Rahmen eines „Halbprofitums“ (31) dem Sport wid­ men können. Der zweite zu optimierende Bereich sei die Selbstvermarktung und Öffentlichkeitsarbeit. Fußballerinnen gäben sich mit zu wenig zufrieden 75

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Nicht, dass ich unterstellen wollte, früher hätten alle Lesben das Schönheitsideal „Butch“ gepflegt. Das Thema homosexuelle Identität spielt im Frauenfußball eine wichtige Rolle, lässt sich an dieser Stelle jedoch nur anreißen (siehe unten Strafraum).

und hätten ein schlechtes Selbstwertgefühl. Gleichzeitig fehle aber auch eine Kritikkultur. Die Gestaltung von Vereinszeitungen, Homepages usw, sei Substandard. Und auch die Lizenzierung für die ersten beiden Ligen müsse strenger werden, da­ mit nur Vereine mit entsprechender Infrastruktur mitmachen könnten. Die bes­ sere Medienarbeit sei aber ein zweischneidiges Schwert, die jetzige hausgemachte Pressearbeit mache den Kontakt angenehmer (31). Die Bundesligaspiele müssten im Fernsehen übertragen werden. Außerdem müssten die Anstoßzeiten fix und die Spiele unverschiebbar sein. Frauenfußball solle sich nicht mit dem Männersport vergleichen, er sei nun ein­ mal anders, weniger aggressiv. Aber genau darin liege seinen Charme. Diese Diskussion mit ihrem „Einerseits – aber andererseits“ ist typisch für die Ambivalenz des Magazins. Anstatt sich festzulegen – unterscheidet sich Frauen- vom Männerfußball? Sollte er sich unterscheiden? Müssen die Strukturen professioneller werden oder liegt der Reiz im Amateurhaften? Gehört Gewalt zum Fußball und wenn ja, wo? – werden einander widersprechende Argumente präsentiert, ohne auf deren Unstimmigkeiten einzugehen.

II.1.2.3 Zusammenfassung: Frauen in Frauenfußballzeitschriften •

Obwohl in den Medien immer wieder, fast formelhaft, betont wird, Frauenfußball sei ein anderer Sport als Männerfußball76, gibt es kei­ ne kanonisierte Definition dieser Andersartigkeit. Stattdessen wer­ den, scheinbar ohne sich des Widerspruchs bewusst zu sein, im glei­ chen Heft zwei konkurrierende Modelle aufgestellt: a) Frauenfußball sei genauso wie Männersportart eine Kontaktsportart, hier werde teil­ weise sogar mehr gegrätscht, getacklet und gefoult als bei den Männern. b) Frauenfußball sei technisch sauberer, filigraner, langsamer und ohne die Gewaltbereitschaft der Männer. In 11  Freundinnen wur­ de dieses Problem mit der Unterteilung in a) Frauenfußball und b) Mädchenfußball intellektuell ansatzweise gelöst.



Auch hart spielende Frauen und Mädchen müssen dabei immer be­ teuern, dies sei nicht bösartig, sie würden schließlich niemanden ver­ letzen. Dies gilt sogar dann, wenn, wie im Fall von Eliza­beth Lam­ bert, mehrere Gegnerinnen den Platz räumen müssen. Sobald die­ se Selbstwahrnehmung, wie im genannten Fall, in keiner Weise in Deckung mit den Resultaten ihrer Handlung zu bringen sind, müssen diese Frauen „zum Psychiater“.



Einigkeit besteht, wenn es um Fans von Frauenfußball geht: diese dür­ fen keineswegs die bei Männern tolerierte Ventilfunktion des Fußballs nutzen und grölen oder gar sich mit den Fans der anderen Mannschaft schlagen, sondern das oberste Gebot lautet hier, eine friedliche und (fa­ milien-) freundliche Atmosphäre zu wahren.



Um nicht negativ sanktioniert zu werden, ist es für (Profi-)Sportlerinnen wichtig, dass ihre höchste Motivation weder das bestmögliche sport­

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Um sich klarzumachen, dass dies eine bereits durch geschlechtliche Kulturisation geprägte Vorstellung ist, reicht es, die Sportart Fußball durch jede beliebige andere zu ersetzen: Tennis, Schwimmen, Volleyball, Rennradfahren… Das Argument, die Bewegungsabläufe seien durch die unterschiedlichen Kraftverhältnisse unterschiedlich, trifft logischerweise genauso auf diese zu, und doch käme niemand auf die Idee, beim Frauentennis handele es sich um eine andere Sportart als beim Männertennis.

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liche Ergebnis noch die optimale Bezahlung sein darf; Anerkennung und Kameradschaft stehen, zumindest normativ, immer ganz oben in der Liste der Motivationen. Daneben ist Familienverbundenheit, Pflichterfüllung als Mutter und Gattin ein immer wieder transportier­ ter Wert77. •

Im Widerspruch dazu steht das Bild, die Welt des Frauenfußballes sei geprägt von Streitereien, Intrigen, Kündigungen – „Zickenterror“ eben.



Ein ebenfalls ambivalentes Bild wird bezüglich der Professionalität ver­ mittelt. Einerseits, so unbestritten, fehlt dem Frauenfußball genau die­ se, was Medien und Trainern in der Rolle des sachlichen Kritikers unge­ meine Handlungsräume zugesteht (und zu einer reflexhaften enormen Bereitschaft zur öffentlichen Selbstkritik bei den Spielerinnen führt). Andererseits, so wird vermittelt, habe genau dieses Professionalität auch ihren Preis, der darin bestehe, all das, was den Sport so angenehm, inter­ essant, besonders mache, zu vernichten. Eine klassische Zwickmühle, die sich so ähnlich im Männerfußball findet; hier wird allerdings ein profes­ sioneller Fußball ohne kommerzielle Interessen gefordert.



Sexismus, obwohl in den Medien teils offen (Benutzung von verniedli­ chenden Bezeichnungen für Spielerinnen), teils subtiler (mit der Bot­ schaft, vielleicht sei es besser, gar nicht erst zu versuchen, „das zu haben, was die Männer haben“) klar spürbar, wird entweder gar nicht oder her­ unterspielend behandelt.



Positiv wird in beiden Medien betont, wenn eine Spielerin von den Schreibenden als körperlich attraktiv eingeschätzt wird; auch dies ist bei Männern so nicht üblich.



Im frauenfussball magazin fällt zudem noch eine mir nicht schlüs­sige78 Überbetonung des Engagements des DFBs auf.

II.1.2.4 Männer in Frauensportmagazinen Im Gegensatz zum äußerst begrenzten Vorkommen von Frauen in den an Männer gerichteten Magazinen, sind Männer in Frauenmagazinen omnipräsent, weswe­ gen eine genauere Analyse der ihnen zugeschriebenen Rollen hier auch zu weit führen würde. Deshalb sollen hier einige generelle Beobachtungen genügen. Abgesehen von der wenig geschlechtssensiblen Sprache mit der fast ausschließlichen Verwendung des generischen Maskulinums ist die Bedeutung der meist männlichen Trainer im frauenfussball magazin wesentlich beton­ ter als in vergleichbaren Medien, die für männliche Zielgruppen verfasst werden. Aber für beide Medien gilt: Ob Trainer, Politiker, Funktionäre, Schiedsrichter, Journalisten, Leserbriefschreiber oder Spieler, männliche Identifikationsfiguren und Vorbilder sind nie weit entfernt. Die weiblichen Äquivalente fehlen dagegen weitgehend. In 11 Freundinnen wird dies verschärft durch den Brauch, sexisti­ schen Zitaten unkommentiert Platz einzuräumen sowie die „Gleichberechtigung“ 77

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Dieser Diskurs findet sich, auch wenn ich darüber nicht berichtet habe, auch in 11  Freundinnen wieder, so etwa, wenn eine der ersten Fragen an Kulig ist, ob sie in Hamburg nicht ihre Familie aus Schwaben vermisse. Solche Fragen werden jungen Spielern in den Männermedien nicht gestellt. Wäre die Beseitigung des allseits beklagten Mangels an Professionalität nicht vor allem Aufgabe des DFB?

betitelte Rubrik, in der Männer im Frauenfußball vorgestellt werden. Im ersten Heft ist dies der Torwarttrainer vom 1.FFC Frankfurt, im 2. ein Fan von Turbine Potsdam. Obwohl ich den Ansatz verstehen kann, auch Männer als Fans zeigen zu wollen, und den ironischen Ansatz hinter der Rubrik schätze, fällt es mir schwer, es nicht als Verlust an Präsentationsfläche für Frauen in eben diesen Rollen zu se­ hen: einen männlichen Fan in den sogenannten allgemeingültigen Medien port­ rätiert zu finden, ist keine Seltenheit; sollten da nicht explizit dem Frauensport vorbehaltene Magazine den Raum für die Darstellung weiblichen Fantums bie­ ten?

