Die Berliner Gerichtslaube

Die Berliner Gerichtslaube u n d i h r e Mittelsäule Geschichte, Schicksal und Nachleben des wertvollsten Berliner Baudenkmals Materialcollage von Dr...
Author: Eike Brandt
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Die Berliner Gerichtslaube u n d i h r e Mittelsäule Geschichte, Schicksal und Nachleben des wertvollsten Berliner Baudenkmals

Materialcollage von Dr. Benedikt Goebel Stand: 10. Mai 2011

Gerichtslaube Nr. 1 Baujahr: um 1300 Umfang: 10 x 10 Meter, 2,5 Stockwerke, das Erdgeschoss diente als Schöffenstuhl, das Obergeschoss als Ratsstuhl, Mittelsäule aus Granit mit figürlichem Kapitell aus weißem Hartstuck Material: Granit und Backstein, 1692–1695 barockisiert und verputzt Ort: Georgen/Oderberger Straße Ecke Spandauer Straße Erhaltungszustand: nach Abbruch vom 6. bis 20. März 1871 nach Babelsberg transloziert

Tim Tillmann und Philipp Jaedicke: 3D-Visualisierung des Alten Rathauses vor 1840 (u.a. nach einer Lithographie von Ludwig Ehrhard Lütke von 1819 und einem Gemälde von Carl Graeb von 1867)

Daguerrotypie des Alten Rathauses, rechts angeschnitten die Gerichtslaube, vor September 1840 (um 1900 photographisch reproduziert; LAB, F Rep. 290, Nr. 61/1802)

Leopold Ahrendts: Altes Rathaus und Gerichtslaube (Nordseite zur Königstraße), um 1860 (Quelle N.N.)

Leopold Ahrendts: Gerichtslaube in der Spandauer Straße, um 1860 (LAB, F Rep. 290, Nr. 61/3262)

Carl Graeb: Erdgeschoss der Gerichtslaube (Säule durch Erhöhung des Fußbodens verkürzt). Der Maler Carl Graeb hatte vom Magistrat den Auftrag erhalten, von der Laube zwei Außen- und zwei Innenansichten zu malen (BLANKENSTEIN 1991, S. 73). Im Juli 1868 wollte die Stadtverordnetenversammlung Graebs Honorar nur unter der Bedingung bewilligen, daß zuvor die Laube abgerissen worden wäre (Ebd., S. 74), 1867

(Vorlage Bartmann-Kompa 1991, S. 17)

Carl Graeb: Obergeschoss der Gerichtslaube. Blick nach Osten, 1867 (Vorlage Bartmann-Kompa 1991, S. 18)

Carl Graeb: Obergeschoss der Gerichtslaube. Biick nach Westen, 1867 (Vorlage Bartmann-Kompa 1991, S. 19)

Julius Kohte: Grundrisse Altes und Neues Rathaus (Abb. 1), 1937

Bauaufnahme des Alten Rathauses durch Richard Borrmann im Auftrag von Friedrich Adler: Grundriss und Kapitell der Mittelsäule der Gerichtslaube (SSB, Grafiksammlung)

Bauaufnahme des Alten Rathauses durch Richard Borrmann im Auftrag von Friedrich Adler. Abwicklung des figürlichen Kapitells der Mittelsäule der Gerichtslaube (SSB, Grafiksammlung)

Gesüdeter Lageplan Rathaus und Gerichtslaube (der Grundrissplan wurde von Polizeihauptmann Greiff am 8. November 1869 im Zusammenhang mit der Nummerierung des Rathauses gezeichnet, in: LAB, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 18042), 1865-1871

Paul Graeb: Kupferstich Rathaus und Gerichtslaube, um 1870

S. P. Christmann: Stereophoto des Roten Rathauses und der Gerichtslaube (Ausschnitt), um 1870 (Berlin-Mitte-Archiv)

Gerichtslaube Nr. 2 Baujahr: 1865-1871 Umfang: Nur der Innenraum des Erdgeschosses wurde als achteckiger Raum mit ca. 10 Metern Durchmesser nachempfunden; Mittelsäule mit Kopie des Rundreliefs aus Sandstein Material: Vermutlich Sandstein Ort: Untergeschoss des Rathausturms, Königstraße 15-18 Erhaltungszustand: Überformungen durch Richard Ermisch in den 1930er Jahren und Heinz Mehlan in den 1980er Jahren

