Die Bedeutung der Beziehungsgestaltung in der sozialen Arbeit mit Menschen mit. sogenannter geistiger Behinderung

Die Bedeutung der Beziehungsgestaltung in der sozialen Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung Wie lässt sich die professionelle Bez...
Author: Carin Kaufer
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Die Bedeutung der Beziehungsgestaltung in der sozialen Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung Wie lässt sich die professionelle Beziehung in der sozialen Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung bewusst gestalten?

Bachelorarbeit Vorgelegt von Jeannette Völker

Studiengang Soziale Arbeit urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2016 – 0440-6 Hochschule Neubrandenburg Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

1. Betreuer: Prof. Dr. Anke Kampmeier 2. Betreuer: Prof. Dr. Werner Freigang

Abstrakt Zwischenmenschliche Beziehungen, ihre Bedeutung und ausgewählte Aspekte, mit denen sie bewusst gestaltet werden können, sind die Kernpunkte dieser Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem komplexen Begriff der geistigen Behinderung erweitert zielführend den Blick auf eine ethische Grundhaltung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Beziehungen im professionellen Kontext durch systemtheoretische Grundsätze und Haltungen des Sozialarbeiters, durch Beachtung der Phänomene zwischenmenschlicher Kommunikation und Sensibilisierung in Bezug auf psychotherapeutische Grundsätze, bewusst positiv und entwicklungsfördernd gestaltet werden können.

Inhaltsverzeichnis Einleitung................................................................................................................... 1

1

Aspekte zum Begriff der Beziehung ................................................................. 4

1.1 Die professionelle Arbeitsbeziehung .................................................................... 4 1.2 Pädagogischer Ansatz in der professionellen Arbeitsbeziehung .......................... 5

2

Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ........................................ 7

2.1 Der Begriff der geistigen Behinderung ................................................................. 7 2.2 Geistige Behinderung und die Klassifikationen .................................................... 9 2.3 Kritische Anmerkung zu den Klassifizierungen................................................... 14

3

Aspekte der Gestaltung von Beziehung ......................................................... 16

3.1 Beziehungsgestaltung nach Carl Rogers ........................................................... 16 3.2 Kommunikation als Gestaltungsmittel für Beziehungen ..................................... 21 3.2.1

Axiome der Kommunikation ......................................................................... 22

3.2.2

Störmomente der Kommunikation ............................................................... 27

3.2.3

Nonverbale Kommunikation ......................................................................... 31

3.3 Grundprinzipien und Haltungen in der Systemtheorie ........................................ 33

4 Bedeutung der Beziehungsgestaltung für die Soziale Arbeit mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung an einem Fallbeispiel ........ 37 4.1 Falldarstellung aus systemtheoretischer Perspektive ......................................... 37 4.2 Empathie, Kongruenz und Akzeptanz in der Praxis ........................................... 39 4.3 Kommunikationsaspekte in der Praxis ............................................................... 40

5

Zusammenfassung und Ausblick ................................................................... 42

6

Quellenverzeichnis ........................................................................................... 44

Einleitung Soziale Arbeit ist nach der Definition des IFSW1 global, eine praxisorientierte und gleichzeitig wissenschaftliche Disziplin. Sie ist sowohl zielorientiert, als auch ergebnisorientiert und beinhaltet ethische Grundhaltungen und Prinzipien. Soziale Arbeit fördert soziale Entwicklung, sozialen Wandel und den sozialen Zusammenhalt der Menschen, möchte sie stärken und befreien. Sie berücksichtigt in ihrer Profession die Gleichheit und Würde aller Menschen, unter der Beachtung der Menschenrechte und der Achtung vor der Vielfalt, und richtet sich an die komplexen Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt (URL1: Deutscher Berufsverband für Sozial- und Heilberufe 2016). Die Betrachtung der zwischenmenschlichen Beziehung in der Sozialen Arbeit kann dabei kaum überschätzt werden, denn sie bildet nach Lüssi2 die Grundlage für die soziale Arbeit. Soziale Arbeit ist demnach in ihrem Kern auch Beziehungsarbeit, denn ohne eine tragfähige Beziehung ist sie nicht möglich. Was Beziehung im professionellen Kontext ist, welche Bedeutung der Beziehungsaspekt in der Arbeit mit Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung erhält, und wie Sozialarbeiter diese bewusst gestalten können, wird in dieser Arbeit herausgestellt werden. Dazu wird zunächst im ersten Teil die professionelle Beziehung in Abgrenzung einer Beziehung im privatrechtlichen Kontext dargestellt. Um sich mit Beziehung in der sozialen Arbeit auseinanderzusetzen, ist es erforderlich, abzubilden was eine solche ausmacht und welche Merkmale hier zu finden sind. Da der Beziehungsaspekt nicht losgelöst betrachtet werden kann, wird der Blick auf das pädagogische Handeln gerichtet und auch dieser Begriff, unter Berücksichtigung des komplexen Phänomens Beziehung, näher bestimmt.