Strafraum: Homosexualität als Störfaktor Auffallend ist neben der bereits festgestellten besonderen Erlaubnis zur ansonsten als weiblich (oder eben schwul) abgewerteten Emotionalität im Männerfußball auch, dass viele Manöver, besonders die Siegesgesten, deutlich homoerotische Züge tragen. Und hier reden wir nicht von mehr oder minder verstohlenen Blicken in der Kabine auf Körper und Unterwä­ sche des anderen, wie sie Walter 2006: 105f. beschreibt. So viel körper­ liche Nähe wie auf dem Fußballfeld oder im Stadion ist Männern in der Öffentlichkeit sonst nur unter Homosexualitätsverdacht gestattet. Dies wird auch von 11 Freunde erkannt: Man kann es jedes Wochenende vielfach beobachten. Das erzielte Tor ist gewissermaßen das Eintrittsbillet für ausgelassenes Gerammle. Die Spielkameraden fallen über den Torschützen her. Die Nummer 6 be­ gräbt die Nummer 9 unter sich, und man schiebt sich mit eindeutigen Bewegungen über den Rollrasen. Übrigens auch etymologisch aufschluss­ reich: Beim Fußballspiel können wir mit bloßem Auge sehen, woher die volkstümliche Wendung „eine Nummer schieben“ kommt. […] Ist es nicht schön, wie sich der bebende Schnurrbart des Zehners in den vor Lust bis zu den Ohren gezogenen Mundwinkel des Vollstreckers gräbt; wie sich eine sehnige Hand im Nacken des Vorlagengebers liebevoll festkrallt; wie zwei muskulöse Männerschenkel sich um das Becken eines noch unausgekleide­ ten Reservisten klammern; wie sich Hüfte an Hüfte presst und die dreita­ gebärtige Wange des alten Haudegens sich ans glattrasierte Bäckchen von Prinz Poldi schmiegt? […]Das Fußballstadion ist der einzige Ort in unse­ rer Gesellschaft, wo sich wildfremde Männer öffentlich in den Armen lie­ gen und küssen dürfen, ohne in den Verdacht der Homosexualität zu ge­ raten. Im Fußballstadion erleben wir Tag für Tag, wie zärtlich Männer sein können und dass sie sich überhaupt nicht schämen, das auch vor der Kameraöffentlichkeit zu zeigen. (http://www.11freunde.de/ballkul­ tur/100543, letzter Zugriff 15.2.2010)

Dennoch ist kaum Toleranz für Homosexuelle vorhanden1. Woher kommt dies? Lehnert 2006:  86f. erklärt dies mit dem Konzept der hegemoniellen Männlichkeit von Connell; dies sei die Männlichkeit, die „in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses“ (87) als die bestimmende angesehen werde, auch im Bezug auf andere Männlichkeiten. 1

Der DFB hat deswegen eine Kampagne gegen Homophobie im Fußball in Auftrag gegeben, siehe etwa http://www.dfb.de/index.php?id=500014&tx_dfbnews_ pi1%5BshowUid%5D=20277&tx_dfbnews_pi4%5Bcat%5D=121, letzter Zugriff 3.3.2010.

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Diese Position sei stets hoch umkämpft, und obwohl die anderen Entwürfe von Maskulinität daran orientiert seien, könnten aufgrund sozialen Status’, Ethnizität, Bildungskarriere, Hautfarbe, sexueller Orientierung etc. nur sehr wenige Männer an ihr teilhaben. Sie ergänzt (86): „Zentrales und konstituierendes Merkmal der hegemonialen Männlichkeit stellt die Heterosexualität bei gleichzeitiger Abwertung und Diskriminierung der Homosexualität dar.“ Zusammengefasst und vereinfacht: es gibt ein Ideal, dem nur wenige gerecht werden, und dieses Ideal ist vor allen an­ deren Eigenschaften heterosexuell. Damit ergibt sich eine Hackordnung, in der Schwule ganz unten angesiedelt sind – fast schon in der untersten Kategorie „Frau“. Fußballstadien im Besonderen, aber auch Fußballzeitschriften, Internetportale, Fanseiten und andere Diskursorte im Allgemeinen sind berüchtigt für die konservativer als im gesellschaftlichen Gesamtdiskurs konzipierten Geschlechtergrenzen (vergleiche etwa Kreisky/Spitaler 2006b: 8). Schwul gilt, auch unter Akademikern, im Männerfußballkontext als legitimes Synonym für schlecht, schwach oder idiotisch2. Dies zeigt sich auch an folgendem Zitat von Christoph Daum zum Thema Homosexualität im Profifußball, in dem Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt wird: „Da wird es sehr deutlich, wie sehr wir dort aufgefordert sind, gegen jeg­ liche Bestrebungen, die da gleichgeschlechtlich ausgeprägt ist, vorzugehen. Gerade den uns anvertrauten Jugendlichen müssen wir mit einem so gro­ ßen Verantwortungsbewusstsein entgegen treten, dass gerade die, die sich um diese Kinder kümmern, dass wir denen einen besonderen Schutz zu­ kommen lassen. Und ich hätte da wirklich meine Bedenken, wenn dort von Theo Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten. Ich würde den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen.“ (von http://fussball-kultur.org/v01/de/pub/index.html?poolID=1&artikelID=21 83&navID=124&IDS=UIthsBRB, letzter Zugriff 1.3.2010)

Oder dem Zitat von Zbigniew Boniek, heute Fußballexperte im italienischen Fernsehen, der Homosexualität als Aberration bezeichnet: „Ich weiß, dass man heutzutage über alles reden kann. Es sind ja sogar gleichgeschlechtliche Eheschließungen akzeptiert. Aber es widert mich an, über so etwas zu reden. Ich bin ein Traditionalist. Mir gefällt das normale Leben. Ich bin für absolut normale Beziehungen zwischen Mann und Frau. Ob es nun schwule Fußballer gibt oder nicht. Je mehr Staub da jetzt aufge­ wirbelt wird, desto mehr distanziere ich mich davon. Wer sagt denn, dass wir alles akzeptieren müssen? Dass wir über alles reden müssen. Und dass unsere Kinder in der Erziehung über alles aufgeklärt werden müssen? (von http://fussball-kultur.org/v01/de/pub/index.html?poolID=1&artikelID=35 88&navID=0&IDS=GNh2FwML, letzter Zugriff 1.3.2010)

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Siehe z.B. die Diskussion um den „Akademiker-Fanclub“ unter http:// www.11freunde.de/ballkultur/115583 oder http://www.11freunde.de/newsticker/105229, letzter Zugriff 1.3.2010) und der zweite Vorsitzende des schwulen Fanclubs von Hertha BSC möchte seinen Namen nicht in der 11 Freunde veröffentlicht sehen (http://www.11freunde.de/ballkultur/114665, letzter Zugriff 27.2.2010

So verwundert es nicht, dass, obwohl statistisch gesehen mindes­ tens ein komplettes Team der Männerbundesliga homosexuell sein müss­ te, es in Deutschland nur einen Profifußballer gibt, Marcus Urban, der sich (nach dem Ende seiner Profikarriere) geoutet hat. Stark wirkt auch immer noch das Beispiel des englischen Spielers Justin Fashanu nach, der sich als erster Profi als Schwuler outete, zuerst seinen Beruf verlor und sich schließ­ lich umbrachte3. Da gegengeschlechtlich konnotierte Sportarten häufig bei Ausübung den Verdacht der Homosexualität des Ausübenden auslösen (man denke etwa an Eiskunstlaufen bei Männern oder eben Fußball bei Frauen), muss die eigene Geschlechterrolle besonders überbetont wer­ den, wenn dieser Verdacht abgebogen werden soll4. Hierin liegt etwa der Schlüssel für etwa das häufige Betonen des Verheiratet-Seins oder der Attraktivität nach gängigen Weiblichkeitsvorstellungen in den über Fußballerinnen schreiben­den heterosexuellen Medien. In den Augen vie­ ler männlicher Fans gelten all jene Fußballerinnen, die nicht gängigen Schönheitsidealen entsprechen, als lesbisch5 und in den Boulevardmedien6 herrschen skandalistische Berichte über das Liebesleben der Spielerinnen vor. Aber auch Magazine wie etwa Der Spiegel7 behaupten: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Dementsprechend ist die Anzahl der lesbi­ schen Spielerinnen in den Bundesliga-Clubs und im Nationalteam hoch, Trainerinnen inbegriffen.“ Interessanterweise findet das Spekulieren über das Privatleben der Spielenden fast nur bei den Spielerinnen statt, bei Männern wird häufig betont, das habe ja mit dem Spiel nichts zu tun. 3

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Siehe auch http://www.11freunde.de/ballkultur/114665?page=2, http:// www.11freunde.de/newsticker/127460/soziologe_gefahr_fuer_schwule_im_ fussball und http://www.11freunde.de/bundesligen/124365, jeweils letzter Zugriff 27.2.2010. Dies erklärt auch, warum Frauenfußball von Lesben häufig als Distinktionsmittel eingesetzt wird: hier tut sich eine Frauenrolle abseits der Heteronormativität auf; siehe dazu etwa http://www.lespress.de/092003/texte092003/fussballWM. html, letzter Zugriff 3.3.2010. Siehe z.B. http://www.11freunde.de/forum/3/1092908284/1, letzter Zugriff 1.3.2010. Besonders abstoßend etwa http://www.bild.de/BTO/sport/aktuell/2006/02/10/ fach-liebes-dreieck-bizarr/fach-liebes-dreieck-bizarr.html, letzter Zugriff 1.2.2010. http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,324932-3,00.html, letzter Zugriff 1.3.2010