Ein Längsschnitt (L. A. Meyer) des Treppenhauses im neuen Rathaus zeigt "jenen berühmten [..] Raum, ein Achteck, dessen mittlerer, massiger runder Pfeiler, von einer treuen Copie des archäologisch so interessanten Reliefs um den der Gerichtslaube als Capitäl gekrönt, die Wucht der ganzen Thurmhalle auf seinen kräftigen Schultern trägt.“ (Bericht der Vossischen Zeitung 1870). Bartmann-Kompa berichtet, dass die Stadtverordnetenversammlung aufgrund dieser Kopie glaubte, auf das Original verzichten zu können. Über der Kopie der Säule der mittelalterlichen Gerichtslaube (rote Markierung) erhebt sich der neue Rathausturm als weithin sichtbares Symbol der städtischen Macht!

Die Front zur Königstraße hin wurde zur Linken vom Weinhaus Blohm und Röper betrieben, auf der rechten Seite leitete Herr Frieske einen Bierausschank, dazwischen lag ein achteckiger Wein- und Bier-Raum (Abbildung aus der Festschrift zur Eröffnung des Ratskellers 1870; Hinweis auf einen zeitgenössischen Bericht in der Vossischen Zeitung von Gernot Schaulinski; die Abbildung verdanke ich Eberhard Schreiber)

Kopie der Gerichtslaubensäule mit figürlichem Kapitell, 29. März 2011

Kopie des figürlichen Kapitells von 1871 (Information von Gernot Schaulinski: das Kapitell der Mittelsäule der Gerichtslaube wurde von der Firma Gebrüder Dankberg abgeformt und im Ratskeller wieder eingesetzt), 29. März 2011

Gerichtslaube Nr. 3 Baujahr: 1871/72 Umfang: 10 x 10 Meter, zwei Stockwerke, Mittelsäule aus Backstein mit weißem Rundrelief? Neogotische Dachbekrönung Material: Backstein (ganz überwiegend neu gebrannt) Ort: Babelsberger Schlosspark, Lennéhöhe Erhaltungszustand: vielfach restauriert (zuletzt 1991/92)

Max Baur: Gerichtslaube im Park Babelsberg, zwischen 1928 und 1944 (BArch, Bild 170-016)

Zugewachsene Gerichtslaube in Potsdam-Babelsberg, o.D. (aus: Die 171 Wandsprüche des Berliner Rathauses)

Gerichtslaube im Babelsberger Schloßpark, Oktober 2000

Gerichtslaube Nr. 4 Baujahr: 1896 Umfang: nur Fassade, 2,5 Stockwerke, Mittelsäule? Material: Holz und Gips Ort: Treptower Park, Gewerbeausstellung Erhaltungszustand: 1896 abgebrochen

Ottomar Anschütz: Altes Rathaus auf der Gewerbeausstellung im Treptower Park, 1896 (SSB, SM 2010-0191,2)

Gerichtslaube Nr. 5 Baujahr: 1901-1908 Umfang: ca. 10 x 10 Meter, nur Innenraum des Erdgeschosses, Kopie der Mittelsäule mit moderner Interpretation des Kapitells (Dachs beißt Prähistoriker) von Ignatius Taschner Material: Säule aus Granit Ort: Märkisches Museum Erhaltungszustand: in situ Der Saal Nr. 5 erinnert baulich an die Gerichtslaube, diente in der Ersteinrichtung des Museums durch Egon Friedell aber der Präsentation von Funden aus der Älteren Bronzezeit (2000 bis 1200 v. Chr.) in der Mark Brandenburg, nicht der mittelalterlichen Rechtssprechung.

Ernst von Brauchitsch: Saal 5 des Märkischen Museum, um 1908 (SSB, Nr. GE 2007-573 VF)

Situation am 6. April 2011

Detail des Taschner-Kapitells. Aus einem Museumsführer aus dem Jahr 1920: "Dachshunde suchen eine Dachsfamilie, ein junger Dachs beißt den seinen Hunden folgenden Prähistoriker an." (Hinweis und Zitat von Garbiela Braden), 6. April 2011

Im Wappensaal des Märkischen Museums ließen Friedell und Hoffmann ebenfalls figürliche Kapitelle nach dem Vorbild der Gerichtslaubensäule nachempfinden (den Hinweis verdanke ich Peter Knüvener)