1

IFSW – International Federation of social workers.

2

Peter Lüssi – Schweizer Sozialarbeiter, Hochschullehrer und Begründer der systemischen Sozialarbeit.

1

Im zweiten Teil dieser Arbeit werden unterschiedliche Definitionen und Klassifikationsformen für den Begriff geistige Behinderung beschrieben. Zum einen um aufzuzeigen, wie komplex der Begriff ist und zum anderen um herauszuarbeiten, aus welchen Betrachtungsweisen heraus sich der Begriff und die unterschiedlichen Klassifikationsformen kritisch betrachten lassen. Anhand der Theorie von Carl Rogers werden bedeutende Aspekte für die Beziehungsgestaltung im Hauptteil dieser Arbeit beschrieben. Es sind Aspekte, die Sozialarbeiter in ihrer Tätigkeit verinnerlichen sollten, wenn sie die Beziehung zum Klienten bewusst positiv und entwicklungsfördernd gestalten möchten. Die Ausführungen von Kongruenz, Empathie, Wertschätzung, positiver Zuwendung und bedingungsfreies Akzeptieren unter der Berücksichtigung der Wahrnehmungswelt des Klienten bilden hierfür Grundlagen. Als weitere Basis für die Gestaltung von Beziehungen wird die Kommunikation nach Paul Watzlawick beschrieben. Es ist unmöglich nicht zu kommunizieren, so der erste Grundsatz in der Theorie von Watzlawick. Neben der aktiven Sprache gibt es weitere Aspekte, die eine Beziehung zum Menschen beeinflussen können. So ist es wichtig für den Sozialarbeiter den Inhalts- und Beziehungsaspekt von Nachrichten, die Interpunktion von Ereignisfolgen, die Inhalte von digitaler und analoger Sprache und die symmetrischen und komplementären Wechselwirkungen in der Kommunikation zu beachten. Störmomente in der Kommunikation lassen sich oftmals nicht vermeiden, sie dann jedoch zu erkennen und zu deuten, sollte ebenfalls Bestandteil der Sozialen Arbeit sein. Die Grundprinzipien und therapeutischen Grundhaltungen der Systemtheorie nach Sigrid Haselmann heben weitere Aspekte für eine positive Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen hervor und werden das dritte Kapitel abschließen. Um die Besonderheiten der Beziehungsgestaltung für die Soziale Arbeit mit Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung praxisnah darzustellen, werden im vierten Kapitel die Theorien des Hauptteils anhand eines Fallbeispiels nochmals verdeutlicht. Im fünften Kapitel werden die Erkenntnisse dieser Arbeit und abschließend die Herausforderungen, eine Beziehung im professionellen Kontext zu ge2

stalten, zusammengefasst sowie gewonnene Handlungsempfehlungen für Sozialarbeiter daraus abgeleitet. Der folgende Text wurde aufgrund der besseren Lesbarkeit im maskulinen Genus verfasst, wobei jedoch – sofern diese nicht ausdrücklich gekennzeichnet wurden – allzeit beide Geschlechter gemeint sind.

3

1 Aspekte zum Begriff der Beziehung Ein Blick auf die professionelle Arbeitsbeziehung zeigt im ersten Teil dieser Arbeit die Bedeutsamkeit der Wahrnehmung unterschiedlicher Beziehungsebenen in der sozialen Arbeit auf. Dazu soll zunächst herausgearbeitet werden, was professionelle Arbeitsbeziehung genau bedeutet, welchen Ansatz diese Beziehungsform verfolgt, wie sie sich unterscheidet von einer Beziehung aus dem privaten Kontext und welche Rolle der pädagogische Ansatz hierbei spielt.