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II.2 Zweite Halbzeit Vom Rasen aus: Homepages Mir war es wichtig, zu untersuchen, wie die Spieler und Spielerinnen, abseits der von Fans und Medien zugeschriebenen Rollen, sich selbst präsentieren. Hierzu habe ich die Homepages der Spielerinnen und Spieler der jeweils letzten Nationalmannschaft der Europaweltmeisterschaften verglichen. Angesichts der alles andere als üppigen Möglichkeiten, sich über Printmedien (und, hier nicht behandelt, audiovisuelle Medien) als Fußballerin oder als Frauenfußballverein zu präsentieren, hatte ich vermutet, dass die­ se das Internet ausgiebig als Präsentationsfläche nutzen würden. Schließlich ist Selbstdarstellung im Internet verhältnismäßig kostengünstig, erreicht dabei Interessierte auf der ganzen Welt und ist flexibel in Bezug auf Umfang und Größe. Die Interaktivität des Mediums ist ein weiterer Aspekt, der mir gerade für einen Sport, dessen AnhängerInnen wahrscheinlich ihrer Begeisterung in ihrem Umfeld nicht besonders ausgiebig Ausdruck verleihen können, sehr attraktiv erscheint. Diese Hypothese war jedoch nicht haltbar; nur neun der zweiund­ zwanzig im EM-Team 2009 spielenden Fußballerinnen hatten eine eigene Homepage. Dies ist besonders im Vergleich mit den männlichen Teilnehmern der EM 2008 (hier haben neunzehn von zweiundzwanzig eine eigene Seite; über die drei verbleibenden gibt es zumindest auf den Seiten ihrer Vereine gut auffindbare Steckbriefe  –  auch dies fehlt bei den meisten der Spielerinnen) auffallend wenig. Im Folgenden werde ich zunächst auf die Homepages der Fußballerinnen, dann auf die der Fußballer, kurz eingehen. Da es insgesamt we­ niger Material zu Spielerinnen als zu Spielern gibt, vor allem aber, da im Vergleich zu den Homepages der Männer verhältnismäßig viel neues Rollenmaterial auf den Homepages der Frauen eingebracht wird, gehe ich auf das Material der Frauen hier genauer ein als auf das der Männer.

II.2.1 Homepages von Fußballerinnen Aus der EM-Auswahl von 2009 haben folgende Spielerinnen eine eigene Website: Nadine Angerer, Annike Krahn, Babett Peter, Simone Laudehr, Jennifer Zietz, Fatmire Bajramaj, Anja Mittag, Birgit Prinz und Melanie Behringer. Einige Spielerinnen (Annike Krahn, Kim Kulig, Linda Bresonik, Inka Grings, Simone Laudehr) haben teilweise öffentlich einsehbare Facebook-Profile, auf die ich aber aus Gründen der mangelnden Verifizierbarkeit sowie des eingeschränktem visuel­ len Gestaltungsspielraum hier nicht eingehen werde. Ebensowenig werde ich die „offiziellen Fanseiten“, z.B. von Saskia Bartusiak, bewerten, da ich hier davon aus­ gehe, dass die BetreiberIn das Design und die Fotoauswahl nicht mit der Spielerin abstimmen muss, und daher der Einfluß dieser auf die Präsentation ihrer Person nur sehr eingeschränkt ist. Auffällig scheint mir, dass abgesehen von der Homepage von Annike Krahn, alle Spielerinnen auf der Startseite im Trikot erscheinen; bei den Spielern dagegen präsentieren sich fast die Hälfte (8) auf dieser in Privatkleidung. Auch der Anteil von Informationen über das Privatleben der Spieler ist wesentlich hö­ her als der der Spielerinnen79. Des Weiteren fielen auf den Seiten der Frauen mehr Anzeichen amateurhaften Arbeitens ins Auge: Rechtschreibfehler, schlecht redi­ 79

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Diese Tendenz fand ich sehr schwer zu bewerten: einerseits verstehe ich das Bedürfnis von SportlerInnen nach Privatsphäre, andererseits wird dies in einer Sub-Kultur, in der Homosexualität immer noch als Makel gilt und Fußballerinnen dem Generalverdacht der Homosexulität unterliegen, häufig als Totschweigen gewertet.

gierte Texte, Spam in Gästebüchern, nicht funktionierende Links oder Skripte, News aus dem Jahr 2007 und viele qualitativ schlechte Fotos prägen das Bild des Frauenfußballs als eines Amateursports. Auf der Website von Jennifer Zietz80 begrüßt uns ein Foto der Sportlerin, auf dem diese, auf dem Knien auf dem Rasen, die Hände in der Luft ballt; ihr Gesicht ist entweder schmerzvoll oder im Jubel über ein Tor ver­ zogen. Links daneben steht, in einer Schrift, die stilistisch Erpresserbriefe und Buchstabenstempel zitiert: „Hier wird gebaut!“. Die Seite von Anja Mittag81 unter dem Motto „women – soccer – ma­ gic“ begrüßt den Betrachtenden mit den Worten: „Ich freue mich, dass ihr auf meiner Website vorbeischaut. Ihr könnt euch hier über meinen Werdegang infor­ mieren und vieles andere mehr über mich erfahren, Fotos anschauen und mir im Gästebuch auch Grüße hinterlassen. Es grüßt euch die Anja :-)“. Das dominieren­ de visuelle Element ist auf der linken Seite ein Fußball, der wie ein riesiger Mond über Mittag in einem Nationalmannschaftstrikot mit Medaille und Blumenstrauß aufgeht. Daneben sind die Sponsorenlogos recht groß horizontal aufgereiht, so dass diese immer das erste Element sind, was dem Betrachtenden ins Auge fällt. Über den Logos finden sich die bereits aus dem frauenfussball magazin bekannten floralen Schnörkel, die Mittag mit der Bundesliga-Schale zeigen. Diese sind wie Schrift und Navigationselemente in grau gehalten; nur der aktuell angewählte Navigationspunkt ist dunkelrot unterlegt. Die Fotos von Mittag sind die jeweils farbintensivsten Elemente der Seite. Es gibt viele Navigationspunkte, zum Teil mit Unterpunkten; die Oberpunkte sind jeweils mit Schlagschatten versehen, um Plastizität zu erzeugen. Dünne Linien grenzen die einzelnen Seitenelemente (Navigation, Inhaltsbereich, Header) voneinander ab. Sprachlich schwankt die Seite zwischen gestelzten Formulierungen („mein Werdegang“) und junger, sehr informeller Sprache („Quark mit Pellkartoffeln, wer kennt das nich?“). Unter Aktuelles ist ein Newsticker mit eher technisch formulierten Neuigkeiten von der Website des Vereins von Mittag, 1. FFC Turbine Potsdam, eingebunden, so dass fast täglich neue Inhalte in diesen Teil der Seite einfließen. Es gibt ein Feature, in dem die Spielerin Fragen der Fans beantwortet – leider schneidet es die Antworten nach einigen Sätzen mitten im Wort ab. Das Gästebuch ist mit Einträgen von Ende Januar 2010 relativ aktuell. Inhaltlich stellt sich häufiger die Frage nach der Angemessenheit: was die Spielerin zum Frühstück bevorzugt, mag Fans interessieren und scha­ det wahrscheinlich weder der Marke der Spielerin noch dem Frauenfußball im Allgemeinen; wenn sie jedoch auf die Frage, was sie an ihrem Verein stört mit „Das gehört nicht hierher!“ antwortet (Unterpunkt „Anjas Do’s (sic) & Do Nots“), erscheint dies taktisch unklug, da es das Bild vom „Zickenterror“ im Frauenfußball stärkt. Die Fotos sind unterteilt in Kinderbilder, WM 2007 und Olympia 2008. Es handelt sich um viele Zweikampffotografien, Szenen vor dem Tor wie Bilder, die den mannschaftsinternen freundschaftlichen Umgang der Spielerinnen

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http://www.jenny-zietz.de/, letzter Zugriff 16.2.2010. www.anja-mittag.de, letzter Zugriff 18.2.2010.