Gerichtslaube Nr. 6 Baujahr: 1985-1987 Umfang: 10 x 10 Meter, 2,5 Stockwerke, im Erdgeschoss Kreuzrippengewölbe verputzt und ausgemalt, Mittelsäule in Backstein mit moderner Nachschöpfung des Rundreliefs; im Obergeschoss Kreuzrippengwölbe, verputzt und mit Renaissancemittelsäule (Architekt/Denkmalpfleger Mieja) Material: innen Säule und Gewölberippen backsteinsichtig, außen verputzt Ort: Poststraße 28 Erhaltungszustand: glänzend

Version Nr. 7 ist höher als breit und tief, ansonsten aber ein ambitionierter Nachbau, dessen Wiederholung sich – wie im Fall des Nikolaiviertels insgesamt – gleich wohl nicht empfiehlt. (http://www.gerichtslaube.de)

Schöffenstube im Erdgeschoss (http://www.gerichtslaube.de)

Backsteinsäule mit modernem Relief (rechts Detail), 7. April 2011

Ratsherrenstube im Obergeschoss

Literaturverzeichnis Ingrid Bartmann-Kompa: Der Kostenanschlag für die Richtefeier zum 2. Bauabschnitt des Berliner Rathauses, in: Berliner Geschichte. Dokumente, Beiträge, Informationen 8 (1987), S. 67-69. Richard Borrmann: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, Berlin 1893 (ND Berlin 1982). Julius Kohte: Das mittelalterliche Rathaus der Stadt Berlin (Sonderabdruck der Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 49), Berlin 1937. Heinrich Wilhelm Krausnick: Das Berliner Rathaus. Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue Rathaus am 11ten Juni 1861, Berlin 1861. Paul Friedrich Carl Wille: Unbekannte Darstellungen aus dem alten Berliner Rathaus kurz vor dessen Abbruch, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins N. F. 5 (1966), S. 61-66. „Der neue Berliner Ratskeller“ (Autor „S.G.“), in: Haude- und Spenersche Zeitung vom 7. Oktober 1869, zitiert nach LAB, A Rep. 001-05, Nr. 861, Bl. 173. „Ausstellung der Pläne zur Restaurierung der Gerichtslaube im Akademie-Gebäude“, in: Erste Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 96 vom 26. April 1870, zitiert nach GStA PK, I. HA, Rep. 89, Nr. 14503, Bl. 67. „Die Berliner Gerichtslaube“, in: Deutsche Bauzeitung Nr. 21 vom 26. „Die Restaurationspläne für die Berliner Gerichtslaube“, in: Vierte Beilage zur Königl. privilegierten Berlinischen Zeitung Nr. 95 vom 24. April 1870, S. 1-3 (Autor „B.M.“), Mai 1870, S. 169-171 (Autor „F.“), „Ausstellung der Pläne zur Restaurierung der Gerichtslaube im Akademie-Gebäude“, in: Erste Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 96 vom 26. April 1870, Die Berliner Gerichtslaube, in: Deutsche Bauzeitung 4 (1870), S. 169-171. Felix Blankenstein: Die mittelalterliche Berliner Gerichtslaube. Hintergründe für ihre Preisgabe durch die Stadt Berlin, in: Der Bär von Berlin (1991), S. 69-88. Die sogenannte Gerichtslaube des alten Berliner Rathauses, in: Zeitschrift für praktische Baukunst 25 (1865), Sp. 280-282. Die Concurrenzpläne zum Berliner Rathausbau, in: Zeitschrift für praktische Baukunst (1858), Sp. 149-164. DAS NEUE RATHAUS IN BERLIN 1875 Das neue Rathaus in Berlin, in: Zeitschrift für Bauwesen 25 (1875), Atlas Taf. 37, Taf. 39/40 und Taf. 63. DAS NEUE RATHAUS IN BERLIN 1873 Das neue Rathaus in Berlin, in: Zeitschrift für Bauwesen 23 (1873), Atlas Taf. 1/2. DAS NEUE RATHAUS IN BERLIN 1872 Das neue Rathaus in Berlin, in: Zeitschrift für Bauwesen 22 (1872), Atlas Taf. 24-26, Taf. 42/43 und Taf. 58-60. Die sogenannte Gerichtslaube des alten Berliner Rathauses, in: Zeitschrift für praktische Baukunst 25 (1865), Sp. 280-282. Über Rathaus-Bauten älterer und neuerer Zeit, in: Zeitschrift für praktische Baukunst 25 (1865), Sp. 219-226.