1.1 Die professionelle Arbeitsbeziehung Nach Susan Arnold kennzeichnet sich die professionelle Arbeitsbeziehung im Kontext der Sozialen Arbeit zunächst dadurch, dass sich ein professionell Tätiger (im folgenden Text der Sozialarbeiter) und der Adressat (im folgenden Text der Klient) begegnen. Demnach ist sie also eine Form der zwischenmenschlichen Begegnung und gleichzeitig eine Art der zwischenmenschlichen Beziehung, die zwischen einem Sozialarbeiter und dem Klienten zustande kommt. Nach Susan Arnold besteht bei Beiden eine Vorprägung in einer ganz bestimmten Weise. Sie haben bestimmte Vorstellungen voneinander und ebenso Erwartungen aneinander. Unter anderem unterscheidet sich eine professionelle von einer alltäglichen Beziehung durch eben diese zugeschriebenen Rollen und Erwartungen (vgl. Arnold 2009, S. 27). In unterschiedlichen sozialen Tätigkeitsfeldern finden sich jedoch auch Ähnlichkeiten, wie beispielsweise: x Ungleichgewicht durch die Unterschiede in Bezug auf Machtressourcen und Kompetenzen x Abhängigkeit der Interaktionspartner voneinander x Bestand der Arbeitsbeziehung über einen bestimmten Zeitraum x Relevanz der Beziehung für beide Interaktionspartner x formal festgelegtes Rollenverhältnis (vgl. Schweer 1996, zit. nach Arnold 2009, S. 27 f.). 4

In der sozialen Arbeit spielt der norm- und zielbezogene Ansatz eine besonders große Rolle. Bei der Begegnung von Sozialarbeiter und Klient liegen dabei zunächst recht unterschiedliche Interessenlagen vor. Aus der Sicht des Sozialarbeiters sind die Ziele des Klienten mit Schwerpunkt auf normative Aspekte zu betrachten und durch eine personelle Beeinflussung zu realisieren (vgl. Schweer 1996, zit. nach Arnold 2009, S. 28). Eine solche Beziehung im pädagogischen Umfeld lässt es nicht zu, dass diese, beispielsweise bei Unzufriedenheit, beendet werden kann. Auch eine unfreiwillige Beziehung muss weitergeführt werden (ebd.). Dies zeigt eine differenzierte Darstellung zu einer zwischenmenschlichen Beziehung im rein privatrechtlichen Kontext, bei der die Entscheidung über Weiterbestehen oder aber Beendigung jedem Partner zusteht. Die ziel- und normbezogene Arbeitsweise und auch die unterschiedlichen Interessenlagen von Sozialarbeiter und Klient in Bezug zur professionellen Begegnung bedürfen einer besonderen Beachtung in der Reflexion der sozialen Arbeit und ihren Beziehungen. Im Gegensatz dazu lässt sich der phasenhafte Verlauf in zwischenmenschlichen Beziehungen auf die professionelle Arbeitsbeziehung übertragen. So durchlaufen Sozialarbeiter und Klient die einzelnen Phasen wie folgt: Phase des Beziehungsaufbaus, Phase der Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Thema und Phase der Ablösung (vgl. Arnold 2009, S. 28). Ein Aspekt zur Gestaltung von Beziehungen ist die Kommunikation, welche im Kapitel 3.3 noch genauer beleuchtet wird, sowie die Interaktion. Das aufeinander bezogene und sich gleichzeitig beeinflussende Handeln von Personen wird von Ursula Piontkowski3 als Interaktion beschrieben und ist mit Blick auf den pädagogischen Kontext Gegenstand des nun folgenden Kapitels (ebd.).

1.2 Pädagogischer Ansatz in der professionellen Arbeitsbeziehung Hermann Giesecke beschreibt in seinem Buch „Pädagogik als Beruf – Grundformen pädagogischen Handelns“ den pädagogischen Ansatz professioneller Beziehungen.

3

Ursula Piontkowski - Professorin für Sozialpsychologie.