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betonen. Dazu kommen Schnappschüsse von den Reisen etwa zur WM 2007 in China82. Anja Mittag präsentiert sich als sehr familienverbundene Frau mit ei­ nem Shopping-Laster einerseits, als Verfechterin eines „harten“ Sportes mit vie­ len Zweikampfsituationen andererseits. Ihre Selbstdarstellung lässt sich mit den Rollenbildern in der Fußballpresse weitgehend abdecken. Babett Peters83 Startseite zeigt einen Pokalschrank voller Trophäenicons mit den jeweiligen Informationen zu Wettkampftitel und Siegjahr. Zwischen diesen Trophäen läuft Babett Peter auf uns zu; die berühmt-berüchtigten Fußballerinnenbeine lösen sich in nichts auf, die Streifen in den Landesfarben des Trikots nehmen ihren Platz ein und verursachen nahe des Oberschenkels kleine Farbexplosionen. In Schulterhöhe zieht sich hinter dem Foto der Spielerin eine Farbfläche mit Farbverlauf und vage ballähnlicher Textur; darauf sitzt in einer grünen Siebziger-Jahre-Blasenschrift mit Rasenoberfläche der Schriftzug „Babett Peter“. Daneben sitzt eine blaue Rosette mit der Aufschrift „Europameister Finnland 2009 JA!“; rechts von ihrem Körper sitzen auf dieser Leiste die Logos vom DFB und dem 1. FFC Turbine Potsdam. Auch auf ihrer Site gibt es den Ticker, der mit der Website des Vereins verknüpft ist; auf der ersten Seite nach dem Einstieg findet sich ganz oben ein Hinweis auf die karitative Tätigkeit der Spielerin für SOS Kinderdorf. Auch hier ist das etwas Rätsel aufwerfende Foto mit den Geisterbeinen das optisch auffälligste Element, auch hier konkurriert es mit der roten Titelleiste, grünem Namensschriftzug und den beiden Logos. Hinzu kommt als grafisches Element allerdings noch das Ergebnis des jeweils letzten Spieles hinzu. In der Porträtsektion kritisiert Peter das Verhalten männlicher Fans und Spieler (übertriebenes Jubelverhalten, Körperhaltung während Interviews), betont ihre Titelhungrigkeit und den Ehrgeiz, ihren Körper zu perfektionie­ ren, ihre Tierliebe und die freundschaftlichen Verhältnisse in ihrer Mannschaft. Die Bilder zeigen vor allem die Spielerin mit dem Ball, es sind auch einige Zweikampfsituationen abgebildet. Insgesamt gibt es relativ wenige Fotos. Der Schwerpunkt des Porträts liegt auf der Einsatzbereitschaft und dem Ehrgeiz der Spielerin, etwas, was in der Presse fast immer heruntergespielt wird; wie um dies abzumildern, werden die Tierliebe und die guten Kontakte im Team betont. Birgit Prinz84 nutzt viele grafische Elemente: ein unterliegendes Punkt­ raster, farbige Linien, die wie eine eckige Version des Nike-Logos wirken (wie pas­ send, hierbei handelt es sich nämlich um einen Sponsoren der Spielerin) und eine Vektorversion von sich selbst. Im Vergleich zu anderen Spielerinnen sind ihre Fotos sehr klein gehalten. Auch hier gibt es auf der Startseite viele Sponsorenlogos, hier im Gegensatz zu Mittags Seite auch vollfarbig. Auf der ersten Seite wird so­ gar ein Werbefilmchen eines Sponsors eingeblendet. Die News sind von 2007, an oberster Stelle steht eine Belobigung des Ministerpräsidenten Roland Kochs, die Dynamik, Technik, Siegeswillen, Schussstärke, Un­eigennützigkeit, Offenheit, Unkompliziertheit, Bodenständigkeit und Bescheidenheit der Spielerin lobt. 82

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Auch hier stellt sich bei einigen Bildern die Frage nach der Angemessenheit, oder, wie eine Freundin angesichts eines Bildes, auf dem die Spielerin sich auf dem Bett sitzend die Zehennägel lackiert, fragte: „Ob es wohl auch Bilder von Rudi Völler mit Lockenwicklern gibt?“ (http://www.anja-mittag.de/fotos_olympia2008.php, letzter Zugriff 22.2.2010). www.babett-peter.de, letzter Zugriff 18.2.2010. ww.birgintprinz.de, letzter Zugriff 8.3.2010.

Hier wird ein neues Rollenmodell eingeführt: das Veilchen im Moose (siehe jeweils zu den Rollenbeschreibungen auch Kapitel III). Die Seite ist im Gegensatz zu den anderen in der dritten Person ge­ schrieben, es werden sehr wenig private Informationen zur Verfügung gestellt. Auch hier werden Wohltätigkeit, Spielstärke und zurückhaltender Charakter wie­ derholt betont. Die meisten Fotos berichten vom Wohltätigkeitsprojekt „Learn & Play“ in Afghanistan. Verantwortlich für die Inhalte ist das Management von Prinz, und die Themenauswahl und der Berichtstil sind sehr professionell, wenn auch nicht übermäßig enthusiastisch gehalten. Auf der Startseite von Nadine Angerer begrüßt uns diese mit per­ sönlicher Unterschrift, auch das „Natze ABC“ ist in der ersten, die restlichen Texte sind jedoch in dritter Person verfasst; die News und Termine sind aktu­ ell. Obwohl sie den gleichen Manager wie Birgit Prinz hat, ist sie persönlich für die redaktionellen Inhalte verantwortlich. Es überwiegen Fotos der Reisen mit der Nationalmannschaft und ein paar Studioporträts; Angerers Rekordleistung als Torwärtin (sie hält den Rekord für 540 torfreie Spielminuten in einer Welt­ meisterschaft) und ihre Begeisterung für Reisen, extravagante Hüte und gene­ rell Abenteuer stehen im Mittelpunkt, aber auch ihr hartes Training. Dieses Rollenmodell habe ich als Avantgardistin beschrieben. Simone Laudehr85 nennt sich selbst „Simon“86 und begrüßt uns in Jeans, Schal und T-Shirt, den Ball locker auf dem Oberschenkel festgeklemmt. Es gibt im Vergleich zu den Homepages der anderen Spielerinnen sehr viel Inhalt, der auch häufig aktualisiert wird; so ein Tagebuch, EM-Tagebuch, Olympiatagebuch und WM-Tagebuch. Hier werden private und professionelle Inhalte vermischt, mit deutlichem Schwerpunkt auf den fußballrelevanten Themen, dies allerdings be­ merkenswert offenherzig, redet sie etwa über ihre Pläne nach der Fußballkarriere, über die Probleme, die sie mit bestimmten Entscheidungen der Schiedsrichter hat usw. Auch Laudehr betont ihre Familienverbundenheit: „Meine Eltern be­ suchen mich auch des öfteren. Mein Papa bleibt dann immer etwas länger. Das macht mir aber nix aus, immerhin liebe ich meine Eltern sehr und würde sie sonst nur zwei mal (sic) im Jahr sehen, wie meine Schwester und den Rest der Familie (Tante, Onkel, Cousinen usw.) ;(. Oma und Opa habe ich nicht mehr. Die sind schon verstorben was mich ziemlich traurig macht. Um ehrlich zu sein, SEHR traurig sogar.“ (http://www.simonelaudehr.com/index.php?option=com_ content&task=view&id=21&Itemid=43, letzter Zugriff 18.2.2010). An an­ derer Stelle dankt sie ihren Eltern und bringt ihren Stolz auf ihre 25jährige ver­ heiratete Schwester zum Ausdruck (hier bleibt unklar, was den Stolz auslöst: die Eheschließung?). Die Bilder sind alle vom Spielfeld, und die meisten zeigen sie mit Mannschaftskolleginnen, obwohl auch viele Zweikampf- und Ballfotos ver­ wendet werden. Hier handelt es sich um ein Paradebeispiel des aus der Presse sattsam bekannten Klischees des Lausemädchens. Fatmire Bajramaj87 spricht uns mit „Du“ an, und hat gleich auf der Startseite zwei Links zu Wohltätigkeitsprojekten. Ansonsten spricht sie über die 85 86 87

www.simone-laudehr.com, letzter Zugriff 18.2.2010. Interessanterweise bis auf eine Stelle, an der sie über den Tod von Robert Enke schreibt; dort unterzeichnet sie mit „Eure Simone“. www.lirab.com, letzter Zugriff 17.2.2010.

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Wichtigkeit guten Aussehens und ihre Shopping-Leidenschaft; in der Rubrik „Mottos, Träume und Ausbildung“ (http://www.lirab.com/cms/website.php?­ id­=/­de/index/lira/traeume_ausbildung.htm) sagt sie: „Mein größter Traum für meine Zukunft hat gar nichts mit Fußball zu tun: Eine Villa in L.A., das wär´s, auch wenn ich gar nicht so konkret weiss, was ich da will. Obwohl, feiern würde ich da. Am liebsten natürlich mit meinen Freundinnen Mimi, Arta, Quendresa, Nora, Ardijana, Tina und Coco. Und wenn ich so darüber nachdenke: Ein paar Jungs dürften auch mitfeiern.“ Dass ihre Entscheidung, sich als Sportsoldatin zu verdingen, ihre Zukunft sehr auf den Fußball ausrichte und dass sie der WMTeilnahme alles andere unterordnet. Ladies and gentlemen, please welcome the glamour queen! In der ersten Galerie ist Lira dementsprechend kein einzelnes Mal in Trikot abgebildet; selbst in den Galerien „Fußball“ und Europameisterin über­ wiegen Bilder in Privatbekleidung. Die Seite von Melanie Behringer88 betont vor allem den sportlichen Ehrgeiz; das Hintergrundbild (und abgesehen von einem Bild unter „Tor des Monats“ das einzige Bild zeigt die Spielerin vor dem Olympiastadion in Berlin; auf der Startseite schreibt sie dazu: „Ich hätte viel drum gegeben, ein Pokalfinale da spielen zu dürfen. […] Jetzt haben wir eine neue Verabredung: 26.Juni 201189, unwiderruflich. An diesem Tag will ich auf diesem Spielfeld auflaufen, mit dem Adler auf der Brust und der ‚7‘ auf dem Rücken. Ich werde alles tun, um die­ ses Ziel zu erreichen.“ Ansonsten sind kaum Informationen über die Spielerin auf der Seite zu finden, konzentriert sich diese doch eindeutig auf ihre Rolle als Kämpferin. Die Website von Annike Krahn ist mit Abstand die technisch aufwän­ digste: hier kann der Betrachtende sogar Hintergrundgrafik und –musik aus­ wählen, ein RSS-Feed ist erhältlich. News und Spieldaten sind auf dem neues­ ten Stand, Gästebuch und FAQ dementsprechend gut frequentiert. Es lassen sich Desktophintergründe, Screensaver, Autogrammkarte und ein Starschnitt herun­ terladen, ein Link verweist auf eine Merchandisingseite. Dies entspricht, siehe un­ ten, in etwa dem Stand der meisten Männerhomepages90. Annike beschreibt sich als das Mädchen von nebenan: „zu Hause [bei Mamas Curryreis] schmeckt es ja am besten“, Heimatverbundenheit und sauberes Leben (kein Alkohol, Angst vor Krankheiten). Es gibt sehr viele, auch persönli­ che Aufnahmen, die offensichtlich von Fotografen gemacht wurden; sie sind aber ohne jeden Glamourfaktor gehalten, ganz im Gegensatz etwa zu Lira Bajmaraj.

II.2.2 Homepages von Fußballern Diese Homepages sind, wie bereits erwähnt, nicht nur wesentlich zahlreicher, sondern auch deutlich professioneller. Bis auf die Seite von Arne Friedrich91, der bisher noch alle Inhalte fehlen, die also bisher nur ein Gerüst bietet, waren die Seiten für Fans sehr attraktiv bestückt: fast alle hatten Schreibtischhintergründe, Bildschirmschoner, eCards, Autogrammkarten oder Starschnitte, viele auch mehrere oder alle dieser Angebote. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl von 88 89 90 91

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www.melbehringer.com, letzter Zugriff 17.2.2010. Der Tag des Eröffnungsspiels der WM 2011. Was nicht verwundert, da die Agentur, die Konzept und Design für die Website von Annike Krahn macht, auch für viele Spieler zuständig ist, so etwa für Bastian Schweinsteiger oder Christoph Metzelder. http://www.arnefriedrich.de/, letzter Zugriff 18.2.2010.

Interaktivitätsangeboten: Blogs, Foren, Gästebücher, Chats, Quiz, Tipp- und an­ dere Spiele. Einige Seiten boten die Möglichkeit, andere Fans mit gewünschten Merkmalen (Geschlecht, Wohnort) zu suchen und sich mit diesen zu vernetzen. Fast alle bieten eine Sektion, in der Fans Fragen stellen können, die dann (ver­ meintlich) von den Spielern beantwortet werden. Um die Authentizität zu be­ tonen, werden diese teilweise als Videos veröffentlicht. Einige der Spieler stellen sehr viele Videos von sich zur Verfügung, und in den Foren beschweren sich die Fans, wenn der regelmäßige Rhythmus der Veröffentlichung einmal unterbrochen wird. Viele Seiten hatten Links zu den Merchandise-Seiten der Spieler, so dass die gut betreuten Fans ihrer Begeisterung direkt Ausdruck verleihen können. Eine weitere große Rolle spielt Bewegtbild; fast alle Spieler haben in irgendeiner Form dynamische Websites. Meistens gibt es eine Einstiegsseite und einige Unterseiten (etwa Dream-Team, persönliche Musikcharts, generelle Weltanschauung), die in der ersten Person geschrieben und von den Spielern unterzeichnet wurden; sehr häu­ fig sind aber etwa die Berichte über die sportliche Laufbahn, die Beschreibung der spezifischen spielerischen Qualitäten und natürlich die Statistiken in 3. Person geschrieben, ohne dass dabei Autoren genannt werden. Die Texte erhalten so scheinbar mehr Autorität. Die Farbwahl ist sehr schwarz-, weiß-, grau- und rotlastig. Nor­ malerweise bieten die Seiten mehrere Fotounterkategorien: über den Verein, über die Nationalmannschaft, über den Spieler privat sowie „Shooting“ be­ nannte Studioporträts. Viele der Fotos sind sehr privat: von Babyfotos bis zum Abiturzeugnis. Weiterhin auffällig schien mir, wie viele der Spieler meinten, ihre Affinität zu Mode, Musik und „Lifestyle“ betonen zu müssen. Dabei wird auch immer wieder die Familien- und Heimatzugehörigkeit betont: Mario Gomez besucht regelmäßig die (Amateur-)Spiele seiner alten Freunde und seine Großeltern in einem spanischen Dorf, Lukas Podolski wollte eigentlich immer nur in seiner Stadt und seinem Verein, dem 1. FC Köln, spielen, Philipp Lahms Begrüßungsfoto zeigt ihn in Trachtenjanker, Simon Rolfes möch­ te ein Haus bauen und Clemens Fritz würde gerne in ein paar Jahren eine Familie gründen und sich auf dem Land zur Ruhe setzen92. Dazu passt, dass etwa Mario Gomez sich selbst als bescheiden und höf­ lich bezeichnet und betont: „Mein Vater hat mit gezeigt, was man mit Arbeit al­ les erreichen kann.“ Wahrscheinlich würde er sich über die Zuschreibung „wert­ konservativ“ nicht ärgern. Ein anderer wichtiger Strang, der in den Männersportmagazinen so nicht verfolgt wurde, war das Bedürfnis der Fußballer, sich als modische Männer zu präsentieren. Diese Selbststilisierung, oft knapp am Metrosexualismus vor­ bei, betont häufig die Attraktivität der Spieler nach modernen, androgyneren Maßstäben: Arne Friedrich mit Dreitagebart und überbelichteter Fotografie, Bastian Schweinsteiger mit nacktem, glattem Oberkörper (dazu passt sein Lieblingsessen, Salat mit Putenbruststreifen, der Diätklassiker), Clemens Fritz wie aus einem zeitgenössischen alternativen Musikmagazin mit Kleidung im Schwimmbecken, Christoph Metzelder nachdenklich mit auf den wollpulliver­ packten Armen aufgestütztem Kopf, René Adler, als weltgewandter Fashion92

www.mario-gomez.de, www.lukas-podolski.com, www.philipplahm.de, www.simonrolfes.de und www.clemensfritz.com, jeweils letzter Zugriff 18.2.2010.

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Connaisseur oder Kevin Kurányi93, dessen Homepage ihn direkt als Kunstwerk inszeniert, das in Rahmen mit Schattenfuge inszeniert wird. Kurányi ist hier übrigens das Ende des Spektrums: kein anderer Spieler frönt so unverhohlen seinem Narzissmus. Auf seiner Seite sind neben unzähligen Studioporträts und dutzenden von Werbespots des Spielers eine Ansammlung von Zitaten aufgeführt, die seine außergewöhnlichen spielerischen Talente be­ zeugen, von Felix Magath bis zum Ex-VfB-Jugendtrainer. Die andere Möglichkeit der Betonung der Attraktivität ist die der Inszenierung als Kampfmaschine; besonders ins Auge stechen hier Miroslav Klose und Lukas Podolski. Eine Sonderrolle spielt hier Torsten Frings, dessen Fotografie zusammen mit der verwendeten Typografie an einen Wikinger oder Keltenkrieger erinnern94.

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www.arnefriedrich.de, www.bastian-schweinsteiger.de, www.metzelder.de, www.reneadler.com und www.kevin-kuranyi.de, jeweils letzter Zugriff 18.2.2010. www.miroslav-klose.de und www.torsten-frings.com, letzter Zugriff jeweils am 18.2.2010.

III Trikottausch: Rollenangebote Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass Geschlechterrollen genau wie andere soziale Rollen jeden Tag von uns allen neu ausgehandelt werden, diese also ein gewisses Maß an Flexibilität erlauben, das unter anderem davon abhängt, wer das Publikum ist, das die jeweilige Genderperformance betrachtet und wie die Bühne gestaltet ist (so wird ein transgressiver Akt auf einer Firmenbetriebsfeier wahrscheinlich weniger wohlwollend betrachtet als auf der heimischen Couch): welcher Rollenfundus ließ sich in den untersuchten Medien entdecken? Aus den vorgefundenen Beschreibungen, Sprachbildern und den im­ pliziten Wertvorstellungen der untersuchten Medien95 habe ich „archetypische“ zwölf Männerbilder96 sowie elf Frauenrollen97 rund um den Fußball isoliert; die­ se werde ich im Folgenden zu Scherenschnitten verdichtet vorstellen. Ich habe diese Darstellungsform gewählt, um die ungeheure selbstauferlegte Beschränkung klarzumachen. Die Rollen wirken dadurch entschiedenermaßen überspitzt; ich möchte hier aber darauf hinweisen, dass die Beschreibung der Rollen sich mög­ lichst nah an den tatsächlichen Sprachgebrauch in den Zeitschriften und Websites anlehnt. Es handelt sich quasi um eine Ausstellung der im und vom Diskurs ange­ schwemmten Bilder, strukturiert durch die Variationen der Äußerungen. In den seltenen Fällen, dass ich Vokabular benutze, das nicht zum Standardwortschatz des Fußballs gehört, habe ich die Zitatquelle angegeben. Natürlich kann und wird sicherlich von den mit den Rollen Identifizierten mit diesen Stereotypen collagiert und rekombiniert, schließlich befinden wir uns in der Postmoderne und Identität wird immer plural gedacht. Dennoch ist das untersuchte Rollenrepertoire so eingeschränkt, dass mir die ein­ zig adäquate Kritik die Satire scheint. Hier ist viel Kreativität beim Gestalten wie Rezipieren von Medien gefragt, die zumindest im Kopf angemessenere Geschlechterrollen schaffen kann. Denn das, was sich denken lässt, lässt sich ir­ gendwann auch leben…