5

Um pädagogisches Handeln genauer zu betrachten, muss man sich zunächst der Frage stellen, was Handeln im Allgemeinen ist. Nach Giesecke4 ist Handeln vor allem auf die Gestaltung der Wirklichkeit gerichtet, bewusst und willentlich und hat für die Zielerreichung festgelegte Motive. Wenn sich Handeln nun auf die Veränderungen von menschlichen Verhältnissen, Bedingungen oder auch Beziehungen bezieht, spricht man nach Giesecke von sozialem Handeln. Soziales Handeln steht dabei in einer Wechselseitigkeit zu anderen Personen. Für das Durchsetzen persönlicher Ziele in Bezug auf das eigene Handeln sollte sich der Sozialarbeiter bewusst sein, dass sein Gegenüber frei ist, über sein eigenes Handeln zu entscheiden (vgl. Giesecke 2000, S. 21). Es gibt im Bereich des sozialen Handelns also immer die Freiheit anders zu handeln, als man es tatsächlich tut. Pädagogisches Handeln gehört nach Giesecke zu sozialem Handeln. Daraus ergibt sich für zielorientiertes pädagogisches Handeln ein Wechselspiel mit dem sogenannten „Gegen-Handeln“. Der Kern pädagogischen Handelns liegt, nach Annahme von Giesecke, darin, sich als Sozialarbeiter einer bestimmten Situation und dem Klienten gegenüber angemessenen zu verhalten und dabei aus mehreren Konstruktionen eine Handlungsmöglichkeit als Reaktion auf das Verhalten und Handeln des Klienten abzuleiten (vgl. Giesecke 2000, S. 21). Das Ziel pädagogischen Handelns ist es, Kinder oder auch Erwachsene in ihrer Entwicklung positiv zu fördern, dabei schädliche Einflüsse von ihnen fern zu halten und somit Bildung und Erziehung zu ermöglichen (vgl. Giesecke 2000, S. 22). Pädagogisches Handeln ist demnach eine Form von Lernbegleitung und kann sich auf unterschiedliche Lern- oder auch Lebensinhalte beziehen, die dem Bewusstsein des Menschen zugänglich sind (ebd.). Giesecke, wie auch Arnold stellen mit Blick auf die professionelle Arbeitsbeziehung fest, dass sowohl Sozialarbeiter und Klient oder Pädagoge und Lernender, sich gegenseitig nicht nach persönlichen Gesichtspunkten auswählen können.

4

Hermann Giesecke - Professor für Pädagogik und Sozialpädagogik.

6

Die zwischenmenschliche Beziehung innerhalb pädagogischen Handelns dient einem bestimmten Zweck: dem Lernen. Nach Giesecke ist sie ein emotional distanziertes und kulturell geformtes Beziehungskonstrukt, welches von jedem eingegangen werden kann, der den Lernzweck anerkennt (vgl. Giesecke 2000, S. 116). Lernen wird nach Giesecke, neben der Vermittlung von Wissen, auch als Austausch von Erfahrungen zwischen Lernenden und Lehrenden beschrieben. Individuelle Erfahrungen, die als subjektiv sinnvoll und gleichrangig verstanden werden führen zum Respekt voreinander. Pädagogisches Handeln mit Blick auf die individuellen Erfahrungen ist also auch ein geleichberechtigter Umgang von Pädagogen und Lernenden im Lernprozess (vgl. Giesecke 2000, S. 119).

2

Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung

Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sind in erster Linie Menschen. Der Begriff der geistigen Behinderung bereitet häufig noch große Schwierigkeiten. Während eine körperliche Behinderung eine einzelne beeinträchtigte Funktion beschreibt, erstreckt sich eine sogenannte geistige Behinderung auf den ganzen Menschen. Gerade in der deutschen Sprache hat der Begriff Geist eine vielseitige Bedeutung. Die Zuschreibungen finden sich von Gespenst über Verstand bis hin zum Weltgeist (vgl. Speck 2012, S. 45). Doch was bedeutet nun geistig behindert?

2.1 Der Begriff der geistigen Behinderung Die Be- bzw. Zuschreibung geistige Behinderung steht für einen unklaren, weit gefächerten Begriff, der dennoch überreichlich genutzt wird. Eine Vielzahl von Autoren beschäftigte sich mit dem Terminus der geistigen Behinderung, von denen einige im folgenden Text dargestellt werden. So findet sich zunächst einmal in dem Wortlaut des Sozialgesetzbuches IX, § 2, Abs. 1 folgende Definition von Behinderung: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und da7

her ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“ (SGB IX § 2, Abs.1). In dem Gesetzestext des Sozialgesetzbuches wird Behinderung beschrieben, dem eine Normierung im Bereich der körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten zu Grunde gelegt und eine Abweichung von der festgelegten Norm über einen dazu festgelegten Zeitraum festgestellt wird. Im Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember 2006 findet sich der Begriff der Behinderung nicht als isoliertes Phänomen wieder. Nicht die Behinderung steht hier als Merkmal einer Person im Mittelpunkt, sondern der Mensch innerhalb der Gesellschaft: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ (URL2: Institut für Menschenrechte

2016).