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Bemerkenswert scheint mir an dieser Stelle, dass sich die Rollenanzahl und –vielfalt durch die Selbstdarstellungen sowohl der Spieler wie auch der Spielerinnen deutlich erweiterte. Hier liegt ein bisher von den Printmedien (und den bei ihnen beschäftigten DesignerInnen) ungeborgenes Potential für eine weniger eingeschränkte Darstellung. In den Zeitschriften fand ich zehn; davon sind sechs (Denker, Kampfmaschine, Heißsporn, Ballzauberer, Krieger, Weise) Angebote an Fußballer. Manager, Trainer, opportunistischer wie treuer Fan wenden sich an Männer am Spielfeldrand. Nach Durchsicht der Homepages konnte das Spielerrollen-Repertoire noch um den Glamourboy und den Traditionalisten erweitert werden. Für Frauen ließen sich in den Zeitschriften sieben stereotype Rollenbilder isolieren (Stadionmutti, Spielerfrau, Franzls gute Tochter, Küken, Mannschaftsspielerin, Lausemädchen, und, implizit als Antibild, das Mannweib). Nur die letzten vier sind dabei Spielerinnen zugedacht. Auf den Homepages der Spielerinnen fanden sich zusätzlich die Glamourqueen, die Natürliche, die Avantgardistin und die Kampfmaschine.

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III.1 Rollenangebote für Männer Der Denker Er wird mit Worten wie technisch und taktisch begabt, mühelose Ballbegabung, zurückgezogen, aufgeräumt, locker, gereift, gerecht, reflektiert, intelligent be­ schrieben. Die Kehrseite: distanziert und zugeknöpft lässt sich in dieser feingeis­ tigen Rolle selten die Liebe der Massen gewinnen. Allerdings darf man sich nicht dem Irrglauben hingeben, er sei als Gegenfigur zum starken Mann zu sehen. Die Stärke, die ihm zugeschrieben wird, ist aber im Vergleich zu den „Schafe[n] im Leitwolf-Pelz“ (11 Freunde #95: 30) diejenige, die zählt: nicht die des Pläsier­ schorschels, nicht die des gewieften Selbstdarstellers, nein, eine der inneren Klarheit, eine, die aus dem Wissen um die eigene außerordentliche Begabung schöpft. Insgesamt eine Rolle für denjenigen, der sich intellektuell wähnt und der die mangelnde Publikumsbegeisterung als Neid deutet (und so als Kompliment werten kann).

Die Kampfmaschine Diese nicht mit dem Krieger zu verwechselnde Figur spielt auch mit schwersten Verletzungen stets klag- und emotionslos, zuverlässig, demütig und verantwor­ tungsbewusst. Ihr Training absolvieren sie unaufgeregt mit dezenter Effizienz, auch wenn sie vom Trainer übersehen werden. Sie „wollen immer gewinnen, im­ mer spielen“ (11 Freunde 95: 69), sind Stehaufmännchen, die über ihr Scheitern gar nicht nachdenken, sondern einfach wieder aufs Pferd steigen, von dem sie gerade gefallen sind. Oft dauert es eine Weile, bis sie zur Höchstform auflau­ fen, wenn sie nicht ihrer dunklen Seite, dem Bedürfnis nach Anerkennung ihrer Loyalität unterliegen. Kritisiert wird manchmal ihre mangelnde Kommunikation und Extrovertiertheit, aber eigentlich entspricht dieser Typus einem alten deut­ schen Ideal: hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, na ja, und nicht ganz so flink. Die Dynamik und Forschheit, die das echte Leittier, den „Unbezwingbaren“ aus­ machen, fehlen leider. Aber zwei von drei Attributen sind ja schon mal nicht schlecht.

Der Heißsporn Eigentlich, so heißt es ja auch immer wieder, ist Fußball ja ein Strategiespiel. Eines, bei dem die Mannschaft alles ist. Aber ab und zu kommt einer daher, der die Medien mit seiner Emotionalität, seiner Heißblütigkeit verzaubert. So einer darf dann alles. Auch den Kapitän der Nationalmannschaft bei einem Spiel ohr­ feigen. Vielleicht, weil man hofft, dass er eines Tages zum Krieger heranreift, und dann, ja dann geht es endlich heim ins gelobte Land, als Wunder (in Bern und an­ dernorts) noch an der Tagesordnung und wir endlich wieder „wer“ waren. Weil echte Heißsporne so selten sind, verzeiht man übrigens auch an­ deren Typen untypische emotionale Ausbrüche auf dem Fußballfeld: es könnte sich ja jemand als Heißsporn entpuppen.

Der Ballzauberer Dieses Rollenmodell wird vor allem durch Fotos transportiert, die einen Spieler und seinen Ball zeigen. Völlig unabhängig vom Rest der Mannschaft propagieren sie die Magie, die durch kontemplative Versenkung entsteht – eine fast metaphy­ sische Erfahrung. Wie der Name schon sagt, ist er im Prinzip nicht kritisierbar:

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Magie lässt sich nicht analysieren. Und deshalb besteht das ewige Dream-Team auch immer aus Ballzauberer, Heißsporn und dem Krieger.

Der Krieger Hier handelt es sich um die Siegfriedfigur des deutschen Fußballs. Schön, jung, aber erfahren, kampfstark, intelligent, redegewandt und stets an seine Mannen denkend. Sein Sieg ist von größter Bedeutung für den Verlauf der Geschichte, er kann nur durch Verrat verlieren. Nach dieser Figur sehnt sich die gesamte Fußballpresse, aber jeder denkbare Kandidat entpuppt sich nach einiger Zeit in irgendeiner Weise als defizitär. Kein Wunder, dass diese Figur zumindest in der Werbung, deren Geschichten nicht an Faktizitäten gekoppelt sind, so beliebt ist.

Der Weise Hier handelt es sich nicht, wie man meinen könnte, um einen Trainer, son­ dern um einen „älteren Spieler“ (dessen Alter vor einigen Jahren noch als Bundesligadurchschnitt gewesen wäre), der anstatt egoman an die eigene Leistungsfähigkeit zu glauben, öfters seinen jungen Stellvertreter an die Front lässt, ohne dabei zu zicken oder zu intrigieren. So hat er längere Ruhepausen, da­ mit ein vermindertes Verletzungsrisiko und wirkt in der Presse souverän. Diese quittiert das dann auch mit Hinweisen auf seine Erfahrung und seine herausra­ genden Leistungen.

Der Traditionalist Hier handelt es sich um jemanden, der sich zutraut, den verhassten Wandel der Fußballgesellschaft aufzuhalten. Wenn nur alle so wären wie er! Interessanterweise bezieht er sein Ideal weniger aus den Zeiten, die andere als die goldenen des Fußballs ansehen, die des proletarischen ehrlichen Arbeiterspiels, sondern viel­ mehr aus der Zeit davor. Er ist die Quintessenz des Gentleman-Spielers: stets saubere Pässe, angemessene Sprache, höflich und bescheiden. Das fällt auch viel leichter, wenn man nicht aus bildungsfernen Schichten kommt…

Ragnarök in adidas (siehe Tafel 39 Abbildung 103) Vor einem Brandhimmel und anscheinend leerem Stadion sieht man vier Flaggen zückende Helden. Sie werden verfolgt von acht gesichtslosen wei­ ßen Schemen; diese fallen jedoch zurück. Wir scheinen die Szene zu ei­ nem Wendepunkt zu betreten; obwohl in allen vier Heldengesichtern noch Anspannung wahrnehmbar ist, wirken sie dank des allen Gesetzen der Schwerkraft trotzendem Sprungs des mittleren Heldens (Michael Bal­ lack) so, als hätten sie die Lage sicher im Griff. Alle glänzen rot-golden, die Muskeln sind exemplarisch herausmodelliert. In Ballacks Gesicht liegt eine fast dämonische Entschlossenheit; er wird alles geben, um „Ruhm und Ehre“ (so der Text links) zu sichern. Fast schon trifft sein Bein den auf uns zufliegenden Ball; in seiner linken Hand eine Standarte mit den Farben der deutschen Flagge; ihr überlanger Schweif rahmt Ballacks Gesicht ein. In der rechten trägt er einen Schild mit dem Bundesadler und der Aufschrift „Deutscher Fussball-Bund“. Vom weiß unterlegten Text, der von links in das Bild hineinragt ist das erstgelesene Wort „Teamgeist“. Unsere Jungs ha­ bens mal wieder geschafft, und das dank der heroischen Form jedes einzel­ nen sowie deren Nibelungentreue.

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Der Glamourboy Dieser Typus wird eher in Frauenzeitschriften und auf den Homepages der Spieler selbst vorgestellt. Kommt er in einem Bericht eines Männersportmagazins vor, dann nur als Abbild, Worte fallen über ihn nicht. Vielleicht, weil die Betonung der Sinnlichkeit damit nicht so augenfällig stattfindet und somit kei­ ne Bedrohung für die Heteronormativität darstellt. Er wird häufig mit nacktem Oberkörper dargestellt, natürlich nur, weil der Zustand der Muskulatur Aussage über die Gesamtfitness bietet. Ansonsten zeigt er sich gerne im BOSS-Anzug, oder dem, was er für Mode hält. Es gibt ihn in der Ausprägung Saubermann für Beschützerinstinkt und Familienfreundlichkeit und exotischer Schwerenöter. Eine besondere Untergruppe bildet der Metrosexuelle. Diese Kategorie darf je­ doch nur einer besetzen, David Beckham, und selbst dem haben scheinbar die Nagellackdünste die motorischen Zentren im Gehirn zerfressen, fällt sein spiele­ rischer Abstieg doch genau mit der zunehmenden Oberflächenoptimierung zu­ sammen (dass sie außerdem mit seiner Versetzung in ein Land, in dem Fußball als Weicheisport gilt, und wo er daher nicht über kongeniale Mitspieler verfügen kann, zusammenfällt, hat mit seinem Mißerfolg natürlich nichts zu tun).

Der Manager Kapitalist, gnadenlos, Schlitzohr, gerissen, arrogant, Patriarch, kritikunfähig, Machtmensch, Visionär, selbstherrlich sind Begriffe, die fallen, um ihn zu be­ schreiben. Seriös im Anzug und mit Krawatte erkämpft dieser für seinen Verband das notwendige Geld. Funktioniert die Einkaufspolitik des Clubs, wird er heftig verteidigt, ansonsten als geldgeiler Schmarotzer diffamiert. Aber so richtig leiden kann ihn niemand, dafür tickt er nach Selbstbild von treuen Fans wie Spielern einfach zu anders als diese.

Der Trainer Beliebtestes Beispiel ist hier wohl Giovanni Trapattoni. Voller Herzblut bei sei­ ner Mannschaft werden ihm auch Verbalausrutscher wie mangelhafte Gramma­ tik gerne verziehen. Große Gesten gehören dazu, Impulsivität ist Pflicht. Es ist immer von Vorteil, wenn er während seiner Spielerkarriere in den Ruch des My­ thischen kam, also etwa ein Heißsporn, Ballzauberer oder Krieger war, oder we­ nigstens mit diesen lange Jahre zusammengespielt hat. Auch hier gilt, wie beim Funk­tionär, dass seine Akzeptanz sehr schnell gefährdet ist, wenn er etwa das Pech hat, dass eine Saison schlecht gespielt wird, weil viele der Spieler sich verlet­ zen – als Vaterfigur müsste er das zu verhindern wissen! Aber immerhin, vorher war er vielgeliebt.

Der Fan (treu) Dies ist ein zentraler Fußballmythos. Beim treuen Fan handelt es sich um ein Geschöpf, dass vor allem aus der Vergangenheit bekannt ist, zu denen sich auch heute noch viele zählen, bei gleichzeitigem Ausschluss fast aller anderen. Frauen etwa können per se nicht dieser Kategorie zugerechnet werden, da diese sich ja ausschließlich aus den falschen Gründen für einen Verein oder seine Spieler inte­ ressieren. Der treue Fan honoriert zwar Leistungen von Spielern (und tatsächlich ist das einzige, was er fordert, auch der absoluten Einsatz dieser), seine eigentliche Loyalität und sein Interesse hingegen gelten dem abstrakten Gebilde des Vereins. Spielstärke und bis zu einem gewissen Maße sogar die Fanpolitik des Vereins spie­ len für seine Liebe keine Rolle; er selbst bezeichnet diese Bindung als Schicksal,

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dem viel Zeit, Geld und soziale Angepasstheit geopfert werden müssen, gemäß des Buchtitels von Christoph Biermann „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen“.

Der Fan (Opportunist) Nach den goldenen Zeiten des deutschen Fußballs kam die Kommerzialisierung (die natürlich nichts mit dem unkritischen Kaufen von immer neuen Flaggen, Schals, Trikots und sonstigen Paraphernalia durch den treuen Fan zu tun hatte), und mit der Kommerzialisierung kamen neue Fans (unter anderem Frauen!!!). Und diese, so heißt es, machten doch tatsächlich ihre Vorlieben für Vereine von sportlichen Erfolgen, und damit indirekt, von SpielerInnen abhängig. Wie op­ portunistisch. Klar, dass man mit denen nichts zu tun haben will.

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III.2 Rollenangebote für Frauen Die Mannschaftsspielerin Eigentlich, das wissen wir doch alle, sind Frauen viel kooperationsgeeigneter und teamfähiger. Kein Wunder also, dass ihnen auch der Mannschaftssport Fußball ge­ fällt. Dieser Spielerin geht es, so die Vorstellung, keinesfalls ums Gewinnen, auch nicht um die Leibesertüchtigung, nein, hier zählt das Gemeinschaftserlebnis. Und damit wäre dann ja auch wieder bewiesen, dass Männer- und Frauenfußball ganz und gar unterschiedlich sind. Denn Männer denken halt, all die wunderba­ ren Männerfreundschaftsmomente mal beiseite, vor allem daran, das Runde ins Eckige zu kriegen.

Das Küken Hierunter fallen die blutjungen Spielerinnen, denen man alles nachsieht, weil sie ja noch so jung und unverdorben sind. Hierin liegt eine große Chance für die Spielerin, die das geschickt zu nutzen weiß, kann sie doch immer mit großem Augenaufschlag beteuern, so habe sie doch das alles gar nicht gemeint, und bösar­ tig sei ihr Foul sowieso nie gewesen, und sie hätte doch nicht wissen können, dass die Gegnerin da so blöd in die Stollen reinfalle… Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie niemand ernst nimmt. Allerdings tut das sowieso niemand, da kann man ja wenigstens die Vorteile mitnehmen.

Das Lausemädchen Über diese Frau sagte Oma immer kopfschüttelnd „An Dir ist ein Junge verloren gegangen.“ Diese Fremdzuschreibung wird später mehr oder weniger intensiv in­ ternalisiert, so dass im Extremfall sogar der eigene Vorname maskulinisiert wird. Potentiell kann fast jede Sportlerin so kategorisiert werden, denn Konkurrenz und Lust am Sieg und am Überwinden körperlicher Grenzen sind eben den Frauen nicht zugedacht in unserer Gesellschaft.

Mannweib Hauptsache, das Lausemädchen verwandelt sich nicht in dieses Schreckgespenst des Frauenfußballs: ohne jegliche Vorzüge, weil sie die männlichen sowieso nicht erreichen kann und die weiblichen dafür aufgegeben hat. Traditionell wird dieses Stereotyp mit weiblicher Homosexualität verbunden: sicherlich will eine Frau, die eine andere Frau begehrt, entweder ein Mann sein oder eigentlich einen Mann. Als Instrument eignet sich dieses Rollenmodell zumindest hervorragend: sobald eine Spielerin zu bestimmt auftritt, zuviel Gehalt fordert, zu konfrontativ spielt, kann man ihr androhen, sie als Mannweib abzustempeln; in vielen Fällen wird sie sich dann noch einmal überlegen, ob sie weiterhin so impertinent sein will.

Das Mädchen von nebenan Natürlich, sauber, immer freundlich und insgesamt unauffällig ist sie ver­ wandt mit sowohl der Mannschaftssportlerin als auch dem Veilchen im Moose. Mit letzterem hat sie die Bescheidenheit gemeinsam, es fehlt ihr aber die he­ rausragende Spielstärke. Mit ersterer teilt sie die Leidenschaft am Sport und den mangelnden Ehrgeiz, ihr geht es aber nicht so sehr um ein Gemeinschaftswie um ein Selbstverwirklichungsideal. Dass dies unter dem Deckmantel der Durchschnittlichkeit am einfachsten geht, ist wohl eine der bittersten Ironien im Frauenfußball.

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Das Veilchen im Moose Hier haben wir nun fast ein Äquivalent zum Krieger: sportliches Ausnahmetalent, Erzielen der höchsten Anerkennung, aber eigentlich wäre es ihr lieber, anonym zu bleiben; eben nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein. Sie ver­ steht sich mit allen Mitspielerinnen gut, denn sie denkt auch im Spiel stets an die­ se (hier ähnelt sie der Mannschaftsspielerin), aber sie will auch das Spiel selbst so adäquat behandeln wie möglich. Woher die Bescheidenheit kommt? Vielleicht vom Veilchenkomplex, nicht so große, rote Blütenblätter wie die Rose zu haben.

Die Glamourqueen Hier haben wir es dann mit dem Rosenmodell zu tun, wenngleich sich des­ sen Bewunderung nicht unbedingt auf die spielerischen Leistungen beziehen muss (auch wenn diese häufig überaus hoch sind). Hier geht es um die perfek­ te Form und um den Beweis, dass man auch mit Stöckel- statt Stollenschuh spie­ len kann. Die Fotos, die sie über sich selbst am liebsten sieht, sind die mit männ­ lichen Berühmtheiten und heißen Karren. Eine zwiespältig bewertete Rolle, denn einerseits sollte die Konformität mit gängigen ästhetischen Ansprüchen natürlich positiv gewertet werden, andererseits macht die Kombination von mächtig und schön ziemlich Angst. Der einzige Ausweg ist hier also, die eigene Stärke herun­ terzuspielen – oder auszuhalten, dass andere sich bedroht fühlen.