In

dem

Definitionsbegehren

der

UN-

Behindertenrechtskonvention finden wir eine Aussage über einen Zeitraum und über die körperliche, geistige und seelische Form von Beeinträchtigung. Darüber hinaus wird hier die Teilhabe an der Gesellschaft als Recht von Menschen mit Behinderungen in die Definition mit eingebracht. Nach Grossman definiert sich die geistige Behinderung mit der Verlangsamung und Beschränkung der kognitiven Entwicklung und Lernfähigkeit. Diese gehen mit Schwierigkeiten im sozialen und lebenspraktischen Anpassungsverhalten einher und sind in der Regel bereits im Entwicklungsalter zu beobachten (vgl. Grossman zit. nach Strasser5 2001, S.11). In den Ausführungen von Otto Speck6 findet man zunächst die Rückführung zur öffentlichen Nutzung des Begriffs. Der Begriff der geistigen Behinderung wurde erstmalig offiziell 1958 im Zusammenhang mit der Gründung des Vereins „das geistig behinderte Kind“ verwendet. Der Fachausdruck der geistigen Behinderung steht für ein komplexes, verschiedene Aspekte und Dimen5 6

Urs Strasser – Dr. phil. - Rektor der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Otto Speck – Professor für Sonderpädagogik.

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sionen umfassendes Konstrukt (vgl. Speck, 2007, S. 136). Mit der Komplexität ist dabei die Zusammensetzung verschiedener Bestandteile und Komponenten und ihre Vernetzung in jedem einzelnen Menschen gemeint (vgl. Speck 2012, S. 53). So wie jeder Mensch mit seinen Eigenschaften einzigartig, eben ein Individuum ist, so ist auch jede geistige Behinderung auf unterschiedliche Weise und vor allem individuell ausgeprägt. Nach Speck versucht man den Ausdruck der geistigen Behinderung im pädagogischen Arbeitsalltag zu vermeiden, da er defizitbezogen und stigmatisierend ist. Doch auch die Begriffe „Anders-sein“ implizieren eine Provokation und Stigmatisierung, so Speck. Wenn ich einen Menschen als anders betrachte, setze ich auch hier wieder eine Norm an. Anders als Was? Oder anders als Wer? Diese Fragen bleiben in Bezug auf die Begriffsklärung oder den Versuch einer Beschreibung von geistiger Behinderung offen (vgl. Speck 2012, S. 53). Um den Begriff der geistigen Behinderung aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu beleuchten, gibt es neben der Beschreibung von geistiger Behinderung

aus

defizitorientierter,

psychiatrisch-nihilistischer,

aus

aus

entwicklungspsychologischer

heilpädagogischund

IQ-bezogener

Sichtweise unterschiedliche Klassifikationsformen (vgl. Theunissen 2016, S. 11).

2.2 Geistige Behinderung und die Klassifikationen Geistige Behinderung ist mehr als nur ein Begriff, welcher versucht die individuellen Eigenschaften eines Menschen in Bezug auf seine kognitiven Leistungen zu beschreiben. Zu den unterschiedlichen Beschreibungen der geistigen Behinderung eines Menschen gibt es unterschiedliche Klassifikationsformen, von denen im folgenden Kapitel drei Ausgewählte dargestellt werden.

2.2.1 Klassifikation nach ICD – 10 ICD – 10 ist die Abkürzung der Weltgesundheitsorganisation für: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. In deutscher Sprache: die internationale statistische Klassifikation von Krankheiten 9

und verwandten Gesundheitsproblemen in der zehnten Revision. Das Verfahren dient der Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung von Menschen (URL3: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2016). Das Klassifikationsmodell von geistiger Behinderung nach ICD – 10 geht von einer Störung der Intelligenz aus und findet sich im Klassifikationskatalog unter F70 bis F79. Die Definition von Intelligenz kann dabei sehr unterschiedlich sein. Aus rein medizinischer Sicht ist Intelligenz die Gesamtheit kognitiver Fähig- und Fertigkeiten einer Person. Bei einer angeborenen oder auch erworbenen Reduktion kognitiver Fähigkeiten spricht man von einer Intellingenzminderung (vgl. Preuß 2010, S 102). Intelligenzstörung nach ICD – 10 beschreibt einen Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, die allein oder zusammen mit jeder anderen psychischen oder körperlichen Störung auftreten können. Dabei sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und die zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten besonders beeinträchtigt (URL4: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2016). Intelligenz und damit auch der Schweregrad einer Intelligenzstörung wird mit Hilfe standardisierter Testverfahren gemessen, von erfahrenen Diagnostikern ausgewertet und mit einem Intelligenzquotienten beziffert (vgl. Theunissen7 2016, S.18). Geistige Behinderungen werden nach ICD – 10 wie folgt klassifiziert: o

F70.- Leichte Intelligenzminderung (IQ 50/55 – 70/75)

o

F71.- Mittelgradige Intelligenzminderung (IQ 35/40 – 50/55)

o

F72.- Schwere Intelligenzminderung (IQ 15/20 – 35/40)

o

F73.- Schwerste Intelligenzminderung (IQ

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