Die weibliche Kampfmaschine Das umgekehrte Monster von Loch Ness: vielfach wurde die Existenz dieser Spezies bezeugt, aber in den Medien wird sie totgeschwiegen oder ins Mannweib umgedeutet. Dabei handelt es sich hier einfach um eine gute Söldnerin, analog zur männlichen Kampfmaschine: motiviert, bereit, alles zu geben für den Sieg und ein bisschen ohne Charisma. Eigentlich nichts zum Aufregen, hinge nicht der komplette Diskurs um Frauen- und Männerfußball an der Annahme, dass der Frauensport eben kein Kampf sei. Falls es sich hier doch um eine Sportart han­ deln sollte, würde es wirklich eng für die Männer auf dem Identifikationsfeld.

Die Avantgardistin Die Jokerkarte. Hier darf kombiniert werden: burschikose Gestik mit Mode­be­ geisterung, Erdverbundenheit mit Abenteuerlust, anything goes. Warum? Die Freiheit nehm ich mir. Sicher, auch das hat seinen Preis (das fehlende Verständnis großer Teile der Bevölkerung), aber umsonst ist nur der Tod.

Stadionmutti Abgesehen vom opportunistischen Fan die Rolle für weibliche Fußballbegeisterte. Jeder braucht eine Mama, und wenn man mit guter Stimmung und stets heißem Tee, kaltem Bier und Taschentüchern auf den Rängen aufwarten kann, fragt be­ stimmt niemand mehr, was man denn nun im Stadion eigentlich macht. Die Rolle ist allerdings ziemlich aufwändig…

Die Spielerfrau Vorsicht, diese Rolle ist nicht ganz einfach zu spielen. Schließlich will man ja we­ der in die Kategorie abzockerische Schlampe (siehe Claudia Effenberg) noch in die der frigiden Domina (Victoria Beckham) gesteckt werden. Also bitte immer gepflegt und sinnlich, aber nicht zu sexy auftreten, am besten möglichst wenig

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Eigensinn, aber doch eine selbstständige Karriere oder zumindest abgeschlossene Bildungskarriere aufweisen und spätestens innerhalb des ersten Bundesligajahres des Gattens ein Kind produzieren.

Franzls gute Tochter Auch wenn wir meinen, hier eine Stimme des weiblichen Frauenfußballs vor uns zu haben: eigentlich handelt es sich um ein reines Sprachrohr der Fuß­ball­ or­ganisationen. Allenfalls darf sie ein wenig Sprachkosmetik auspacken, wenn die Sprache gar zu chauvinistisch geraten, und mit ihrer Geschichte als ehema­ lige Nationalspielerin dem ganzen einen Hauch von Glaubwürdigkeit verleihen. Schade, denn sie hätte sicherlich durchaus originelles zu sagen – aber täte sie dies, hätte sie ihren Posten nicht mehr lange inne. Und so laviert sie ständig hinter ih­ ren Hoffnungen und Ansprüchen und denen des allmächtigen Vaters FIFA/DFB hin und her. Es gibt halt kein richtiges Leben im falschen, um uns Unterstützung bei Adorno zu holen. Beim durch die Überspitzung bewusst gewordenen Betrachten der Identifikationsmodelle dürfte klargeworden sein, dass unsere Gesellschaft zumin­ dest was Geschlechterrollen betrifft, aber tatsächlich eine Gesellschaft des falschen Lebens ist; in jedem Film oder Theaterstück würden wir derart flache Charaktere mit wenig Empathie belohnen, und vermutlich, wenn nicht die Aufführungsstätte verlassen, so doch mindestens bereits am mentalen Verriß arbeiten.

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IV Revanche Wie aber könnte ein richtiges Leben im richtigen aussehen? Mit einem flammenden Plädoyer für mehr Freiheit, für mehr Glau­ben an die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Welt, für die Wahrnehmung der Ver­ant­ wortung der DesignerInnen für die Schaffung alternativer Zukünfte habe ich be­ gonnen. Und ich bin immer noch überzeugt davon, dass wir als Gesellschaft Besseres verdient haben, Männer wie Frauen und all die Geschlechter, die bei uns nicht einmal als Kategorie vorkommen. Und dass es eigentlich gar nicht so schwer sein kann, etwas Besseres zu schaffen. ‘Would you tell me, please, which way I ought to go from here?’ ‘That depends a good deal on where you want to get to,’ said the Cat. ‘I don‘t much care where–’ said Alice. ‘Then it doesn‘t matter which way you go,’ said the Cat. ‘–so long as I get somewhere,’ Alice added as an explanation.’

Aber dieser Gedanke ist, genau wie Alices Wunsch, irgendwo anzukom­ men, zwar verständlich, aber auch trügerisch. Irgendwo, das ist vermutlich genau das, was sich viele der hier Zitierten als Ziel vorgestellt haben, ohne sich klarzu­ machen, dass das heißen kann, dass wir genau hier rauskommen: im Schlamassel, im Falle des Blickes auf den Fußball konkret: in einer unüberbietbar einschrän­ kenden Inszenierung von Geschlechterrollen. Das ernsthafte (Er-)Träumen von richtigen Leben kostet Kraft. Und diese Kraft sollten wir dafür einplanen. Alle Mitglieder einer Gesellschaft, aber DesignerInnen besonders. Weil es einen Unterschied macht, ob man kopflos los­ rennt (und einfach mal irgendwelche Bilder und Texte irgendwie auf die Seite klatscht oder flugs organische Formen als Repräsentationen des Weiblichen de­ finiert) oder ob man sich überlegt, wie das dort aussehen kann, zu dem es gehen soll. Und weil es in unserer Verantwortung liegt, dieses dort bei jedem Schritt im Blick zu haben. Das bedeutet eine nachdenkliche Sensibilität beim Auswählen von Bildern, beim Herstellen von visuellen Zusammenhängen und mindestens ei­ nen grafischen Kommentar auf unsägliche Texte, wenn nicht gar das Einfordern spannenderer textlicher Vorlagen. „Die Wahrheit ist von dieser Welt, in dieser wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre „allgemeine Politik“ der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und fal­ schen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.“ (Foucault 1978: 58)

Dieses Zitat beschreibt, warum ich diese Arbeit unbedingt schrei­ ben wollte: nicht, weil ich glaube, dass bezüglich Fußball, Männer, Frauen oder über die Mediendarstellung von Geschlechterrollen eine Wahrheit existiert, die es zu entdecken gilt. Sondern weil mich interessiert, was wir unter welchen his­ torischen und sozialen Bedingungen als wahr akzeptieren, und wie uns diese Wahrheit nutzt (oder schadet). Ist es nicht faszinierend, dass „subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird? […] dass menschliches Handeln (Weber) eine

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Welt von Sachen hervorbringt?“ (Berger/Luckmann 1980:  20, zitiert nach Keller 2005: 8.) Welche Sachen bringt unser Sinn hervor? Diese Arbeit stellt als An­nä­ he­rung an eine Antwort einige von uns konstituierte Gegenstände (etwa Rollen von SportlerInnen, Vorstellungen von Fußball als Integrationsmotor und sozia­ les Ventil, unser Selbstbild als Nation) vor; sie ließe sich ohne weiteres um ein Vielfaches erweitern: Ausdehnung der Fußballbegeisterung nach Geschlecht und Kontinent, genauere Betrachtung anderer Diskursstränge wie anderer Medien, das Untersuchen materieller Kultur rund um den Fußball, denkbare Männerrollen und Männerbilder in an Frauen gerichtete Sportmagazine, die Frage nach der normativen Emotionslosigkeit im Spiel selbst, visueller Geschmack bei verschie­ denen gesellschaftlichen Schichten sind nur einige der Richtungen, denen nach­ zugehen sich lohnen würde. Foucaults Beschreibungen der subtilen Machtmechanismen, die je­ den Aspekt unserer Gesellschaft, selbst und gerade derjenigen, die wir als die pri­ vatesten empfinden, strukturieren, können lähmend, dystopisch wirken. Jenseits dieser Schwere und des Gefühls der Prädeterminiertheit öffnen sich aber weite Horizonte: nichts muss so sein, wie es ist! Das heißt weder, dass es einfach wäre, unsere „Wahrheiten“ zu ändern, noch, dass sie beliebig änderbar wären98 und nicht einmal unbedingt, dass es in je­ dem Fall erstrebenswert sein kann. Die scherenschnittartigen Rollenvorstellungen, die in vielen Bereichen unserer Gesellschaft vorherrschen, lassen aber in der Tat an Raum für Variationen zu wünschen übrig. Menschen sind vielfältiger und zu interessanteren Handlungen fähig als zu denen, die ihnen diese Modelle erlauben. Hier bietet sich gerade uns als GestalterInnen ein weites Feld; es gibt viel zu tun, Anpfiff bitte!

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Hier gilt als einschränkender Faktor besonders zu berücksichtigen, dass Menschen in einer doppelt konstituierten Wirklichkeit leben. Hiermit meine ich die Ebene der Handlungen, Deutungen, Diskurse, Mythen und Ideologien einerseits, und die Materialisierungen dieser als soziale, politische und ökonomische Strukturen andererseits. Während sich die erste Ebene zumindest theoretisch autark de- und rekonstruieren lässt, ist dies mit der zweiten, materialisierten Ebene wenngleich nicht unmöglich, so doch wesentlich zeitund kraftaufwändiger. Siehe auch Sarasin 2003: 20.

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Versicherung Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig angefertigt habe und kei­ ne anderen als die angegebenen und bei Zitaten kenntlich gemachten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Köln, 15.03.2010

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